Beiträge

Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) beherrscht mal wieder die Schlagzeilen. In den meisten Kommentaren geht es – zurecht – vor allem um die Frage der Legitimität solcher Eingriffe in die Privatsphäre. Ebenso interessant ist aber die Frage der Effizienz.

Aktionismus statt Lösungen

Es gehört leider mittlerweile zum täglichen Ritual: Irgendein Problem taucht auf und schon beginnt der Überbietungswettbewerb für Lösungen in der politischen Arena. In der Regel gibt es zwei mögliche Stoßrichtungen für die Lösungen, die Politiker präsentieren: Entweder solche, die an die Gefühle des Wählers appellieren (z. B. Mindestlohn, Mütterrente, Ausstieg aus der Atomenergie). Oder solche, die Politik und Bürokratie mit mehr Kompetenzen ausstatten (Euro-Rettungsschirme, Arbeitsplatzverordnungen oder – eben – VDS). Ausschlaggebend für den Lösungsvorschlag ist nicht, dass das Problem tatsächlich verbessert oder gar behoben wird. Entscheidend ist, dass eines dieser beiden Kriterien erfüllt wird.

Es handelt sich dabei leider tatsächlich um einen Überbietungswettbewerb. Denn kein Politiker will erst der dritte sein, der einen Lösungsvorschlag präsentiert. Und der Satz „darüber müssen wir erstmal in Ruhe nachdenken“ gehört definitiv nicht zum Standardvokabular in einer Welt, in der die Bedeutung von Politikern an den zitierten Sätzen in Medien hängt. Die Folge ist ein ruheloser Aktionismus, der sich mit allem beschäftigt außer dem tatsächlichen Problem.

Die VDS führt nur zur Professionalisierung von Verbrechern

Es gibt genug anschauliche Beispiele dafür, wie dieser Aktionismus komplett ins Leere läuft. Wenn wieder irgendwelche Banken sich verzocken oder Schrottpapiere unter das Volk bringen, kann man fest mit einem Ruf nach mehr Regulierung rechnen. Während dann Ministerien und internationale Gremien jahrelang über neue Regulierungen verhandeln, können sich die Banken in aller Seelenruhe darauf einstellen und überlegen, wie sie die neuen Regeln umgehen. Das gleiche gilt für die Bekämpfung des Drogenhandels. Das einzige Ergebnis, das hier durch die Reaktionen von Politik und Polizei gezeitigt wird, ist eine zunehmende Kriminalisierung, nicht aber der Rückgang von Drogenmissbrauch. Selbst so unverdächtige Institutionen wie das Max-Planck-Institut für Strafrecht, der wissenschaftliche Dienst des Bundestages und – ja! – das Bundeskriminalamt kommen zu dem Schluss, dass die VDS einen statistisch kaum oder gar nicht erfassbaren Einfluss auf Verbrechensaufklärung hat, geschweige denn auf deren Verhinderung.

Man darf jedoch erwarten, dass andere, unbeabsichtigte Folgen eintreten werden. Allen voran eine Professionalisierung von Terroristen und Kriminellen. So wie Banken immer raffiniertere (und unverständlichere) Finanzprodukte ersinnen werden, je mehr Regulierungen eingeführt werden, so werden auch Verbrecher ihre Methoden unter dem Druck der VDS verbessern. Nachdem mit dem „Krieg gegen die Drogen“ ein erfolgreiches Dauer-Konjunkturprogramm für Kriminelle aufgelegt wurde, werden ihnen nun mit der VDS auch noch Möglichkeiten geboten, sich zu professionalisieren. Wer sich einmal vor Augen führen möchte, wie das genau aussieht, dem sei dringend empfohlen, die US-amerikanische Serie „The Wire“ anzugucken. In dieser überragenden Produktion wird höchst anschaulich und sehr realistisch dargestellt, welche Formen der Verbrechensbekämpfung scheitern und welche funktionieren könnten, wenn man die Bereitschaft zum Umdenken aufbringen würde.

Ursachen bekämpfen, nicht Symptome

Die ersten beiden Staffeln von „The Wire“ widmen sich den Versuchen einer Polizeieinheit, Kriminalität durch Überwachung in den Griff zu bekommen. In beiden Staffeln können die Ermittler und Fahnder am Ende so gut wie keine Erfolge vorweisen. Die dritte und vierte Staffel widmen sich hingegen alternativen Lösungsansätzen. In der dritten Staffel versucht ein Polizeioffizier eigenmächtig, den Drogenhandel zu legalisieren. Und in der vierten Staffel verstärkt die Polizei ihr Engagement im Bereich der Schulen, um die jungen Menschen vor dem Abrutschen in die Kriminalität zu bewahren. Beide vielversprechenden Versuche scheitern. Anders als die Überwachung scheitern sie aber nicht daran, dass die Methode falsch ist. Sie scheitern vielmehr an dem Widerstand, der sich von Seiten der Politik und der Bürokratie dagegen regt.

Die VDS wird die Verbrechensbekämpfung nicht verbessern. Sie wird nur dazu beitragen, dass Kriminelle ihre Fähigkeiten ausbauen, der Hand des Gesetzes zu entkommen. Wirksame Kriminalitätsbekämpfung muss bei den Ursachen anfangen statt an den Symptomen herumzufummeln. Dorthin zu kommen, ist freilich ein weiter Weg. Denn sowenig der Metzger sich zum Vorkämpfer des Vegetarismus machen wird, so wenig werden Innenpolitiker für Lösungen plädieren, die das Budget oder die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden beschränken würden. Umso stärker muss der Druck aus der Bevölkerung kommen. Nicht nur, weil unsere Privatsphäre in Gefahr ist. Sondern auch, weil mit der VDS die Gefahren von Kriminalität und Terrorismus unter Umständen nur noch größer werden.

Jetzt hat es auch der Internationale Währungsfonds (IWF) kapiert. Der IWF sieht existentielle Probleme für mittelgroße Lebensversicherer in Europa und speziell in Deutschland. Wenn es alle Spatzen von den Dächern pfeifen, dann stimmt irgendwann auch der fluguntaugliche Dinosaurier in das Lied mit ein. Man will später nicht zu denjenigen gehören, die vor den Folgen nicht gewarnt haben. Die heiße Luft, die aus dem Rachen des IWF dringt, klingt wie die Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Seit vielen Jahren ist klar, dass die Lebensversicherungen in existentielle Probleme geraten, sollte Mario Draghi seine Niedrigstzinspolitik fortsetzen. Und er tut dies in noch verschärfterer Form durch sein Anleihenaufkaufprogramm von derzeit noch 1,15 Billionen Euro. Das alles ist wahrlich nichts Neues.

Die Eingriffe Draghis in den Maschinenraum der Marktwirtschaft sind jedoch umfassender. Er wird nicht nur die Lebensversicherungen in existentielle Gefahr bringen. Er zerstört auch die Lebensgrundlage der Sparkassen, Volksbanken und Bausparkassen. Und er bürdet den Unternehmen Milliarden an zusätzlichen Pensionslasten auf, die sich in den nächsten Jahren zu einem systemischen Risiko für die Volkswirtschaft aufbauen werden.

Das Geschäftsmodell der Sparkassen und Volksbanken und ihre Verankerung in der Fläche beruhte lange Zeit auf einem einfachen Prinzip: Giroguthaben, Sparbücher, Festgelder und Kredite sorgten für einen Zinsüberschuss und Bausparverträge sowie Lebensversicherungen für satte Provisionseinnahmen. Beide Säulen brechen weg. Sparbücher und Festgelder werden nicht mehr verzinst, weil die Sparkassen und Volksbanken selbst keine Zinsen mehr für die Anlage bekommen. Und die Kreditmargen schrumpfen ebenfalls in einem Umfeld, wo Städte und Gemeinden für ihre Kassenkredite keine Zinsen mehr bezahlen müssen. Gleichzeitig bricht das Neugeschäft für Lebensversicherungen und Bausparkassen im Niedrigstzinsumfeld weg.

Doch die Kostenstruktur durch teure Geschäftsstellen in der Fläche ist nach wie vor hoch. Und als ob das noch nicht genug an Problemen wäre, kommt die Regierung mit immer neuen Regulierungen und Bürokratie auf die Institute zu. Die Folge wird sein, dass in den nächsten Monaten und Jahren eine Fusionswelle im Sparkassen- und Genossenschaftswesen eintreten wird.

Für die Bausparkassen sieht es nicht wesentlich rosiger aus. Seit 2009 bewegt sich der Euroraum im Niedrigzinsumfeld. Eine Änderung ist nicht in Sicht. Doch gerade mit diesem Änderungsrisiko argumentieren die Bausparkassen gegenüber ihren Kunden. Bleibt es bei den Niedrigstzinsen im Euroraum, und davon ist auszugehen, dann verschwindet das wesentliche Verkaufsargument für die Bausparfüchse. Das so notwendige Neugeschäft bricht weg. Die privaten Bausparkassen verzeichneten bereits im vergangenen Jahr einen Einbruch um 27 Prozent.

Und für die Unternehmen wird das Niedrigstzinsumfeld ebenfalls zum Pulverfass. Sie müssen ihre Pensionsverpflichtungen mit einem marktnahen Rechnungszins abzinsen. Je niedriger dieser ist, desto höher sind die notwendigen Rückstellungen, die bilanziell gebildet werden müssen. Von 6 Prozent im Jahr 2009 wird dieser ebenfalls in den nächsten Jahren auf 2 Prozent und weniger sinken. Der Rückstellungsbedarf steigt gegenüber 2009 so um 66 Prozent und mehr. Nicht alle Unternehmen werden dies stemmen können.

Wenn Mario Draghi in den Maschinenraum der Marktwirtschaft geht, fummelt er nicht nur an der Maschinenhaube oder an der Abdeckung herum, sondern er geht ganz tief in das Räderwerk hinein und versucht mit seinem Schraubendreher die Maschine zu reparieren. Doch der Schraubendreher bleibt im Zahnrad der Maschine stecken, sie läuft heiß und schlimmstenfalls droht ein Totalschaden. Anders als Draghi erträumt, ist die Marktwirtschaft eben doch keine Maschine und er auch kein Maschinenführer.

Photo: Gösta Knochenhauer from flickr

Von Robert Nef, Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts der Schweiz, Zürich, und Träger der Hayek-Medaille 2008.

In der Schweiz findet im Juni 2015 eine Volksabstimmung über eine Verfassungsinitiative statt, die auf Bundesebene Nachlässe von über 2 Millionen Franken mit einer nationalen Erbschaftsteuer belasten will. Die Erträge dieser Steuer sollen teilweise zur Sanierung der kollektiven Altersvorsorge (Alters- und Hinterlassenversicherung, AHV) verwendet werden. Betroffen von der Steuer wären 2 -3 Prozent der Bevölkerung.

Erbe, Eigentum, individuelles und gemeinsames Wohlergehen sind in vielfältigster Weise miteinander verbunden. Der Versuch diese komplexe Verknüpfung durch staatlichen Zwang, insbesondere durch Steuern entweder im Hinblick auf „mehr Gerechtigkeit“ und „mehr Zwangssolidarität“ zu beeinflussen, steht immer wieder zur Debatte. Oft steckt dahinter auch einfach der Wunsch nach erhöhten staatlichen Einnahmen durch zusätzliche Steuern, die deshalb politisch konsensfähig sind, weil sie eine Minderheit belasten und eine Mehrheit begünstigen. Allein schon dieser fatale Zusammenhang müsste diejenigen sensibilisieren, die vom Staat nicht vorrangig eine rücksichtslose Mittelbeschaffung im Hinblick auf populäre Umverteilung, sondern vielmehr den Respekt vor minimalen ethisch-moralischen Regeln erwarten – zu denen zählt auch der Schutz von Minderheiten vor der Gier von Mehrheiten und vor ungleichen Eingriffen ins Privateigentum gehört.Eine progressiv ausgestaltete Erbschaftsteuer ist in ihren Auswirkungen als populistischer „Fischzug“ auf das Vermögen der Reichen nichts anderes als eine asoziale Neidsteuer, die weder zur Verwirklichung der sozialpolitischen noch der finanzpolitischen Ziele einen nachhaltig positiven Beitrag leistet.

An erster Stelle ist bei normativen „wirtschaftlich“, „sozial“ oder „moralisch“ begründeten politischen Vorstössen der ideologische Hintergrund zu klären. Das hinter den Forderungen stehende Menschenbild und die zugrundegelegte Wirtschaftstheorie müssen transparent diskutiert werden können. Nicht alle Forderungen die „sozial“ genannt werden, sind es auch tatsächlich. Der auf zentral verwalteter Planwirtschaft abgestützte Staatssozialismus hat schliesslich zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Systeme geführt, der in seiner Auswirkung alles andere als sozial war. Er hat nicht nur im ökonomischen Bereich, sondern ganz allgemein eine soziale Wüste hinterlassen. Dies wird in der parteipolitischen Auseinandersetzung kaum mehr bestritten. Trotzdem steht viel sozialistisches Gedankengut immer wieder auf der politischen Traktandenliste und das mindestens teilweise Wegsteuern von Vermögen beim Ableben der Eigentümer durch Erbschaftsteuern ist eine weltweit populäre staatssozialistische Forderung. Erbschaften seien Einkommen ohne jede Gegenleistung, ein Zufall der Geburt, und damit grundsätzlich „unverdient“. Die Kategorie „verdient“ oder „unverdient“ ist keine ökonomische, sondern eine moralische, die, falls man daraus ein allgemeinverbindliches Verteilungskriterium machen würde, voraussetzt, dass es objektive Massstäbe für eine allgemeine Verteilungsgerechtigkeit gibt. Dies wird aber in einem Rechtsstaat, der Privateigentum und Privatautonomie garantiert, grundsätzlich in Frage gestellt. Eigentum gilt dann als „wohlerworben“, das heisst als rechtmässig, wenn es nicht durch Gewalt oder Betrug erlangt worden ist. Wieviel Leistung und welche Leistung, wieviel Glück und welche günstigen Konstellationen und selbst wieviel Spekulation dabei mit im Spiel war, ist letztlich nicht aufzuschlüsseln.

Die Frage der Gewaltsamkeit stellt sich im Fall der Erbschaftsteuer eher gegenüber dem Staat, der ja Vermögensbestandteile zwangsweise enteignet und dabei in private Vermögensverhältnisse eingreift. Dieser Zwang ist zwar in einem demokratischen Rechtsstaat durch Mehrheiten legitimiert. Die Tatsache, dass aber bei umverteilenden Steuern und speziell bei einer stark progressiv konzipierten Erbschaftsteuer stets eine potentielle Mehrheit von Empfängern eine Minderheit von Pflichtigen fremdbestimmen kann, stellt diese Legitimität grundsätzlich in ein schiefes Licht. Zudem wird eine ungerechte Steuer nicht dadurch gerechter, dass sie nur eine Minderheit trifft.

Das Argument, die Steuer betreffe ja nur eine kleine Minderheit, ist besonders zynisch und auch im Hinblick auf die Zukunft gefährlich. Bewilligt eine Mehrheit diesen Zugriff auf grosse Erbschaften, sind zwei Entwicklungen vorauszusehen: Einmal werden die Erträge im gleichen Ausmass schwinden, wie sich jene legalen Ausweichmöglichkeiten etablieren, die wir von andern Ländern mit hoher progressiver Erbschaftsteuer kennen.

Der deutsche Ökonom Lars P. Feld hält die Erbschaftsteuer vor allem wegen der legalen Vermeidungsmöglichkeiten für ungerecht. In einem Interview nennt er sie „die grösste Dummensteuer, die wir in Deutschland haben“, denn sie treffe denjenigen eher, der ein Vermögen von zwei Millionen Euro vererbt und seine Steuererklärung nicht gestalten könne, als jemanden, der ein Erbe von 100 Millionen übertragen wolle. Die Verhinderung der gezielten Weitergabe grosser Vermögen an die nächste Generation zu Lebzeiten ist weder möglich noch erwünscht. Solche Eingriffe verletzen die Eigentumsgarantie und sie sind auch gar nicht praktikabel. Was nicht funktioniert, kann auch nicht gerecht sein.

Der voraussehbare finanzielle Misserfolg nach einer Einführung der „Erbschaftsteuer für Superreiche“ muss dazu führen, dass man beim Ausbleiben der für die Sanierung der AHV erhofften Erträge sukzessive den Zugriff auch auf kleinere Erbschaften ins Auge fasst. Der Kreis der Betroffenen würde dann immer weiter gezogen. Das sollten sich vor allem jene gut überlegen, die eine Befürwortung der Vorlage erwägen, weil sie ja persönlich unterhalb der jetzigen Limite liegen. Wenn der Dammbruch zugunsten einer nationalen Erbschaftsteuer einmal erfolgt ist, wird es schwer sein, diese Entwicklung politisch zu bremsen. Einmal mehr muss hier an den politischen Grundsatz „Wehret den Anfängen“ erinnert werden.

Das Vererben von Vermögen ist eine Transaktion, die durch den Tod eines Menschen ausgelöst wird. Der Tod ist ein natürliches und letztlich nicht zu verheimlichendes Ereignis, das vom Staat als Steuerquelle schon früh entdeckt worden ist. Da die Erben ohne messbare Gegenleistung zu Vermögen kommen, wird die Erbschaftsteuer auch von vielen Liberalen mindestens als „relativ gerechtes“ Instrument der intergenerationellen Umverteilung empfunden.

Das ökonomische und soziale Grundproblem der Erbschaftsteuer besteht darin, dass sie gegenüber einem weltweit anthropologisch in der Familie tief verankerten Ziel, nämlich, dass es der nächsten Generation einmal gleich gut oder besser gehen soll, falsche Anreize setzt. Sie bestraft das generationenübergreifende Vorsorgen und Sparen und die Grundidee, dass das Erbe nicht zum Verbrauch sondern zur schrittweisen Wohlstandsvermehrung und zum sozialen Ausgleich von Glück und Unglück innerhalb einer langfristig ausgerichteten natürlichen Gemeinschaft dient. Das fürsorgliche private Sparen im Hinblick auf grössere Zeiträume und die treuhänderische Weitergabe innerhalb der jeweils „Nächsten“ soll durch die demotivierende, zwangsweise anonymisierende Umverteilung der Politik ersetzt werden. Die auf kollektivem Zwang beruhende Politik erhält so gegenüber der auf Tradition und Kultur beruhenden Familie den Vorrang. Der Staat macht aber erfahrungsgemäss nur zu oft das Gegenteil der vernünftigen Familie. Er lebt gerne auf Pump, er verschuldet sich zu Lasten der kommenden Generationen, um sich kurzfristig populär zu machen. Soll nun jene Organisation namens Familie, die sich in der Regel ökonomisch und sozial vernünftig und nachhaltig verhält, von jener Organisation namens Staat, die sich häufig verschwenderisch, sozial schädlich und ökonomisch demotivierend verhält, zwangsweise zur Kasse gebeten werden? Das ist ein zivilisatorischer, ökonomischer und sozialer Rückschritt.

Erstveröffentlichung in „Finanz und Wirtschaft“ am 8. April 2015.

Photo: U.S. Army Corps of Engineers Europe District

Der Konsum von Cannabis kann die Gesundheit schädigen. Ebenso wie der Konsum von Alkohol, Zucker, Salz und Fett. Gibt es wirklich keine sinnvolleren Einsatzgebiete für Polizisten als die Bekämpfung des Konsums illegaler Genussmittel?

„Drogenpolitik“ ist ein Ergebnis historischer Zufälle

Es gibt die unterschiedlichsten Theorien zu der Gesundheitsgefährdung, die von Cannabis-Konsum ausgeht. Während die Studien und Untersuchungen des Schildower Kreises und des Deutschen Hanfverbandes von eher geringeren Gefahren ausgehen, gibt es natürlich auch Wissenschaftler, die stärkere Bedenken haben. Eine überwiegende Mehrheit geht freilich davon aus, dass Cannabis im Grunde genommen in eine Kategorie mit Alkohol gehört. Während aber tagein, tagaus, landauf, landab Alkohol in rauen Mengen konsumiert wird. werden Cannabis-Konsumenten wie Kriminelle behandelt.

Wie kommt es eigentlich dazu? Im Grunde genommen hat das sehr wenig mit Cannabis selbst zu tun und sehr viel mit historischen Zufällen. Die unterschiedlichen Produkte der Hanfpflanze waren die längste Zeit gängige Mittel in der Medizin und wurden in vielen Teilen der Welt als entspannende Genussmittel gebraucht. Erst im späten 19. Jahrhundert wurden Stimmen laut, die den Verbot von Anbau, Handel und womöglich auch Konsum dieser Produkte verbieten wollten. Aus der gleichen Ecke kam übrigens auch die Idee der Alkoholprohibtion, die die Vereinigten Staaten in den 20er Jahren in die Fänge der Mafia treiben sollte.

Stammtischparolen statt Fakten

Seitdem ist Cannabis in der Wahrnehmung vieler Menschen geradezu dämonisiert. Wer sich heute einen Joint dreht – so das Bild, das in den Köpfen herumgeht –, findet sich spätestens ein halbes Jahr später mit der Nadel im Arm auf der Bahnhofstoilette wieder. Eine solche Vorstellung haben die wenigsten Menschen, wenn sie jemand vor einem Maßkrug im Biergarten sitzen sehen. Ignoranz in Sachfragen kann man immer noch in den höchsten Etagen der Drogenpolitik finden. Die derzeitige Drogenbeauftragte Marlene Mortler begibt sich mit schlafwandlerischer Sicherheit immer wieder auf glattes Eis mit populistischen Aussagen, die durch keinerlei wissenschaftliche Beobachtung zu erhärten sind.

Ignoranz und Stammtischparolen sind die eine Seite des Kriegs gegen das Kiffen. Die andere ist weniger unterhaltsam und viel gefährlicher. Man kann darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, den Handel von tatsächlich hochgefährlichen Rauschmitteln wie Chrystal Meth oder Heroin zu verfolgen. In diesem Bereich gibt es gute Gründe, die dafür, aber auch ebenso gute, die dagegen sprechen. Im Fall von Cannabis ist eine Verfolgung von Besitz und Handel durch die Polizei hingegen nicht nur widersinnig, sondern auch gefährlich.

Aberwitzige Ressourcenverschwendung

Polizei und Justiz werden durch die Verfolgung von Cannabis-Delikten in hohem Maße gebunden. Viele Millionen Steuergelder werden jährlich dafür aufgewandt. Gerichte und Behörden werden über Gebühr beansprucht. Vor allem aber werden Polizeiressourcen gebunden, die anderswo wesentlich besser gebraucht werden könnten. Der Berliner Innensenator Frank Henkel hat kürzlich den Kiffern in Berlin den Kampf angesagt. Das bedeutet, dass in den nächsten Monaten die Polizei verstärkt auf die Jagd gehen wird. Zur Erinnerung: es handelt sich um ein Rauschmittel, das mit Alkohol vergleichbar ist. Im vergangenen Jahr hat es 12.000 Einbrüche in Berlin gegeben. Während also Polizisten damit beschäftigt sind, Menschen aufzuspüren, die sich eben mal einen Joint gönnen, werden sie dort fehlen, wo anderen Menschen Hab und Gut geraubt werden.

Dabei gäbe es durchaus Alternativen: Es ist ja kein Geheimnis, dass die Legalisierung bzw. der Verzicht auf Strafverfolgung von Besitz und Handel von Cannabis in einigen US-Bundesstaaten, in Uruguay, ja selbst in Portugal oder Tschechien nicht zu einem Totalausfall dieser Länder geführt hat. Im Gegenteil: genaugenommen ist eigentlich gar nichts passiert. In Berlin etwa wurde tatsächlich das Kiffen über Jahre hinweg kaum bis gar nicht verfolgt und geahndet. Der Aktionismus des Senators ist ja auch nicht begründet durch die vielen Cannabis-Toten auf den Berliner Straßen, sondern durch das Problem der illegalen Händler, die sich zum Teil kriminell verhalten.

Drogenpolitik: ein großes Konjunkturprogramm für Kriminelle

Dass es überhaupt zu dieser Form von Kriminalität kommt, liegt aber vor allem an der restriktiven Drogenpolitik. Wie in den 20er Jahren, als in den USA die Alkoholprohibition in Kraft war, werden auch heute in Deutschland durch die Drogenkriminalisierung ganz neue Tätigkeitsbereiche für Verbrecher geschaffen, die dann natürlich verfolgt werden müssen. Die restriktive Drogenpolitik wirkt mithin wie ein großes Konjunkturprogramm für Kriminelle. Das Problem der aggressiven Drogenhändler im Görlitzer Park könnte Frank Henkel viel eleganter lösen, indem er auf eine Legalisierung von Cannabis hinwirkt. Vielleicht sollte er sich mal eine Reise nach Colorado gönnen, um dort festzustellen, wie eine Aufhebung des Verbots zivilisierend wirken kann.

Es ist allerhöchste Zeit, die Drogenpolitik fundamental zu überdenken. Das fordern nicht nur irgendwelche langhaarigen Ruhestörer. Das fordern inzwischen lautstark so honorige Personen wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan oder der ehemalige EU-Außenbeauftragte Javier Solana. In einem Bericht der UN-Kommission für Drogenpolitik aus dem Jahr 2011 forderten sie ein umfassendes Ende des „Kriegs gegen die Drogen“. Ebenso haben sich über hundert deutsche Strafrechtsprofessoren dahingehend in einer Erklärung geäußert. Und kürzlich haben die Grünen einen Antrag zur Cannabis-Legalisierung im Bundestag eingebracht.

Der Umgang mit Drogen ist zu ernst, um ihn auf Stammtischniveau abzuhandeln. Wir müssen uns den Fakten zuwenden. Wir müssen anerkennen, dass die derzeitige Politik gescheitert ist. Eines dürfte jedem klar sein, der etwas gesunden Menschenverstand hat: Der Kiffer will kein Verbrechen begehen und erst recht nicht jemand anderem schaden. Er will entspannen und genießen. Der Kiffer ist kein Staatsfeind. Hören wir endlich auf, ihn so zu behandeln.

Photo: Franz Ferdinand Photography from Flickr

Von Sascha Tamm, Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Kritische Anmerkungen aus einer freihändlerischen Perspektive

Die Verhandlungen zu TTIP werden in der Öffentlichkeit mit viel Kritik und Protesten begleitet. Vieles davon beruht auf nicht zu rechtfertigenden Ängsten und grundsätzlicher Skepsis gegen über wirtschaftlicher Freiheit im Allgemeinen und Freihandel im Speziellen. Die unsägliche Debatte über Chlorhühnchen ist nur ein Beispiel dafür. Protektionismus ist eine Idee, die Linke und Rechte zuverlässig vereinigt. Deshalb ist es richtig, immer wieder die grundsätzlichen Argumente für freien Handel in die öffentliche Debatte einzubringen und viele der Mythen der Freihandelsgegner zu entlarven. Das geschieht an vielen Stellen und soll hier nicht wiederholt werden. Zudem sollten sich die Befürworter von TTIP mit ihren Argumenten nicht auf das Niveau vieler Gegner herabbegeben. Sicher wird es neue Chancen für Unternehmen geben, und damit Wachstumsimpulse. Doch es wird auch Verlierer geben, Unternehmen, die im intensiveren Wettbewerb nicht bestehen. Das ist übrigens auch gut so.

Dass viele Gegner von TTIP prinzipielle Gegner des Freihandels sind und oft unsinnige Argumente vertreten, sollte jedoch nicht dazu führen, dass die Befürworter freien Handels, oder besser: der Freiheit zu handeln, die derzeit geplante Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union einfach kritiklos verteidigen und begleiten. Es gibt Punkte, die aus einer dezidiert pro-marktwirtschaftlichen Perspektive zu kritisieren sind. Bestimmte Weichenstellungen im geplanten Abkommen können zu mehr oder weniger wirtschaftlicher Freiheit führen – vor allem in langfristiger Perspektive. Das betrifft sowohl den handelspolitischen Teil als auch die Investitionspartnerschaft.

Hier sollen beispielhaft zwei Problemfelder kurz diskutiert werden: die Harmonisierung der Regulierungen und der Investitionsschutz durch nichtstaatliche Gerichte. Eine Bemerkung vorab: Natürlich wäre für viele Regulierungen auf beiden Seiten des Atlantik die gebotene Lösung die Abschaffung. Die folgenden Argumente sollen jedoch Denkanstöße geben, wie in der gegebenen Welt Fortschritte in Richtung von offeneren Märkten und damit mehr Freiheit erreicht werden können, wie also TTIP freiheitlicher gemacht werden kann.

Harmonisierung

Schaut man auf den gigantischen Umfang, den die Regulierung aller Bereiche der Wirtschaft heute angenommen hat, wird schnell klar: Ein „ideales“ Freihandelsabkommen, das vielleicht auf einer Seite Platz hätte und einfach allen Produkten und Dienstleistungen aus dem einen Land freien Zutritt zum Markt des anderen geben würde, ist heute kaum noch denkbar. Zu komplex und zu verschieden sind die Regulierungen, zu groß und wirkungsmächtig die organisierten Interessen, die von den jeweiligen Regulierungen profitieren. Gegenseitige Anerkennung wäre unter den gegebenen Umständen die aus freihändlerischer Sicht gebotene Lösung, eine Kennzeichnungspflicht als Ergänzung wäre weitgehend unproblematisch. Stattdessen zielt das geplante Abkommen in vielen Bereichen auf eine Harmonisierung – und diese ist gefährlich, gerade weil sie so gut klingt.

Das naive Argument, das vielen sofort einleuchtet und auch von vielen Vertretern der Wirtschaft pro Harmonisierung vorgebracht wird, geht ungefähr so: Wenn es nur noch eine einheitliche Regulierung für bestimmte Güter bzw. Gütergruppen gibt, sinkt der Verwaltungsaufwand der Unternehmen. Das spart Kosten. Das ist in kurzfristiger Perspektive vielleicht richtig, allerdings werden gern die Umstellungskosten auf neue Standards und Regeln ignoriert.

Langfristig sprechen zwei Gründe gegen Harmonierung vieler Regulierungen – die sich natürlich auch gegen viele Harmonisierungen in der EU vorbringen lassen. Erstens wird der Raum für institutionellen Wettbewerb eingeengt. Auf vielen Feldern ist es überhaupt nicht klar, welche Regulierung (wenn überhaupt eine) sinnvoll ist. Der einzige Weg, hier etwas zu lernen, ist das Ausprobieren, und damit der offene Wettbewerb der Regulierungen. Harmonisierung bedeutet Erstarrung und weniger Chancen für Deregulierung.

Das führt zum zweiten Punkt, der gegen Harmonisierung spricht. Er ist sozusagen politökonomisch: Lobbying und politischer Einflussnahme werden immer lohnender, je größer der regulierte Raum wird. Hier zeigt sich auch wieder einmal, dass Unternehmen und insbesondere ihre Verbände nicht die besten Verteidiger freier Märkte sind – sie sind viel eher bereit, Geld dafür auszugeben, dass Regeln günstig für die selbst und ungünstig für ihre Konkurrenten und insbesondere für potentielle neue Konkurrenten sind, als dafür, dass Regulierungen wegfallen.

Man kann sicher noch darüber diskutieren, in welchen Bereichen Regulierungen mehr oder weniger schädlich für die Offenheit von Märkten sind. Die Grundrichtung sollte für die Verteidiger einer freien Wirtschaft jedoch klar sein: Abschaffung von Regulierungen. Wenn das nicht durchsetzbar ist: gegenseitige Anerkennung von Regeln anstatt Harmonisierung.

Investitionsschutz

Die wesentliche Kritik am geplanten Investitionsschutzabkommen ist, dass hier zu wenig Demokratie und Transparenz herrschen würde. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn auch aus meiner Sicht nicht der wesentliche Punkt, an dem es anzusetzen gilt. Demokratie und Transparenz führen nicht automatisch zu mehr Marktwirtschaft, gerade wenn es um sehr detaillierte Regulierungen geht.

Die Verteidiger des Investitionsschutzes führen im Wesentlichen zwei Gründe an: Erstens sollen Unternehmen vor schlecht funktionierenden Rechtssystemen in einzelnen Ländern geschützt werden, zweitens gibt es ohnehin schon viele Investitionsschutzabkommen, die Deutschland mit anderen Ländern geschlossen, sie sind also nichts Besonderes. Dazu kommt noch, dass nichtstaatliche Gesetze für Marktwirtschaftler einen nicht geringen Charme haben. Sie sollten sich allerdings auf Fälle beschränken, bei denen sich Unternehmen vertraglich auf diese einigen. Das ist hier nicht der Fall.

Doch wichtiger ist die Frage: Sollen ausländische Unternehmen besser gestellt werden als einheimische, und warum? Sollen sie durch staatliche Verträge vor den Folgen staatlichen Handelns geschützt werden, wie es im ersten Argument gefordert wird? Staaten können sich von einem Teil der Kosten befreien, die ihre unvollkommenen Rechtssysteme der eigenen Wirtschaft auferlegen und ausländische Investoren bevorzugen. Das ist ungerecht und fördert weitere Ungerechtigkeit.

Beim vorgeblichen Kampf gegen die Diskriminierung von ausländischen Investoren handelt es sich (wenigstens auch) um eine Diskriminierung von inländischen Unternehmen, die nicht zu rechtfertigen ist. Zudem gehen so Anreize für institutionelle Reformen im jeweiligen Land verloren. Die Förderung von Investitionen im Ausland ist kein besonders freiheitliches Ziel. Solche Investitionen sollten ohne Einschränkungen von Seiten des Herkunftslandes möglich sein. Die Risiken in den Ländern, in denen sie investieren, sollten jedoch Unternehmen selber tragen und sich dagegen absichern. Wenn es denn ein Investitionsschutzabkommen gibt, und damit ist zu rechnen, sollten Anhänger der Marktwirtschaft deshalb auf zwei Punkte drängen: Die Regelungen sollten sich ausschließlich mit Diskriminierungen von Investoren beschäftigen, und sie sollten auch für die jeweiligen Inländer gelten.

Das zweite Argument hilft nur begrenzt weiter – es gibt viele Dinge, insbesondere viele Gesetze und Regelungen, die schon lange gelten und (angeblich) wenig Schaden anrichten. Eine Bewertung muss andere, unabhängige Kriterien heranziehen. Deshalb hilft auch die Feststellung wenig, dass sich europäische Unternehmen selbst oft an derartige Gerichte wenden, öfter als amerikanische, deren Klagewut ja als Schreckgespenst an die Wand gemalt wird.

Ausblick

Die beiden gerade diskutierten Punkte sind nur ein kleiner Teil der Problemfelder, auf denen Verteidiger der Marktwirtschaft TTIP etwas tun sollten. Eine andere notwendige Stoßrichtung ist etwa die Ausdehnung von TTIP auf möglichst viele Bereiche, die derzeit noch stark protektionistischen Zwängen unterliegen wie Luftfahrt, Finanzsektor etc.

Auch die Idee, dass TTIP ein Vorbild für die ganze Welt werden soll, die oft vorgebracht wird, ist wenigstens zweifelhaft. Viele sogenannte Sozialstandards beispielsweise sind ein Instrument des Protektionismus zugunsten der wohlhabenden Länder, Unternehmen und Menschen gegenüber denjenigen, die sich Wohlstand erst erarbeiten wollen.

TTIP ist aus meiner Sicht immer noch ein unterstützenswertes Projekt. Es wird mehr Möglichkeiten für freien Handel und damit freies Handeln schaffen. Die Alternativen der Gegner sind freiheitsfeindlich, etatistisch und protektionistisch. Doch sollte von denjenigen, denen die Freiheit wichtig ist, alles getan werden, damit TTIP so weit wie möglich zu einem freiheitlichen Projekt wird. Die Diskussion hat gerade erst begonnen.

Photo: Stewart Black from Flickr