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Photo: Revolution_Ferg from Flickr (CC BY 2.0)

Von Robert Benkens, Student der Politkwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Germanistik.

Die Vorbehalte gegen den Freihandel sind zahlreich: Er betreibe eine Ausbeutung der unterentwickelten Länder zu Gunsten der reichen Industriestaaten, stehe für Demokratieabbau im Interesse großer Konzerne und Banken, zerstöre die Umwelt zu Lasten der Allgemeinheit. Kurzum: Freihandel ist böse und unfair, weil er Armut und Ungleichheit verstärke. Hier haben Freihandelsgegner einen ganz klaren Vorteil: Sie bringen Mitstreiter für das gefühlt Gute auf die Straßen, die Verteidiger des Freihandels hingegen bekommt die gewöhnliche Bevölkerung meist nur in Nadelstreifen und im professoralen Duktus im Fernsehen oder gar als Interessenvertreter bestimmter Verbände zu Gesicht. Wirklich mitreißend im Sinne einer „großen Freihandelserzählung“ ist das alles nicht.

Freihandel und seine Auswirkungen

Aber was ist überhaupt unter „Freihandel“ zu verstehen? Nicht jeder Handel ist gleich Freihandel. Und nicht alles, was im Welthandel heute passiert, sollten Freihandelsbefürworter gutheißen, sondern sich im Gegenteil im Namen eines wirklich freien Handels gegen bestehende Probleme einsetzen. Grundsätzlich meint Freihandel schlicht, dass Volkswirtschaften bzw. Unternehmen über Ländergrenzen hinweg verstärkt arbeitsteilig zusammenarbeiten, indem sie sich gemäß ihrer Fähigkeiten spezialisieren, dadurch einen Mehrwert produzieren und sich nicht gegeneinander abschotten. Dabei ist auf das Wort „frei“ zu achten: In einem wirklich freien Handel darf keiner Branche auf Kosten der Allgemeinheit ein Privileg von Seiten der staatlichen Politik eingeräumt werden, muss sich das einzelne Unternehmen also vor den Kunden am Markt bewähren, statt sich auf Zuwendungen des Steuerzahlers verlassen zu können. In gewisser Weise ist der Freihandel also das außenwirtschaftliche Pendant zur freien marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung im Inneren einer Volkswirtschaft. Auch wenn oder gerade weil es in der Vergangenheit und in der Gegenwart aufgrund eines fehlenden verbindlichen Rahmens auf internationaler Ebene nie den idealtypischen „freien Handel“ weltweit gegeben hat und dementsprechend auch heute noch unterschiedliche Schutzmaßnahmen bestehen und das Etikett „Freihandel“ fatalerweise häufig von bestimmten mächtigen Interessengruppen instrumentalisiert wird, soll hier gezeigt werden, warum der Weg zu einem schrittweise freier werdenden Handel grundsätzlich richtig ist, ohne dabei die wichtigsten Kritikpunkte Armut und Ungleichheit einfach außer Acht zu lassen.

Zunächst zum Vorwurf, der Freihandel bzw. die verstärkte Hinwendung zu globaler Arbeitsteilung in den letzten Jahrzehnten hätte die Armut in der Welt verstärkt. Abbildung 1 zeigt eine Zusammenstellung von Statistiken zur globalen Entwicklung in den letzten 200 Jahren:


Abbildung 1: Globale Entwicklung von extremer Armut, Grundbildung, Alphabetisierung, Demokratie, Impfschutz und Kindersterblichkeit in den letzten 200 Jahren (Quelle: Our World in Data).

Die Zahlen sind beeindruckend. So hat sich das Verhältnis bei der Armut geradezu umgekehrt: Lebten um 1800 von 100 Menschen 94 in absoluter Armut, so sind waren dies 2015 nur noch 10. Ähnliches lässt sich bei der Bildung feststellen: Um 1800 hatten nur 17 Kinder Zugang zu Grundschulbildung, im Jahr 2015 hingegen 86. Die Kindersterblichkeit ist von etwa 43 Prozent auf unter 5 Prozent gefallen. Die Alphabetisierung ist von 12 auf sagenhafte 85 Prozent weltweit gestiegen – und das alles bei einer Vervielfachung der Weltbevölkerung! Trotz zweifellos bestehender Probleme eine überaus vorzeigbare Bilanz, zu der Globalisierung und Freihandel entscheidend mit beigetragen haben. Das gilt insbesondere für die letzten Jahrzehnte, die in verstärktem Maße von einem zunehmenden grenzüberschreitenden Handel geprägt waren. Kritiker werden nun vermutlich sagen, dass sich diese positive Entwicklung vor allem auf den Reichtum der Industrieländer stütze und der Rest der Welt, vor allem die Entwicklungsländer, nach wie vor zu den Verlierern gehöre. Die Zahlen zu den Milleniumszielen der UN sagen hier etwas anderes:

Abbildung 2: Prävalenz extremer Armut, 1990 und 2010 (Quelle: Vereinte Nationen, Millenniums-Entwicklungsziele Bericht 2014).

Demnach hat sich die extreme Armut zwischen 1990 und 2010 in allen Weltregionen verringert, sogar in den ärmsten Regionen südlich der Sahara. Hierbei ist zudem festzustellen, dass (ehemalige) Entwicklungsländer, die sich tendenziell dem Weltmarkt geöffnet haben und über eine relativ stabile – wenn auch nicht immer demokratische – Regierung verfügen, am stärksten der absoluten Armut entkommen sind, namentlich: China mit mehreren hundert Millionen Menschen.

Der Freihandel kann somit zeitweise durchaus den Effekt haben, dass die Ungleichheit zwischen Ländern steigt, aber gerade nicht, weil er für mehr Armut sorgt, sondern weil er bei denjenigen, die sich ihm öffnen, für mehr Wohlstand sorgt, während andere, die sich abschotten, in Armut verharren. Würden die reichen Industriestaaten und aufkommenden Schwellenländer sich beispielsweise vom Freihandel zurück in eine protektionistische Planwirtschaft begeben, wäre die Welt wohl tatsächlich nicht so ungleich wie heute. Dafür wäre sie gleichermaßen bitterarm. Eine Abwendung vom Freihandel wäre somit gerade nicht die Lösung, sondern eine – zumindest schrittweise – Hinwendung zu diesem. Zudem bestätigt der langfristige Trend keineswegs, dass die Zunahme der Einkommensungleichheit zwischen den Ländern eine Art „ehernes Gesetz“ des Freihandels und der Globalisierung ist. Ein aktueller Artikel des dänischen Statistikers Bjørn Lomborg verdeutlicht dies.

Nachdem die Ungleichheit zwischen 1820 und 1990 drastisch hochgeschnellt ist, nimmt sie seitdem schrittweise wieder ab. Der globale langfristige Trend weist also sowohl auf ein Mehr an absolutem Wohlstand hin als auch auf ein tendenzielles Zusammenwachsen ehemals völlig ungleicher Volkswirtschaften. Lomborg: „Mit dem schnellen Wirtschaftswachstum in einigen Schwellenländern, besonders in China seit 1978 und in Indien von 1990 an, sind die Einkommen von sehr vielen in der ärmsten Hälfte der Welt stark gestiegen. Dem Großteil der ärmeren Hälfte der Welt gelang es aufzuholen.

Ganz hartnäckige Globalisierungsgegner werden angesichts dieser Ergebnisse nun vielleicht ausweichend argumentieren, dass die „Schere“ nicht mehr primär zwischen den Ländern, sondern durch sie hindurch verlaufe. Zweifelsohne verstärkt freier Handel häufig auch Ungleichheiten innerhalb von Ländern, da bestimmte Gruppen mehr von ihm profitieren als andere und einige auch zu den Verlierern des Strukturwandels gehören. Aber wie sieht es unterm Strich, also gesamtwirtschaftlich aus? Nun, schauen wir uns dazu den Gini-Koeffizienten an, der die Ungleichheit innerhalb der Länder misst:

Abbildung 3: Gini-Koeffizient (in Prozent) der Einkommensverteilung (Quelle: Weltbank, 2014).

Nach dieser Messung läge die absolute – in der Realität nicht herzustellende – Gleichheit bei 0. Die absolute Ungleichheit bei 60 aufwärts. Der Grafik ist zu entnehmen, dass die Länder mit einem freien Wirtschafts- und Handelssystem zu jenen mit tendenziell geringerer Ungleichheit gehören. Die Ungleichheit ist dagegen am größten in den abgeschotteten und korrupten Staatswirtschaften südlich der Sahara oder etwa auch im sozialistischen Venezuela, das aufgrund der weltweit größten Erdölquellen eigentlich in Geld schwimmen müsste.

Diese kurze Zusammenstellung der wichtigsten Trends zeigt: Ein freies, nicht korrumpiertes Wirtschafts- und Handelssystem sorgt nicht nur für sehr viel mehr Wohlstand, sondern auch dafür, dass arme Bevölkerungsschichten ebenfalls von ihm profitieren – auch wenn sich die Schere in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern nach Marktöffnung zweifellos geweitet hat, allerdings bei gleichzeitiger Steigerung des allgemeinen Wohlstandsniveaus. Der World-Ecomic-Freedom-Index bestätigt diesen grundsätzlichen Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und allgemeinem Wohlstand: „Die freiesten 25% aller Länder weisen ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 41.228 Dollar auf, die unfreiesten 25% dagegen kamen nur auf 5471 Dollar. Die ärmsten 10% der Bevölkerung in den freiesten Ländern erwirtschafteten ein Pro-Kopf-Einkommen von 11.283 Dollar, was deutlich über dem Gesamtdurchschnittseinkommen in den unfreiesten Ländern liegt.“ Umgekehrt hingegen gilt: Je mehr ein Land den Weg der Abschottung und Staatswirtschaft beschreitet, desto weniger Wohlstand gibt es insgesamt und umso mehr konzentriert sich dieser bei der winzigen Elite der Herrschenden.

Kritik und Bedingungen des Freihandels

Viele Kritiker verweisen nun darauf, dass die Ungleichheit in vielen Industriestaaten heute primär aufgrund zunehmender Vermögenskonzentration steige und dass „globale Finanzeliten“ hierdurch ganze Staaten „im Würgegriff“ halten und ihre politische Agenda diktieren könnten. Dabei vergessen sie allerdings, dass es gerade jene Staaten bzw. Regierungen waren, die sich im Zuge ihrer Wachstums- und Klientelpolitik auf Pump erst in die Abhängigkeit solcher Finanzakteure begeben haben und sich dann mitunter sogar gezwungen sahen, jene aufgrund ihrer wortwörtlichen „Systemrelevanz“ auf Kosten der Allgemeinheit zu retten. Die Folge war die zunehmende Entkopplung einer „boomenden“ Finanzwirtschaft von einer vielerorts stagnierenden Realwirtschaft und: steigende Ungleichheit.

Wer in der Globalisierung nur auf Protektion und Subvention einer ganzen Volkswirtschaft auf Pump setzt statt auf schrittweise Öffnung und Reformen, muss sich nicht wundern, wenn dafür früher oder später die Rechnungen ins Haus flattern. Die Mär davon, den „globalen“ Finanzeliten passiv ausgeliefert zu sein, verfestigt also nur die antipolitische und zynische Haltung unserer Tage. Der Schlüssel zum Wachstum und Wohlstand für alle liegt nach wie vor bei den Nationalstaaten – und hierfür können Globalisierung und Freihandel wichtige Voraussetzungen sein.

Doch wie kommt es, dass einige Staaten wohlhabender werden, während andere arm bleiben? Woher rührt der aufgezeigte Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und allgemeinem Wohlstand, der durch die Geschichte und auch in der Gegenwart immer wieder bestätigt wird? Wie kommt es, dass die DDR wirtschaftlich und letztlich politisch scheiterte, während die BRD sich zum Exportweltmeister mauserte? Warum leben noch heute die Menschen in Nordkorea in himmelschreiender Armut, während aus Südkorea die modernsten Technologien der Welt kommen? Daron Acemoglu und James A. Robinson weisen in ihrem vielbeachteten Werk „Warum Nationen scheitern“ darauf hin, dass weder die Geografie oder die Ressourcen noch die Kultur entscheidend seien. Logisch: Denn sowohl Nord- und Sükoreaner als auch Ost- und Westdeutsche leben unter weitgehend gleichen geographischen Bedingungen und „entstammen“ dem gleichen Kulturkreis. Für den Wohlstand eines Landes sind nach Acemoglu und Robinson vielmehr die Institutionen entscheidend: ein starker Rechtsstaat, der Bürger- und Eigentumsrechte verteidigt, Machtzentrierung durch Gewaltenteilung verhindert sowie eine solide öffentliche Infrastruktur für alle gewährleistet und vor allem Anreize zum Sparen, Investieren und Innovieren setzt. Eben diese Anreize werden genommen, wenn die Früchte der eigenen Arbeit willkürlich enteignet werden können oder der Markt unter einigen wenigen Akteuren, meist noch mit staatlicher Hilfe, protektionistisch aufgeteilt wird. Damit wären wir bei einem entscheidenden Punkt: Der Freihandel ist kein Patentrezept, er ist auf einen stabilen und im Idealfall demokratischen Nationalstaat angewiesen, der diese Institutionen bzw. Rahmenbedingungen gewährleistet, damit er seine wohlstandsförderlichen Effekte voll und für alle entfalten kann.

Das große Missverständnis bezüglich des Freihandels besteht nun darin, dass es zwar weltweit eine schrittweise Öffnung hin zum Welthandel gegeben hat, was einerseits zu enormen Wachstums- und Wohlstandseffekten beigetragen hat, dieser Schritt zur Marktöffnung andererseits aber gleichzeitig häufig von autokratischen oder klientelistischen Systemen initiiert wurde. Eine Verbindung von wirtschaftlicher Liberalisierung bei gleichzeitiger autoritärer Führung. Somit entsteht der Eindruck, dass Freihandel und Oligarchie natürliche Verbündete seien. Das ist aber falsch, ein wirklicher Freihandel zerstört oligarchische Strukturen, in denen mächtige Konzerne und Politiker den Markt unter sich aufteilen und andere ohne Rechte an den Rand drängen, indem er wirtschaftliche Machtpositionen durch verstärkten internationalen Wettbewerb immer wieder in Frage stellt und niemandem Privilegien eingeräumt werden. Dafür ist wirklicher Freihandel aber, wie gesagt, auf einen stabilen staatlichen Rechtsrahmen sowie demokratische Kontrolle der Machthabenden angewiesen.

Schön und gut, werden nun viele sagen, aber solche tollen politischen Rahmenbedingungen können wir gerade in Entwicklungsländern nicht einfach von außen einführen. Sollten wir dann nicht wenigstens aufhören, die miesen Produktionsbedingungen in solch politisch fragilen Staaten indirekt zu unterstützen, indem wir Geschäfte mit ihnen machen? Es stimmt ja, Freihandel allein kann beispielsweise nicht für Eigentums- und Arbeitnehmerrechte oder Umweltschutzstandards in Entwicklungsländern sorgen. Freihandel macht durch globale Wertschöpfungsketten aber gerade solche Missstände für Konsumenten und Bürger in reichen Ländern sichtbar. Dabei kann äußerer Druck durch die Konsumenten eine Rolle spielen, letztlich müssen menschenwürdige Standards und Grundrechte aber vor Ort politisch erkämpft und durchgesetzt werden.

Der Freihandel kann somit einerseits für Wachstumsperspektiven in Entwicklungsländern sorgen, andererseits kann er dort mit steigendem Wohlstands- und Bildungsniveau auch demokratische und rechtsstaatliche Prozesse anstoßen, so dass hoffentlich schrittweise immer mehr Menschen vom Wachstum profitieren. Denn mit steigendem wirtschaftlichen Wachstum werden die Menschen hoffentlich früher oder später auch zunehmend demokratische und rechtsstaatliche Standards einfordern – auch wenn viele die Kombination einer autoritären Führung und einer „freien“ Wirtschafts- und Handelspolitik angesichts der Beispiele von China und der Türkei für mittelfristig wahrscheinlicher halten. Mit einer Abwendung vom Freihandel oder einem Boykott ganzer Produktionsstandorte in Entwicklungsländern wäre jedenfalls beides gleichermaßen – Wohlstand und Demokratisierung – verloren. Nur weil wir beispielsweise Kinderarbeit nicht mehr direkt sehen würden, wäre sie nicht weg. Im Gegenteil: Sie würde sich von den Augen der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeobachtet wieder in die rückständigen Produktionsbetriebe des agrarischen Hinterlandes verlagern. Freihandel und Arbeitsteilung bieten den Ländern durch Wachstumsperspektiven die einmalige Möglichkeit, bitterer Armut und mit steigendem Wohlstand hoffentlich auch politischer Unterdrückung zu entkommen. Dem wirtschaftlichen Fortschritt folgt dann im Idealfall politischer und sozialer Fortschritt – wie einst in Europa.

Die Demokratisierung ist dabei natürlich keine automatische Folge des Freihandels nach dem Motto: Wenn ihr den Freihandel einführt, bekommt ihr gleichzeitig die Demokratie mitgeliefert. Gewissermaßen kann auch die politische Veränderung, also eine schrittweise Demokratisierung, an erster Stelle kommen und die Basis für den dann folgenden wirtschaftlichen Fortschritt sein, da Menschen in einer Demokratie mit sicheren Eigentumsrechten einen größeren Anreiz haben, wirtschaftlich tätig und innovativ zu sein. So oder so: Vieles spricht dafür, dass sich beides – wirtschaftlicher Aufschwung und demokratische Veränderung – auf lange Sicht gesehen gegenseitig bedingen. Der Freihandel bietet die große Chance (nicht die Garantie!), ein Wachstums- und somit Wohlstandsmotor für arme Länder zu sein und diese aus Klientel- und Mangelwirtschaft zu befreien.

Chancen des Freihandels

Die Demokratisierung ist dabei natürlich keine automatische Folge des Freihandels nach dem Motto: Wenn ihr den Freihandel einführt, bekommt ihr gleichzeitig die Demokratie mitgeliefert. Gewissermaßen kann auch die politische Veränderung, also eine schrittweise Demokratisierung, an erster Stelle kommen und die Basis für den dann folgenden wirtschaftlichen Fortschritt sein, da Menschen in einer Demokratie mit sicheren Eigentumsrechten einen größeren Anreiz haben, wirtschaftlich tätig und innovativ zu sein. So oder so: Vieles spricht dafür, dass sich beides – wirtschaftlicher Aufschwung und demokratische Veränderung – auf lange Sicht gesehen gegenseitig bedingen. Der Freihandel bietet die große Chance (nicht die Garantie!), ein Wachstums- und somit Wohlstandsmotor für arme Länder zu sein und diese aus Klientel- und Mangelwirtschaft zu befreien.

Denn nach David Ricardo, einem der Begründer der internationalen Freihandelstheorie im damaligen Europa, lohnen sich Freihandel und Arbeitsteilung für alle beteiligten Länder, sogar in dem unrealistischen Fall, dass ein Land alle Produkte besser, kostengünstiger und effizienter herstellen kann als ein anderes. Beide Länder spezialisieren sich auf das, was sie im Verhältnis zum jeweils anderen am besten oder kostengünstigsten herstellen können und konzentrieren ihre Ressourcen auf die Wertschöpfung in „ihrem“ jeweiligen Spezialgebiet. Dadurch steigt die Produktivität auf beiden Seiten deutlich an, mehr Handel und Konsum sind nun möglich, was Wachstum generiert, welches wiederum Grundlage für zukünftige Investitionen ist. Dabei ist Ricardos Ansatz trotz aller Abstraktheit keineswegs graue Theorie geblieben: Der angesprochene rasante wirtschaftliche Aufschwung in vielen Ländern Europas während der Industrialisierung zeigt dies überdeutlich. Aber auch in jüngster Vergangenheit hat die schrittweise Öffnung Chinas eindrucksvoll bewiesen, wie sich ein ehemaliges Armenhaus aufgrund seines Kostenvorteils beim Faktor Arbeit zur „Werkbank der Welt“ entwickeln konnte und heute zunehmend selbst hochwertige und Knowhow erfordernde Produkte herstellt.

Natürlich ist die Ungleichheit in China krass, weil insbesondere die ländlichen Regionen im Landesinnern noch nicht so vom Aufschwung profitieren konnten wie die urbanen Hotspots an den Küsten des Riesenreichs. Das allgemeine Wohlstandsniveau ist heute aber deutlich höher, die Löhne und der Lebensstandard steigen und nicht nur die Oberschicht, sondern auch die Mittelschicht ist deutlich gewachsen – was insbesondere wieder für Deutschland als Exportnation einen riesigen Absatz- und Wachstumsmarkt bedeutet und somit auch in Zukunft Wohlstand verspricht. Gleichwohl: Sogenannte „Globalisierungsverlierer“, egal in welchem Land, dürfen nicht aus dem Blick geraten. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob ein umfassender Protektionismus die richtige Alternative ist. Denn protektionistische Maßnahmen mögen zeitweise wirksam sein, um den Strukturwandel in alten Industrieregionen sozialpolitisch abzufedern oder um umgekehrt junge Industrien vorübergehend zu schützen, um sie schließlich fit für den Weltmarkt zu machen. Dies haben die USA Ende des 19. Jahrhunderts oder auch China Ende des 20. Jahrhunderts durchaus mit Erfolg vorgemacht. Das Ziel bzw. der Zweck war aber immer: Teilnahme und Teilhabe am internationalen Freihandel.

Zudem schafft erst eine starke Wirtschaft die finanziellen Mittel, die für die Unterstützung und Weiterbildung jener, deren Arbeitsplätze vom Freihandel bedroht sind, nötig sind. Ein umfassender Protektionismus hingegen kann kurzfristig die Kosten der Anpassung an die Weltwirtschaft hinausschieben – wie dies etwa beim Kohlebergbau in Deutschland der Fall war. Langfristig gerät das entsprechende Land oder auch die Region im weltweiten Wettbewerb aber ins Hintertreffen oder die Weltwirtschaft kühlt sich im Zuge eines „Abschottungswettbewerbs“ ab. Dann muss der „schützende“ Staat bei sinkenden Wachstumsraten und somit Einnahmen nicht nur eine bestimmte, sondern eine viel größere und wachsende Zahl von Transfer- und Subventionsleistungsempfängern bedienen.

Verteilungskampf statt Arbeitsteilung

So differenziert argumentieren rechte und linke Apologeten aber schon gar nicht mehr. Für linke und rechte Globalisierungsgegner ist der Freihandel per se immer und überall ein Nullsummenspiel – des einen Gewinn ist demnach des anderen Verlust. Lediglich die Antworten hierauf sind unterschiedlich: Während sich Rechte möglichst viel vom „globalen Kuchen“ vor „Barbaren“ sichern wollen, sehen Linke „den“ Westen in der Schuld, der etwas von seinem „Wohlstand abgeben“ müsse, damit es den armen Menschen in der Welt ein bisschen besser geht. Die Antworten sind zwar entgegengesetzt, die Logik aber ist dieselbe: Verteilungskampf statt Arbeitsteilung. Anstatt zusammenzuarbeiten und mehr herzustellen, konkurrieren in einem solchen Szenario immer mehr Menschen und Länder um den stetig sinkenden Wohlstand. Bald werden Marktanteile dann auch nicht mehr darüber gewonnen, dass Unternehmen über Ländergrenzen hinweg kooperieren und konkurrieren, um ihren Kunden in aller Welt immer mehr vielfältige, erschwingliche und bessere Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, sondern schlicht und einfach über das Schwert. Erst gerät also der Wohlstand, dann der Frieden in Gefahr.

Ein freies Wirtschaftssystem ist also eine nach innen gerichtete, ein freies Handelssystem eine nach außen gerichtete Bedingung für allgemeinen Wohlstand, aber auch für Frieden in der Welt, wenn man davon ausgeht, dass Menschen, die miteinander Handel treiben, wenig Interesse daran zeigen dürften, sich gegenseitig umzubringen. Viele „Globalisierungs- und Freihandelskritiker“ setzen Probleme wie Armut und Ungleichheit, die zweifellos auch im heutigen Welthandel trotz aller Erfolge noch bestehen, mit dem Freihandel gleich, obwohl sie viel mehr mit Protektionismus und Klientelwirtschaft zu tun haben: Wenn Staaten Großbanken aufgrund ihrer „Systemrelevanz“ retten, Gewinne dabei zu Gunsten weniger privatisiert und Verluste zu Lasten aller sozialisiert werden, dann wird damit doch gerade der Grundsatz marktwirtschaftlicher Haftung außer Kraft gesetzt und die Finanzbranche durch staatlichen Protektionismus geschützt. Wenn reiche Industriestaaten armen Entwicklungsländern unfaire Handelsbedingungen aufzwingen – ob in Form von Einfuhrzöllen oder Agrarsubventionen – hat dies nichts mit Freihandel, sondern doch gerade mit Protektionismus der Agrarbranche zu tun. Wenn Großkonzerne mit Hilfe der herrschenden Eliten in „failed states“ Landraub betreiben, Bauern enteignen und giftige Abwässer zurück in die Umwelt leiten, dann hat dies viel mit mangelnden Eigentums- und Klagerechten in den betreffenden Ländern zu tun. Wenn in solch armen Entwicklungsländern eine kleine Machtelite (nicht selten mit offener oder verdeckter Unterstützung aus dem Westen) die große Masse ausbeutet, dann ist das ebenfalls ein Skandal, hat aber nichts mit dem Freihandel und schon gar nichts mit dem Neoliberalismus, sondern mit Vettern- und Misswirtschaft – kurz Staatsversagen – zu tun. Dabei ist es weitgehend egal, ob es sich bei dem herrschenden Regime um einen alteingesessenen Clan, eine religiöse Theokratie, einen nationalistischen Autokraten oder auch um eine sozialistische Partei handelt. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Im Namen einer angeblich hehren Idee oder schlicht mit dem Recht des Stärkeren werden individuelle Freiheitsräume eingeschränkt, wird die Wirtschaft vom Staat kontrolliert, grassieren Korruption, Vettern- und Misswirtschaft. Zu oft stützt sich der liberalisierte Welthandel auf lokale Bedingungen, die nur als unfrei bezeichnet werden können. Deshalb sollte aber nicht der Welthandel und mit ihm ein wesentlicher Wachstumsmotor angehalten werden, sondern die Bedingungen vor Ort müssen geändert werden. Denn die notwendigen rechtsstaatlichen und demokratischen Bedingungen für einen wirklich freien Handel können zwar in Abkommen proklamiert und festgehalten werden, wirklich zur Geltung gebracht und durchgesetzt werden müssen sie aber vor Ort.

Diesbezüglich sollte zum Schluss noch mit einem großen Missverständnis aufgeräumt werden: Globalisierung sollte trotz aller wichtigen Entgrenzungen nicht bedeuten, dass regionale oder nationale Souveränitäten zu Gunsten eines technokratischen Apparates jenseits demokratischer Rechenschaftspflichten oder dass elementare Standards aufgelöst werden. Deutschland als eines der am meisten in den Freihandel eingebundenen Länder weltweit gehört gleichzeitig zu den Ländern mit den höchsten Sozial- und Umweltstandards. Hohe Standards, die in den demokratischen Nationalstaaten oder in Kooperation derselben erreicht wurden und wirtschaftlicher Erfolg durch Freihandel schließen sich also nicht aus. Dafür muss der Freihandel, wie zu Beginn angedeutet, aber auch im Kleinen verteidigt und gewollt werden – bisweilen auch angesichts schmerzhafter Reformen und Strukturveränderungen. Eine offene demokratische Debatte über die Vor- und auch Nachteile der Globalisierung, über den selbstbestimmten Grad der Öffnung – nicht nur bei Fragen des Handels, sondern auch der Migration – muss stattfinden. Ein abschätziges Herabblicken auf „rückständige Globalisierungsverlierer“ oder eine aufgezwungene Freihandelsagenda ist nicht der richtige Weg. In einer solchen Debatte sollten diejenigen, die Wohlstand, Freiheit und Frieden für alle anstreben, aber erkennen, dass der Gegner nicht im Freihandel zu sehen ist. Dieser ist in Eliten zu finden, die im Namen des Freihandels Interessenpolitik betreiben und sich dafür den Staat zur Beute machen, sowie in rechten und linken Globalisierungsgegnern, die ein Zurück in eine romantisierte (Mangel-)Wirtschaftswelt propagieren.

Erstmals erschienen bei Novo Argumente.

Photo: Wikimedia Commons

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Julian Reichardt, Student der Volkswirtschaftslehre an der Humboldt Universität zu Berlin.

Das Bundesfinanzministerium prognostiziert auch für die kommenden Jahre neue Rekordsteuereinnahmen. Die Zeit für Steuersenkungen scheint also gekommen. Während der Wirtschaftsflügel der CDU mit Blick auf die Bundestagswahlen 2017 niedrigere Einkommensteuersätze für alle Einkommensklassen in Aussicht stellt, möchten Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei ausschließlich Gering- und Mittelverdiener entlasten – und Besserverdiener durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes stärker zur Kasse bitten. Angesichts der unterschiedlichen Steuerpläne lohnt ein näherer Blick auf die Verteilung der Einkommensteuerschuld. So wird beispielsweise deutlich, dass bereits heute die einkommensstarke Hälfte der Steuerpflichtigen für knapp 90 Prozent der gesamten Einkommensteuer aufkommt. Deshalb müssen sie schwächer besteuert werden, wenn die Belastung der Steuerzahler durch die Einkommensteuer merklich reduziert werden soll.

Steueraufkommen, Einkommensquellen und Tarifverlauf

Die letzte umfangreiche Analyse zu den Verteilungseffekten der Einkommensteuer stammt aus dem Jahr 2013. In dem vom statistischen Bundesamt herausgegebenen Lohn- und Einkommensteuerbericht wird das Aufkommen der Einkommensteuer für 2012 mit 213 Milliarden Euro beziffert, etwa ein Drittel des gesamten Steueraufkommens.

Die wichtigsten Bemessungsgrundlagen waren Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit mit einem Anteil von 74 Prozent, gefolgt von gewerbebetrieblichen Einkommen mit einem Anteil von 11 Prozent sowie Einkommen aus selbständiger Arbeit mit einem Anteil von 6 Prozent.

Ab einem zu versteuernden Einkommen von 8.653 Euro ist der Durchschnittssteuersatz größer als null. Bei einem Einkommen von 53.666 Euro beträgt er 28 Prozent, wobei der zweithöchste Grenzsteuersatz in Höhe von 42 Prozent zur Anwendung kommt. Der Grenzsteuersatz von 42 Prozent wird für einen abhängig-beschäftigter Single also schon bei einem Bruttogehalt von etwa 65.000 Euro fällig.

Vielverdiener werden überproportional stark belastet

Die Anzahl der Steuerpflichtigen, die im Jahr 2012 Einkommensteuer zahlten, lag bei 22,5 Millionen. Sie setzt sich zusammen aus 11 Millionen steuerpflichtigen alleinstehenden Personen und 11,5 Millionen steuerlich gemeinsam veranlagten Ehepaaren. Insgesamt zahlten also 2012 rund 34 Millionen Personen Einkommensteuer.

Ein Einkommensmillionär – also ein Steuerpflichtiger mit einem zu versteuerndem Einkommen von über 1 Millionen Euro – verdiente 2012 etwa 38 Mal so viel wie der Medianverdiener mit einem zu versteuerndem Einkommen von 26.152 Euro. Allerdings zahlte der Einkommensmillionär aufgrund des progressiven Steuertarifs auch etwa 127 Mal so viel an Einkommensteuer.

Den Effekt der Progression auf die Verteilung der Steuerschuld veranschaulicht auch der Vergleich zweier Gini-Koeffizienten. Der Gini-Koeffizient misst die relative Konzentration einer Verteilung. Haben alle Personen gleich viel, nimmt der Gini-Koeffizient den Wert Null an – hat eine Person alles, den Wert Eins. Während der Gini-Koeffizient der zu versteuernden Einkommen 2012 bei 0,48 lag, belief sich der Gini-Koeffizient der Einkommensteuerzahlungen auf 0,67.

Ein kleiner Teil zahlt den Löwenanteil

2012 zahlte das einkommensstärkste Prozent aller Steuerpflichtigen etwas mehr als ein Fünftel der Einkommensteuer. Die einkommensstärksten 10 Prozent stemmten circa die Hälfte und die einkommensstärksten 50 Prozent kamen für etwa 88 Prozent der Einkommensteuer auf. Die untersten 50 Prozent zahlten dagegen lediglich um die 12 Prozent der gesamten Steuerschuld und die untersten 20 Prozent circa 2 Prozent.

Die Darstellung oben berücksichtigt nur Personen, die 2012 Einkommensteuer schuldeten. Wie sehr Personen mit hohen Einkommen bereits heute zum Aufkommen der Einkommensteuer beitragen, wird noch deutlicher, wenn die Verteilung der Einkommensteuerschuld auf alle Personen über 14 Jahre betrachtet wird. Diese Gruppe umfasst alle Menschen im erwerbsfähigen Alter und Rentner, zusammen etwa 70 Millionen Personen.

Werden alle 70 Millionen potentiell Steuerpflichtigen berücksichtigt, kamen die 10 Prozent einkommensstärksten von ihnen im Jahr 2012 für etwa 72 Prozent der festgesetzten Einkommensteuer auf, das einkommensstärkste Prozent für rund 28 Prozent.

Angesichts der von Vertretern einiger Parteien angeführten Argumente ist fraglich, ob sich alle an der Diskussion Beteiligten dessen bewusst sind. Wenn die 7 Millionen einkommensstärksten Steuerzahler 72 Prozent der Einkommensteuerschuld tragen, scheint sich nur schwerlich argumentieren zu lassen, sie würden im Rahmen der Einkommensteuer keinen angemessenen Beitrag zur Finanzierung staatlicher Aktivitäten leisten.

Nur wer Einkommensteuer zahlt, kann entlastet werden

Da die einkommensstarke Hälfte der Steuerpflichtigen etwa 88 Prozent der Einkommensteuer beiträgt, lässt sich eine merkliche Entlastung der Steuerzahler im Rahmen der Besteuerung von Einkommen nur herbeiführen, wenn ebenjene relativ einkommensstarken Mitglieder der Gesellschaft schwächer besteuert werden.

Viele einkommensschwache Personen können durch eine niedrigere Besteuerung von Einkommen nicht maßgeblich weiter entlastet werden. Als abhängig Beschäftigte führen sie zwar über 30 Prozent ihres Einkommens in Form von Sozialversicherungsbeiträgen an den Staat ab, zahlen aber schon heute relativ wenig Einkommensteuer. Mit steigendem Einkommen nimmt die relative Belastung durch die Einkommensteuer zu, während der Anteil der Sozialversicherungsbeiträge zunächst konstant bleibt, um bei Einkommen über den Beitragsbemessungsgrenzen abzunehmen.

Steuerentlastung durch Flat Tax

Während konstante Steuersätze das dominierende Element des deutschen Steuersystems sind, ist die Einkommensteuer die einzige große Einnahmequelle des Staates mit progressivem Tarifverlauf. Eine Steuersenkung könnte hier ansetzen und derart gestaltet werden, dass auch der Grenzsteuersatz der Einkommensteuer in Zukunft konstant verläuft.

Eine solche „Flat Tax“ zeichnet sich dadurch aus, dass sie sowohl leicht verständlich und mit wenig Aufwand zu administrieren ist als auch effizient, weil sie Ausweichreaktionen der Besteuerten minimiert, die im derzeitigen Einkommensteuersystem durch unterschiedliche Grenzsteuersätze hervorgerufen werden. Zudem kann der Durchschnittssteuersatz einer Flat Tax durch Freibeträge einen steigenden Verlauf haben, ohne ihre Einfachheit und effizienzfördernde Wirkung maßgeblich zu beschneiden.

Kombiniert werden könnte der Wechsel zu einer Flat Tax mit einer grundlegenden Neuausrichtung des Steuersystems. Ein verbrauchsorientiertes Steuersystem, in dem ausschließlich Arbeitseinkommen und Konsum besteuert werden, wäre vorzuziehen. Denn die heutige umfassende Besteuerung von Einkommen aus allen Quellen bringt eine Bestrafung von Sparern mit sich, die mit ihrem heutigen Konsumverzicht Investitionen in den Kapitalstock finanzieren.

Es gibt empirische Hinweise darauf, dass höhere Einkommensteuern und ein höherer Anteil von Konsumsteuern am Steuermix positiv mit Wirtschaftswachstum korreliert sind. Deshalb können sowohl von einer Steuerentlastung per Wechsel zur Flat Tax als auch durch einen Wechsel zur verbrauchsorientierten Besteuerung positive Wachstumsimpulse erwartet werden.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Wikimedia Commons

Von Prof. Dr. Thomas Mayer, Kuratoriumsvorsitzender von “Prometheus” und Gründungsdirektor des “Flossbach von Storch Research Institute”.

Eine der ältesten und gleichzeitig wichtigsten Einsichten der Volkswirtschaftslehre ist die Erkenntnis der Vorteile der Arbeitsteilung. Wenn sich jeder in der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen auf das konzentriert, was er am besten kann, und das von anderen eintauscht, was er selbst nicht herstellt, ist die Wohlfahrt aller sehr viel größer, als wenn jeder nur für den Eigenbedarf produziert. Und was für den Einzelnen in einem Land gilt, gilt auch für ganze Länder. Freier Handel zwischen den Ländern erhöht die Wohlfahrt aller Bürger dieser Länder. Kaum eine theoretische volkswirtschaftliche Erkenntnis ist durch die Wirklichkeit eindrucksvoller bestätigt worden als diese. Dennoch sind heute die Gegner des internationalen Freihandels im politischen Aufwind. Das zeugt von erstaunlicher Unkenntnis nicht nur über die wirtschaftlichen Vorzüge des Freihandels, sondern auch über den Zusammenhang zwischen Handel und Kapitalverkehr.

Freihandel schafft Gewinner und Verlierer. Die Begabten und Fleißigen können ihr Tätigkeitsfeld auf Kosten der weniger Begabten und Fleißigen ausweiten. Die zweite Gruppe versucht natürlich, sich gegen Konkurrenz von der ersten zu schützen. Sind beide Gruppen ungleich zwischen den Ländern verteilt, kann die Mehrheit der weniger Begabten und Fleißigen in einem Land Handelsbarrieren gegen die Begabteren und Fleißigeren im anderen Land organisieren. Dabei hilft ihr, wenn statt der auf Regeln fußenden Staatsform des liberalen Rechtsstaats die Staatsform der zweckorientierten Organisation der Gesellschaft besteht. Im zweckorientierten Staat versuchen starke Interessengruppen die Politik der Regierung zu bestimmen. Seit der Finanzkrise ist dies den Verlierern des Freihandels in einigen Ländern recht gut gelungen. Diese Verlierer versprechen sich von Importzöllen und anderen Handelshemmnissen Schutz vor ausländischer Konkurrenz. Doch sie übersehen, dass sie damit keine Änderungen der Handelsbilanzen erreichen können.

Vorübergehende Ungleichgewichte können im Handel auftreten, wenn es möglich ist, diese zu finanzieren. Eine Seite kann mehr Güter liefern als die andere, wenn sie von dieser Seite Zahlungsmittel statt anderer Güter annimmt. Der Ökonom und Finanzminister in der österreichischen Donaumonarchie Eugen von Böhm-Bawerk sah in den Finanzierungsmöglichkeiten die Ursache für Handelsungleichgewichte: „Die Zahlungsbilanz befielt, die Handelsbilanz folgt, nicht umgekehrt.“ Mit Zahlungsbilanz und Handelsbilanz meinte er das, was wir heute Kapital- und Leistungsbilanz nennen.

Sind die Kapitalströme das Ergebnis der Entscheidungen der Wirtschaftsakteure, kann man davon ausgehen, dass der Aufbau von Zahlungsmitteln durch Leistungsbilanzüberschüsse in der Gegenwart dazu dient, Leistungsbilanzdefizite in der Zukunft zu finanzieren. Werden jedoch die Kapitalströme von staatlichen Zentralbanken manipuliert, sind auch die sich daraus ergebenden Handelsströme politisch manipuliert. Heute werden die globalen Kapitalströme wesentlich von der Geldpolitik der Zentralbanken der USA, Japans, des Euroraums und in geringerem Maß Chinas beeinflusst. Da die Zinsen in Japan und im Euroraum von den dortigen Zentralbanken weit unter die Zinsen in den USA gedrückt wurden, fließt den USA Kapital zu. Die Defizite in den Kapitalbilanzen bestimmen die Überschüsse in den Leistungsbilanzen dieser Länder, und der Überschuss der Kapitalbilanz der USA bedingt das Defizit der Leistungsbilanz dort.

Der Zusammenhang ist in der unten stehenden Grafik für den Euroraum illustriert. Die Kapitalbilanz entwickelte sich im betrachteten Zeitraum von 2005 bis 2017 entsprechend der Differenz der Renditen auf zweijährige Bundesanleihen und US Staatsanleihen gleicher Laufzeit (wobei der deutsche und der amerikanische Zins für den jeweiligen Eckzins im Euroraum und in der Welt stehen). Als die Zinsdifferenz 2008-09 nach aggressiven Zinssenkungen der Federal Reserve vorübergehend zu Gunsten Deutschlands stieg, drehte die Kapitalbilanz in den positiven Bereich. Spiegelbildlich dazu wies die Leistungsbilanz ein Defizit auf. Mit dem Rückgang der Zinsdifferenz aufgrund der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank fiel auch der Überschuss der Kapitalbilanz und drehte in der jüngeren Vergangenheit in ein hohes Defizit. Dem entsprechend stieg der Überschuss der Leistungsbilanz. Dabei dürfte die Zinsdifferenz die Zahlungsbilanz über zwei Wirkungskanäle beeinflusst haben. Zum einen hat die Zinsdifferenz zu Ungunsten Deutschlands den Wechselkurs des Euro gedrückt und so die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im Euroland erhöht. Zum anderen dürfte die Zinsdifferenz zu einer Umleitung der Investitionen ins Ausland und damit zu einer Schwächung der Inlandsnachfrage geführt haben.

Euroraum: Zahlungsbilanz und Zinsdifferenz (Deutschland – USA) (2005 1.Vj. – 2017 1.Vj.)

Quelle: Haver Analytics

Solange die Kapitalströme sich nicht verändern, werden protektionistische Maßnahmen auch nicht die Leistungsbilanzen verändern können. Erhöhen die USA die Importzölle, wie von den Anhängern Donald Trumps gewünscht, muss der Wechselkurs des Dollars steigen, so dass das Leistungsbilanzdefizit weiterhin dem Überschuss in der Kapitalbilanz entsprechen kann. Doch kann sich natürlich die Zusammensetzung der Importe ändern, wenn die Zölle nur auf bestimmte Produkte erhoben werden. Möglicherweise werden dadurch die geschützten Bereiche besser, aber dafür andere Bereiche schlechter gestellt werden.

Es ist also sinnlos, Leistungsbilanzungleichgewichte, die durch Ungleichgewichte der Kapitalverkehrsbilanzen bestimmt sind, durch Handelsprotektionismus korrigieren zu wollen. Wer sich an diesen stört, sollte vielmehr die Zentralbanken dazu bringen, ihre Manipulation der Zinsen und die daraus folgenden Verzerrungen der internationalen Kapitalströme zu beenden. Können sich die Zinsen wieder am Markt bilden, dann kommt es zu Kapitalverkehrsbilanzen, die die Wünsche der Wirtschaftsakteure widerspiegeln, vorübergehende Ungleichgewichte im Handel von Gütern und Dienstleistungen finanziell zu überbrücken.

 

Photo: Pedro Ribeiro Simoes from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander FinkUniversität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Die gesetzlichen Sozialversicherungen weisen eine interessante Eigenart auf: Für Beamte und Abgeordnete sind sie entweder nicht verpflichtend oder Beamte und Abgeordnete können nicht Mitglied sein. Das ist bemerkenswert. Abhängig Beschäftigte sind grundsätzlich verpflichtet, Mitglieder der von der öffentlichen Hand angebotenen Sozialversicherungen zu sein. Die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betrauten Abgeordneten und Beamte hingegen können sich grundsätzlich gegen die Sozialversicherungsangebote der öffentlichen Hand entscheiden. Um die Interessen von Abgeordneten und Beamten besser in Einklang zu bringen mit denen der übrigen Bevölkerung, sollten die Regeln der Sozialversicherungen stets universell angewandt werden und somit auch für Abgeordnete und Beamte gelten.

Sozialversicherungen: Derzeit keine Pflicht für Abgeordnete und Beamte

Beiträge zu den drei großen gesetzlichen Sozialversicherungen sind für Abgeordnete, die für ihre Ausgestaltung verantwortlich sind, und die engsten Mitarbeiter des Staates ? verbeamtete Staatsdiener, Richter und Soldaten ? gerade nicht verpflichtend. Abgeordnete und Beamte können zwar freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, erhalten jedoch im Alter steuerfinanzierte Pensionen. Sie können Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung sein, aber gerade für Beamte sind die Anreize so ausgestaltet, dass private Krankenversicherungen wesentlich attraktiver sind. Es ist deshalb nicht überraschend, dass nur vereinzelt Beamte Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung überweisen. Abgeordnete und Beamte sind zudem nicht gesetzlich arbeitslosenversichert.

Einklang von Interessen wünschenswert

Die Interessen von Auftraggebern und Auftragnehmern fallen in vielen Lebenslagen häufig nicht zusammen. Die Interessen von Eigentümern und angestellten Managern eines Unternehmens sind nicht deckungsgleich, ebenso wenig die von angestellten Managern und ihnen unterstellten Mitarbeitern. Eigentümer und Manager versuchen deshalb Instrumente zu nutzen, die ihre eigenen Interessen und die Interessen der von ihnen Beauftragten besser in Einklang bringen. Manager werden von den Eigentümern beispielsweise mithilfe von Aktienoptionen am Erfolg des Unternehmens beteiligt und Mitarbeiter erhalten Boni, wenn sie vereinbarte Ziele erreichen.

Ähnlich könnten die Interessen der auftraggebenden Bevölkerung mit auftragnehmenden Abgeordneten und Beamten im Rahmen der Sozialversicherungen besser in Einklang gebracht werden, wenn alle von Abgeordneten verabschiedeten und von Beamten durchgesetzten Regeln auch auf sie Anwendung fänden.

Rentenversicherung

Abgeordnete und Beamte erhalten nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben steuerfinanzierte Pensionen, die von den Entwicklungen der gesetzlichen Rentenversicherung unabhängig sind. Pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung sind alle abhängig Beschäftigten ohne Beamtenstatus und Selbständige ausgewählter Berufsgruppen.

Die primäre Leistung einer Rentenversicherung besteht nicht in der Grundsicherung im Alter, sondern der Vorsorge für den Konsum in der Zeit nach dem Arbeitsleben. Es sollte jedem freistehen, eigens zu entscheiden, wie hoch diese Vorsorge im Vergleich zum Konsum während des Arbeitslebens ausfällt. Grundsätzlich ist deshalb staatlicher Zwang zur Altersvorsorge nicht wünschenswert. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ohne Zwang einige gar nicht fürs Alter vorsorgen und darauf setzen, dass die übrigen Mitglieder der Gesellschaft sie im Alter dennoch unterstützen werden. Deshalb können Pflichtbeiträge während des Arbeitslebens angebracht sein, die eine Grundsicherung im Alter ermöglichen.

Unabhängig davon, ob die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung über die zur Grundsicherung im Alter notwendigen Beiträge hinausgehen, sollten Abgeordnete und Beamte ebenfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sein. Dann könnten Abgeordnete und Beamte überzeugend argumentieren, sie hätten das gleiche Interesse wie die übrigen Pflichtversicherten an einer Rentenpolitik, die die Vorteile für Rentenbezieher weise gegen die durch die Besteuerung von Arbeit entstehenden Nachteile abwägt.

Krankenversicherung

Nicht verbeamtete abhängig Beschäftigte, deren Einkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt, sind in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Abgeordnete und Beamte hingegen haben die Wahl zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen. So können Abgeordnete des Bundestages entscheiden, ob sie Beihilfe nach beamtenrechtlichen Maßstäben erhalten oder der Bundestag ihnen einen Zuschuss in Höhe der Hälfte ihres Beitrags zu einer privaten oder gesetzlichen Krankenversicherung zahlt. 2013 waren Schätzungen zufolge zwischen 42% und 66% aller Mitglieder des Bundestages privat krankenversichert. Bei den Beamten sind es gewiss deutlich mehr. Sie verspüren keinen Druck, sich mit dem Rest der Bevölkerung durch eine Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse solidarisch zu zeigen. Zudem gilt, dass ein Beamter, der sich für eine gesetzliche Krankenversicherung entscheidet, anders als Abgeordnete des Bundestages keinerlei Zuschuss zu seinen Beitragszahlungen erhält. Ist ein Beamter jedoch privat krankenversichert, trägt der Dienstherr in der Regel mindestens 50% der Gesundheitskosten und der Beamte muss mittels seiner privaten Versicherung nur noch die verbleibenden Kosten abdecken.

Der Anreiz für Beamte, sich für eine private Krankenversicherung zu entscheiden, ist so stark, dass nur vereinzelt Beamte in gesetzlichen Krankenkassen versichert sind. Gesetzlich Pflichtversicherte hingegen können sich nicht für eine private Krankenkasse entscheiden. Ein Geschmäckle hat diese Konstellation, weil es für Ärzte, Krankenhäuser und andere Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen deutlich attraktiver ist, Privatpatienten zu behandeln. Für die gleiche Leistung stellen sie Privatpatienten in der Regel eine um den Faktor 2,3 höhere Gebühr in Rechnung. Es ist deshalb nicht überraschend, dass Privatpatienten eine bessere Behandlung erfahren und beispielsweise weniger lange auf Untersuchungen warten als Kassenpatienten. Leider liegt es nicht nahe, dass es nur zufällig für Beamte finanziell deutlich attraktiver ist, sich privat zu versichern und die mit dem Status als Privatpatient einhergehenden Vorzüge gegenüber gesetzlich Krankenversicherten zu genießen.

Der Bevorzugung von Beamten, Abgeordneten und Gutverdienern könnte begegnet werden, indem allen freigestellt wird, sich für eine private Krankenversicherung zu entscheiden, solange sie bereit sind, die dafür möglicherweise zusätzlich anfallenden Kosten zu tragen.

Arbeitslosenversicherung

Abgeordnete und Beamte zahlen keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Pflichtversichert sind jedoch alle Arbeitnehmer, die nicht Beamte, Richter oder Soldaten sind und mehr als nur geringfügig beschäftigt sind.

Beamte können nur aufgrund von eigenem Verschulden unfreiwillig arbeitslos werden und haben somit eine Beschäftigungsgarantie. Die Kosten für diese Garantie sind nicht offenbar, aber sie sind gewiss nicht gleich null. Da Beamte nicht in Abhängigkeit von kurzfristigen Schwankungen in Bezug auf ihren Dienstbedarf eingestellt und entlassen werden können, unterhalten Steuerzahler in Zeiten geringeren Bedarfs zu viele Beamte und leiden unter geringerer Servicequalität in Zeiten hohen Bedarfs.

Die Kosten der Beschäftigungsgarantie für Beamte ließen sich offenbaren, indem auch Beamtenarbeitsverhältnisse mit einem Beitrag zur Arbeitslosenversicherung belastet würden. Anders als derzeit sollte die Arbeitslosenversicherung allerdings darauf ausgereichtet sein, Menschen gegen Katastrophen zu schützen und nicht gegen die Folgen kurzfristiger Arbeitslosigkeit, die in den meisten Fällen nicht katastrophal sind. So könnten beispielsweise Auszahlungen von Arbeitslosengeld erst ab dem vierten Monat erfolgen, um Arbeitslosen einerseits einen stärkeren Anreiz zu geben, sich umgehend nach einer neuen Aufgabe umzusehen, und andererseits dafür zu sorgen, dass Arbeitssuchende nach mehreren Monaten nicht aus Verzweiflung Arbeitsverträge abschließen, obwohl der Match zwischen ihnen und dem Arbeitgeber nicht sonderlich gut ist.

Interessen in Einklang bringen, Vertrauen stärken

Derzeit befinden wir uns in der sonderlichen Situation, dass die von der öffentlichen Hand bereitgestellten verpflichtenden Sozialversicherungen gerade für die Volksvertreter in den Parlamenten und die engsten Mitarbeiter des Staates nicht verpflichtend sind. Um die Interessen aller Beteiligten in Einklang zu bringen und das Vertrauen in die staatlichen Organisationen zu stärken, wäre es wünschenswert, wenn für Abgeordnete, Beamte und ihre Arbeitgeber Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend wären. Im Rahmen der Krankenversicherung sollten alle Versicherten die Möglichkeit haben, sich für einen privaten Anbieter von Versicherungsleistungen zu entscheiden. Außerdem wäre es wünschenswert, die Kosten der Beschäftigungsgarantie für Beamte durch Beiträge zu einer auf Katastrophenschutz ausgerichteten Arbeitslosenversicherung offen zulegen.

Erstmals erschienen bei IREF. 

 Photo: MORO Modellbahn from Flickr (CC BY 2.0) 

Von Dr. Alexander FinkUniversität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Die Besteuerung von Einkommen mittels einer Flat Tax zeichnet sich durch einen konstanten Steuersatz auf zusätzliches Einkommen aus, möglicherweise nach Abzug von Freibeträgen. Die Flat Tax ist relativ unbeliebt, vermeintlich gerade weil Einkommen an der Grenze unabhängig von ihrer Höhe stets mit dem gleichen Steuersatz belegt werden. Man könnte deshalb erwarten, dass die Einnahmen des Staates vornehmlich aus Quellen mit progressiven Steuertarifen stammen. Die progressive Einkommensteuer gehört jedoch unter den vielen Einnahmequellen des deutschen Staates zu den Ausnahmen. Etwa 78% aller Staatseinnahmen stammten 2014 aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben, die sich gerade nicht durch einen progressiven Tarif auszeichnen. Der Schritt zu einer Flat Tax bei der Einkommensteuer ist aus Gründen der Einfachheit und Effizienz wünschenswert und würde das deutsche Steuersystem nicht revolutionieren, sondern es vielmehr vereinheitlichen.

Progressive Steuern nur auf Einkommen, Schenkungen und Erbschaften

Die Steuereinnahmen des deutschen Staates beliefen sich 2014 auf 1.091 Milliarden Euro. Inbegriffen sind hier die Einnahmen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Sozialversicherungen. Obwohl sie juristisch von Steuern abgegrenzt werden, gehören die Einnahmen der Sozialversicherungen mit in den Steuertopf. Sie wirken ökonomisch wie Steuern und auch das Bundesamt für Statistik bezeichnet sie als „steuerähnliche Abgaben“.

Die wichtigsten Einnahmequellen des Staates sind die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer, die Rentenversicherungsbeiträge und die Krankenversicherungsbeiträge. Diese vier Steuerarten zeichnen für 73% der gesamten Staatseinnahmen verantwortlich. Die Einkommensteuer ist die einzige dieser vier Einnahmequellen, deren Tarif einen progressiven Verlauf nimmt. Neben der Einkommensteuer weisen überhaupt nur noch die Erbschaft- und Schenkungsteuer und der Solidaritätszuschlag, dessen Bemessungsgrundlage die Einkommensteuerschuld ist, einen progressiven Verlauf auf, wobei die Progression des Solidaritätszuschlags sehr schwach ausgeprägt ist.

 

Steuern mit progressivem Tarif: Nur 22% der Staatseinnahmen

2014 verzeichnete der Staat 214 Milliarden Euro Einnahmen aus der Einkommensteuer. Aus der ebenfalls progressiven Erbschaft- und Schenkungsteuer kamen noch einmal 5,4 Milliarden und aus dem Solidaritätszuschlag 15 Milliarden hinzu. Der Anteil der drei mit progressivem Steuertarif ausgestatteten Steuern an den gesamten Einnahmen des Staates belief sich auf etwa 22%. Die Umsatzsteuereinnahmen machten 19%, die Rentenversicherungsbeiträge 17% und die Krankenversicherungsbeiträge ebenfalls 17% aus.

Proportionale Umsatzsteuer und regressive Sozialabgaben

Der Umsatzsteuersatz hängt nicht von der von einem Gut konsumierten Menge ab. Unabhängig wie viele Quadratmeter Wohnfläche konsumiert werden, auf die Miete findet stets ein Umsatzsteuersatz von 0% Anwendung. Ebenso verhält es sich mit dem Konsum von Milch, auf den stets der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7% zu zahlen ist. Wer stets das neueste Smartphone sein Eigen nennen möchte, muss immer wieder 19% Umsatzsteuer zahlen. Die Umsatzsteuer mag in Bezug auf das Einkommen eine progressive Wirkung haben, wenn Menschen mit höheren Einkommen einen größeren Anteil ihres Einkommens auf Güter und Dienstleistungen verwenden, die mit dem vollen Umsatzsteuersatz besteuert werden. In Bezug auf ihre eigene Bemessungsgrundlage ist die Umsatzsteuer allerdings eine proportionale Steuer.

Für die Beitragssätze der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung gilt, dass sie konstant sind bis zu den jeweiligen Beitragsbemessungsgrenzen und anschließend auf null fallen. In den alten Bundesländern und Berlin-West mussten 2014 vom über 71.400 Euro liegenden Arbeitnehmerbrutto keine Zahlungen an die Renten- und Arbeitslosenversicherung geleistet werden, in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin ab 60.000 Euro. Für die Kranken- und Pflegeversicherung lag die Beitragsbemessungsgrenze einheitlich bei 48.600€. Aufgrund der Beitragsbemessungsgrundlagen sind alle Sozialversicherungen durch einen regressiven Verlauf gekennzeichnet. Sobald das Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze überschreitet, sinkt der durchschnittliche Beitragssatz. Deshalb ist das Verhältnis von Nettolohn des Arbeitnehmers zu den Lohnkosten des Arbeitgebers ab einem Bruttolohn des Arbeitnehmers von etwa 5.500€ konstant.

Flat Tax auch bei der Einkommensteuer: Einfach und effizient

Flat Taxes und auch Steuern mit regressivem Tarifverlauf sind im deutschen Steuersystem weit verbreitet. Die Vorteile einer Flat Tax sollten auch bei der Einkommensteuer genutzt werden.

Zum einen ist sie leicht verständlich und mit wenig Aufwand zu administrieren. Von einer transparenteren Einkommensteuer in Form einer Flat Tax würden die Besteuerten profitieren. Die Entstehung der Steuerschuld wäre besser nachzuvollziehen, Privilegien in Form von Ausnahmeregelungen wären schwerer zu kaschieren und der Verwaltungsaufwand würde sinken. Nicht freuen über eine Reduzierung der Komplexität des Steuersystem würden sich Angehörige der Interessengruppen, die von einem verwickelten Steuersystem profitieren. So würde beispielsweise die Nachfrage nach Leistungen von Steuerberatern und Mitarbeitern der Finanzverwaltungen sinken.

Zum anderen führt eine Flat Tax zu weniger Ausweichreaktionen der Besteuerten, zu denen es derzeit ausschließlich aufgrund von Unterschieden hinsichtlich der Grenzsteuersätze kommt, die durch den progressiven Einkommensteuertarif verursacht werden. Sind die Grenzsteuersätze konstant, lohnt es sich nicht, Einkünfte von einer Periode in die andere zu verlagern oder von einer Person auf eine andere zu übertragen. Werden Gewinne von Kapitalgesellschaften mit dem gleichen Steuersatz belastet wie Einkommen natürlicher Personen und werden die ausgeschütteten oder einbehaltenen Gewinne auf Ebene der Eigentümer der Kapitalgesellschaften nicht noch einmal besteuert, gibt es keinen Anreiz, sich aus steuerlichen Gründen für eine bestimmte Rechtsform für ein Unternehmen zu entscheiden. Eine Flat Tax würde also dazu beitragen, dass wirtschaftliche Aktivitäten nicht verschoben, Verträge nicht im Namen an einer Transaktion unbeteiligter Familienmitglieder geschlossen oder Unternehmensrechtsformen als Steuersparmodelle gewählt werden. Finden diese Ausweichreaktionen nicht statt, werden Ressourcen effizienter eingesetzt.

Progression: Ungewöhnlich, aber auch mit Flat Tax möglich

Attraktiv ist eine Flat Tax auch für den, der sich wünscht, dass die Einkommensteuer weiterhin progressiv ist. Kommen bei der Flat Tax Freibeträge zum Einsatz, ist also der Grenzsteuersatz auf die ersten Einkommenseinheiten gleich 0, steigt der Durchschnittssteuersatz mit steigendem Einkommen und nähert sich dem konstanten Grenzsteuersatz an. Der Vorteil der Einfachheit einer Flat Tax wäre durch Freibeträge kaum beschnitten und auch das Ausmaß der hervorgerufenen Ausweichreaktionen könnte sich bei einer Flat Tax mit Freibeträgen im Vergleich zu heute reduzieren, weil Ausweichreaktionen nur lohnenswert wären, solange Freibeträge noch nicht ausgeschöpft sind.

Derzeit ist die Einkommensteuer allerdings gerade aufgrund ihres progressiven Tarifverlaufs eine besondere Spezies im deutschen Steuersystem. Sie ist die einzige gewichtige Steuer, deren Grenzsteuersatz ansteigt, wenn die Bemessungsgrundlage der Steuer zunimmt. Eine proportionale Einkommensteuer, also eine Flat Tax ohne Freibeträge, würde sich in die deutsche Steuerlandschaft unauffällig einfügen.

Erstmals erschienen bei IREF.