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Von Paulina Plinke, Research Fellow bei Prometheus im Oktober 2022. Paulina hat an der Frankfurt School of Finance and Managment ihre Bachelorarbeit verfasst über „Unterschiede in der Ausprägung der Big Five Personality Traits zwischen Führungskräften verschiedener Hierarchieebenen und deren Implikationen für das Personalwesen am Beispiel der NGO Students For Liberty“.
Liberale sind Fans der spontanen Ordnung in Marktwirtschaften: niemand hat zentral geplant wie viel Butter heute in Berlin, Brot in Bonn oder Brokkoli in Bernau verkauft werden soll. Stattdessen kooperieren tausende, gar Millionen von Produzenten- und Konsumenten mit ganz unterschiedlichen Zielen miteinander. Aus dem Zusammenspiel individueller Entscheidungen und Handlungen entstehen, ohne zentrale Planung, wünschenswerte Ergebnisse und damit auch genug Butter, Brot und Brokkoli.
Doch auch wenn es überraschend klingen mag: auch die Marktwirtschaft lebt von einem gehörigen Maß Planwirtschaft. Denn viele Bereiche der Ökonomie werden gar nicht spontan über Märkte geregelt. So organisieren sich Firmen, Familien oder Vereine intern meist nicht dezentral, sondern sie sind Chefsache: Die Geschäftsführerin weist ihre Mitarbeiter an, Papa bestimmt, wann die Kinder zur Schule müssen, und der Vereinsvorstand entscheidet über den nächsten Kegeltermin. Eine Marktwirtschaft funktioniert auch gerade deswegen, weil es nicht für jede Interaktion einen Tauschakt oder gar einen Preis gibt.
In einem der wohl einflussreichsten Papiere der Volkswirtschaftslehre – The Nature of the Firm – beschrieb der spätere Nobelpreisträger Robert Coase, warum sich Menschen regelmäßig gegen Kooperation auf Märkten und für hierarchische Organisationsformen wie Firmen entscheiden. Seine Antwort: in vielerlei Situationen ist eine hierarchische Organisation einfach effizienter. Inseln der Planwirtschaft halten Entscheidungskosten durch Zentralisierung gering: So kooperieren oder konkurrieren unterschiedlichste Firmen, Familien und Vereine zwar extern über Märkte miteinander, organisieren sich aber intern hierarchisch. Genau diese interne Organisation ist für den einen oder anderen Liberalen ein blinder Fleck, verursacht durch die – sehr berechtigte – Begeisterung für die Marktwirtschaft. Die Organisation und Führung all dieser Inseln der Planwirtschaft ist jedoch entscheidend für das Gelingen einer Marktwirtschaft. Doch wie gelingt es Firmen, die richtigen Individuen zu finden, die Inseln der Planwirtschaft erfolgreich führen können?
Die psychologische Forschung gibt uns einen möglichen Werkzeugkasten an die Hand. Sie definiert fünf Charaktereigenschaften, die gutes Führungspersonal auszeichnen: die sogenannten „Big Five Personality Traits“. Darunter fallen die Openness to Experience (Offenheit), Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit), Extraversion, Agreeableness (Verträglichkeit) und Neuroticism (Neurotizismus) – das “OCEAN-Modell”. Offenheit, auch bekannt als Intellekt oder Vorstellungskraft, bezieht sich auf die Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, die sich unter anderem in Neugierde oder Kreativität äußert. Darüber hinaus weist sie als einziger der fünf Faktoren eine positive Korrelation mit Intelligenz auf. Gewissenhaftigkeit bezeichnet die Verlässlichkeit und Genauigkeit einer Person und zeigt sich unter anderem durch Ordentlichkeit und Zuverlässigkeit. Extraversion bezeichnet die Kontaktfreudigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Menschen. Verträglichkeit zeigt sich durch das Maß an Hilfsbereitschaft bzw. die Teamfähigkeit einer Person. Neurotizismus oder emotionale Labilität, bezieht sich vor allem auf Nervosität und Ängstlichkeit.
Natürlich werden die Inseln der Planwirtschaft in der Marktwirtschaft nicht automatisch gut geführt, nur weil man bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufweist. Die Big-Five dienen eher als Anhaltspunkte, um besser zu verstehen, was gute Führungskräfte ausmacht: Es soll Organisationen helfen, sich für verantwortungsbewusste Individuen zu entscheiden, und helfen, dass sich Führungskräfte persönlich in den entscheidenden Bereichen weiterentwickeln. Da bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mit erfolgreicher Führung in Verbindung gebracht werden, können Führungskräfte gezielt an der Entfaltung dieser Merkmale arbeiten, um ihre Führungskompetenzen zu stärken.
Wie so oft in der Psychologie spielen dabei aber Natur und Kultur eine Rolle: angeborene Charaktereigenschaften und eine Vielzahl erlernbarer Fähigkeiten sind für gute, effektive und erfolgreiche Führung relevant. So beeinflussen die angeborenen Eigenschaften situationsabhängig die Zustände in der Firma, doch kann auch eine erlernte, bessere Reaktion auf bestimmte Umstände zu positiven Ergebnissen führen. Dabei sind die Big-Five nicht bloß psychologische Theorie. Sie lassen sich auch empirisch zeigen: die Persönlichkeitsprofile von Führungskräften besonders im Top- und Middle-Management unterscheiden sich deutlich vom Bevölkerungsdurchschnitt. Führungskräfte auf beiden Management-Ebenen ähneln sich und unterscheiden sich von der Gesamtbevölkerung durch überdurchschnittlich hohe Werte bei den Eigenschaften Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Extraversion sowie niedrige Werte bei Neurotizismus. Doch was bedeuten diese Einblicke der psychologischen Forschung für liberale Marktwirtschaften?
Die kurze Antwort: die Big-Five Ocean-Kriterien erweitern den liberalen Blick auf die Verteilung knapper Ressourcen in nicht-marktwirtschaftlichen Kontexten. Die längere Antwort: Marktwirtschaften brauchen Menschen, die bereit sind Verantwortung zu übernehmen und die Zukunft mitgestalten zu wollen. Dabei spielen auch weiterhin die Kapazitäten zu Tausch und Kooperation eine entscheidende Rolle, aber auch die Kapazität, die Inseln hierarchischer Organisationen in der Marktwirtschaft gut zu führen. Offene, gewissenhafte, soziale, und mutige Individuen sind hier mehr gefragt als je zuvor.