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Photo: Frank Vincentz from Wikimedia (CC-BY-SA-3.0)

Von Frederik C. Roeder, Unternehmer, Vice President Finance & Operations der Students for Liberty.

Mit der Verwendung der Darstellung einer Puppe, die von einem mysteriösen Puppenspieler im Hintergrund gelenkt wird, versucht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer neuesten Kampagne die öffentliche Meinung gegenüber Tabakkonzernen zu verschlechtern.

Solche Darstellungen eines Marionettenspielers, der im Hintergrund die Geschehnisse der Welt bestimmt, kann man häufig bei Verschwörungstheoretikern finden. In diesem Fall stellt sich aber die Frage, wer im Hintergrund die öffentliche Meinung verändern will: Tabakkonzerne oder aber die öffentlich finanzierte Weltgesundheitsorganisation.

Die WHO Kampagne hat es sich zum Ziel gesetzt ‚Monitoringeinrichtungen‘ in Städten auf der ganzen Welt einzurichten, um die Taktiken der Tabakindustrie zu enttarnen und damit ihren Einfluss auf die Gesundheitspolitik zu reduzieren.

Die Direktorin des Rahmenübereinkommens der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC), Dr. Vera da Costa e Silva verlautbarte dazu, dass diese neuen Einrichtungen als Wachtürme der Volksgesundheit dienen werden. Ende März eröffnete sie die erste Monitoringeinrichtung in Rio de Janeiro, Brasilien, als erste von dutzenden solcher Wachtürme.

In paternalistischer Manier sagte dazu Silvania Turci, eine Forscherin in der brasilianischen Einrichtung: „Die Tabakindustrie bedarf permanent starker Überwachung ihres Einflusses und restriktive legislative Maßnahmen sind erforderlich, da Tabak keine sozialen oder ökonomischen Vorteile für ein Land bringt.“

Ferner sollen diese Wachtürme in Zukunft nicht nur paternalistische Ansichten zum Thema Tabakkonsum verbreiten, sondern sich auch um die Bekämpfung von übermäßigem Zucker- und Fettkonsum kümmern.

Der Kampf gegen den Tabak stellt also nur den Auftakt einer paternalistischen Gesundheitspolitik dar, die mittels Regulierung Bürger dazu zwingen möchte, sich gesünder zu ernähren.

Fehleinschätzungen in der Vergangenheit

Ob die Ansichten der WHO allerdings optimalen Ernährungsweisen entsprechen, steht offen. Fehleinschätzungen in der Vergangenheit von Gesundheitsbehörden zu der Bekömmlichkeit von Margarine oder Kohlehydraten zeigen, dass die Aufseher sich auch ordentlich täuschen können und der mündige Konsument am besten selber entscheiden sollte, was er in welchem Maße konsumiert.

Auf der Webseite des brasilianischen WHO-Wachturms liest sich auch, dass er „als Modell dienen wird, um die Handlungen anderer Branchen, wie zum Beispiel die der verarbeiteten Lebensmittel oder alkoholischen und zuckerhaltigen Getränke besser überwachen zu können, um ihren Einfluss auf die öffentliche Debatte einschränken zu können.“

Diese Maßnahmen der WHO wurden im Rahmen der letzten Framework Convention of Tobacco Control Konferenz im Herbst 2014 in Moskau beschlossen. Diese Konferenz findet alle zwei Jahre statt und erlaubt nur ausgewählten Medienvertretern und in den wenigsten Fällen Branchenvertretern Zugang oder gar Mitspracherechte.

Um die Öffentlichkeit weiter auszuschließen finden diese Konferenzen gerne in autoritären Staaten wie Russland statt.

Sowohl die Konferenz, als auch deren Beschlüsse danach, werden von Steuergeldern finanziert. Einen transparenten oder gar demokratischen Prozess findet man in diesen Prozeduren der WHO aber nicht.

Maßnahmen zur Einschränkung von Tabakprodukten

Die WHO übt also den Frontalangriff auf die Tabakindustrie und Tabakkonsumenten – finanziert von Steuerzahlen. Die nächste Konferenz findet dieses Jahr in Delhi, Indien, statt und hat sich bereits auf die Fahne geschrieben, weitere Maßnahmen zur Einschränkung von Tabakprodukten zu beschließen.

Pikant an der Herangehensweise der WHO ist, dass sie zwar zum einen der Tabakindustrie vorwirft, im Verborgenen Meinungsmache zu betreiben, aber die WHO gleichzeitig mit extrem fragwürdigen und intransparenten Methoden gegen die Tabakindustrie und die Entscheidungsfreiheit von Konsumenten vorgeht.

Die WHO sieht sich „im Krieg gegen Tabakkonsum“. Es sollte sich kritisch die Frage gestellt werden, ob eine internationale Regierungsorganisation, wie die WHO, einfach einen Krieg erklären darf, ohne dass dies demokratisch legitimiert ist.

Das Vorgehen der WHO und das öffentliche Zugeben, dass sie nicht bei Tabak Halt machen wird, sondern auch andere Konsumprodukte bekämpfen wird, ist ein Zeichen dafür, dass sich in supra-nationalen Organisationen eine paternalistische Mentalität verankert hat, die sich mittelfristig nicht nur negativ auf die Konsumentscheidungen von Rauchern auswirken wird, sondern auf alle, die gern mal einen Schokoriegel, eine Currywurst, oder ein kaltes Bier trinken.

Lebensstil und Konsumentscheidungen sollen und müssen von mündigen Bürgern gefällt werden und nicht in dunklen Hinterzimmern der Weltgesundheitsorganisation. Ein erster Schritt wäre daher eine öffentliche Debatte über die Befugnisse und Legitimierung der WHO im Kampf gegen den mündigen Bürger.

Erstmals erschienen in der Huffington Post.

Photo: Blondinrikard Fröberg from Flickr (CC BY 2.0)

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Kinobesucher das Klima belastet. Der Deutschlandfunk berichtete gestern: je spannender der Kinofilm ist, desto höher sind die CO2-Belastung durch das Ausatmen der Kinobesucher. Bei den Blockbustern „Tribute von Panem“ und „Der Hobbit“ seien die Werte besonders hoch gewesen. Was die Empfehlungen der Wissenschaftler war, wurde im kurzen Bericht leider nicht deutlich. Vielleicht schlägt die EU-Kommission bald eine Höchstgrenze der CO2-Belastung vor? Hollywood muss dann bald Tests durchführen, ab wann die Emissionen des Zuschauers den Höchstwert überschreiten. Dann werden automatisch Spannungsbögen abgeflacht und dramatische Szene entschärft.

Es ist vielleicht noch etwas viel Zukunftsmusik, aber so weit entfernt ist es nun auch nicht. Erst kürzlich hat die EU-Kommission vorgeschlagen, Streaming Anbietern wie Netflix oder Amazon Prime vorzuschreiben, mindestens 20 Prozent europäische Produktionen zu zeigen. Das wäre Zwangsfernsehen auf ganz neuem Niveau. Und warum nicht Filmproduzenten etwas vorschreiben, was bei Autos selbstverständlich ist, und bei Nichtbefolgung inzwischen zu Milliarden Euro an Schadensersatzansprüchen führt.

Das könnte man alles laufen lassen. Es verändert aber nicht nur eine Wirtschaftsordnung schleichend und dauerhaft, sondern bedroht die freie Gesellschaft. Die kann nur bestehen, wenn nicht einige Wissenschaftler oder Politiker für uns etwas festlegen, sondern der Einzelnen souverän seine Kaufentscheidungen trifft. Viele meinen, das könne der Einzelne nicht, die Welt sei zu komplex, Werbung würde die Konsumenten einseitig manipulieren und deshalb bedürfe es einer Lenkung durch Gesetzgeber und Bürokraten. Immerhin seien erstere demokratisch gewählt und könnten deshalb auf eine Mehrheit in der Bevölkerung setzen. Die Mehrheit dürfe über die Minderheit bestimmen, das sei doch Demokratie. Und deshalb sei es richtig und notwendig, in die Freiheit des Produzenten einzugreifen und den Konsumenten an die Hand zu nehmen. Der Staat als Kindermädchen, der den kleinen Erdenbürger eine Art betreutes Wohnen ermöglicht.

Die Demokratie ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat als Entscheidungsfindungsinstrument notwendig, auch um den Machtwechsel friedlich und geordnet durch Wahlen zu erreichen. Dennoch darf die Mehrheit gegenüber der Minderheit oder dem Einzelnen nicht alles. Unser Grundgesetz kennt die unveräußerlichen Grundrechte, die auch von einer Mehrheit im Parlament nicht eingeschränkt werden können. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gehören dazu ebenso die Meinungsfreiheit und der Schutz von Ehe und Familie. Dennoch erleben wir auch hier fast täglich, deren Aushöhlung durch Regierung und Parlament.

Was hier hilft, ist die Machtbegrenzung der Politik durch eine Gegenmacht aufgeklärter Bürger, die sich als Produzenten und Konsumenten dagegen wehren, dass die Regierung und das Parlament sich anmaßen, Kindermädchen für uns alle zu sein. Im Übrigen: Schon dafür hat die Regierung und das Parlament gar keine entsprechende Ausbildung und verstößt damit bestimmt gegen ein Gesetz oder eine Ausbildungsordnung. Darüber hinaus ist die Berufsbezeichnung „Kindermädchen“ bestimmt nach dem Antidiskriminierungsgesetz nicht zulässig. Es schließt alle Männer von der Betreuung aus …

Photo: Kennisland from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Diego Zuluaga ist International Research Fellow am Institute of Economic Affairs und Deputy Director von EPICENTER, einem pan-europäischen Think-Tank-Netzwerk.

Gerade ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die kurzfristige Vermietung von Wohnungen in Berlin verbietet. Es geht bei dieser, bereits 2014 verabschiedeten und seit dem 1. Mai geltenden, Regelung darum, den Wohnungsmarkt zugunsten der Berliner zu entlasten. Laut Andreas Geisel, dem Senator für Stadtentwicklung, ist das Gesetz „ein notwendiges und sinnvolles Instrument …, um der zunehmenden Wohnungsknappheit in Berlin entgegenzuwirken.“

Tatsächlich wird das Verbot jedoch sehr wenig dazu beitragen, das Wohnungsangebot für Einheimische auszuweiten oder günstiger zu machen. Das einzige, was dadurch erreicht wird, ist, dass Wohnungsbesitzer nicht mehr daran verdienen können, dass sie an Leute vermieten, die für eine kurze Zeit günstig wohnen möchten. Kurzum: ein paar Menschen werden durch das Gesetz schlechter gestellt und dennoch hat keiner einen Nutzen davon.

Um zu begreifen, warum das so ist, muss man verstehen, wie und warum Geschäftsmodelle wie Airbnb entstanden sind, und welchem Zweck sie dienen in der zunehmenden Vielfalt des Marktes für Kurzzeitvermietungen.

Seine Wohnung zu teilen, home-sharing, ist ein Beispiel dafür, wie die Sharing Economy funktioniert. Ein Bericht des Europäischen Parlaments hat Sharing Economy folgendermaßen definiert: „das Nutzen von digitalen Plattformen oder Portalen, um Miet- oder Dienstleistungs-Transaktionen zu vereinfachen und damit Unterauslastung zu reduzieren“. Mit anderen Worten: das Phänomen umfasst das Nutzen von neuen Technologien und Marktinnovationen, um Transaktionskosten zu reduzieren.  Dadurch wird eine größere Anzahl an Transaktionen ermöglicht – zum Nutzen sowohl des Besitzers als auch des Nutzers.

Um das zu veranschaulichen, wenden wir uns noch einmal dem konkreten Fall zu. Früher war es üblicherweise so, dass Wohnungsbesitzer, die einen ungenutzten Raum hatten oder eine längere Reise planten, weder günstige noch verlässliche Möglichkeiten zur Untervermietung hatten. Die Besitzer sahen sich mit drei Hürden konfrontiert:

  1. die Kosten, die verfügbaren Optionen zu durchsuchen und zu sortieren;
  2. fehlendes Vertrauen zwischen Besitzern und möglichen Nutzern, die sich in der Regel nicht kennen;
  3. keine einfachen und verlässlichen Zahlungsmöglichkeiten.

Einige Wohnungsbesitzer haben Agenturen genutzt, um diese Hürden zu überwinden, aber hohe Provisionen und Verwaltungsgebühren machten diese Option unattraktiv für diejenigen, die nur sporadisch vermieten wollen oder zu geringen Preisen. Das Ergebnis war, dass bestehende Räumlichkeiten ungenutzt blieben. Und Transaktionen zum gegenseitigen Nutzen wurden unterlassen wegen der hohen Kosten, die anfielen.

Dann traten home-sharing-Plattformen wie Airbnb auf den Plan. Indem sie einen Anlaufpunkt zur Verfügung stellten, bei dem sich Besitzer und mögliche Nutzer treffen können, haben die Plattformen die Kosten der Suche massiv reduziert. Vertrauen wird gesteigert durch umfassende Mechanismen der gegenseitigen Bewertung der Transaktionsteilnehmer. Dazu kommt eine Versicherung, die von der Plattform selbst getragen wird. Die Bezahlung wird über die Plattform abgewickelt, die sich auch um Betrug und andere Missstände kümmert. All das wird erreicht zu relativ geringen Kosten, so dass sich Untervermietung für viele Wohnungsbesitzer erstmals lohnt.

Durch home-sharing wird mithin die Menge der Wohnungen, die vermietet werden können, vergrößert. Diejenigen, die home-sharing-Plattformen nutzen, haben nun Vorteile, weil sie effizienter als vorher Geschäfte tätigen können. Gleichzeitig hat keiner Nachteile, weil sich die Plattformen zunächst an Besitzer gering ausgelasteter Wohnung wendet und nicht etwa die üblichen Mietwohnungen im Blick hat, die bereits vor dem Aufkommen der Sharing Economy auf dem Markt waren.

Befürworter des Berliner Gesetzes könnten einwenden, dass home-sharing-Plattformen dazu führen, dass Wohnungen, die bislang auf dem normalen Mietmarkt waren, nun der Plattform zur Verfügung stehen. Aber es ist nicht zu sehen, warum Wohnungseigentümer sehr kurzfristige Mietverhältnisse langfristigen vorziehen würden, sind doch die administrativen Kosten bei ersteren erheblich höher. Möglicherweise erzielt man mit kurzfristigen Vermietungen an Touristen höhere Renditen als mit langfristigen. Eventuell schätzen Eigentümer auch die Flexibilität, die mit kurzfristigen Vermietungen einhergeht. Wie auch immer: Es ist keineswegs ausgemacht, dass das Verbot dazu führen wird, dass der derzeit für kurzfristige Vermietung zur Verfügung stehende Bestand dann für langfristige bereitstünde.

Wahrscheinlicher ist ein Rückgang des Gesamtbestands an zu vermietenden Wohnungen. Am Ende sind wir wieder bei dem Punkt, als es keine Online-Plattformen gab, um freiwillige Geschäfte zu ermöglichen. Das wäre eine bedauerliche Entwicklung für Städte wie Berlin, das sich doch gerne als ein ideales Zentrum für Technologie und Startups in Europa sieht.

Ein Verbot von kurzfristigen Vermietungen ist keine Lösung für Wohnungsknappheit in Städten. Die Hauptstädte Europas sollten stolz und glücklich sein, dass sie eine wachsende Zahl an Menschen anziehen, und sollten die Entstehung von neuem Wohnraum ermöglichen um der steigenden Nachfrage zu begegnen. Vor allem sollten sie sich aber von fehlgeleiteten Politikentscheidungen fernhalten wie zum Beispiel Mietpreisbremsen. Es hat sich hinlänglich gezeigt, dass diese die Bedingungen der Mieter verschlimmern und dazu führen, dass die Entwicklung des Mietmarktes langfristig gebremst wird.

Gerade Berlin sollte erheblich einfacher als andere europäische Hauptstädte eine wachsende Bevölkerung aufnehmen können, hatte die Stadt, die heute 3,5 Millionen Menschen beherbergt, doch vor dem Zweiten Weltkrieg 4,3 Millionen Einwohner. Zudem hat die vierzig Jahre lange Teilung der Stadt zur Folge, dass Teile der Infrastruktur und des öffentlichen Nahverkehrs oft in doppelter Ausfertigung zur Verfügung. Zusammenfassend kann man feststellen: Das Verbot kurzfristiger Vermietungen ist ein Ablenkungsmanöver und wird die Situation vermutlich eher verschlechtern als verbessern – für die Berliner wie für die Besucher.

Photo: Vladimir Pustovit from Flickr (CC BY 2.0)

Von Frank Schäffler und Clemens Schneider.

Der Ökonom Prof. Jan Schnellenbach hat im Auftrag von „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ eine Studie erstellt zu der Frage „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ Zeitgleich mit der Veröffentlichung startet Prometheus die Kampagne „Ich brauch kein Kindermädchen“, die sich kritisch mit Nudging und Paternalismus auseinandersetzt.

Gerne berufen sich Politiker auf die Legitimation, die sie in regelmäßigen Abständen durch den Bürger erhalten. Im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wurden sie vom Wähler mit dem Auftrag ausgestattet, seine Interessen zu vertreten. Selbstverständlich haben sie eine sehr hohe Meinung von ihren Wählern – schließlich waren die klug genug, ihnen ihre Stimme zu geben. Der Respekt vor dem Wähler und Bürger hört auf anderen Gebieten jedoch schnell wieder auf. Als Verbraucher kann derselbe Wähler nämlich aus ihrer Sicht oft keine so klugen Entscheidungen mehr treffen. Wie kann man noch von einem mündigen Wähler ausgehen, wenn man den mündigen Verbraucher abschafft?

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, heißt es. Dieses Zitat sollten sich die Politiker und Bürokraten an die Wand hängen, die versuchen, mit Hilfe des Nudging und einer „sanften“ Verbrauchersteuerung den besseren Menschen zu erschaffen. Aus deren Perspektive sollte der Bürger seine Freiheit nämlich nur nutzen, wenn er sie auch richtig nutzt. Was richtig ist, bestimmt aber nicht jeder für sich selbst. Was richtig ist, bestimmen Fachleute.

Wer sich Risiken aussetzt, macht in diesem Weltbild etwas falsch, auch wenn er selbst die möglichen negativen Konsequenzen zu tragen bereit wäre. Wer raucht und trinkt oder Aktiengeschäfte macht statt sichere Staatsanleihen zu kaufen, wer riskante Sportarten betreibt oder zu viel Schokolade isst, tut in diesem Verständnis etwas, das er gar nicht tun will. Er ist Opfer seiner eigenen Schwäche, Faulheit oder gar Dummheit. Kein vernünftiger Mensch kann doch so etwas wollen.

In einer Welt, in der alles vorherbestimmt ist, gibt es keine Autonomie mehr. Wenn die Schicksalsgötter bereits alles entschieden haben, kann der Mensch sich nur noch fügen. Zwar sind die Zeiten größtenteils vorbei, in denen Menschen eine solche Vorstellung der Welt hatten. Die Aufklärung hat aufgeräumt mit der Vorstellung des Menschen als Spielball von göttlichen Mächten. Doch diese Religion kehrt in neuer Gestalt mit Macht wieder. Die neuen Götter sind die Fachleute und Experten. Die neuen Hohepriester die Verbraucherschützer und Politiker. Sie sind Herren über das Schicksal, weil sie den richtigen Weg kennen. Sie sind im Besitz eines höheren Wissens und einer tieferen Einsicht.

Der freie Mensch glaubt nicht an solche Götter und folgt nicht solchen Hohepriestern. Er kann als freier Mensch selber entscheiden, was er konsumiert, wie er investiert und was seine persönlichen Ziele sind. Doch auch diese Freiheit und die damit untrennbar verbundene Verantwortung will erlernt sein. Jeder, der Kinder hat oder selbst einmal Kind war, weiß: Freiheit und Verantwortung lernt man nur, indem man Freiheit und Verantwortung übernimmt.

Je mehr staatliche Fürsorge es gibt, je mehr der Verbraucher geschützt wird, umso weniger Möglichkeiten gibt es für ihn, Freiheit und Verantwortung zu lernen. Wenn nun dieser Schutz im sanften und subtilen Gewand des Nudging daherkommt, wird es noch gefährlicher: Während der Bürger sich gegen eine gesetzliche Gängelung wehren kann, arbeitet diese Methode des unterbewussten Schubsens ja gerade dadurch, dass sie gar nicht auffällt. Es bleibt also nicht einmal mehr die Möglichkeit der Rebellion und des Ungehorsams, um Freiheit und Verantwortung zu lernen.

Nur wer die Freiheit hat, Dummes zu tun, wird mit der Zeit lernen können, was klug ist. Die Freiheit zum Irrtum ist die wichtigste Quelle menschlicher Erkenntnis und Entwicklung – im persönlichen Leben jedes einzelnen wie im großen Ganzen menschlicher Zivilisation. Wenn der „sanfte“ Paternalismus des Nudging die Freiheit vom Irrtum verheißt, droht er genau diese Quelle auszutrocknen.

Den perfekten Menschen und mithin das Paradies auf Erden zu schaffen, ist noch keinem Menschen gelungen. Es hat ganz im Gegenteil oft fatale Folgen gezeitigt. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen ein Recht haben, Fehler zu machen. Es mag Entscheidungen geben, die uns unvernünftig erscheinen. Mit Worten und Argumenten können wir versuchen, jemanden davon abzuhalten. Aber der Vorrang der Freiheit verbietet es uns, in sein Leben einzugreifen. Nicht mit Gesetzen und Vorschriften. Und erst recht nicht mit subtiler Manipulation. Zumal keiner von uns wissen und nachvollziehen kann, welche Präferenzen jemand hat. Selbstverständlich kann man den genüsslichen Zug an der Zigarette oder das Freestyle Klettern den möglichen negativen Folgen vorziehen. „Carpe Diem“ – „Genieße den Tag“ ist eine legitime und gar nicht so seltene Einstellung.

Freiheit ist nicht nur die Freiheit der Andersdenkenden, sondern immer auch die Freiheit der Andershandelnden. Die Politik in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat muss Respekt haben vor den Bürgern. Dazu gehört ganz wesentlich, zu akzeptieren, dass sie Entscheidungen treffen, die einem selbst nicht passen. Der Versuch, sie davon abzuhalten, ist nicht legitim – ganz besonders dann nicht, wenn er so geschieht, dass es die Bürger möglichst gar nicht bemerken.

Photo: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen from Flickr (CC BY-SA 2.0)

In Deutschland ist man stolz auf die Tarifautonomie und die Mitbestimmung. Sie gelten als Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Sie dienen dem sozialen Frieden im Lande. Manche meinen gar, es wäre das Soziale an der Marktwirtschaft bundesrepublikanischer Prägung. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung der IG Metall mit den Metall-Arbeitgebern sagte gerade der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann: „Solange die Arbeitgeber meinen, die Leistung und das Engagement der Beschäftigten mit diesem provokanten Angebot abspeisen zu können, werden wir mit Warnstreiks antworten.“ Starke Worte. Hier wird ein Gegensatz zwischen den Interessen der Unternehmen und der Mitarbeiter konstruiert.

Doch das ist die Klassenkampfrhetorik vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Noch fragwürdiger wird es, wenn die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes unter der Fahne von ver.di streiken. Sie haben kein Arbeitsplatzrisiko, und der Staat mit seinen Behörden steht nicht im internationalen Wettbewerb. Hier werden Eltern, die ihre Kinder in Kindergärten bringen oder Reisende, die an Flughäfen warten, in Beugehaft genommen für die Interessen von Gewerkschaftsfunktionären.

Diese Mitbestimmung ist von gestern. Können Arbeitnehmer ihre Lohnwünsche und Arbeitsbedingungen heutzutage wirklich nur durchsetzen, wenn Sie eine starke Gewerkschaft im Hintergrund haben?

Ein Blick in unser südliches Nachbarland, die Schweiz, zeigt Alternativen auf: Dort gibt es in der Regel keine kollektiven Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Den Lohn oder das Gehalt verhandelt der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber direkt. Der Kündigungsschutz ist in der Schweiz auf ein Minimum reduziert. Und auch das gereicht dem Arbeitnehmer keineswegs zum Nachteil. Ganz im Gegenteil. Die Gehälter und der Wohlstand der Arbeitnehmer sind wesentlich höher als in Deutschland. In der Schweiz kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in der Regel ohne bereits einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben zu haben. In einem Arbeitsmarkt, in dem Unternehmen händeringend Arbeitnehmer suchen, ist das auch kein Problem. Und kommt es zu Schwierigkeiten im Unternehmen, dann werden sie meist unkonventionell im Interesse des Unternehmens gelöst.

Als die Schweizer Notenbank die Bindung an den Euro Anfang 2015 aufgab und der Schweizer Franken kurzzeitig stark aufwertete, kamen viele Unternehmen von heute auf morgen unter enormen Kostendruck. Viele Mitarbeitervertretungen boten daraufhin aktiv den Unternehmen zeitnahe Arbeitszeiterhöhungen und Lohnkürzungen an, um den kurzfristigen Wettbewerbsnachteil auszugleichen. In Deutschland wäre dies unmöglich.

Die heimische Stahlindustrie ist heute in einer ähnlichen Situation. Sie steht unter enormem Kostendruck durch chinesische Unternehmen, die Überkapazitäten auf den Weltmarkt werfen und damit die Preise für Stahl ins Bodenlose fallen lassen. Die Antwort der deutschen Gewerkschaften sind Warnstreiks und Forderungen nach 5 Prozent Lohnerhöhung. Hier wird der Unterschied deutlich zwischen einer flexiblen Volkswirtschaft wie der Schweiz und einer verkrusteten wie Deutschland.

Dabei wollen in vielen Unternehmen die Arbeitnehmer keinen Betriebsrat und keinen Einfluss der Gewerkschaften. Insbesondere innovative Unternehmen der IT-Branche kennen weder einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad noch einen Betriebsrat. Dennoch können in Unternehmen egal welcher Größe fünf Arbeitnehmer einen Betriebsrat gründen und alle anderen Arbeitnehmer müssen dies akzeptieren. Und nicht genug. Anschließend verhandelt dieser Betriebsrat, der vielleicht nur eine verschwindende Minderheit im Unternehmen repräsentiert plötzlich für alle Arbeitnehmer im Unternehmen. Er entscheidet zum Beispiel mit, ob am Wochenende gearbeitet werden darf und damit wichtige Aufträge erledigt werden können oder nicht. Damit entscheidet er auch mit, ob ein Arbeitnehmer am Wochenende zusätzlich Geld verdienen kann oder nicht. Wehren kann sich der einzelne Arbeitnehmer dagegen nicht, auch wenn er und eine übergroße Mehrheit der Arbeitnehmer im Unternehmen gegen die Gründung des Betriebsrates waren.

Gemeinhin hat man aktuell den Eindruck, dass in Deutschland vieles gut läuft. Die Arbeitslosigkeit sinkt, das Wachstum ist intakt und der Staat schwimmt im Geld. Doch mangelnde Reformbereitschaft wirkt sich nicht im jetzt und heute aus, sondern kommt als Bumerang morgen und übermorgen zurück. Vielleicht ist das ja von Gewerkschaftsseite gewollt. Schon Lenin war der Auffassung: Es muss erst schlimmer werden, bevor es besser werden kann.