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Die Griechen haben gewählt, und die neue Mehrheit im Parlament hat eine Regierung gebildet. Die linksextreme Syriza und die antisemitischen Rechtspopulisten der Partei Anel bilden eine gemeinsame Koalition. Letztere hat mit Panos Kammenos einen Vorsitzenden, der gleichzeitig neuer Verteidigungsminister ist. Er hat noch im Dezember behauptet, Juden würden in Griechenland steuerlich bevorzugt. Als im Jahr 2000 in Österreich die konservative ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ eines Jörg Haiders koalierte, brach europaweit ein Sturm der Entrüstung aus, der am Ende Sanktionen und die diplomatische Isolierung der Alpenrepublik zur Folge hatte.

Und in der Parteizeitung des Syriza-Vorsitzenden und neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras wird aktuell Finanzminister Schäuble mit Wehrmachtsuniform karikiert. Dennoch kann die Vorsitzende der Syriza-Schwesterpartei „Die Linken“, Katja Kipping, mit dem Wahlsieg in Griechenland einen „europäischen Frühling“ ausrufen, und die europäischen Linken in ganz Europa klatschen Beifall. Was Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht heute wohl dazu sagen würden?

Das moralische Recht Griechenlands, weiter Mitglied im Euro-Raum zu sein, darf durchaus in Frage gestellt werden. Eigentlich müsste Griechenland aus dem Euro-Club ausgeschlossen werden. Es ist doch eine perverse Verdrehung des Solidaritätsgedankens, wenn ein Land sich mit nachweislich gefälschten Zahlen in den Euroraum mogelt, anschließend fortgesetzt und dauerhaft die gemeinsam geschaffenen Regeln verletzt und dann, wenn es nicht mehr weiter weiß, um Solidarität bei den anderen nachsucht. Und um es auf die Spitze zu treiben: Zu einem Zeitpunkt, wo der Euro-Club und die Europäische Zentralbank (EZB) rund 80 Prozent der 322 Milliarden Euro Schulden Griechenlands in ihre eigenen Bücher übernommen haben, werden die Helfer von der amtierenden Regierung des hilfesuchenden Landes erpresst. Geschlossene Vereinbarungen gelten nicht mehr, und neues Geld wird gefordert.

Um es nochmals zu verdeutlichen: In Griechenland ist kein Vulkan ausgebrochen, es waren auch keine Missernten oder Überschwemmungen, die die Überschuldung des Staates verursacht haben. Es waren von der Bevölkerung demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente, die dies über viele Jahrzehnte durch Korruption und Misswirtschaft verursacht haben. Nichts anderes! Dabei haben die europäischen Geberstaaten große finanzielle Kraftanstrengungen geleistet. Bis zum Ausbruch der Krise erhielten die Nehmerstaaten in der EU Netto-Subventionen von über 430 Milliarden Euro. Allein Griechenland war mit 133 Milliarden Euro dabei, davon leistete Deutschland alleine 69 Milliarden. Dies entspricht nahezu dem Betrag, mit dem Griechenland seit Ausbruch der Krise 2010 bei Deutschland im Obligo steht.

Dieses Verhalten hat nicht nur Griechenland in die aktuelle Situation gebracht, sondern infiziert auch alle anderen im Euro-Club. Der Rechtsbruch europäischer Regelungen wird zum Frühsport und die Versprechen einer Besserung zu Sirenengesängen. An die Maastricht-Kriterien hat sich nach dem Präzedenzfall in Griechenland anschließend keiner mehr gehalten. Und auch die ach so verschärften Regeln, die mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM 2012 eingeführt wurden, sind schon nach zwei Jahren längst wieder Makulatur. An den Fiskalpakt, der faktisch ein Neuverschuldungsverbot vorsieht, hält sich wieder fast niemand. Und Griechenland hat ihn als einziges Land bislang noch nicht einmal in die Verfassung oder ins Gesetz geschrieben.

Griechenland ist ein souveräner Staat. Es war und ist das gute Recht des griechischen Parlaments, Reeder von der Steuer per Verfassung zu befreien. Es ist auch deren gutes Recht, die Schlüsselindustrie zu verstaatlichen und weiter fleißig Beamte einzustellen. Und es ist auch die souveräne Entscheidung der Regierung Griechenlands, bei den übrigen Partnern in Europa Zweifel an der Westbindung Griechenlands zu nähren. Doch Griechenland und die übrigen 27 EU-Staaten müssen sich die Frage stellen, ob dies eine Basis für eine gemeinsame Zukunft in Europa ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 14. Februar 2015.

Photo: L’Altra Europa con Tsipras from Flickr

Ich kaufe gerne mal die Obdachlosenzeitung. Das erscheint mir prinzipiell ein sehr sinnvolles Projekt. Als ich die Dezember-Ausgabe des „strassenfeger“ aufschlug, fiel mir eine Überschrift ins Auge: „Freihandels-Nostalgie?! – Oder wie eine Idee des 19. Jahrhunderts unsere modernen europäischen Demokratien bedroht und warum wir das nicht wollen“. Leider geht es in dem Artikel selbst dann nur um das Investitionsschutzabkommen. Mich hätte vielmehr interessiert, wie die Autorin „Julia“ die „Freihandels-Nostalgie“ definiert. Im Zuge der Proteste gegen TTIP ist Freihandel zu einem Schreckenswort geworden. Als bekennender Freihandels-Nostalgiker finde ich das verstörend …

Demokratie und Freihandel: Geschwister im Kampf gegen die Mächtigen

Wie immer, wenn Politiker und Bürokraten ein Projekt angehen, ist Wachsamkeit gefordert. Sicherlich gibt es an Verfahren und Inhalt von TTIP manches zu hinterfragen. Gleichzeitig laufen aber auch viele der Kritikpunkte an dem Investitionsschutz ins Leere. Viele TTIP-Kritiker tappen allerdings leider in dieselbe Falle wie „Julia“: sie meinen Intransparenz und Demokratiedefizit, schießen aber auf den Freihandel. Das ist ein fataler Fehler, denn Freihandel und Demokratie teilen die gleichen Eltern: beide sind Ausdruck des Kampfes für die Freiheit gegenüber den Großen und Mächtigen.

Demokratie wurde als System der Machtkontrolle und -beschränkung entwickelt. Vor 2500 Jahren war es das Gegenkonzept zur Tyrannis. Heute sollen demokratische Prozesse diejenigen kontrollieren und beschränken, denen zeitweise bestimmte Vollmachten eingeräumt werden. Immer geht es darum, die Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen vor der Willkür der Herrschenden in Schutz zu nehmen. Das gilt natürlich auch dann, wenn eventuell Deals in die Freihandelsabkommen mit hinein kommen, die bestimmte Gruppen bevorzugen und vielleicht gar im Geheimen abgeschlossen werden (wenn das der Fall sein sollte).

Freihandel gegen Hungersnot

Zur Willkür der Herrschenden gehörte auch immer schon das Instrument der Handelskontrolle. Zölle wurden erhoben, um den Staatssäckel zu füllen. Aber Zölle wurden auch erhoben, um die eigene Industrie zu schützen. Und zwar meistens die Großen, die es geschafft haben, bei den Herrschenden für ihren Schutz zu werben. Heute nennt man solche Leute Lobbyisten. Zölle sind wesentlich auch Beschränkungen der Handels- und Vertragsfreiheiten der einzelnen Bürger. Im Endeffekt wirken die Preisaufschläge durch Zölle oft wie ein Kaufverbot. Das führt dazu, dass der einheimische Verbraucher eine geringere Auswahl haben oder höhere Kosten tragen muss.

Die „Idee des 19. Jahrhunderts“, vor deren Schrecken „Julia“ warnt, war genau gegen diese Handelsbeschränkungen gerichtet. Richard Cobden, ein Mann aus sehr einfachen Verhältnissen, wurde zu einem der ersten Begründer einer Graswurzelbewegung. – Also vom Prinzip her, wenn auch nicht von den Überzeugungen, ein Vorläufer von attac, Occupy und Campact. – Die Zölle, die es zu seiner Zeit in Großbritannien auf Getreide gab, schützten die Großgrundbesitzer vor dem Import von günstigerem Getreide aus Russland und den USA. Die Leidtragenden waren die Industriearbeiter, die zum Teil schwere Hungersnöte durchmachen mussten, weil die Nahrungsmittelpreise zu hoch waren. Cobdens Bewegung für den Freihandel hat die Abschaffung dieser Zölle durchgesetzt und so Millionen von Menschen aus Elend, Not und Hunger geholfen. Die Bewegung nannte man übrigens Manchester-Liberalismus

Fair Trade für uns und andere

Handel ist prinzipiell für alle Beteiligten gut: Der Anbieter kann Geld verdienen, indem er etwas verkauft. Und der Käufer kann etwas erwerben, das er braucht oder will. Beschränkungen des Handels sind somit für beide Seiten schlecht: Der eine wird am Geldverdienen gehindert, der andere am günstigen Erwerb von wertvollen oder vielleicht gar lebenswichtigen Gütern. Wer gegen Freihandel ist, sollte sich dessen bewusst sein.

In der Tat gibt es kaum ein besseres Mittel, um eine Situation des Fair Trade herzustellen als den Abbau von Handelsbeschränkungen. Denn plötzlich bekommen alle Zugang zu einem Markt, der bisher nur wenigen vorbehalten war. Und gleichzeitig können Großkonzerne ihre marktbeherrschende Stellung nicht mehr so gut schützen, wenn es keine Zölle mehr gibt. Nicht nur der Produzent im anderen Land kann endlich seine Ware loswerden, auch der Konsument im eigenen Land kann einkaufen ohne den Preisaufschlag bezahlen zu müssen, der durch Zölle entsteht. Gerade für die Menschen aus ärmeren Ländern ist Freihandel (und in der Folge am besten auch freie Migration) eine enorme Chance. Es liegt wesentlich an der mit Handelsliberalisierung verbundenen zunehmenden Globalisierung, dass der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, von 1990 bis 2010 um die Hälfte zurückgegangen ist.

Freihandel nicht als Nostalgie, sondern als Vision

Viele Gegner des Freihandels sind auch Idealisten. Sie verfolgen hehre Ziele wie zum Beispiel den Schutz der Umwelt, Wohlstand für alle oder weltweiten Frieden. Das ist gut und das ist ehrenwert. Aber auch der Manchesterliberale Richard Cobden hat für solche Ziele gekämpft. Er hat sich für mehr Bildungschancen eingesetzt. Und er war geradezu radikaler Pazifist, was ihm in der Hochzeit der Imperialismus im 19. Jahrhundert auch sehr viele Feinde eingebracht hat. Wäre es nicht wunderbar, wenn die Gegner von Freihandel erkennen könnten, dass sie gegen den falschen Feind anlaufen, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen?

Freihandel sollte für uns alle eine Vision sein, auf die wir hinarbeiten. Das heißt nicht, dass wir die Probleme der aktuellen Abkommen kleinreden sollten. Auch dort gibt es sehr viele Entwicklungen, die dem eigentlichen Prinzip des Freihandels widersprechen. Es werden neue Schutzmaßnahmen eingerichtet, Sonderregeln eingeführt und TTIP droht natürlich auch, sich seinerseits gegenüber anderen Märkten abzuschotten. Aber diese Probleme dürfen nicht dazu führen, dass wir verkennen, welch ein Segen Freihandel weltweit schon ist – und ein wieviel größerer Segen er erst sein wird, wenn er sich weiter durchsetzt. Die Geschichte der EU zeigt durchaus eindrücklich, wie ein freier Markt zu Wohlstand und Frieden führt. Dafür lohnt es sich zu kämpfen – weltweit!

Photo: barockschloss from Flickr

Vor einigen Tagen hatte ich die Gelegenheit in der Sendung „Maybrit Illner“ meine Position zur Euro-Schuldenkrise darzulegen. Es ging viel um die Entbehrungen, die sozialen Probleme und das daraus resultierende Pulverfass in Griechenland. Meine Botschaft war, dass der Preis für die ganze Euro-Retterei die Enteignung von Sparvermögen des deutschen Sparers sei. Darin läge der Sprengsatz für unsere Gesellschaft.

Jetzt liegt erstmalig eine Studie dazu vor. Sie lautet „Zins- und Wohlfahrtseffekte extremer Niedrigzinspolitik für die Sparer in Deutschland“, über die die Frankfurter Börsenzeitung in dieser Woche berichtete. Die Autoren Gerhard Rösl und Karl-Heinz Tödter, die im Ökonomen-Netzwerk ROME zusammengeschlossen sind, beziffern die Zinsverluste für die deutschen Sparer in einer Größenordnung von 70 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Verluste würden auch nicht durch die Vorteile der niedrigen Schuldzinsen kompensiert. Unterm Strich blieben immer noch 39 Milliarden Euro pro Jahr übrig. Seit 2010 seien somit gesellschaftliche Wohlfahrtsverluste von knapp 200 Milliarden Euro in Deutschland entstanden. Die Summe sei schon heute höher, als durch den Einbruch der Wirtschaftsleistung im Zuge der Finanzkrise 2009, als die Wirtschaftsleistung in Deutschland um 5 Prozent einbrach.

Doch „Wohlfahrtseffekt“ ist ein abstrakter Begriff. Konkreter wird er, wenn wir schauen, wer in erster Linie betroffen ist. Es sind all diejenigen, die ihr Geld in Lebensversicherungsprodukte aller Art angelegt haben. Darunter fallen klassische Lebensversicherungen, klassische Rentenversicherungen, klassische Riester-Verträge, klassische Rürup-Renten, die verschiedenen Formen der betrieblichen Altersvorsorge und berufsständische Versorgungswerke. Alle die haben künftig mehr und mehr ein Problem. Wenn EZB-Chef Mario Draghi den Zins im Euro-Raum immer weiter drückt und irgendwann ganz vernichtet, dann können diejenigen, die in Schuldpapiere investieren, auch keine Zinserträge erwirtschaften. So einfach ist das!

Die rund 100 Lebensversicherungen in Deutschland verwalten über 800 Milliarden Euro an Kapitalanlagen, die in 80 Millionen Altersvorsorgeverträgen eingesammelt werden. Rund 89 Prozent davon werden in festverzinslichen Wertpapieren angelegt. Seit dem 1. Januar garantieren die Lebensversicherungen für neue Verträge nur noch einen Garantiezins von 1,25 Prozent. Aber das Gros der Verträge stammt aus einer Zeit (1994-2000), als sie noch 4 Prozent garantiert haben. Und da fängt das Problem an. Im Durchschnitt über alle Verträge sind es nämlich immer noch über 3 Prozent.

Vor einigen Tagen sagte mir ein Kämmerer, er habe einen auf zwei Monate laufenden Kassenkredit mit einem Zinssatz von 0,05 Prozent abgeschlossen. Finanzminister Wolfgang Schäuble konnte vor kurzem eine Bundesanleihe platzieren mit einer Laufzeit von 5 Jahren und einem garantierten Zinskupon von „Null“, und er fand dafür sogar ausreichend Anleger. Die 30jährige-Bundesanleihe rentiert derzeit mit 0,94 Prozent. Fassen wir das zusammen: Wer 0,94 Prozent Rendite für eine Staatsanleihe erwirtschaftet oder Zinsen von „Null“ erhält, kann auf Dauer seinen Kunden keine 3 Prozent garantieren. Aus diesem Dilemma kommen die Lebensversicherer nicht heraus, sollte die Vernichtung des Zinses durch Mario Draghi weiter anhalten.

Japan kennt die Phase der Niedrigzinspolitik schon länger. Sie hat dort zu einem massiven Anwachsen der öffentlichen Verschuldung geführt. Inzwischen beträgt sie 1.200 Billionen Yen (8,9 Billionen Euro), was einer Verschuldung zur Wirtschaftsleistung von 243 Prozent (zum Vergleich Griechenland: 175 %) entspricht. Diese Verschuldung halten überwiegend die Japaner selbst über ihre Lebensversicherungen. Im Jahr 2000 sind 5 Lebensversicherungen deshalb in Notlage geraten, weil sie ihre vertraglich zugesicherten Garantiezinsen nicht mehr erfüllen konnten. Der Staat musste eingreifen und reduzierte rückwirkend per Gesetz die garantierte Verzinsung bestehender Verträge. Doch die „Reduzierung“ ist ein Euphemismus. Aber zu beschönigen gibt es nichts! Es ist ein per Gesetz legalisierter Diebstahl. Dieser droht uns auch.

Doch wenn diejenigen, die vorsorgen, etwas zur Seite legen und glauben, sie hätten am Ende ihres Berufslebens mehr in der Tasche als diejenigen, die zeitlebens in den Tag gelebt haben, feststellen, dass sie getäuscht, betrogen und verkauft wurden, dann wird dies zum Sprengsatz für unsere Gesellschaft. Dann ist nicht nur die griechische Demokratie in Gefahr, sondern bald auch unsere.

Photo: Rupert Ganzer from Flickr

Von Robert Nef, Stiftungsratspräsident des Liberalen Instituts der Schweiz, Zürich, und Träger der Hayek-Medaille 2008.

Die zwingende Verknüpfung von Staatskonkurs, Euro-Ausschluss und EU-Ausschluss verbunden mit einer Kettenreaktion, die zum Zusammenbruch des Euro und der EU führen werde, ist eine von EU-Zentralisten und mit ihnen zunehmend verbandelten Bankern aufgebaute Drohkulisse, die leider von vielen Politikern und Wissenschaftlern gestützt und von den Medien fast kritiklos übernommen wird.

Sollte es tatsächlich in nächster Zeit zu einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands kommen, wäre dies weder das Ende Griechenlands noch das Ende des Euro noch das Ende der EU, sondern höchstens das Ende einer Regierung, die mit einem unmöglichen, utopischen Programm aufgrund einer absurden Koalition ans Ruder gekommen ist. Ein Staatskonkurs wäre ein entscheidender Schritt zur Um-und Neustrukturierung des griechischen Staates.

Wenn es in der Folge tatsächlich zu akuten Notsituationen kommen sollte, müssten diese durch befristete subjekt- und projektbezogene Hilfsprogramme und nicht durch neue Schutzschirme und Schuldenerlasse an die griechische Regierung bekämpft werden.

Wie desorientiert die politische und die wissenschaftliche Debatte rund um die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands ist, zeigt sich schon in der Terminologie. Man benützt den Begriff Staatskonkurs, hat aber Mühe zu erklären, was sich dabei ausser einem generellen Schuldenerlass konkret abspielen würde. Eigentlich wäre die zweite essenzielle Komponente eines Konkurses die Zwangsverwertung der noch vorhandenen Aktiven zugunsten der Gläubiger. Die Hauptaktiven eines Staates sind seine natürlichen Ressourcen, seine Infrastruktur und sein Steuersubstrat, dessen Wert allerdings dramatisch sinkt, wenn es produktivitätsschädigend ausgebeutet wird. Ausser den Bodenschätzen und – mit Einschränkungen – der öffentlichen Infrastruktur entziehen sich diese Aktiven einer Zwangsverwertung. Darum ist der Konkurs eines Staates nur beschränkt mit dem Konkurs eines Privatunternehmens, das dadurch von der Bildfläche verschwindet, vergleichbar.

Ende mit Schrecken ermöglicht Neuanfang

Die Folgen eines Staatskonkurses sind vor allem für die Gläubiger einschneidend, für den betroffenen Staat aber insgesamt entlastend. Konkurs ist ein Ende mit Schrecken, das den Schrecken ohne Ende ersetzt und einen neuen Anfang ermöglicht. Erholen kann sich ein Land ohne erhebliche Rohstoffreserven nur, wenn es das in der Bevölkerung vorhandene Humankapital aktiviert. Dazu gehören Unternehmergeist, Erfindergeist, Bildungsbereitschaft, Sparwillen, Fähigkeit, eine Durststrecke durchzustehen, Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität, Geduld, Tüchtigkeit und Fleiss. All diese Voraussetzungen sind in der griechischen Bevölkerung vorhanden, aber sie werden durch ein politisches Fehlsystem gelähmt und durch bevormundende Experten in falsche Bahnen gelenkt. Diese auf die Dauer überlebenswichtigen Eigenschaften könnten nur durch einen wirklichen Neubeginn aktiviert werden.

Eine Sanierung der Staatsfinanzen durch Konkurs ist allerdings nur dann erfolgversprechend, wenn gleichzeitig auch das politische Missmanagement durch einen ebenso dramatischen politischen Schnitt saniert wird. Was in den letzten Jahren praktiziert wurde, sind zusätzliche Darlehen an eine etwas umgruppierte alte Garde, ergänzt durch eine wenig wirksame und abnehmend beliebte externe Aufsicht. So konnte das Ruder nicht herumgeworfen werden. Für die bisher verantwortlichen Politiker ist ein Staatskonkurs zu Recht eine Schmach, für jene, die nach dem für alle Beteiligten und Betroffenen folgenreichen Schnitt neu starten aber eine Chance, vorausgesetzt man wagt wirklich einen radikalen Neubeginn und bricht mit der desaströsen Vergangenheit, in der die politisch mächtigen Versager aller Parteien auf dem nationalen und auf dem internationalen Parkett um Zeitgewinn und Machterhalt kämpften.

Ist es ein Glück oder ein Unglück, dass heute in Griechenland eine neue Koalitionsregierung am Ruder ist, die letztlich in denselben sozialdemokratisch-staatsinterventionistischen, keynesianischen Ideen befangen ist, die auch die EU prägen? Die Gefahr ist gross, dass nach einigen verbalen Kraftakten die Kumpanei der Genossen und Staatsinterventionisten weitergeht. Dies ist für einen radikalen Neubeginn auf marktwirtschaftlicher Basis eine schlechte Voraussetzung. Die für alle Beteiligten und Betroffenen ungünstigste Variante ist leider relativ wahrscheinlich. Man wird allerseits weiterhin „auf Zeit spielen“ und „peace for our time“ anstreben, indem man die falsche Behauptung aufrecht erhält, es gebe dazu „keine Alternative“.

Wenig klare Vorstellungen gibt es nach wie vor zu jenem Szenario, das mit der fragwürdigen Wortschöpfung „Grexit“ bezeichnet wird, mit einem Begriff, der sowohl „Ausschluss“, wie auch „Austritt“ bedeuten kann, bei dem aber auch die Assoziation „Ende“ mitschwingt. Ob damit ein Exit aus dem Euro oder auch aus der EU gemeint ist, und ob und inwiefern die beiden Exits zwingend miteinander verknüpft sein müssen, bleibt offen.

Währungswechsel nicht zwingend

Ein zahlungsunfähiger Staat braucht nicht unbedingt eine neue eigene Währung. Wenn er seine Löhne und Renten nicht mehr in Euro bezahlen kann, so kann er auf ein Gutscheinsystem ausweichen, das die Staatsangestellten und Rentner zwar nicht in den Hunger treibt, aber den Staatsdienst und das Leben als Frührentner unattraktiv macht. Entscheidend ist in dieser Situation eine radikale Liberalisierung des Arbeitsmarktes, nötigenfalls via Notrecht. Wenn ein Staatskonkurs ohne Ausschluss aus dem Euro und ohne Ausschluss aus der EU möglich (wenn auch nicht problemlos) ist, fällt ein Teil jener eurokratischen Drohkulisse weg, die für die Bereitstellung immer teurerer Schutzschirme und für die Auslösung eines neuen Zentralisierungs- und Etatisierungsschubs der EU aufgerichtet worden ist.

Die „griechische Krankheit“ geht auf die im 19. Jahrhundert von Europa importierte Idee des von der Hauptstadt aus regierten Zentralstaates zurück. Einen Legitimationsschub erhielt dieser Zentralstaat durch den aussenpolitischen Konflikt mit der Türkei, mit dem jahrzehntelang der Aufbau einer kostspieligen Armee gerechtfertigt wurde. Diese sicherheitspolitische Bedrohung ist heute nicht mehr aktuell, und die diesbezügliche Rechtfertigung zentralstaatlicher Verteidigungsstrukturen fällt weg. Zur Zeit der Militärdiktatur wurde die Armee als Instrument der Innenpolitik missbraucht. Ein Staatskonkurs könnte auch einen völligen Neustart und eine massive Verschlankung der Verteidigungskonzeption einleiten. Darin liegt ein erhebliches Sparpotenzial.

Ein Staatskonkurs wäre ein günstiger Moment, um aus der jahrzehntelangen Fehlentwicklung auszubrechen. Griechenland böte topographisch und mentalitätsmässig gute Voraussetzungen für den Aufbau eines föderalen Systems mit hoher Finanzautonomie der Gliedstaaten, bzw. der Inseln und Inselgruppen. Die traditionell vorhandenen konservativen und sozialistischen politischen Seilschaften können eine Chance sein, wenn auf regionaler und lokaler Ebene ein «Wettbewerb der Systeme» stattfindet. Sozialdemokratische Kleinexperimente, die an eine hohe Gruppensolidarität appellieren aber nicht auf Kosten Dritter finanziert werden, können durchaus Erfolg haben, wenn sie die Marktkräfte nicht lähmen.

Radikale Reformen wie die Transformation eines Zentralstaates zu einem Bundesstaat sind nur nach einem vollständigen Zusammenbruch des (nicht nur finanziell) bankrotten Zentralstaats möglich. Es geht dann darum, in der dadurch verursachten Krise den Staat (d.h. das was an staatlichen Strukturen notwendig ist) auf lokaler Ebene neu zu erfinden und schrittweise gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und der örtlichen Wirtschaft neu aufzubauen. Das ist anspruchsvoll, aber nicht unmöglich. Markt und Zivilgesellschaft sind robust und lernfähig, und ein Neubeginn bei Null ist in der Wirtschaftsgeschichte schon oft mit einem Wirtschaftswunder verbunden gewesen. Die dabei benötigten und freigesetzten Marktkräfte wirken wie eine „Schule ohne Lehrer“ und sind sehr viel wirksamer als alle neuen staatswirtschaftlichen Experimente und auch als alle Ratschläge und bürokratischen Sanierungsprogramme von externen EU-Experten. Wenn es im bürokratischen Wasserkopf Athen nach dem Staatskonkurs zu einem Exodus der Staatsfunktionäre kommt und diese sich nach einer produktiveren Tätigkeit in kleineren Städten und in den Dörfern, wo sie ursprünglich herstammen, umsehen müssen, ist dies keine Katastrophe, sondern eine Chance.

Beispiele Leukerbad, amerikanische Bundesstaaten

Dass der Konkurs einer Gebietskörperschaft ohne Ausschluss aus dem politischen Verbund und aus der Währung möglich ist, zeigt das Beispiel der Walliser Berg- und Tourismusgemeinde Leukerbad. Der Fall ist wegen der Grössenordnung zwar nicht vergleichbar, er demonstriert aber immerhin, dass ein Konkurs innerhalb eines Bundesstaates und ohne neue Währung möglich ist. Das politische Management wurde ausgewechselt und ein politisch Hauptverantwortlicher landete im Gefängnis. Die Gemeinde reduzierte ihre Bürokratie und verzichtete auf die Fortführung nicht finanzierbarer Projekte. Möglicherweise intensivierte sich die Abwanderung, die allerdings seit Jahrhunderten zum Schicksal von Rand- und Berggebieten gehört.

Im Lauf der amerikanischen Geschichte ist schon fast jeder Gliedstaat einmal zahlungsunfähig geworden, ohne dass man dort den Dollar abgeschafft oder den Gliedstaat aus der Union ausgeschlossen hätte. Auch beim Beinahekonkurs Kaliforniens war nie von einem Ausschluss aus dem Dollar und auch nie von einem Ausschluss aus den USA die Rede.

Sollte ein Staatskonkurs Griechenlands eine gesamteuropäische Bankenkrise auslösen, so liesse sich überlegen, ob dann nicht eher die betroffenen Banken mit einem überbrückenden Rettungsdarlehen zu stützen wären. Das wäre zwar auch ein ordnungspolitischer Sündenfall, aber die Schweiz hat damit im Fall UBS keine schlechten Erfahrungen gemacht. Das Operieren an der Grenze der temporären Zahlungsunfähigkeit gehört zum Business der Banken. Dass die Banken aus der Krise herausfinden, ist viel wahrscheinlicher, als dass sich ein maroder Staat durch das ökonomische Gift neuer Darlehen und die politische Zumutung einer Teilentmündigung erholt. Jene Banken, die es auch samt Überbrückungsdarlehen nicht schaffen, werden dann zu Recht von der Bildfläche verschwinden. Die Bankkunden müssen sich weltweit daran gewöhnen, dass auch Banken nicht grenzenlos und permanent zahlungsfähig bleiben. Und die Banken müssen sich weltweit (wieder) daran gewöhnen, dass auch Staatsbankrotte nicht auszuschliessen sind. Das gehört zum „Systempreis“ des Kapitalismus. Mit der Zahlungsunfähigkeit eines Akteurs muss stets gerechnet werden, und wenn dieser Fall zu einem Systemzusammenbruch führt, ist dieses System eine Fehlkonstruktion.

Staatsfinanzen sind durch politisch motivierte Darlehen nicht sanierbar. Man beschleunigt damit lediglich die politischen Teufelskreise der zwangsweisen Umverteilung durch zwangsweise Zentralisierung und Etatisierung und durch das Abschieben der Probleme auf kommende Generationen. Die Zentralverwaltungswirtschaft kann auch im Finanzbereich nicht funktionieren, weil es das zentrale Wissen dazu nicht gibt. Schuld daran sind nicht die diesbezüglich unter sich zerstrittenen Ökonomen und Finanzfachleute. Man sollte ihnen nicht vorwerfen, dass sie die Zukunft nicht voraussehen und in Krisensituationen lieber „auf Zeit spielen“ und eher zum Schrecken ohne Ende raten als zu einem Ende mit einem möglichen, aber häufig durchaus heilsamen und lehrreichen Schrecken.

Ergänzte und im Januar 2015 aktualisierte Fassung eines Kommentars in „Finanz und Wirtschaft” vom 9. Oktober 2012.

Photo: Craig Sunter from Flickr

Als Deutschland im vergangenen November den 25. Jahrestag des Mauerfalls beging, war auch ein Team des US-amerikanischen Kanals ReasonTV vor Ort. Sie haben Clemens Schneider dazu befragt, wie heute in der deutschen Gesellschaft mit der DDR-Vergangenheit umgegangen wird.

„Leute vergessen einfach den Terror dieses Regimes. Sie vergessen, dass vor 25 Jahren Menschen tatsächlich auf die Straßen gingen und ihre Leben riskierten, weil sie es nicht mehr aushielten, 24 Stunden am Tag überwacht zu werden; in der Gefahr zu leben, ins Gefägnis zu kommen, gefoltert zu werden oder sogar erschossen zu werden, wenn sie das Land verlassen wollten“, so Schneider.

„Dieses Versprechen vom Paradies auf Erden kann tatsächlich nur um den Preis von Terror und Unterdrückung erkauft werden und um den Preis eines Regimes, das Leute nicht ihr eigenes Leben leben läßt, sondern vorschreibt, wie ein gutes Leben aussieht.“

Schneider resümiert: „Das wohl Wichtigste, was wir von den Ereignissen vor 25 Jahren lernen können, von den Demonstrationen hier in Berlin, ist: Dass Freiheit sich durchsetzt, hängt immer an den Menschen, die für Freiheit kämpfen. Eine Offene Gesellschaft lebt nur von denen, die sich für sie einsetzen.“