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 Photo: Vicky Hill from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die weltweite Schuldenlast steigt und steigt. Das Institute of International Finance, ein Zusammenschluss internationaler Großbanken, hat für 2016 einen weltweiten Schuldenberg von 215 Billionen Dollar errechnet. Vor der jüngsten Finanzkrise 2006 betrug die Schuldenlast noch 144 Billionen Dollar. Weitere zehn Jahre zuvor lediglich 63 Billionen Dollar. Innerhalb von 20 Jahren haben sich die Schulden von Staaten, Banken, Unternehmen und privaten Haushalten um 152 Billionen Dollar erhöht. Eine gigantische Steigerung. Die Welt ist mit 325 Prozent zur Wirtschaftsleistung verschuldet. Betrachtet man nur die Staatsverschuldung, so liegen die Länder mit 89 Prozent zur Wirtschaftsleistung weit oberhalb des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozent, das sich die EU-Staaten selbst auferlegt haben, aber natürlich auch nicht einhalten. Spitzenreiter unter den Industriestaaten ist Japan, das eine Staatsverschuldung von 227 Prozent vor sich herschleppt. Da ist Deutschland mit 68 Prozent fast schon ein Musterknabe.

Die Weltwirtschaft wächst zwar seit vielen Jahren über drei Prozent pro Jahr. Dennoch kann das Wirtschaftswachstum mit dem Wachstum der Schulden nicht mithalten. Immer mehr Kredite und damit Schulden müssen eingesetzt werden, um Wachstum zu generieren.

Um die steigende Schuldenlast finanzieren zu können, sind niedrige Zinsen zwingend notwendig. Würden die Zinsen wieder auf ein Niveau steigen, das nur zwei oder drei Prozentpunkte höher als derzeit läge, wären Insolvenzen von Unternehmen, Banken und auch Staaten die zwingende Folge. Sie könnten die Zinsbelastung der hohen Schuldenlast nicht mehr tragen. Daher werden alle wichtigen Notenbanken auf der Welt den Kreditfluss weiter lockern, indem sie die Zinssätze nach unten manipulieren. Den kurzfristigen Zins beeinflussen die Notenbanken über ihren Leitzins, zu dem Banken bei der Notenbank Kredit erhalten. Den langfristigen Zins beeinflussen die Notenbanken durch den Ankauf von Wertpapieren.

Die US-Notenbank und die EZB machen dies durch den Ankauf von Schuldpapieren, wie Staatsanleihen und Pfandbriefen. Die Japanische Notenbank geht diesen Weg schon länger und ist inzwischen sogar dazu übergegangen auch Aktien zu kaufen, um die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen zu verbessern.

Daher wird die vielbeschworene Zinswende in Amerika erst mal ausfallen. Sicher wird die US-Notenbank Fed ihren Leitzins etwas anheben, aber niemals in einem Umfang, den wir vor der Finanzkrise 2007/2008 kannten, als der Leitzins bei über fünf Prozent lag. Wir sitzen also alle in einem Boot, das erst ein kleines Loch hatte, das aber inzwischen zu einem beachtlichen Leck wurde. Immer mehr Wasser dringt in das Boot und alle Insassen versuchen mit ihren Händen das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Doch das Wasser im Boot steigt und steigt.

Solange das Vertrauen in die jeweilige Währung nicht erschüttert ist, kann der Schuldenberg auch noch eine gewisse Zeit weiter wachsen. Denn nicht alle finden die Entwicklung schlecht. Finanzminister Schäuble freut sich, weil er durch die Scheinkonjunktur historisch hohe Steuereinnahmen hat, seine Zinslast sich marginalisiert und er dennoch Wohltaten verteilen kann. Auch der Häuslebauer freut sich über die niedrigen Hypothekenzinsen. Und auch der Unternehmer, der kreditfinanziert investieren will, profitiert. Doch die andere Seite der Medaille ist, dass die Vernichtung des Zinses zu steigenden Vermögenspreisen für Aktien und Immobilien führt. Deren Eigentümer, also eher die Vermögenden, haben den Nutzen. Die Mieter oder auch diejenigen, die nicht in Vermögensgüter investieren können und wollen, sind die Verlierer. Sie bezahlen dies mit höheren Mieten und einer niedrigeren Verzinsung ihrer Lebensversicherungen.

Die Manipulation des Zinses durch die Notenbank, die letztlich eine staatliche Erfindung und Einrichtung ist, führt also zu wachsender Vermögensungleichheit. Sie ist also nicht eine Entwicklung der Marktwirtschaft, sondern der Staatswirtschaft. Das wäre an sich schon schlimm genug. Doch die Inflation der Vermögenspreise macht nicht dort halt. Auf absehbarer Zeit wird sie über die Mieten und die Lohnsteigerungen auch die Konsumgüterpreise erreichen. Dann ist die Inflation auf breiter Front da und Otto Normalbürger muss die Zeche auch hier bezahlen. Das ist das Szenario, das EZB-Präsident Mario Draghi unverblümt anstrebt, um den Schuldenberg über die Inflation zu reduzieren. Darauf sollten man sich einstellen.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 8. April 2017.

Photo: Bruce Guenter from Flickr (CC BY 2.0)

Freihandel hat im Augenblick keinen besonders guten Ruf. Weder bei Demonstranten in deutschen Großstädten noch bei Wählern in den alten Industrieregionen der USA. Höchste Zeit, mit einem kleinen Ausflug in die Geschichte daran zu erinnern, was der Freihandel bringt: Frieden und Wohlstand für alle.

Das Elend der Armen im Großbritannien des 19. Jahrhunderts

In diesen Tagen begegnet uns immer wieder die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens – vielfach verfilmt (besonders anrührend in der Version mit den Muppets). Die Geschichte erinnert uns daran, wie wichtig es ist, dass wir auch auf unseren Nächsten schauen. Sie legt den Finger in die Wunde der Indifferenz, des Egoismus und der Gier. Charles Dickens ist der Chronist der Armen und Notleidenden im Großbritannien des 19. Jahrhunderts schlechthin. Keiner konnte so anschaulich und einfühlsam die Nöte der Armen schildern wie er – ganz besonders der Kinder.

Doch wo lag die Verantwortung für dieses Elend? Waren es die kapitalistischen Ausbeuter, die Miethaie, erbarmungslosen Geldverleiher und all die anderen Schurken, deren Gier und Boshaftigkeit Dickens so eindrücklich geschildert hat? Ja. Aber nicht nur. Natürlich gab und gibt es unter den Besitzenden und Reichen viele rücksichtslose Menschen. Aber ebenso gibt es unter ihnen verantwortungsvolle, fürsorgliche und hilfsbereite Menschen, die ihren Nächsten im Blick behalten. Eine Menschengruppe pauschal zur Verantwortung zu ziehen, ist immer eine sehr schlechte Idee.

Der ungeschriebene Roman von Charles Dickens

Es gibt eine Geschichte, die Charles Dickens hätte schreiben können. Schade, dass er das nie getan hat, denn er hätte seine Sprachgewalt und sein Talent damit durchaus in den Dienst einer sehr guten Sache stellen könne. Es wäre eine Erzählung gewesen, in der, wie in so vielen seiner Geschichten, ein Unternehmer eine große Rolle spielt. In der es um Arme und Notleidende geht und um die Gier der Reichen und ihre Besitzstandswahrung. In der es um ein paar sehr sympathische Helden geht und um die sonderbaren Verstrickungen, die zu ihrem Erfolg führen. Es ist die Geschichte der Freihandelsbewegung.

Die Globalisierung war schon seit Beginn der Neuzeit für manch einen bedrohlich. Mit dem rasant wachsenden Handel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs diese Bedrohung. Eine Gruppe, die das Gefühl hatten, dass ihnen die Felle wegschwimmen, waren die englischen Großgrundbesitzer. Diese kleine und enorm wohlhabende Gruppe von überwiegend Adligen hatte mit sinkenden Getreidepreisen zu kämpfen, weil dank des technischen Fortschritts nunmehr günstigeres Getreide aus Deutschland oder den Ländern Osteuropas importiert werden konnte. Sie nutzten ihren leichten Zugang zur Macht, um sich für höhere Zölle auf Getreide-Importe (die sogenannten Corn Laws) stark zu machen – mit Erfolg. Selbst in Zeiten schwerer Hungersnöte waren die Menschen im Land gezwungen, das überteuerte einheimische Getreide zu kaufen.

Zwei reale Helden

Auftritt unseres Helden: Richard Cobden wird 1804 als viertes von elf Kindern eines armen Bauern im äußersten Süden Englands geboren. Mit 15 Jahren geht er nach London, um im Warenhaus seines Onkels zu arbeiten. Der sieht den Bildungshunger seines Neffen mit einer Mischung aus Unverständnis und Missfallen. – Dickens hätte sich die Szenerie nicht besser ausdenken können. – Der junge Richard arbeitet sich nach oben: mit 24 gründet er seine erste eigene Firma. Doch auch wenn die Geschäfte gut laufen, kann unser Held die Finger nicht von den großen Fragen seiner Zeit lassen. Er ist einfach ein klassischer Weltverbesserer, ein Gutmensch.

1835 veröffentlicht er sein erstes Buch: „England, Ireland, and America“. Es ist ein flammendes Plädoyer für die Begrenzung öffentlicher Ausgaben, Freihandel und Pazifismus. Darüber hinaus macht er sich stark für ein besseres Bildungswesen – schließlich hatte er selbst die Erfahrung gemacht, wie wichtig Bildung ist. Nun braucht aber auch jeder Held einen Freund, der ihm zur Seite steht: Sherlock Holmes seinen Watson, Winnetou seinen Old Shatterhand und Frodo seinen Sam. Dieser Freund ist der sieben Jahre jüngere John Bright, den Cobden in dieser Zeit in der Nähe von Manchester trifft. Die beiden teilen dieselben Ideale, für die sie ihr Leben lang eintreten sollten – in guten wie in bösen Tagen: Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle.

Eine Graswurzelbewegung für den Freihandel

In der Schutzpolitik für Großgrundbesitzer sehen sie eine Maßnahme, die diesen Idealen diametral entgegenstand. Darum gründen sie im Jahr 1838 die Anti-Corn Law League – eine der frühesten Graswurzelbewegungen der Geschichte. Während Cobden der strategische Kopf der Bewegung ist, wird der sehr begnadete Redner Bright das Aushängeschild. Sie haben gelernt von den Männern und Frauen um William Wilberforce, die einige Jahrzehnte zuvor erfolgreich die Sklavenbefreiung durchgesetzt hatten. Sie verteilen über neun Millionen Pamphlete, um ihr Anliegen zu erklären, führen im ganzen Land Versammlungen und Demonstrationen durch und können Millionen von Unterschriften für ihre Petitionen sammeln. Die Basis ihrer Bewegung sind die Arbeiter und Armen, von deren Nöten uns Charles Dickens so eindrucksvoll berichtet.

Nachdem die Anti-Corn Law League 1846 an ihr Ziel gekommen ist und die Zölle beseitigt wurden, folgen in den nächsten Jahrzehnten viele weitere Maßnahmen zugunsten des Freihandels, die zu einem erheblichen Wirtschaftsausschwung führen – und damit eben auch zu einer substantiellen Verbesserung der Lage einfacher Arbeiter. Cobden ist später der Chef-Unterhändler für den britisch-französischen Freihandelsvertrag im Jahr 1860. Dieser Vertrag ist der Startschuss für ein Freihandelssystem in Europa, das in seinen Grundzügen bis 1914 Bestand hat.

Unerschrockene Pazifisten

Doch mit dem Erfolg von 1846 ist die Geschichte unseres Helden noch nicht zu Ende. Es liegen noch heftigere Herausforderungen vor ihm. Dass ihn eine Zeit lang nicht nur große Teile der britischen Bevölkerung, sondern auch Menschen in ganz Europa begeistert feiern, ist nicht von langer Dauer. Cobden und sein Freund Bright haben nämlich ein Anliegen, das ihnen vielleicht noch wichtiger ist als der Freihandel: sie sind radikale Pazifisten und Anti-Imperialisten. Der Zeitgeist ist hier freilich nicht auf ihrer Seite.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist vielmehr geprägt von einem rasanten Aufstieg von Nationalismus und Militarismus. Kolonien und Eroberungen werden sowohl aus Prestigegründen begrüßt als auch, weil man glaubt, davon als Land wirtschaftlich zu profitieren. Überall wittert man Feinde und man sieht sich inmitten eines globalen Machtkampfes. Der Krimkrieg (1853-1856) und der Zweite Opiumkrieg (1856-1860) versetzen Großbritannien in Kriegsbegeisterung und beim Amerikanischen Bürgerkrieg finden sich die meisten auf Seiten der Südstaaten wieder.

Weltverbesserer, die tatsächlich die Welt verbessern

In diese Stimmung platzen unsere Helden mit ihren Forderungen nach Abrüstung, Diplomatie, konsequenter militärischer Zurückhaltung und einem Rückzug aus den Kolonien herein. Spielverderber. Nachdem sie wenige Jahre zuvor von der Bevölkerung begeistert gefeiert wurden, werden sie nun plötzlich Gegenstand des öffentlichen Hasses. Cobden, Bright und ihre Freunde sind allesamt eigentlich keine Politiker. Sie sind eher überzeugte Aktivisten. Für sie stehen ihre Ideale im Vordergrund. Und deshalb halten sie stand und dienen als Mahnung in einer verrückten Zeit, die im 20. Jahrhundert auf einen schrecklichen Höhepunkt zulaufen wird.

Mit ihrem Pazifismus sind sie leider weniger erfolgreich als mit ihrem Kampf um den Freihandel. Mit diesem freilich haben sie einen wesentlichen Anteil daran, dass Millionen von Menschen – zunächst in Großbritannien, aber dann auch in ganz Europa – den Weg aus der Armut finden. Sie haben dafür gesorgt, dass nicht nur eine kleine Elite von den Segnungen des Fortschritts, der Technik und der Globalisierung profitieren, sondern alle. Sie haben den Mächtigen und Reichen wesentliche Instrumente der Unterdrückung aus der Hand geschlagen. Und sie haben den Armen einen Weg eröffnet zu einem besseren Leben. Ihr Einsatz für Freihandel und Frieden ist immer auch ein Einsatz für andere. Sie sind Weltverbesserer, die tatsächlich die Welt verbessern. Wenn das mal nicht eine großartige Erzählung geworden wäre, wenn sich Dickens nur daran gemacht hätte …

„Ich habe einen Traum“

Gerade in Zeiten wie den unseren, wo eine unheilige Allianz aus Politikern auf der Rechten wie Donald Trump und fanatischen Aktivisten auf der Linken wie Campact und Attac zum Generalangriff auf Freihandel und Globalisierung ruft, sollte man sich wieder die wunderbaren Worte in Erinnerung rufen, die Richard Cobden im Jahr 1846 fand, und mit denen er ein Vorläufer jener berühmten „Ich habe einen Traum“-Rede Martin Luther Kings wurde:

Ich richte meinen Blick weiter. Ich sehe, dass das Freihandelsprinzip die moralische Welt bestimmen wird wie das Gravitationsprinzip unser Universum: indem es Menschen einander nahebringt; indem es den Gegensatz der Rassen, Bekenntnisse und Sprachen beseitigt; indem es uns in ewigem Frieden aneinander bindet. Und ich habe noch weiter geschaut. Ich habe spekuliert, ja wohl geträumt, von einer fernen Zukunft, vielleicht in tausend Jahren.

Ich habe darüber spekuliert, was das Ergebnis davon sein mag, dass dieses Prinzip obsiegt. Ich glaube, dass es das Antlitz der Erde verändern wird, indem es ein Prinzip des Regierens hervorbringen wird, das sich vollständig vom derzeitigen unterscheidet. Ich glaube, dass das Streben nach großen und mächtigen Reichen absterben wird; das Streben nach gigantischen Heeren und bedeutenden Flotten; nach den Mitteln, die benutzt werden, um das Leben zu zerstören, und um die Früchte der Arbeit zu verwüsten. Ich glaube, dass all das nicht mehr nötig sein wird und auch nicht mehr angewandt wird, wenn die Menschheit erst eine Familie geworden ist und Mensch mit Mensch aus freien Stücken die Früchte seiner Arbeit brüderlich austauscht.

Erstmals erschienen auf dem Ökonomen Blog.

Photo: Lane Pearman from Flickr (CC BY 2.0)

Bei der Wahl in den USA wurde nicht nur eine schillernde und offenbar für viele auch faszinierende Person gewählt. Es war auch eine Abstimmung gegen die Globalisierung, die die Zeit seit dem Ende des Sowjet-Imperiums wesentlich geprägt hat. Sie ist in akuter Gefahr.

„It’s the economy, stupid“

Die Nachwahlbefragungen der New York Times sind sehr aufschlussreich. Der in progressiveren Kreisen oft geäußerte Vorwurf des Rassismus scheint bei den Betroffenen nicht zu verfangen: Bei allen nicht-weißen Wählergruppen hat Trump gegenüber dem republikanischen Kandidaten von 2012, Mitt Romney, hinzugewonnen, gerade auch unter Hispanics. Ein anderer Faktor scheint wesentlich stärker gewirkt zu haben. Er konnte offenbar weit in die traditionelle Unterstützergruppe der eher sozialdemokratischen Demokraten hinein Stimmen gewinnen. Unter den Wählern mit geringeren Bildungsabschlüssen schnitt er im Vergleich zur letzten Wahl deutlich besser ab. Massive Zugewinne gab es bei denen, die weniger als 30.000 $ im Jahr verdienen und immer noch erhebliche bei denen, die weniger als 50.000 $ verdienen.

Dass für viele Wähler das Thema Immigration eine große Rolle gespielt hat, muss nicht unbedingt ein Hinweis auf Rassismus sein, sondern hängt gewiss auch wesentlich mit dem hart umkämpften Arbeitsmarkt, gerade im Niedriglohnsektor zusammen. 78 % der Wähler, die ihre finanzielle Situation als verschlechtert empfinden, haben für Trump gestimmt. Die Wähler, die glauben, dass der Handel mit anderen Ländern amerikanische jobs vernichten, haben zu 65 % für Trump gestimmt. Der amerikanische Ökonom Donald Boudreaux hat auf seinem Blog darauf hingewiesen, dass ein ausschlaggebender Faktor für die Wahl Trumps die, gerade auch von Linken oft bediente, Erzählung ist, dass es für den Mittelstand seit den 70er Jahren kein Wachstum mehr gegeben habe. (Vielleicht ist der Dauer-Vorwurf des Rassismus auch dem unbewussten Schuldgefühl mancher Progressiver und Linker entsprungen, durch ihren Alarmismus dieses Ergebnis mitverursacht zu haben.)

„Wir glauben an das Gute, das Regierungen tun können.“

Ein ähnliches Phänomen konnten wir bereits bei der Abstimmung zum Brexit gewärtigen. In den dortigen Nachwahlbefragungen wurde unter anderem nachgefragt, wie die Wähler zu bestimmten Themen stehen. Obwohl das Leave-Lager von den traditionell marktwirtschaftlicher ausgerichteten Tories dominiert wurde, haben 69 % derjenigen, die die Globalisierung für eine gefährliche Entwicklung halten, für den Brexit gestimmt. Einen deutlichen Widerhall fand diese Tendenz in der Rede der neuen britischen Premierministerin Theresa May beim Parteitag der Konservativen. Diese Rede war ein fast schon flammender Appell für das Primat der Politik und das, was Angelsachsen als „big government“ bezeichnen. Ihre Botschaft gleicht der von Trump bis in die Formulierungen:

„Wenn wir Ungerechtigkeit korrigieren und die Regierung in den Dienst der einfachen Arbeiter stellen, können wir ein neues gemeinschaftliches Großbritannien aufbauen. … Unser Programm sieht die Regierung in der Pflicht, eine Wirtschaft aufzubauen, die für jeden arbeitet. Eine Wirtschaft, die einen öffentlichen Dienst unterstützt, auf den wir uns alle verlassen können, und die in Dinge investiert, die uns allen lieb und teuer sind. Wie etwa den NHS: eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. … Lasst uns die Gelegenheit ergreifen, um zu beweisen, dass wir – die Konservative Partei – wahrhaft die Partei der Arbeiter, der Beamten und des NHS sind. Denn wir glauben an den öffentlichen Dienst. Wir glauben daran, in Institutionen zu investieren, die unser Land großmachen. Wir glauben an das Gute, das Regierungen tun können.“

Alte Modelle aus der Mottenkiste

Innerhalb kürzester Zeit sind in Großbritannien und den USA, also zwei Leuchttürmen liberaler Gesellschaften und freier Märkte, die liberalen Kräfte in sich zusammengefallen. Politiker wie David Cameron und George Osborne, wie Paul Ryan, Marco Rubio und leider auch Rand Paul, wurden entweder abserviert oder sind massiv in der Defensive. Stattdessen werden alte Modelle wieder aus der Mottenkiste geholt: Theresa May inszeniert sich als Wiedergängerin ihres Vorgängers Clement Attlee, der nach dem 2. Weltkrieg den NHS einführte und Teile der Industrie verstaatlichte – nicht wie Margaret Thatcher, die das alles wieder aufräumen musste. Und das allererste Versprechen, das Donald Trump nach seiner Wahl machte, lautete: „Wir werden unsere Innenstädte, Highways, Brücken, Tunnel, Flughäfen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufbauen. Wir werden die Infrastruktur erneuern … Und wir werden dadurch für Millionen Menschen Arbeitsplätze schaffen.“ – Das ist Franklin D. Roosevelts „New Deal“ neuaufgelegt. Dafür spricht auch sein Zugeständnis, Obamacare nun doch nicht abzuschaffen.

Natürlich war Immigration beim Brexit und den US-Wahlen ein Thema. Natürlich sind viele von Trumps Sprüchen rassistisch und einige der von der neuen britischen Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen offen fremdenfeindlich wie etwa, dass Unternehmen angeben müssen sollen, wie viele ausländische Angestellte sie beschäftigen. Doch bloße Empörung über Rechtspopulismus führt höchstens zu einer noch stärkeren Verhärtung der Fronten. Die Offene Gesellschaft ist in Gefahr, weil sie das Ergebnis der Globalisierung ist. Rassismus ist oft nur eine Ausdrucksform der zugrundeliegenden Ängste vor den Herausforderungen einer freien Marktwirtschaft. Wer etwas gegen diese Formen des Rechtspopulismus tun will, sollte nicht die Interventionsspirale gegenseitiger Vorwürfe (political correctness vs. Rassismus, Homophobie etc.) bedienen, sondern – wie einst der große britische Freihandels-Kämpfer Richard Cobden – die Vorzüge der Globalisierung verdeutlichen.

Steht die Republikanische Partei vor einem fundamentalen Wandel?

Die 180-Grad-Wende der Tories werden wahrscheinlich auch die Republikaner erfahren. Denn die Wahl Trumps war – wie der Brexit – auch ein deutliches Signal gegen Globalisierung. Republikanische Politiker haben erfahren müssen, dass sich mit Protektionismus und ökonomischem Interventionismus, wie sie Trump offen ins Schaufenster gestellt hat, Wahlen gewinnen lassen. Von einigen wenigen Überzeugungstätern abgesehen, wird das die meisten entscheidend in ihren Politikentscheidungen beeinflussen. Trumps Wahl könnte sich als letzter Todesstoß für den marktfreundlichen Teil der Tea Party Bewegung herausstellen. Stephen Davies, einer der führenden Köpfe beim Institute of Economic Affairs in London liefert einen interessanten Ausblick:

„Die langfristigen und strukturellen Veränderungen, die mit Trumps Sieg einhergehen werden, sind schlimm. …Er wird die Republikanische Partei in eine Partei des Nationalismus, des wirtschaftlichen Dirigismus, der Anti-Globalisierung und der Identitäts-Politik verwandeln. Es wird bizarr sein, zu beobachten, wie viele republikanische Politiker plötzlich entdecken, dass die Prinzipien, die sie viele Jahre lang unterstützt haben, jetzt Schnee von gestern sind … Viele Republikaner werden plötzlich einen Gesinnungswandel durchleben. Andere werden ersetzt werden und manche werden gehen oder ausscheiden.“ Schließlich zitiert er die Reaktion von Pat Buchanan, seit Jahrzehnten die prominenteste Stimme des reaktionären Flügels der Republikaner, auf die Wahl Trumps: „Die Globalisierung ist am Ende. Die Zukunft gehört dem Ethno-Nationalismus und dem wirtschaftlichen Nationalismus.“

Linke Vorarbeit für rechte Politiker

Attac, Campact, Occupy, Thomas Piketty, Bernie Sanders, Jeremy Corbyn und Sarah Wagenknecht haben mit ihren dauernden Tiraden gegen die Globalisierung und der Panikmache beim Thema Ungleichheit einen (hier passt das Modewort ausnahmsweise einmal sehr gut:) postfaktischen Diskursstil gesät und wir ernten nun Politiker wie Trump. Die heutige Situation erinnert an die große Krise des Liberalismus und der Globalisierung ab dem Ersten Weltkrieg. Überall gerät er in die Defensive: mal von ganz offen rechten Kräften wie Kaczynski, Orban oder Le Pen, mal von solchen, die in staatsmännischem Gewande daherkommen wie Theresa May oder Donald Trump. Flankiert wird diese Bewegung von autoritären Kräften wie Erdogan, Duterte oder Putin. Die Handelskriege, die aus dem wachsenden Protektionismus zu erwachsen drohen, können die Weltwirtschaft in eine noch viel dramatischere Lage bringen als der Lehman Crash. Die Folge wird der weitere Aufstieg von Anti-Globalisierungs-Bewegungen sein, weil die Folgen dieses Protektionismus der Globalisierung zugeschrieben werden – dank der intensiven Pflege dieses Narrativs durch Linke in den letzten Jahrzehnten.

Es wird gewaltiger Kraftanstrengungen und vieler Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bedürfen, um die gerade einsetzende Trendwende wieder umzukehren und die Globalisierung mit all ihren positiven Auswirkungen wieder aufs Gleis zu stellen. Aber so mühsam diese Perspektive erscheint, so gibt es doch Hoffnung. Den libertären Präsidentschaftskandidaten Gary Johnson, der seinen Stimmenanteil im Vergleich zur letzten Wahl auf mehr als 4 Millionen Stimmen vervierfacht hat, haben 6 % der Wähler zwischen 18 und 24, 4 % der Wähler zwischen 25 und 29 sowie 5 % der Wähler zwischen 30 und 39 gewählt. Das korrespondiert mit der Zustimmung, die das libertäre Urgestein Ron Paul bei der Wahl 2012 im Vorwahlkampf vor allem unter jungen Wählern genoss.

Hoffnungsschimmer am Horizont

Es gibt inzwischen auf der ganzen Welt eine breite, wenn auch noch kleine, so doch schon sehr schlagkräftige Bewegung, die sich der Globalisierung und der damit einhergehenden Offenen Gesellschaft verschrieben hat. Der Frontalangriff auf die Globalisierung trifft ihre Verteidiger mithin nicht völlig unvorbereitet, auch wenn es die nächste Zeit noch sehr ungemütlich werden kann. Es mögen sich noch ganz neue ungewöhnliche Allianzen auftun. Wenn etwa die Tories in Großbritannien und die Republikaner in den USA sich tatsächlich auf den Weg zur interventionistischen und protektionistischen Knechtschaft machen, mag manch ein schmerzhafter Abschied bevorstehen.

Doch für den, der bereit ist umzudenken, tun sich auch ganz neue Möglichkeiten auf. Gerade in der jungen Generation sind viele sehr kosmopolitisch aufgewachsen – und in Zeiten weltweiter Kommunikation ist dieser Kosmopolitismus auch nicht mehr nur ein „Privileg“ der besser gebildeten und Reichen. Vielleicht gelingt, was Stephen Davies hoffnungsvoll als mögliche Perspektive beschreibt, wenn er sich eine Partei vorstellt, die „im breiten Sinne liberal ist, sich vehement für Freihandel einsetzt, internationalistisch und kosmopolitisch ist, um Gleichheit besorgt und doch wesentlich weniger begeistert von staatlicher Gewalt und dem Versuch, Ungleichheit durch Interventionen zu beseitigen.“

Eine Mahnung aus dem Jahr 1949

Es gibt Organisationen wie die Students for Liberty, es gibt Politiker-Nachwuchs wie Daniel Hannan in Großbritannien oder Justin Amash und Thomas Massie in den USA und es gibt weltweit, quer durch die Lager und Parteien hindurch, Menschen, denen an Freihandel, Marktwirtschaft und einer Offenen Gesellschaft gelegen ist. All diese Leute müssen jetzt ihren Mut und ihre Geduld zusammennehmen und dem Rat Friedrich August von Hayeks folgen, der 1949, in einer ähnlich düsteren Zeit, schrieb:

„Wir müssen ein neues liberales Programm anbieten, das sich an die Vorstellungskraft wendet. Wir müssen den Aufbau einer freien Gesellschaft wieder zu einem intellektuellen Abenteuer machen, zu einem Akt des Mutes. Was uns fehlt, ist eine liberale Utopie, ein Programm, das weder eine bloße Verteidigung bestehender Verhältnisse ist noch ein verwässerter Sozialismus, sondern ein wirklich liberaler Radikalismus, der die Mächtigen nicht schont, der nicht allzu pragmatisch ist, und der sich nicht auf das beschränkt, was heute politisch durchsetzbar erscheint. Wir brauchen intellektuelle Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, sich für ein Ideal einzusetzen, mögen die Aussichten auf ihre baldige Umsetzung auch noch so gering sein. Es müssen Menschen sein, die bereit sind, an ihren Prinzipien festzuhalten und für deren volle Verwirklichung zu kämpfen, mag der Weg auch noch so lang erscheinen.

Die Aussichten für die Freiheit sind in der Tat dunkel, wenn es uns nicht gelingt, die philosophischen Begründungen einer freien Gesellschaft wieder in den intellektuellen Diskurs einzubringen; wenn es uns nicht gelingt, die Einrichtung einer freien Gesellschaft zu einer Aufgabe zu machen, die die Genialität und Vorstellungskraft unserer fähigsten Köpfe herausfordert. Wenn es uns aber gelingt, jenen Glauben an die Kraft der Ideen wiederzuerlangen, der das Kennzeichen des Liberalismus zu seinen Glanzzeiten war, dann ist der Kampf nicht verloren.“

Erstmals erschienen bei „Peace Love Liberty – Das Studentenmagazin“.

Photo: ILRI from Flickr (CC BY 2.0)

Von Diego Zuluaga, International Research Fellow am Institute of Economic Affairs und Deputy Director von EPICENTER, einem pan-europäischen Think-Tank-Netzwerk.

Ökonomische Debatten werden oft dargestellt als Wettbewerb zwischen zwei entgegengesetzten Interessensgruppen. Der Sozialismus nach Marx brachte Kapital und Arbeit gegeneinander in Stellung. Manch eine Variation zu dieser Auseinandersetzung ist nach wie vor sehr populär unter Linken in Europa und Nordamerika: reich gegen arm, die ein Prozent gegen die 99 Prozent, die entwickelten Staaten gegen die Entwicklungsländer. Die Protektionisten – 19.Jahrhundert-Merkantilisten oder die jüngere Variante Trump – setzen die Trennlinien zwischen Einheimischen und Ausländern, heimische Produkte und Importen, Handelsüberschüsse und Handelsdefizite.

Beide Erzählungen begreifen Wirtschaft zum Teil oder ganz als Nullsummenspiel. Liberale und Libertäre halten dem entgegen, dass eine solche Analyse grundsätzlich falsch ist. Das Pro-Kopf-Einkommen in Westeuropa, den USA und anderen industrialisierten Staaten hat sich seit 1800 um das 20- bis 30fache gesteigert. Auf anderen Kontinenten dauerte die Entwicklung länger. Dafür ging es in den vergangenen Jahren mit sehr eindrucksvollen Sprüngen nach vorne: In Lateinamerika ist das Einkommen heute vier Mal höher als 1930, in Asien acht Mal höher als 1951. Und dabei muss man bedenken, dass der Durchschnitt gesenkt wird durch humanitäre Katastrophen wie in Nordkorea, im Kambodscha der 70er Jahre und zuletzt in Venezuela.

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Die geschichtliche Entwicklung widerlegt die Vorstellung von Wirtschaft als einem Prozess, in dem der Gewinn des einen der Verlust des anderen sein muss – ob innerhalb einzelner Länder oder zwischen den Ländern. Die oft wiederholte Behauptung, dass die letzten drei Jahrzehnte der Globalisierung den ärmeren Ländern zwar genutzt hätten, dass dies aber auf Kosten der arbeitenden Mittelschicht in den entwickelten Ländern geschehen sei, ist sehr fraglich. Ein Bericht der „Resolution Foundation“ hat sich dieser Frage jüngst angenommen. Häufig wird die Behauptung aufgestellt im Zusammenhang mit der „Elephant Curve“, die von den Weltbank-Ökonomen Christoph Lakner und Branko Milanovic konzipiert wurde. Diese Kurve zeigt, dass von 1988 bis 2008 das Einkommen stagniert für die obersten 80 bis 90 Prozent bei der weltweiten Einkommensverteilung. In der Aufarbeitung der Studie von Lakner und Milanovic haben viele diese Schicht als die Verlierer der Globalisierung ausgemacht: Jene untere Mittelschicht in Europa und Nordamerika, die nun dem Freihandel den Rücken zukehren und Populisten wählen.

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Die Wissenschaftler bei der „Resolution Foundation“ haben festgestellt, dass die Elefantenkurve verschwindet, sobald man die Daten anpasst an das Bevölkerungswachstum in ärmeren Ländern und den demographischen Wandel in reicheren, und wenn man Japan, die postkommunistischen Staaten Osteuropas und das boomende China außen vorlässt. Dann haben wir plötzlich eine bemerkenswert gleichmäßige Verteilung der Einkommensgewinne über das gesamte verbliebene Spektrum hinweg.

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Das Argument der Kluft zwischen Arm und Reich – auf der Ebene der einzelnen Länder ebenso wie global – verliert an Schlagkraft. Einige bemerken nun, dass die tatsächliche Trennung nicht horizontal, sondern vertikal verlaufe. Und zwar zwischen denjenigen, die politischen Einfluss haben, und denjenigen, die ihn nicht haben. Es kann sein, dass diese Trennung mit Einkommensunterschieden korreliert – insbesondere auf lange Sicht, weil diejenigen mit mehr politischem Einfluss diesen benutzen, um Ressourcen umzuverteilen. Vielleicht korrelieren sie aber auch nicht. Es ist keine Trennung entlang der Linien Wohlstand, Kaufkraft oder Eigentum, sondern in Bezug auf Zugang zu rechtlichen Privilegien, Steuergeldern und anderen Erträgen politischer Prozesse.

So haben etwa viele entwickelte Länder Subventionsmechanismen für die Landwirtschaft. Diese werden in der Regel aus Steuergeldern bezahlt. Die Grundlage dieser Umverteilung ist nicht ein Einkommensunterschied zwischen Landwirten und der anderen Bevölkerung. Vielmehr ist sie das Ergebnis vom starken und gut organisierten Einfluss der Landwirtschaft, die sich gegen die diffusen Interessen und geringen Anreize zur Gegenwehr auf Seiten der breiten Bevölkerung durchsetzt. Auf einer ähnlichen Grundlage können sich kartellierte Branchen wie die Taxi- und Pharma-Industrie durchsetzen und ganz grundsätzlich strenge Lizenzvergaben und hohe Mindestlöhne in vielen Bereichen.

Ökonomische Theorien und Wirtschaftsgeschichte zeigen, dass der freie Austausch zu Ergebnissen führt, die für alle Beteiligten von Vorteil sind. Im Gegensatz dazu profitieren durch rechtlich gesicherte Privilegien einzelne Gruppen auf Kosten von anderen. Gezielte Subventionen werden von allen Steuerzahlern getragen, die Gewinne von Monopolisten werden von den Verbrauchern bezahlt und die Kosten von Lizenzierung werden von denen getragen, die deshalb keinen Zugang zum Gewerbe bekommen. Wenn staatliche Privilegien im Spiel sind, fließt kein Freibier.

Über die meiste Zeit im 19. und 20. Jahrhundert trieben staatlich geförderte Privilegien einen Keil zwischen die Privilegierten und die Anderen anhand von speziellen Kriterien wie Beruf, Nationalität, Qualifikation oder familiärer Herkunft: gelernte gegen ungelernte Arbeiter, Bauern gegen Industriearbeiter, organisierte Arbeiterschaft gegen unorganisierte, Einheimische gegen Zuwanderer, heimische Firmen gegen Importeure und so weiter. Inzwischen freilich wird im gesamten Westen die Teilung am deutlichsten entlang der Generationen. Insbesondere die Älteren haben sich eine Reihe an staatlichen Privilegien gesichert – auf Kosten der Jüngeren.

Diese Ungleichheit zwischen den Generationen kommt in vielerlei Gewändern daher. So haben zum Beispiel strenge Bauvorschriften in Großbritannien dazu geführt, dass die Median-Hauspreise inzwischen fünf Mal höher sind als die Median-Einkommen (in London sogar neun Mal höher). Das ist erheblich höher als der Standard in den meisten entwickelten Staaten, wo der Median-Hauspreis bei dem zwei- bis dreifachen liegt. Von den Preissteigerungen profitieren vor allem die Über-50järigen, die bereits gut untergekommen sind. Ihr eigener Wohlstand ist rasch gewachsen, aber sie haben die Mieten enorm steigen lassen, so dass für die Unter-40jährigen wohnen immer teurer wird.

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In der gesamten EU gibt es sehr große Unterschiede in der Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zur allgemeinen Arbeitslosigkeit. Die Raten von bis zu 50 Prozent in Spanien und Griechenland schaffen es bisweilen in die Schlagzeilen. Doch auch in Frankreich, Polen, Tschechien und Belgien ist die Arbeitslosenquote der Unter-25jährigen drei Mal höher als die allgemeine Quote, in Schweden, Großbritannien und Italien vier Mal höher. Manche Unterschiede mag man durch das langsame Wachstum nach der Krise erklären können – ein großer Teil hat aber strukturelle Ursachen. Es liegt an einem Arbeitsrecht, das Neueinstellungen teuer macht und Entlassungen sehr schwierig. Und es liegt an Mindestlöhnen, die häufig höher sind als die mögliche Produktivität ungelernter Arbeiter. All diese Eigenschaften des europäischen Arbeitsmarktes sprechen gegen die Jungen.

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Schließlich sind da noch die gigantischen Rentenversprechen, die europäische Regierungen gemacht haben. Und das angesichts schrumpfender Bevölkerungszahlen und steigender Lebenserwartung. Eine Untersuchung, die Jagadeesh Gokhale für das Institute of Economic Affairs durchgeführt hat, hat gezeigt, dass diese Verpflichtungen in einigen EU-Staaten das Drei- bis Vierfache des nationalen Einkommens. Wollte man diese Versprechen erfüllen ohne das Renten- und Krankenversicherungssystem radikal umzustrukturieren, so müsste man das Steueraufkommen in den meisten Ländern mehr als verdoppeln oder die öffentlichen Ausgaben drastisch reduzieren.

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Diejenigen von uns, die im Internet-Zeitalter aufwuchsen, müssen für vieles dankbar sein. Der durchschnittliche junge Mensch heute ist wohlhabender, sicherer, gesünder und besser ausgebildet als je zuvor in der Geschichte. Sowohl in den entwickelten Ländern als auch in den meisten Entwicklungsländern. Doch ein Fluch des wachsenden Wohlstands ist das gleichzeitige Wachstum von staatlich gewährten Privilegien, wobei die Bürger mittleren und höheren Alters die größten Nutznießer sind, während die Jüngeren – bisweilen sogar die noch gar nicht Geborenen – die Rechnung präsentiert bekommen. Dieser Trend ist nicht nachhaltig – selbst unter den optimistischsten Prognosen im Blick auf Wirtschaftswachstum und demographische Entwicklung.

Der scheidende US-Präsident Barack Obama hat Ungleichheit als „die entscheidende Herausforderung unserer Zeit“ bezeichnet. Es kann gut sein, dass sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin das Ende der Globalisierung zum entscheidenden Merkmal seiner oder ihrer Politik machen wird. Dennoch – oder gerade deswegen: während Behauptungen über wachsende Ungleichheit und den Freihandel widerlegt werden, täten Politiker gut daran, ihre Aufmerksamkeit der wachsenden Kluft zwischen Alt und Jung zuzuwenden. Darin liegt wohl die grundlegende unbeantwortete Herausforderung unserer Zeit.

Erstmals veröffentlicht auf dem Blog von Epicenter.

Photo: Tauno Tohk from Flickr (CC BY 2.0)

Alle großen Tageszeitungen haben gerade breit darüber berichtet: Der „Club of Rome“ hat einen neuen Bericht veröffentlicht: „Ein Prozent ist genug. Mit weniger Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen“. Sie wollen mit einem Maßnahmenkatalog das weltweite Wachstum auf ein Prozent pro Jahr begrenzen. Zwar hat sich schon ihr Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 als völlig falsch herausgestellt, dennoch liest man in Die Welt, der neue Bericht sei von berühmten Ökonomen verfasst worden. Die Zeit spricht gar von einflussreichen Zukunftsforschern. Die FAZ zitiert einen der Autoren, den Norweger Jorgen Randers, mit den Worten „Meine Tochter ist das gefährlichste Tier der Welt“. Da kann man nur sagen: Bei diesem Vater – kein Wunder! Es ist erschreckend, dass so viel geistiger Dünnpfiff die Headlines erreicht.

Da schlagen die Autoren eine Ein-Kind-Politik vor, wie sie das kommunistische China in der dunkelsten Zeit der sogenannten „Kulturrevolution“ einführte, sie wollen den Außenhandel einschränken wie im tiefsten Mittelalter und die Notenpresse noch mehr missbrauchen, wie es einem Blender wie John Law zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur Ehre gereicht hätte. Absurder geht es kaum.

Alles wird aus der Mottenkiste herausgeholt. Angefangen bei der These von Thomas Piketty, dass die Ungleichheit zugenommen habe. Gott sei Dank, kann man da nur sagen. Piketty glorifiziert die geringere Ungleichheit in den 1950er Jahren. Seine Begründung sind die hohen Grenzsteuersätze in den USA und Europa zur damaligen Zeit. Diese betrugen je nach Land 80 bis 90 Prozent. Diese Zahlen verglich er mit den heutigen Steuersätzen und kam zum Schluss, dass die niedrigen Steuern heute schuld daran seien. Das ist, gelinde gesagt, völliger Blödsinn. In den 1950er Jahren war die Ungleichheit deshalb geringer, weil viele Länder durch den bis dahin verheerendsten Krieg aller Zeiten zerstört und ausgelaugt waren. Allen ging es gleich schlecht und Brot gab es vielfach nur mit Lebensmittelmarken. Natürlich kann Ungleichheit beseitigt werden, wenn die Steuern prohibitiv sind. Doch ist das sinnvoll? Wollen wir den Weg Chinas der 1960er und 1970er Jahre gehen oder den Weg Nordkoreas heute?

Der Vorschlag, den Außenhandel einzuschränken, ist so absurd, dass er eigentlich gar nicht widerlegt werden muss. Niemand leidet mehr unter der Beschränkung des Außenhandels als die Geringverdiener. Nicht die Millionärsgattin kauft bei Aldi oder C&A, sondern die alleinerziehende Mutter oder der Hartz IV-Empfänger. Der Freihandel macht Güter und Dienstleistungen besser und günstiger. Das kommt besonders den Geringverdienern zugute.

Mit dem Drucken von Geld durch die Notenbanken soll ein großes Konjunkturpaket für den ökologischen Umbau der Wirtschaft finanziert werden. Wahrscheinlich würde dann die Welt in die Zeit der 1920er und 1930er Jahre zurückkatapultiert und wenige Jahre später wäre durch Inflation und Arbeitslosigkeit der „Wohlstand für alle“ genauso in Gefahr wie der Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Wer schützt uns vor solchen Gesellschaftsklempnern, die die Welt retten wollen, sie aber durch ihre Vorschläge eher zerstören? Es ist doch eine Horrorvorstellung, wenn dieses Programm sich durchsetzen würde. Und wer sollte über die Maßnahmen abstimmen? Ein neuer Mao, ein Zentralkomitee, der Club of Rome höchstselbst?

Es geht keine Regierung, kein Parlament und keine Mehrheit in der Gesellschaft etwas an, wieviel Kinder jemand zur Welt bringt. Es geht keine Regierung, kein Parlament und keine Mehrheit in einer Gesellschaft etwas an, mit wem ein Einzelner Handel treibt. Es ist grundsätzlich völlig egal, ob der Kunde in München, London oder Buenos Aires wohnt, sofern er das Produkt kaufen will. Und es ist Betrug an jedem Einzelnen, wenn der Staat die Notenpresse anschmeißt. Weniges wirkt zerstörerischer für eine freiheitliche Gesellschaft als dies. Es gibt wahrlich seit vielen Jahrhunderten zahllose Beispiel, wie durch die Manipulation des Geldwertes Elend erzeugt wurde.

Ende der 1980er Jahre habe ich ein Thermofaxgerät gekauft. Es war der Quantensprung zur damaligen Zeit, der die Kommunikation wesentlich billiger und schneller gemacht hat. Das Thermofaxpapier gilt heute wegen seiner Beschichtung als gesundheitsschädlich. Wenige Jahre später führte der technologische Fortschritt dazu, dass die Thermofaxgeräte durch Normalpapierfaxgeräte ersetzt wurden. Es brauchte kein beschichtetes Papier mehr, sondern es konnte Recyclingpapier verwendet werden. Heute gibt es in vielen Büros nicht einmal mehr ein Faxgerät, sondern alles wird per Email versandt. Was lernen wir daraus? Die These, dass Wachstum immer mehr Ressourcen und die Umwelt belastet, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall: erst durch Wachstum und technologischen Fortschritt finden wir immer neue Wege zur Ressourcenschonung. Dagegen belasten Länder, die frühzeitig das Modell des Club of Rome vorweggenommen haben, die Umwelt. Länder, denen es durch ihr zentral gelenktes Wirtschaftssystem nicht gelang, ausreichend Wachstum zu erzeugen, sind entweder wie die DDR oder die Sowjetunion untergegangen oder mussten sich wie China radikal wandeln. Wer meint, er habe zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus einen dritten Weg gefunden, landet am Ende doch wieder bei den Despoten des Sozialismus.

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.