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Von Dr. Benedikt Koehler, Historiker in London.

Eine von Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts häufig vermittelte Lektion war, dass staatliche Eingriffe in die Märkte kontraproduktiv sein können. Diese Intuition wurde jedoch schon lange vorher zum Ausdruck gebracht, nämlich 1857, während einer Finanzkrise, die die Regierungen in den USA und in Europa dazu veranlasste, die Rettung von Banken in Erwägung zu ziehen. Zwei Zeitgenossen waren dagegen, weil sie überzeugt waren, dass Bankenrettungen mehr schaden als nutzen würden: US-Präsident James Buchanan und Karl Marx.

Im Jahr 1857 war eine Finanzkrise kein unbekanntes Phänomen. Große Volkswirtschaften hatten bereits mehrere Episoden von sogenannten „Umwälzungen“ durchlebt. Im Jahr 1857 hatten mehrere Jahre regen Handels Investoren und Kreditgeber dazu verleitet, ihre Verpflichtungen zu überziehen. Zu Beginn des Jahres hatte eine unerwartete Unterbrechung der Zahlungen einiger New Yorker Händler die Banken veranlasst, ihre Kreditzusagen einzuschränken, und die Kreditnehmer hielten ihre Investitionen zurück. Diese Verzögerung wäre vielleicht nur vorübergehend gewesen, wenn nicht im August die Nachricht die Runde gemacht hätte, dass ein großer institutioneller Kreditgeber, die Ohio Life Insurance and Trust Company, ausgefallen war. Von New York aus breitete sich eine Kettenreaktion über das ganze Land aus. Banken schlossen, Fabriken wurden dichtgemacht, und die Arbeiter wurden nach Hause geschickt. Ohio, das Epizentrum des Ausbruchs der Krise, war ein Lichtblick in diesem düsteren Bild. Die Banken in Ohio gründeten im Eiltempo und unter Verzicht auf staatliche Eingriffe einen Verein für gegenseitige Garantien, und Ohio war einer der ersten Staaten, in denen die Märkte wieder in Ordnung gebracht wurden.

Präsident James Buchanan machte die Finanzkrise zum ersten Tagesordnungspunkt seiner Rede zur Lage der Nation am 8. Dezember 1857. Er sprach drei wichtige Punkte an.

Zunächst drückte er sein Mitgefühl angesichts der Entbehrungen aus, die dem Land auferlegt wurden: „Inmitten eines unübertroffenen Überflusses an allen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und allen Elementen des nationalen Reichtums finden wir unsere Manufakturen eingestellt, unsere öffentlichen Arbeiten verzögert, unsere privaten Unternehmungen verschiedener Art aufgegeben und Tausende von Arbeitskräften aus der Beschäftigung geworfen und in Not gebracht.“ Zweitens betonte er jedoch, dass das Land nicht von der Regierung erwarten könne, dass sie „das Leid und die Not des Volkes lindert. Die Regierung kann nicht umhin, dafür tiefes Mitgefühl zu empfinden, auch wenn sie nicht die Macht hat, Hilfe zu leisten“. Drittens deckte James Buchanan die eigentliche Ursache der Finanzkrise auf, nämlich „unverantwortliche Bankinstitute, die von ihrem Wesen her eher die Interessen ihrer Aktionäre als das öffentliche Wohl im Auge haben.“

James Buchanan muss von dem finanziellen Rettungsboot gewusst haben, mit dem Ohio aus der Krise segelte. Es wäre nur zu plausibel gewesen, diesem Beispiel auf Bundesebene zu folgen und einen staatlichen Garanten zur Unterstützung wankender Banken zu schaffen. Diesen Vorschlag lehnte Buchanan jedoch ab – ein staatliches Eingreifen in die Finanzmärkte würde zu falschen Anreizen führen, argumentierte er. Zu glauben, die Vereinigten Staaten könnten eine zentrale Finanzinstitution einrichten, um eine Finanzkrise zu entschärfen, sei illusorisch: Diese Institution sei dazu geneigt, ihre Interessen mit denen der Finanzinstitutionen abzustimmen, die sie beaufsichtigen solle.

„Aber eine Bank der Vereinigten Staaten würde, selbst wenn sie dazu in der Lage wäre, die Emissionen und Kredite der staatlichen Banken nicht einschränken, weil ihre Aufgabe als Währungsregulierer oft in direktem Konflikt mit den unmittelbaren Interessen ihrer Aktionäre stehen muss. Wenn wir von einem Akteur erwarten, dass er einen anderen einschränkt oder kontrolliert, müssen ihre Interessen zumindest in gewissem Maße gegensätzlich sein. Aber die Direktoren einer Bank der Vereinigten Staaten würden dasselbe Interesse und dieselbe Neigung wie die Direktoren der Staatsbanken verspüren, die Währung auszuweiten, ihren Günstlingen und Freunden mit Krediten entgegenzukommen und hohe Dividenden auszuschütten. Diese Erfahrung haben wir mit der letzten Bank gemacht.“

Die Krise von 1857 war eine Zäsur.

Frühere Finanzkrisen hatten sich auf das Inland beschränkt, aber in der Zwischenzeit hatten die Fortschritte in der Schifffahrt und der Telegrafie die Märkte über den Atlantik hinweg miteinander verbunden. Die Leser der New York Daily Tribune konnten am 30. November 1857 Berichte des Londoner Korrespondenten der Zeitung, Karl Marx, über die Entwicklung der Finanzkrise in Europa lesen: „Die wirtschaftliche Krise Großbritanniens scheint in ihrer ungeheuren Entwicklung drei verschiedene Formen angenommen zu haben: einen Druck auf die Geld- und Warenmärkte von London und Liverpool, eine Bankenpanik in Schottland und einen Zusammenbruch der Industrie in den Manufakturen.“ Die Auswirkungen der Krise konnten in Großbritannien nicht eingedämmt werden und machten sich bald auch in Kontinentaleuropa bemerkbar. In Hamburg, einem autonomen Stadtstaat, beschloss die Regierung zu intervenieren und startete eine steuerfinanzierte Rettungsaktion. In seinem Bericht über die Entwicklung der Lage gab Karl Marx diese Einschätzung ab:

„Der Senat schlug vor und erhielt von den freien Bürgern der Stadt die Erlaubnis, verzinsliche Wertpapiere auszugeben … Um die Preise aufrechtzuerhalten und so die aktive Ursache der Notlage abzuwehren, muss der Staat die Preise zahlen, die vor dem Ausbruch der Handelspanik galten, und den Wert von Wechseln realisieren, die nichts anderes mehr darstellten als ausländische Ausfälle. Mit anderen Worten: Das Vermögen der gesamten Gemeinschaft, das die Regierung vertritt, soll die Verluste der Privatkapitalisten ausgleichen. Diese Art von Kommunismus, bei dem die Gegenseitigkeit auf einer Seite liegt, scheint für die europäischen Kapitalisten recht attraktiv zu sein.“

James Buchanan hätte es anders formuliert, aber im Kern hätte er Karl Marx zustimmen müssen: Die Rettung notleidender Banken stellt eine „Art Kommunismus“ dar.

Ist es überhaupt von Bedeutung, was James Buchanan und Karl Marx im Jahr 1857 über eine Finanzkrise zu sagen hatten? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir untersuchen, wie sich die Einstellungen geändert haben.

Die Bankenrettungen von 2008 veranlassten Bernie Sanders, ein Schlagwort zu recyceln: Rettungsaktionen seien Sozialismus für die Reichen. Mit diesem Begriff – Sozialismus für die Reichen – wurde ein Vorwurf wiederbelebt, der vor mehreren Jahrzehnten in der amerikanischen Politik die Runde machte, als er von Martin Luther King und Robert Kennedy geäußert wurde. Damals wurde er jedoch in anderen Zusammenhängen verwendet. Das neue Element des Satzes von Sanders war, dass er sich auf die Rettung von Banken bezog. Wenn heute eine Regierung einer Finanzkrise ihren Lauf lassen würde, würde die Öffentlichkeit die Schuld an den Folgen eher der Regierung als den Banken geben. Im Jahr 1857 war man noch gegenteiliger Meinung. An den entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums, vom Oval Office bis zur Mansarde in Soho, herrschte die Meinung vor, dass Bankenrettungen eine falsche Verwendung öffentlicher Gelder seien. Im Jahr 2008 war dieser Konsens zum Gräuel geworden.

Der Wendepunkt in der Einstellung zur staatlichen Unterstützung der Finanzmarktstabilität kam nach der Finanzkrise von 1907 und mit der Schaffung der Federal Reserve Bank. Damals ging man davon aus, dass eine zentrale Behörde, die die Finanzmärkte beaufsichtigt, Finanzkrisen ein Ende setzen oder zumindest ihre Auswirkungen mildern würde. Doch seither sind die Krisen nicht kleiner, sondern größer geworden. Und nach jeder Krise haben die Regierungen ihre Befugnisse zum Eingreifen in die Finanzmärkte erweitert.

Mit der Krise von 2008 betraten die Zentralbanken Neuland und wurden nicht nur mit der Rettung von Banken, sondern auch mit dem Kauf von Anleihen, Aktien und der Finanzierung von Staatsdefiziten betraut. Wenn die Krise von 1907 die Zentralbanken zu Kreditgebern der letzten Instanz machte, so hat die Krise von 2008 sie zu Investoren der letzten Instanz gemacht.

James Buchanan und Karl Marx verfügten nicht über ein analytisches Instrumentarium zum Thema Staatsversagen, aber sie hatten die richtigen Intuitionen. Die Analyse musste auf George Stigler warten, der die Ökonomie der „regulatory capture“ (der Vereinnahmung von regulatorischen Akteuren durch Interessengruppen) entwickelte und aufzeigte, dass staatliches Eingreifen kein Allheilmittel ist, um Marktstörungen zu beheben, und dass etablierte Unternehmen die Regierung unterwandern können, um ihre eigenen Ziele zu erreichen.

Das Konzept der „regulatory capture“ wurde zunächst auf die Analyse monopolistischer Märkte, wie etwa Versorgungsunternehmen, angewandt. Später gerieten die Finanzmärkte für Privatkunden in den Fokus. Auf den Finanzmärkten für Privatkunden ziehen die etablierten Unternehmen immer Vorteile daraus, wenn die Regulierungsbehörden ihnen neue Vorschriften auferlegen, denn je höher die Fixkosten in ihrem Sektor sind, desto höher sind die Hindernisse, die neue Wettbewerber fernhalten. Man darf vermuten, dass die Regulierungsbehörden nicht nur im Privatkundengeschäft Einfluss auf die Finanzmärkte nehmen. Die quantitative Lockerung nach 2008 wurde als Notmaßnahme angepriesen, aber diese Notmaßnahme ist heute noch in Kraft. Das Konzept der „regulatory capture“ würde zumindest erklären, warum diese Entwicklung der Notenbankpolitik weder für James Buchanan noch für Karl Marx oder George Stigler unerwartet käme …

Erstmals erschienen bei Promarket.

Photo: Defence Intelligence of Ukraine (CC BY 4.0)

Am 12. Dezember haben wir unsere Weihnachtsfeier begangen. Zu dem Anlass haben wir nicht nur ukrainisches Essen serviert, sondern auch um Spenden für die Menschen in der Ukraine gebeten. Unser Research Fellow Iryna Kovalenko aus Kyjiv hat ein paar Gedanken mit uns geteilt.

Heute haben wir uns hier versammelt, um Weihnachten zu feiern – den hellsten Tag in der christlichen Welt, einen Tag der Liebe und Hoffnung, ein Fest der Geburt und der Vitalität.

Weihnachten ist ein Beispiel dafür, dass ein Kind zu Wundern fähig ist. Kinder gestalten die Zukunft, drehen das Rad der Geschichte weiter und verändern die Welt: machen Entdeckungen, retten andere, sind bereit zur Selbstaufopferung wie Christus.

Serhiy Zhadan, der herausragendste zeitgenössische Dichter der Ukraine, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, antwortete auf die Frage, was im Krieg am meisten geschützt werden sollte: die Kinder.

Kinder sind die Hoffnung der Welt. Leider verstehen das die Feinde der Menschheit, die Herodes, nur allzu gut. Die Ziele ihrer Bomben sind daher Krankenhäuser, Entbindungsheime, Kindergärten und Schulen. Leider werden 443 ukrainische Kinder Weihnachten nicht mehr erleben. Russen haben sie im Krieg gegen die Ukraine getötet, weitere 855 Kinder verletzt und mehr als 13.000 wurden zur sogenannten Umerziehung deportiert. Unter den Toten sind schwangere Frauen, wie eine 28-jährige Frau aus Kyiv, die im sechsten Monat schwanger war, als am Morgen des 17. Oktober eine russische Drohne in ihr Haus stürzte. Ein zwei Tage altes Baby starb in der Nacht des 23. November in Vilniansk in der Region Saporischschja. Wir werden nie wissen, ob diese ungeborenen und toten Kinder die Welt hätten verändern können.

Wie viele Kinder mussten ihr Zuhause verlassen und in Kellern oder U-Bahnstationen leben, weil ihre Häuser von russischen Raketen zerstört wurden? Wie viele Kinder werden nie wieder ihre Väter und Mütter sehen, weil die Eltern gegangen sind, um ihre Familien, ihre Zukunft und ihre Freiheit zu schützen, aber nicht zurückkehren konnten? Diese Fragen bleiben offen. Aber vielleicht können diese Kinder die Welt besser, freundlicher und sicherer machen.

Zu Weihnachten ist es üblich, zu vergeben und Barmherzigkeit zu üben, aber vielleicht ist in diesem Jahr besonders wichtig, sich nicht von Angst überkommen zu lassen. Haben Sie keine Angst vor dem Bösen in seinen Millionen Gesichtern, sondern haben Sie den Mut, sich ihm jeden Tag zu stellen. Denken Sie daran, dass die Ukraine auch Ihre Freiheit und Ihr friedliches Weihnachtsfest und Ihre Kinder verteidigt, die die Welt verändern können.

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Die nahende Weihnachts- und Chanukkazeit bringt auch den nicht religiös gebundenen unter uns wieder eine ordentliche Portion Sakralität in Bild, Ton und Wort vor die Sinne. Manches davon hat auch in einer säkularen Welt bleibende Strahlkraft.

Harsche Weihnachtszeit

Auf der Oberfläche hat Weihnachten vor allem mit Heimeligkeit zu tun: Mit dem bethlehemitischen Weihnachtsidyll der idealtypischen Kleinfamilie. Mit Engeln, Glanz und Gloria, Lebkuchen und Punsch. Mit einem blonden Knäblein in einer Krippe in verschneiter Winterlandschaft. Wie absurd weit weg das ist sowohl von der Realität vor 2000 Jahren als auch von den biblischen Botschaften, haben wir uns letztes Jahr bereits etwas vor Augen geführt. Am Grund des höchst dramatischen Ereignisses, dass hier im Verständnis der Christen Gott ein sterblicher Mensch wird, liegt das Element des Prophetischen, das mithin zu den wichtigsten Narrativen der freien Zivilisationen gehört.

Weder Jesus in seinem Selbstverständnis noch die verschiedenen Autoren der Schriften des Neuen Testaments, die ihn und seine Worte gedeutet haben, haben eine ganz und gar neue Gedankenwelt errichtet. Sie haben bereits bestehende Bilder, Erzählungen und Theorien neu kombiniert, weiterentwickelt und ins Gespräch mit den sie umgebenden Kulturen gebracht. Eine Schlüsselrolle nehmen dabei die Propheten des sogenannten Alten Testaments ein, ganz besonders das Buch Jesaja. Die Bilder, die dessen Autoren gefunden haben und die dankbar von jüdischen und christlichen Autoren aufgegriffen wurden, haben unsere Welt geprägt wie nur wenige andere, gerade auch im Bereich politischer Theoriebildung und Hermeneutik.

Fortschritt und Machtkritik, Universalismus und Zivilisation

Da findet man das Motiv des Aufbruchs, eine Art Neuauflage des Exodus, der Israel aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit geführt hatte. Damit verbunden ist die Absage an die Vorstellung des „früher war alles besser“. Es ist ein großer Hoffnungsschrei auf das Morgen hin und prägt die Aufbruchsfreude und den Fortschrittsglauben des Westens nachhaltig. Ein weiteres Motiv ist das des Messias; sehr deutlich zu unterscheiden von der Fixierung auf den einen Führer, der endlich jedes Problem lösen wird. Der Messias ist vielmehr der überirdische Maßstab für alle Herrscher dieser Welt, die Schablone, die deren Völkern gegeben ist, um ihre eigenen Herren zur Rechenschaft zu ziehen.

Ein auch ständig wiederkehrendes Motiv ist die revolutionäre Perspektive, die der Prophet in die Glaubenswelt Israels einführt, indem er Jahwe nicht mehr nur als ihren Stammesgott darstellt, sondern als den Gott der ganzen Schöpfung. Damit ist der Gott, der das kleine Israel erwählt hatte, nicht mehr nur Gegenstand ihrer Sehnsucht, sondern aller Völker auf Erden. Das Heil wird als Perspektive globalisiert, der Blick in einem Akt gewaltiger, weltumstürzender Unwucht vom Stamm auf den Kosmos geweitet. Der Universalismus hat hier seinen Ursprung. Und dieses „Heil für alle“ hat seinen Bezugspunkt nicht mehr im ländlichen Eden mit seiner Kleingartenbeschaulichkeit, sondern in der trubelnden Stadt. Jerusalem ist der Ort, an dem das Heil seine Vollendung finden wird, wo alle Völker in all ihrer Vielfalt zusammenkommen. Hier liegt eine der Wurzeln der Vorstellung von Zivilisation als der dem Menschen am ehesten gemäßen Existenzform. Der Gegenentwurf zur “Hure Babylon” ist nicht die Flucht in die Natur, sondern die Stadt auf dem Zion, wo Friede und Gerechtigkeit herrschen. Denn als Abbild Gottes ist der Mensch dazu fähig, wenn auch nicht immer bereit.

Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen

Für das vielleicht eindrücklichste Bild stehen die zum Sprichwort gewordenen Schwerter, die zu Pflugscharen werden. Sie stehen im krassesten Widerspruch zu der täglich erfahrenen Realität jener Zeit – und leider auch wieder unserer Zeit. In diesem Bild verdichtet sich die Botschaft des Propheten von einer besseren Welt. Der Friede, das „Shalom“, der hier verheißen wird, ist etwas komplett anderes als die Abwesenheit von Krieg. Es ist vielmehr die vollständige Umkehrung der bestehenden Logiken. Es ist die Basis, auf der Menschen das Althergebrachte hinterfragen und Neues erträumen, konzipieren und errichte können. Das visionäre Shalom in der Zukunft legitimiert den Aufbau einer besseren Welt in der Gegenwart, ja fordert das Arbeiten daran geradezu ein.

Unsere moderne Welt und ganz besonders der Liberalismus können eine gehörige Portion Prophetentum gebrauchen: Unbeirrbar einem klaren Kompass folgen. Die eigenen Überzeugungen und Werte mit Selbstbewusstsein vertreten. Mächtige und Bestehendes nicht schonen. Und vor allem auch einen Blick nach vorne bieten. Die Vision einer Welt bieten, die Menschen ersehnen können und für die sie sich leidenschaftlich einsetzen wollen. Unsere Welt hat wenig gemeinsam mit der spießigen Weihnachtsidylle auf verzierten Printenschachteln; dafür umso mehr mit dem von Krieg, Hunger, Not und Tod geprägten Israel des Propheten Jesaja oder auch des Jesus von Nazareth. Ob wir an den religiösen Charakter ihrer Botschaften glauben oder nicht: Ihre großen Erzählungen haben unsere freiheitliche Gesellschaft nachhaltig geprägt. Sie am Leben zu erhalten, wird uns sehr viel Rückendeckung und Kraft geben in den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte von China bis Klima.

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Von Christian Schmidt, Research Fellow bei Prometheus Juni – Juli 2022. Christian untersucht im Rahmen seines Promotionsstudiums an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wie das Thema Venture Capital in der Forschung behandelt wird. Zuvor hat er in Paderborn, Hanoi und Shanghai International Business Studies studiert.

Start-Ups sind die Motoren der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands hängt davon ab, ob und wie neue Unternehmen kreative Lösungen für Probleme der Zukunft finden. Umso besorgniserregender ist deshalb der Trend, dass es immer weniger gewerblicher Existenzgründungen gibt. Ein Grund dafür ist der mangelhafte Zugang junger deutscher Unternehmen zu Kapital.

Die Beschaffung von Kapital stellt besonders in der Frühphase von Unternehmungen ein Hindernis dar. Denn das Risiko des Scheiterns ist hoch. Um frühe Finanzierungsengpässe zu vermeiden, streben Gründer eine externe Finanzierung an, vorzugweise über das „Einsammeln“ von Risikokapital (oder auch: Venture Capital bzw. Wagniskapital). Wagniskapitalgesellschaften auf der anderen Seite – als eine Ausprägung von privatem Beteiligungskapital – bevorzugen in ihrer Förderentscheidung Startups mit großem Wachstumspotenzial. Diesen kaufen sie Eigentumsanteile ab und stellen im Gegenzug Finanzmittel und einen Mentor an die Seite, der mit seiner Branchenerfahrung, (Führungs-)Expertise sowie seinem Netzwerk der jungen Unternehmung helfen soll. Wagniskapital wirkt: Studien zeigen regelmäßig, dass Wagniskapital-finanzierte Start-Ups auch bei Finanzierungsrunden in der Zukunft deutlich erfolgreicher sind.

In den letzten Jahren kletterte die Summe der Wagniskapitalinvestitionen scheinbar unaufhaltbar nach oben. So verfünffachte sich die weltweite jährliche Summe an Investitionen von 66 Milliarden Dollar im Jahr 2010 bis auf 320 Milliarden Dollar im Jahr 2020. Eine Analyse des Startup-Umfeldes in Deutschland zeigt eindeutig den großen Umbruch, der sich in dieser Wachstumsphase auch bei Gründungsfinanzierungen hier zu Lande vollzog: Altbewährte Player wie Business Angels oder unabhängige Venture Capital Gesellschaften wurden durch neue Formen der Start-Up Unterstützung ergänzt: Crowdfunding-Plattformen, Corporate Venture Capital, Governmental Venture Capital sowie Inkubatoren und Accelerators erweitern die traditionelle Kapitalgeberwelt zusammen mit Exit-Optionen wie IPOs (Initial Public Offerings) oder Strategien (z.B. der Syndikatsbildung) von Wagniskapitalgebern.

Trotz dieser Veränderungen und des zunehmenden Wachstums, unterscheidet sich die deutsche Wagniskapitalszene dennoch gravierend von ihren internationalen Pendants: Während in Skandinavien, in den USA oder Großbritannien bereits seit Jahren Gelder aus den Rentenkassen in Venture Capital Töpfe fließen, ist dies in heimischen Gefilden aufgrund regulatorischer Vorgaben nicht möglich. Ebenso besorgniserregend ist die durchschnittliche Investitionshöhe deutscher Wagniskapitalgeber: Bezogen auf das durchschnittliche Handelsvolumen liegt Deutschland im EU-Vergleich nur im unteren Mittelfeld. Damit man sich mit dem europäischen Vorreiter in Sachen Wagniskapital, Großbritannien, messen kann, müssten hiesige Jungunternehmen etwa doppelt so viel Geld von Venture Capital-Investoren erhalten. Schon um das Level unseres Nachbarlandes Frankreich zu erreichen, bräuchte es ein Drittel mehr an Wagniskapital. Der heimische Investitionsmangel führt zwangsläufig dazu, dass sich vielversprechende Start-Ups an internationale Investoren wenden – und dort auch oft fündig werden. Das Ergebnis ist, dass viele innovative und erfolgsversprechende Jungunternehmen gänzlich ins Ausland abwandern. Die deutsche Wagniskapitallandschaft muss daher den nächsten Entwicklungsschritt gehen, indem sie die Rahmenbedingungen für finanzstarke Wagniskapitalgeber verbessert, um so einen attraktiveren Wachstumskontext für Start-Ups zu schaffen.

Das Problem hat die politischen Akteure erreicht: Die neue Start-Up-Strategie des Bundeswirtschaftsministeriums sieht vor, dass Jungunternehmer schneller und leichter an große Investitionen deutscher Wagniskapitalgeber kommen sollen. Weitere zentrale Eckpunkte des Programms sind Erleichterungen für die Gewinnung neuer Mitarbeiter & Fachkräfte (aus dem Ausland) und die Vereinfachung und Digitalisierung von Gründungsmöglichkeiten. So sollen zum Beispiel Gründungen künftig innerhalb von 24 Stunden möglich sein. Ebenso sollen Wagniskapitalfonds in Zukunft stärker gefördert werden, indem sie von der Umsatzsteuer befreit werden. Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Strategie wird eine engere Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Investoren sein – der High-Tech-Gründerfonds ist hier ein Vorbild. Zudem ist es unabdingbar, dass Start-Ups in allen Wachstumsphasen Finanzierungsmöglichkeiten finden: Es ist ein großes Problem, dass nach der ersten erfolgreichen Investitionsrunde von Wagniskapital der Zugang zu Finanzmitteln in den Folgerunden häufig verwehrt bleibt. Vor diesem Hintergrund ist die Idee des Wirtschaftsministeriums sinnvoll, dass in Zukunft auch Versicherungen und Pensionskassen als Wagniskapitalgeber auftreten sollen. Doch bereits jetzt stößt dieser Vorschlag auf Widerstand in der Politik.

Die bisherigen Schwachstellen der Gründerfinanzierung in Deutschland wurden richtig erkannt: das Gros der Jungunternehmer-Szene begrüßt die formulierte Strategie. Allerdings betonen sie auch, dass sich das Programm nicht (wieder) im Dickicht der Bürokratie verlieren dürfe. Einige Aspekte wie die Besteuerung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen müssen daher dringend reformiert werden. Auch wenn man vorsichtig optimistisch sein darf, so bleibt noch viel zu tun, um die deutsche Wagniskapitalszene wettbewerbsfähig zu machen.

Photo: Marion S. Trikosko from Wikimedia Commons (CC 0)

Von Alexander Kobuss, Research Fellow bei Prometheus Oktober 2021 – Februar 2022. Alexander hält einen Master of Education in den Fächern Geschichte und Sozialwissenschaften von der Universität zu Köln. Aktuell promoviert er zur Geschichte der sozialen Marktwirtschaft und untersucht dabei vor allem die Gründungszeit der Bundesrepublik. Seine geförderte Masterarbeit beschäftigte sich mit der Rezeption der sozialen Marktwirtschaft in Großbritannien.

Die 1970er Jahre waren eine turbulente Zeit. Sie waren die Zeit hervorragender Disco-Klassiker von ABBA oder Boney M, aber auch ein Jahrzehnt politischer Umbrüche. Das „Krisenjahrzehnt“ war gekennzeichnet durch Ereignisse wie den Krieg in Vietnam, die Watergate-Affäre, Ölkrisen, den Nordirland-Konflikt und die sogenannte Stagflation. Letztere traf ganz besonders Großbritannien, bedeutete nachhaltigen Konflikt in der britischen Politik und brachte die Idee der sozialen Markwtirtschaft über den Ärmelkanal.

Nach Ende des zweiten Weltkrieges entwickelte sich im britischen Parlamentarismus der post war consensus. Die konservative Tory- und die linke Labour-Partei kamen überein, dass ein starker Staat die Wirtschaft in die richtigen Bahnen lenken müsse. Nach Jahren des kontinuierlichen Ausbaus des Wohlfahrtsstaates zeigte die Stagflation der 1970er – eine Mischung auf hoher Inflation und ökonomischer Stagnation – die negativen Konsequenzen des staatsfreundlichen Konsenses auf. Lähmende Bürokratie, niedriges Wachstum und hohe Inflation schadeten dem Wohlstand der britischen Bevölkerung. Die wenigen Profiteure des consensus waren gut organisierte Gruppen, die ihre Gewerkschafts- und Geschäftsinteressen gegen den den ökonomischen Fortschritt des Landes ausspielten.

Seinen Höhepunkt fand das ökonomische Krisenjahrzehnt im Winter of Disconent. Eine Winterrezession in den Jahren 1978/79 wurde von so schweren Streiks der Gewerkschaften begleitet, dass Krankenhäuser wochenlang stillstanden, der Abfall nicht entsorgt und die Toten nicht begraben wurden. Dies bereitete den Boden für ein politisches Erdbeben: 1979 wurde Margaret Thatcher mit dem Versprechen liberaler ökonomischer Reformen zur ersten weiblichen Premierministerin Großbritanniens gewählt. Während Thatchers Wahl in die Geschichtsbücher einging, wurde eine spannende Debatte weitestgehend vergessen: die Auseinandersetzung der Tories mit dem deutschen Konzept der sozialen Marktwirtschaft.

Spuren einer Debatte um politische Kommunikation

Ausgangspunkt dieser Debatte ist das 1975 veröffentlichte Pamphlet „Why Britain needs a social market economy“ des Politikers Keith Joseph. In dem, vom konservativen Think-Tank Centre for Policy Studies publizierten Papier, legte Joseph dar, dass die deutsche Volkswirtschaft deutlich besser mit den Krisen der 1970er Jahre umging als die britische. Daher sei es an der Zeit, sich an dem deutschen Konzept der sozialen Marktwirtschaft zu orientieren. Dabei war es den Tories wichtig, die Prinzipien der freien Marktwirtschaft wie zum Beispiel eine konsequente Liberalisierung der britischen Wirtschaft nicht nur inhaltlich, sondern auch rhetorisch attraktiv zu machen.

Thatcher hingegen war kein Freund eines Begriffs, der dem Sozialismus auch nur phonetisch ähnlich klang. Ihr konsequenter Widerstand gegen eine Anbiederung an alles was an den postwar consensus erinnerte, zeigt sich auch bei einem Treffen mit einer Gruppe von one nation conservatives, die sich wirtschaftspolitisch in Krisenzeiten nicht allzu weit vom consensus entfernen wollten. Ähnlich wie in ihrer Reaktion auf die soziale Marktwirtschaft soll Thatcher schroff reagiert, aus ihrer Handtasche das Buch „Die Verfassung der Freiheit“ des liberalen Ökonomie-Nobelpreisträgers F.A. Hayek gezogen und gesagt haben: „this is what we believe!“ In ihren Memoiren schrieb sie, dass der Begriff soziale Marktwirtschaft genauso schnell im parteiinternen Diskurs aufkam wie er auch wieder „leise vergessen“ wurde.

Das kurze Aufleben der „social market economy“

Thatcher sollte Recht behalten. Ohne den Begriff sicherte sie sich überzeugend ihre erste Wiederwahl und brachte die gesamte Partei hinter ihre konsequentere Position. Thatchers Erdrutschsieg wurde auch durch die Spaltung der Labour Partei begünstigt, aus der sich die moderate Social Democratic Party (SDP) ausgründete. Die SDP, im Bündnis mit den Liberalen, erzielte bei der Wahl 1982 einen Achtungserfolg mit 25% der Gesamtstimmen. Zwar war es nicht genug, um mit den Tories unter Thatcher mitzuhalten, aber es reichte, um einen bekannten Begriff wieder in den politischen Diskurs einzubringen: die social market economy. SDP und Liberale orientierten sich diesmal nicht an den Gründungvätern der sozialen Marktwirtschaft, sondern an den Erfolgen der sozialliberalen Koalition in Deutschland zur gleichen Zeit. Der SDP gelang es aber nicht, den Begriff mit einem konkreten wirtschaftspolitischen Programm zu füllen. Nachdem Thatcher auch ihre zweite Wiederwahl sicherte, versank die SDP in der politischen Bedeutungslosigkeit, fusionierte mit den Liberalen zu den Liberal Democrats und der Begriff der sozialen Marktwirtschaft scheiterte erneut.

Immer wieder sollten sich später Intellektuelle an dem Konzept versuchen. Doch das deutsche Konzept der sozialen Marktwirtschaft konnte sich nie in Großbritannien durchsetzen. So blieb die social market economy eine Fußnote im Ringen um gute politische Kommunikation in der Ära Thatcher.