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Wenn die SPD jetzt bei der Koalitionsbildung in Berlin von ihrem kategorischen „Nein“ zu einem „Ja, aber“ übergeht, dann ist das im Wesentlichen machtpolitisch begründet. Das ist legitim. Legitim ist es auch, die Latte möglichst hoch zu legen. Schon einmal, 2013 hat sie dies getan. Der damalige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel drohte während der Koalitionsverhandlungen andauernd mit der Renitenz seiner Basis, die am Ende dem Koalitionsvertrag ihren Segen geben musste. So konnte die SPD nicht nur den gesetzlichen Mindestlohn, sondern auch die Rente mit 63 und das Tarifeinheitsgesetz durchsetzen. Für sozialdemokratisches Klientel war das schon eine Menge. Gedankt hat es der Wähler der Sozialdemokratie am Ende dennoch nicht.

Jetzt gehen die Sozialdemokraten unter Martin Schulz oder vielleicht auch seinem Nachfolger den gleichen Weg, wahrscheinlich nur energischer. Dieses Mal steht die Bürgerversicherung im Zentrum sozialdemokratischer Verhandlungskunst. Rein machttaktisch stehen die Aktien für die SPD nicht so schlecht. Angela Merkel ist nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen noch stärker unter Druck. Sie muss zeitnah eine Regierungsbildung zustande bekommen, sonst läuft sie Gefahr, Teil des Generationswechsel in der Union zu werden.

Doch Taktik ist nicht alles. Es kommt auch darauf an, ob die Themen sich eignen, das Land und, in den Augen des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, auch die Sozialdemokratie nach vorne zu bringen.

Der Chefstratege der SPD, Karl Lauterbach, bringt als Knackpunkt möglicher Verhandlungen die Durchsetzung der Bürgerversicherung ein. Die SPD will das duale System von privater und gesetzlicher Krankenversicherung durch eine gesetzliche Einheitsversicherung ersetzen. Das deutsche Krankenversicherungswesen ist international ein Unikum. Erlaubt es doch nur bestimmten Personengruppen einen Eintritt in das private Krankenversicherungsystems. Der Gesetzgeber eröffnet lediglich Selbstständigen, Beamten und Gutverdienern gewisse Freiheiten, alle anderen sind zwangsversichert. Die, die die Freiheiten haben, können sich freiwillig gesetzlich versichern oder einen Tarif bei einer privaten Krankenversicherung wählen. Bis vor einigen Jahren war es sogar möglich, sich gar nicht zu versichern. Das hatte durchaus seine Berechtigung. Warum sollte ein Millionär sich auch privat krankenversichern müssen? Die Kosten, die er möglicherweise bei einem Krankenhausaufenthalt verursacht, werden ihn nicht in seiner finanziellen Existenz gefährden. Doch gerade dafür ist ja eine Versicherung in ihrem Ursprung da. Sie soll existentielle Risiken absichern, die man selbst nicht absehen kann. In diesem Fall soll die Versichertengemeinschaft einspringen.

Die Sozialdemokratie argumentiert, dass es ungerecht sei, dass Gutverdiener die Solidargemeinschaft verlassen können, und damit nicht zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen. Wären alle gezwungen, Mitglied der AOK zu werden, dann könnten die Beiträge gesenkt und vielleicht sogar die Leistungen verbessert werden. Wahrscheinlich würde beides langfristig nicht eintreten. Wenn die Beitragseinnahmen und der Beitragssatz, wie in der gesetzlichen Krankenversicherung, ausschließlich am Faktor Arbeit hängen, dann ist dieses Umlagesystem in erster Linie sehr konjunkturabhängig und prozyklisch, das heißt, die Beiträge steigen bei schlechter Konjunktur und hoher Arbeitslosigkeit. Das Umlagesystem der gesetzlichen Krankenversicherung verschärft die mangelnde Wettbewerbssituation in der Rezession. Aber nicht nur das: die Demographie schlägt unerbittlich zu. Nicht heute, aber morgen und erst recht übermorgen. Wenn die gesetzliche Krankenversicherung immer mehr Rentner immer länger versichern muss und immer weniger Erwerbstätige mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zum gesamten Beitragsaufkommen beitragen, dann kommt das System insgesamt schnell in eine Schieflage. Da nützt es nicht, wenn man in den Trichter oben mehr potentielle Versicherte hineinschmeißt, denn auch diese werden älter.

Doch auch die privaten Krankenversicherungen haben ein Problem. Ihr Anwartschaftsdeckungsverfahren, legt einen Teil der Beiträge in jungen Jahren zurück und legt es verzinslich an, um die Beiträge der Altersgruppe und der Versicherung insgesamt stabil zu halten. Schon heute gelingt das den privaten Krankenversicherungen nur sehr bedingt. Das Leistungsversprechen bis zum Lebensende, die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und die Niedrigzinsen an den Kapitalmärkten machen ihnen das Leben schwer. Auf alle drei Faktoren haben die privaten Krankenversicherungen faktisch keinen Einfluss. Sie können es nur über mehr Effizienz im Unternehmen und über steigende Beiträge auffangen. Die Niedrigzinsen, die wesentlich durch die Geldpolitik der EZB verursacht sind, sind das eigentliche Damoklesschwert für die Privaten. Zwei Drittel ihrer Kapitalanlagen sind in Zinspapieren angelegt. Ändert sich an der Zinspolitik der EZB mittelbar nichts, dann werden nicht nur viele Lebensversicherungen in Deutschland das nicht überleben, sondern auch viele Krankenversicherer.

Kommt in dieser Phase noch die SPD mit ihren Vorschlägen, dann darf man nicht erwarten, dass die privaten Krankenversicherung einfach in die gesetzlichen Versicherungen überführt werden, sondern sie werden ausgehungert. Denn die SPD weiß auch, dass die Kapitalanlagen der privaten Krankenversicherungen von 250 Milliarden Euro dem Eigentumsschutz des Grundgesetzes unterliegen. Stattdessen wird sie subtiler vorgehen. Sie kann die Jahresarbeitsentgeltgrenze raufsetzen. Sie bestimmt, ab wann ein Angestellter sich privat versichern darf. Derzeit liegt sie bei 57.600 Euro im Jahr. Je höher sie ist, desto länger dauert es für einen Angestellten, das System zu wechseln. Sie ist eine Markteintrittsbarriere für Millionen Arbeitnehmer in Deutschland. Private Krankenversicherer sind darauf angewiesen, neue Mitglieder zu gewinnen, um ihren Verwaltungsapparat dauerhaft zu finanzieren. Wird dieser Pfad gekappt, leiden die übrigen Versicherten, da die Verwaltungskosten auf die immer kleiner werdende Versichertengruppe verteilt werden muss.

Die SPD wird argumentieren, das beträfe eh nur die Reichen. Von den 8,77 Millionen Vollversicherten in der PKV sind jedoch alleine 2,1 Millionen Beamte mit ihren Familien in einem Beihilfetarif versichert. Würde man die Beihilfe für Beamte abschaffen und sie ebenfalls nur für bestehende Versicherte aufrechterhalten, würden diese Tarife ebenfalls austrocknen. Massive Beitragssteigerungen für die Restversicherten wären die Folge. Ebenso sieht es bei den 1,4 Millionen Selbstständigen und ihren Familien aus. Beide Gruppen, Beamte und Selbstständige, gehören nicht zwingend zu den Gutverdienern. Sie gehören aber zur Mitte der Gesellschaft, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und dem Sozialstaat nicht zur Last fallen. Sie kommen teilweise auch aus „kleinen“ Verhältnissen und haben einen bescheidenen Wohlstand erreicht. Früher war das auch die Zielgruppe der Sozialdemokratie.

Die SPD unter Gerhard Schröder war deshalb erfolgreich, weil es ihr gelungen ist, in diese Mitte des Wählerspektrums vorzustoßen. Gerhard Schröder verkörperte höchstselbst den gesellschaftlichen Aufstieg vom armen Jungen aus Lippe zum Bundeskanzler. Er nahm Anfang der 2000er Jahre Anleihe bei New Labour in Großbritannien, die unter Tony Blair eine moderne Sozialdemokratie verkörperten, die den gesellschaftlichen Aufstieg zugelassen und gefördert hat.

Martin Schulz war 2017 deshalb nicht erfolgreich, weil er nur von sozialer Gerechtigkeit sprach, ohne die Mitte anzusprechen. Ihm ging es nur um Mindestlöhne, Renten und soziale Umverteilung. Das gehört sicherlich zum Repertoire eines Sozialdemokraten. Doch für eine Verbreiterung des Wählerspektrums reicht das nicht. Sollte die SPD mit der Durchsetzung der Bürgerversicherung Erfolg haben, dann wäre ihr der Weg in die Mitte weiter versperrt und die mögliche neue Koalition aus Union und SPD würde so enden wie die alte aufgehört hat – als Desaster für die Sozialdemokratie.

Erstmals erschienen in Tichys Einblick.

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Akademiker sind die besseren Menschen – Diesen Eindruck könnte man jedenfalls aus den stets gleichen Studien über die Chancengerechtigkeit des deutschen Bildungssystems gewinnen. Es ist an der Zeit dieses Bildungsideal gerade zu rücken.

Die Diskussion um fehlende Durchlässigkeit dominiert die Bildungspolitik

An diesem Montag wurde der Hochschul-Bildungs-Report 2020 von McKinsey und dem Stifterverband der Deutschen Wirtschaft veröffentlicht. Dabei darf natürlich nicht die Frage nach der Chancengerechtigkeit des deutschen Bildungssystems fehlen. Schließlich dominieren die Themen Durchlässigkeit und soziale Selektivität seit Jahrzehnten die bildungspolitische Diskussion.

Und so kann man auch dem aktuellen Report entnehmen, dass trotz einer weiter wachsenden Zahl von Studienanfängern sogenannte „Nichtakademikerkinder“ nach wie vor benachteiligt seien. Von ihnen erlangen nur 8 % einen Mastertitel und gar nur 1 % den Doktorgrad. Zum Vergleich: 45 % der „Akademikerkinder“ schließen ihr Studium mit dem Master ab, und jeder Zehnte wird promoviert. Die familiäre Herkunft hat also nach wie vor einen enormen Einfluss auf die Wahl des Bildungsweges. Auf den ersten Blick scheint das bedenklich, man kann es als unfair empfinden oder auch als schädlich für eine Volkswirtschaft. Doch ist das nicht sehr simpel gedacht?

Die Debatte ist Ausdruck eines überkommenen Ständebewusstseins

Bereits der Begriff „Nichtakademiker“ ist Ausdruck eines überkommenen Ständebewusstseins. Impliziert er doch eine Geringwertigkeit anderer Bildungs- und Lebensentwürfe. Mit jeder Studie, die beklagt, dass zu wenige Kinder aus Nichtakademikerhaushalten ein Hochschulstudium aufnehmen, wird dieses einseitige Bildungsideal noch verstärkt. Ein Bildungsideal, das sich anmaßt, einer Hochschulausbildung mehr absoluten Wert beizumessen als etwa einer Berufsausbildung. Das macht sowohl jene jungen Politikstudenten unglücklich, die sich aus vermeintlichen Statusgründen durch Luhmann quälen, als auch talentierte Schreiner-Lehrlinge, die „nur“ eine Ausbildung machen und deshalb weniger Wertschätzung erfahren.

Vielleicht sollte man häufiger mal die aberwitzige Prämisse in Frage stellen, dass unser Bildungswesen erst dann gerecht sei, wenn 100 % eines Jahrganges an die Universität gehen. Unser Bildungsideal sollte darauf ausgelegt sein, individuelle Talente zu erkennen und zu fördern und nicht nur Quoten vor sich herzutragen. Dazu gehört auch, den Realschulabschluss nicht mehr als Abitur mit einfacheren Aufgabe zu begreifen, sondern bereits früh berufsvorbereitende Inhalte einzubauen.

Bildung ist auch eine Frage der Kultur und nicht nur der Optimierung

Die Frage nach dem richtigen Bildungs- und Lebensentwurf ist für junge Menschen aber selbstverständlich auch eine Frage der kulturellen Identität. War es früher ganz normal, dass die Kinder das elterliche Geschäft übernehmen, stehen jungen Menschen in Deutschland heute erfreulicherweise alle Wege offen. Dass das so ist, bedeutet aber nicht, dass Erziehung und Sozialisation die Wahl des Bildungsweges nicht beeinflussen dürfen.

Es ist falsch, wenn eine Überhöhung des Hochschulstudiums dazu führt, dass Eltern ihre Kinder per se nicht für studiengeeignet halten. Es ist aber ebenso falsch, die Entscheidungen von Eltern in Frage zu stellen, die ihren Kindern eine Leidenschaft für den heimischen Metzgerbetrieb vermitteln oder den Ethos eines fleißigen Fabrikarbeiters. Wenn also nicht mehr das Individuum mit seinen Talenten und Wünschen im Mittelpunkt steht, sondern ein gesellschaftlich gewünschtes Ergebnis. Es gibt bereits allerhand Mechanismen, die eine größtmögliche Durchlässigkeit ermöglichen. Wer wirklich für ein Studium brennt, erhält in der Regel die notwendige Unterstützung. Sei es durch staatliche Institutionen wie das BaFög und die Stipendien der Begabtenförderungswerke oder mit Hilfe von zivilgesellschaftlichen Initiativen wie etwa der Internetplattform arbeiterkind.de.

Das tatsächliche Problem: Die umgekehrte Finanzierungspyramide

Tatsächlich überlagert die Diskussion um Chancengerechtigkeit regelmäßig das eigentliche Kernproblem unseres Bildungssystems. Betrachtet man die deutsche Bildungsfinanzierung, haben wir es mit einer auf dem Kopf stehenden „Finanzierungspyramide“ zu tun. Während die Hochschulausbildung komplett kostenfrei ist, muss für die frühkindliche Bildung vielerorts gezahlt werden – und zwar zum Teil abenteuerliche Summen. So ein Kita-Platz kostet gerne im Monat mal so viel wie ein Student vor der Abschaffung von Studiengebühren für ein ganzes Semester berappen musste. Und auch bei Grund- und weiterführenden Schulen können sich gerade wohlhabende Familien einen Vorteil durch kostenintensive Nachhilfe oder gar Privatschulen erkaufen.

Ein auf die Förderung individueller Fähigkeiten gerichtetes Bildungswesen sollte genau andersherum aufgebaut werden. Gerade im frühkindlichen Bereich besteht die Notwendigkeit staatlicher Finanzierung. Universell für Kitas, Musikunterricht oder andere Bildungsangebote einlösbare Bildungsgutscheine würden hier Abhilfe schaffen und eine breite frühkindliche Förderung ermöglichen. Eine solche Notwendigkeit besteht für die Universitäten hingegen nicht. Hier sollten die Kosten von denen getragen werden, die tatsächlich durch ein höheres Einstiegsgehalt davon profitieren, den Studenten. Genau wie Betriebe für die Ausbildung ihrer Lehrlinge und Entrepreneure für die Gründung ihrer Unternehmen zahlen.

Nun könnte man argumentieren, dass Hochschulbildung so viele positive externe Effekte produziert, dass eine vollständige Subventionierung der deutschen Studenten gerechtfertigt ist. Gerade dieses Argument ist aber Ausdruck der Akademikerüberhöhung. Es ist schlicht anmaßend zu behaupten, ein Akademiker würde mehr positive Effekte für die Gesellschaft produzieren als beispielsweise ein junger Entrepreneur, und sollte deshalb subventioniert werden. Deutschland hat ein duales Bildungswesen, um das es die ganze Welt beneidet. Anstatt die Studierendenquote vor sich herzutragen wie den Heiligen Gral, sollte man das Bildungssytem dahingehend stärken, dass Individuen möglichst viele Chancen erhalten, ihren eigenen erfolgreich Weg zu gehen. Das wäre echte Gerechtigkeit!

Photo: Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Dr. Andreas Hoffmann, Institut für Wirtschaftspolitik Universität Leipzig.

Anstatt die Entwicklung der Geschäftstätigkeit und die durch die Rückendeckung des Staates ermöglichten Gewinne der KfW der vergangen Jahre zu preisen, sollte der Fokus auf den fragwürdigen Einfluss der KfW auf die Verteilung von Ressourcen und die dadurch entstehenden Risiken für die Steuerzahler gelenkt werden.

Während private Banken des Euro-Währungsgebiets weiterhin ums Überleben kämpfen und in den vergangenen Jahren ihre Bilanzsummen reduzierten, genießen staatlich-gelenkte Förderbanken einen Aufschwung. Öffentliche, zum Teil außerhalb des regulatorischen Rahmens agierende Förderbanken wie die deutsche KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) oder das spanische ICO (Instituto de Crédito Oficial) haben ihre Aktivitäten jüngst deutlich ausgebaut. Das ist besorgniserregend, weil die durch implizite staatliche Sicherheitsgarantien gestützten Förderbanken dazu neigen, zu viele und dabei auch noch die falschen Projekte zu finanzieren.

KfW: Förderbank so groß wie die Commerzbank

Die deutsche KfW, für die Zuteilung von Marshall-Plan-Geldern nach dem 2. Weltkrieg gegründet, rangiert in Bezug auf ihre Bilanzsumme inzwischen Kopf an Kopf mit der Commerzbank – der zweitgrößten privaten Bank Deutschlands. Vor 10 Jahren war die Bilanzsumme der zweitgrößten privaten Bank in Deutschland noch fast doppelt so groß wie die der KfW. Diese war 2007 lediglich die neuntgrößte Bank Deutschlands.

 

 

Mitunter euphorisch wird von den jüngsten hohen Gewinnen der KfW in für Banken schwierigen Zeiten berichtet. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Länder des Euro-Währungsgebiets wie z. B. Portugal (2014), die zuvor keine solchen öffentlichen Förderbanken hatten, in den letzten Jahren welche gründeten, um das scheinbare Erfolgsmodell KfW zu kopieren.

Hehre Ziele, besorgniserregende Entwicklung

Hehre politische Ziele stehen hinter der Förderbank-Idee: Staatliche Förderbanken sollen Unternehmen finanzieren, die von privaten Banken keine Kredite bekommen, aber höchstwahrscheinlich profitabel sind bzw. einen positiven Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Länder oder anderer Länder liefern. Staatliche Förderbanken sollen folglich sowohl identifizierte Fälle von Marktversagen beheben, indem sie für ausgewählte Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt verbessern, als auch Industrien unterstützen, die zwar derzeit noch nicht profitabel sind, aber in Zukunft zur Prosperität aller beitragen können.

Trotz der edlen Ziele der Förderbanken ist ihr Wachstum in den vergangenen Jahren aus mehreren Gründen besorgniserregend.

KfW: Zu viele Projekte

Erstens, explizite und implizite Garantien des deutschen Staates geben der KfW gegenüber ihren privaten Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil. Die staatliche Bank kann sich durch die Garantien günstiger mit Eigen- und Fremdkapital eindecken und ihren Kunden so Leistungen zu niedrigen Preisen anbieten, ohne Verluste zu schreiben. Die relative Attraktivität der Angebote der KfW tragen anscheinend dazu bei, dass Kunden von privaten Banken abwandern, auch in Fällen, in denen recht offensichtlich kein Marktversagen korrigiert wird. So ist beispielsweise das Exportfinanzierungsgeschäft der Ipex, einer Tochter der KfW, sehr profitabel. Zu den Kunden der Ipex gehören wohlbekannte Unternehmen wie BMW oder United Airlines, die weder in Märkten aktiv sind, die sich offensichtlich durch Marktversagen auszeichnen, noch Schwierigkeiten haben dürften, für profitabel anmutende Projekte Finanzierungen von privaten Anbietern zu erhalten.

Einerseits wird durch derartiges Geschäftsgebaren der KfW der Wettbewerb im Bankensektor durch den Staat zum Nachteil der übrigen Marktteilnehmer verzerrt. Andererseits besteht die Gefahr, dass durch die günstigen Konditionen der KfW vermehrt Projekte finanziert werden, deren erwartete Rendite für private Banken zu niedrig wäre, um die Finanzierungsrisiken einzugehen. So werden Ressourcen nicht bestmöglich eingesetzt.

KfW: Die falschen Projekte

Zweitens, ergeben sich Lenkungseffekte durch die Kreditvergabemethoden der KfW. Zum Teil ist das gewollt. Die KfW soll Unternehmen in Industrien unterstützen, die von privaten Anbietern keine ausreichende Finanzierung erhalten. Mithilfe von KfW-Programmen werden jedoch auch Unternehmen aus Branchen subventioniert, die nicht in das Anforderungsprofil förderungswürdiger Projekte zu passen scheinen (beispielsweise Wohnungsbau).

Die KfW nimmt so nicht nur Einfluss auf die Allokation von Ressourcen auf verschiedene Industriebereiche, sondern beeinflusst auch die Zusammensetzung der von privaten Banken gehaltenen Kreditportfolios. Konzentrieren sich die von Banken gehaltenen Kreditausfallrisiken aufgrund der Förderprogramme der KfW auf ausgewählte Branchen, sind sie möglicherweise in industriespezifischen Krisenzeiten weniger robust, als sie es in Abwesenheit der KfW Interventionen wären.

Durch die Aktivitäten der KfW werden also tendenziell nicht nur zu viele Kredite vergeben, sondern zu viele Projekte in einigen ausgewählten Industrien finanziert.

KfW: Fehlurteile unvermeidbar

Drittens, die hehren Ziele der KfW sind zu ambitioniert. Auch dem gutmütigsten sozialen Planer ist es unmöglich, fehlerfrei Fälle von Marktversagen und Zukunftsindustrien zu identifizieren. Selbst wenn die KfW versuchte, sich strikt auf ihren Auftrag zu beschränken, wäre sie aufgrund des unweigerlich unvollständigen Wissens ihrer Entscheidungsträger zum Scheitern verurteilt.

Wird zusätzlich in Betracht gezogen, dass die jeweilige Agenda der tonangebenden Politiker das Verhalten der KfW beeinflusst, schwindet das Vertrauen in die Fähigkeit der KfW, Marktversagen zu korrigieren und Zukunftsindustrien zu fördern, weiter. Die politisch beeinflussten Fehlurteile der KfW können so im Ernstfall hohe wiederkehrende Subventionen nach sich ziehen oder schmerzhafte Reallokationen von Ressourcen erfordern.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Da die Bilanzsumme der Förderbank in den letzten Jahren bereits erheblich ausgeweitet wurde, ist es wahrscheinlich, dass im Namen der Finanzierung vermeintlicher Zukunftsinvestitionen und der Behebung von Marktversagen erhebliche Risiken in den Bilanzen der öffentlichen Banken akkumuliert wurden, die bis dato im Bundeshaushalt keine Rückstellungen nach sich zogen. Anstatt die Entwicklung der Geschäftstätigkeit und die durch die Rückendeckung des Staates ermöglichten Gewinne der KfW der vergangen Jahre zu preisen, sollte deshalb der Fokus auf den fragwürdigen Einfluss der KfW auf die Verteilung von Ressourcen und die dadurch entstehenden Risiken für die Steuerzahler gelenkt werden.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Rene Schwietzke from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Entscheidend für die individuelle Umverteilungspräferenz scheinen nicht objektive Ungleichheitsmaße zu sein, sondern die subjektive Einschätzung. Angesichts der deutlichen Überschätzung der Einkommensungleichheit in Deutschland verwundert es nicht, dass diese die wirtschaftspolitische Debatte dominiert. Gleichwohl wäre es wünschenswert, den Fokus wieder stärker auf die Bedingungen höheren Wachstums zu setzen.

Je ungleicher die Einkommen in einem Land verteilt sind, desto umverteilungsskeptischer sind die Einkommensschwachen. Diesen zunächst wenig intuitiven Befund legt der italienischen Soziologe Renzo Carriero in einem 2016 veröffentlichten Papier vor. Andere Studien legen allerdings nahe, dass Carrieros vermeintlich paradoxe Beobachtung in der Praxis wenig Bedeutung hat. Entscheidend für die individuelle Umverteilungspräferenz scheinen nicht objektive Ungleichheitsmaße zu sein, sondern die subjektive Einschätzung wirtschaftlicher Ungleichheit. Zudem schätzen die meisten Menschen das tatsächliche Ausmaß der Ungleichheit und ihre eigenen Position in der Einkommensverteilung falsch ein. Angesichts der deutlichen Überschätzung der Einkommensungleichheit in Deutschland verwundert es nicht, dass diese die wirtschaftspolitische Debatte dominiert. Gleichwohl wäre es wünschenswert, den Fokus wieder stärker auf die Bedingungen höheren Wachstums zu setzen.

Ungleiche Einkommen, gleiche Umverteilungspräferenzen

Soziologische Studien stoßen immer wieder auf ein vermeintliches Paradoxon: Menschen in Ländern mit hoher Einkommensungleichheit haben über alle Einkommens- und Berufsklassen hinweg relativ ähnliche Präferenzen bezüglich der Umverteilung von Einkommen über Steuern und Transfers, während die Präferenzen von Menschen in gleicheren Gesellschaften stärker divergieren. Der Befund widerspricht der Intuition einer am eigenen Wohl orientierten Präferenz zunächst. Sollten Menschen mit geringem Einkommen nicht gerade in ungleichen Gesellschaften stark für Umverteilung sein, weil sie viel zu gewinnen haben? Und sollten Menschen mit hohen Einkommen in ungleichen Gesellschaften nicht eine starke Abneigung gegen Umverteilung haben, weil sie viel zu verlieren haben?

Vermuteten Soziologen in der Vergangenheit, dass die abnehmenden Präferenzunterschiede in ungleichen Gesellschaften darauf zurückzuführen seien, dass Wohlhalbenden in Umverteilung einen Schutzmechanismus gegen soziale Unruhen und Kriminalität sähen, findet Carriero, dass der Grund für die Konvergenz von Präferenzen bei den relativ Armen liegt: Je ungleicher die Einkommensverteilung, desto schwächer sei deren Präferenz für Umverteilung.

In der deutschsprachigen Presse lud das Ergebnis von Carrieros Analyse zu pessimistischen Spekulationen ein: „Warum unterstützen Menschen eine Politik, die ihren wirtschaftlichen Interessen zu widersprechen scheint“ (Der Spiegel)? Kann es sein, dass der Egalitarismus in ungleichen Gesellschaften als „Gesinnung der Verlierer“ stigmatisiert wird (FAZ)? Macht sich dort der Mythos breit, dass jedermann sozial aufsteigen könne und Umverteilung daher unnötig sei (Die Presse)?

Kausale Interpretation unklar

Carriero spekuliert, dies könne daran liegen, dass die soziale Mobilität in ungleicheren Ländern als stärker ausgeprägt wahrgenommen wird – selbst wenn empirische Studien zeigen, dass die soziale Mobilität tatsächlich in gleicheren Gesellschaften höher ist. Möglich sei auch, dass Ungleichheit legitimierende politische Ideologien in ungleichen Gesellschaften leichter Fuß fassen und durch Medien sowie einflussreiche Interessengruppen reproduziert würden.

Wenngleich die Studie auf einem repräsentativen Datensatz beruht und für weitere Einflussfaktoren wie das Niveau der Sozialleistungen oder die ethnische Homogenität einer Gesellschaft kontrolliert, taugt Carrieros Analyse nicht zur Identifikation eines kausalen Effekts. So ist es durchaus möglich, dass die Kausalität im von ihm beobachtete Zusammenhang zwischen Ungleichheit und abnehmender Umverteilungspräferenz entgegengesetzt wirkt: Wo die Menschen über alle Einkommens- und Berufsklassen hinweg weniger Umverteilung wünschen, da verteilt die Politik weniger um, was sich wiederum in höherer Einkommensungleichheit manifestiert. Carrieros Studie ist auf 44 Länder Europas beschränkt, darunter vornehmlich entwickelte Demokratien. Dass die getroffenen politischen Maßnahmen in diesen mit den Präferenzen der Wähler korreliert sind, ist nicht allzu überraschend.

Ungleichheit wird überschätzt

Selbst für den Fall, dass der von Carriero vermutete Zusammenhang tatsächlich besteht, ist jedoch fraglich, wie relevant er für die wirtschaftspolitische Diskussion ist. Die meisten Menschen schätzen das Ausmaß der Einkommensungleichheit, gemessen etwa anhand des Gini-Koeffizienten, falsch ein. Judith Niehues zeigt für 24 Länder, darunter Deutschland, dass die tatsächliche Ungleichheit meist überschätzt wird.

So waren die 2009 Befragten in Deutschland im Durchschnitt der Ansicht, dass weniger als ein Drittel (30,2%) der Deutschen zur Mittelschicht gehören (mit einem Nettoeinkommen von 80 bis 150% des Medianeinkommens). In der durch relatives Armutsrisiko (60% des Medianeinkommens) definierte Gruppe sahen die Befragten ein Viertel der Bevölkerung. Tatsächlich war fast die Hälfte der Deutschen (48,1%) Teil der Mittelschicht und nur 15,6% der Bevölkerung lebten mit einem relativen Armutsrisiko.

 

 

Da individuelle Umverteilungspräferenzen auf Basis subjektiver Einschätzungen gebildet werden und der Einfluss der gemessenen Ungleichheit auf die wahrgenommene Ungleichheit sehr beschränkt ist, wird auch die Einstellung zur Umverteilung nur schwach von der tatsächlichen Ungleichheit beeinflusst.

Weshalb fand Carrieros Befund trotz dessen geringer praktischer Relevanz so viel Beachtung in den Medien? Ein Grund könnte in der weit verbreiteten Vorstellung liegen, wirtschaftliche Ungleichheit sei das zentrale Problem westlicher Gesellschaften.

Wachstum in den Fokus rücken

Die großen Garanten steigenden Wohlergehens sind seit der industriellen Revolution wettbewerblich organisierte offene Märkte, eingebettet in demokratische Systeme. In marktwirtschaftlich organisierten Demokratien lebende Menschen sind heute etwa 40mal so reich wie ihre vor drei Jahrhunderten lebenden Vorfahren. Gelänge es, das seit Beginn des Jahrtausends durchschnittlich bei nur 1% liegende jährliche Wirtschaftswachstum auf 2% zu heben, so wäre schon in etwa 35 statt 70 Jahren ein 80mal so hohes Wohlstandsniveau erreicht. Von derartig massivem Wachstum profitieren alle Mitglieder der Gesellschaft. Die Umverteilung von Einkommen zwischen einzelnen Gruppen bei gegebenem niedrigerem Wachstum verliert im Vergleich zu derartigen, innerhalb einer Generation möglichen, Wohlstandssteigerungen an Wichtigkeit – selbst für die von Transfers profitierenden Mitglieder der Gesellschaft. Nicht wirtschaftliche Ungleichheit sollte daher im Fokus der Debatte stehen, sondern die Voraussetzungen für stärkeres Wachstum.

Erstmals erschienen bei IREF.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues

Technologischer Fortschritt macht uns wohlhabender. Er wirkt sich jedoch auf verschiedene Güter unterschiedlich aus. Einige Produkte werden durch technologischen Fortschritt deutlich günstiger und einander ähnlicher. Smartphones beispielsweise sind heute für Durchschnittsverdiener erschwinglich und das „beste Smartphone“ unterscheidet sich nur unwesentlich von einem durchschnittlichen Modell.

Auf andere Güter trifft das nicht oder kaum zu. Wohnungen im beliebtesten Stadtviertel zum Beispiel sind für Durchschnittsverdiener nur selten erschwinglich und Unterschiede zwischen der durchschnittlichen und der „besten Wohnung“ sind gravierend.

Technologischer Fortschritt führt also zu mehr Gleichheit im Konsum von Gütern, die in großer Zahl produziert werden können, während er die Ungleichheit im Konsum von Gütern wie einer Wohnung im beliebtesten Viertel kaum senken kann. Dadurch wird die verbleibende Ungleichheit im Konsum umso sichtbarer und möglicherweise schmerzhafter.

Fortschritt: Höhere Produktivität, mehr Wohlstand

Technologischer Fortschritt macht uns produktiver und somit reicher. Mit dem gleichen Arbeitseinsatz können wir mehr Güter und Dienstleitungen entstehen lassen. Wir profitieren täglich vom in der Vergangenheit erlangten technologischen Fortschritt. Pro Arbeitsstunde rettet die Ärztin heute mehr Leben, erntet der Landwirt mehr Gemüse, baut die Ingenieurin mehr Brücken, produziert die Fertigungsfachkraft mehr Fahrzeuge und setzt die Mechanikerin mehr Smartphones zusammen.

Technologischer Fortschritt: Mehr Gleichheit im Konsum

Der technologische Fortschritt und die mit ihm einhergehenden Wohlfahrtsgewinne haben in vielen maßgeblichen Bereichen die Ungleichheit im Konsum reduziert. Waren zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit ein eigenes Auto, die Flugreise in den Urlaub, ein Laptop oder Mobiltelefone noch Güter, die sich nur Großverdiener leisten konnten, sind sie heute für Durchschnittsverdiener und — in den meisten Fällen — auch für Personen mit unterdurchschnittlichem Einkommen erschwinglich.

Qualitätsunterschiede bei Laptops sind für gewöhnliche Nutzer kaum noch auszumachen. Hingegen sind qualitative Unterschiede einiger Autos auch für den Laien offensichtlich. Aber in Bezug auf beide Produktgruppen gilt, dass der technologische Fortschritt zu deutlich mehr Gleichheit im Konsum geführt hat.

In den 1920er Jahren hatte nur ein Bruchteil der Bevölkerung überhaupt Zugang zu motorisierten Fahrzeugen und der damit verbundenen unabhängigen Mobilität. Heute kommt ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland in diesen Genuss. In den 1980er Jahren hatten nur wenige Personen einen PC, geschweige denn einen Laptop. Heute können sich die meisten Menschen einen Laptop leisten oder bevorzugen sogar ein Tablet, Oder sie nutzen ein Smartphone, welches deutlich leistungsfähiger ist als die Laptops der 1980er Jahre. Auch die Urlaubsreise per Flugzeug — in den 1950er Jahren noch den Reichen vorbehalten — ist heute gewöhnlich. Dabei fliegen nur einige Business Class, aber der Unterschied zwischen Economy und Business Class ist marginal im Vergleich zum Unterschied zwischen Fliegen und Nicht-Fliegen.

Die genannten Güter taugen deshalb heute nur noch sehr wenig oder, wie Telefone und Laptops, so gut wie gar nicht mehr als Statusgüter.

Konsumungleichheit bei verbleibenden Positionsgütern

Andere Güter können allerdings durch technologischen Fortschritt schlicht nicht jedermann zugänglich gemacht werden, weil sie per Definition nur im begrenzten Umfang bereitstehen. Von offensichtlich möglichen unterschiedlichen Präferenzen abgesehen, kann es nur ein bestes Hotel der Stadt, ein schönstes Viertel der Stadt oder ein bestes Restaurant am Platz geben.

Güter wie die Übernachtung im besten Hotel, die Wohnung im schönsten Viertel und das Essen im besten Restaurant sind in reichen Gesellschaften prädestiniert für die Rolle als Statusgüter, von Ökonomen auch Positionsgüter genannt.

Positionsgüter schätzen Konsumenten nicht nur wegen der ihnen innewohnenden Eigenschaften, sondern auch weil nur relativ wenige andere Personen sie ebenfalls konsumieren können. Das Apartment direkt am Central Park ist also möglicherweise nicht nur attraktiv, weil es gegenüber dem Central Park liegt, sondern auch weil relativ wenige Personen direkt am Central Park wohnen können.

Werden wir wohlhabender und werden die meisten Güter für eine große Mehrheit der Bevölkerung zugänglich, gibt es folglich einige Güter, die der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung verwehrt bleiben, obwohl es sich bei ihnen nicht um neueste technologische Errungenschaften handelt. Die Konsumungleichheit bezüglich dieser Güter kann nicht abgebaut werden und wird angesichts der zunehmenden Gleichheit bei anderen Gütern umso spürbarer. Je intensiver der Wettbewerb um diese zwangsläufig besonders raren Güter ist, desto stärker steigt ihr Preis relativ zu den Preisen anderer Güter. Einer an wachsenden Wohlstand und zunehmender Gleichheit im Konsum gewöhnten Bevölkerung können sie dadurch zunehmend ein Dorn im Auge sein.

Abiturientenquote und Wohlstand: Starker Anstieg

Ein Blick auf die Entwicklung der Abiturientenquote in Deutschland eignet sich zur Illustration. Mit dem über die letzten Jahrzehnte deutlich gestiegenen Wohlstand ging ein ebenfalls deutlicher Anstieg des Anteils der Absolventen eines Jahrgangs mit Allgemeiner Hochschulreife einher.

 

 

Verließen 1970 deutschlandweit nur wenig mehr als 10 % der Absolventen die Schule mit dem Abitur in der Tasche, waren es 2015 knapp unter 35 %. Dabei reichte die Spanne auf Ebene der Bundesländer in 2015 von Bayern mit 28 % bis Hamburg mit 55 %.

Zur Orientierung: 1970 überstieg die Anzahl der Haushalte noch deutlich die Anzahl der Pkw und der Anteil der in den Urlaub fahrenden Bevölkerung lag mit ca. 40 % etwa 35 Prozentpunkte niedriger als heute. Ein paar Jahre zuvor, 1962/63, hatten nur 14 % der Haushalte ein Telefon, 34 % eine Waschmaschine und etwa ein Drittel aller Haushalte einen Fernseher. Heute trifft das auf nahezu 100 % der Haushalte zu. Die Ungleichheit im Konsum war 1970 bezüglich vieler Güter des alltäglichen Gebrauchs deutlich stärker ausgeprägt als heute.

Enttäuschte Abiturienten

Zurück zu den Abiturienten: Die 10 % der Absolventen mit dem höchstmöglichen Schulabschluss konnten 1970 noch auf viele Güter für Statuskonsum zurückgreifen. Heute stehen den Absolventen der höchsten Schulform relativ wenige Alltagsgüter zur Statusbekundung zur Verfügung. Zudem ist die Abiturientenquote seit 1970 deutlich gestiegen. Daraus folgt zweierlei.

Zum einen ist der Wettbewerb um die verbleibenden wirkungsvollen Positionsgüter — beispielsweise Wohnungen und Häuser in ausgewählten Lagen — heute intensiver. Diese Entwicklung hat gewiss ihren Anteil an steigenden Wohnungsmieten und Kaufpreisen für Immobilien in den beliebtesten Lagen der Städte.

Zum anderen mag diese Entwicklung zur Enttäuschung eines großen Teils der Bevölkerung beitragen. Sie haben in den meisten Fällen zwar Zugang zu ganz ähnlichen Gütern wie die wohlhabendsten 10 %. Sie müssen sich aber mit einer Wohnung in einer deutlich weniger attraktiven Gegend zufriedengeben, können ihren Winterurlaub nicht im beliebtesten Skigebiet der Schweiz verbringen und ihre Kinder nicht auf die Privatschule mit dem besten Ruf schicken. Das gilt für viele Menschen; mit und ohne Abitur.

Der Anstieg der Abiturientenquote führt lediglich besonders anschaulich vor Augen, dass mehr Gleichheit im Konsum vieler Güter — auch im Konsum von Bildung — zu einer stärkeren Wahrnehmung der weiterhin fortbestehenden Ungleichheit bezüglich weniger verbleibende Positionsgüter beiträgt. Viele Abiturienten werden in Zukunft enttäuscht sein, dass sie trotz Abitur und Studium nicht in Vierteln wohnen können, in denen Menschen leben, die ihnen sonst sehr ähnlich sind. Es mutet paradox an. Aber ein höherer Wohlstand und mehr Gleichheit im Konsum auf breiter Front können die verbleibende Konsumungleichheit umso unerfreulicher machen. Wir werden uns damit arrangieren müssen.

Die Alternative, Wohlstandsgewinne durch technologischen Fortschritt zu unterbinden, ist deutlich weniger attraktiv. Ungleichheit im Konsum würde sich weniger schnell auf einige ausgewählter Güter konzentrieren, aber nicht verschwinden und das allgemeine Wohlstandniveau würde langsamer zunehmen.

Erstmals erschienen bei IREF.