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Die nahende Weihnachts- und Chanukkazeit bringt auch den nicht religiös gebundenen unter uns wieder eine ordentliche Portion Sakralität in Bild, Ton und Wort vor die Sinne. Manches davon hat auch in einer säkularen Welt bleibende Strahlkraft.

Harsche Weihnachtszeit

Auf der Oberfläche hat Weihnachten vor allem mit Heimeligkeit zu tun: Mit dem bethlehemitischen Weihnachtsidyll der idealtypischen Kleinfamilie. Mit Engeln, Glanz und Gloria, Lebkuchen und Punsch. Mit einem blonden Knäblein in einer Krippe in verschneiter Winterlandschaft. Wie absurd weit weg das ist sowohl von der Realität vor 2000 Jahren als auch von den biblischen Botschaften, haben wir uns letztes Jahr bereits etwas vor Augen geführt. Am Grund des höchst dramatischen Ereignisses, dass hier im Verständnis der Christen Gott ein sterblicher Mensch wird, liegt das Element des Prophetischen, das mithin zu den wichtigsten Narrativen der freien Zivilisationen gehört.

Weder Jesus in seinem Selbstverständnis noch die verschiedenen Autoren der Schriften des Neuen Testaments, die ihn und seine Worte gedeutet haben, haben eine ganz und gar neue Gedankenwelt errichtet. Sie haben bereits bestehende Bilder, Erzählungen und Theorien neu kombiniert, weiterentwickelt und ins Gespräch mit den sie umgebenden Kulturen gebracht. Eine Schlüsselrolle nehmen dabei die Propheten des sogenannten Alten Testaments ein, ganz besonders das Buch Jesaja. Die Bilder, die dessen Autoren gefunden haben und die dankbar von jüdischen und christlichen Autoren aufgegriffen wurden, haben unsere Welt geprägt wie nur wenige andere, gerade auch im Bereich politischer Theoriebildung und Hermeneutik.

Fortschritt und Machtkritik, Universalismus und Zivilisation

Da findet man das Motiv des Aufbruchs, eine Art Neuauflage des Exodus, der Israel aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit geführt hatte. Damit verbunden ist die Absage an die Vorstellung des „früher war alles besser“. Es ist ein großer Hoffnungsschrei auf das Morgen hin und prägt die Aufbruchsfreude und den Fortschrittsglauben des Westens nachhaltig. Ein weiteres Motiv ist das des Messias; sehr deutlich zu unterscheiden von der Fixierung auf den einen Führer, der endlich jedes Problem lösen wird. Der Messias ist vielmehr der überirdische Maßstab für alle Herrscher dieser Welt, die Schablone, die deren Völkern gegeben ist, um ihre eigenen Herren zur Rechenschaft zu ziehen.

Ein auch ständig wiederkehrendes Motiv ist die revolutionäre Perspektive, die der Prophet in die Glaubenswelt Israels einführt, indem er Jahwe nicht mehr nur als ihren Stammesgott darstellt, sondern als den Gott der ganzen Schöpfung. Damit ist der Gott, der das kleine Israel erwählt hatte, nicht mehr nur Gegenstand ihrer Sehnsucht, sondern aller Völker auf Erden. Das Heil wird als Perspektive globalisiert, der Blick in einem Akt gewaltiger, weltumstürzender Unwucht vom Stamm auf den Kosmos geweitet. Der Universalismus hat hier seinen Ursprung. Und dieses „Heil für alle“ hat seinen Bezugspunkt nicht mehr im ländlichen Eden mit seiner Kleingartenbeschaulichkeit, sondern in der trubelnden Stadt. Jerusalem ist der Ort, an dem das Heil seine Vollendung finden wird, wo alle Völker in all ihrer Vielfalt zusammenkommen. Hier liegt eine der Wurzeln der Vorstellung von Zivilisation als der dem Menschen am ehesten gemäßen Existenzform. Der Gegenentwurf zur “Hure Babylon” ist nicht die Flucht in die Natur, sondern die Stadt auf dem Zion, wo Friede und Gerechtigkeit herrschen. Denn als Abbild Gottes ist der Mensch dazu fähig, wenn auch nicht immer bereit.

Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen

Für das vielleicht eindrücklichste Bild stehen die zum Sprichwort gewordenen Schwerter, die zu Pflugscharen werden. Sie stehen im krassesten Widerspruch zu der täglich erfahrenen Realität jener Zeit – und leider auch wieder unserer Zeit. In diesem Bild verdichtet sich die Botschaft des Propheten von einer besseren Welt. Der Friede, das „Shalom“, der hier verheißen wird, ist etwas komplett anderes als die Abwesenheit von Krieg. Es ist vielmehr die vollständige Umkehrung der bestehenden Logiken. Es ist die Basis, auf der Menschen das Althergebrachte hinterfragen und Neues erträumen, konzipieren und errichte können. Das visionäre Shalom in der Zukunft legitimiert den Aufbau einer besseren Welt in der Gegenwart, ja fordert das Arbeiten daran geradezu ein.

Unsere moderne Welt und ganz besonders der Liberalismus können eine gehörige Portion Prophetentum gebrauchen: Unbeirrbar einem klaren Kompass folgen. Die eigenen Überzeugungen und Werte mit Selbstbewusstsein vertreten. Mächtige und Bestehendes nicht schonen. Und vor allem auch einen Blick nach vorne bieten. Die Vision einer Welt bieten, die Menschen ersehnen können und für die sie sich leidenschaftlich einsetzen wollen. Unsere Welt hat wenig gemeinsam mit der spießigen Weihnachtsidylle auf verzierten Printenschachteln; dafür umso mehr mit dem von Krieg, Hunger, Not und Tod geprägten Israel des Propheten Jesaja oder auch des Jesus von Nazareth. Ob wir an den religiösen Charakter ihrer Botschaften glauben oder nicht: Ihre großen Erzählungen haben unsere freiheitliche Gesellschaft nachhaltig geprägt. Sie am Leben zu erhalten, wird uns sehr viel Rückendeckung und Kraft geben in den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte von China bis Klima.