Photo: blu-news.org from flickr (CC BY-SA 2.0)

Eigentlich gibt es nur noch zwei Wege aus dem Dilemma Griechenlands. Entweder die EZB springt kurzfristig ein, erhöht die Ela-Kredite entsprechend und verschafft der griechischen Regierung indirekt wieder Liquidität oder es kommt zum Graccident, also der mehr oder weniger ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Club. Ein Kredit des ESM, wie ihn Tsipras jetzt formal beantragt hat, geht sehr wahrscheinlich schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr. Die Ausweitung der Ela-Kredite ist jedoch durchaus möglich. Immerhin betrugen sie 2012 auch schon einmal 120 Milliarden Euro. Derzeit liegen sie bei „nur“ 90 Milliarden Euro. Hier wäre unter Beugung des Rechts ohne weiteres mehr möglich. Damit käme man vielleicht sogar über den August und hätte Zeit, die Verhandlungen fortzusetzen.

Es ist aber das unwahrscheinlichere Szenario von beiden. Wahrscheinlicher erscheint nun doch ein Graccident. Gar nicht so sehr, weil die restlichen Euro-Club-Mitglieder vom hin und her der griechischen Regierung langsam aber sicher buchstäblich die Schnauze voll haben. Hier ist die Leidensfähigkeit noch nicht endgültig ausgereizt. Eigentlich würden Merkel, Schäuble, Juncker und Draghi alles dafür tun, den Euro-Raum als Ganzes zu erhalten. Zu sehr fürchten sie das Signal des Scheiterns ihres Krönungsprojektes der europäischen Einigung und den Ausfall der Griechenland-Kredite.

Nein, das Graccident wird letztlich von der griechischen Regierung durch deren Verweigerung eingeleitet. Seit deren Regierungsübernahme bluffen Tsipras und sein ehemaliger Finanzminister Varoufakis. Sie kündigten an, relativierten, widersprachen und verhandelten neu. So ging es nunmehr schon fast ein halbes Jahr. In der Zwischenzeit haben sie weder die Reichen besteuert, noch den Militäretat reduziert, geschweige denn die Günstlingswirtschaft beendet. Warum soll man Einschnitte vornehmen, wenn die Schuldenlast immer weiter steigt.

Aus Sicht des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ergibt dieses Vorgehen Sinn. Die griechische Regierung unter Tsipras kann nicht aktiv aus dem Euro ausscheiden, dazu ist die Gemeinschaftswährung in Griechenland selbst zu beliebt. Das zeigen alle Umfragen. Einem 3. Hilfspaket kann Tsipras ebenfalls nicht zustimmen, denn das würde ihn die Akzeptanz in seiner eigenen Partei, in der Bevölkerung und bei den Linken rund um den Globus kosten.

Bei Letzteren sind wir bei des Pudels Kern: Alexis Tsipras will der neue Che Guevara der Linken auf dieser Welt werden. Dazu sind die Voraussetzungen gut. Nach dem Tod von Hugo Chávez in Venezuela und dem krankheitsbedingten Abgang von Fidel Castro in Kuba fehlt es der internationalen Linken an einer Identifikationsfigur. Wenn selbst Kuba wieder diplomatische Beziehungen zu den USA aufbaut, Vietnam in China die größere Bedrohung sieht und den alten Klassenfeind Amerika um Hilfe bittet, und wenn China weite Teile der Welt kapitalistisch überholt, dann braucht es ein Momentum, um die linke Jugend überall auf der Welt wieder zu elektrisieren. Dieses Momentum wäre das Graccident. Der ungeplante Austritt Griechenlands aus dem Euro-Raum wäre in den Augen der Linken weltweit das Produkt des Kapitalismus und dessen Schuldknechtschaft. Dafür steht buchstäblich der IWF als Teil der Troika und besondere Reizfigur der Linken.

Diese Agenda passt zu Tsipras wie die Faust aufs Auge. Tsipras wurde schon als Schüler in der Kommunistischen Jugend Griechenlands und später in der Kommunistischen Partei politisch sozialisiert. In den 1980er und 1990er Jahren waren es Fidel Castro und Che Guevara, die die Linke weltweit fasziniert haben. Das wird wohl auch bei Tsipras so gewesen sein. Es war der Kampf gegen den „amerikanischen Imperialismus“, der sich in der Politik des IWF und der Weltbank ausdrückte. Tsipras ist ein brillanter Redner, ist charismatisch und jung – so wie einst sein Vorbild Che Guevara. Es wird Tsipras daher besonders gefreut haben, dass Che Guevaras Mitkämpfer Fidel Castro ihm vom Krankenbett aus die herzlichsten Glückwünsche zum gewonnenen Referendum geschickt hat.

Wir werden in Südosteuropa daher in den nächsten Monaten und Jahren ein neues sozialistisches Experiment erleben. Griechenland wird unter Tsipras aus dem Euro-Club gedrängt, wird parallel eine eigene Währung einführen, die die linke Regierung dann selbst inflationieren kann. So wie Che Guevara das auch gemacht hat. Er war in seiner kubanischen Zeit sogar Chef der dortigen Zentralbank und hinterließ der Nachwelt den Satz: „Unsere Freiheit und unser tägliches Brot tragen die Farben des Blutes und stecken voller Opfer.“ Alles für ein höheres Ziel – eine sozialistische Welt von morgen.

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