Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Die nahende Weihnachts- und Chanukkazeit bringt auch den nicht religiös gebundenen unter uns wieder eine ordentliche Portion Sakralität in Bild, Ton und Wort vor die Sinne. Manches davon hat auch in einer säkularen Welt bleibende Strahlkraft.

Harsche Weihnachtszeit

Auf der Oberfläche hat Weihnachten vor allem mit Heimeligkeit zu tun: Mit dem bethlehemitischen Weihnachtsidyll der idealtypischen Kleinfamilie. Mit Engeln, Glanz und Gloria, Lebkuchen und Punsch. Mit einem blonden Knäblein in einer Krippe in verschneiter Winterlandschaft. Wie absurd weit weg das ist sowohl von der Realität vor 2000 Jahren als auch von den biblischen Botschaften, haben wir uns letztes Jahr bereits etwas vor Augen geführt. Am Grund des höchst dramatischen Ereignisses, dass hier im Verständnis der Christen Gott ein sterblicher Mensch wird, liegt das Element des Prophetischen, das mithin zu den wichtigsten Narrativen der freien Zivilisationen gehört.

Weder Jesus in seinem Selbstverständnis noch die verschiedenen Autoren der Schriften des Neuen Testaments, die ihn und seine Worte gedeutet haben, haben eine ganz und gar neue Gedankenwelt errichtet. Sie haben bereits bestehende Bilder, Erzählungen und Theorien neu kombiniert, weiterentwickelt und ins Gespräch mit den sie umgebenden Kulturen gebracht. Eine Schlüsselrolle nehmen dabei die Propheten des sogenannten Alten Testaments ein, ganz besonders das Buch Jesaja. Die Bilder, die dessen Autoren gefunden haben und die dankbar von jüdischen und christlichen Autoren aufgegriffen wurden, haben unsere Welt geprägt wie nur wenige andere, gerade auch im Bereich politischer Theoriebildung und Hermeneutik.

Fortschritt und Machtkritik, Universalismus und Zivilisation

Da findet man das Motiv des Aufbruchs, eine Art Neuauflage des Exodus, der Israel aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit geführt hatte. Damit verbunden ist die Absage an die Vorstellung des „früher war alles besser“. Es ist ein großer Hoffnungsschrei auf das Morgen hin und prägt die Aufbruchsfreude und den Fortschrittsglauben des Westens nachhaltig. Ein weiteres Motiv ist das des Messias; sehr deutlich zu unterscheiden von der Fixierung auf den einen Führer, der endlich jedes Problem lösen wird. Der Messias ist vielmehr der überirdische Maßstab für alle Herrscher dieser Welt, die Schablone, die deren Völkern gegeben ist, um ihre eigenen Herren zur Rechenschaft zu ziehen.

Ein auch ständig wiederkehrendes Motiv ist die revolutionäre Perspektive, die der Prophet in die Glaubenswelt Israels einführt, indem er Jahwe nicht mehr nur als ihren Stammesgott darstellt, sondern als den Gott der ganzen Schöpfung. Damit ist der Gott, der das kleine Israel erwählt hatte, nicht mehr nur Gegenstand ihrer Sehnsucht, sondern aller Völker auf Erden. Das Heil wird als Perspektive globalisiert, der Blick in einem Akt gewaltiger, weltumstürzender Unwucht vom Stamm auf den Kosmos geweitet. Der Universalismus hat hier seinen Ursprung. Und dieses „Heil für alle“ hat seinen Bezugspunkt nicht mehr im ländlichen Eden mit seiner Kleingartenbeschaulichkeit, sondern in der trubelnden Stadt. Jerusalem ist der Ort, an dem das Heil seine Vollendung finden wird, wo alle Völker in all ihrer Vielfalt zusammenkommen. Hier liegt eine der Wurzeln der Vorstellung von Zivilisation als der dem Menschen am ehesten gemäßen Existenzform. Der Gegenentwurf zur “Hure Babylon” ist nicht die Flucht in die Natur, sondern die Stadt auf dem Zion, wo Friede und Gerechtigkeit herrschen. Denn als Abbild Gottes ist der Mensch dazu fähig, wenn auch nicht immer bereit.

Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen

Für das vielleicht eindrücklichste Bild stehen die zum Sprichwort gewordenen Schwerter, die zu Pflugscharen werden. Sie stehen im krassesten Widerspruch zu der täglich erfahrenen Realität jener Zeit – und leider auch wieder unserer Zeit. In diesem Bild verdichtet sich die Botschaft des Propheten von einer besseren Welt. Der Friede, das „Shalom“, der hier verheißen wird, ist etwas komplett anderes als die Abwesenheit von Krieg. Es ist vielmehr die vollständige Umkehrung der bestehenden Logiken. Es ist die Basis, auf der Menschen das Althergebrachte hinterfragen und Neues erträumen, konzipieren und errichte können. Das visionäre Shalom in der Zukunft legitimiert den Aufbau einer besseren Welt in der Gegenwart, ja fordert das Arbeiten daran geradezu ein.

Unsere moderne Welt und ganz besonders der Liberalismus können eine gehörige Portion Prophetentum gebrauchen: Unbeirrbar einem klaren Kompass folgen. Die eigenen Überzeugungen und Werte mit Selbstbewusstsein vertreten. Mächtige und Bestehendes nicht schonen. Und vor allem auch einen Blick nach vorne bieten. Die Vision einer Welt bieten, die Menschen ersehnen können und für die sie sich leidenschaftlich einsetzen wollen. Unsere Welt hat wenig gemeinsam mit der spießigen Weihnachtsidylle auf verzierten Printenschachteln; dafür umso mehr mit dem von Krieg, Hunger, Not und Tod geprägten Israel des Propheten Jesaja oder auch des Jesus von Nazareth. Ob wir an den religiösen Charakter ihrer Botschaften glauben oder nicht: Ihre großen Erzählungen haben unsere freiheitliche Gesellschaft nachhaltig geprägt. Sie am Leben zu erhalten, wird uns sehr viel Rückendeckung und Kraft geben in den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte von China bis Klima.

Photo: Felipe Giacometti from Unsplash (CC 0)

Von Christian Schmidt, Research Fellow bei Prometheus Juni – Juli 2022. Christian untersucht im Rahmen seines Promotionsstudiums an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wie das Thema Venture Capital in der Forschung behandelt wird. Zuvor hat er in Paderborn, Hanoi und Shanghai International Business Studies studiert.

Start-Ups sind die Motoren der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands hängt davon ab, ob und wie neue Unternehmen kreative Lösungen für Probleme der Zukunft finden. Umso besorgniserregender ist deshalb der Trend, dass es immer weniger gewerblicher Existenzgründungen gibt. Ein Grund dafür ist der mangelhafte Zugang junger deutscher Unternehmen zu Kapital.

Die Beschaffung von Kapital stellt besonders in der Frühphase von Unternehmungen ein Hindernis dar. Denn das Risiko des Scheiterns ist hoch. Um frühe Finanzierungsengpässe zu vermeiden, streben Gründer eine externe Finanzierung an, vorzugweise über das „Einsammeln“ von Risikokapital (oder auch: Venture Capital bzw. Wagniskapital). Wagniskapitalgesellschaften auf der anderen Seite – als eine Ausprägung von privatem Beteiligungskapital – bevorzugen in ihrer Förderentscheidung Startups mit großem Wachstumspotenzial. Diesen kaufen sie Eigentumsanteile ab und stellen im Gegenzug Finanzmittel und einen Mentor an die Seite, der mit seiner Branchenerfahrung, (Führungs-)Expertise sowie seinem Netzwerk der jungen Unternehmung helfen soll. Wagniskapital wirkt: Studien zeigen regelmäßig, dass Wagniskapital-finanzierte Start-Ups auch bei Finanzierungsrunden in der Zukunft deutlich erfolgreicher sind.

In den letzten Jahren kletterte die Summe der Wagniskapitalinvestitionen scheinbar unaufhaltbar nach oben. So verfünffachte sich die weltweite jährliche Summe an Investitionen von 66 Milliarden Dollar im Jahr 2010 bis auf 320 Milliarden Dollar im Jahr 2020. Eine Analyse des Startup-Umfeldes in Deutschland zeigt eindeutig den großen Umbruch, der sich in dieser Wachstumsphase auch bei Gründungsfinanzierungen hier zu Lande vollzog: Altbewährte Player wie Business Angels oder unabhängige Venture Capital Gesellschaften wurden durch neue Formen der Start-Up Unterstützung ergänzt: Crowdfunding-Plattformen, Corporate Venture Capital, Governmental Venture Capital sowie Inkubatoren und Accelerators erweitern die traditionelle Kapitalgeberwelt zusammen mit Exit-Optionen wie IPOs (Initial Public Offerings) oder Strategien (z.B. der Syndikatsbildung) von Wagniskapitalgebern.

Trotz dieser Veränderungen und des zunehmenden Wachstums, unterscheidet sich die deutsche Wagniskapitalszene dennoch gravierend von ihren internationalen Pendants: Während in Skandinavien, in den USA oder Großbritannien bereits seit Jahren Gelder aus den Rentenkassen in Venture Capital Töpfe fließen, ist dies in heimischen Gefilden aufgrund regulatorischer Vorgaben nicht möglich. Ebenso besorgniserregend ist die durchschnittliche Investitionshöhe deutscher Wagniskapitalgeber: Bezogen auf das durchschnittliche Handelsvolumen liegt Deutschland im EU-Vergleich nur im unteren Mittelfeld. Damit man sich mit dem europäischen Vorreiter in Sachen Wagniskapital, Großbritannien, messen kann, müssten hiesige Jungunternehmen etwa doppelt so viel Geld von Venture Capital-Investoren erhalten. Schon um das Level unseres Nachbarlandes Frankreich zu erreichen, bräuchte es ein Drittel mehr an Wagniskapital. Der heimische Investitionsmangel führt zwangsläufig dazu, dass sich vielversprechende Start-Ups an internationale Investoren wenden – und dort auch oft fündig werden. Das Ergebnis ist, dass viele innovative und erfolgsversprechende Jungunternehmen gänzlich ins Ausland abwandern. Die deutsche Wagniskapitallandschaft muss daher den nächsten Entwicklungsschritt gehen, indem sie die Rahmenbedingungen für finanzstarke Wagniskapitalgeber verbessert, um so einen attraktiveren Wachstumskontext für Start-Ups zu schaffen.

Das Problem hat die politischen Akteure erreicht: Die neue Start-Up-Strategie des Bundeswirtschaftsministeriums sieht vor, dass Jungunternehmer schneller und leichter an große Investitionen deutscher Wagniskapitalgeber kommen sollen. Weitere zentrale Eckpunkte des Programms sind Erleichterungen für die Gewinnung neuer Mitarbeiter & Fachkräfte (aus dem Ausland) und die Vereinfachung und Digitalisierung von Gründungsmöglichkeiten. So sollen zum Beispiel Gründungen künftig innerhalb von 24 Stunden möglich sein. Ebenso sollen Wagniskapitalfonds in Zukunft stärker gefördert werden, indem sie von der Umsatzsteuer befreit werden. Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Strategie wird eine engere Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Investoren sein – der High-Tech-Gründerfonds ist hier ein Vorbild. Zudem ist es unabdingbar, dass Start-Ups in allen Wachstumsphasen Finanzierungsmöglichkeiten finden: Es ist ein großes Problem, dass nach der ersten erfolgreichen Investitionsrunde von Wagniskapital der Zugang zu Finanzmitteln in den Folgerunden häufig verwehrt bleibt. Vor diesem Hintergrund ist die Idee des Wirtschaftsministeriums sinnvoll, dass in Zukunft auch Versicherungen und Pensionskassen als Wagniskapitalgeber auftreten sollen. Doch bereits jetzt stößt dieser Vorschlag auf Widerstand in der Politik.

Die bisherigen Schwachstellen der Gründerfinanzierung in Deutschland wurden richtig erkannt: das Gros der Jungunternehmer-Szene begrüßt die formulierte Strategie. Allerdings betonen sie auch, dass sich das Programm nicht (wieder) im Dickicht der Bürokratie verlieren dürfe. Einige Aspekte wie die Besteuerung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen müssen daher dringend reformiert werden. Auch wenn man vorsichtig optimistisch sein darf, so bleibt noch viel zu tun, um die deutsche Wagniskapitalszene wettbewerbsfähig zu machen.

Photo: Marion S. Trikosko from Wikimedia Commons (CC 0)

Von Alexander Kobuss, Research Fellow bei Prometheus Oktober 2021 – Februar 2022. Alexander hält einen Master of Education in den Fächern Geschichte und Sozialwissenschaften von der Universität zu Köln. Aktuell promoviert er zur Geschichte der sozialen Marktwirtschaft und untersucht dabei vor allem die Gründungszeit der Bundesrepublik. Seine geförderte Masterarbeit beschäftigte sich mit der Rezeption der sozialen Marktwirtschaft in Großbritannien.

Die 1970er Jahre waren eine turbulente Zeit. Sie waren die Zeit hervorragender Disco-Klassiker von ABBA oder Boney M, aber auch ein Jahrzehnt politischer Umbrüche. Das „Krisenjahrzehnt“ war gekennzeichnet durch Ereignisse wie den Krieg in Vietnam, die Watergate-Affäre, Ölkrisen, den Nordirland-Konflikt und die sogenannte Stagflation. Letztere traf ganz besonders Großbritannien, bedeutete nachhaltigen Konflikt in der britischen Politik und brachte die Idee der sozialen Markwtirtschaft über den Ärmelkanal.

Nach Ende des zweiten Weltkrieges entwickelte sich im britischen Parlamentarismus der post war consensus. Die konservative Tory- und die linke Labour-Partei kamen überein, dass ein starker Staat die Wirtschaft in die richtigen Bahnen lenken müsse. Nach Jahren des kontinuierlichen Ausbaus des Wohlfahrtsstaates zeigte die Stagflation der 1970er – eine Mischung auf hoher Inflation und ökonomischer Stagnation – die negativen Konsequenzen des staatsfreundlichen Konsenses auf. Lähmende Bürokratie, niedriges Wachstum und hohe Inflation schadeten dem Wohlstand der britischen Bevölkerung. Die wenigen Profiteure des consensus waren gut organisierte Gruppen, die ihre Gewerkschafts- und Geschäftsinteressen gegen den den ökonomischen Fortschritt des Landes ausspielten.

Seinen Höhepunkt fand das ökonomische Krisenjahrzehnt im Winter of Disconent. Eine Winterrezession in den Jahren 1978/79 wurde von so schweren Streiks der Gewerkschaften begleitet, dass Krankenhäuser wochenlang stillstanden, der Abfall nicht entsorgt und die Toten nicht begraben wurden. Dies bereitete den Boden für ein politisches Erdbeben: 1979 wurde Margaret Thatcher mit dem Versprechen liberaler ökonomischer Reformen zur ersten weiblichen Premierministerin Großbritanniens gewählt. Während Thatchers Wahl in die Geschichtsbücher einging, wurde eine spannende Debatte weitestgehend vergessen: die Auseinandersetzung der Tories mit dem deutschen Konzept der sozialen Marktwirtschaft.

Spuren einer Debatte um politische Kommunikation

Ausgangspunkt dieser Debatte ist das 1975 veröffentlichte Pamphlet „Why Britain needs a social market economy“ des Politikers Keith Joseph. In dem, vom konservativen Think-Tank Centre for Policy Studies publizierten Papier, legte Joseph dar, dass die deutsche Volkswirtschaft deutlich besser mit den Krisen der 1970er Jahre umging als die britische. Daher sei es an der Zeit, sich an dem deutschen Konzept der sozialen Marktwirtschaft zu orientieren. Dabei war es den Tories wichtig, die Prinzipien der freien Marktwirtschaft wie zum Beispiel eine konsequente Liberalisierung der britischen Wirtschaft nicht nur inhaltlich, sondern auch rhetorisch attraktiv zu machen.

Thatcher hingegen war kein Freund eines Begriffs, der dem Sozialismus auch nur phonetisch ähnlich klang. Ihr konsequenter Widerstand gegen eine Anbiederung an alles was an den postwar consensus erinnerte, zeigt sich auch bei einem Treffen mit einer Gruppe von one nation conservatives, die sich wirtschaftspolitisch in Krisenzeiten nicht allzu weit vom consensus entfernen wollten. Ähnlich wie in ihrer Reaktion auf die soziale Marktwirtschaft soll Thatcher schroff reagiert, aus ihrer Handtasche das Buch „Die Verfassung der Freiheit“ des liberalen Ökonomie-Nobelpreisträgers F.A. Hayek gezogen und gesagt haben: „this is what we believe!“ In ihren Memoiren schrieb sie, dass der Begriff soziale Marktwirtschaft genauso schnell im parteiinternen Diskurs aufkam wie er auch wieder „leise vergessen“ wurde.

Das kurze Aufleben der „social market economy“

Thatcher sollte Recht behalten. Ohne den Begriff sicherte sie sich überzeugend ihre erste Wiederwahl und brachte die gesamte Partei hinter ihre konsequentere Position. Thatchers Erdrutschsieg wurde auch durch die Spaltung der Labour Partei begünstigt, aus der sich die moderate Social Democratic Party (SDP) ausgründete. Die SDP, im Bündnis mit den Liberalen, erzielte bei der Wahl 1982 einen Achtungserfolg mit 25% der Gesamtstimmen. Zwar war es nicht genug, um mit den Tories unter Thatcher mitzuhalten, aber es reichte, um einen bekannten Begriff wieder in den politischen Diskurs einzubringen: die social market economy. SDP und Liberale orientierten sich diesmal nicht an den Gründungvätern der sozialen Marktwirtschaft, sondern an den Erfolgen der sozialliberalen Koalition in Deutschland zur gleichen Zeit. Der SDP gelang es aber nicht, den Begriff mit einem konkreten wirtschaftspolitischen Programm zu füllen. Nachdem Thatcher auch ihre zweite Wiederwahl sicherte, versank die SDP in der politischen Bedeutungslosigkeit, fusionierte mit den Liberalen zu den Liberal Democrats und der Begriff der sozialen Marktwirtschaft scheiterte erneut.

Immer wieder sollten sich später Intellektuelle an dem Konzept versuchen. Doch das deutsche Konzept der sozialen Marktwirtschaft konnte sich nie in Großbritannien durchsetzen. So blieb die social market economy eine Fußnote im Ringen um gute politische Kommunikation in der Ära Thatcher.

Photo: Michela Simoncini from Flickr (CC BY 2.0)

Von Alexander Horn, Geschäftsführer von Novo Argumente und Unternehmensberater. Zuletzt erschien sein Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.

Die Inflation droht außer Kontrolle zu geraten, denn die Inflationsbremsen sind kaputt. Wir brauchen nichts Geringeres als eine Kehrtwende in der Wirtschafts- und Geldpolitik.

Schon vor Monaten warnte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), dass die Inflation außer Kontrolle geraten könnte: „Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist real“, daher müsse der Staat nun mit gezielten Entlastungen den Kaufkraftverlust der Menschen begrenzen und so, Lindner „verhindern, dass die Inflation sich selbst verstärkt.“[1]

Das wird nun jedoch infolge des rasanten Inflationsgeschehens nicht mehr zu unterbinden sein, denn nicht nur bei den Löhnen und Gehältern, sondern in allen Wertschöpfungsketten gibt es die gefürchteten Zweitrundeneffekte. Weder die Unternehmen noch die Erwerbstätigen können den enormen Preisanstieg durch Sparmaßnahmen ausgleichen, ohne dass es auf die Profitabilität beziehungsweise den Lebensstandard durchschlägt. Um ihre Profitabilität zu bewahren, sind die Unternehmen gezwungen, ihre steigenden Kosten in den Wertschöpfungsketten weiterzugeben und überwälzen diese – sofern sie die Möglichkeit haben – auf die Verbraucher. Diese wiederum können den innerhalb der letzten zwei Jahre erlittenen Kaufkraftverlust infolge des Verbraucherpreisanstiegs von inzwischen mehr als 15 Prozent ebenfalls nicht wegstecken. In den Tarifverhandlungen, so der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, gehe es letztlich um nichts anderes als darum, zwischen den Tarifpartnern die „Verluste zu verteilen“.[2]

Wer verliert am meisten?

Die Inflation gewinnt seit Monaten zunehmend an Dynamik. Im Oktober sind die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat sogar um 10,4 Prozent nach oben geschnellt. Nun sorgen nicht mehr nur die Energiepreise für die rasante Preisdynamik, denn auch die Nahrungsmittelpreise explodieren Sie lagen im Oktober sogar um 20,3 Prozent höher als vor einem Jahr.[3] Der Preisauftrieb, so die Bundesbank nüchtern, sei „inzwischen breit angelegt.“[4]

Die Gewerkschaft Ver.di und der Beamtenbund mussten für die etwa 2,5 Millionen Beschäftigten bei Bund und Ländern nachziehen. Sie fordern 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr pro Monat, was bei unteren Lohngruppen einen deutlich höheren prozentualen Lohnaufschlag bedeuten würde.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), tönte sogleich, er „halte Lohnerhöhungen von 10,5 Prozent für den öffentlichen Dienst für überzogen“.[5] Noch bevor die 10,5-Prozent-Forderung auf dem Tisch lag und in Anbetracht der in ganz Europa anstehenden Tarifverhandlungen blies der Chefökonom der EZB, Philip R. Lane ins gleiche Horn. Um zu einer niedrigeren Inflation zurückkehren zu können, sei die „Erkenntnis notwendig“, dass „die Rentabilität der Unternehmen sinken“ werde, „und dass die Löhne auch eine Zeit lang nicht mit der Inflation Schritt halten können.“[6]

Vor einigen Wochen noch musste sich die IG-Metall den Vorwurf des Chefs des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, gefallen lassen, dass sie an „Realitätsverlust“ leide und für die Wirklichkeit der Branche „blind geworden“ sei. Die Gewerkschaft forderte 8 Prozent mehr Lohn für die knapp 4 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie und akzeptierte bereits mit dieser Lohnforderung die von Lane geforderten Reallohneinbußen.[7] Aber auch Tarifergebnisse, die weit unterhalb des Verbraucherpreisanstiegs liegen, werden zu Zweitrundeneffekten führen. Um sich schadlos zu halten, müssen die Arbeitgeber die höheren Löhne wiederum auf ihre Preise draufschlagen.

Kaputte Inflationsbremse …

Regierungen und Zentralbanken stehen der sich entfaltenden Inflationsspirale weitgehend hilflos gegenüber, denn über die vergangenen Jahrzehnte haben die Staaten der entwickelten Volkswirtschaften eine Wirtschafts- und Geldpolitik verfolgt, die die Inflationsbremsen, über die eine gesunde Marktwirtschaft verfügt, zerstört hat.

Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität spielt hierbei die zentrale Rolle, auch wenn in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion fast ausschließlich auf die Geldpolitik und die temporären Marktverzerrungen, die durch die Corona-Krise und den Ukraine-Krieg ausgelöst wurden, abgehoben wird. Denn von der Verbesserung der Wertschöpfungsprozesse gehen kostensenkende Effekte aus. Diese können die Unternehmen zur Verbesserung ihrer Profitabilität nutzen, sofern es ihnen gelingt, die eigenen Verkaufspreise hoch zu halten – oder sie sind in einem eher wettbewerbsstarken Umfeld gezwungen, die Kostenvorteile durch Preissenkungen weiterzugeben, um sich wettbewerblich am Markt durchzusetzen. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre hat sich die in den 1950er und 1960er Jahren rasante Entwicklung der Arbeitsproduktivität jedoch immer weiter abgebremst, so dass ab der Finanzkrise 2008 in Deutschland – wie auch in anderen entwickelten Volkswirtschaften – praktisch keine Verbesserungen mehr erzielt wurden.

Die tiefere Ursache hierfür sind rückläufige Unternehmensinvestitionen. Die Unternehmen investieren im Verhältnis zu der von ihnen erzielten Wertschöpfung immer weniger in die technologische Verbesserung ihrer Produktions- und Dienstleistungsprozesse, wie auch in den Aufbau von Kapazitäten für völlig neuartige innovative Produkte. Ab dem Beginn der 2000er Jahre hat die rückläufige Investitionsneigung der Unternehmen sogar dazu geführt, dass der Unternehmenssektor zunehmend größere Finanzierungsüberschüsse erzielt.[8] Die Unternehmen funktionieren seitdem wie Banken, die dem Kapitalmarkt freie Mittel zur Verfügung stellen, weil sie für die von ihnen erzielten Gewinne keine eigene profitable Verwendung sehen. Rückläufige Investitionen in den technologischen Fortschritt haben sich, da sie die Kosten senken, sogar zu einem bedeutenden Treiber für hohe Dividenden entwickelt, was wiederum hohe Unternehmensbewertungen rechtfertigt. Obwohl rückläufige Investitionen ursächlich sind, wurde das Anschwellen der Kapitalmärkte durch den stetigen Zufluss von immer mehr freien Mitteln von Ökonomen-Seite aus nicht als Investitionsschwäche, sondern als globale „Sparschwemme“ interpretiert.

Ab den 1980er Jahren sind die Zentralbanken dazu übergegangen, dieses zunehmend von Investitionslähmung betroffene wirtschaftliche Gefüge zu stabilisieren. Um die nun prosperierenden Finanzmärkte vor Krisen und Bewertungsrückschlägen zu bewahren, wurde zunächst eine asymmetrische Zinspolitik angewendet. Bei sich ankündigenden Krisen wurden die Zinssätze drastisch gesenkt und nach Überwindung der Krisen nicht wieder auf das vorherige Niveau angehoben, so dass sich die Bewertung der Vermögen immer weiter aufblasen konnte. Diese, von den Zentralbanken abgesicherte, Finanzialisierung, hat den Trend noch verstärkt, Kapital in die Finanzmärkte zu pumpen und auf Papiergewinne zu setzen anstatt in neue Unternehmenstechnologie zu investieren und darüber Gewinne einzustreichen. Als während der Finanzkrise 2008 und erneut während der Eurokrise 2012 das Finanzsystem aufgrund der entstandenen Unwucht zwischen einer darbenden Realwirtschaft und prosperierenden Finanzmärkten zu kollabieren drohte, wurde erneut mit dem Aufpumpen der Finanzmärkte reagiert, um die Wirtschaft – und inzwischen sogar überschuldete Staaten – mit noch billigerem und viele Billionen schwerem Zentralbankgeld zu retten.

Wegen der weitgehenden technologischen Stagnation der Wirtschaft in den entwickelten Volkswirtschaften, in der es nur wenigen Unternehmen gelingt, sich wettbewerblich durchzusetzen und technologisch stagnierende Unternehmen aus dem Markt zu drängen, können auch weniger profitable Unternehmen dauerhaft überleben. Insbesondere diese sind vom süßen Gift des billigen Geldes abhängig geworden, um durch niedrige Fremdkapitalzinsen ihre niedrige oder fehlende Profitabilität auszugleichen. Diese von den Zentralbanken geschaffene Abhängigkeit der Unternehmen, aber auch vieler Staaten, lässt sich nicht lösen, ohne diese Unternehmen in eine existenzielle Krise zu stürzen. Die Zentralbanken haben, indem sie die Abhängigkeit der Wirtschaft von extrem billigem Geld zugelassen haben, sich selbst die Möglichkeit genommen, sich einer Geldentwertung mit einer deutlichen Anhebung der Zinsen entgegenzustemmen. Nicht nur das: Brechen zu viele Unternehmen zusammen, stellt dies die geldpolitische Gewähr für die fortschreitende Finanzialisierung in Frage. Das erklärt die extrem zögerliche Haltung der EZB, die, um nicht handeln zu müssen, sogar so weit geht, dies auf ihre eigene Inkompetenz in der Inflationsbewertung zu schieben. Faktisch hat die EZB während ihrer Mini-Zinsschritte genau darauf geachtet, dass sie gefährdete Schuldner mit noch mehr billigem Geld als zuvor versorgt und das Zinsniveau weit, weit unterhalb der Inflationsrate bleibt.[9] Die geldpolitische Inflationsbremse ist völlig zerstört.

Aber auch die durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität wirkende Inflationsbremse ist kaputt. Denn weil die Unternehmen nur noch wenig in die Verbesserung ihrer Produkte und Prozesse investieren, sind sie wegen ausbleibender Produktivitätsgewinne kaum noch in der Lage, die Gesamtkosten zu senken und Kostensteigerungen aufzufangen. So konnten sie in der Vergangenheit Lohn- und Gehaltssteigerungen gut wegstecken, die im Bereich der Arbeitsproduktivitätssteigerungen lagen. Es gelang ihnen, nominale Lohnsteigerungen zulassen, ohne die Preise zu erhöhen, so dass das Verbraucherpreisniveau stabil gehalten wurde. Aus der Differenz zwischen nominalen Lohnsteigerungen und dem weniger stark steigenden Verbraucherpreisen resultierten Reallohnsteigerungen. Bis zu Beginn der 1990er Jahre ergaben sich diese noch in respektablem Umfang, seitdem ist der Reallohnzuwachs durch die weiter rückläufige Produktivitätsentwicklung zunehmend geschwächt worden – und nun zusammengebrochen.

… und ein Inflationstreiber

Während die Inflationsbremsen durch die Wirtschafts- und Geldpolitik zerstört wurden, hat sich, ausgelöst durch die ökologische Klimapolitik, ein dauerhafter Inflationstreiber etabliert. Die geplante Umstellung der Energieversorgung auf ausschließlich erneuerbare Energien, in Deutschland auf Windkraft und Solarenergie, ist ein enorm kostspieliger Kraftakt. Denn Wind- und Solarstrom ist um ein Vielfaches teurer als Strom aus konventionellen Energieträgern, wenn dieser entsprechend den Bedürfnissen moderner Industriegesellschaften bedarfsgerecht verfügbar gemacht wird. Das zeigt sich an der Entwicklung der Strompreise in Deutschland. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung lag im letzten Jahr bei erst 42,4 Prozent. Windkraft steuerte lediglich 21,5 Prozent bei, Photovoltaik nur 8,7 Prozent.[10] Obwohl der Beitrag von Wind- und Solarstrom zur Stromversorgung in Deutschland bisher also nur etwa ein Drittel beiträgt, hat dessen Subventionierung dazu geführt, dass sich die Verbraucherstrompreise in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt haben.[11] Um den weiteren Preisanstieg zu bremsen, hat sich die Bundesregierung innerhalb eines Jahres bereits mehrfach gezwungen gesehen, die Strompreise mit jährlich zweistelligen Milliardenbeträgen aus dem Staatshaushalt zu subventionieren.

Dauerrisiko Inflation

Die nun von der Corona-Krise wie auch vom Ukraine-Krieg ausgehenden inflationären Effekte, treffen in den entwickelten Ländern auf eine gelähmte Wirtschaft, die auch auf längere Sicht nicht mehr die Kapazitäten hat, einer in Gang gekommenen Inflation entgegenzuwirken. Inflationärer Druck entsteht einerseits durch die Herausbildung von temporären Anbietermärkten, in denen Unternehmen aufgrund des Mangels höhere Preise durchsetzen können, andererseits durch effektiv höhere Produktions- und Logistikkosten für nicht-russisches Gas sowie andere knappe Güter. Ohne einen grundlegenden Kurswechsel bliebe wenig anderes übrig, als zu hoffen, dass dieser inflationäre Druck sich nicht weiter verschärft und sich gewissermaßen von selbst zumindest teilweise wieder zurückbildet. Das jedoch wird so schnell nicht der Fall sein, denn die vorläufig drastisch weiter steigenden Gas- und Strompreise werden zu ebenso drastischen Zweitrundeneffekten führen. Die Wirtschaft hat die Resilienz, diese Preissteigerungen zumindest teilweise und jedenfalls auf lange Sicht aufzufangen, mittlerweile verloren.

Das Schüren von Ängsten vor einer Lohn-Preis-Spirale, mit der versucht wird, den Erwerbstätigen die Schuld an einer Inflation zu geben, die außer Kontrolle zu geraten droht, ist starker Tobak. Verantwortlich für diese Inflationskrise ist eine verfehlte Wirtschafts-, Geld- und Klimapolitik, die Anstatt die Inflation zu bremsen, diese sogar noch befeuert. Die akute Gefahr, dass inflationäre Schübe außer Kontrolle geraten können und zu wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen, die selbst wirtschaftlich kerngesunde Unternehmen mit ihrer Existenz bezahlen und die Bürger mit Wohlstandseinbrüchen, wird solange bestehen bleiben, bis die Inflationsbremsen wieder in Stand gesetzt sind. Dazu braucht es aber zunächst das Eingeständnis, dass die Wirtschafts- und Geldpolitik der letzten Jahrzehnte die realwirtschaftlichen Probleme, die sich in der Stagnation der Arbeitsproduktivität manifestieren, mit viel Geld zu übertünchen versucht hat, anstatt diese Probleme zu adressieren.

Aber das scheint noch ein weiter Weg. Denn selbst die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland kommen nicht darüber hinweg, die faktisch noch immer bestehende relative Stärke der deutschen Unternehmen, als Beleg dafür zu betrachten, dass doch alles Bestens sei. So behauptet der bereits erwähnte DIW-Präsident Fratzscher, der die Lohnforderungen im öffentlichen Dienst für überzogen hält, das Wachstum der Arbeitsproduktivität in Deutschland sei „weiterhin robust“. Die „hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen in der globalen Welt“ sei in den „allermeisten Fällen nicht durch geringe Löhne und niedrige Preise“ erklärbar, sondern durch hohe Produktivität und exzellente Qualität“, und diese heile Welt wird noch schöner, weil nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Beschäftigten der deutschen Unternehmen „hoch produktiv und motiviert“ seien.[12] Bis sich diese Realitätswahrnehmung ändert sollten die Erwerbstätigen der Empfehlung des Ifo-Präsidenten Fuest folgen und zusehen, dass sie beim nun anstehenden „Verluste verteilen“ möglichst gut wegkommen, indem sie nicht in Zweitrunden der Inflation hinterherrennen, sondern selbst vor die Welle kommen.

Um diese inflationäre Negativspirale zu durchbrechen, die von der Auseinandersetzung darüber, wer letztlich den Wohlstandsverslust trägt, angeheizt wird, müssen die Ursachen schleunigst angegangen werden. Und die liegen in einer gelähmten Realwirtschaft, die die Fähigkeit eingebüßt hat den Wohlstand der erwerbstätigen Massen zu heben, und in einer Wirtschafts- und Geldpolitik die einzig darauf ausgerichtet ist, dieses Problem mit immer mehr Schulden zu bemänteln und möglichst weit in die Zukunft zu verschieben.


[1] https://www.rnd.de/politik/christian-lindner-ueber-inflation-die-gefahr-einer-lohn-preis-spirale-ist-real-7BHDCTXBWNFWHH2OY7UKXQTIEE.html

[2] https://www.capital.de/wirtschaft-politik/zentralbanken-warnen-vor-inflationsgekoppelten-lohnerhoehungen-31892452.html#:~:text=Inflation%20Zentralbanken%20warnen%20vor%20inflationsgekoppelten%20Lohnerh%C3%B6hungen&text=24.05.2022%2C%2015%3A31%203%20Min.&text=Nicht%20nur%20die%20Angst%20vor,Ma%C3%9Fnahmen%20zur%20Sicherung%20der%20Reall%C3%B6hne.

[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/10/PD22_458_611.html#:~:text=Harmonisierter%20Verbraucherpreisindex%2C%20Oktober%202022%3A&text=Im%20September%202022%20hatte%20die,voraussichtlich%20um%200%2C9%20%25.&text=Vorl%C3%A4ufige%20Werte.

[4] https://www.bundesbank.de/resource/blob/896066/5a77338cc5b5aa3a46f1c308f4ab253e/mL/2022-08-ueberblick-data.pdf

[5] https://presse-augsburg.de/oeffentlicher-dienst-oekonomen-kritisieren-lohnforderungen-von-verdi/822977/

[6] https://www.blick.ch/wirtschaft/reaktion-auf-inflation-ezb-chefoekonom-warnt-vor-lohn-preis-spirale-id17913110.html

[7] https://www.capital.de/wirtschaft-politik/ig-metall-fordert-acht-prozent-mehr-lohn–folgt-jetzt-die-lohn-preis-spirale–32536948.html#:~:text=Diese%20Gefahr%20kennen%20sowohl%20Arbeitgeber,vier%20Prozent%20Steigerung%20pro%20Jahr.

[8] Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: „Aufschwung weiter kräftig – Anspannungen nehmen zu“ in: Gemeinschaftsdiagnose 2/2017, S. 66.

[9] https://www.tichyseinblick.de/wirtschaft/ezb-inflation-fragmentierung/

[10] https://www.entega.de/strompreisentwicklung/https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_116_43312.html#:~:text=Stromerzeugung%20aus%20erneuerbaren%20Energien%20zur%C3%BCckgegangen&text=Strom%20aus%20Windkraft%20hatte%20dadurch,Energietr%C3%A4ger%20in%20der%20Stromerzeugung%20gewesen.

[11] https://www.entega.de/strompreisentwicklung/#:~:text=In%20den%20letzten%20Jahrzehnten%20ist,betrug%20die%20Steigerung%20rund%20128%20%25.

[12] https://www.diw.de/de/diw_01.c.845442.de/nachrichten/mythos_namens_lohn-preis-spirale.html#:~:text=Wenn%20%C3%BCberhaupt%2C%20dann%20k%C3%B6nnte%20in,in%20den%20kommenden%20Jahren%20%C3%BCberspannen.

Photo: Ryunosuke Kikuno from Unsplash (CC 0)

Von Melanie del Giudice, Research Fellow bei Prometheus April bis Juni 2022. Melanie hat von 2018 bis 2022 an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen Communication, Culture and Management studiert. Ihre geförderte Bachelorarbeit untersucht Satiresendungen auf einen populistischen Kommunikationsstil und diskutiert die Befunde in einem demokratietheoretischen Rahmen.

Populismus finden wir in Ideologie, Politik und Stil. Geballt finden wir ihn in Einzelpersonen wie Donald Trump, Vladimir Putin oder Marine le Pen. Doch finden wir ihn – in seine Einzelteile zerlegt – auch an unerwarteter Stelle: in Satiresendungen.

Die Überraschung liegt mitunter daran, dass man Populismus gerne nur der rechten politischen Sphäre zuschreibt. Betrachtet man Populismus jedoch genauer, stellt man fest, dass er als Kommunikationsstil von allen politischen Akteur*innen verwendet werden kann. Politische Akteur*innen sind aber nicht nur Politiker*innen, sondern auch andere Gruppen, die einen relevanten Einfluss auf die Meinungsbildung von Wähler*innen haben, wie zum Beispiel in Satiresendungen.

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich mir deshalb die Frage gestellt, ob deutsche Satiresendungen einen populistischen Kommunikationsstil verwenden. Es ist kein Geheimnis, dass die quotenstärksten deutschen Satiresendungen heute-show und ZDF Magazin Royale die Meinungsbildung und das politische Engagement in Deutschland beeinflussen. Die Literatur ist sich jedoch noch nicht einig, ob das etwas Gutes oder Schlechtes für die Demokratie verheißt. In meiner Bachelorarbeit habe ich die Satiresendungen heute-show und ZDF Magazin Royale auf einen populistischen Kommunikationsstil untersucht und meine Ergebnisse in einem demokratietheoretischen Rahmen diskutiert.

Vor meiner Recherche erwartete ich, dass ich keine populistischen Merkmale vorfinden würde. Schließlich kann man sich bei beiden Sendungen sicher sein, dass rechter Populismus wie Fremdenfeindlichkeit oder Hass auf religiöse Minderheiten keinen Platz findet. Populismus ist aber keineswegs ein Mittel, welches ausschließlich die politische Rechte verwendet. Dies lernt man, wenn man Populismus als Kommunikationsstil begreift, der von jedem und jeder politischen Akteur*in verwendet werden kann. Ob sich hinter diesem Kommunikationsstil eine Ideologie verbirgt, ist dabei eine ganz andere Frage. Klar ist: politische Akteur*innen des gesamten politischen Spektrums können sich eines populistischen Kommunikationsstils bedienen. Die Politikwissenschaftler Jagers und Walgrave trennen dabei zwischen zwei Arten des kommunikativen Populismus: Wird ganz einfach über „das Volk“ und seine Wünsche und Bedürfnisse gesprochen, so ist dies die Basis für einen „dünnen“ Populismus. Dieser bildet die Basis für allen Populismus. Wird nicht über „das Volk“ gesprochen, so liegt kein populistischer Kommunikationsstil vor. Kommen die Kritik an Eliten und der Ausschluss von bestimmten Bevölkerungsgruppen hinzu, sprechen Jagers und Walgrave von einem „dicken“ Populismus, der oftmals mit einer bestimmten Ideologie verbunden ist.

Methodisch habe ich eine in der Politikwissenschaft anerkannte Methode auf die Satiresendungen heute-show und ZDF Magazin Royale, mit leichten Anpassungen, angewendet. In diesem Vergleich wurde deutlich, dass die Satiresendungen heute-show und ZDF Magazin Royale in allen Indices vergleichbare Werte mit der belgischen Partei „Vlaams Blok“ (heute „Vlaams Belang“) aufwiesen, die regelmäßig als populistisch eingestuft wurde.

Ich konnte zeigen, dass die Satiresendungen heute-show und ZDF Magazin Royale verwenden beide einen „dicken“ Populismus. Das heißt, beide Satiresendungen sprechen über das Volk, sie kritisieren Eliten und schließen bestimmte Bevölkerungsgruppen aus. Dabei verwenden sie den „dicken“ Populismus nicht so wie es klassische, rechte Populist*innen tun, sodass ihr Kommunikationsstil oftmals nicht auf Anhieb als populistisch eingestuft wird, sondern sie verwenden einen eher linken populistischen Kommunikationsstil. Dabei kritisieren sie die Eliten in Politik, Staat und Wirtschaft und schließen ganze Bevölkerungsgruppen aus.

Das Ergebnis meiner quantitativen Inhaltsanalyse zeigt auch, dass sich Populismus als Kommunikationsstil nicht auf die rein politische Sphäre begrenzt, sondern auch über die Grenze des Politischen hinausgeht: bis hin zu Unterhaltungsangeboten wie Satiresendungen. Zugegeben, die Satiresendungen heute-show und ZDF Magazin Royale gehören zur politischen Sphäre, verkörpern aber mehr als das rein Politische: sie integrieren, kritisieren und informieren über politiknahe und -ferne Sachverhalte. Dabei vermitteln sie die politischen und gesellschaftsrelevanten Inhalte unterhaltsam und tragen dabei zur Meinungsbildung ihrer Rezipient*innen bei. Und weil politische Satiresendungen zur Meinungsbildung ihrer Zuschauer*innen beitragen, ist es interessant und wichtig zu wissen, wie und mit welchem Kommunikationsstil die Satiresendungen ihre Inhalte vermitteln.

Meine Forschungsarbeit kann viele Fragen nicht beantworten, doch zu einem klaren Ergebnis kommt sie: Die Satiresendungen heute-show und ZDF Magazin Royale verwenden einen populistischen Kommunikationsstil, sie beeinflussen damit ihre Zuschauer*innen und die Verwendung eines dick populistischen Kommunikationsstils ist im demokratietheoretischen Rahmen, mit Blick auf die liberale Demokratie, negativ zu bewerten.

Und was bedeutet das für Satireliebhaber*innen? Wir sollten Satiresendungen mit Vorsticht genießen und im Hinterkopf behalten, wie die Inhalte kommuniziert werden. Sind wir uns dessen bewusst, steht dem großen Lacher nichts mehr im Weg!

Literatur:

Cranmer, M. (2011). Populist communication and publicity: An empirical study of contextual differences in Switzerland. Swiss Political Science Review, 17(3), 286–307. https://doi.org/10.1111/j.1662-6370.2011.02019.x

Jagers, J., & Walgrave, S. (2007). Populism as political communication style: An empirical study of political parties’ discourse in Belgium. European Journal of Political Research, 46(3), 319–345. https://doi.org/10.1111/j.1475-6765.2006.00690.x

Kleinen-von Königslöw, K. (2014). Politischer Humor in medialen Unterhaltungsangeboten. In Politische Unterhaltung – Unterhaltende Politik. Forschung zu Medieninhalten, Medienrezeption und Medienwirkung (pp. 163–191). Herbert von Halem.

Young, D. G. (2017). Theories and Effects of Political Humor : Discounting Cues , Gateways , and the Impact of Incongruities The Content of Political Humor. August 2019, 1–17. https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780199793471.013.29