Photo: Alan Levine from Flickr (CC 1.0)

In den letzten Monaten wächst meine Vermutung, dass ein wesentliches Problem des gegenwärtigen Politikverständnis nicht nur darin besteht, dass Wähler denken, Politiker könnten Probleme wegzaubern, sondern dass sie auch erwarten, dass die gewählten Politiker das möglichst schnell tun. Was heißt möglichst schnell? Möglichst am ersten Tag der Amtszeit. Und an dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Psychologie, in der es mit dem „Belohnungsaufschub“ ein Konzept gibt, dass dieses Phänomen womöglich erklären kann.

Belohnungsaufschub bedeutet, dass man auf eine kleine, aber sofortige Belohnung verzichtet, um später eine größere Belohnung zu erhalten. Vielleicht kennen Sie die alte Werbung für Überraschungseier, wo einem Kind versprochen wird, wenn es brav warte und sein Überraschungsei nicht sofort öffne, bekomme es später ein zweites. In der Werbung öffnen alle Kinder das Überraschungsei, sie halten die Spannung einfach nicht aus. Doch im wirklichen Leben spielt der Belohnungsaufschub eine große Rolle, denn er steckt quasi in jeder unserer Handlungen.

Die Entscheidung arbeiten zu gehen, statt zuhause das Buch von gestern Abend weiterzulesen, ist ein Belohnungsaufschub. Statt des Fahrstuhls die Treppe zu nehmen, ist ein Belohnungsaufschub. Und von Politikern langfristig gedachte, wirksame, sinnvolle Lösungen zu erwarten und auch nach diesem Prinzip zu wählen, ist ebenso ein Belohnungsaufschub.

In der politischen Kommunikation scheint der Trend in die andere Richtung zu gehen. Donald Trump hat vor der Wahl klar gemacht, er werde einige Dinge SOFORT ändern, zum Beispiel wollte er den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beenden, bevor er seinen ersten Tag als Präsident beginnt. Auch Friedrich Merz hat mit solchen zeitlichen Versprechen im Wahlkampf gespielt. Dass sich daraufhin die Erwartungen der Wähler steigern, ist nur logisch, traurig ist allerdings, dass langfristige Ideen, wie sie oft von Liberalen kommen, sich dagegen nur schwer behaupten können.

Erwartungen an die Politik zu minimieren und auf langfristige, anstrengendere Lösungen zu setzen, erscheint im ersten Moment wie ein schlechter Deal, hat aber der Natur nach eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, Freiheit und Lebensqualität zu bringen. Denn denkt man den Trend hin zu möglichst schnellen Problemlösungen durch einzelne Politiker zu Ende, landet man ganz einfach: bei der Diktatur.

Photo: Gage Skidmore from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Ja, Bernie Sanders bewegt etwas. Ganz wörtlich genommen, denn er bringt Tausende Menschen dazu, gegen die aktuelle US-Regierung auf die Straße zu gehen. Ich möchte hier nicht zu sehr auf die Person Bernie Sanders eingehen, denn ich bin kein Fan des Sozialisten und Sie vermutlich auch nicht. Allerdings finde ich es bemerkenswert wie er und seine Mitstreiterin Alexandria Ocasio-Cortez es schaffen, zahlreiche Menschen aus der bedrückenden Lähmung herauszuholen, die die US-Bevölkerung seit Anfang des Jahres ergriffen zu haben scheint. Denn lassen wir die konkreten inhaltlichen Forderungen beiseite, verbindet uns Liberale mit den Demonstranten und auch mit Sanders in seiner Position als Mobilmacher doch etwas sehr Wesentliches: der fundamentale Glaube daran, dass einige wenige nicht das Recht haben sollten, aus egoistischen Motiven heraus über das Leben vieler zu entscheiden. Nicht nur die Freiheit, sondern auch den Mut, seine Meinung offen und laut zu sagen, schätze ich sehr. Ich bin Bernie Sanders also ehrlich dankbar dafür, dass er so vielen Menschen zu diesem Mut verhilft und kann diese Leistung anerkennen – in der Hoffnung, dass die USA im Laufe der nächsten vier Jahre nicht zu einer Oligarchie werden und es noch Raum für Diskussionen zwischen Sozialisten und Liberalen geben wird.

Photo: Enrique Mendizabal from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Über die Beweggründe von Donald Trump, den Welthandel ins Chaos zu stürzen, gibt es unterschiedliche Interpretationen. Eine lautet, die Zolleinnahmen sollen eine Steuerreform finanzieren, die die Grundfreibeträge erhöht und den Spitzensteuersatz für Einzelpersonen senkt und gleichzeitig die Unternehmensteuer auf 15 % reduziert. Doch Zölle wirken wie Steuern, die die Preise erhöhen (Inflation) und die Gewinne von Unternehmen reduzieren (Rezession). Unternehmen und Bürger in den USA zahlen die Steuersenkung damit selbst.

Eine andere Interpretation knüpft an der hohen Staatsverschuldung der USA an. Bei 34 Billionen US-Dollar Staatsverschuldung müssen die Amerikaner bis 2026 alleine 9 Billionen $ refinanzieren. Je besser die Wirtschaft wächst, desto stärker wird die Notenbank Fed die Zinsschraube wieder anziehen und die Refinanzierung des Staates verteuern. Daher sollen die Zölle eine absichtliche Rezession einleiten, um die Rendite der amerikanischen Staatsanleihe zu senken. Das wäre Harakiri.

Die gängigste Interpretation ist der „Schutz der Wirtschaft“ in den USA. Das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber anderen Staaten sei durch Währungsmanipulation und Zölle verursacht, daher seien die Zölle gerechtfertigt, um die Produktion wieder in die USA zu holen. Das ist mindestens eine verkürzte Betrachtung. In der Handelsbilanz werden bekanntlich nur Warenex- und -importe berücksichtigt, keine Dienstleistung wie Cloud-Dienstleistungen oder auch Software, aber auch keine Investitionen. Berücksichtigt man dies, dann ist die Leistungsbilanz zwischen EU und den USA fast ausgeglichen. Würden das Iphone ausschließlich in den USA hergestellt, stiege der Preis von rund 1.000 bis 1.500 $ auf dann 3.000 $. Ohne die internationale Arbeitsteilung wäre ein Pickup von Ford 10.000 $ teurer.

Welcher Interpretation man folgt, ist eigentlich einerlei. Die Maßnahmen sind eine Gefahr für den Wohlstand der USA und der übrigen Welt. Der Protektionismus hat in den USA eine lange Tradition in der Republikanischen Partei. Präsident Herbert Hoover erhöhte 1930 mit dem Smoot-Hawley-Tariff-Act die Zölle von durchschnittlich 38 % auf dann bis zu 60 %. Das weltweite Handelsvolumen ging von 1929 bis 1934 um 66 Prozent zurück, die Exporte der USA um 59 %. Die Maßnahmen verlängerte die Weltwirtschaftskrise von 1929 maßgeblich.  In den 1980er und 1990er Jahren machten teile der Republikaner Zölle wieder hoffähig. Insbesondere der ehemalige Nixon-Berater Pat Buchanan (Präsidentschaftsbewerber der Republikaner 1992, 1996 und 2000) war ein glühender Anhänger von Zöllen und Gegner der Globalisierung. Ronald Reagan war zwar kein Protektionist, drohte Japan aber mit Zöllen auf Autos und vereinbarte „freiwillige Exportbeschränkungen“.

Als Trump erstmalig das Präsidentenamt übernahm und mit der Zoll-Keule schwang, haben wir von Prometheus das Buch „Freihandel für eine gerechtere Welt“ herausgegeben. Damals schrieben wir: „Der Abbau von Zöllen und Handelsbeschränkungen hat mehr zur Bekämpfung der Armut auf dieser Welt beigetragen als sämtliche Entwicklungshilfe-Milliarden und alle Demonstrationen gegen die angeblich unmenschliche Globalisierung.“ Das ist heute immer noch richtig.

Doch was kann der Rest der Welt gegen diese Willkür und das Schleifen internationalen Rechts tun? In erster Linie sollte man mit gutem Beispiel vorangehen und einseitig auf Zölle und Handelsbarrieren verzichten. Hier könnte die EU ansetzen. Denn Zölle schaden nicht nur den Unternehmen, die Waren exportieren, sondern in erster Linie den Konsumenten und Verbrauchern. Ihre Auswahl wird geringer oder die Preise steigen. Beides ist schlecht. Als weitere Maßnahme sollte die übrige Welt zu einem regelbasierten Welthandel zurückkehren und die Welthandelsorganisation (WTO) neu aufstellen. Handel sollte nach Regeln stattfinden und bei Regelverstößen sollte man auch rechtlich dagegen vorgehen können. Doch gerade das Schiedsgericht wird derzeit von den USA blockiert. Diese Blockade muss jetzt überwunden werden – im Zweifel ohne die USA.

Der Freihandel führt nicht nur zu mehr Wohlstand, sondern zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, die friedensstiftend ist. Wer Handel treibt, tauscht sich aus, ohne sich die Köpfe einzuschlagen. Man kann nur hoffen, dass es für eine Kehrtwendung noch nicht zu spät ist.

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Als sich 1947 eine Reihe von liberalen Intellektuellen am Fuße des Mont Pélerin trafen, war man noch ein Häuflein von Idealisten, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des globalen Totalitarismus einen Weg in die Freiheit suchen. Schon bald darauf stießen aber zwei Personen hinzu, die durch die Umstände in bedeutsame politische Ämter gespült worden waren. Beide waren von herausragender Bedeutung für den Aufbau eines freiheitlichen Gemein- und Staatswesens in den beiden Ländern, die den Faschismus hervorgebracht und groß gemacht hatten. In Deutschland war das Ludwig Erhard und in Italien Luigi Einaudi (1874-1961). Einaudi war im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ein typischer öffentlicher Intellektueller. Der zunächst noch pragmatische Sozialist lehrte Finanzwissenschaften in Turin und Mailand, schrieb für renommierte Zeitungen und wurde 1919 in den italienischen Senat berufen. So sehr er sich schrittweise dem Sozialismus abwandte, umso deutlicher noch positionierte er sich gegen den aufkommenden Faschismus.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er Gouverneur der italienischen Zentralbank und Abgeordneter in der verfassungsgebenden Versammlung. 1948 wurde er zum italienischen Staatspräsidenten gewählt. Wie viele aus der Gründergeneration der Mont Pélerin Society war Einaudi durch den Horror des Totalitarismus zu einem erheblichen Staatskeptiker geworden. Mit großer Leidenschaft kämpfte er publizistisch und in der Gestaltung des neuen italienischen Staates dafür, diesem Gebilde möglichst enge Grenzen zu setzen. Er gehörte aus dieser Überzeugung heraus auch zu den großen Vorkämpfern eines vereinten Europas. Und das in einer Weise, die gerade in unserer Zeit wieder wegweisend sein könnte: Ein schrankenloser Binnenmarkt sollte für Wohlstand und Frieden sorgen. Dezentralismus, Wettbewerb und Subsidiarität sollten leitende Prinzipien aller staatlichen Organisationen sein. Und eine starke gemeinsame Verteidigung sollte Europa auf Augenhöhe mit den amerikanischen Verbündeten bringen, während es sich vor allem der kommunistischen Bedrohung mit Wucht entgegenstellen könne. Hätte man sich an die Grundsätze Einaudis gehalten, stünde Europa heute anders da. Für eine Orientierung in diesen Zeiten sollten wir uns vielleicht auch einmal dem begeisterten Hobbywinzer aus dem Piemont zuwenden.

Der Philosoph Julian F. Müller von der Universität Graz hat in der Sendung „Punkt eins“ des österreichischen Rundfunks ein rund einstündiges Interview zu der neuen Generation politisch prägender Persönlichkeiten in den USA gegeben. Er ordnet Gestalten wie Elon Musk und Peter Thiel ideengeschichtlich ein und zeigt, inwiefern der Libertarismus eine Rolle spielt bei Problemwahrnehmungen und Lösungsvorschlägen, und wo er auch nur noch eine äußere Hülle für inzwischen ganz anders gelagerte Überzeugungen ist. Eine außerordentlich hörenswerte Sendung, auch wenn der Stil des Gastgebers Philipp Blom das Hörvergnügen etwas schmälert.