Photo: Rolf Dietrich Brecher from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Wer kann schon was gegen Bildung haben. Bildung macht frei, verantwortungsbewusst und erfolgreich. Bildung vermittelt die Erkenntnisse der Wissenschaft, ist objektiv und neutral. Darum ist es doch furchtbar, dass der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) die Gelder gekürzt werden sollen. Oder?

Politikwissenschaftliches Allerlei

Hunderttausende von politisch interessierten Bürgern bestellen Jahr für Jahr Publikationen bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zu sehr viel günstigeren Preisen als sie in der Buchhandlung zahlen müssten. Viele Millionen bedienen sich des „Wahlomat“, um eine Vorstellung zu bekommen, welcher Partei sie wohl am besten ihre Stimme geben sollten. Bei der letzten Bundestagswahl gab es über 21 Millionen Nutzer. Offenbar hält die Einrichtung, was der Name verspricht. Womöglich leistet sie auch mehr zur Erhaltung unseres Systems als die von der „Demokratieabgabe“ ungleich großzügiger finanzierten Öffentlich-Rechtlichen. Ähnlich wie dieser greift die bpb allerdings auch zunehmend in Bereiche aus, die gar nicht zu ihrem Kerngebiet zählen. So wie ARD und ZDF seit einiger Online-Nachrichtenportale betreiben und Youtube-Kanäle aufsetzen, findet die Bundeszentrale auch immer mehr Tätigkeitsfelder, wo man Sozialwissenschaftlerinnen und Theaterpädagogen ein Auskommen sichern kann. Der Zeit-Redakteur Lenz Jacobsen hat dazu Bedenkenswertes geschrieben.

So bildet die bpb zum Beispiel „Demokratieberater/-innen“ aus, „die in der Lage sind Konflikte mit Bezug zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu identifizieren und zu bearbeiten. Viele Projekte verfolgen zudem den Ansatz, ins lokale Gemeinwesen hineinzuwirken und gemeinsam mit anderen Akteuren regionale Netzwerke zur Bearbeitung antidemokratischer Vorfälle zu entwickeln.“ Dass in einer mit Politik- und Sozialwissenschaftlern reichlich ausgestatten Einrichtung wie der bpb niemandem auffällt, dass die Gleichsetzung von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ und „antidemokratischer“ Gesinnung Humbug ist, spricht nicht für das intellektuelle Niveau. Die demokratisch gewählte Regierung in Ungarn hat jedenfalls keine Hemmung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu praktizieren. Die beständige Gleichsetzung der Demokratie, die ein Instrument zur friedlichen Entscheidungsfindung ist, mit dem moralisch absolut und unbezweifelbar Guten zeugt von einer für Wissenschaftler erstaunlichen Borniertheit. Gerade so, als ob nicht ausreichend Begriffe und Konzepte zur Verfügung stünden, um das auszudrücken, was ihnen vermutlich vorschwebt: Offene Gesellschaft, Vielfalt, Respekt, Toleranz …

Neobildungsbürgerliche Nabelschau

Gerade macht die Bundeszentrale Schlagzeilen, weil durchaus signifikante Budgetkürzungen vorgesehen sind: von 96 Millionen auf 76 (oder auch zurück auf den Stand von 2019/2020, das Doppelte von 2003). Zum Vergleich: Der durchaus auch kritisch zu hinterfragende Projekt-Topf „Demokratie leben“ des Familienministeriums, der rund 700 zivilgesellschaftliche Projekte fördert, hat im laufenden Jahr 182 Millionen zu verteilen. Dagegen nehmen sich die fast 100 Millionen, die freilich nur für den Apparat aus 300 festangestellten Mitarbeitern und dessen Projekte vorgesehen sind, schon extrem üppig aus. Natürlich bleiben aber bei der drohenden Kürzung entsetzte Nachfragen nicht aus, wie man in Zeiten einer über Migration, Klima, Covid und Ukraine immer fragiler und radikaler werdenden Gesellschaft einen solchen signifikanten Einschnitt in das Waffenarsenal der Demokratie zulassen könne. Doch wie bedeutsam ist der Beitrag der bpb überhaupt auf diesem Gebiet?

Um zu definieren, was ihr Auftrag ist und mit welchen Mitteln sie diesen verfolgt, ist womöglich der letzte Satz ihres „mission statements“ besonders erhellend: „Interessierte Bürgerinnen und Bürger können sich bei der bpb also umfassend informieren.“ Genau das tut sie ausführlichst und seit vielen Jahrzehnten auch durchaus gewissenhaft. (Auch wenn man hinterfragen kann, ob etwa die Auswahl der von ihr verlegten vergünstigten Bücher nicht bisweilen eine gewisse Schlagseite hat.) Aber sie erreicht eben nur die Interessierten. Publikationen über die Gefahr des Rechtsextremismus liegen in den Klassenzimmern der Heidelberger Innenstadtgymnasien aus. Und ob die Ausbildung zum Demokratieberater, die zum Beispiel die THW-Jugend Bayern auch mitträgt, den bayerischen Wirtschaftsminister in seiner Jugend vor „Schmutzeleien“ bewahrt hätte? Am Ende ist die Einrichtung wohl doch sehr viel mehr ein Mittel der Selbstbestätigung neobildungsbürgerlicher Milieus als ein wirkmächtiges Schwert zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Ordnung.

Die freiheitlich-demokratische Ordnung kann man nicht kaufen

Es ist genau wie mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Einrichtungen, die mit einem sehr eng umschriebenen Auftrag gegründet wurden, entwickeln mit der Zeit ein Eigenleben, das ein exponentielles Wachstum an den Tag legt und von Steuergeldern genährt wird wie Gänse am dritten Advent. Da wird nicht mehr überprüft, ob die Ziele, mit Hilfe derer man das Wachstum befeuert, überhaupt erreicht werden. Da wird nur noch das Ziel definiert und dann die Maximalsumme herausverhandelt. Um den Preis in die Höhe zu treiben, wird noch weiter schwarz gemalt. Und wenn das Problem nach drei Jahren nicht gelöst ist, nimmt man in seiner Not Zuflucht zu mehr Ressourcen. Praktisch, dass die immensen Summen im Vergleich zu Rentenerhöhungs- und Industriesubventions-Milliarden einfach nicht auffallen …

Wir müssen den Erhalt unserer freien, offenen und vielfältigen Ordnung wieder in die Hand der Bürgerinnen und Bürger legen. Dass das der einzig nachhaltige Weg ist, zeigen ja so Ideen wie die von den „Demokratieberater/-innen“. Aber dafür braucht es keine Zertifizierung oder Akademisierung. Dafür braucht es das Bewusstsein, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass der Staat und seine Institutionen die offene Gesellschaft schon schützen werden. Wir müssen selber anpacken. Wir können das nicht outsourcen oder etwas perplex darauf warten, dass ein Politikwissenschaftler die Regie übernimmt. Die Sprache der Hörsäle und Suhrkamp-Sammlungen ist ein stumpfes Schwert im Kampf um die Herzen. Die besten Waffen sind Überzeugung und Vorleben. Und die kann man nicht kaufen.