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Photo: Karl Moor from flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Der Weltspartag war früher ein Fest. Großeltern pilgerten mit ihren Enkelkindern in die Filialen der Sparkassen und Volksbanken, um das Sparschwein zu leeren. Die Kinder bekamen große Augen, nicht nur durch die Geschenke und Luftballons, die die Bankberater bereithielten, sondern durch die Zinsgutschrift, die auf dem Sparbuch aktualisiert und ausgewiesen wurde. Die Knirpse lernten so sehr früh, dass der Konsumverzicht heute, durch die Zinsgutschrift belohnt wird, damit man sich später etwas Größeres leisten konnte.

Die Großeltern, deren Kinder und Kindeskinder, waren Teil einer Sparkultur, die mehrere Generationen nicht nur vereinte, sondern prägte. Die Großeltern waren sensibilisiert durch die zwei großen Währungsreformen der deutschen Geschichte 1923 und 1948, die ihr Sparvermögen über Nacht vernichteten. Dieses Wissen gaben sie an ihre Kinder weiter und diese an ihre. Die Politik der Deutschen Bundesbank war das Ergebnis dieser generationsübergreifenden Erfahrungen. Die gesetzliche Normierung der Deutschen Bundesbank im Bundesbankgesetz von 1957 und ihre Unabhängigkeit von der Regierung war daher nicht die Ursache, sondern die Folge dieser traumatischen Erlebnisse. Es sollte nie wieder zur Geldvernichtung kommen. Dies war Teil eines Generationenvertrages.

Als am diesjährigen Weltspartag am 31. Oktober Oma und Opa mit ihren Enkelkindern in die Filiale der Sparkasse oder Volksbank aufbrachen, gab es zwar noch Geschenke und Luftballons, aber sonst lange Gesichter. Die Bankberater versprachen dieses Mal nur einen effektiven Zinssatz von 0,41 Prozent bei einer Einlage mit bis zu 3-monatiger Kündigungsfrist. Oma und Opa erinnern sich noch sehr gut daran, als sie 1974 mit ihren Kindern zur örtlichen Bank am Weltspartag gingen. Damals gab es noch 5,51 Prozent effektiv im Jahr. Zwar war damals die Inflationsrate wesentlich höher als heute, dennoch hatte das klassische Sparen seine Attraktivität. Es war die Chance des kleinen Mannes, den Wertverlust seiner Rücklagen zu mindern. Heute kann das Geld in der Spardose oder unter der Bettdecke bleiben oder gleich ausgegeben werden. Die Folgen sind schon heute erkennbar. Die Sparneigung der Deutschen ist seit Jahren auf einem historischen Tiefpunkt. Die Sparkultur in Deutschland stirbt scheibchenweise.

Wenn an der Garderobe Ihr Mantel verliehen wird

Hinter dem Sparen steckt eine beachtliche Leistung: Sparer verzichten auf Konsum im Jetzt, um fürs Morgen zu sparen. Dazu bringen sie ihr Geld zur Bank. Hinter diesem unscheinbaren „Geld zur Bank bringen“ steckt ein wichtiger Vorgang: Wer sein Geld zur Bank bringt, verliert sein Eigentum daran. Stattdessen erhält er eine Forderung gegen die Bank auf Rückzahlung des der Bank überlassenen Betrags. Wichtig: Die Bank zahlt nicht genau die Scheine und Münzen zurück, die sie erhalten hat – Juristen nennen dies eine Leihe. Sondern sie bezahlt die Forderung ihres Kunden mit irgendwelchen Münzen und Scheinen – die Juristen sprechen in diesem Fall von Darlehen. Die Bank kann während der Zeit der Überlassung über das Geld fast nach Belieben verfügen.

Das unterscheidet die zeitgenössische Bank von einer Garderobe im Theater. Wer an einer Garderobe seinen Mantel abgibt, der zahlt üblicherweise Geld dafür, dass seine Kleidung sicher verwahrt wird und er genau diesen Mantel nach Ende der Vorführung zurückerhält. Man stelle sich vor, der Manteleigentümer wolle das Theater vorzeitig verlassen und verlangte seinen Mantel schon nach dem zweiten von drei Akten heraus. Doch der Garderobenbetreiber verneint die Herausgabe des Mantels mit dem Hinweis, er habe diesen bis zum Ende des Stücks an einen anderen Herrn verliehen. Dieser bringe ihn aber rechtzeitig zurück, man möge sich ein wenig gedulden.

Was an der Garderobe undenkbar ist, ist Usus im modernen Banksystem. Das der Bank überlassene Geld wird von ihr für eigene Zwecke benutzt. Ein amerikanischer Jurist schrieb einmal ein bekanntes Buch über „Das Geld anderer Leute und wie die Banker es benutzen“. Er hatte zwar nicht genau den hier beschriebenen Vorgang im Sinn, doch der Titel trifft den Kern der Angelegenheit. Denn Banken nehmen die ihnen überlassenen Einlagen und geben daraus Darlehen an Dritte. Ihr überlassene Sicherheiten benutzen sie, um weiteren Kredit billig aufzunehmen und das Geld dann zu höheren Zinsen weiter zu geben. Kern des Geschäftsmodells ist die sogenannte Fristentransformation. Von der Bank kurzfristig geschuldete Gelder werden langfristig weitergegeben: Geld auf dem Girokonto ist jederzeit fällig und kann vom Kunden abgehoben werden. Doch die Bank spekuliert darauf, dass nicht jeder Kunde zur gleichen Zeit sein Bargeld vom Girokonto abhebt. Daher gibt sie einen Teil des Geldes auf Girokonten als Darlehen mit einer längeren Laufzeit weiter. Fristentransformation ist mit Profit verbunden. Für das Girokonto zahlt sie wenig Zinsen, für die Vergabe langfristiger Kredite erhält sie mehr.

Profit und Risiko

Wo Profit ist, da ist Risiko nicht weit. Wer Gelder langfristig weggibt, die er kurzfristig schuldet, kann immer in die Gefahr geraten, dass die Kurzfristgläubiger mehr Geld zurückverlangen als momentan zur Verfügung steht. Wenn die kurzfristig zur Rückzahlung fällig gestellten Forderungen nicht bezahlt werden können, wird der Schuldner zahlungsunfähig. Das wäre ein Insolvenzgrund. Natürlich kann es auch passieren, dass jemand, der sich von der Bank langfristig Geld geborgt hat, dieses nicht zurückzahlen kann. Auch dann kann eine Bank in die Bredouille geraten. Denn dann hat sie nicht genügend Geld, um ihrerseits die Einleger auszuzahlen, wenn diese ihr Geld zurückverlangen. Das ist der Fall der Überschuldung, der zweite denkbare Insolvenzgrund.

Das Risiko ist wohlbekannt. Immer wenn die Gefahr besteht, dass eine Bank pleite ist, kommt es zum sogenannten Bankrun oder Bankensturm. Das ist das Windhundrennen der Gläubiger. Jeder will der erste sein, der sein Geld abhebt und so schadlos davon kommt. Da die Banken sich auch untereinander Geld borgen, kann ein Bankensturm von der einen auf die andere Bank übergreifen. Diese Gefahr ist in einem Zentralbanksystem, in dem die Geschäftsbanken ein Vielfaches ihrer Einlagen von der Zentralbank borgen können, besonders groß. Daher gibt es kein Zentralbanksystem, das der Staat nicht durch ein gesetzliches Einlagensicherungssystem flankiert. Das bewirkt zweierlei: Die Stabilität einer Bank wird abhängig von der Stabilität des Systems. Und die Einleger verlieren einen Anreiz, sich um die Sicherheit ihrer Einlagen höchstpersönlich zu kümmern. Das ist ein klassischer Prinzipal-Agenten-Konflikt.

Soweit es sich dabei um eine Haftung für die Einlagen ohne die Zahlung einer Versicherungsprämie handelt, handelt es sich zusätzlich um eine Subvention mit schädlichen Anreizen. Die Merkelsche Garantie während der Lehman-Krise ist eine solche schädliche Garantie. Frau Merkel hat die Sicherheit der Sparguthaben versprochen, ohne dass dafür eine Versicherungsprämie zu zahlen war. Wenn Dritte – Frau Merkel hat selbst nicht genug Geld, für ihre Garantie soll der Steuerzahler haften – ein Risiko übernehmen ohne dafür entschädigt zu werden, wird der Begünstigte mehr Risiken eingehen. Genau das ist dem Bankensystem seit Lehman auch passiert. Statt die gesetzlichen Einlagensicherungssysteme immer weiter auszufeilen, auf ganz Europa auszurollen, sollten wir sie schrittweise abschaffen (vgl. Kevin Dowd, Deposit Insurance: A Sceptical View). Das bedeutet nicht, dass sich Banken und Bankengruppen, wie Sparkassen und Volksbanken, nicht gegenseitig zur Hilfe verpflichten können und dürfen. Es bedeutet lediglich, dass es keine Aufgabe des Staates ist, Einlagen zu sichern und sie durch Zwangsbeiträge aller zu finanzieren.

Das “Trennbankensystem”

Ein besseres System die Einlagen zu schützen wäre das im folgenden vorgeschlagene Trennbankensystem: Banken bieten Konten an, auf denen sie Geld tatsächlich lediglich verwahren oder es bei ihrer Notenbank hinterlegen. Das Eigentum am Geld geht nicht auf die verwahrenden Banken über. Diese trennen das verwahrte Geld von anderen Einlagen. Das verwahrte Geld wird von ihnen nicht weiterverliehen und nicht als Pfand bei der Zentralbank eingesetzt. Die Verwahrkonten können für den Zahlungsverkehr genutzt werden. Doch bei einer Insolvenz der Bank wären die Verwahrkonten nicht betroffen. Da die Bank von solchen Verwahrkonten keine Vorteile hat, werden Banken keinen Zins bezahlen, stattdessen sogar Gebühren nehmen. Der Kunde hat den Vorteil, dass er einen Bankensturm nicht zu fürchten braucht. Der spanische Ökonom Jesus Huerta de Soto hat gezeigt, dass solche Verwahrverträge kein Novum in der westeuropäischen Bankenrechtsgeschichte wären.

Alle drei Schritte zusammen, die Abwicklung eines chronisch überschuldeten Zentralbankensystems, die Abschaffung der gesetzlichen Einlagensicherung sowie das Angebot von Verwahrkonten sind Schritte hin zu einem stabilen Finanzsystem. Das bedeutet viel mehr Markt, Wettbewerb und persönliche Haftung im System. Nur so wird das System stabil.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

Photo: George Redgrave from Flickr. (CC BY-ND 2.0)

In der Euroschuldenkrise sitzt Deutschland in der Falle. Zwar versucht die Bundesregierung seit der Ursünde von 2010, der ersten Rettung Griechenlands vor der Insolvenz, den Prozess zu gestalten. Tatsächlich wird sie aber von den Schuldenländern vor sich hergetrieben. Immer mehr kommt es zu einer vollständigen Vergemeinschaftung der Schulden. Diese Sozialisierung vollzieht sich jedoch nicht nur bei der Einstandspflicht jedes Mitgliedsstaates des Europäischen Währungsraumes im Rahmen des 2012 geschaffenen Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, sondern geht weit darüber hinaus.

Es ist ein perfides Machwerk, dass sich die Eurokraten in Brüssel dafür ausgedacht haben. Die „Bankenunion“ ist das Vehikel nicht nur für die Vergemeinschaftung der Schulden, sondern bald auch der Spareinlagen im Euro-Club. Das ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Doch wer die Situation in den Krisenländern Südeuropas betrachtet, kommt nicht herum, die Lage als zutiefst besorgniserregend zu erkennen. Hier reicht schon ein Blick nach Italien. Immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft im Euro-Raum. Die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung der Italiener sind mit 136 Prozent so hoch wie noch nie seit 90 Jahren. Die italienischen Banken haben über 200 Milliarden Euro fauler Kredite von Unternehmen und private Haushalten in ihren Büchern. Das sind über 12 Prozent der Kredite, die an diese Gruppen ausgegeben wurden. Beide Kennzahlen, die Staatsverschuldungsquote und die Quote der faulen Kredite, steigen weiterhin Monat für Monat an. Die Situation Italiens ist erschreckend schlecht. Jedoch sinkt die Rendite italienischer Staatsanleihen seit 2012 kontinuierlich – aktuell auf 1,44 Prozent bei 10jährigen Staatsanleihen.

Dieses Paradoxon, immer mehr Schulden zu machen, aber immer weniger dafür bezahlen zu müssen, hat zwei wesentliche Ursachen. Zum einen die Intervention in die Anleihemärkte der Euro-Staaten durch den Italiener im Amte des EZB-Präsidenten, Mario Draghi. Zum anderen hat das Inkrafttreten des ESM ebenfalls dazu beigetragen, dass Italien sich billiger refinanzieren kann. Der ESM fungiert als eine Art Versicherung. Er sichert den Gläubigern Italiens zu, dass deren Anleihen weniger stark ausfallgefährdet sind. Als Garantiegeber fungiert dafür das ESM-Eigenkapital der Eurostaaten. Dies ist zwar der Höhe nach auf die jeweiligen Einlagen begrenzt (für Deutschland rd. 190 Mrd. Euro), doch diese Begrenzung ist nur momentan fix, sie kann durch die Mitgliedsstaaten bei Bedarf an- oder sogar aufgehoben werden. Dass dies auch die Marktteilnehmer so sehen, kann an der Entwicklung der Renditen kurzlaufender Anleihen bereits beobachtet werden. Dort ist die Beistandspflicht Deutschlands für andere Euro-Staaten eingepreist.

Die Bankenunion ist neben dem ESM die entscheidende Schlinge. Schritt für Schritt zieht sie sich zu. Die Konzentration der Bankenaufsicht bei der EZB, die Schaffung eines zentralen Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus für Banken und bald auch eine gemeinsame Einlagensicherung aller Banken vollenden diesen Prozess. Wenn dieser Dreiklang umgesetzt ist, dann kann die EZB einseitig die Schieflage einer Bank feststellen, sie mit Geld aus dem Abwicklungsfonds, in die alle Banken des Euro-Clubs eingezahlt haben, abwickeln und die Einlagen der Sparer retten durch den gemeinsamen Einlagesicherungsfonds, in den wiederum alle Banken, Sparkassen und Volksbanken einzahlen müssen.

Damit wird der Kreis der Zahler vom Steuerzahler in den Geberstaaten auf die Sparer in den Geberstaaten erweitert. Gegen diese Entwicklung kann die Bundesregierung faktisch nur noch begrenzt etwas unternehmen. Denn die EU-Kommission stellt sich bei ihrem Verordnungsvorschlag für eine einheitliche Einlagensicherung auf den Standpunkt, dass für die Beschlussfassung im Europäischen Rat lediglich eine doppelte Mehrheit notwendig ist. Mindestens 55 Prozent der Mitglieder müssen zustimmen, die wiederum mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen. Angela Merkel kann die Vergemeinschaftung der Spareinlagen nicht ohne Verbündete stoppen. Doch die sind rar und müssen mit der Lupe gesucht werden.

Wolfgang Schäuble kann noch so laut Zeter und Mordio rufen, das Kind ist bereits viel früher in den Brunnen gefallen. Die Einführung des ESM und die Konzentration der Bankenaufsicht bei der EZB waren die entscheidenden Weichen. Was jetzt kommt, sind lediglich Folgen dieser Fehlentscheidungen. Sämtliche Rückzugsgefechte Schäubles sind daher nur Schattenboxen auf höherem Niveau. Sie sollen den Sparkassen, Volksbanken und den Sparern in diesem Land das Gefühlt geben, der Finanzminister nehme ihre Sorgen erst. Insgeheim hat er sie auf dem Altar in Brüssel geopfert.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

Photo: Joe Hart from Flickr. (CC BY 2.0)

„Zuckerbrot und Peitsche“ ist nicht selten der Umgang der Regierenden mit den Bürgern. Aber auch die EU-Kommission versteht dieses Handwerk im Umgang mit den Mitgliedsstaaten. Die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung ist in Deutschland höchst unpopulär. Denn sie ermöglicht im Euro-Raum nicht nur die Steuergelder vom Norden in den Süden umzuverteilen, sondern bald auch die Sparguthaben. Mit der grundsätzlichen Zustimmung der Bundesregierung zu einer Bankenunion im Euro-Club haben Merkel und Schäuble den Weg nicht nur für eine einheitliche Bankenaufsicht und Bankenabwicklung geebnet, sondern nun auch für eine einheitliche Einlagensicherung, in die alle Banken, Sparkassen und Volksbanken einzahlen müssen. Damit soll gewährleistet werden, dass alle Einlagen im Euro-Club gleich sicher sind. Oder besser gesagt: gleich unsicher. Denn die faulen Kredite von 1 Billion Euro, die europäische Banken in ihren Bilanzen verstecken, sind dann sehr schnell, die faulen Kredite, für die die Sparer auch in Deutschland geradestehen müssen. Soweit zur Peitsche für die Sparer und Steuerzahler in Deutschland.

Nun zum Zuckerbrot. In der Erklärung der EU-Kommission zum Verordnungsvorschlag für eine einheitliche Einlagensicherung schlägt die EU-Kommission vor, die Nullgewichtung von Staatsanleihen zu beenden. Kaufen Banken Staatsanleihen, dann müssen sie dafür kein eigenes Geld als Sicherheit bereitstellen, da unterstellt wird, dass jede Staatsanleihe im Euro-Club das gleiche Ausfallrisiko von Null hat. Das ist natürlich absurd, aber viele Dinge in der EU sind absurd. In Deutschland ist der Vorschlag der EU-Kommission jedoch sehr beliebt und deshalb schlägt die Kommission dies jetzt vor.

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Nullgewichtung beendet und dies eine Mehrheit im EU-Parlament und im Europäischen Rat finden wird? Die Wahrscheinlichkeit ist Null. Was würde denn passieren, wenn Banken regulatorisch angehalten würden, Staatsanleihen nach ihrem tatsächlichen Risiko in ihren Bilanzen zu gewichten? Die Zinsen innerhalb des Euroraumes würden wieder auseinanderfallen. Spanien, Portugal und Italien hätten Probleme ihre Anleihen an den Markt zu bringen. Deren Banken sichern derzeit zu einem großen Teil die Refinanzierungsfähigkeit des eigenen Staates. Sie hätten gar nicht so viel Eigenkapital, um das Risiko abzubilden. Es würde dem Ansinnen des aus Italien kommenden EZB-Präsidenten Mario Draghi diametral entgegenstehen, der durch die Intervention der EZB in die Anleihenmärkte ja gerade das Auseinanderfallen der Anleihenzinsen verhindern will. Würde dies passieren, dann wären von heute auf morgen alle positiven Konjunktur- und Haushaltsdaten in Spanien und sonst wo Makulatur.

Deshalb ist der angekündigte Regulierungsversuch der Kommission nur weiße Salbe. Er wird nicht kommen. Im Übrigen hilft er auch nicht. Die Strukturprobleme der südlichen Euro-Staaten lassen sich nicht durch diese Art der Regulierung lösen. Diese Regulierung ist nur Bodennebel. Sie soll suggerieren, man habe das Problem erkannt und jetzt werde gehandelt. Das Schlimme ist, das alles weiß die Kommission auch. Und nicht nur sie, auch die Bundesregierung weiß das. Es ist nur ein großes Schauspiel, das beide Seiten aufführen. Was die Schauspieler scheuen, ist die beste Regulierung: Die Haftung für eigenes Handeln durch Übernahme von Verantwortung. Daran fehlt es nicht nur bei den Banken, sondern auch in der Politik.

Photo: Mike Beales from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Forderungen nach einer „Demokratisierung“ der EU laufen meist auf eine Stärkung von EU-Instanzen wie Parlament und Kommission heraus. Demokratie funktioniert jedoch umso besser, je mehr auf überschaubaren Ebenen entschieden wird. Die baltischen Staaten haben eine solche überschaubare Größe und sind auch darüber hinaus vorbildlich.

Demokratie: der Bürger als Wächter seiner eigenen Interessen

Es ist ein grundlegendes Missverständnis, Demokratie lediglich mit einem Abstimmungsmodus oder einer Institution zu verbinden. Demokratie heißt vor allem auch, wie es der englische Historiker Lord Acton einmal formulierte, „jeden Bürger zum Wächter seiner eigenen Interessen zu machen“. Darum ist es durchaus sinnvoll, dass wir etwa bei der Beschreibung unseres Staatswesens stets von einer „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ sprechen. Die EU wird nicht demokratischer, wenn ein Parlament gemeinsam Entscheidungen trifft über Steuern, Ausgaben und Gesetze für über 500 Millionen Menschen von Gibraltar bis Lappland, von Zypern bis Nordirland. Die EU wird demokratischer, wenn mehr Entscheidungen auf möglichst niedriger Ebene gefällt werden können. Ursprünglich stand dieses Subsidiaritätsprinzip ja auch einmal an der Wiege der Europäischen Union. Leider wurde es von dort bald in den Antiquitätenschrank verbannt, wo es nur noch für Sonntagsreden herausgeholt wird.

Eine wirkliche Demokratisierung der Europäischen Union würde darin bestehen, möglichst kleinen Einheiten möglichst große Kompetenzen zuzugestehen. Entscheidend für das Gelingen dieses Konzepts ist, dass die Einheiten eine überschaubare Größe haben. Verantwortlichkeiten müssen klar zu durchschauen sein. Konsequenzen aus politischen Entscheidungen klar definierbar und für die Betroffenen spürbar. Und Exit-Optionen müssen mit nicht allzu hohen Kosten verbunden sein. Bei einer weitgehend einheitlichen EU bleibt neben der Schweiz und Norwegen (die man sich erst einmal leisten können muss) nur noch die Auswanderung auf einen anderen Kontinent. Das sind bei weitem zu hohe Kosten für eine „Abstimmung mit den Füßen“.

Small is beautiful

Viele europäische Staaten sind eigentlich bereits zu groß, um die oben beschriebenen Kriterien zu erfüllen. Die baltischen Staaten haben hingegen Größen, die der sinnvollen Organisation eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens durchaus noch angemessen sind: Litauen mit 2,9 Millionen, Lettland mit etwa 2 Millionen und Estland mit 1,3 Millionen Einwohnern. Litauen ist also etwas kleiner als Berlin, Lettland so groß wie Ostwestfalen-Lippe und Estland wie der Regierungsbezirk Unterfranken.

Bei solchen Größen kennt man sich zwar nicht mehr persönlich, aber man teilt doch ähnliche Lebenswelten und kann den Nutzen oder Schaden von Entscheidungen noch verhältnismäßig gut übersehen. Hier ist das Einfallstor noch schmal für eine Umverteilung, die lauter Sonderinteressen bedient. Hier ist die Kontrolle von Politikern noch relativ leicht durchzuführen, einschließlich der Möglichkeiten, auf sie Druck auszuüben. Hier sind Politik und Bürokratie noch nicht in der vollen Anonymität und Symbolik verschwunden wie das bereits in den meisten europäischen Staaten der Fall ist, von der EU ganz zu schweigen.

Erfolgsgeschichten im Baltikum

Sicherlich tragen viele unterschiedliche Faktoren dazu bei, dass die baltischen Staaten in den Jahren seit ihrer Unabhängigkeit im Ganzen gesehen Erfolgsgeschichten geschrieben haben. Dennoch ist der Faktor der Größe nicht unwesentlich, weil sich viele Reformen und Innovationen überhaupt nur in diesem kleinen Kontext durchsetzen ließen. Denn kleine Einheiten sind nicht nur sehr viel einfacher echter demokratischer Kontrolle zu unterwerfen – kleine Einheiten sind auch ungleich flexibler, wenn es darum geht, auf Krisen zu reagieren oder unkonventionelle Wege zu beschreiten.

In allen drei Staaten wurden nach deren wiederhergestellter Unabhängigkeit im Jahr 1991 sehr umfassende marktwirtschaftliche Reformen in Gang gesetzt. Dieser Geist hat sich auch bis heute in großen Teilen durchgehalten und gehört zum Konsens der meisten politischen Parteien in den drei Ländern. Lettland hat sich aus einer massiven wirtschaftlichen Krise zwischen 2008 und 2010 durch für europäische Verhältnisse unerhörte Reform-Maßnahmen rasch wieder herauskatapultiert. Die Stellen im öffentlichen Sektor wurden um ein Drittel abgebaut, Löhne und Gehälter gekürzt und das Staatsdefizit nachhaltig reduziert. Die Folge war ein deutlicher Rückgang von Inflation, Arbeitslosenrate und ein deutlicher Anstieg des Wirtschaftswachstums. Eine Expertenstudie aus dem Jahr 2012 stellte fest: „Der Erfolg Lettlands lehrt, dass ein flexibler Arbeitsmarkt, verbesserte Rahmenbedingungen für Unternehmen und ein breiter gesellschaftlicher Konsens für Reformen eine wichtige Rolle spielen, um die Krise zu überwinden.“

Ein Europa, das dem Bürger dient

Nur Luxemburg hat im Euro-Raum eine ähnlich niedrige Staatsschuldenquote wie Estland (10,2% des BIP), Litauen (35,7 %) und Lettland (36,0 %). Gleichzeitig haben die drei Länder auch mit die niedrigsten Staatsquoten in Europa (Estland: 38,8 %; Lettland: 36,9 %; Litauen: 34,9 %). Während EU-weit die Arbeitslosigkeit seit dem Jahr 2010 nur um 0,3 % reduziert worden ist, ist sie in Litauen von 17,8 auf 9,6 Prozent zurückgegangen, in Lettland von 18,7 auf 9,8 und in Estland gar von 16,9 auf 5,7 Prozent. In allen drei Ländern gibt es eine Flat Tax und ein verhältnismäßig geringes Maß an Regulierungen – soweit das im Rahmen der EU noch möglich ist. Insbesondere Estland hat auch eine bemerkenswerte politische Kultur: Man kann dort per SMS wählen, es gibt die Möglichkeit einer e-residency und in fast 7 der 24 Jahre estnischer Unabhängigkeit wurde das Land von Ministerpräsidenten regiert, die unter 40 Jahre alt waren – der amtierende Taavi Roivas kam vor anderthalb Jahren im Alter von 34 Jahren ins Amt.

Eine langfristige Perspektive für die EU kann sich an diesen Staaten orientieren, die in vielerlei Hinsicht moderner sind als die großen Nationalstaaten im Westen Europas. Das wäre eine EU, in der kleinen Einheiten ein möglichst hohes Maß an Eigenständigkeit zugestanden wird. Die Brüsseler Politik und Bürokratie würden von ihrem Status als Planer zurückgestuft auf den von Diplomaten und Wächtern. Ihre Rolle bestünde darin, die Zusammenarbeit der kleinen Einheiten in verschiedenen Clubs (wie beispielsweise Schengen oder der Euro-Zone) zu koordinieren und eventuell auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu koordinieren. Und sie bestünde ganz wesentlich darin, die Einhaltung der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union zu überwachen und durchzusetzen. Alle anderen Hoheitsrechte würden hingegen auf jene Einheiten übertragen, wo sie der Bürger tatsächlich und real kontrollieren und bestimmen könnte. Es wäre ein Europa der Bürger, das den ursprünglichen Geist der Demokratie wieder ernst nimmt: jeden Bürger zum Wächter seiner eigenen Interessen zu machen. Es wäre ein Europa, das den Fortschritt fördert, dem Frieden dient und die Freiheit garantiert.

Photo: Will Folsom from Flickr. (CC BY 2.0)

Die Rettung der überschuldeten Staaten und Banken in Südeuropa ist die Ursache der Euro-Krise. Denn damit wurde aus lokalen Problemen ein Problem der Währung gemacht. Nichts ist abwegiger als der Glaube, in einem Währungsraum dürfe kein Staat oder keine Bank pleitegehen. In den USA ist das gang und gäbe. Wenn Kalifornien seine Beamten nicht mehr bezahlen kann, dann springt dort nicht die Notenbank oder Washington ein, sondern die dortige Regierung schickt die Beamten und Angestellten des Staates in den Zwangsurlaub. Seit dem Platzen der Immobilienblase 2007 in den USA sind dort weit über 100 marode Banken vom Markt verschwunden. Und auch in der kleinen Schweiz führt die Zahlungsunfähigkeit einer Gemeinde oder eines Kantons nicht dazu, dass die Zentralregierung in Bern mit dem Steuerkoffer anrückt. Beide Fälle werden vor Ort gelöst. Entweder werden die Einnahmen erhöht oder die Ausgaben reduziert. Wenn dies nicht alleine gelingt, setzt man sich mit den Gläubigern zusammen und verhandelt über eine Umschuldung. Das ist ein bewährtes Modell, das tagtäglich in der Wirtschaft praktiziert wird.

Wenn dies jedoch nicht geschieht und fortlaufend vom Euro-Club oder der Zentralbank interveniert wird, dann wird aus einer Überschuldungskrise einzelner, plötzlich die Krise der gemeinsamen Währung, und damit die Krise aller. Die Retter haben dadurch die Schulden auf eine neue Ebene gehoben – auf die europäische. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM ist letztlich nichts anderes, als die Vergemeinschaftung der Schulden des Euro-Clubs. Dass dies so ist, kann man an der Angleichung der Zinsen der Euro-Staaten beobachten. Neben der fortlaufenden Intervention der EZB in den Anleihenmarkt ist der ESM die Garantie für die Gläubiger, dass im Zweifel jedes Land im Euroclub herausgeboxt wird.

Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die Bankenaufsicht nicht mehr national verantwortet wird, sondern jetzt bei der EZB angesiedelt ist. Das soll den Gläubigern suggerieren, dass nicht mehr gehadert und getrickst wird. Doch jetzt wollen sie auch noch an das Geld der Sparer in Deutschland. Mit der Vergemeinschaftung der Einlagensicherung wird den Sparer insbesondere in Südeuropa die Botschaft ausgesandt, dass ihr Geld auf dem Konto einer spanischen oder griechischen Bank genauso sicher ist, wie auf dem Konto einer deutschen. Denn wenn die Einlagensicherungseinrichtungen in Deutschland im Zweifel für die Einlagen bei spanischen, italienischen oder griechischen Banken haften, dann ist es egal, wo man sein Sparbuch führt, ob in Madrid oder Rostock.

Doch spätestens jetzt bildet sich Widerstand. 14 von 28 Euro-Staaten haben bisher noch nicht einmal die Einlagesicherungsrichtlinie der EU umgesetzt, die Einlagen bis zu 100 000 Euro garantieren soll. Die Einlagensicherungseinrichtungen in Deutschland haben Rücklagen gebildet, was sie von anderen in Europa wesentlich unterscheidet. Das ist der Grund, wieso Sparkassen, Volksbanken, aber auch die Privatbanken in Deutschland bei den Plänen der EU-Kommission für ein gemeinsames Einlagesicherungssystem im Dreieck springen.

Bislang wehrt sich die Bundesregierung noch gegen diese EU-Pläne. Doch dieser Widerstand erinnert sehr an die Bockigkeit des Finanzministers Schäuble gegen das eine oder andere Griechenlandpaket. Am Ende ist er doch immer umgefallen. Das ist auch hier zu erwarten. Schon signalisiert Schäuble Gesprächsbereitschaft, sobald alle Mitgliedsstaaten die Richtlinie umgesetzt haben. Das ist schnell gemacht. Die EU ist bislang nicht daran gescheitert, dass zu wenig Richtlinien und Verordnungen verabschiedet wurden. Gescheitert ist sie bislang immer daran, dass sich anschließend keiner daran gehalten hat. Die Europäische Union ist eben keine Rechtsgemeinschaft. Wenn sie das nicht wird, dann ist all das, was derzeit vom Zaun gebrochen wird, der Mühe nicht wert.

 
Dieser Artikel erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 7.11. 2015.