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Foto: der LichtKlicker from flickr (CC BY-NC 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Fast 90% der Deutschen halten die Demokratie für die beste Herrschaftsform, wenngleich die Zustimmungsrate in den letzten Jahren leicht gefallen ist. Den Kapitalismus hingegen hält nur ein gutes Viertel der Bevölkerung für segensreich, den Sozialismus dagegen fast die Hälfte. Den Geist dieser Einstellung bringt Linkspartei-Politikerin Sahra Wagenknecht auf den Punkt, wenn sie fordert: „Freiheit statt Kapitalismus!“ Tatsächlich ist Freiheit ohne Marktwirtschaft genauso wenig zu denken wie Reichtum ohne Demokratie. In Kombination bilden Marktwirtschaft und Demokratie die wirksamste Voraussetzung für wachsenden Reichtum und zunehmende Freiheit.

Reichtum und Freiheit kein Automatismus

Die Menschheit wird reicher. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts wächst der Wohlstand weltweit und der Anteil der absolut Armen nimmt ab. Die Menge der pro Kopf produzierten und zum Konsum bereitstehenden Güter und Dienstleistungen wächst von Jahr zu Jahr.

Die Menschheit wird auch immer freier. Immer mehr Menschen sind in der Lage, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und an der Gestaltung ihrer Umwelt teilzuhaben, statt der Willkür weniger Mächtiger unterworfen zu sein.

Doch wachsender Wohlstand sowie zunehmende Freiheit sind keine Automatismen. Weiterhin sind Reichtum und Freiheit auf der Welt sehr ungleich verteilt. Dass einige Länder reich und frei sind, während andere Länder arm und unfrei sind, ist nicht Ergebnis des Schicksals oder Zufalls. Was macht Menschen in einigen Ländern reich und frei, während Menschen in anderen Ländern arm und unfrei bleiben?

Das Erfolgsrezept ist die marktwirtschaftlich organisierte Demokratie – eine Gesellschaftsordnung, in der die Allokation von Gütern und privater Eigentumsrechte an ihnen über Märkte erfolgt und der Zugang zu politischer Macht wettbewerblich und für alle offen ist. In marktwirtschaftlich organisierten Demokratien genießen Menschen sichere private Eigentums- und andere Persönlichkeitsrechte, die die Grundlage für Wohlstand und Freiheit bilden.

Wie gut es Menschen in reichen und freien Ländern gelingen wird, ihr Glück zu bewahren und wie gut es Menschen in armen und unfreien Ländern gelingen wird, ihr Leben in Zukunft lebenswerter zu gestalten, hängt entscheidend davon ab, dass wir diese Voraussetzungen einer freien und reichen Gesellschaft verstehen.

Voraussetzung für Wohlstand: wachsender Kapitalstock

Vor Beginn der industriellen Revolution lebten fast alle Menschen in Armut. Ihr Lebensstandard verbesserte sich nur langsam. Reichtum war auf kleine Gruppen konzentriert. Spätestens mit der industriellen Revolution ist es einigen Ländern gelungen, der Armut zu entfliehen – zunächst Großbritannien, den Niederlanden und Italien, dann anderen Ländern Europas, den USA, Japan und Teilen des Commonwealths. Seitdem werden die in diesen Ländern lebenden Menschen von Generation zu Generation reicher.
Die Grundlage für diese Entwicklung sind Produktivitätsgewinne. Der wachsende Kapitalstock dieser Länder ― dazu gehören beispielsweise Fabriken, Humankapital und die Infrastruktur ― macht menschliche Arbeitskraft produktiver, lässt sie also unter Einsatz derselben Arbeitskraft mehr Güter und Dienstleistungen produzieren.
Auch nachdem die industrielle Revolution einen Teil der Welt längst aus der Armut gerissen hatte, haben es manche Länder geschafft, auf den Wohlstandspfad zu gelangen. Prominente Beispiele sind die ostasiatischen Tigerstaaten Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong, deren Reichtum seit den 1980er Jahren schnell wächst. In anderen Ländern ist es Menschen nicht gelungen, den Kapitalstock massiv auszubauen, etwa in weiten Teilen Afrikas südlich der Sahara.
Wie kommt es, dass der Kapitalstock in manchen Ländern schnell wächst, während er in anderen Ländern nur langsam wächst, stagniert oder gar schrumpft?

Kapitalstock kann wachsen, wenn Privateigentum sicher ist

Der Kapitalstock wächst, wenn Menschen ihr Einkommen nicht vollständig konsumieren, sondern in Teilen sparen und für Investitionen bereitstellen. Konsumverzicht heute ist also die Grundlage für einen größeren Kapitalstock morgen. Da ein größerer Kapitalstock zukünftig mehr Konsum erlaubt, ist es für Menschen grundsätzlich lohnenswert, einen Teil ihres Einkommens zu investieren. Wie viel sie sparen, hängt unter anderem davon ab, wie sehr sie zukünftigen Konsum wertschätzen. Es hängt aber auch davon ab, wie sicher Menschen sein können, dass sie in Zukunft nicht durch Diebstahl oder Enteignungen um die Früchte ihres heutigen Verzichts gebracht werden.

BIP
Damit Menschen sich freiwillig dazu entschließen, Konsumverzicht zu üben, müssen Institutionen vorherrschen, die private Eigentumsrechte gegen Übergriffe durch Private oder den Staat schützen und dezentralisierte Entscheidungen über Konsum und Sparen ermöglichen. Es braucht eine Marktwirtschaft, basierend auf privaten Eigentumsrechten. Alternative Methoden den Kapitalstock aufzubauen – über Sklaverei, Planwirtschaft oder Raubzüge – erwiesen sich historisch und erweisen sich aktuell nicht nur als ungeeignet, sondern katastrophal für die unfreiwillig Beteiligten.

In Ländern, die Institutionen zum Schutz privaten Eigentums früh ausgebildet haben, wurden Menschen früher reich. Es ist unklar, weshalb diese Institutionen zuerst in Westeuropa entstanden sind – das mag beispielsweise an kulturellen Besonderheiten oder der Rolle des Außenhandels liegen. Entscheidend ist, dass die Voraussetzungen für einen wachsenden Kapitalstock und Reichtum bekannt sind: Marktwirtschaft auf Grundlage sicherer privater Eigentumsrechte.

Demokratie sichert Persönlichkeitsrechte

Eigentums- und andere Persönlichkeitsrechte werden in Demokratien am besten gesichert. Rechtsstaatlichkeit und Wettbewerb um politische Ämter schränken Machtmissbrauch ein und erlauben die Partizipation an politischen Entscheidungen. In Demokratien müssen die Wünsche der Bürger berücksichtigt werden, wenn Machthaber ihr Mandat nicht verlieren wollen.

Marktwirtschaft und Demokratie ergänzen sich deshalb nicht nur, sie bestärken sich gegenseitig. Der in Demokratien stattfindende Wettbewerb um politische Machtpositionen schränkt den Einflussbereich dieser Machtpositionen zugleich ein und trägt so zu sicheren privaten Eigentumsrechten bei. Marktwirtschaftliche Institutionen und sichere private Eigentumsrechte beschränken ihrerseits die Anwendung demokratischer Entscheidungsfindung auf jene Bereiche, in denen sie angemessen ist.


Demokratische Gesellschaften sind nicht frei von Problemen. Sie müssen Mechanismen entwickeln, um zu verhindern, dass organisierte Interessengruppen auf Kosten der restlichen Gesellschaft von Sonderrechten profitieren, dass Politiker ihre eigenen Interessen allzu sehr in den Vordergrund stellen und dass Mehrheiten die Freiheit von Minderheiten einschränken. Ein wirksames Mittel gegen diese Gefahren ist die Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen.

Demokratie und Marktwirtschaft sind Zwillinge

Im Zusammenspiel sind Marktwirtschaft und Demokratie das wirksamste Rezept für Reichtum und Freiheit, das der Menschheit bekannt ist. In einzelnen Fällen haben auch Autokraten die Freiheit ihrer Untertanen bewahrt und ausgebaut, doch das sind historische Ausnahmen. Nur marktwirtschaftlich organisierte Demokratien geben Menschen die Möglichkeit, ihr Leben und ihre Umwelt in freiwilliger Kooperation zu gestalten – in wirtschaftlicher, wie in politischer Hinsicht.

Es ist eine gute Nachricht, dass die meisten Menschen in freien Ländern die Demokratie als etwas Wertvolles wahrnehmen und sich gegen den Abbau demokratischer Institutionen aussprechen. Es ist ebenfalls eine gute Nachricht, dass die meisten Menschen in unfreien Ländern die Schaffung demokratischer Institutionen wünschen. Es ist jedoch wünschenswert und für zukünftige Wohlfahrtsteigerungen maßgebend, dass der Segen der Marktwirtschaft, basierend auf privaten Eigentumsrechten, in ähnlicher Weise anerkannt wird.

Erstmals veröffentlicht bei IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.

Photo: Alex Santos Silva from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Bundesbank schlägt in ihrem jüngsten Monatsbericht vor, das Rentenalter auf 69 Jahre zu erhöhen. Es ist eine gezielte Provokation in Richtung Andrea Nahles und Sigmar Gabriel. Die beiden Sozialdemokraten haben bislang alles dafür getan, die 2006 unter Gerhard Schröder und Franz Müntefering eingeführte Rente mit 67 auszuhöhlen. Ob die Strategie der heutigen SPD-Führungsriege klug ist, sei dahingestellt. Immerhin lag die SPD in Umfragen damals bei respektablen 28 Prozent. Heute wäre Gabriel froh, wenn er solche Ergebnisse vorweisen könnte.

Die Bundesbanker wollen die Rente mit 69 zwar erst im Jahr 2060 realisieren, also 30 Jahre später als „Münte“, aber dennoch rückt die Bundesbank die Probleme der umlagefinanzierten Rente wieder in den Blickpunkt. Immer mehr ältere Menschen beziehen immer länger Rente und immer weniger junge Menschen zahlen in das System ein. Während ein Rentner, der 1960 in Rente ging eine durchschnittliche Rentenbezugsdauer von 13,5 Jahren hatte, sei diese im Jahr 2011 auf 19 Jahre gestiegen. Die relative Rentenbezugsdauer – das Verhältnis von Rentenbezugszeiten zu Beitragszeiten – stieg in diesem Zeitraum sogar von 30 auf 42 Prozent. Ohne Korrekturen prognostiziert die Bundesbank einen Anstieg des Beitragssatzes von 18,7 auf 24 Prozent. Die steigenden Lasten für die Steuerzahler lassen sich auch im jüngsten Finanzbericht von Finanzminister Schäuble ablesen. Der jährliche Zuschuss aus dem Bundeshaushalt für die Rentenkasse steigt kontinuierlich an und wird von heute 86 Mrd. Euro auf über 100 Mrd. Euro im Jahr 2020 ansteigen.

Sowohl Bundesbank als auch Bundesregierung wollen etwas erhalten, was so nicht erhaltenswert ist. Nicht das Rentenversicherungsystem muss um jeden Preis erhalten werden, sondern die Bürger müssen in die Lage versetzt werden, im Alter ein existenzsicherndes Einkommen zu beziehen. Das muss der Anspruch einer Gesellschaft sein. Das setzt nicht nur ein einfaches Herumdoktern an der Rentenformel voraus, sondern eine grundsätzliche Reform des Einkommensteuer- und Sozialversicherungssystems. Nur wer in der Lage ist, selbst vorzusorgen, ist unabhängig und frei. Heute sind Arbeitnehmer und viele Selbstständige aber zwangsversichert in einem zentralistischen Kollektivsystem ohne Ausweg. Sie sind Gefangene der Politik und ihrer Willkür. Fällt der Regierung morgen oder übermorgen ein, dass das Renteneintrittsalter erhöht oder die Rente gesenkt werden muss, kann der Einzelne nichts dagegen machen.

Im bestehenden Kollektivsystem ist die Kritik von Andrea Nahles an der Rente mit 67 jedoch nicht ganz unberechtigt. Natürlich kann nicht jeder Arbeiter oder Handwerker bis 67 Jahren schwere körperliche Arbeit verrichten. Aber gleichzeitig ist die Kritik Nahles’ wiederum auch falsch. Selbstverständlich gibt es Menschen, die freiwillig bis 67 Jahre oder länger arbeiten wollen, weil es sie erfüllt und sie gerne arbeiten.

Zentrale Organisationen nehmen auf den Einzelfall keine Rücksicht. Es gibt aber nicht den Standardrentner, der mit 65 den Griffel fallen lässt und nur noch auf Urlaubsreisen geht oder seinen Garten hütet. Jeder ist anders. Jede berufliche Biographie ist anders. Selbstständigkeit, Erziehungszeiten, abhängige Beschäftigungsverhältnisse, Auslandsaufenthalte, körperliche und nichtkörperliche Arbeit wechseln sich ab. Deshalb sind auch die Wege zu einer ausreichenden Altersvorsorge individuell anders. Der eine zahlt ein Leben lang in die gesetzliche Rentenversicherung ein, ein anderer nur einige Jahre und sorgt anders vor.

Warum soll ein Rentenversicherungssystem beide daran hindern, bereits mit 60 die gesetzliche Rente zu beziehen? Warum soll ein Rentenversicherungssystem und ein Tarifsystem, das Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften geschaffen haben, Arbeitnehmer daran hindern, bis 69 oder sogar 70 zu arbeiten? Nur um das System der gesetzlichen Rente zu retten? Was macht das für einen Sinn? Es ist doch kein Selbstzweck. Die Regierung und der Staat müssen dem Bürger dienen und nicht umgekehrt.

Das Rentenversicherungsystem muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Jeder soll dann in Rente gehen können, wenn er oder sie das will. Die Probleme der Demographie müssen anders gelöst werden. Zum jeweiligen individuellen Renteneintritt müssen die Demographiefaktoren der Alterskohorte berücksichtigt werden, unabhängig davon, in welchem Alter der Einzelne in Rente gehen möchte. Das bedeutet: wer heute in Rente geht, hat durchschnittlich eine geringere Lebenserwartung als jemand der in 30 Jahren in Rente geht. Gleichzeitig bezieht er früher seine Altersrente. Auch können in 30 Jahren weniger junge Menschen die Rente des dann in Rente gehenden bezahlen. Dies muss alles zum jeweiligen Zeitpunkt des Rentenbeginns berücksichtigt werden. Das ist kein Hexenwerk, sondern Mathematik und kann individuell berechnet werden.

Wer dem Sozialstaat nicht zur Last fällt, sondern durch private, berufliche und gesetzliche Rente und Altersvorsorge ausreichend vorgesorgt hat, kann in diesem Modell zu jedem Zeitpunkt seine Rente beziehen. Er soll sogar unbegrenzt hinzuverdienen können, um seine künftige Rente entsprechend erhöhen zu können. Hände weg von der Einheitsrente für den Einheitsrentner im umfassenden Versorgungsstaat. Freie Rente für alle!

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.

Photo: Hermann Auinger from flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Der legendäre britische Premier Winston Churchill galt als Genussmensch. Er rauchte dicke Zigarren und war dem Whisky nicht abgeneigt. Auch sein Körpermaß entsprach nicht einem ausgewogenen Body-Maß-Index. Dennoch wurde er 90 Jahre alt. Seine Gesundheitsphilosophie soll er mit den Worten „no sports“ umschrieben haben. Heute ist mangelnde Bewegung von Kindern wahrscheinlich die Hauptursache für Übergewicht. Jetzt hat die neue britische Regierung dieser Entwicklung den Kampf angesagt. Dabei hat sie nicht die Stundenzahl des Sportunterrichts verdoppelt, sondern sie will ab 2018 eine Strafsteuer auf zuckerhaltige Getränke einführen. Wahrscheinlich wird es nicht lange dauern, bis auch in Deutschland ähnliche Initiativen ergriffen werden. Es wäre eine typische Reaktion einer Regierung. Es wird ein Problem erkannt und durch eine Lenkungssteuer, starke Regulierung oder sanftes Nudging bekämpft. So ist es schon bei Zigaretten, Alkohol und anderen Genussmitteln. Die Regierung spielt den Oberlehrer. Sehr häufig spielen dabei Sachargumente gar keine Rolle. Es geht nur um das Unterstreichen von Handlungsfähigkeit. Beim Zucker gibt die Faktenlage eine Diskriminierung ohnehin nicht her.

Zwar steigt der Zuckerverbrauch weltweit, dies hat jedoch eher mit dem wirtschaftlichen Aufholen der Entwicklungsländer und ihrem steigenden Konsum zu tun. So schätzt die OECD einen Pro-Kopf-Anstieg des Zuckerkonsums von 24,3 Kilogramm auf 26,7 Kilogramm im Jahr 2024. In der EU und in den USA geht der Pro-Kopf-Verbrauch an Zucker jedoch zurück. Wahrscheinlich ist die Kalorienaufnahme für steigendes Übergewicht verantwortlich. Das hat nicht zwingend etwas mit Zucker zu tun. Doch selbst die Kalorienaufnahme ist seit vielen Jahren konstant und daher liegt die steigende Fettleibigkeit von Kindern eher am Bewegungsmangel als an zu viel Zucker.

Doch wer ist dafür verantwortlich? Die Regierung, die Krankenkassen, die Süßwarenindustrie, die Zuckerrübenanbauer? Und welches objektive Gremium stellt die Verantwortlichen fest? Etwa eine Regierungsmehrheit im Parlament? Werden die Strafsteuern dann christdemokratisch, sozialdemokratisch, ökologisch oder liberal festgelegt?

Nein, Lenkungssteuern sind falsch, sie wollen den Bürger erziehen und sein individuelles Verhalten verändern. Das steht keiner Regierung, keinem Parlament und keiner politischen Mehrheit zu. Denn wo soll diese Bevormundung enden, etwa bei der wöchentlichen Zuteilung von Genussmitteln wie bei George Orwells „1984“? Gegen dieses moderne Jakobinertum sollten wir uns schon in den Anfängen wehren. Freiheit setzt Verantwortung voraus, auch beim Konsum. Es ist aber eine individuelle Verantwortung, sie kann nicht kollektiviert werden, sonst stirbt die Freiheit.

Photo: Charles Haynes from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Unternehmen machen regelmäßig Stresstests, um ihre IT-Systeme auf mögliche Bedrohungen durch Hacker und andere Angriffe zu testen. Das geschieht meist heimlich, um mögliche Angreifer nicht auf Sicherheitslücken aufmerksam zu machen. Das macht individuell Sinn, denn wieso sollte ein Unternehmen freiwillig seine Schwächen zeigen? Ganz anders bei den Banken. Sie werden streng reguliert und regelmäßig aufsichtsrechtlichen Stresstests unterzogen, deren Ergebnisse alle an einem Tag öffentlich gemacht werden. Die gerade durchgeführten Stresstests wurden für die Banken in der EU von der Europäischen Bankenaufsicht Anfang August veröffentlicht.

Simuliert wurde unter anderem der Einbruch der Wirtschaftsleistung in Europa um 6,8 Prozent bis 2018 und deren Folgen für die 51 wichtigsten europäischen Banken. Gemessen wurde die Stressfähigkeit an der Kernkapitalquote. Anders als bei Unternehmen wird bei Banken meist nicht das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanzsumme betrachtet, sondern nur zu risikobehafteten Positionen in der Bilanz. Das führt dazu, dass Geschäftsbanken als solide dargestellt werden, wenn sie in einem solchen Szenario eine Quote von 13 Prozent vorweisen konnten und danach lediglich um die 10 Prozent lagen. Würde das Eigenkapital jedoch auf die gesamte Bilanzsumme ins Verhältnis gesetzt, hätten die meisten Banken lediglich eine Quote von um die 3 Prozent vorzuweisen. Institute, die nach dem Stresstest eine Kernkapitalquote unter 5,5 Prozent vorweisen, gelten als Sanierungsfall, weil ihr Eigenkapital längst marginalisiert ist.

Schon kommuniziert die EZB, dass das Stresstestergebnis gezeigt hätte, dass sich die Lage gegenüber dem Stresstest 2014 verbessert habe. Die meisten Banken stünden solide da, lediglich die eine oder andere italienische, irische oder auch deutsche Bank müsse noch Hausaufgaben machen. Insgesamt hätten die Banken ihre Kapitalpolster um 180 Milliarden Euro seit Beginn der Finanzkrise erhöht. Das soll beruhigen und die Sinnhaftigkeit des Stresstests unterstreichen. Doch er ist nicht sinnvoll.

Denn seine Aussagekraft ist so gewichtig wie die eines Weißbrotes. Er sagt nichts aus. Denn wenn er etwas aussagen würde, dann würde die Finanzkrise erneut und sofort an das Tageslicht kommen und offenbaren, dass das Banksystem insgesamt überschuldet ist. Angedeutet hat das dieser Tage das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW in Mannheim. Sie gehen von einem wesentlich höheren Kapitalbedarf aus. Ihre Annahme: würden die weltweiten Aktienmärkte in den nächsten Monaten um 40 Prozent einbrechen, wäre bei den europäischen Banken mit einem Fehlbetrag von 882 Milliarden Euro zu rechnen. Seit der letzten Betrachtung sei der Fehlbetrag um 35 Prozent gestiegen. Die Schlussfolgerung der Mannheimer: Die Kreditinstitute seien dann wahrscheinlich auf Subventionen angewiesen.

Wahrscheinlich wird das Risiko weiter steigen. Die Ursache liegt in der Zinsvernichtungspolitik der EZB. Sie schlägt den Banken den Boden unter den Füßen weg. Deren immenser Kostenapparat kann durch das Wegbrechen ihrer wesentlichen Ertragsquelle, dem Zins auf der Haben- und auf der Sollseite, nicht schnell genug kompensiert werden. Deshalb kann die EZB noch so viele Stresstests machen und anschließend sagen, es sei besser geworden. Deren Bürokraten in Frankfurt mögen das noch glauben, sonst aber niemand. Der Stresstest erinnert daher eher an des Kaisers neue Kleider. Die EZB ist längst nackt, sie merkt es nur noch nicht.

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.

Photo: Wikimedia Commons

Von Dr. Karolin Herrmann, Referentin für Haushaltspolitik und Haushaltsrecht beim Deutschen Steuerzahlerinstitut, Fackelträgerin von Prometheus.

Mein Frühstück beginnt oft mit einem Marmeladenbrötchen. Bei einem Blick auf meinen aktuellen Einkauf fällt mir auf, dass die Marmelade eigentlich keine Marmelade ist, sondern Konfitüre. Laut EG-Richtlinie 2001/113 ist nämlich streng zwischen Konfitüre, Konfitüre Extra, Gelee, Marmelade, Marmeladen-Gelee und Maronenkrem zu unterscheiden. Zu meinem Brötchen gibt es Kaffee. Mein Kaffee kommt aus der Maschine. Sie ist – in diesem Fall glücklicherweise – schon etwas älter. Hätte ich mir erst kürzlich eine Filter-Kaffeemaschine zugelegt, wäre diese mit einer automatischen Abschaltautomatik ausgestattet. Filterkaffeemaschinen mit Glaskanne dürfen seit 2015 nämlich nur noch eine gute halbe Stunde im Warmhaltemodus verharren.

Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg zur Arbeit. Ich stolpere über eine leere Zigarettenpackung. Beim Anblick des mit verstümmelten Gliedmaßen bebilderten Päckchens wird mir übel. Ich greife zur Wasserflasche. Der Health Claim „Wasser trägt zur Erhaltung normaler körperlicher und kognitiver Funktionen bei“, darf seit einiger Zeit nur verwendet werden, wenn der Verbraucher gleichzeitig darüber informiert wird, dass er täglich wenigstens zwei Liter davon trinken soll. Der Kaugummi danach darf übrigens nur dann mit dem Hinweis „Zuckerfreier Kaugummi trägt zur Neutralisierung der Säuren des Zahnbelags bei“ versehen sein, wenn dieser auch wirklich zuckerfrei ist.

Und schon vergeht mir die Lust. Ich fühle mich fremdbestimmt. Wem muss ich eigentlich entsprechen? Dem europäischen Leitbild eines gesundheitsbewussten und umweltbewussten Menschen, der regionale Produkte bevorzugt, wenig Alkohol trinkt und seine Kinder stillt?

Richtig gelesen! Die EU-Verordnung 609/2013 stellt Anforderungen an die Aufmachung von Säuglingsanfangsnahrung, damit sie Mütter bitteschön nicht „vom Stillen abhält“.  So darf Säuglingsmilch nicht durch Babyfotos gekennzeichnet sein, die den „Gebrauch dieser Nahrung idealisieren könnten“. Glaubt man in Brüssel tatsächlich, dass niedliche Babyfotos auf Milchpulverpackungen Frauen vom Stillen abhalten könnten? Besteht hier tatsächlich ein europäischer Handlungsbedarf? Fallen Frauen, die nicht stillen, aus dem europäischen Rahmen? Müssen sie sogar ein schlechtes Gewissen haben? Ich meine: keinesfalls!

Hier lohnt sich ein genauerer Blick. Die Idee des Nudging, des sanften Anstubsens in die richtige Richtung, wurde 2008 durch den Bestseller „Nudge“ von Thaler und Sunstein populär – mit dem Ziel, vermeintliche „Selbstkontrollprobleme“ zu reduzieren, ohne dabei die individuelle Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen. Die schwächere Form des „Anstubsens“ kommt durch eine Verbreiterung der Informationsgrundlage zum Ausdruck. Ein Beispiel ist die EU-Verordnung Nr. 1379/2013: Danach ist die Fischereiwirtschaft dazu verpflichtet, dem Verbraucher anzuzeigen, welches Gerät beim Fischfang eingesetzt wird – etwa Waden-, Schlepp- oder Umschließungsnetze. Dafür wurden bestimmte Fischfanggeräte-Codes entwickelt. „PTM“ steht zum Beispiel für Pelagische Zweischiffschleppnetze. Dank solcher Codes kann der fachkundige Käufer auf das entsprechende Fanggerät schließen und daraus beispielsweise ableiten, wie hoch das Risiko eines unerwünschten Beifangs von Meeressäugern ist. Allerdings muss auch bei solchen Kennzeichnungspflichten immer die Frage nach der Kosten-Nutzen-Relation gestellt werden. Im Unterschied dazu würde man bei einer Lebensmittel-Ampel die Empfehlung für gesunde Ernährung geradezu auf dem Silbertablett serviert bekommen. Ob aber die Auswahl der Kriterien, nach denen jene Einteilung in rot, gelb und grün erfolgt, objektiv wäre und ob sie auf die gesundheitliche Konstitution des „Durchschnittsbürgers“ zuträfe, ist mehr als zweifelhaft.

Bei allen Versuchen zur Reglementierung meines und Ihres Alltags ist es wesentlich, zwischen Politik und Privatwirtschaft zu trennen: Grundsätzlich gibt es einen Unterschied, ob die Privatwirtschaft Akzente für Werbekampagnen setzt, um  Entscheidungen potenzieller Kunden zu beeinflussen, oder ob  Politiker uns zu steuern versuchen. Meines Erachtens spricht nichts dagegen, wenn Einzelhändler freiwillig entscheiden, süßwarenfreie Kassen anzubieten, wenn sie darin ihr Alleinstellungsmerkmal sehen. Ebenso ist nichts dagegen einzuwenden, wenn einzelne Mensen ihre Auslagen zugunsten rohkostreicher Ernährung sortieren oder Hersteller von Lebensmitteln einzelne Produktmerkmale hervorheben. Problematisch, weil unangenehm, wird es aber, wenn sich politische Entscheidungsträger  anmaßen, ihre Bürger in die einzige vermeintlich richtige Richtung „stubsen“ zu müssen – aktuell zu beobachten am Beispiel der europäischen Alkohol-Strategie 2016-2022:

Alkoholmissbrauch ist ein ernstes Thema – keine Frage. In der EU wird rund jeder vierte Todesfall bei jungen Männern zwischen 15 und 29 Jahren mit Alkohol in Verbindung gebracht. Daher hatte das Europäische Parlament die Europäische Kommission im Frühjahr vergangenen Jahres zur Ausarbeitung der „Alkoholstrategie 2016-2022“ aufgefordert. Ein ehrenwertes Projekt – doch nur auf den ersten Blick. Denn bei dieser EU-Strategie stellt sich die Frage der tatsächlichen Wirksamkeit – und damit, ob eine solche Initiative auf europäischer Ebene überhaupt angestoßen werden sollte. Innerhalb der EU konzentriert sich die Alkoholproduktion nämlich auf relativ wenige Mitgliedstaaten: Die Weinproduktion ist zu 77 Prozent auf Spanien, Italien und Frankreich konzentriert, mehr als die Hälfte der europäischen Bierproduktion entfällt auf Deutschland, Großbritannien, Polen und die Niederlande. Eine restriktive europäische Alkoholstrategie würde die einzelnen Mitgliedstaaten also unterschiedlich treffen. Obendrein lässt sich aus Negativeffekten alkoholischer Getränke ordnungspolitisch nur dann ein möglicher Handlungsbedarf ableiten, wenn soziale Kosten entstehen, die durch den Verursacher nicht internalisiert werden.

In diesem Zusammenhang ist auch die Diskussion über Warnhinweise neu entflammt. Das Konsumverhalten über Schockbilder zu beeinflussen, erscheint paternalistisch. Mündige Erwachsene müssen selbst entscheiden können, ob sie Alkohol konsumieren oder nicht. Zudem belegt eine Reihe empirischer Studien, dass zum Beispiel die Mehrheit der Raucher ihr Konsumverhalten nicht durch Warnhinweise ändert. Für mich stellt sich auch die Frage nach dem Kinderschutz, wenn Produkte mit derart angsteinflößenden Bildern gegenüber von Schokoriegeln und Überraschungseiern im Supermarkt angeboten und in Verkehr gebracht werden. Es ist richtig, dass die Industrie hier bereits reagiert hat – somit können die Hersteller von Zigarettenetuis auf eine Renaissance edler Umverpackungen hoffen.

Ich bin ein Fan des Subsidiaritätsgedankens. Der Staat soll nur dort eingreifen, wo der einzelne Bürger oder eine kleine Gruppe zur Lösung eines ganz bestimmten Problems nicht in der Lage ist. Das stärkt die Eigenverantwortung und trägt dem Prinzip der Selbsthilfe Rechnung. Ich sage dies, weil ich kein Misanthrop, sondern ein Menschenfreund bin. Und bei Problemen zähle ich auf Reflektion und Vernunft, den „Familienrat“ daheim und ernsthafte Ratschläge aus dem Freundeskreis. Vor allem aber glaube ich nicht daran, dass die Politik es durch „sanftes Anstubsen“ schafft, uns dem Idealmodell eines „Homo Oeconomicus“ näher zu bringen. Wir Bürger leben nicht in jeder Situation so, wie die Politik sich das wünscht. Wir wissen nicht, was wir tun? Von wegen! Ich jedenfalls freue mich auf mein Frühstück morgen.