Von Sascha Tamm, Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Kritische Anmerkungen aus einer freihändlerischen Perspektive

Die Verhandlungen zu TTIP werden in der Öffentlichkeit mit viel Kritik und Protesten begleitet. Vieles davon beruht auf nicht zu rechtfertigenden Ängsten und grundsätzlicher Skepsis gegen über wirtschaftlicher Freiheit im Allgemeinen und Freihandel im Speziellen. Die unsägliche Debatte über Chlorhühnchen ist nur ein Beispiel dafür. Protektionismus ist eine Idee, die Linke und Rechte zuverlässig vereinigt. Deshalb ist es richtig, immer wieder die grundsätzlichen Argumente für freien Handel in die öffentliche Debatte einzubringen und viele der Mythen der Freihandelsgegner zu entlarven. Das geschieht an vielen Stellen und soll hier nicht wiederholt werden. Zudem sollten sich die Befürworter von TTIP mit ihren Argumenten nicht auf das Niveau vieler Gegner herabbegeben. Sicher wird es neue Chancen für Unternehmen geben, und damit Wachstumsimpulse. Doch es wird auch Verlierer geben, Unternehmen, die im intensiveren Wettbewerb nicht bestehen. Das ist übrigens auch gut so.

Dass viele Gegner von TTIP prinzipielle Gegner des Freihandels sind und oft unsinnige Argumente vertreten, sollte jedoch nicht dazu führen, dass die Befürworter freien Handels, oder besser: der Freiheit zu handeln, die derzeit geplante Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union einfach kritiklos verteidigen und begleiten. Es gibt Punkte, die aus einer dezidiert pro-marktwirtschaftlichen Perspektive zu kritisieren sind. Bestimmte Weichenstellungen im geplanten Abkommen können zu mehr oder weniger wirtschaftlicher Freiheit führen – vor allem in langfristiger Perspektive. Das betrifft sowohl den handelspolitischen Teil als auch die Investitionspartnerschaft.

Hier sollen beispielhaft zwei Problemfelder kurz diskutiert werden: die Harmonisierung der Regulierungen und der Investitionsschutz durch nichtstaatliche Gerichte. Eine Bemerkung vorab: Natürlich wäre für viele Regulierungen auf beiden Seiten des Atlantik die gebotene Lösung die Abschaffung. Die folgenden Argumente sollen jedoch Denkanstöße geben, wie in der gegebenen Welt Fortschritte in Richtung von offeneren Märkten und damit mehr Freiheit erreicht werden können, wie also TTIP freiheitlicher gemacht werden kann.

Harmonisierung

Schaut man auf den gigantischen Umfang, den die Regulierung aller Bereiche der Wirtschaft heute angenommen hat, wird schnell klar: Ein „ideales“ Freihandelsabkommen, das vielleicht auf einer Seite Platz hätte und einfach allen Produkten und Dienstleistungen aus dem einen Land freien Zutritt zum Markt des anderen geben würde, ist heute kaum noch denkbar. Zu komplex und zu verschieden sind die Regulierungen, zu groß und wirkungsmächtig die organisierten Interessen, die von den jeweiligen Regulierungen profitieren. Gegenseitige Anerkennung wäre unter den gegebenen Umständen die aus freihändlerischer Sicht gebotene Lösung, eine Kennzeichnungspflicht als Ergänzung wäre weitgehend unproblematisch. Stattdessen zielt das geplante Abkommen in vielen Bereichen auf eine Harmonisierung – und diese ist gefährlich, gerade weil sie so gut klingt.

Das naive Argument, das vielen sofort einleuchtet und auch von vielen Vertretern der Wirtschaft pro Harmonisierung vorgebracht wird, geht ungefähr so: Wenn es nur noch eine einheitliche Regulierung für bestimmte Güter bzw. Gütergruppen gibt, sinkt der Verwaltungsaufwand der Unternehmen. Das spart Kosten. Das ist in kurzfristiger Perspektive vielleicht richtig, allerdings werden gern die Umstellungskosten auf neue Standards und Regeln ignoriert.

Langfristig sprechen zwei Gründe gegen Harmonierung vieler Regulierungen – die sich natürlich auch gegen viele Harmonisierungen in der EU vorbringen lassen. Erstens wird der Raum für institutionellen Wettbewerb eingeengt. Auf vielen Feldern ist es überhaupt nicht klar, welche Regulierung (wenn überhaupt eine) sinnvoll ist. Der einzige Weg, hier etwas zu lernen, ist das Ausprobieren, und damit der offene Wettbewerb der Regulierungen. Harmonisierung bedeutet Erstarrung und weniger Chancen für Deregulierung.

Das führt zum zweiten Punkt, der gegen Harmonisierung spricht. Er ist sozusagen politökonomisch: Lobbying und politischer Einflussnahme werden immer lohnender, je größer der regulierte Raum wird. Hier zeigt sich auch wieder einmal, dass Unternehmen und insbesondere ihre Verbände nicht die besten Verteidiger freier Märkte sind – sie sind viel eher bereit, Geld dafür auszugeben, dass Regeln günstig für die selbst und ungünstig für ihre Konkurrenten und insbesondere für potentielle neue Konkurrenten sind, als dafür, dass Regulierungen wegfallen.

Man kann sicher noch darüber diskutieren, in welchen Bereichen Regulierungen mehr oder weniger schädlich für die Offenheit von Märkten sind. Die Grundrichtung sollte für die Verteidiger einer freien Wirtschaft jedoch klar sein: Abschaffung von Regulierungen. Wenn das nicht durchsetzbar ist: gegenseitige Anerkennung von Regeln anstatt Harmonisierung.

Investitionsschutz

Die wesentliche Kritik am geplanten Investitionsschutzabkommen ist, dass hier zu wenig Demokratie und Transparenz herrschen würde. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn auch aus meiner Sicht nicht der wesentliche Punkt, an dem es anzusetzen gilt. Demokratie und Transparenz führen nicht automatisch zu mehr Marktwirtschaft, gerade wenn es um sehr detaillierte Regulierungen geht.

Die Verteidiger des Investitionsschutzes führen im Wesentlichen zwei Gründe an: Erstens sollen Unternehmen vor schlecht funktionierenden Rechtssystemen in einzelnen Ländern geschützt werden, zweitens gibt es ohnehin schon viele Investitionsschutzabkommen, die Deutschland mit anderen Ländern geschlossen, sie sind also nichts Besonderes. Dazu kommt noch, dass nichtstaatliche Gesetze für Marktwirtschaftler einen nicht geringen Charme haben. Sie sollten sich allerdings auf Fälle beschränken, bei denen sich Unternehmen vertraglich auf diese einigen. Das ist hier nicht der Fall.

Doch wichtiger ist die Frage: Sollen ausländische Unternehmen besser gestellt werden als einheimische, und warum? Sollen sie durch staatliche Verträge vor den Folgen staatlichen Handelns geschützt werden, wie es im ersten Argument gefordert wird? Staaten können sich von einem Teil der Kosten befreien, die ihre unvollkommenen Rechtssysteme der eigenen Wirtschaft auferlegen und ausländische Investoren bevorzugen. Das ist ungerecht und fördert weitere Ungerechtigkeit.

Beim vorgeblichen Kampf gegen die Diskriminierung von ausländischen Investoren handelt es sich (wenigstens auch) um eine Diskriminierung von inländischen Unternehmen, die nicht zu rechtfertigen ist. Zudem gehen so Anreize für institutionelle Reformen im jeweiligen Land verloren. Die Förderung von Investitionen im Ausland ist kein besonders freiheitliches Ziel. Solche Investitionen sollten ohne Einschränkungen von Seiten des Herkunftslandes möglich sein. Die Risiken in den Ländern, in denen sie investieren, sollten jedoch Unternehmen selber tragen und sich dagegen absichern. Wenn es denn ein Investitionsschutzabkommen gibt, und damit ist zu rechnen, sollten Anhänger der Marktwirtschaft deshalb auf zwei Punkte drängen: Die Regelungen sollten sich ausschließlich mit Diskriminierungen von Investoren beschäftigen, und sie sollten auch für die jeweiligen Inländer gelten.

Das zweite Argument hilft nur begrenzt weiter – es gibt viele Dinge, insbesondere viele Gesetze und Regelungen, die schon lange gelten und (angeblich) wenig Schaden anrichten. Eine Bewertung muss andere, unabhängige Kriterien heranziehen. Deshalb hilft auch die Feststellung wenig, dass sich europäische Unternehmen selbst oft an derartige Gerichte wenden, öfter als amerikanische, deren Klagewut ja als Schreckgespenst an die Wand gemalt wird.

Ausblick

Die beiden gerade diskutierten Punkte sind nur ein kleiner Teil der Problemfelder, auf denen Verteidiger der Marktwirtschaft TTIP etwas tun sollten. Eine andere notwendige Stoßrichtung ist etwa die Ausdehnung von TTIP auf möglichst viele Bereiche, die derzeit noch stark protektionistischen Zwängen unterliegen wie Luftfahrt, Finanzsektor etc.

Auch die Idee, dass TTIP ein Vorbild für die ganze Welt werden soll, die oft vorgebracht wird, ist wenigstens zweifelhaft. Viele sogenannte Sozialstandards beispielsweise sind ein Instrument des Protektionismus zugunsten der wohlhabenden Länder, Unternehmen und Menschen gegenüber denjenigen, die sich Wohlstand erst erarbeiten wollen.

TTIP ist aus meiner Sicht immer noch ein unterstützenswertes Projekt. Es wird mehr Möglichkeiten für freien Handel und damit freies Handeln schaffen. Die Alternativen der Gegner sind freiheitsfeindlich, etatistisch und protektionistisch. Doch sollte von denjenigen, denen die Freiheit wichtig ist, alles getan werden, damit TTIP so weit wie möglich zu einem freiheitlichen Projekt wird. Die Diskussion hat gerade erst begonnen.

Photo: Stewart Black from Flickr

4 Kommentare
  1. Christoph Sprich
    Christoph Sprich sagte:

    Lieber Sascha, interessanter Artikel. Die Diskriminierung inländischer Unternehmen ist zumindest insofern zu relativieren, als dass die Verträge ja auf beiden Seiten des gelten, also inländische Unternehmen die gleichen Rechte im Partnerland haben. Natürlich, im konkreten Einzelfall hilft das dem betroffenen inländischen Unternehmen wenig. Unternehmen sollen für die von Ihnen eingegangenen Risiken haften, das ist klar. Aber marktwirtschaftliche Prinzipien machen ja nur innerhalb eines Ordnungsrahmens Sinn, the rule of law muss ja gelten. Hier geht es ausdrücklich nur um den Schutz vor politischen Risiken, wirtschaftliche Risiken werden durch Investitionsschutzabkommen nicht abgesichert. Den Vorschlag, dass die Schutzrechte auch für inländische Unternehmen gelten sollen, finde ich übrigens persönlich sehr bestechend – dürfte sich aber politisch nicht durchsetzen lassen. Anbei schicke ich Dir einen Link zu unserem aktuellen Papier, in dem wir die Hauptkritikpunkte der Diskussion des letzten Jahres behandeln: http://www.bdi.eu/Direktinvestitionen-Lissabon_20253.htm. Liebe Grüße, Christoph

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  2. Axel
    Axel sagte:

    Ein interessanter aber polemischer Artikel. Die Abschaffung von Regulierung zu fordern ignoriert z.B., dass Regulierungen sehr wohl gesamtwirtschaftlich wohlfahrtserhöhend sind, indem externe Effekt internalisiert werden. Sozialstandards sind kein Protektionismus, sondern von Gewerkschaften und Sozialen Bewegungen erkämpft. Sie sollten in allen Ländern gelten und alle Menschen sollten davon profitieren. Beim Thema Investitionsschutz wundert mich immer wieder das Argument „Hat es schon immer gegeben und keinen gestört.“ Das stimmt erstens nicht (Südafrika will z.B. diese Regeln abschaffen) und ist zweitens kein vernünftiges Argument. Das ist genauso merkwürdig wie: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Schließlich sollte TTIP nicht Vorbild für die ganze Welt werden, sondern man sollte die vorhandenen Institutionen nutzen, um möglichst viele Ländern vom Freihandel profitieren zu lassen. Nämlich im Rahmen der WTO.

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  3. Gunter Grigo
    Gunter Grigo sagte:

    Keine Regulatorien, aber eine regulatorische Kooperation einsetzen wollen, die im Vorfeld Gesetzesvorhaben (auch Änderungen) auf Handelshemnisse prüfen soll/darf. Das ist eine Unterminierung der Demokratie in nie gekannter Dreistigkeit. Damit können sich die Unternehmen nicht nur Investitionen, sondern auch ihre (im Ernstfall fiktiven entgangenen) Gewinne sichern – wie es leider bereits praktiziert wird. Unternehmerische Risiken werden zunehmend nach unten (auf die Mitarbeiter) und nach oben (auf die Staaten) übertragen. Freies Handeln – in einer grundegoistisch gewordenen Gesellschaft – nein Danke. Ich bin weder freiheitsfeindlich noch etatistisch, aber dem Diktat der „freien“ Märkte möchte ich mich keinesfalls unterwerfen.

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  4. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Keynes warnt für Zeiten einer Finanzkrise vor internationalen Verpflechtungen. Unsere Regierung scheint jedenfalls zu den wirklich notwendigen Reformen nicht bereit zu sein und setzt stattdessen ihre etwas schlecht durchdachten internationalen Visionen fort. Es gäbe vermutlich keine einheitliche Geldmengensteuerung. In den USA wird die Geldmenge zudem fast schon willkürlich von der FED gesteuert. Und in Zeiten einer derartigen Finanzkrise auch noch einen Freihandel einrichten, den die Politik dann kaum noch korrigieren kann? Der Freihandel würde jedenfalls nichts daran ändern, dass das Vermögen u.a. infolge von Politikfehlern ungleich verteilt ist. Er würde sogar zu einer weiteren Zunahme der Ungleichverteilung führen. Insgesamt kommt es mir so vor, als ginge es der GroKo nur darum, der Parteiklientele Wirtschaft ein Wählergeschenk zu machen. Der Freihandel birgt zudem das Risiko, dass es ähnlich wie beim Euro zu einer Schieflage kommen könnte. Jetzt bei der Euro-Krise sieht man es eklatant, wie sehr die GroKo sich inhaltlich auf irgendwelchen Holzwegen befinden kann. Der gesamte Politikstil von Vizekanzler Gabriel lässt es wenig erhoffen, dass da auch mal eine korrekte politische Entscheidung dabei sein könnte.Um die Wirkungsweise des Freihandels zu verstehen, empfehle ich, sich mit dem Begriff der Kaufkraftparitäten gedanklich auseinanderzusetzen. https://de.wikipedia.org/wiki/Kaufkraftparit%C3%A4t Es ist jedenfalls auffällig, dass der Freihandel der Parteiklientele zwar nützt, aber dem Normalbürger umso mehr schaden wird. Insofern empfehle ich, dass unsere Parteien weniger von der Wirtschaft abhängig sein sollten. Dann würde man vermutlich auch nicht auf solche abwegigen Ideen wie auf Freihandel bzw. auf Gemeinschaftswährungen kommen. Im Zusammenhang mit dem Euro ging es jetzt auch wieder durch die Sozialen Netzwerke, dass Gregor Gysi in sehr zutreffender Weise vor dem Euro gewarnt hatte. Insofern habe ich doch schon ein wenig den Eindruck, dass A. Merkel mit ruinöser Wirtschaftspolitik vorsätzlich etwas zu erreichen versucht, was A. Hitler seinerzeit mit dem Schwert noch nicht ganz hingekriegt hatte. Besonders großes Vertrauen hätte ich da nicht.

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