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Photo: „Gentoo penguin walking“ by Kathleen from flickr (CC BY 2.0)

Auch in der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends waren sich viele Intellektuelle in einer Sache sicher: Der Untergang der Zivilisation oder wahlweise auch der ganzen Menschheit steht kurz bevor. Das einzige, worauf sich die Untergangspropheten nicht einigen konnten: Wie wird das Ende aussehen?

Aus dem rechten politischen Lager kriecht der Untergang der westlichen Welt heran in Form von dekadenten arbeitsfaulen jungen Menschen, die sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, an deren Zustandekommen sie keinerlei Anteil hatten.

Für die Linken geht die Welt zu Grunde, weil der Kapitalismus seine Versprechen eines gesamtgesellschaftlichen Wohlstands nicht erfüllen kann, die Arbeiter der globalen Peripherie verarmen lässt und schließlich im Chaos untergehen dürfte.

Von Rechts über Grün bis Links – allen Untergangs-Propheten gemein ist ihr Stolz das „Große und Ganze“ erkannt zu haben. Schließlich hatte jede Richtung ihre Krisen im letzten Jahrzehnt … Die Apokalypse droht von der Zerstörung westlicher Kulturen („Flüchtlingskrise“), den systemischen Probleme des globalen Kapitalismus („Finanzkrise“) oder vom allumfassenden Umweltdesaster („Klimakrise“). Untergangs-Prophetie findet Anklang, weil sie die Illusion erweckt, dass Geschichte ohne Zwischenschritte wie ein großes Pendel von einer großen Entwicklung zur nächsten schwingt. Das führt dazu, dass man sich entweder dem Fatalismus ergibt, weil man sowieso nichts ändern kann, oder den totalen, tiefgreifenden, revolutionären Umsturz herbeisehnt, da die kleinen Schritte nichts zu ändern vermögen.

Doch verschließt dieser Blick auf das vermeintlich „Große und Ganze“ oft den Blick auf die wahrhaft großen Veränderungen durch die kleinen Schritte vieler Unternehmer, Arbeiter und Politiker auf der ganzen Welt. Die nun zu Ende gehende Dekade ist der Inbegriff dieser Veränderungen.

Drei Entwicklungen der letzten zehn Jahre zeigen uns, wie eine Verbesserung der Welt möglich ist, in stetigem Wandel statt in ruckartigen Umstürzen.

Der wichtigste Indikator dieser beständigen positiven Veränderung während der letzten zehn Jahre ist der weltweite Rückgang der extremen Armut. Während 1990 noch 36% der Menschheit in extremer Armut lebten, waren es zu Beginn der Dekade schon nur noch 10%. Und 2018 fiel der Anteil der extrem armen Menschen nach Berechnungen der Weltbank auf 8,6%. Weil sich relative Zahlen so abstrakt anhören, kann man es auch so ausdrücken: In den letzten zehn Jahren entkamen 158.000 Menschen der extremen Armut – und das jeden Tag.

Eine zweite Entwicklung, die mit dem Entkommen aus der Armut eng zusammenhängt, aber häufig missachtet wird, ist der Anstieg der Lebenserwartung: laut dem Ökonomen Max Roser ist das der wichtigste Indikator für die Gesundheit eines Volkes. Während 2010 der durchschnittliche Erdenbürger nur 69,9 Jahre alt wurde, wurde er 2018 schon 72,4 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung während der letzten zehn Jahre steigerte sich also jeden Tag um ca. 7 Stunden.

Eine Steigerung der Lebenserwartung ist aber kaum möglich ohne eine Reduzierung der Kindersterblichkeit. Während die Welt 2010 noch den Tod von 51 von 1000 Kindern unter fünf Jahren beklagen musste, waren es 2018 nur noch 28 Kinder. Fast ein Drittel weniger Kinder unter fünf Jahren sterben im Vergleich zu vor zehn Jahren unter den Augen ihrer Eltern. Insgesamt, das zeigen die Untersuchungen des Autors Johan Norberg, wurde so der Tod von mehr als zwei Millionen Kindern in der letzten Dekade verhindert. Zudem ermöglicht die Parallelentwicklung von Kindersterblichkeit und Lebenserwartung, dass im Jahr 2020 mehr Kinder ihre Großeltern kennenlernen werden als in jedem Jahrzehnt zuvor.

Natürlich bleibt die Enttäuschung auch am Ende dieses Jahrzehnts, dass es noch extreme Armut auf der Welt gibt, dass die Lebenserwartung in Äthiopien niedriger ist als bei uns in Deutschland und die Kinder in Dhaka wahrscheinlich eher sterben als die Kinder im Prenzlauer Berg in Berlin. Der Fokus auf diese Untergangsszenarien verstellt jedoch den Blick die großen Fortschritte, die wir (insbesondere) in den letzten zehn Jahren gemacht haben. Und zwar hauptsächlich in den benachteiligten Gegenden dieser Erde.

Diese Entwicklungen zeigen, dass Menschen weder dekadent noch faul geworden sind, sich nicht in den Fatalismus fliehen oder den Erfolg in der Revolution suchen. Kluge Reformen in China, Indien und Äthiopien haben dazu geführt, dass man Menschen die Freiheit gibt, Probleme vor Ort Schritt für Schritt zu lösen. Das Ergebnis ist die wohlhabendste und gerechteste Welt, in der Menschen je gelebt haben.

Wenn ich also einen Vorsatz für das kommende Jahrzehnt vorschlagen darf: Die letzten zehn Jahre Menschheitsgeschichte haben phänomenale Fortschritte gezeigt und die meisten Untergangsszenarien von Ressourcenknappheit bis Überbevölkerung ad absurdum geführt. Das heißt, wir sollten den großen Entwürfen der Untergangs-Propheten misstrauen lernen. Den Menschen hingegen sollten wir vertrauen, dass es ihnen gelingt, weitere Verbesserungen anzuschieben, indem sie ihr lokales Wissen und ihre persönlichen Erfahrungen nutzen. Das bedeutet bei Weitem nicht, dass Fehler und Probleme von der Politik ignoriert werden sollten. Vielmehr sollte sich die Politik in der nächsten Dekade die Eigenschaft des Menschen zu eigen machen, Probleme zu erkennen und zu lösen. Dafür brauchen die Menschen aber die nötige Beinfreiheit, die Dinge anpacken und besser machen zu dürfen. Denn die Untergangspropheten werden auch in den 20er Jahren wieder Hochkonjunktur haben und wir brauchen freie, anpackende Menschen, die sich ihnen mit Lösungsorientierung und Kreativität entgegenstellen können.

Photo: Alex Proimos from Flickr (CC BY-NC 2.0)

Warum spricht eigentlich kaum jemand über Interventionsspiralen? Warum es keine einfachen Lösungen auf großer Ebene gibt und was die Alternativen sind.

Wer A sagt, der muss auch B sagen, und C, und D, und E …

Was ist eigentlich die Aufgabe von Politikern? Von Abgeordneten, Regierungsmitgliedern und deren Mitarbeitern? Die meisten Menschen würden vermutlich antworten, dass „die Politik“ Probleme lösen soll. Probleme, zu deren Lösung die Gesellschaft ohne Zutun ihrer gewählten Vertreter und Regierungen nicht in der Lage seien. Oft handelt es sich dabei um Fälle von sogenanntem Marktversagen, in denen der freie Austausch der Individuen zu ineffizienten oder nicht erstrebenswerten Ergebnissen führe. Und so geht der politische Betrieb mit viel Tatendrang und vor allem voller Überzeugung, das Richtige zu tun, ans Werk; identifiziert und diskutiert Probleme, beschließt Lösungen. Indes ist „der Politiker als Problemlöser“ ein Zerrbild, dem eine maßlose Überschätzung des Menschen zu Grunde liegt. Denn frei nach Leonardo da Vinci: egal ob Mietendeckel, Mindestlohn oder Drogenkrieg – die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung. Und zur Lösung dieser neuen Probleme werden auch immer neue Maßnahmen entwickelt, die ihrerseits wieder neue Probleme produzieren. Was wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Politiker klingt ist tatsächlich eine verhängnisvolle Interventionsspirale.

Die Interventionsspirale ist der Eintopf politökonomischer Probleme

Die politische Ökonomie beschäftigt sich mit dem Austausch zwischen Individuen und den formellen und informellen Regeln, die diesen Austausch koordinieren. Im Grunde ist jedes politische Problem eine Art abstraktes Beziehungsproblem der Menschen einer Gesellschaft. Die konkreten Ursachen dieser Probleme sind schier unbegrenzt. Doch zumeist lassen sie sich auf zwei grundlegende menschliche Schwächen zurückführen: (1) Wir überschätzen konsequent unsere eigenen kognitiven Fähigkeiten. Wir denken, alles zu wissen und alle Konsequenzen unseres Handels abschätzen zu können. Und (2) wir sind keine Engel, wir verhalten uns opportunistisch und ziehen häufig den kurzfristigen eigenen Vorteil dem langfristigen größeren oder gemeinschaftlichen Vorteil vor. Interventionsspiralen entstehen genau aus diesen zwei Gründen.

Unabsehbare Konsequenzen: Was der Mietendeckel und der War on Drugs gemeinsam haben

Zwei Beispiele: Wenn nun der Berliner Senat niedrigere Mieten durch den sogenannten Mietendeckel erzielen möchte oder die US-Regierung mit dem War on Drugs den Missbrauch von Drogen bekämpft, dann erscheint beides erst einmal als grundsätzliche geeignete Lösung eines Problems (unabhängig von der Bewertung des jeweiligen Sachverhalts als politisches Problem). Nun beeinflusst diese politische Regeländerung (Mieten werden gedeckelt, bestimmte Drogen sind verboten) aber auf einen Schlag zig- wenn nicht gar hunderte Millionen von Austauschbeziehungen. Und es ist eine ganz absurde Vorstellung, dass die Konstrukteure der Regeln alle Konsequenzen abschätzen könnten.

Große politische (Problemlösungs-)Projekte führen daher zu einer unendlichen Anzahl an Folgeproblemen. In Berlin wird der Senat in Zukunft vermutlich damit konfrontiert sein, dass sich nur noch staatlich subventioniertes Bauen lohnt, was das Wohnungsangebot weiter verknappt. Auf den Mietendeckel folgt also aller Voraussicht nach ein staatliches Wohnungsbauprogramm. Und so weiter und so fort. Einerseits geht so die Signalfunktion von Preisen vollständig verloren, sodass weder das Berliner Umland von einem Preisgefälle profitieren noch Unternehmer zum Neubau von Wohnungen angereizt werden. Andererseits muss ja auch der Staat seine Subventionen irgendwo hernehmen, sodass der gemeine Mieter am Ende trotzdem die Zeche zahlt, nur eben über Steuern und mit einem saftigen Verwaltungsaufschlag.

Und der „War on Drugs“? Anstatt einen kontrollierbaren Markt für rauscherzeugende Substanzen zu schaffen, auf dem zumindest die Qualität von Rauschmitteln weitestgehend gesichert werden kann, schafft die Drogen-Prohibition den größten illegalen Markt der Welt. Statt vom verfassungsgebundenen Staat wird dieser Markt von gewalttätigen Mafias regiert, die nun abermals von staatlichen Behörden bekämpft werden. Und das vor allem im Ausland und unter Mithilfe von korrupten Regierungen und fragwürdigen Desposten. Das stürzt ganze Länder in Mittel- und Südamerika in Chaos und Gewalt. Wer hätte gedacht, dass der Kampf gegen Drogen in den USA zu einem der größten geopolitischen Probleme unserer Zeit wird?

Nicht selten enden Interventionsspiralen in einem Wettlauf um Privilegen

Doch nicht nur die (unvorhersehbaren) Konsequenzen politischer Regeländerungen treiben die Interventionsspirale an. Wie der österreichische Ökonom Ludwig von Mises feststellte, geschieht dies auch durch schlichte menschliche Begehrlichkeiten (wir sind eben alle keine Engel):

Der Interventionismus wird zu einem Wettlauf der einzelnen Interessenten und Interessengruppen um Privilegien. Die Regierung wird zu einem Weihnachtsmann, der Geschenke verteilt. Doch die Beschenkten müssen die Gaben, die sie empfangen, doppelt bezahlen. Dem Staate stehen keine anderen Mittel zum Schenken zur Verfügung als solche, die er dem Einkommen und dem Vermögen der Untertanen entnimmt.

Ludwig von Mises, Ominipotent Government, 1944; dt. Im Namen des Staats, Bonn 1978, S. 93.

In anderen Worten: Fangen wir einmal damit an, bestimmte Interessen über andere zu stellen oder scheinbar auszugleichen, geht der Wettbewerb um Privilegien erst so richtig los. Politiker wollen schließlich wiedergewählt werden und Interessengruppen das Beste für ihr Klientel herausholen. So öffnet beispielsweise der „ganz große Wurf“ Mietendeckel Tür und Tor für allerhand Sonderregelungen: sei es für bestimmte Neubauten, Immobilienbesitzer oder Genossenschaften. Sind deren Interessen erst einmal berücksichtigt, kommen Mieterbund und Co. um die Ecke und verlangen ihrerseits wieder einen Ausgleich. Die Politik wird zum Basar, auf dem von hier nach da nach dort munter umverteilt wird. Und am Ende stehen alle mit weniger da. Schließlich gibt es keine kostenlose Regulierung. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Regulierungen à la Mietendeckel den Markt effizienter machen, würden Durch- und Umsetzungskosten diesen Vorteil am Ende doch wieder aufwiegen.

Es gibt keine einfachen Lösungen auf großer Ebene

Was folgt daraus? Wer einfache Lösungen auf großer Ebene propagiert, der mag vielleicht hehre Absichten haben, aber dem sollten wir trotzdem kein Gehör schenken. Zu unabwägbar sind die Konsequenzen von großen Lösungen, zu weit öffnen sie das Tor für Folge und Folge-Folge-Interventionen und Klientelpolitik, die am Ende alle schlechter dastehen lassen.

Und die Alternative?

Erstens bedarf es eines ausgewogenen Blicks auf die Möglichkeiten von Markt und Staat. Aufgrund der menschlichen Schwächen können weder der Markt noch der Staat zu einhundert Prozent effiziente Lösungen hervorbringen. Die meisten Interventionsspiralen beginnen indes mit dem Vergleich eines vermeintlichen Marktversagens mit einer perfekten Staatslösung. Wer auf Basis dieses Vergleichs eine Entscheidung trifft, fällt dem sogenannten Nirvana-Trugschluss zum Opfer. Vergleicht man jedoch eine realistische staatliche Alternative mit allen ihren Schwächen mit dem Status Quo, so offenbart sich zumeist, dass ein Marktversagen einem Staatsversagen vorzuziehen ist.

Doch auch dies bedeutet nicht, dass wir uns einfach mit ineffizienten Situationen abfinden sollten. Denn zweitens müssen wir den Blick über den Tellerrand hinauswerfen. Der Staat, sei es auf Landes- oder Bundesebene mag vielleicht die sichtbarste aller Ordnungen unseres täglichen Zusammenlebens sein, aber er ist eben doch nur eine unter vielen Ordnungen. Auf kleinster Ebene, sei es in der Nachbarschaft, der Wohnungsbaugenossenschaft oder im Stadtteil, lassen sich Lösungen finden, die viel weniger zu Interventionsspiralen neigen. Denn die niedrige Ebene bedeutet weniger unabsehbare Konsequenzen, weniger Interessen, die vereint werden müssen, und weniger weitreichende Konsequenzen, sollte eine Ordnung am Ende doch einmal nicht (nur) das gewünschte Ergebnis nach sich ziehen.

Das wäre doch mal einen Versuch wert.

Photo: Ted McGrath from Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Die Bundesregierung ist mit ihrer Ausländermaut krachend gescheitert. Dennoch gibt es gute Argumente für eine nutzungsabhängige Finanzierung deutscher Fernstraßen. Eine Maut ist gerechter und hilft effektiver und effizienter gegen kaputte und überfüllte Straßen.

Der Quatsch ist vom Tisch

Ich bin ein Fan des Europäischen Gerichtshofs. Über Jahrzehnte hat er behutsam aber bestimmt dem europäischen Binnenmarkt eine Seele verliehen. Die Klassiker unter den Entscheidungen aus Straßburg wie „Cassis-de-Dijon“ oder „Centros“ verwirklichten einen am Wettbewerbsprinzip orientieren gemeinsamen Rechtsraum. Mit seiner Entscheidung zur geplanten PKW-Maut in Deutschland halten die Richter an ihren Prinzipien fest. Weder haben sie sich von Europas größter Volkswirtschaft einschüchtern, noch von der komplizierten aber durchsichtigen Konstruktion der deutschen „Ausländermaut“ blenden lassen. Die geplante Maut war nichts als dumpfer Wahlkampf-Populismus. Und das ganz nach den Vorstellungen eines Horst Seehofers, der Gesetze ja bekanntlich am liebsten derart komplex formuliert sieht, dass die kritischen Passagen schlicht niemandem auffallen. Den holländischen Schnecken(häusern), den skandinavischen Volvos und den österreichischen Vignetten-Abzockern sollte es an den Kragen gehen, aber für Deutsche sollte weiter gelten „Freie Fahrt für freie Bürger“. Gott sei Dank ist dieser Quatsch vom Tisch. Zeit also, sich darüber zu unterhalten, warum wir trotzdem dringend eine Maut brauchen.

Seit 243 Jahren auf dem Holzweg

Als der Ökonom Adam Smith vor 243 Jahren sein Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ veröffentlichte, enthielt dies nicht nur die berühmt-berüchtigte „unsichtbare Hand“, sondern auch eine ausführliche Passage über die Bereitstellung und Instandhaltung von Straßen. Smith kommt zum Schluss, dass:

Wenn die Wagen, die über eine Straße oder Brücke fahren (…) im Verhältnis zu ihrem Gewicht oder ihrer Tonnage eine Mautgebühr zahlen, zahlen sie für die Instandhaltung dieser öffentlichen Arbeiten genau im Verhältnis zu der Abnutzung, die sie verursachen. Es scheint kaum möglich zu sein, eine gerechtere Art der Erhaltung solcher Bauwerke zu erfinden.

Klingt vernünftig, aber auf deutschen Straßen sind wir, zumindest im PKW-Bereich, weit entfernt von einer solchen Lösung. Da hat man sich ein ungleich komplizierteres und dafür lukrativeres System für die Finanzierung öffentlicher Fernstraßen ausgedacht.

In Deutschland zahlten wir Steuerzahler im Jahr 2015 über 35 Milliarden Euro an Energiesteuern für den Bezug von Benzin und Diesel. Hinzu kamen knapp 9 Milliarden Euro durch die KFZ-Steuer. Diesen über 40 Milliarden Euro an Einnahmen standen Investitionen in Neubau und Erhalt der Bundesfernstraßen in Höhe von 5,2 [sic!] Milliarden Euro gegenüber. Der Rest ging beispielsweise für Mütterrente und schicke Panzer drauf. Und diese Steuern fallen an, unabhängig davon ob ich überhaupt je eine Bundesfernstraße nutze oder aus Spaß an der Freude auf meinem Privatparkplatz Donuts drehe.

Um es mit Adam Smiths Worten zu sagen: Es scheint kaum möglich zu sein, eine ungerechtere Art der Erhaltung unserer Straßen zu erfinden.

Eine nutzungsabhängige Straßenfinanzierung ist gerechter und hilft gegen Stau und Schlaglöcher

Der Staatshaushalt macht mit den Autofahrern den großen Reibach. Gleichzeitig stehen Millionen Bürger täglich überall in Deutschland stundenlang im Stau, rumpeln über zweispurige Flicken-Autobahnen oder schleichen an Baustellen vorbei, an denen scheinbar seit Jahrzehnten gearbeitet wird. Und niemanden scheint es zu kümmern.

Eine nutzungsabhängige Gebühr müsste qua Definition anders als die Steuern direkt in Ausbau und Erhalt der Fernstraßen gesteckt werden. Gleichzeitig erlauben flexible Preise für die Nutzung von Straßen die Lenkung von Verkehrsströmen. Das verhindert Staus und ermöglicht weniger wohlhabenden Verkehrsteilnehmern eine günstigere Straßennutzung. So könnten höhere Preise zu Stoßzeiten den Verkehr besser über den Tag verteilen. Oder aber man richtet Express-Spuren nach kalifornischem Vorbild ein, auf der Autofahrer mit einer höheren Zeitpräferenz auch höhere Gebühren zahlen. Das würde es preissensiblen Autofahrern ermöglichen, die Stoßzeiten zu meiden und dadurch Gebühren zu sparen.

Preise sind außerdem unersetzliche Träger von Informationen. Flexible Autobahngebühren könnten beispielsweise die Betreiber von Straßen darüber informieren, wo ausgebaut oder neugebaut werden sollte. Oder aber den Betreibern von öffentlichen Verkehrsmitteln zeigen, welche Preise Autofahrer bereit, sind für Mobilität zu zahlen. Stichwort öffentliche Verkehrsmittel: Der umweltfreundliche Schienenverkehr würde eine ganz neue Attraktivität gewinnen, könnten Autofahrer (natürlich auch nicht subventionierte) Ticketpreise direkt mit den anfallenden Mautgebühren vergleichen.

Zuletzt würden es kalkulierbare aber flexible Mauteinnahmen weitaus besser ermöglichen, Bau und Betrieb von Fernstraßen an private Akteure auszulagern. Diese hätten natürlich ein ganz anderes Interesse daran, eine kundenfreundliche und kosteneffiziente Autobahn zu schaffen: mit kurzen Bauzeiten, einer schlaglochfreien Fahrbahn, schnellem Streuen im Winter und wenig Staus zu Ferienzeiten durch intelligente Preisgestaltung.

Vorbilder gibt es genug

Sei es Spanien mit den exzellenten privaten „Autopistas“, die USA mit ihren gebührenpflichtigen Express-Lanes, London mit der City-Maut oder das deutsche LKW-Maut System : Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Und die Digitalisierung macht es sogar immer leichter, Mautgebühren auf effiziente und effektive Weise zu erheben. Die Ersetzung von KFZ- und Energiesteuer durch nutzungsabhängige Gebühren würde einiges ändern: Vor allem müssten Einnahmen direkt in Erhalt und Neubau gesteckt werden. Auf der anderen Seite könnte der Bund die Autofahrer nicht mehr unbegrenzt schröpfen und damit soziale Wohltaten finanzieren. Zuletzt stünden den Verkehrsplanern eine ganze Reihe an neuen Instrumenten zu intelligenten, preisbasierten, Verkehrssteuerung zur Verfügung. Möglichkeiten, von denen Mautbefürworter Adam Smith nur träumen konnte. Die Maut ist tot – lang lebe die Maut!

Photo: Murray Foubister from flickr (CC BY 2.0)

Der Markt wird auf unheilvolle Weise personifiziert. Dabei vergessen wir häufig, dass Konzepte gar nicht handeln können, sondern nur Individuen. Ein Plädoyer für ein neues Marktverständnis.

Der gute Staat gegen den bösen Markt?

Was hat der Markt nur falsch gemacht? Die Marktwirtschaft gilt vielen als die Wurzel allen Übels. Ihr wird keine besondere Fairness und auch keine Effizienz zugeschrieben. Verantwortlich hingegen ist „der Markt“ scheinbar für so Einiges: dafür, dass nicht jeder Berliner direkt am Hackeschen Markt in 120 Quadratmeter saniertem Altbau wohnen kann; und für den Klimawandel; und natürlich für alle großen Finanz- und Wirtschaftskrisen. Wenn überhaupt, so das allgemeine Verständnis, könne „der Markt“ nur fair sein, wenn er von einem starken Staat in die (sozialen) Schranken gewiesen und gelenkt werde. Wie ein wilder Stier, der durch die engen Gassen einer kleinen spanischen Stadt getrieben wird – was natürlich nicht immer ohne Verletzte vonstattengeht.

Doch leben wir wirklich in einer solchen Puppenspielerwelt – als bloße Zuschauer des Kampfes zwischen der grundbösen Schattenfigur „Markt“ und dem gut meinenden Leviathan? Nein, denn der Markt ist nur das, was wir alle daraus machen. Wir brauchen ein anderes Verständnis der Marktwirtschaft.

„Der Markt“ handelt genau so wenig wie „der Staat“

Seit den 1960er Jahren haben sich die beiden Ökonomen Gordon Tullock und James Buchanan mit der „Public Choice Theory“ darum verdient gemacht, den Staat sprichwörtlich „aufzudröseln“. Es handelt nicht „der Staat“, sondern es handeln Individuen innerhalb des Gebildes „Staat“. Und diese sind genau so anfällig für Fehler und Verführungen wie jeder andere. Egal ob Wähler, Bürokraten oder Politiker: alle verfolgen innerhalb des Raumes Staat ihre genuinen Interessen und machen damit den Staat zu dem, was er ist. Dabei kann gutes herauskommen wie Rechtssicherheit oder Demokratie. Es kann aber auch das Gegenteil passieren. Niemand würde freilich „den Staat“ für die Machtübernahme eines brutalen Diktators oder korrupten Richters verantwortlich machen. Es sind Wähler, die sich haben verführen lassen, oder vielleicht korrupte Bürokraten …  es sind Individuen, die für das jeweilige Antlitz des Staates verantwortlich sind.

Ganz anders verstehen heute viele den Markt. Adam Smiths „unsichtbare Hand“ des Marktes scheint real. Und sie wirkt wie die Hand eines kaltherzigen, reichen, brutalen, weißen, alten Mannes. Es ist dieser personifizierte Markt, der als Wurzel allen Übels empfunden wird, nicht die Existenz des abstrakten Raumes „Markt“ und erst recht nicht der einzelne Akteur innerhalb des abstrakten Raumes. Genau wie der Staat demokratisch oder autoritär, rechtsstaatlich oder willkürlich organisiert sein kann, so kann auch der Markt dutzende Formen annehmen. Eines tut „der Markt“ aber nicht: handeln. Menschen handeln – nicht Konzepte.

Der Markt ist nur das Instrument der Individualwirtschaft

Stattdessen ist der Markt lediglich Ausdruck des kulminierten Handelns aller Individuen. Wenn beispielsweise mehr konventionelle Landwirtschaft betrieben wird als ökologische, dann ist das nicht so, weil der Markt so sehr auf Gen-Mais steht, sondern weil eine Mehrheit der Verbraucher mehr Wert auf einen guten Preis legt als auf die Art des Anbaus von Lebensmitteln – und anders herum. Das macht den Markt zum Instrument einer – nennen wir es Individualwirtschaft. Die Individualwirtschaft ist wie ein gigantisches Wikipedia, das durch Preise Auskunft darüber erteilt, was die Menschen überall auf der Welt gerne hätten, wo sie gerne wohnen und was sie gerne (oder weniger gerne) machen. Und es bleibt nicht bei der Auskunft, denn schließlich entwickelt sich für jede noch so weit her geholte Nachfrage auch ein Angebot. Was natürlich nicht gleichbedeutend damit ist, dass jede Nachfrage auch zu jeder Zeit befriedigt werden muss.

In der Individualwirtschaft liegt es am Ende unmittelbar in der Hand des Individuums, was nachgefragt und damit auch bereitgestellt wird. Die Individualwirtschaft ist eine fortwährende Abstimmung, an der jeder teilhaben und seine Entscheidung stets aufs Neue überdenken kann. Die Idee, alle Ergebnisse des Marktes durch staatliche Eingriffe korrigieren zu müssen, wirkt vor diesem Hintergrund auf einmal gänzlich absurd. Denn wo besteht noch Notwendigkeit zur Korrektur, wenn das Ergebnis Ausdruck des Handelns jedes einzelnen Individuums ist, seiner Wünsche, Vorlieben, Bedürfnisse? Die Individualwirtschaft ist die ultimative Form der Demokratie, in der jede einzelne Stimme berücksichtigt wird – ganz ohne Fünfprozent-Hürde und Fraktionszwang. So wird manche Intervention schlichtweg zu einer Wahlfälschung.

Die Individualwirtschaft ist mehr als eine linguistische Spitzfindigkeit

Sicher, manch einer mag mein Argument als linguistische Spitzfindigkeit abtun. Doch wie uns der Feminismus nicht ganz ohne Grund lehrt, beeinflusst Sprache auch unser Denken. Und der Begriff Markwirtschaft verleitet ganz schnell dazu, unser Zusammenleben als gelenkt von einem Dritten mit eigenen Interessen zu verstehen. Das erlaubt die Kapitulation vor den unabänderlichen Ergebnissen des Marktes. Die Idee der Individualwirtschaft hingegen lässt uns begreifen, dass das Ergebnis des Austausches innerhalb des Raumes Markt nicht determiniert ist, sondern von jedem Einzelnen abhängt. Es hängt ab von unseren Präferenzen und Entscheidungen. Aber es hängt auch von den Normen und informellen Regeln ab, die wir uns geben und die bestimmen, wie wir uns auf dem Markt begegnen. Das macht die Individualwirtschaft unbequem und anstrengend. Aber es bedeutet auch, dass jeder Einzelne ernstgenommen wird, gleichermaßen zählt und verantwortlich ist.

Photo: kennejima from Flickr (CC BY 2.0)

Wenn die Justizministerin Katarina Barley die Urheberrechtsreform im EU-Rat der Justizminister durchwinkt, dann bricht sie im Namen ihrer eigenen Partei den Koalitionsvertrag. Das ist bemerkenswert, da Barley ja gleichzeitig Spitzenkandidatin der SPD zur EU-Wahl ist, und nur wenige Themen derartig Aufmerksamkeit auf europäischer Ebene haben. Im Koalitionsvertrag heißt es nämlich: „Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu „filtern“, lehnen wir als unverhältnismäßig ab.“ Die GroKo spricht sich im Koalitionsvertrag also gegen eine Erweiterung des Haftungsregime auf Internetplattformen wie Google, YouTube und Co. aus.

Doch eigentlich ist dieser Bruch des Koalitionsvertrags ein kollektiver. Denn auch die Union unterstützt die Urheberrechtsreform. Schon im EU-Parlament hat die EVP-Fraktion letztlich dem Richtlinienentwurf zur Mehrheit verholfen. Es waren also CDU und CSU, die die entscheidenden Stimmen für die Mehrheit sicherten.

Die Urheberrechtsreform durchbricht fundamentale marktwirtschaftliche Prinzipien. Eine marktwirtschaftliche Ordnung funktioniert dann gut, wenn das Eigentum geschützt wird. Also, wenn derjenige, dessen Eigentumsrechte verletzt werden, sich dagegen wehren kann. Wenn er für einen Schaden, den er erleidet, einen Ausgleich erhält. Das ist nicht immer einfach. Im grenzüberschreitenden Handel ist das vielfach sogar besonders schwierig. Die Probleme sind nicht auf das Internet beschränkt. Wenn in China Markenrechte eines Bekleidungsherstellers verletzt werden, dann ist es für die Unternehmen oftmals schwierig, ihre Ansprüche durchzusetzen. Hier setzt die Politik an, die bei internationalen Verhandlungen, auf WTO-Ebene oder bei den Verhandlungen von Freihandelsabkommen gerade über diese Aspekte diskutiert, und Vereinbarungen trifft, damit die Rechteverletzung vor Ort abgestellt oder das Eigentumsrecht durchgesetzt werden kann. Das ist mühsam und schwierig, aber dennoch notwendig.

Eine marktwirtschaftliche Ordnung entlässt denjenigen, dessen Eigentumsrechte verletzt werden, jedoch nicht aus der Verantwortung, sich um die Durchsetzung seiner Eigentumsrechte zu kümmern. Daraus haben einige Anbieter sogar ein Geschäftsmodell gemacht. Wer eine eigene Internetseite betreibt, kann ein Lied davon singen. Wenn etwa Bilder aus einer Bilddatenbank wie Flickr und Co. verwandt werden, dann kann es passieren, dass man Wochen später die Aufforderung zur Zahlung eines drei- bis vierstelligen Betrages bekommt, weil man die Urheber nicht oder nicht vollständig angegeben hat. Es soll sogar Suchmaschinen geben, die solche Veröffentlichungen heraussuchen. Ganze Anwaltskanzleien haben sich auf dieses lukrative Geschäft spezialisiert.

Doch man darf diejenigen, die Eigentumsrechte verletzen, nicht mit denjenigen verwechseln, die lediglich einen Marktplatz anbieten. Google, YouTube und Facebook bieten gerade das an. Warum sollen sie dafür haften müssen, dass jemand Inhalte hochlädt, die Eigentumsrechte anderer verletzen? Der Youtuber Felix von der Laden diskutierte bei Maybrit Illner mit Welt-Herausgeber Stefan Aust gerade über diese Frage. Sein Beispiel, dass die Post ja auch nicht dafür hafte, wenn jemand einen Brief versendet und beim Briefinhalt gegen das Urheberrecht verstoßen wird, konterte Aust damit, dass YouTube aber mit den Daten der Nutzer Geld verdiene und daher die Haftung auch berechtigt sei.

Das Beispiel war richtig und sehr treffend. Denn auch die Deutsche Post verdient ihr Geld nicht nur damit, dass sie Briefmarken verkauft, sondern auch, indem sie mit den Daten der Nutzer Geld verdient. So können spezifische Zielgruppe über den Postversand erreicht werden, deren Adressenbestände von der Deutschen Post käuflich erworben werden müssen. Das ist ein lukratives Geschäft für die Post. Sie macht also das Gleiche in der analogen Welt wie YouTube und Co. in der digitalen. Selbst die Marktmacht ist hier kein Argument, denn der relative Marktanteil am entsprechenden Sektor der Post ist wahrscheinlich höher als derjenige der betroffenen Internetunternehmen.

Was hier stattfindet, ist der klassische Kampf der Besitzstandswahrer gegenüber grundlegenden Veränderungen der Märkte. Klassische Druckerzeugnisse wie Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Bilder verlieren ihre Bedeutung gegenüber Angeboten im Internet. Nur wenige Verlage haben auf diese Veränderungen bisher eine Antwort. Jetzt soll der Staat helfen, deren Niedergang abzufedern. Der Staat soll Verwertungsgesellschaften initiieren und Google verpflichten, für Zeitungsausschnitte zu bezahlen. Doch wer hindert die Zeitungsverlage daran, selbst Verwertungsgesellschaften zu gründen oder Google die Veröffentlichung von Zeitungsausschnitten zu untersagen? Das Urheberrecht sicherlich nicht. Es sind die Verlage selbst, die sich bislang damit arrangiert und auch davon profitieren haben. Denn die Klicks auf ihre Internetseiten werden dadurch vervielfacht. Es ist eine Win-Win-Situation für alle Seiten. Der Suchende findet so schneller, was er will. Die Zeitung hat mehr Klicks und Google profitiert von den Daten. Das Internet ist deshalb so erfolgreich, weil es unser aller Leben einfacher macht. Google, YouTube und andere ersparen uns Lebenszeit, die wir alle früher für Recherchen aufwenden mussten. Diesen Fortschritt sollten wir in EU-Europa nicht zerstören. Daher, liebe Frau Barley, stimmen Sie am 9. April gegen die Urheberrechtsreform. Sie haben es in der Hand!

Zuerst erschienen bei Tichys Einblick.