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Photo: Van Gogh „Weber am Webstuhl“ (1884), gemeinfrei

In der deutschen Politik wird gerne gejammert: über Ungleichheit und Fremde und Neid. Rechts wie links wird der Eindruck erweckt, früher wäre alles besser gewesen. Das ist grundfalsch. Es ist an der Zeit für eine neue Fortschrittsbewegung.

Früher war alles besser?

Warum denken so viele Menschen in Deutschland, dass „früher alles besser war“? Der Wohlstand wächst seit Dekaden, unterbrochen nur von Episoden internationaler Krisen. Noch nie waren Güterausstattung, Lebenserwartung und Mobilität in Deutschland so gut wie heute. Es muss also darin liegen, könnte man meinen, dass all die positiven Informationen schlicht nicht durchdringen. Doch des Pudels Kern ist: so richtig sie sind, selbst wenn die Argumente durchdringen, erzeugen sind doch allenthalben Abwehrverhalten. Stichworte: Lügenpresse, Elitendenken, Fake News. Was sind die Ursachen der allgegenwärtigen Vergangenheitsverherrlichung?

Dauerndes Gejammer über Ungleichheit und das Fremde

Im Grunde bestimmen insbesondere zwei Themen das Lamento über die aktuelle Situation in Deutschland. Von linker Seite wird das Gefühl propagiert, weite Teil der Gesellschaft würden „abgehängt“, während sich die Champagner-Elite auf Kosten der ehrlichen Leute eine Yacht nach der anderen kaufe. Die rechte Seite des politischen Spektrums, traditionell häufig ein wenig wirtschaftsfreundlicher, hat ein anderes Feindbild: Das Fremde. Hier sind es nicht die Reichen, sondern Flüchtlinge und ausländische Konzerne, die dem ehrlichen Deutschen Arbeit, Wohlstand und vor allem die Leitkultur stehlen.

Klar ist: weder wird Deutschland zu einem kultur- und rechtslosen Raum, weil es eine ohne Frage große organisatorische Leistung vollbringt und natürlich auch gewisse Risiken eingeht, indem es über eine Million hilfesuchende Menschen aufnimmt. Klar ist auch, dass von Wirtschaftswachstum und marktwirtschaftlichen Regeln alle Teile der Gesellschaft profitieren. Gerade auch die Ärmsten. Trotz der unterschiedlichen Feindbilder, sind Motivation und vor allem Lösungsansätze beider Seiten des Spektrums eng verwandt.

Fantasieprobleme führen zu echter sozialer Spaltung und Empörungspolitik

Die Motivation ist der Neid. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob Björn Höcke und Katja Kipping diese Missgunst auch selber empfinden, oder ob sie sie nur schüren, um im politischen Wettbewerb besser gehört zu werden. Am Ende steht die soziale Spaltung als Ergebnis einer Solidarisierung mit der gefühlt moralisch haushoch überlegenen Gruppe, die den vom Staat bevorzugten Eliten oder Migranten geradezu hilflos ausgeliefert sei. Doch nicht durch das Gefühl der moralischen Erhabenheit macht diese Strömungen so attraktiv, es sind die einfachen Lösungen. Es sind Lösungen wie „Reiche besteuern!“ oder „Kriminelle Ausländer abschieben!“.

Doch einfache Lösungen sind häufig zu kurz gedacht. Sie befriedigen einen Impuls der aufgestachelten Massen und verkennen dabei die langfristigen und fast immer negativen externen Effekte. Der französische Ökonom Frédéric Bastiat (1801-1850) sah genau darin das Problem einfacher Lösungen:

Dies ist der ganze Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Ökonomen: Der eine klebt an der sichtbaren Wirkung, der andere berücksichtigt sowohl die Wirkung, die man sieht, als auch diejenige, die man vorhersehen muss. Aber dieser Unterschied ist enorm, denn es ist fast immer so, dass die unmittelbare Folge günstig ist und die letztendlichen Folgen unheilvoll und umgekehrt.

Am Ende führen die Fantasie-Probleme nicht nur zu echter sozialer Spaltung, sondern im schlimmsten Fall zur Umsetzung verheerender Politik: Aus Neid wird Abschottung, aus Missgunst Fortschrittsfeindlichkeit.

Der Fortschritt sollte wieder zur gesellschaftlichen Strömung werden

Was kann die adäquate Antwort der Verfechter einer offenen Gesellschaft auf die Neid-Politik von rechts und links sein? Gesellschaftliche Strömungen entstehen dadurch, dass sie immer und immer wieder aufgegriffen werden. Mit vereinzelten Hinweisen auf Fakten wie den steigenden Wohlstand wird nur Abwehrverhalten erzeugt. Stattdessen wäre es an der Zeit, den Glaube an den Fortschritt wieder zu einer gesellschaftlichen Strömung zu erheben. Ahnlich wie in der Zeit der industriellen Revolution, die große Teile der Bevölkerung aus Subsistenzwirtschaft und Armut befreite. Gründe dafür gibt es genug:

In den letzten 200 Jahren hat die Weltbevölkerung eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchsen Bevölkerung und Lebensstandard kaum. Eine hohe Kindersterblichkeit, Hunger und eine geringe Lebenserwartung waren der Alltag der Menschen. Seit 1800 hat sich der Lebensstandard der Weltbevölkerung verfünfundvierzigfacht, bei gleichzeitig stetig wachsender Weltbevölkerung.

 

Charles I. Jones: “The Facts about Economic Growth” (2015) NBER Working Paper Series

Dieses Fortschritts-Wunder fußt auf genau dem, was ein wirrer Thüringer Ex-Geschichtslehrer und eine Stalinistin mit nationalen Vorlieben am liebsten beseitigen wollen: auf einer marktwirtschaftlich organisierten, offenen und pluralen Gesellschaft. Halten wir an diesen Institutionen fest, gibt es keinen Grund, warum das Fortschritts-Wunder nicht anhalten sollte. Dem Club of Rome zum Trotz: Ein Ende der absoluten Armut ist absehbar und wir müssen uns vor immer weniger Krankheiten fürchten.

Am Ende geht es aber auch darum, Alternativen anzubieten zum spalterischen Gejammer von rechts und links. Die Besinnung auf den Fortschritt, auf die eigene und die gesellschaftliche Entwicklung, ist dann hoffentlich sogar ein wirksames Mittel gegen den lodernden Populismus in der deutschen Politik.  Statt wehmütig in eine verklärte Vergangenheit zurückzublicken, sollten wir also die Zukunft in den Fokus nehmen, mit all ihren Herausforderungen. Keine neue Erkenntnis, sagte doch schon Seneca: „Es ist schon ein großer Fortschritt, den Willen zum Fortschritt zu haben.“

 

Photo: Nathan Anderson from Unsplash (CC 0)

Passend rund um das gerade stattgefundene Stelldichein beim Weltwirtschaftsforum in Davos werden von interessierter Seite wieder Verteilungsdebatten angezettelt. Oxfam und jetzt auch das DIW berechnen möglichst spektakuläre Vermögensvergleiche. Soundso viele Vermögende besitzen mehr als die Hälfte oder noch mehr des Vermögens der Weltbevölkerung. Das sei ungerecht. Die einen sprechen sich für globale Umverteilung aus, andere wollen große Vermögen im eigenen Land höher besteuern. In dieser aufgewühlten Zeit ist es daher schon ein Lichtblick, wenn ein Grüner nicht in diese Fanfare bläst. Deren Vordenker Ralf Fücks hat sich in einem erfrischenden Beitrag in der Welt ganz im Erhardschen Sinne für eine Politik ausgesprochen, die „Eigentum für alle“ zum Ziel hat. Also keine Vermögensteuer, sondern die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Beteiligung der Bevölkerung am Produktivvermögen. Das ist schon einmal ein Anfang.

Das Auseinanderfallen von Vermögen und Erwerbseinkommen muss auch eingefleischte Marktwirtschaftler nachdenklich machen. Zwar sind die Ursachen nicht monokausal, sondern wahrscheinlich vielschichtig, aber sehr schnell kommen auch Marktwirtschaftler bei dieser Entwicklung in Erklärungsnot. Zumindest die Entwicklung der Vermögensgüter zeigt das. Allein die Vermögenspreise sind im dritten Quartal 2017 um 8,7 Prozent gestiegen, Betriebsvermögen sogar um 22,9 Prozent und Aktien um 13 Prozent. Und selbst Immobilien sind in diesem Zeitraum um 7,7 Prozent gestiegen. Seit 2009 sind Vermögenspreise insgesamt um rund 50 Prozent gestiegen. (Quelle: FVS Vermögensindex Q3-2017). Da ist im Vergleich die Entwicklung der Reallöhne von 2007 bis 2017 von nominal 22,7 Prozent (preisbereinigt 10 Prozent) dann doch eher überschaubar.

Sehr schnell sind viele da, ob bewusst oder unbewusst, bei den Theorien von Karl Marx, der das Anhäufen von immer mehr Kapital auf Kosten der Arbeiterklasse zum Gesetz erklärte und daher zum Klassenkampf aufrief. Daraus folgten und folgen vielleicht noch immer viele Tragödien des real existierenden Sozialismus. Doch es gibt auch eine marktwirtschaftliche Begründung für diese Entwicklung. Diese hat mit der Intervention des Staates in das Geldwesen zu tun. Geld und dessen Umlaufmenge ist heutzutage ein staatliches Produkt. Der Staat und seine dafür beauftragte Notenbank bestimmt direkt und mittelbar über die Kreditvergabe der Banken die Umlaufmenge des Geldes. Alleine in den letzten 10 Jahren ist im Euroraum die Geldmenge (M3) um jährlich 3,24 Prozent und in den letzten 20 Jahren sogar um 5,35 Prozent pro Jahr angestiegen. Das ist in allen Fällen höher als das jeweilige jährliche Wachstum im Euroraum. Dieses billige Geld sollte Konjunkturen befeuern, trieb aber tatsächlich die Aktien- und Immobilienpreise an. Die Liquiditätsschwemme führte und führt zu Blasen an den Märkten für Vermögensgüter, deren Platzen immer wieder durch noch billigeres Geld abgemildert oder verhindert wurden.

Das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun. Denn in einer Marktwirtschaft gehört das Ausscheiden einzelner Marktteilnehmer ebenso dazu wie deren Erfolg. Wer die Insolvenz von Unternehmen, Banken und Staaten verhindert, versündigt sich daher an der Marktwirtschaft und trägt zur ungerechtfertigten Schonung von Vermögen bei.

Die Wirkung der Geldmengenvermehrung auf die Marktteilnehmer und ihre Verteilungseffekte sind nicht neu. Der irische Ökonom Richard Cantillon beschrieb dies bereits im 18. Jahrhundert. Cantillon war der Meinung, dass eine Geldmengenausweitung nicht für alle gleichzeitig vorteilhaft sei, sondern diejenigen, die das neue Geld zuerst erhalten, profitieren zuerst von dieser Geldmengeninflation. Sie können zuerst mit dem neuen Geld arbeiten, bevor die Geldvermehrung bei allen Wirtschaftsteilnehmern angekommen ist. Die Nutznießer sind der Staat, die Banken und eben Vermögensbesitzer. Diejenigen die am Ende der Verwertungskette des neuen Geldes stehen, müssen höhere Preise bezahlen, sei es als Konsument, sei es als Mieter oder sei es als jemand, der Handwerkerleistungen in Anspruch nehmen will. Dieser Cantillon-Effekt ist Ursache dafür, dass Staat, Banken und auch Vermögensbesitzer tendenziell profitieren und Konsumenten, Handwerker und Arbeitnehmer eher die Nachteile zu tragen haben.

Die Ursache für das Auseinanderfallen des Vermögens im Verhältnis zum Arbeitseinkommen hat daher mit der Marktwirtschaft sehr wenig zu tun. Denn in einer Marktwirtschaft würde ein Marktzins existieren, der das Marktrisiko abbildet und gleichzeitig die Zeitpräferenz berücksichtigt. Das heißt, der zeitliche Verzicht des Geldhalters wird durch einen Preis (den Zins) belohnt, den der Kreditnehmer zu zahlen hat.

Und es ist auch deshalb keine Marktwirtschaft, weil in einer Marktwirtschaft die Insolvenz von Unternehmen, Banken und Staaten eine zwingende Voraussetzung ist. Das Ausscheiden aus dem Markt ist ebenso wichtig wie das Aufsteigen. Es ist die andere Seite der Medaille der Marktwirtschaft. Schließt man das Ausscheiden aus, dann können Banken mit sehr viel weniger Eigenkapital wirtschaften, Risiken zu Niedrigzinsen eingehen und ein viel größeres Rad drehen. Am Ende sind sie dann so groß, dass sie bei einer drohenden Schieflage immer wieder den Steuerzahler erpressen können. Wer die Marktwirtschaft retten will, muss hier ansetzen und die Manipulation des Zinses beenden.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Photo: StockSnap from Pixabay (CC0)

Forderungen, wie die nach einer Bürgerversicherung, sind Ausdruck eines unheilvollen Phänomens. Geblendet durch die Gleichheitsbrille werden Scheinprobleme geschaffen und soziale Spaltung betrieben.

Im Kern der Bürgerversicherung steht die Abschaffung der privaten Krankenversicherungen

Die SPD will die Bürgerversicherung. Seit Jahrzehnten in SPD-Wahlprogrammen zu finden, könnte sie nun endlich umgesetzt werden. Kern der Forderung ist nicht etwa eine Einheitsversicherung nach britischem Vorbild. Das wäre rechtlich auch nur schwer umsetzbar, können doch die Privatversicherungen nicht vom einen auf den anderen Tag enteignet werden. Vielmehr sollen niedergelassene Ärzte in Zukunft die gleichen Honorare für die Behandlung von Privat- und Kassenpatienten erhalten. Die Fachärzte vor Ort hätten damit keinen Anreiz mehr, Privatpatienten mehr Komfort zuteilwerden zu lassen. Folglich würde es für Versicherte kaum noch Sinn ergeben, die hohen Prämien für Privatversicherungen zu zahlen und letztere würden langsam ausbluten. Im Kern geht es also um die schlichte Abschaffung der Privatversicherungen durch die Hintertür. Das Ende der „Zweiklassenmedizin“, ein hehres Ziel oder etwa nicht?

Der Mythos der Zweiklassenmedizin verkennt die Solidarität im deutschen Gesundheitssystem

Tatsächlich verkennen die Befürworter der Bürgerversicherung alle im Gesundheitssystem existierenden Herausforderungen und kreieren stattdessen ein Scheinproblem. Mit dem Kampfbegriff der Zweiklassenmedizin schaffen die sie den Mythos, dass 90% der Deutschen permanent unterversorgt seien und nicht dem Stand der Forschung entsprechend behandelt würden. Sicher: Privatpatienten können sich beispielsweise an kürzeren Wartezeiten erfreuen. Doch sollte dieses Privileg wegfallen würde dies beispielsweise die Warteizeit für Kassenpatienten nur marginal beeinflussen.

Andererseits gilt jedoch: Die nur ca. 10 % Privatversicherten generieren etwa 25 % der Honorare für niedergelassene Ärzte. Ohne die im Gegensatz zur Kassenmedizin nicht budgetierten, also nicht gedeckelten Einkünfte aus der Privatmedizin könnten viele fachärztliche Praxen nicht existieren. Und gerade die niedergelassenen Ärzte garantieren mit viel Herzblut und Engagement die liebgewonnene Versorgung in der Fläche. Schließlich sind sie kleine Unternehmer, die einen viel persönlicheren Bezug zu ihren Patienten und ihren Praxen haben als angestellte Ärzte in gesichtslosen medizinischen Versorgungszentren. Tatsächlich finanzieren die Privatversicherten also die Versorgung der Kassenversicherten durch ihre hohen Beiträge und zusätzlich noch durch Steuerzahlungen zu einem Großteil mit.

Das bedeutet: Wenn die privaten Versicherungen ausgetrocknet werden, wir aber gleichzeitig den jetzigen Stand der Versorgung auch nur aufrechthalten wollen, müssen die Beiträge oder die Steuerzuschüsse drastisch steigen. Die Bürgerversicherung wird damit gerade für jene ein teures Prestigeprojekt, die eigentlich von ihr profitieren sollten. Dabei gäbe es viele wirkliche Probleme im Gesundheitssektor zu lösen: Fehlende Pflegekräfte, Unterversorgung im ländlichen Raum und ausufernde Arzneimittelkosten. Aber keines dieser Probleme wird durch das Ende der privaten Versicherungen gelöst. Vollkommen undifferenziert erhebt die SPD die schlichte Gleichheit zum obersten Primat ihrer Politik und verkennt den Solidaritätsgedanken, der dem zweigleisigen deutschen Gesundheitssystem bereits zu Grunde liegt.

Geblendet durch die Gleichheitsbrille wird soziale Spaltung betrieben

Im Kern ist die verkorkste Idee, das deutsche Gesundheitssystem durch die Abschaffung der privaten Versicherungen zu reformieren, nur Symptom eines viel größeren Phänomens. Gerade im linken Spektrum tragen viele die Gleichheitsbrille, die den Blick auf wirklich existierende Probleme verschleiert. Sei es die „Schere zwischen Arm und Reich“ oder der Gini-Koeffizient: Zumeist ist Ungleichheit ein Problem, dessen Lösung niemandem hilft, und die Gleichheit als Selbstzweck über die Nöte der Bedürftigen erhebt.

Zugegeben, in einigen Bereichen ist die Gleichheit zentraler Bestandteil unseres Zusammenlebens. Die Gleichheit vor dem Gesetz, vor den Gerichten, ist ein ebenso unerlässliches Prinzip wie das gleiche Gewicht jeder Stimme bei demokratischen Wahlen. Anders verhält es sich jedoch mit Blick auf Güter und Einkommen. Es ist absolut legitim und sogar notwendig, dass einige Menschen in einer rechtsstaatlichen Ordnung mehr erlangen als andere, sei es durch Können oder manchmal auch nur durch Glück. Wichtig ist, dass Institutionen existieren, die jeden in die Lage versetzen, sein sprichwörtliches Glück zu machen. Institutionen wie ein gutes Bildungssystem, unabhängige Gerichte oder auch nur die Personenfreizügigkeit, wie wir sie in der Europäischen Union erfahren.

Würden von heute auf morgen alle Millionäre enteignet, dann würde die gemessene relative Armut in Deutschland drastisch sinken. Tatsächlich jedoch hätte kein einziger Facharbeiter, kein einziger Leistungsempfänger und keine einzige Hausfrau auch nur einen Cent mehr. Gleiches gilt für die Abschaffung der privaten Versicherungen: ganz im Gegenteil würden die unteren Einkommen sogar mehr belastet. Geblendet durch die Gleichheitsbrille befördert so das linke Spektrum mit solchen Forderungen die soziale Spaltung statt sie zu beheben. Denn es ist nicht anderes als purer Neid und Missgunst, die Politikvorschlägen wie der Bürgerversicherung zu Grunde liegen. Gerade die seit langem taumelnde SPD könnte viel gewinnen, wenn sie die Gleichheitsbrille endlich absetzen und sich Problemen zuwenden würde, von deren Lösung tatsächlich einmal jemand profitiert.

Photo: Radio Bremen

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Wir sollten auf der Hut sein, die Vergangenheit zu romantisieren. Unsere Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ ruft Politiker auf den Plan, die Maßnahmen vorschlagen, um die verklärte Vergangenheit wiederzubeleben. Oft bewirken gerade derartige rückwärtsgewandte Vorschläge das Gegenteil.

Loriot war ein Meister darin, die subtilen Gefühle seiner Mitmenschen humoristisch aufzuarbeiten. Das Gefühl, früher sei alles besser gewesen, kann kaum prägnanter zusammengefasst werden als mit dem berühmten Satz von Opa Hoppenstedt: “Früher war mehr Lametta”. Tatsächlich hing früher mehr Lametta an unseren Weihnachtsbäumen. Dennoch neigen wir dazu, die Vergangenheit zu verklären. Frühere Probleme erscheinen im Rückblick weniger dramatisch als heutige, während Erinnerungen an die guten Momente von früher heutige Erlebnisse in den Schatten stellen. Schließlich war früher sogar der Humor besser.

Umfragen zeigen regelmäßig, dass sich Deutsche nach den “guten alten Zeiten” zurücksehnen. Besonders gut kommen dabei die 70er und 80er Jahre weg. Fast jeder Zweite findet, dass es in den 1980er Jahren besser war als heute. Auch im Hinblick auf die Zukunft scheinen die meisten Deutschen wenig optimistisch zu sein. Nur 15% erwarten in 50 Jahren bessere Lebensverhältnisse als heute. Fast die Hälfte erwartet eine Entwicklung zum Schlechteren. Diese Einschätzungen sind nur schwerlich mit messbaren Verbesserungen der Lebensqualität über die vergangenen Jahrzehnte in Einklang zu bringen.

Das Lametta der Politiker

Nicht nur Loriot hat unsere heimliche Sehnsucht nach den “guten alten Zeiten” erkannt, auch Politiker. Früher waren angeblich Renten und Jobs sicher, Autobahnen und Schulen in tadellosem Zustand, das Ausmaß der Armut geringer und die Menschen somit glücklicher. Regelmäßig schlagen Politiker Reformen vor, die wünschenswerte und scheinbar in der Vergangenheit bereits realisierte Verhältnisse wieder herbeiführen sollen. In dieses Bild passt jedoch nicht, dass Deutsche heute zufriedener sind als je zuvor seit der Wiedervereinigung.

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz möchte Teile von Hartz IV wieder zurücknehmen. So soll das Arbeitslosengeld wieder wie früher länger gezahlt werden. Die schmerzlich hohen Arbeitslosenzahlen der Vergangenheit scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Auch der derzeitige US-Präsident überzeugte mit seinem Versprechen, Amerika wieder groß zu machen, viele Wähler. Handel durch Protektionismus einzuschränken wird den Menschen jedoch kaum die erhofften Jobs zurückbringen und ihnen vor allem in der langen Frist schaden.

Länger und reicher leben

Ein Blick auf abstrakte Kennzahlen wie das Pro-Kopf-Einkommen oder die Lebenserwartung deuten anders als die Referenzen auf die „gute alte Zeit“ darauf hin, dass in der Vergangenheit gewiss nicht alles besser war, sondern vielmehr schlechter. Heute lebt in Deutschland gemessen am Einkommen pro Kopf nicht nur die reichste Generation, sondern auch die mit der höchsten Lebenserwartung. Noch nie war das durchschnittliche erwartete Lebenseinkommen höher. Das reale durchschnittliche Einkommen hat sich seit 1970 mehr als verdoppelt. Frauen, die 1970 geboren wurden, haben eine Lebenserwartung von 73,4 Jahren. Frauen, die im Jahr 2015 geboren wurden, können erwarten, im Schnitt 10 Jahre länger zu leben. Heute geborene Männer werden sogar 11 Jahre länger leben als 1970 zur Welt gekommene Allerdings werden sie noch immer früher sterben als weibliche Gleichaltrige.

Früher Luxus, heute Standard

Diese Fortschritte sind nicht nur ausgewählten Mitgliedern der Gesellschaft vorbehalten. Auch bei den relativ Ärmsten der Gesellschaft können deutliche Verbesserungen festgestellt werden. So entspricht der heutige ALG II-Satz inklusive der nicht-monetären Leistungen etwa dem durchschnittlichen Einkommen des Jahres 1972.

Häufig wird gegen diese relativ abstrakten Kennzahlen eingewandt, es handele sich nur um eine wenig aussagekräftige Betrachtung von Durchschnittswerten. Die seien nicht dazu geeignet einzuschätzen, wie sich das Leben der Menschen verändert hat, welche sich unter dem Durchschnitt wiederfinden und beispielsweise weniger als das durchschnittliche Einkommen erzielen.

Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen, bietet die Betrachtung der Veränderung der Verbreitungsgrade von Gütern. Steigt der Anteil der Haushalte, die über ein bestimmtes Gut verfügen, deutlich, handelt es sich gewiss nicht um eine Verbesserung der Lebenssituation einiger weniger Haushalte oder Personen, sondern einer breiten Gruppe der Bevölkerung.

 

Daten bezüglich der Entwicklung des Verbreitungsgrades liegen für Deutschland leider nur für einige ausgewählte Güter vor. Dennoch sind die bereitstehenden Daten aufschlussreich. Der Gebrauch vieler Güter und Dienstleistungen, die wir heute für selbstverständlich erachten, war in einigen Fällen vor wenigen Jahrzehnten — in der „guten alten Zeit“ — nicht selbstverständlich.

So waren Geschirrspülmaschinen 1973 Luxusgüter. Das Geschirr wurde in nur 6,9 % der Haushalte von einer Spülmaschine gereinigt — wohlgemerkt in Westdeutschland. Bis zum Jahr 2013 hatte sich der Anteil der Haushalte, die eine Geschirrspülmaschine benutzen, auf 67,3 % fast verzehnfacht.

Im Jahr 1973 verfügten nur 51 % der Haushalte über ein eigenes Telefon. 40 Jahre später war in 99,8 % der Haushalte ein Telefon zu finden. Während im Jahr 2013 95,1 % der Haushalte mit einem Farbfernseher ausgestattet waren, traf das 1973 auf nur 15 % zu.

Die Bedeutung von Haushaltsgeräten sollte nicht unterschätzt werden. Hans Rosling zeigt, wie sehr Hausarbeit beispielsweise durch die Waschmaschine erleichtert wird. Heutzutage verfügen über 94 % der Haushalte in Deutschland über eine eigene Waschmaschine.

Die Zahlen unterschlagen zudem, dass Farbfernseher heute einen deutlich angenehmeren Filmabend ermöglichen als vor 40 Jahren, Spülmaschinen Schmutz effektiver beseitigen und Telefone nicht mehr an einer Schnur hängen.

Umso beeindruckender ist die Entwicklung der Verbreitungsgrade bezüglich ausgewählter Güter zudem angesichts der gesunkenen Durchschnittsgröße von Haushalten. Obwohl in einzelnen Haushalten heute durchschnittlich weniger Personen leben, stiegen die Verbreitungsgrade pro Haushalt. Pro Person sind also die Verbreitungsgrade noch schneller gestiegen.

Marktwirtschaft funktioniert!

Der technische Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte trug dazu bei, dass die Ungleichheit im Konsum zurückging. Die obigen Beispiele veranschaulichen, wie in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Luxusgüter- und Dienstleistungen, die zunächst nur für einige erschwinglich sind, nach und nach für nahezu jedermann zugänglich werden.

Wir sollten auf der Hut sein, die Vergangenheit zu romantisieren. Unsere Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ ruft Politiker auf den Plan, die Maßnahmen vorschlagen, um die verklärte Vergangenheit wiederzubeleben. Oft bewirken gerade derartige rückwärtsgewandte Vorschläge das Gegenteil. Sie neigen dazu, die Triebfedern zu schwächen, die den Fortschritt ermöglichen und damit zu einem angenehmeren Leben für alle beitragen. Weder würde die von Donald Trump propagierte Abschottungspolitik nach außen Amerika wieder großartig machen, noch würden in Deutschland mit Zurücknahme der Agenda 2010 wieder sozialpolitische Paradieszustände zurückkehren. Wir sollten uns regelmäßig daran erinnern, dass zwar früher mehr Lametta war, aber bestimmt nicht alles besser.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Cornelius Kibelka from Flickr (CC BY-SA 2.0)

In der Weihnachtszeit wird wieder fleißig gespendet – auch um das eigene Gewissen zu beruhigen. Dabei müsste bereits heute kein Mensch mehr in absoluter Armut leben, wenn Gelder direkt bei den Ärmsten der Welt ankämen.

Niemals ist die ohnehin schon umfangreiche Spendenbereitschaft der Deutschen so groß wie in der Vorweihnachtszeit. Zwischen Glühwein und Einkaufsmarathons rückt, zumindest für kurze Zeit, die Armut in anderen Teilen der Welt ins Gedächtnis. Eine Spende an eine der großen Hilfsorganisationen ist schnell getätigt. Außerdem leisten wir mit unseren Steuergeldern ja sowieso einen Beitrag zur Entwicklungshilfe. Das Gewissen ist einigermaßen beruhigt, und fortan können wir uns wieder unbelastet auf die anstehenden Weihnachtsgelage freuen. Doch nur die wenigsten Menschen wissen, wie es tatsächlich um die weltweite Armut bestellt ist.

Absolute Armut auf dem Rückgang

So hat das niederländische Forschungsinstituts Motivaction herausgefunden, dass nur 0,5 % der befragten Deutschen bewusst ist, dass sich in den letzten 20 Jahren die Anzahl der weltweit in absoluter Armut lebenden Menschen halbiert hat. 92 % glauben gar, die Zahl sei gleichgeblieben. Tatsächlich wird die öffentliche Meinung von Meldungen über Hungerkatastrophen und den scheinbar „verlorenen Kontinent“ Afrika dominiert während ein Ende der absoluten Armut noch innerhalb der nächsten Jahrzehnte nicht unwahrscheinlich ist. Trotz der Erfolge, die vor allem auch auf die positiven Effekte der Globalisierung zurückzuführen sind, leben aber noch immer 900 Millionen Menschen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag.

Da erscheint der stets mitschwingende Ruf nach mehr Entwicklungshilfe nur logisch. Doch im Jahr 2015 zahlten die reichen Staaten der Welt insgesamt bereits 152 Milliarden US-Dollar an Entwicklungshilfe. Ganz vorne mit dabei ist auch Deutschland mit knapp 18 Milliarden US-Dollar. Doch wie lässt sich diese Zahl einordnen? Fakt ist: Schon heute übersteigt die weltweit gezahlte Entwicklungshilfe die Summe, die theoretisch notwendig wäre, um die absolute Armut komplett zu beenden, deutlich. Um die „Armutslücke“ zu schließen, sodass jeder Mensch auf der Welt mindestens 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung hat, wären „nur“ 80 Milliarden US-Dollar notwendig.

Das Problem sind die Staaten

Warum also gibt es überhaupt noch absolute Armut? Anstatt diejenigen Menschen, die in absoluter Armut leben, zu unterstützen, versanden die 152 Milliarden US-Dollar zu einem erheblichen Teil zwischen Bürokratie, Korruption und staatlicher Interessenpolitik. Afrikanische Despoten, wie der kürzlich gestürzte simbabwische Diktator Robert Mugabe und seine Entourage, konnten auf diese Weise astronomische Reichtümer anhäufen während die Menschen im selben Land Hunger leiden. Wirkliche Fortschritte gibt es in den ärmsten Ländern der Welt trotz massiver Entwicklungshilfe selten. Denn die Zahlungen bereichern nicht nur Despoten rund um die Welt, sie hebeln auch noch die Grundsätze demokratischer Rechenschaftspflicht aus. Wer über die Hälfte des nationalen Haushaltes aus internationalen Hilfsgeldern aufbringt, ist gar nicht darauf angewiesen, gute Politik im Sinne seiner Bürger zu machen – denn das Geld kommt schließlich nicht aus deren Taschen.

Sicherlich leistet die klassische Entwicklungshilfe mancherorts einen Teil zum Aufbau stabiler Institutionen, aber eben nur sehr langfristig und gerade in den ärmsten Ländern mit überschaubarem Erfolg. Viel schwerer wiegt aber die Frage, warum wir einer ganzen Generation der Hoffnungslosen erklären, dass es ihren Enkeln einmal besser gehen wird, wenn ihnen doch eigentlich heute schon geholfen werden könnte. Der Ökonom und Nobelpreisträger Angus Deaton fordert deshalb:

Warum nicht die Regierungen umgehen und Hilfe direkt den Armen geben? Sicherlich wären die direkten Auswirkungen sehr wahrscheinlich besser, speziell in Ländern, in denen besonders wenig staatliche Entwicklungshilfe die Armen erreicht. Und das Ganze würde erstaunlich wenig kosten – ca. 15 US-cents pro Tag von jedem Erwachsenen in der entwickelten Welt wären nötig.

Ein radikaler Alternativvorschlag: Direktzahlungen

Die Regierungen von Entwicklungsländern zu umgehen, hätte zahlreiche Vorteile. Ausufernden Bürokratien und Korruption würde weitestgehend der Boden entzogen. Diejenigen Menschen, die unterhalb der absoluten Armutsgrenze leben, würden die Unterstützung direkt über mobile Bezahlsysteme erhalten und sich auszahlen lassen können. Anstatt an den Bedürfnissen vorbeigeplante Leuchtturmprojekte zu erhalten, könnten die Menschen selber entscheiden, wofür Sie die Finanzmittel einsetzen. Sei es zu Investition oder Konsum: Nur auf diese Weise kann sich ein funktionierender Binnenmarkt entwickeln.

Sicher, ein solches Projekt bringt zahlreiche, aber auch lösbare Probleme mit sich. Es müsste sichergestellt werden, dass das Geld direkt bei den Begünstigten ankommt. Dafür sind sichere Online-Bezahlmethoden unerlässlich, die aber gerade auf dem afrikanischen Kontinent bereits weit verbreitet sind. Und dass ein solches System tatsächlich funktionieren kann, beweist die NGO „GiveDirectly“, die in einem großen Feldversuch in Uganda und Kenia Direktzahlungen erprobt hat. Im Ergebnis konnten Empfänger bereits auf kurze Sicht ihr normales Einkommen deutlich steigern.

Letztendlich sollte Entwicklungspolitik immer darauf abzielen, auf mittlere Frist obsolet zu werden. Seit dem Versagen des Washington-Konsens hat die weltweite Entwicklungshilfe durchaus Fortschritte gemacht. Doch Instrumente wie der vom Entwicklungshilfeminister verlangte Marshall-Plan für Afrika richten mehr Schaden an, als dass sie den Ärmsten der Welt helfen. Sie finanzieren vorwiegend überbordende Bürokratien und korrupte Despoten, und dienen letztendlich vor allem auch den geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Geberländer. Nachhaltige institutionelle Entwicklung als zentrale Voraussetzung für wirtschaftlichen Fortschritt kann jedoch nur über die Ermächtigung des Einzelnen führen. Dank des drastischen Rückgangs der absoluten Armut ist ein Ende der absoluten Armut durch Direktzahlungen an die Ärmsten der Welt bereits heute umsetzbar, warum also auf Morgen warten?