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Klima, Migration, Upload-Filter: Eine Empörungswelle jagt aktuell die nächste. Dass die sozialen Medien den Individuen eine lautere Stimme geben ist gut, erfordert aber ein Umdenken bei Aktivisten und Politikern.

Beim politischen Wellenreiten bleibt das konstruktive Diskutieren auf der Strecke

„Das ist die perfekte Welle, Das ist der perfekte Tag, Lass dich einfach von ihr tragen, Denk am besten gar nicht nach“, sang die Deutsch-Pop-Band „Juli“ im Jahr 2004. Was als Surfer-Hommage gedacht war, eignet sich aktuell wie kein anderes Lied, um den Zustand der deutschen Debattenkultur zu beschreiben. Egal ob Klima, Migration oder Upload-Filter: geradezu aus dem Nichts türmen sich immer wieder neue Empörungswellen in Deutschland auf und schlagen über dem politischen Marktplatz zusammen. Politiker und Medien gleichermaßen hoffen derweil wie Surfer auf die perfekte Welle, auf der sie zum Erfolg reiten können. Die kommt – wie gerade für die Grünen – nur unregelmäßig, und selbst wer eine optimale Welle erwischt, kann doch von der nächsten überrascht und unkontrolliert durch die Gegend geschleudert werden. Das für eine Demokratie elementare aber zeitraubende Abwägen und konstruktive Diskutieren bleibt beim politischen Wellenreiten, ganz getreu dem Juli-Song, zumeist vollkommen auf der Strecke.

Die aktuellen Aufmerksamkeitswellen haben eine andere Intensität und Richtung

Sicher, mediale Aufmerksamkeitszyklen gab es schon immer. Erst wird wochenlang täglich mit Sonderberichten aus aktuellen Krisengebieten wie Libyen, Syrien oder Sri Lanka berichtet, nur um im nächsten Moment die kollektive Aufmerksamkeit auf ein Sportgroßereignis oder eine boulevardeske Räuberpistole zu lenken. Geändert hat sich jedoch die Wucht, mit der Aufmerksamkeitswellen über uns hinwegrollen und – wohl am Wichtigsten – wo diese Wellen herkommen. Stimmungen werden heutzutage viel weniger im Springer-Haus erzeugt als in den sozialen Medien. Da reicht es, wenn ein vielen Menschen bis dato, vermutlich zu Recht, vollkommen unbekannter Youtuber mit blauen Haaren über die CDU herzieht, um Deutschlands mächtigste Partei in den Grundfesten zu erschüttern. Da tourt eine Luisa Neubauer durch Deutschlands Talkshow-Landschaft und wird vielleicht doch nur eingeladen, um in regelmäßigen Abständen „Klimawandel!“ und „Panik!“ zu sagen, und den versammelten Kabinettsmitgliedern die Möglichkeit zu geben, beim Zuhören besonders einfühlsam und aufmerksam zu gucken.

Im Grunde wäre einiges an dieser Entwicklung begrüßenswert; ja sogar erstrebenswert. Schließlich sollte Politik ja gerade vom einzelnen Individuum ausgehen. Die sozialen Medien machen die Demokratie und ihre Debatten unkontrollierbarer, lebendiger und zugänglicher. Die Eliten aus Politik und Medien können Themen kaum noch aussitzen, geschweige denn sie einfach totschweigen. Ja, unsere Volksvertreter müssen nun gut und genau zuhören, um nicht an ihren Wählern vorbeizureden oder gar auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Das wahre Problem liegt nicht darin, dass Menschen von ganz außerhalb des politischen Spektrums auf einmal mit ihren Meinungen Gehör finden. Das wahre Problem liegt darin, wie diese Menschen aber auch die Berufspolitiker unseres Landes ihre jeweiligen neuen Rollen ausfüllen.

Hauptsache erstmal Panik?

So mangelt es auf der Seite der Aktivisten an einem Bewusstsein für die mit der neuen Macht einhergehende Verantwortung. Da rufen junge Menschen allabendlich ihrer Generation zu, sie solle doch bitte auf der Stelle in Panik verfallen, und niemand fragt, was um alles in der Welt Panik uns bringen sollte. Denn anstatt endlich die spannende Frage zu diskutieren, welche klimapolitischen Instrumente wirklich effektiv und effizient sind, erzeugt dies tatsächlich bloße kopflose Panik. Politiker und Journalisten schwärmen panisch aus, um unbedingt „irgendwas mit Klima“ zu sagen, und können damit letztendliche ihre jungen Kritiker trotzdem nicht einfangen. Letztere nutzen zwar geschickt die Öffentlichkeit, um kurzfristige Aufmerksamkeit zu generieren. Die Verantwortung für die Entwicklung von tatsächlichen Lösungen schieben viele Aktivisten am Ende aber doch wieder an die zuvor kritisierte Politik zurück. Und dort hofft man insgeheim doch nur, dass sich möglichst bald eine neue Empörungswelle auftut, auf die man besser vorbereitet ist. Folglich gibt es ziellose Aufmerksamkeit, diesen oder anderen politischen Gewinnern aber vor allem nur große Schlagzeilen. Die sachliche Auseinandersetzung bleibt leider auf der Strecke.

Politiker sollten Entscheidungsfindungsexperten sein

Und auf der anderen Seite? Stimmungen und Debatten aufzunehmen, ist nicht gleichbedeutend damit, alle Überzeugungen über Board zu werfen. Die Rolle der Politik wäre es eigentlich, die Debatten zu ordnen und ihnen eine Struktur zu geben. Was müssen klimapolitische Instrumente leisten, wo gibt es Probleme und was sind nicht bedachte Folgen? Doch anstatt als Experten in der Entscheidungsfindung aufzutreten, lechzen die meisten Entscheidungsträger lediglich nach der Zustimmung der Luisa Neubauers unserer Zeit. Das macht es den mindestens genauso ideenlosen Kräften an den Rändern unseres politischen Spektrums besonders leicht, sich als einzig vernünftige Alternative „zwischen all den Altparteien“ zu gebären. Die Parteizentralen sollten endlich verstehen, dass Aufmerksamkeitswellen viel zu instabil sind, um darauf dauerhaften Erfolg zu gründen. Wie schnell sich die Stimmung drehen kann, erleben doch seit Jahren die Grünen, die als kleinste Oppositionspartei im Bundestag gerade zur neuen Volkspartei erklärt werden – und das nicht zum ersten Mal.

Segeln statt Wellenreiten

Die digitale Revolution ermöglicht dem Individuum eine ganz neue und potentiell einflussreichere Rolle in der politischen Debatte – und das ist auch gut so. Mit dem gesteigerten Einfluss muss jedoch auch ein gesteigertes Verantwortungsgefühl einhergehen. Dass man die gleichen Politikvertreter, die man auf Twitter und Youtube permanent vor sich hertreibt, für ihr Versagen beschimpft, nur um anschließend doch wieder alle Hoffnungen in sie zu setzen, ist beinahe grotesk. Gleichzeitig müssen Volksvertreter ihr Selbstbild anpassen. Viel mehr als Macher und Entscheider, sollten sie aufmerksame, aber prinzipientreue Moderatoren sein. Am Ende schaffen es vielleicht beide Seiten, die raue See der politischen Debatte so ganz anders zu nutzen – zum nachhaltigen Segeln statt zum kurzfristigen Wellenreiten.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen.

Diesen Staat gibt es nicht zum Nulltarif.“ Mit diesen Worten warb die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer für ein verpflichtendes Dienstjahr für alle 18- bis 25-jährigen Bürger. Unterstützung für diese Idee findet sich auch in der Bevölkerung: Laut einer Umfrage aus dem ZDF-Politbarometer aus dem August dieses Jahres begrüßen 68 Prozent aller Wahlberechtigten die Einführung einer einjährigen Dienstpflicht. So wünschenswert es klingen mag, Werte wie Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein oder Empathie unter jungen Menschen zu stärken, so wenig gibt es belastbare Hinweise auf die erhofften positiven Wirkungen eines einjährigen Pflichtdienstes, die den massiven staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte junger Menschen rechtfertigen könnten.

Unter den deutschen Politikern ist Annegret Kramp-Karrenbauer nicht die einzige, die Gefallen an der Idee eines sozialen Pflichtjahres findet. Die Junge Union erhofft sich vom Pflichtdienst, „den Zusammenhalt im Land zu stärken“. Für Norbert Blüm könnte der Sozialdienst das Gefühl der „Gesamtverantwortung aller Staatsbürger“ fördern und als „Schule der Empathie“ fungieren. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach findet „den Gedanken grundsätzlich nicht falsch“, um Kräfte für soziale Einrichtungen zu mobilisieren.

Sozialjahr wie Wehrpflicht: Direkte Kosten für die Betroffenen

Während die Befürworter der Idee eines sozialen Pflichtdienstes den damit einhergehenden erhofften Nutzen in den Vordergrund stellen, lässt sich in der akademischen Literatur vor allem etwas zu den erwartbaren Kosten finden.

Ein verpflichtendes einjähriges soziales Jahr ist wie die Wehrpflicht oder der Zivildienst eine implizite Naturalsteuer. Statt die Steuerschuld in monetärer Form an den Staat zu entrichten, wird sie in geleisteter Arbeit abgegolten. Die direkten Kosten für die Dienstpflichtigen liegen im impliziten Verzicht auf die Differenz zwischen dem entgangenen Marktlohn und der staatlichen Entlohnung im Pflichtjahr. Wie alle Steuern ist auch diese Naturalsteuer für die Besteuerten eine Belastung.

Panu Poutvaraa vom ifo-Institut und andere Ökonomen haben Effekte des Wehrdiensts erforscht, die sich auf ein soziales Pflichtjahr übertragen lassen. Sie heben hervor, dass die Wehrpflicht junge Menschen in einem Alter betrifft, in dem am stärksten Wissen durch Lehre, Ausbildung und frühe Arbeitserfahrung aufgebaut wird. Die Unterbrechung reduziert die Vorteile des Wissensaufbaus und senkt den Anreiz, sich nach dem Schulabschluss weiterzubilden. Die Pflicht zum (Wehr-)Dienst hemmt also den Qualifikationsstand junger Menschen.

Ferner verschiebt die Wehpflicht den Eintritt in den Arbeitsmarkt und zwingt die Betroffenen, auf ihr letztes und zumeist relativ hohes Einkommen vor der Rente zu verzichten. Der Verzicht auf Lohn während des Wehrdienstes, geringere Wissensakkumulation und der verzögerte Eintritt in den Arbeitsmarkt verringern das Lebenseinkommen der (Wehr-)Dienstleistenden und wirken so wachstumshemmend.

Sozialjahr wie Zivildienst: Indirekte Kosten

In Bezug auf den Zivildienst, der dem sozialen Pflichtjahr noch näher kommt, weisen Thomas Bauer und Christoph Schmidt auf weitere indirekte Kosten hin: Der kostengünstige Einsatz von Zivildienstleistenden verzerrt das Verhältnis der Kosten zwischen Arbeit und Kapital in Pflegeheimen und anderen sozialen Einrichtungen. Können in diesen Einrichtungen recht günstig Arbeitskräfte angestellt werden, wird der Anreiz geschwächt, technologisch und organisatorisch auf dem neusten Stand zu sein. Ähnliches ist bei einem verpflichtenden Dienstjahr zu erwarten. Statt 78.000 Zivildienstleistende im Jahr 2010 würden bei einem für alle verpflichtenden sozialen Jahr hunderttausende junge Menschen einberufen werden. Die nicht-marktlich entlohnten Sozialdienstpflichtigen würden zu künstlich niedrigen Preisen und Löhnen im Markt für Sozialdienste beitragen und qualifiziertes Personal verdrängen. Ein sozialer Pflichtdienst könnte so den Mangel von qualifiziertem Personal im Sozialdienst befördern.

„Mandatory volunteering“: Ein Widerspruch in sich

Die direkten und indirekten Kosten von Pflichtdiensten sind gut zu fassen. Anders sieht es mit dem erhofften Nutzen eines verpflichtenden Dienstes in Form von wünschenswerter Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen aus. Nur eine Handvoll Studien über die Wirkung eines relativ kurzfristigen verpflichtenden Sozialdienstes von 20 bis 40 Stunden von High-School-Schülern und College-Studenten aus den USA und Australien lassen sich finden. Laut der Ergebnisse kann das sogenannte „mandatory volunteering“ die Bereitschaft junger Leute, sich gesellschaftlich zu engagieren, stärken. Voraussetzung ist dabei, dass der Dienst in den Lehrplan integriert ist und die Jugendlichen selbstbestimmt ihr Engagement auswählen können. Fehlen die genannten Faktoren, wirkt sich das „mandatory volunterring“ eher unerwünscht aus. So kann Zwang zum sozialen Engagement die Motivation, sich zukünftig freiwillig zu engagieren, und die langfristige Verbundenheit zur Gesellschaft schwächen.

Nur Symbolpolitik?

Eine eher kritische Haltung zu einem sozialen Pflichtjahr nehmen auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände ein. So ordnet der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Wolfgang Stadler einen allgemeinen Pflichtdiensts in die Kategorie „Sommerlochidee“ ein. Laut AWO kann „ein soziales Jahr ein großer Gewinn für junge Menschen sein [..], aber nur, wenn es freiwillig erfolgt“. Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, spricht gar davon, dass es keine „700.000 Jugendliche pro Jahr [brauche], von denen die Hälfte überhaupt nicht weiß, was sie bei uns soll.

Sozialdienst: Sozial dienlich?

Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen. Anstatt den Versuch zu unternehmen, mit Zwang ein Gemeinschaftsgefühl zu befördern, sollte die Politik sich darauf beschränken, einen verlässlichen Regelrahmen zu setzen, in dem die Bürger an möglichst vielen Positivsummenspielen teilhaben können, die das gegenseitige Vertrauen fördern.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: re:publica from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Das Framing-Gutachten für die ARD, der Fall Relotius – die Medien scheinen außer Rand und Band. Wenn das Sendungsbewusstsein mit der Elite durchgeht, untergräbt sie langfristig den Zusammenhalt in einer Gesellschaft.

Eliten sind Teil der arbeitsteiligen Gesellschaft

Vorweg ein Lob der Eliten. Der Begriff ist unschön, aber das Phänomen, das er beschreibt, ist durchaus sinnvoll. Das liegt daran, dass wir in unserer modernen Zivilisation nach dem Prinzip der Arbeitsteilung arbeiten. Wenn wir ein köstliches Stück Torte haben wollen, gehen wir zum Konditor. Bei den anschließenden Zahnschmerzen suchen wir die Zahnärztin auf. Wenn unsere Badewanne leckt, rufen wir den Klempner. Und die Kosten dafür rechnet unsere Steuerberaterin aus unserer Steuerlast heraus. Wir machen nicht alles selber – weil wir vieles nicht so gut beherrschen wie andere und auf sehr viele Dinge auch gar keine Lust haben.

Zu den Angelegenheiten, die wahrlich nicht jedermann in all ihrer Tiefe und Komplexität interessieren, gehören auch politische Fragen. Zwar haben die allermeisten dazu Meinungen, aber kaum einer wendet die Zeit auf, um den philosophischen Grundlagen dieser Ansicht bei Thomas von Aquin, Kant oder Luhmann nachzugehen. Und kaum einer macht sich die Mühe, die Energiewende oder das Datenschutzrecht in all ihren Facetten zu durchdringen. Die Meinungsbildung lagern wir aus – genauso wie die Käseproduktion und den Physikunterricht. Das ist völlig in Ordnung, ja sogar ein Zeichen der Gesundheit einer Gesellschaft, wenn nicht jeder sich intensiv mit politischen Fragen beschäftigen muss. Den Luxus können sich Menschen in Venezuela oder der Ukraine nicht leisten.

Moral: die Nuklearoption im Diskurs

Die Cicero-Redakteurin, der Soziologie-Professor, der Greenpeace-Pressesprecher und die Seminar-Leiterin bei der Adenauer-Stiftung erfüllen wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft, weil sie anderen Menschen dabei helfen, sich ihre Meinungen zu bilden. Damit einher geht freilich eine ganz besondere Verantwortung. Eine dröge Torte hat nämlich mintunter weniger Einfluss als eine schlechte Gesetzesvorlage. Und eine schlampig gearbeitete Steuererklärung ist für den Betroffenen ärgerlich, ist aber nicht an der Eskalation des gesellschaftlichen Dialogs schuld. Der Fall Relotius vor einigen Wochen und ganz besonders das Framing-Handbuch der ARD sind besonders krasse Beispiele dafür, wie Eliten ihrer besonderen Verantwortung nicht gerecht wurden.

Beiden Fällen ist gemeinsam, dass die Akteure hemmungslos begeistert waren von ihrer eigenen Rechtschaffenheit. Da darf man schon einem ehemaligen Mitglied der Weißen Rose Sätze in den Mund legen. Es geht schließlich gegen die Nazis. Und angesichts der Bedrohungen unserer Zivilisation ist es richtig, den ARD mit allen Mitteln zu verteidigen, denn „nur in einem Land mit einer stabilen gemeinsamen Rundfunkinfrastruktur kann man frei und erfolgreiche (sic!) leben und seinen Geschäften nachgehen.“ Hinter diesen moralischen Ansprüchen muss alles andere zurücktreten: Fakten, Ambivalenzen, Gegenargumente, Differenzierungen … Der moralische Anspruch wirkt wie ein religiöses Dogma: er ist so sehr gut und wahr, dass alles andere sich davor zu beugen hat.

Die Unmoral des Moralisierens

Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um Fragen, die mit einer solchen Autorität entschieden werden dürften. Wie Trump-Wähler einzuschätzen sind und ob der ARD eine wünschenswerte Einrichtung ist, sind selbstverständlich Fragen, zu denen man sehr unterschiedliche Standpunkte einnehmen kann und die niemals letztgültig beantwortet werden können. Es ist das gute Recht, ja sogar die Pflicht der Eliten, der Meinungsmacher, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen, durchaus auch mit klaren Positionen. Aber man darf sie nicht von der Kanzel einer quasi-religiösen Unfehlbarkeit herab verkündigen.

Und erst recht darf man nicht zu den Mitteln greifen, die man mit Leidenschaft anprangert, wenn die Gegenseite sie benutzt. Relotius hat Fake News produziert wie Russia Today. Und Wehling hat mit ihrem Framing-Handbuch so tief in die Trickkiste der Volksverführer und Demagogen gegriffen, dass George Orwell sich rotierend aus seinem Grab in England inzwischen schon fast in Berkeley wiederfinden müsste. Im Grunde genommen ist das Moralisieren dieser Menschen zutiefst unmoralisch.

Überzeugen statt überrumpeln

Eliten sind essenziell für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Und gerade deshalb müssen sie ihre Rolle mit besonderer Vorsicht und Klugheit einnehmen. Arbeiten sie mit Betrug und Trickserei, dann bereiten sie denjenigen den Boden, die sich als Anti-Eliten darstellen. Sie geben dann denen recht, die gegen „die da oben“ wettern. Bessere Unterstützer könnten sich die Populisten kaum wünschen. Ihre Moralkeulen sind das Fundament, von dem aus die Gegner der Offenen Gesellschaft ihre Angriffe starten.

Bei den Eliten der demokratischen Welt muss dringend ein Umdenken einsetzen. Im Wettbewerb der Ideen müssen sie mit offenem Visier kämpfen. Sie müssen sich das Vertrauen der Öffentlichkeit erarbeiten durch einen verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Aufgabe innerhalb der arbeitsteiligen Gesellschaft. Und sie dürfen sich nicht davor fürchten, zu ihren Ansichten zu stehen, anstatt diese durch Betrug oder Framing moralisch aufzuladen. „Überzeugen statt überrumpeln“ muss ihre Devise lauten. Dabei sollten sie die Konfrontation nicht scheuen, denn wie Friedrich August von Hayek schon in seinem Werk „Verfassung der Freiheit“ festhielt, ist es vielleicht gerade die Kernaufgabe von Eliten, sich der offenen Auseinandersetzung zu stellen: „Unser Wissen und unsere Einsicht machen nur deshalb Fortschritte, weil es immer Menschen geben wird, die den Anschauungen der Mehrheit entgegentreten.“ Das sind die wahren Eliten, die unsere Gesellschaft braucht.

Photo: Stop TTIP (CC BY-SA 2.0)

Als 2014 die Energiewende stockt, weil keiner einen Strommast im Garten haben will, schreibt das Wirtschaftsministerium einen „Bürgerdialog Stromnetz“ aus, der Abhilfe schaffen soll. Gesprächstherapie als Schmiermittel für das Jahrhundertprojekt. Den Zuschlag bekommen die Hirschen Group, IKU GmbH und die DUH Umweltschutz-Service GmbH. 2,8 Millionen Euro pro Jahr. So viel fließt laut einer Sprecherin der DUH in das Projekt.

Im gleichen Jahr holt sich der neue Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Staatssekretär: Rainer Baake. Was war dessen vorherige Aufgabe, von 2006 bis 2012? Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und zugleich Geschäftsführer der DUH Umweltschutz-Service GmbH. Und davor war er von 1998 bis 2005 Staatssekretär im Umweltministerium, dem Hauptauftraggeber der DUH Umweltschutz-Service GmbH. 8,35 Millionen Euro flossen zwischen 2003 und 2018, wie die Bundesregierung in einer Antwort auf die Kleine Anfrage eines Abgeordneten mitteilte, also rund 550.000 Euro pro Jahr.

Wenn Stephan G. Richter in einem WELT -Beitrag die ungebührliche Nähe von Politik und Industrie beschreibt, um auf die Notwendigkeit von NGOs, namentlich der DUH, als Korrektiv hinzuweisen, ist das nur ein Teil der Wahrheit. Es ist zwar gut, dass eine wachsame Öffentlichkeit genauer hinschaut, wenn Politik und Großkonzerne zu stark miteinander klüngeln – ob es da um Bankenrettung geht, Dieselskandale oder die Träume von einer neuen Industriepolitik, denen sich der Wirtschafts- und der Finanzminister derzeit hingeben. Doch ähnliche Verhaltensregeln müssen auch für Organisationen des politischen Aktivismus gelten.

NGOs sind als Konzept eine äußerst sinnvolle Einrichtung. Sie sind ein unverzichtbares Element von Zivilgesellschaften. Die Mächtigen in Ländern wie Russland oder Ungarn haben das erkannt und arbeiten deshalb mit allen Mitteln daran, solche Organisationen aus dem Weg zu räumen. So lassen sie die lebenswichtigen Adern einer offenen Gesellschaft ausbluten. Gerade weil NGOs eine derart zentrale Bedeutung zukommt, ist es freilich unerlässlich, dass sie verantwortungsvoll mit dem in sie gesetzten Vertrauen umgehen.

Zu diesem Vertrauen gehört ganz zentral die Unabhängigkeit. Ob Bund der Steuerzahler oder Attac – NGOs beanspruchen für sich, oft zu Recht, unabhängige Institutionen zu sein. Das heißt: nicht von einzelnen Interessenvertretern finanziert und niemandem verpflichtet. Wie viele Verpflichtungen gehen aber Organisationen wie die DUH oder Oxfam ein, die sich zu erheblichen Teilen aus staatlichen Aufträgen finanzieren? Sichern sie sich im Gegenzug politischen Einfluss, indem sie sich zu unverzichtbaren Partnern staatlicher Stellen machen?

Zum Vertrauen gehört auch Glaubwürdigkeit, ganz besonders in den Fällen, wo NGOs lautstark mit Forderungen an die Öffentlichkeit treten. NGOs, die selber etwas verändern, etwa bei Flüchtlingshilfe, Strandreinigung oder Altenbetreuung, haben kein Problem, ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen.

Etwas anders sieht der Fall bei einer Organisation wie Oxfam aus. Während diese regelmäßig die wachsende Ungleichheit beklagt, hat sie offenbar keine Schwierigkeiten damit, solche Ungleichheiten in den eigenen Reihen zu unterstützen: Die Geschäftsführerin bekommt stolze 105.134 Euro im Jahr (in der Sprache von Oxfam: dreimal so viel wie der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer oder 20-mal so viel wie das Arbeitslosengeld II).

Ein Grund dafür, dass Menschen den NGOs so viel Vertrauen entgegenbringen, ist die Vorstellung, dass sich hier jemand für das Gute einsetzt. Das mag auch oft der Fall sein, und es wäre sehr unfair, den Menschen, die sich dort engagieren, von vornherein abzusprechen, dass sie guten Willens sind. Das Problem ist allerdings, dass manche NGOs dazu neigen, den eigenen guten Willen schon für einen Ausweis exklusiver Gutheit zu halten.

Mit anderen Worten: Da sie das Gute wollen, müssen sie auch die Guten sein – und die anderen logischerweise die Bösen. Doch so einfach ist die Welt nicht. Es gibt kaum einen Industriemanager, der die Umwelt zerstören oder fettleibige Kinder produzieren will. Die wenigsten Bauern haben Freude an Tierquälerei. Und kaum ein Reicher möchte gerne, dass andere Menschen arm sind.

Umwelt- und Naturschutz, Fairness und ein besseres Leben für jeden sind Ziele, die fast alle Menschen unterschreiben würden. Sicherlich, manch einer ist nicht achtsam genug, nicht bereit, den eigenen Vorteil für andere hintanzustellen. Wir sind keine Engel. Aber eben auch keine Teufel. Und auch wer sich ganz Anliegen verschrieben hat, die man gemeinhin als „gut“ auffasst, ist dadurch noch kein Engel. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass die Maxime „Der Zweck heiligt die Mittel“ leider oft zu unbedachten Folgen führt, die alles andere als gut sind.

Was passiert etwa, wenn eine Bevölkerung, die durch Dauerberieselung bei Themen wie Gentechnik, Freihandelsabkommen oder Vermögensverteilung in einem beständigen Panikmodus ist, plötzlich mit Themen wie „Überfremdung“ oder „Kontrollverlust“ konfrontiert wird? Bereitet nicht die apokalyptische Form der Kommunikation mancher NGOs den Boden für die Verschwörungstheoretiker, Rassisten und Hassprediger hierzulande?

Es gibt genug Herausforderungen in unserer Welt, die darauf warten, dass Menschen sich ihrer annehmen. Und in sehr vielen Fällen sind NGOs dafür die besseren Akteure als der Staat: Sie reagieren schneller, sind flexibler, haben mehr Spielraum, sind nicht Wahlzyklen ausgesetzt, verfügen über Expertise und werden oft von passionierten Idealisten getragen statt von Bürokraten. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit sollte jedoch eines stehen – und nur das eine: eine wirkliche Veränderung und Verbesserung der Zustände.

Man muss sich hüten vor den Dynamiken, die ein solches Engagement auch mit sich bringen kann: dass man vor allem daran arbeitet, als diejenigen dazustehen, die die Guten sind. Dass Geld-Einwerben zum Selbstzweck wird. Dass Strukturen verknöchern und Hierarchien sich verstetigen. Dass man alles andere ausblendet, was nicht unmittelbar mit dem eigenen Ziel zu tun hat. Und dass man die Verantwortung vergisst, die man für die ganze Gesellschaft und vielleicht sogar für die ganze Welt hat.

Was wir dringend brauchen, ist ein Ethos der NGOs. Das muss man nicht formelhaft runterschreiben und abarbeiten wie einen Verhaltens-Kodex in Unternehmen. Es geht mehr um eine Mentalitätsänderung. Im Herzen dieses Ethos muss die Überzeugung stehen, dass die allermeisten Menschen das Gute wollen. Man kann und muss in der Sache, also der Frage, wie man das Gute erreicht, vortrefflich streiten.

Aber am Ende ist der respektvolle Umgang miteinander eine sehr viel bessere Ausgangsbasis, um wirklich eine Verbesserung zu erreichen, als Panikmache, Freund-Feind-Denken und Aggressivität. Zu diesem Kodex muss auch gehören, dass NGOs nicht der Versuchung erliegen, sich staatlicher Zwangsmittel oder Gelder zu bedienen, sondern auf Überzeugungskraft und Engagement setzen, wie es übrigens Organisationen wie Campact, Attac, Greenpeace oder Foodwatch durchaus tun, auch wenn sie beim Thema übertriebener Panikmache und Aggressivität vielleicht noch nachsitzen müssen.

Dieses Land braucht eine offene Debatte über die Rolle von NGOs. Sie dürfen weder zu Organisationen werden, die an den Organen der freiheitlich-demokratischen Entscheidungsfindung vorbei Sonderinteressen durchsetzen. Noch darf unsere Gesellschaft es durchgehen lassen, wenn sie den Diskurs im Land aufheizen und langfristig vergiften. Stattdessen brauchen wir einen fairen und zivilisierten Wettbewerb der Ideen – und dazu gehören ohne Zweifel starke und unabhängige NGOs.

Erstmals erschienen in der Welt vom 19.2.2019, Seite 2, und online bei welt.de.

Dieses Interview erschien in der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen am 7.2.2019. Das Interview führte Martina Hummel.

NGOs genießen allgemein ein hohes Vertrauen. Das Prometheus-Institut kritisiert sie. Warum?

NGO steht für Nicht-Regierungs-Organisation und damit für eine gewisse Staatsferne. Vielfach werden sie aber vom Staat direkt oder mittelbar finanziert. Das halten wir für problematisch. Wer unabhängig sein will, sollte sich unabhängig finanzieren. Es hat ein Geschmäckle, wenn Kampagnen mit Staatsgeld gemacht werden.

Was heißt staatlich finanziert konkret?

Es ist Geld vom Staat. Beispiel Deutsche Umwelthilfe: Sie nimmt an Programmen des Staates teil, der diese finanziert. Das gilt auch für andere NGOs. Diese Art der Finanzierung halten wir bei Nicht-Regierungs-Organisationen für problematisch.

Richtet sich ihre Kritik einzig gegen die Art der Finanzierung?

Das Problem ist, dass sie sich als unabhängig verkaufen, sie aber abhängig von den staatlichen Zuwendungen sind, um ihren Apparat zu finanzieren. Dabei ist uns aufgefallen, dass sie das machen, was sie selbst kritisieren und eine Sprache verwenden, in der eine Verrohung stattfindet, Katastrophen heraufbeschworen werden und Verschwörungstheorien die Runde machen. Ihre Sprache erinnert an Pegida, nur von der anderen Seite her. Dafür tragen die NGOs eine Mitverantwortung.

Sie haben ngo.observer gestartet. Es ist eine Art Wikipedia der Organisationen. Wer füttert die Seiten mit Informationen?

Wir füllen dieses Wiki und nutzen dafür allgemein öffentlich zugängliche Informationen. Entweder von der Internetseite der jeweiligen Organisation oder aus den Geschäftsberichten, Tageszeitungen und so weiter. Die Quellen sind entsprechend gekennzeichnet. Wir setzen auf eine möglichst objektive Information, damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann.

NGOs haben in der Vergangenheit an Einfluss gewonnen. Wie wurden sie so mächtig?

Ich glaube, dass sie sehr geschickt sind, öffentliches Geld zu akquirieren. Beispiel Umwelthilfe: Laut EU-Transparenzregister stand ihr im Jahr 2016 ein Gesamtbudget von 8 115 669 Euro zur Verfügung. Davon kamen 1 450 353 Euro – also 17,9 Prozent – aus öffentlichen Geldern. Diese Summe setzt sich zusammen aus 333 729 Euro, also 23 Prozent aus Fördermitteln der EU, aus 1 026 536 Euro und damit 70,8 Prozent aus Bundesmitteln und 90 088 Euro, also 6,2 Prozent, aus Landes- und Kommunalmitteln.

Die Verbandsklage ist sicherlich das schärfste Schwert der NGOs.

In Teilen schon, deshalb muss man schauen, ob man das Verbandsklagerecht in der bestehenden Form aufrecht erhält oder einschränkt. Pauschal kann man dies nicht für alle NGOs entscheiden, das muss im Einzelfall geprüft werden.

Also sind NGOs professionelle Unternehmen?

Absolut. Meist haben sie sehr wenige Mitglieder und ein Geschäftsmodell, das sie konsequent umsetzen. So agiert die Umwelthilfe schon fast wie ein Abmahnverein, der die Programme des Staates nutzt und Unternehmen und Händler abmahnt.

Was hat die Allgemeinheit davon? Schließlich sind NGOs meist gemeinnützig.

Das ist eine ganz andere Frage. Was ist an der Tierschutzorganisation Peta gemeinnützig, wenn Mitglieder von ihnen zu Straftaten aufrufen? Das müssen die Finanzämter klären, denn die Gemeinnützigkeit sollte sich auf dem Boden unserer demokratischen Rechtsordnung abspielen.

Wie bringt man die NGOs wieder zurück aufs Gleis?

Wir brauchen eine vernünftige, sachliche Aufklärung über NGOs. Daran fehlt es meiner Meinung. Sie sind keine armen Organisationen, sondern sie verwalten zum Teil Millionen, mit denen sie eine gewisse Macht ausüben können. Deshalb müssen wir informieren und eine gesellschaftliche Gegenbewegung organisieren, die das Ganze relativiert. So verstehen wir unseren Auftrag.

Auch das Prometheus-Institut ist eine gemeinnützige Organisation. Wie finanzieren Sie sich?

Wir finanzieren uns über private Zuwendungen. Wir haben einen Etat zwischen 100 000 und 150 000 Euro. Wir bekommen keine staatlichen Zuwendungen. Wie sind zu zweit und beschäftigen Praktikanten.