Photo: Hugo Chisholm from Flickr. (CC BY-SA 2.0)

Insbesondere in Krisenzeiten für Europa werden zwei Forderungen oft wiederholt: „Hin zum Bundesstaat“ und „Zurück zum Nationalstaat“. Beides wird dem eigentlichen Wesen Europas nicht gerecht, das in der Wertschätzung von Individuum und Vielfalt besteht.

Zurück zu den Nationalstaaten oder hin zum Bundesstaat?

Ob Griechenland, Großbritannien oder Flüchtlinge. Ganz offensichtlich sind die gemütlichen Zeiten vorbei, in denen die EU einen sanften, aber stetigen Integrationskurs nahm: immer tiefer und immer breiter. Vorbei die Zeiten, in denen sich die Intellektuellen in den Feuilletons den Kopf darüber zerbrachen, wie die EU demokratisiert werden könne. Vorbei die Zeiten, in denen sich der ganze Kontinent zu freuen schien, dass nun schon wieder ein neues Mitglied in den Club aufgenommen wurde. Vorbei auch die Zeiten, in denen kritische Stimmen sich hauptsächlich mit Überregulierung und dem „Bürokratiemonster“ Brüssel herumschlugen. Seit ein paar Jahren stellen sich der EU ganz andere, fundamentalere Herausforderungen.

Die Antwort auf diese Herausforderungen sehen die allenthalben gestärkten Rechtspopulisten und Nationalisten darin, den grundsätzlichen Fehler einer Europäischen Union zu korrigieren – durch einen Austritt oder zumindest durch eine deutliche Rückführung von Souveränität zum Nationalstaat. Auf der anderen Seite der Debatte stehen enthusiastische Anhänger der EU, die in den heutigen Krisen eine historische Chance sehen, nun endlich den konsequenten Weg zu einem europäischen Bundestaat zu Ende zu gehen. In ihrer Rhetorik und manchen ihrer Argumenten ähneln sie freilich bisweilen den Wegbereitern moderner Nationalstaaten: Man müsse nun zusammenhalten, die Bedrohung von außen sei nur gemeinsam zu bewältigen, das europäische Bewusstsein müsse sich endlich auch institutionell niederschlagen.

Für ein Europa der Kooperation

Dabei stand am Beginn der Europäischen Bewegung eigentlich ein anderer Gedanke: Der historische Fehler des Nationalismus sollte korrigiert und der Nationalstaat überwunden werden. Der Blick auf die Geschichte Europas zeigt: Seine Stärke lag niemals im Einheitlichen, Monolithischen. Ganz im Gegenteil: die wesentlichen Fortschritte Europas, sowohl im Blick auf die Herausbildung einer freiheitlichen Kultur, als auch im Blick auf seinen hohen Wohlstand, wurden durch Flexibilität, Vielfalt und Wettbewerb erreicht. Das Verständnis für den hohen Wert des Individuums, das unsere freiheitliche Kultur hervorgebracht hat, ist entstanden in einem politischen und sozialen Umfeld, in dem eine Vielzahl an Lebensweisen und Religionen miteinander im Wettstreit standen. In einem Umfeld, in dem der Ausbau der eigenen Fähigkeiten im Kontext von Arbeitsteilung gewaltige ökonomische Fortschritte zeitigte.

Wenn Europa sich selbst treu bleiben soll und wenn es sich weiterhin frei und prosperierend entwickeln soll, dann darf es um keinen Preis seine Vielfalt und Buntheit zugunsten von Einheit und Zusammenhalten aufgeben. Mag auch die Versuchung noch so groß sein, in einer Gemeinschaft Schutz zu suchen vor den Herausforderungen und Gefährdungen, die sich immer wieder stellen. Dass dann jeder nur für sich kämpft, ist allerdings mitnichten die einzige Alternative zu einem europäischen Bundesstaat mit zentralistischen Tendenzen. Die europäische Alternative muss heißen: Kooperation. Denn die Kultur der Vielfalt war nur deshalb erfolgreich, weil sie mit der Bereitschaft einherging, sich auf andere einzulassen und mit ihnen zu kooperieren. Vielfalt heißt nicht Vereinzelung und Abschottung. Vielfalt heißt Ergänzung und Kooperation.

Konsens und Kooperation, Flexibilität und Vielfalt – das Erfolgsrezept Europas

Das Europa der Zukunft muss eine Europa sein, das sich auf diesen Kernbestand seiner Identität zurückbesinnt anstatt die Fehler des 19. Jahrhunderts zu wiederholen. Konkret kann das etwa heißen, die immer mal wieder auftauchende Idee des Europas der Regionen aufzugreifen und das Prinzip der Subsidiarität konsequent durch zu deklinieren. Möglichst kleine Einheiten mit einem möglichst hohen Maß an Autonomie können dann im Sinne der Clubtheorie selber entscheiden, welchen gemeinsamen Projekten sie sich anschließen – freilich stets auch mit der Möglichkeit, die Projekte wieder zu verlassen. Unterschiedliche Problemlösungsansätze können so miteinander in Wettbewerb treten und voneinander lernen. Konsens und Kooperation, Flexibilität und Vielfalt sind zentraler Steuerung und allgemeinverbindlichen Entscheidungen weit überlegen. Sie waren schon immer das Erfolgsrezept in Europa.

Die Aufgabe der Europäischen Union wäre in einem solchen Europa nicht zentrale Steuerung, sondern Garant zu sein für die Einhaltung und Durchsetzung allgemeiner Regeln, insbesondere im Blick auf den Schutz von Freiheit und Eigentum. Zweck europäischer Institutionen wäre die Begleitung von Kooperation, ein Forum des Austausches zu sein – und eben nicht ein Instrument zur Durchsetzung nationaler Egoismen. Die Zukunft Europas hängt wesentlich davon ab, dass es sich auf sein Erfolgsrezept zurückbesinnt: Das Maß aller Dinge ist das Individuum. Freiheit und Wohlfahrt gedeihen dort am besten, wo das Individuum den größten Spielraum hat – sowohl bei der Selbstentfaltung als auch bei der Auswahl seiner Kooperationspartner. Nicht konkrete politische Ziele dürfen im Mittelpunkt des Projekts Europa stehen, sondern der Schutz von Flexibilität, Wettbewerb und Vielfalt. Jean Monnet, einer der Vordenker der Europäischen Union, fasste diesen Grundgedanken einmal zusammen mit den Worten: „Wir einigen keine Staaten. Wir verbinden Menschen.“

In der heutigen FAZ erscheint das von unseren Kuratoriumsmitgliedern verfasste „Manifest für ein konföderales Europa“. Es ist der Auftakt einer langfristigen Kampagne von Prometheus, die unter dem Motto „Europa der Bürger“ die Debatte über die Zukunft Europas im Sinne der Freiheit beeinflussen möchte.

1 Antwort
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Ohne ad hoc die Frage zu beantworten, wie unser künftiger Föderalismus aussehen könnte, fällt mir auf, dass wir auf den verschiedenen Ebenen des Föderalismus (Kommunen, Länder, Bund usw.) fast schon willkürlich Schulden machen.

    Deutschland bezahlt beispielsweise für (fast) jeden die Bildung und gleichzeitig ist Deutschland auch ein Auswanderungsland.

    Gleichzeitig sind die oftmals überschuldeten Kommunen/ sind die Länder/ ist der Bund auch als Unternehmer tätig und die öffentliche Hand steht mitunter auch mit der Privatwirtschaft im Wettbewerb.

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