Photo: re:publica from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Das Framing-Gutachten für die ARD, der Fall Relotius – die Medien scheinen außer Rand und Band. Wenn das Sendungsbewusstsein mit der Elite durchgeht, untergräbt sie langfristig den Zusammenhalt in einer Gesellschaft.

Eliten sind Teil der arbeitsteiligen Gesellschaft

Vorweg ein Lob der Eliten. Der Begriff ist unschön, aber das Phänomen, das er beschreibt, ist durchaus sinnvoll. Das liegt daran, dass wir in unserer modernen Zivilisation nach dem Prinzip der Arbeitsteilung arbeiten. Wenn wir ein köstliches Stück Torte haben wollen, gehen wir zum Konditor. Bei den anschließenden Zahnschmerzen suchen wir die Zahnärztin auf. Wenn unsere Badewanne leckt, rufen wir den Klempner. Und die Kosten dafür rechnet unsere Steuerberaterin aus unserer Steuerlast heraus. Wir machen nicht alles selber – weil wir vieles nicht so gut beherrschen wie andere und auf sehr viele Dinge auch gar keine Lust haben.

Zu den Angelegenheiten, die wahrlich nicht jedermann in all ihrer Tiefe und Komplexität interessieren, gehören auch politische Fragen. Zwar haben die allermeisten dazu Meinungen, aber kaum einer wendet die Zeit auf, um den philosophischen Grundlagen dieser Ansicht bei Thomas von Aquin, Kant oder Luhmann nachzugehen. Und kaum einer macht sich die Mühe, die Energiewende oder das Datenschutzrecht in all ihren Facetten zu durchdringen. Die Meinungsbildung lagern wir aus – genauso wie die Käseproduktion und den Physikunterricht. Das ist völlig in Ordnung, ja sogar ein Zeichen der Gesundheit einer Gesellschaft, wenn nicht jeder sich intensiv mit politischen Fragen beschäftigen muss. Den Luxus können sich Menschen in Venezuela oder der Ukraine nicht leisten.

Moral: die Nuklearoption im Diskurs

Die Cicero-Redakteurin, der Soziologie-Professor, der Greenpeace-Pressesprecher und die Seminar-Leiterin bei der Adenauer-Stiftung erfüllen wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft, weil sie anderen Menschen dabei helfen, sich ihre Meinungen zu bilden. Damit einher geht freilich eine ganz besondere Verantwortung. Eine dröge Torte hat nämlich mintunter weniger Einfluss als eine schlechte Gesetzesvorlage. Und eine schlampig gearbeitete Steuererklärung ist für den Betroffenen ärgerlich, ist aber nicht an der Eskalation des gesellschaftlichen Dialogs schuld. Der Fall Relotius vor einigen Wochen und ganz besonders das Framing-Handbuch der ARD sind besonders krasse Beispiele dafür, wie Eliten ihrer besonderen Verantwortung nicht gerecht wurden.

Beiden Fällen ist gemeinsam, dass die Akteure hemmungslos begeistert waren von ihrer eigenen Rechtschaffenheit. Da darf man schon einem ehemaligen Mitglied der Weißen Rose Sätze in den Mund legen. Es geht schließlich gegen die Nazis. Und angesichts der Bedrohungen unserer Zivilisation ist es richtig, den ARD mit allen Mitteln zu verteidigen, denn „nur in einem Land mit einer stabilen gemeinsamen Rundfunkinfrastruktur kann man frei und erfolgreiche (sic!) leben und seinen Geschäften nachgehen.“ Hinter diesen moralischen Ansprüchen muss alles andere zurücktreten: Fakten, Ambivalenzen, Gegenargumente, Differenzierungen … Der moralische Anspruch wirkt wie ein religiöses Dogma: er ist so sehr gut und wahr, dass alles andere sich davor zu beugen hat.

Die Unmoral des Moralisierens

Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um Fragen, die mit einer solchen Autorität entschieden werden dürften. Wie Trump-Wähler einzuschätzen sind und ob der ARD eine wünschenswerte Einrichtung ist, sind selbstverständlich Fragen, zu denen man sehr unterschiedliche Standpunkte einnehmen kann und die niemals letztgültig beantwortet werden können. Es ist das gute Recht, ja sogar die Pflicht der Eliten, der Meinungsmacher, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen, durchaus auch mit klaren Positionen. Aber man darf sie nicht von der Kanzel einer quasi-religiösen Unfehlbarkeit herab verkündigen.

Und erst recht darf man nicht zu den Mitteln greifen, die man mit Leidenschaft anprangert, wenn die Gegenseite sie benutzt. Relotius hat Fake News produziert wie Russia Today. Und Wehling hat mit ihrem Framing-Handbuch so tief in die Trickkiste der Volksverführer und Demagogen gegriffen, dass George Orwell sich rotierend aus seinem Grab in England inzwischen schon fast in Berkeley wiederfinden müsste. Im Grunde genommen ist das Moralisieren dieser Menschen zutiefst unmoralisch.

Überzeugen statt überrumpeln

Eliten sind essenziell für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Und gerade deshalb müssen sie ihre Rolle mit besonderer Vorsicht und Klugheit einnehmen. Arbeiten sie mit Betrug und Trickserei, dann bereiten sie denjenigen den Boden, die sich als Anti-Eliten darstellen. Sie geben dann denen recht, die gegen „die da oben“ wettern. Bessere Unterstützer könnten sich die Populisten kaum wünschen. Ihre Moralkeulen sind das Fundament, von dem aus die Gegner der Offenen Gesellschaft ihre Angriffe starten.

Bei den Eliten der demokratischen Welt muss dringend ein Umdenken einsetzen. Im Wettbewerb der Ideen müssen sie mit offenem Visier kämpfen. Sie müssen sich das Vertrauen der Öffentlichkeit erarbeiten durch einen verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Aufgabe innerhalb der arbeitsteiligen Gesellschaft. Und sie dürfen sich nicht davor fürchten, zu ihren Ansichten zu stehen, anstatt diese durch Betrug oder Framing moralisch aufzuladen. „Überzeugen statt überrumpeln“ muss ihre Devise lauten. Dabei sollten sie die Konfrontation nicht scheuen, denn wie Friedrich August von Hayek schon in seinem Werk „Verfassung der Freiheit“ festhielt, ist es vielleicht gerade die Kernaufgabe von Eliten, sich der offenen Auseinandersetzung zu stellen: „Unser Wissen und unsere Einsicht machen nur deshalb Fortschritte, weil es immer Menschen geben wird, die den Anschauungen der Mehrheit entgegentreten.“ Das sind die wahren Eliten, die unsere Gesellschaft braucht.

8 Kommentare
  1. Ralf
    Ralf sagte:

    Herr Schneider schreibt (ohne Anführungszeichen): Es geht schließlich gegen die Nazis. (2. Zeile im 2. Absatz unter der Zwischenüberschrift: Moral: die Nuklearoption im Diskurs)
    Wollen Sie mit Ihrer Aussage wirklich diejenigen gegen die es geht (wer auch immer gemeint sein könnte) allgemein als Nazis bezeichnen?

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  2. Heinz Walde
    Heinz Walde sagte:

    Es ist sehr richtig wenn sie schreiben:“ Es geht schließlich gegen die Nazis.“ Ja dann ist bei vielen, die sich als Linke Eliten bezeichnen, alles erlaubt. Die Lüge, fake news, sind ja hier in der Sache des Guten unterwegs, Wahrheit ist nur hinderlich.
    Der Fall Relotius und das Framing-Handbuch der ARD zeigen wie weit diese sog. Eliten gesunken sind.
    Friedrich August von Hayek hat in seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ ja aufgezeigt, dass der Linke Sozialismus und der Nationalsozialismus nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind.
    Wir brauchen eine unabhängie Elite in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik die Vertrauen schaffen und nicht nur polarisieren.

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  3. Heinz Walde
    Heinz Walde sagte:

    Es ist sehr richtig wenn sie schreiben:“ Es geht schließlich gegen die Nazis.“ Ja dann ist bei vielen, die sich als Linke Eliten bezeichnen alles erlaubt. Die Lüge, fake news, sind ja hier in der Sache des Guten unterwegs, Wahrheit ist nur hinderlich.
    Der Fall Relotius und das Framing-Handbuch der ARD zeigen wie weit diese sog. Eliten gesunken sind.
    Friedrich August von Hayek hat in seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ ja aufgezeigt, dass der Linke Sozialismus und der Nationalsozialismus nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind.
    Wir brauchen eine unabhängie Elite in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik die Vertrauen schaffen und nicht nur polarisieren.

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  4. Dr.Hans-Joachim Radisch
    Dr.Hans-Joachim Radisch sagte:

    Diese wichtige Kritik an der Moral der Eliten läßt sich sogar noch stärker auf den wohl wichtigsten Punkt allen Übels fokussieren: Auf die fatale Akzeptanz des Grundsatzes „der Zweck heiligt die Mittel“. Durch ihn ist weder die psychische oder die physische Vernichtung anderer Menschen als Mittel zum Zweck ausgeschlossen, durch ihn sieht man die persönliche Verunglimpfung und die Ausgrenzung aus der gesellschaftlichen Diskussion und dem gesellschaftlichen Miteinander für gerechtfertigt an, wie den Entzug von Recht und Eigentum. Wegen dieses “ der Zweck heiligt die Mittel“ als Erlaubnis und Rechtfertigung für alles, was in der Gesellschaft sonst als verboten und ungehört gilt, ist es so attraktiv, einen einmal als solchen heiligenden Zweck verbreitet anerkannten Umstand jedem zuzuschreiben, der eigener Interessendurchsetzung im Wege steht. Die Stempel „Nazi“, „Klimaleugner“, „Rassist“, „Antisemit“ oder „Sexist“ dienen dabei der Kennzeichnung der Menschen, denen gegenüber jedes Mittel zulässig und, weil durch den Stempel gekennzeichnet, erlaubt ist. Die Verwendung und Akzeptanz derartiger Stempel als Markierung für „zum Abschuss freigegeben“ ist damit eine moralische Bankrotterklärung jeder menschlichen, jedenfalls einer sich als demokratisch bezeichnenden Gesellschaft.

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  5. Bernhard K. Kopp
    Bernhard K. Kopp sagte:

    Wir müssen eben aufstehen und unsere demokratischen Rechte zuerst in den Parteien zur Geltung bringen, und dann über die Parteien in die Parlamente transformieren. Die ARD-Institutionen ( wie viele andere auch ) sind so geworden, weil man sie lässt. Es genügt nicht, alle paar Jahre eine Parteiliste zu wählen, und die Gewählten dann machen zu lassen. Wenn ein grosser Teil ihrer Wähler auch Mitglieder der Partei sind, die immer mit darüber abstimmen wer was wird, und welche Programmpunkte auf welcher Rangstelle auf der Arbeitsliste stehen, dann spüren die Gewählten jeden Tag ihre Mitglieder/Wähler im Nacken. In der Summe sollten alle in den Parlamenten vertretenen Parteien mehr Mitglieder haben als der ADAC, idealerweise mehr als zwei Drittel ihrer Stammwähler. Mit digitalen Systemen lässt sich auch eine Millionen-Mitgliedschaft und die regelmässige Mitwirkung der Mitglieder am Parteigeschen in wenigen Jahren aufbauen.

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  6. Rugai
    Rugai sagte:

    Solange unwidersprochen behauptet wird Eliten (und damit hierarchisches Denken/Selbstverständnis/Standesdünkel) seien ein essentieller Bestandteil einer funktionierenden (demokratischen) Gesellschaft und damit „systemrelevant“ oder gar „Too big to fail“, hat sich für mich jede weitere Diskussion erledigt….der Fisch stinkt immer vom Kopfe her, nicht wahr ?

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  7. W.Gardner
    W.Gardner sagte:

    …der offenen Auseinandersetzung zu stellen…
    Die Angst in einem offenen Diskurs längst wiederlegte Argumente zu verteidigen und zu unterliegen, zwingt zu anderen Maßnahmen. Lügen, Sprechverbote und simulierte Moralität helfen die Aufmerksamkeit von rationaler Analyse auf irrationale, gefühlte Wahrheiten zu lenken. Eine Elite, die sich solcher Mittel bedient, ist keine.

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  8. Karl Kloos
    Karl Kloos sagte:

    Lieber Clemens,

    das Framing-Manual der ARD war als Kommunikationsleitfanden und als Entwurf für weitere Diskussionen zu verstehen. Jede größere Organisation beschäftigt sich mit der Kommunikation zur Öffentlichkeit. Dass die Übermittlung der Fakten nicht besonders gelingt, wenn man sie formal-stupide aufzählt, sondern sie in einen Kontext – möglicherweise auch manchmal mit freiheitlich-demokratischen Prinzipien – scheint für mich ziemlich angemessen. Sie warnen schon zum zweiten Mal (vorher bzgl. NGOs) vor Panikmacher und von einem Boden, der für „Anti-Elitendenker“ geschafft wird, und leiten gleichzeitig Wasser in die Windmühlen irrationaler Eliten-Kritik. Da werden interne Kommunikationspapiere zu orwellschen Propagandainstrumenten hochstilisiert, als würden wir im reinsten Realsozialismus leben. So etwas muss nicht sein.

    Karl Kloos

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