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Photo: Bankenverband from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Zahlen können schon auf den ersten Blick falsch und unrealistisch sein. Auch wenn sie alle paar Jahre wiederholt werden, gewinnen sie nicht an Glaubwürdigkeit. Bei den jetzt wieder ins Auge gefassten Privatisierungserlösen in Griechenland ist es so.

Bereits im Frühjahr 2010, als Hellas unter die „helfende Hand“ der Troika kam, hieß es schon, sie müssten ihre Staatsunternehmen privatisieren. Als Ziel wurden damals schon 50 Milliarden Euro genannt. In der Anhörung zum 1. Griechenland-Paket im Deutschen Bundestag widersprach Hans-Werner Sinn bereits dieser Zahl. Die griechischen Staatsunternehmen seien viel zu marode, als dass dies nur annähernd realistisch sei. Der Kölner Vermögensverwalter Flossbach von Storch nannte damals eine Zahl von 5 Milliarden schon als ambitioniert. Nach fünf Jahren „Rettungswahnsinn“ war selbst diese Prognose übertrieben. Lediglich zwischen 2 bis 3 Milliarden wurden bis heute realisiert.

Jetzt taucht diese irre Zahl erneut bei den Verhandlungen um ein 3. Hilfspaket auf. Völlig absurd. Um die Zahl von 50 Milliarden Euro ins rechte Licht zu rücken, ist ein Vergleich mit Deutschland hilfreich: Die griechische Wirtschaftsleistung (BIP 2014) beträgt rund 6,5 Prozent zu unserer Wirtschaftsleistung in Deutschland. 50 Milliarden Euro Privatisierungspotential in Griechenland würden auf Deutschland übertragen daher 773 Milliarden Euro bedeuten. Diese unglaubliche Zahl wird umso unrealistischer, wenn man bedenkt, dass die Kapitalisierung des Deutschen Aktienindex DAX gerade einmal 1.230 Milliarden beträgt. Um auf das Volumen der griechischen Privatisierungspläne zu kommen, wäre ein Volumen notwendig, das über 60 Prozent (!) der größten 30 börsennotierten Unternehmen in Deutschland umfasst. Darunter sind Unternehmen wie Bayer mit einer Börsenkapitalisierung von 111 Mrd. Euro, VW mit 94 Milliarden, Daimler mit 91 Milliarden und Siemens mit 84 Milliarden Euro. Inzwischen sollten die „Retter“ eigentlich erkannt haben, dass selbst die Übertragung in eine Treuhandanstalt nach deutschem Vorbild keine nennenswerten Einnahmen für den griechischen Staat generieren wird.

Die Privatisierungen sind nicht aus fiskalischen Gründen notwendig, sondern vielmehr aus marktwirtschaftlichen. Der Staat geht mit Eigentum anders um als Private. Er hegt und pflegt es nicht, sondern verschwendet es. Wenn in Griechenland annähernd die Hälfte aller Beschäftigten direkt oder mittelbar beim Staat oder seinen Unternehmen arbeitet, dann kann das Land nicht nach oben kommen. In einer solchen Situation ist die Privatisierung per se gut. Es wäre wahrscheinlich besser, der Staat würde die Unternehmen verschenken, anstatt sie weiter in seiner Obhut zu behalten. Letzteres würde weiterhin die Korruption, die Gewerkschaftsmacht und die Unwirtschaftlichkeit fördern.

Stattdessen argumentiert die sozialistische Regierung in Griechenland, dass das Tafelsilber nicht verkauft werden dürfe oder es aufgrund der vermeintlich ungünstigen Marktsituation der falsche Zeitpunkt sei. So haben auch in Deutschland die Gewerkschaften und die Linken lange Zeit argumentiert. Anschließend sind Milliardengräber wie die Deutsche Post, die Deutsche Bahn und die Deutsche Telekom für den Steuerzahler entstanden, die nur deshalb heute Gewinne erwirtschaften, weil der Staat Pensionslasten oder Investitionen in Milliardenhöhe übernommen hat und nach wie vor laufend übernimmt. Wir sind halt auch ein bisschen Griechenland!

Photo: Wikimedia Commons

Der Bundestag hat der Regierung das Verhandlungsmandat für ein drittes Griechenland-Hilfspaket erteilt. Mit 73 Prozent stimmte die große Mehrheit des Parlaments zu. Die Öffentlich-Rechtlichen übertrugen live. Die Übertragung von Bundestagsdebatten ist in Deutschland nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist, wenn Parlamentsdebatten aus Athen live im deutschen Fernsehen übertragen werden. Jeden Tag lesen, hören und sehen wir das Neueste über Hellas. Nicht mehr die Meldungen aus Bremen, Hamburg oder Dresden sind von Bedeutung, sondern ob irgendein Mitglied im Zentralkomitee (so heißt das wirklich!) der Regierungspartei Syriza etwas von sich gegeben hat. Früher wurde einmal im Jahr im Auslandsjournal eine zehnminütige Reportage über Griechenland gezeigt. Heute ist Griechenland die erste Meldung in jeder Nachrichtensendung – und das seit Monaten. Schuld daran ist letztlich der Euro. Schiede Hellas aus, dann hätte dies unweigerlich Auswirkungen nicht nur auf die Bevölkerung in Griechenland, sondern auch auf die Aktienmärkte, die Banken und die Wirtschaft in ganz Europa, vielleicht sogar weltweit. Der Streit unter Experten dreht sich lediglich um die Frage, wie stark diese Verwerfungen sind.

Die Befürworter weiterer Rettungspakete sagen, es sei erst das Verhandlungsmandat, über das Ergebnis der Verhandlungen werde dann nochmals abgestimmt. Doch hier darf man sich nichts vormachen, ein Zurück ist jetzt nur noch schwer möglich. Dabei ist die Situation paradox. Beide Seiten glauben nicht an die Umsetzung. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hält die Maßnahmen für falsch und glaubt nicht, dass sie umgesetzt werden. Und sein Gegenpart Wolfgang Schäuble äußert in jedem Interview seinen Zweifel an der Seriosität der Regierung Tsipras. Doch welche Konsequenz hat das gegenseitige Täuschen?

Erstens: Griechenland verliert immer mehr die eigene Souveränität. EU, IWF und EZB übernehmen das Zepter von Brüssel, New York und Frankfurt aus. Das wird auf Dauer nicht gutgehen, sondern die Extreme von links und rechts in Griechenland und wohl auch im Rest Europas stärken.

Zweitens: Deutschland wird zunehmend zum Buhmann in Europa. Die Maßnahmen, die die griechische Regierung und die Bevölkerung nicht durchsetzen wollen, werden Schäuble und Merkel angelastet. Der Druck, die Maßnahmen zu lockern, wird immer größer.

Drittens: Ebenso wie Tsipras’ Widerstand ihm im Inland hilft, so hilft Schäubles Widerstand ihm und seiner CDU im Inland. Schäuble hat seine Position inzwischen um 180 Grad gedreht. Noch im Frühjahr 2010 hat er einen Europäischen Währungsfonds vorgeschlagen, um den IWF außen vor zu halten. Jetzt war die weitere Beteiligung des IWF eine zwingende Voraussetzung für ein neues Abkommen. Auch ein Ausscheiden aus dem Währungsclub war damals undenkbar. Doch jetzt schlägt Schäuble einen Grexit auf Zeit vor und sogar Änderungen in den europäischen Verträgen, die einen Ausschluss von Mitgliedern ermöglichen. Was für eine Wendung!

Viertens: Die EZB wird weiter Geld drucken und die Zinsen auf einem historischen Tief einfrieren. Schon vorgestern erhöhte die EZB die Ela-Kredite, die den griechischen Banken zur Verfügung gestellt werden, erneut um 900 Millionen Euro. Letztlich wird dieses Geld aus dem Nichts gedruckt, dahinter steckt keinerlei Substanz. Es wird eine Langfristwirkung entfaltet. Immer dann, wenn es künftig unüberwindbare Finanzierungsprobleme von Staaten im Euroraum gibt, wird die Gewährung von Ela-Krediten an die nationalen Banken als Allheilmittel eingesetzt. Zur Staatsfinanzierung durch die Notenpresse ist es nicht mehr weit.

Fünftens: Der Preis dafür wird die Vernichtung von Sparguthaben in Deutschland und Europa sein. Lebensversicherungen und Bausparkassen müssen sich auf schwere, auf ganz schwere Zeiten einstellen. Ihr Geschäftsmodell wird von Mario Draghi zerstört. Aber auch Volksbanken und Sparkassen, die vom Zinsüberschuss leben, wird zunehmend ihre Ertragskraft genommen. Sie werden Kosten reduzieren müssen, die im besten Fall in der Fläche zur Schließung von Filialen und zur Fusion der Institute führen werden.

Schlussfolgerung: Wir befinden uns nicht am Ende der Überschuldungskrise von Staaten und Banken, sondern an deren Anfang. Das Hinausschieben von Problemen löst die Krise nicht, sondern wird sie verschärfen. Daher gilt: Verlassen Sie sich nicht auf die Politik, sonst werden Sie bitter enttäuscht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung.

Photo: Fabian from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Nacht der langen Messer war für Alexis Tsipras eine Demütigung. Die Belastung sah man ihm bereits am Abend an. Auf seiner Seite kann er verbuchen, dass der Euro-Club ihm weitere Milliarden in Aussicht stellt. Doch das war es dann auch schon. Als zurück nach Athen flog, kam er als begossener Pudel an. Schon am frühen Morgen haben die Nachrichtensendungen vom großen Durchbruch berichtet. Allgemeine Erleichterung war in den Meldungen zu spüren. Doch eines ist klar: Es war ein Pyrrhussieg der Staats- und Regierungschefs. Wer glaubt, dass damit das Schlimmste überstanden sei, der glaubt auch an die Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Beides trifft nicht zu. Die Eurokrise wird durch den gestrigen Abend neue Dynamik erhalten. Das Weiterwursteln setzt sich unvermindert fort.

Noch kennt man nicht die genaue Vereinbarung und das Kleingedruckte, aber so viel kann man schon jetzt sagen: all das, wofür Syriza im Januar gewählt wurde und jetzt beim Referendum mit großer Mehrheit bestätigt wurde, soll nun über Bord geworfen werden. So lächerlich unrealistisch die angepeilten Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro auch sein mögen, sie sind ein Schlag ins Gesicht der Sozialisten in Griechenland. Die Rückkehr der Troika nach Athen und die Verpflichtung zur Rücknahme der bisher beschlossenen Ausgabeprogramme durch das griechische Parlament ist ebenfalls eine bewusste Provokation gegenüber der linken Regierung in Griechenland. Und eine Umschuldung der griechischen Schulden wird erst im zweiten Schritt in Aussicht gestellt. Auch hier wurde die Kernforderung von Tsipras nicht erfüllt. Es ist ein vollkommenes Desaster für die Sozialisten in Griechenland.

Es ist daher völlig unrealistisch, dass dies vom griechischen Parlament beschlossen und anschließend umgesetzt wird. Das Ziel, ein EU-Protektorat in Südosteuropa zu installieren, wird nicht funktionieren.

Entweder Tsipras wird in Griechenland in die Wüste geschickt oder er fängt schon heute an und relativiert die Beschlüsse. So hat er es auch in den vergangenen sechs Monaten gemacht. Zusagen wurden in Brüssel gemacht, die dann in Athen relativiert wurden. Schon in den frühen Morgenstunden hieß es aus Athen, es müsse Neuwahlen geben. Das ist wohl auch das wahrscheinlichste Szenario. Denn Tsipras kann nur dann politisch überleben, wenn er Neuwahlen zu einem erneuten Referendum über seine Politik macht. Das lässt ihn Zeit gewinnen und die Gläubiger weiter zappeln. Nur wenn er weiter als David spielt, der gegen die Goliaths in Brüssel und Berlin unerschrocken kämpft, kann er zur neuen Identifikationsfigur der Linken werden. Sollen sie ihn doch aus dem Euro schmeißen. Jedoch darf nicht er den Bettel hinwerfen, sondern der Schwarze Peter muss bei Merkel und Schäuble liegen. Daran arbeitet er seit geraumer Zeit mit wachsendem Erfolg. Wenn Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi Wolfgang Schäuble öffentlich abwatscht, dann sagt das sehr viel über die aktuellen Befindlichkeiten aus. Das weiß auch Angela Merkel.

Daher ist ihr Ziel, die Regierung Tsipras durch eine Technokratenregierung zu ersetzen. Doch wie heißt es so schön: hinten sind die Enten fett – das weiß auch Alexis Tsipras. Wer das Chicken Game gewinnt, wird sich erst noch zeigen.

Photo: Rae Allen from Flickr (CC BY 2.0)

Schiedsgerichte wären eine spannende und innovative Möglichkeit, eine größere Vielfalt und mehr Auswahlmöglichkeiten in unserem Rechtssystem zur Verfügung zu stellen. Dass das Europäische Parlament sie ablehnt, ist ein Fehler.

Keine Herrschaft der Hinterzimmer

Die Entscheidung der Europaparlamentarier, der Kommission das Mandat für die TTIP-Verhandlungen mit den USA zu geben, ist in dem ganzen Wirbel um Griechenland ein wenig untergegangen. Die üblichen Bedenkenträger waren so sehr mit der Causa Grexit beschäftigt, dass der große Aufschrei ausblieb. Sie hatten sich aber auch in einem nicht unwichtigen Punkt durchgesetzt: Das Investitionsschiedsabkommen ISDS soll aus den Verhandlungen ausgeschlossen werden. Dieses Abkommen sollte Investoren dies- und jenseits des Atlantiks die Möglichkeit geben, Streitfälle mit staatlichen Stellen zu lösen.

Diese Art der Problemlösung ist mitnichten neu. Wie die Befürworter des Abkommens in den letzten Monaten nicht müde wurden, herauszustellen, haben europäische Staaten in den letzten 60 Jahren über 1400 solcher Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Weltweit gibt es über 2000 von ihnen. Die meisten Schiedsverfahren werden von der Weltbank durchgeführt, also nicht in irgendwelchen Hinterzimmern von Großkonzernen. Überhaupt Großkonzerne: Die Kritik am ISDS bezieht sich gebetsmühlenartig auf die Klage von Vattenfall gegen Deutschland im Zusammenhang mit dem Atomausstieg. Unabhängig davon, wie man zu diesem konkreten Fall steht, muss man anerkennen: er ist nicht repräsentativ.

Schiedsgerichte schaffen in den meisten Fällen Rechtssicherheit

Wirft man einen Blick in die Berichte des „Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ der Weltbank (ICSID), das einen großen Teil der Streitfälle verhandelt, kann man Einblicke gewinnen, die in deutlichem Gegensatz stehen zu dem Standard-Bild, das hierzulande in der Öffentlichkeit gezeichnet wird. 150 Länder sind Mitglieder des Abkommens, darunter fast alle EU-Staaten, die USA, China und Japan. Von allen Fällen, die je dort verhandelt wurden, sind nur 4 % der Fälle gegen Staaten Westeuropas und weitere 4 % der Fälle gegen Staaten Nordamerikas verhandelt worden. Ein großer Teil der angeklagten Staaten liegt in Regionen, in denen das staatliche Rechtssystem zumindest instabil ist: 26 % in Südamerika, 26 % in Afrika und dem Mittleren Osten, 25 % in Osteuropa und Zentralasien.

Offensichtlich ist das Instrument internationaler Schiedsgerichte also eine Möglichkeit, zusätzliche Rechtssicherheit für Investoren herzustellen. Davon sind übrigens auch sehr viele Mittelständler betroffen, die in Gegenden mit ungenügendem Rechtsschutz operieren. Von Vorteil sind diese Optionen zusätzlicher Rechtssicherheit zudem nicht nur für die Investoren, sondern auch für deren Partner vor Ort, für deren Angestellten und Kunden. Wenn es gelingt, die Produktionsstätte eines deutschen Unternehmers etwa in Kenia, Uruguay oder Pakistan vor der Willkür von Politik und Bürokratie zu schützen, ist das ja auch für diejenigen von Vorteil, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen oder als Händler, Transporteure und Konsumenten von den Produkten profitieren.

Die Illusion der Unabhängigkeit

Nun ist der Einwand nicht ganz unberechtigt, dass die EU und die USA ja doch weitgehend funktionsfähige Rechtssysteme haben. (Wobei gerade die scharfen TTIP-Kritiker das im Blick auf die USA wahrscheinlich verneinen würden, weshalb sie durchaus für das ISDS sein könnten …) Ob freilich die nun gefundene Regelung, staatlich benannte Richter für solche Streitfälle einzusetzen, die bessere Lösung ist, kann mit Fug und Recht angezweifelt werden. „Aus Schiedsstellen, die zum Missbrauch einladen, haben wir unabhängige Gerichte gemacht“, jubelte der Europaabgeordnete Bernhard Lange nach der Entscheidung. Diese Sicht der Dinge geht von einer Illusion aus: Nämlich von der Illusion, dass ein Richter, sobald er nicht durch eine Institution des Staates ernannt wurde, zum Rechtsmissbrauch neige, während umgekehrt staatlich eingesetzte Richter automatisch unabhängig seien.

Richter sind Menschen, unabhängig davon, ob sie eine staatliche Robe tragen oder nicht. Richter machen Fehler und können korrupt sein. Korruption ist dabei definitiv nicht nur mithilfe von Geld durchführbar. Auch die Aussicht auf Ämter oder Beförderungen kann Menschen, und eben auch Richter, dazu bringen, Recht, Gesetz und Gerechtigkeit zu ignorieren. Dennoch sind Richter, ob staatlich legitimiert oder nicht, wohl tendenziell eher immun gegen Korruption. Das liegt an ihrem Berufsethos. Das liegt aber auch daran, dass natürlich alle Parteien, die für die Einsetzung eines Richters zuständig sind, ein Interesse an dessen Integrität haben. Würden sich etwa die Richter des ICSID durch besondere Nähe zu Staat oder Unternehmen auszeichnen, wäre es wohl bald vorbei mit dessen gutem Ruf.

Was wollen die Gegner der Schiedsgerichte eigentlich wirklich?

Private Schiedsgerichte laden weder signifikant mehr noch weniger als staatliche Einrichtungen zum Missbrauch oder auch nur zum Irrtum ein. Sie können aber ein wichtiges Korrektiv und eine wichtige Ergänzung zu bereits bestehenden staatlichen Gerichten sein. Nicht nur auf dem Gütermarkt ist Wettbewerb ein Instrument, um bessere Lösungen zu finden. Wenn man nicht davon ausgeht, dass es Menschen gibt, die, weil gütiger, weiser und integrer als andere, bestimmt sind, als Philosophenkönige zu herrschen, dann kann auch für staatliche Institutionen und Organisationen der Wettbewerb ein guter Weg sein, um innovativ zu sein und sich zu disziplinieren.

Man könnte ins Grübeln kommen angesichts von Bernhard Langes Freude darüber, dass sich Investoren aus den USA und der EU fortan nur noch an staatlich ernannte Richter sollen wenden können. Speist sich sein Wohlgefallen gar daraus, dass die Politik auch in Zukunft nicht darauf wird verzichten müssen, die Rechtsprechung zu kontrollieren? Wird hier gar unter dem Vorwand, dem Missbrauch der Justiz durch zahlungskräftige Unternehmen vorbeugen zu wollen, der Boden bereitet für den Missbrauch der Justiz durch die Politik? Wenn man die Stimmungsmache im Europäischen Parlament gegen große Konzerne wie Google beobachtet, könnte man fast zu diesem Schluss kommen. Es bleibt abzuwarten, ob die Ablehnung privater Schiedsgerichte wirklich der Herrschaft des Rechts dienen wird.

Photo: blu-news.org from flickr (CC BY-SA 2.0)

Eigentlich gibt es nur noch zwei Wege aus dem Dilemma Griechenlands. Entweder die EZB springt kurzfristig ein, erhöht die Ela-Kredite entsprechend und verschafft der griechischen Regierung indirekt wieder Liquidität oder es kommt zum Graccident, also der mehr oder weniger ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Club. Ein Kredit des ESM, wie ihn Tsipras jetzt formal beantragt hat, geht sehr wahrscheinlich schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr. Die Ausweitung der Ela-Kredite ist jedoch durchaus möglich. Immerhin betrugen sie 2012 auch schon einmal 120 Milliarden Euro. Derzeit liegen sie bei „nur“ 90 Milliarden Euro. Hier wäre unter Beugung des Rechts ohne weiteres mehr möglich. Damit käme man vielleicht sogar über den August und hätte Zeit, die Verhandlungen fortzusetzen.

Es ist aber das unwahrscheinlichere Szenario von beiden. Wahrscheinlicher erscheint nun doch ein Graccident. Gar nicht so sehr, weil die restlichen Euro-Club-Mitglieder vom hin und her der griechischen Regierung langsam aber sicher buchstäblich die Schnauze voll haben. Hier ist die Leidensfähigkeit noch nicht endgültig ausgereizt. Eigentlich würden Merkel, Schäuble, Juncker und Draghi alles dafür tun, den Euro-Raum als Ganzes zu erhalten. Zu sehr fürchten sie das Signal des Scheiterns ihres Krönungsprojektes der europäischen Einigung und den Ausfall der Griechenland-Kredite.

Nein, das Graccident wird letztlich von der griechischen Regierung durch deren Verweigerung eingeleitet. Seit deren Regierungsübernahme bluffen Tsipras und sein ehemaliger Finanzminister Varoufakis. Sie kündigten an, relativierten, widersprachen und verhandelten neu. So ging es nunmehr schon fast ein halbes Jahr. In der Zwischenzeit haben sie weder die Reichen besteuert, noch den Militäretat reduziert, geschweige denn die Günstlingswirtschaft beendet. Warum soll man Einschnitte vornehmen, wenn die Schuldenlast immer weiter steigt.

Aus Sicht des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ergibt dieses Vorgehen Sinn. Die griechische Regierung unter Tsipras kann nicht aktiv aus dem Euro ausscheiden, dazu ist die Gemeinschaftswährung in Griechenland selbst zu beliebt. Das zeigen alle Umfragen. Einem 3. Hilfspaket kann Tsipras ebenfalls nicht zustimmen, denn das würde ihn die Akzeptanz in seiner eigenen Partei, in der Bevölkerung und bei den Linken rund um den Globus kosten.

Bei Letzteren sind wir bei des Pudels Kern: Alexis Tsipras will der neue Che Guevara der Linken auf dieser Welt werden. Dazu sind die Voraussetzungen gut. Nach dem Tod von Hugo Chávez in Venezuela und dem krankheitsbedingten Abgang von Fidel Castro in Kuba fehlt es der internationalen Linken an einer Identifikationsfigur. Wenn selbst Kuba wieder diplomatische Beziehungen zu den USA aufbaut, Vietnam in China die größere Bedrohung sieht und den alten Klassenfeind Amerika um Hilfe bittet, und wenn China weite Teile der Welt kapitalistisch überholt, dann braucht es ein Momentum, um die linke Jugend überall auf der Welt wieder zu elektrisieren. Dieses Momentum wäre das Graccident. Der ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Raum wäre in den Augen der Linken weltweit das Produkt des Kapitalismus und dessen Schuldknechtschaft. Dafür steht buchstäblich der IWF als Teil der Troika und besondere Reizfigur der Linken.

Diese Agenda passt zu Tsipras wie die Faust aufs Auge. Tsipras wurde schon als Schüler in der Kommunistischen Jugend Griechenlands und später in der Kommunistischen Partei politisch sozialisiert. In den 1980er und 1990er Jahren waren es Fidel Castro und Che Guevara, die die Linke weltweit fasziniert haben. Das wird wohl auch bei Tsipras so gewesen sein. Es war der Kampf gegen den „amerikanischen Imperialismus“, der sich in der Politik des IWF und der Weltbank ausdrückte. Tsipras ist ein brillanter Redner, ist charismatisch und jung – so wie einst sein Vorbild Che Guevara. Es wird Tsipras daher besonders gefreut haben, dass Che Guevaras Mitkämpfer Fidel Castro ihm vom Krankenbett aus die herzlichsten Glückwünsche zum gewonnenen Referendum geschickt hat.

Wir werden in Südosteuropa daher in den nächsten Monaten und Jahren ein neues sozialistisches Experiment erleben. Griechenland wird unter Tsipras aus dem Euro-Club gedrängt, wird parallel eine eigene Währung einführen, die die linke Regierung dann selbst inflationieren kann. So wie Che Guevara das auch gemacht hat. Er war in seiner kubanischen Zeit sogar Chef der dortigen Zentralbank und hinterließ der Nachwelt den Satz: „Unsere Freiheit und unser tägliches Brot tragen die Farben des Blutes und stecken voller Opfer.“ Alles für ein höheres Ziel – eine sozialistische Welt von morgen.