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Photo: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen from Flickr (CC BY 2.0)

So unterschiedlich kann die Welt sein: In Venezuela gehen die Menschen aktuell auf die Straße, weil sie hungern, in Deutschland demonstrieren die Landwirte, weil sie meinen, dass die Nahrungsmittelpreise zu niedrig sind. Anschaulicher kann man der Unterschied zwischen einer sozialistischen Planwirtschaft und der Marktwirtschaft nicht darstellen. Das sozialistische Experiment in Venezuela ist rein hausgemacht. Denn Preiskontrollen, Verstaatlichungen und Enteignungen sind nicht vom Himmel gefallen oder von Diktatoren durchgesetzt worden, sondern wurden von einer Mehrheit der Bevölkerung immer wieder demokratisch legitimiert. Jetzt gibt es fast nichts mehr zu kaufen, weder Medikamente noch Nahrungsmittel. Im Sozialismus Venezuelas können sich die Nomenklatura und die Reichen nach wie vor alles leisten, nur die Armen leiden unter der Mangelverwaltung.

Anders bei uns. Hier existieren noch kleine Nischen der Marktwirtschaft. Sie finanzieren den wachsenden Sozialismus an anderer Stelle des Staates. In dieser Marktwirtschaft sinken die Preise deshalb, weil Unternehmer fortwährend versuchen, ihr Produkt noch effizienter und damit besser zu machen, damit sie wirtschaftlich überleben. Der Konsument ist König. Er entscheidet, was sich am Markt durchsetzt und was nicht. Diese Marktwirtschaft hat in ihrer Geschichte gerade für den kleine Mann enorme Fortschritte und den Zugang zu früheren Luxusgütern gebracht. Er kann sich Produkte leisten, die in früheren Jahrzehnten nur den Reichen vorbehalten waren. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts konnten nur Vermögende regelmäßig Fleisch oder Milchprodukte kaufen. Vegetarisches Leben war damals nicht Ausdruck eines Lebensstils, sondern eine Frage der Einkommensklasse. Wer arm war, war zum Vegetarier verdammt, ob er wollte oder nicht. Für ihn gab es bestenfalls an Weihnachten mal Fleisch. Er aß altes Graubrot und trank abgestandenes Wasser. Wer reich war, konnte jeden Tag Schnitzel oder Filet zu sich nehmen, Butter aufs Weißbrot schmieren und Milch oder Kaffee zum Frühstück trinken.

Heute wird dieser großartige Fortschritt kritisiert. In dieser Woche beklagten sich führende Vertreter der Grünen über diesen Zustand. Es herrschten Dumpingpreise für Fleisch. Deren Agrarexperte Ostendorff beklagte sogar, dass 70 Prozent der Fleischmenge im Supermarkt verramscht würde. Deshalb schlug der Grüne gleich die Rezepte der Planwirtschaft vor: Mindestpreise. Sein Parteikollege Hofreiter geht auch den Weg Venezuelas. Er nennt diesen Weg nicht Enteignung, es kommt aber auf das Gleiche raus. Er will durch Produktionsauflagen die Landwirte zu „nachhaltiger Produktion“ zwingen. Was nachhaltig für den Landwirt und dessen Kunden ist, definiert jedoch Hofreiter höchstselbst. Wer auf ihn nicht hören will, muss fühlen. Die Folge dieser „nachhaltigen Produktion“ durch Zwang sind höhere Preise.

Damit diese Absicht nicht so auffällt, will er die größten Härten abfedern und den Armen durch einen Zuschlag beim Hartz IV-Satz helfen. Doch im Kern schlägt er vor, wieder die alte Ordnung zu schaffen, wie sie Anfang des letzten Jahrhunderts bei uns herrschte. Es soll eine Frage des Einkommens sein, wer sich wann und wie oft Fleisch leisten kann und wer nicht. Dahinter steckt ein großer Plan. Dieser große Plan folgt einem großen Vorbild: Der so genannten Energiewende. Ihr soll die Ernährungswende folgen. Zwar sollen die Bürger noch bei Landtags- und Bundestagswahlen wählen können, was sie wollen. Jedoch bei der Ernährung gilt das bald nicht mehr. Wir essen zu viel Fleisch, zu viel Zucker, zu wenig Bio und insgesamt zu viel von allem. Appelle scheinen hier nicht mehr zu helfen, sondern oktroyierende Maßnahmen für Unternehmen und Bürger müssen jetzt her, ansonsten steigen die Folgekosten für die Sozialkassen, das Bildungssystem und die Natur. Und was kommt nach der Energiewende und der Ernährungswende? Na klar, die Verkehrswende. Individualverkehr ist schlecht, das Auto ist des Teufels und Radfahren und zu Fuß gehen, ist die Zukunft. Was lernen wir daraus? Die Chávezisierung schreitet auch bei uns unaufhörlich voran.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

Photo: Charles Hutchins from flickr (CC BY 2.0)

Die altehrwürdige „Zeit“ aus Hamburg hat gerade das Ende des Neoliberalismus ausgerufen und sich dabei auf den Internationalen Währungsfonds berufen. Dieser habe eingeräumt, dass die Entfesselung der Marktkräfte die Wirtschaft in vielen Fällen nicht wie erhofft gestärkt, sondern vielmehr geschwächt habe. Als Begründung führt der Autor Mark Schieritz in einem Kommentar an, „die Weltwirtschaft befindet sich in einem permanenten Krisenzustand, für die Fehlspekulationen einer globalen Finanzelite musste die Allgemeinheit aufkommen, und in fast allen Industrienationen ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden. Das muss man erst einmal schaffen.“ Wenn dies das Ergebnis des Liberalismus – mit oder ohne Präfix – wäre, ja dann wäre diese Analyse stichhaltig.

Mehrere Annahmen sind falsch. Die aller erste ist, dass der IWF etwas mit Liberalismus zu tun habe. Nichts ist abwegiger. Der IWF ist ein Produkt supranationaler Prägung der Nachkriegsordnung. Er wurde als Interventionsmechanismus geschaffen, um die Wechselkurse der Währungen, die mittelbar über den Dollar an das Gold gekoppelt waren, zu stabilisieren. Der Ausgangspunkt war daher ein planwirtschaftlicher Ansatz. Staaten, die ihre Währung nicht stabilisieren konnten, wurde ein Übervater zur Seite gestellt, der ihnen dann unter Auflagen aus der Patsche half.

Nach dem Ende der Goldbindung des Dollars 1971 durch Richard Nixon wurde der IWF anschließend nicht abgewickelt, sondern er suchte sich wie nahezu jede Behörde neue Aufgaben. Jetzt kümmerte man sich um die Entwicklungs- und Schwellenländer auf dieser Welt, wie jüngst auch um Griechenland. Mit Liberalismus hat dies alles herzlich wenig zu tun. Der Liberalismus schaut auf den Einzelnen, er setzt auf die freiwillige und friedliche Kooperation von Menschen und hat das Wohl des Ganzen im Blick. Man kann die Entwicklung und das Wirken des IWF daher nicht dem Liberalismus anheften. Der IWF ist ein Produkt der Allmachtsphantasie der Politik und ihres korporatistischen Gestaltungsanspruches.

Die zweite Annahme ist ebenfalls falsch oder zumindest unpräzise. Die Entfesselung der Marktkräfte habe nicht geholfen, sondern habe die Wirtschaft geschwächt. Die einseitige Aufgabe der Gold-Bindung des Dollars ermöglichte nach 1971 eine fast unbegrenzte Geldschöpfung der Banken und eine künstliche Ausweitung der Kredit- und Geldmengen. Dies war eine rein staatliche Entscheidung. Die Bürger Amerikas wurden nicht gefragt. Auch die Bürger in Deutschland, Großbritannien oder Japan konnten nicht individuell entscheiden, ob sie diese neue Geldordnung wollen oder nicht. Selbst durch demokratische Wahlen wurde dieser willkürliche Akt nicht legitimiert. Die neue Geldordnung sollte als Abkürzung zu einer stabilen und nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung führen. Stattdessen wirkte sie wie süßes Gift, dass den Eindruck vermittelte, dass Wohlstand ohne Sparen möglich ist. Kurzfristig mag dies vielleicht geholfen haben, jedoch um den Preis späterer monetärer Schocks, weil Unternehmen in ambitiöse Investitionsprojekte gelockt wurden, die sich als nicht rentabel herausstellten und daher nicht vollendet werden konnten. Die Zulassung eines Rechtsrahmens, der solche Kredit ohne einen zuvor erfolgten Sparvorgang ermöglicht, hat einigen geholfen, insbesondere den Banken und den Schuldnern. Beide wurden immer größer und mächtiger. Das Wirtschaftssystem spielt in der Folge verrückt. Unternehmen handeln plötzlich so, als wenn die Bürger ihnen viel mehr Ersparnisse zur Verfügung gestellt hätten. Tatsächlich ist es nur eine Geldillusion, die als solche von den Marktteilnehmern erkannt wird und sich korrigieren will. Die Notenbanken intervenierten anschließend mit noch niedrigeren Zinsen und noch billigerem Geld. Die Interventionsspirale des Staates dreht sich daher immer schneller.
Mit dem liberalen Grundsatz, der Gleichheit vor dem Recht, hat dies jedoch nichts zu tun. Dort würde es als Betrug entlarvt. Es hat auch nichts mit Marktwirtschaft als die liberale Wirtschaftsordnung zu tun. In ihr würde es den Austritt von Marktteilnehmern geben. Staaten und Banken würden in dieser Marktordnung pleitegehen, Gläubiger würden auf Teile der Rückzahlung verzichten müssen und anschließend sich vorsichtiger verhalten. Es wäre ein gesundes Wirtschaften, weil Fehlentscheidungen im Kleinen korrigiert würden und keine kollektive Bestrafung aller, die zum großen Teil nichts mit den Fehlentwicklungen zu tun haben, stattfindet.

Die dritte Annahme ist ebenfalls haarig: Die Kluft zwischen Arm und Reich würde zunehmen. Das ist leicht dahingesagt. Was ist der Maßstab? Ist es die Zeit eines Anton Fuggers, der seit dem Mittelalter bis heute als der reichste Mensch gilt. Oder ist es die Zeit eines Hugo Stinnes, der Anfang des 20. Jahrhunderts zu großem Vermögen kam? Wahrscheinlich war die Ungleichheit 1946 in Deutschland und anderen Ländern geringer als heute, doch weite Teile Europas und der Welt waren zerstört und vernichtet. Es ging allen schlecht. 1,4 Milliarden Chinesen sind heute Wohlhabender als zu Zeiten Maos, als dieser Millionen verhungern ließ. Trotz seines unendlichen Vermögens hatte Anton Fugger kein Telefon, kein Auto und auch keine Krankenversicherung, die ihm auch noch im hohen Alter umfassende medizinische Versorgung garantiert – vom künstlichen Hüftgelenk bis zum Herzschrittmacher.
Vielleicht meint der Zeit-Kolumnist etwas ganz Anderes. Es ist nicht der Neo-Liberalismus, der versagt hat, sondern der Kollektivismus, der in einer globalen Staatswirtschaft zum Ausdruck kommt. Sein Ende ist leider nicht in Sicht, aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.

Photo: Universität Salzburg from Flickr (CC BY 2.0)

Umverteilung findet oft nicht von Reich zu Arm statt. Meist sind die Umverteilungsströme undurchsichtig und kommen am Ende doch nicht den Bedürftigen zugute. Zum Beispiel beim Thema Bildungsfinanzierung. Da lässt sich noch einiges ändern.

Akademiker sind teuer

Etwa 2,75 Millionen junge Menschen studieren derzeit in Deutschland. 1,35 Millionen befinden sich in der Ausbildung. Die Zukunftsaussichten beider Gruppen sind natürlich so unterschiedlich wie die Individuen selbst. Dennoch kann man relativ sicher sagen, dass die Mehrheit der Studierenden nicht hinter dem Steuer eines Taxis landen werden. Genauso wie die Mehrzahl der Auszubildenden wohl nicht in 25 Jahren selbständige Unternehmer mit saftigen Renditen sein werden. Akademiker, so eine OECD-Studie aus dem Jahr 2014, verdienen in Deutschland im Schnitt 74 Prozent mehr als Berufstätige, die weder Uni noch Fachhochschule oder Meisterschule besucht haben.

Akademiker verdienen aber nicht nur oft sehr ordentlich – sie kosten auch erstmal eine Zeit lang ordentlich Geld. Am billigsten sind, ausweislich des Statistischen Bundesamtes, übrigens Juristen, BWLer, Volkswirte und Sozialwissenschaftler, die pro Jahr mit etwa 3.600 Euro zu Buche schlagen. Verhältnismäßig günstig sind auch noch Sprach- und Kulturwissenschaftler (5.000 €), Ingenieure (6.580 €) oder Naturwissenschaftler und Mathematiker (8.670 €). Spitzenreiter sind mit großem Abstand die Humanmediziner, die Jahr für Jahr rund 31.000 € kosten. Das sind jetzt freilich nur die Kosten für das laufende Studium. Noch nicht mit eingerechnet sind zusätzliche Förderungen, Zuschüsse, Stipendien und Steuererleichterungen. Kurzum: Wir lassen uns Bildung etwas kosten.

Wir besuchen die Universität nicht, um der Gesellschaft zu nutzen

Bildung – so lassen uns Politiker und Meinungsmacher von Sonntagsrede zu Sonntagsrede immer wieder wissen –, Bildung ist eine Investition in die Zukunft. Stimmt ja auch irgendwie: der Ingenieur, der heute die Unibank drückt, wird morgen vielleicht den Automarkt revolutionieren. Die gut ausgebildete Juristin wird ihren Mitbürgern als Richterin oder Anwältin einen Dienst erweisen. Und der Kulturwissenschaftler wird als Literaturnobelpreisträger von morgen das deutschsprachige Kulturgut substantiell bereichern. Aber zunächst einmal investiert jeder Student nicht in die Zukunft eines Staatskollektivs, sondern in seine ganz eigene persönliche Zukunft.

Und es ist mitnichten verwerflich, dass er diese Investition nicht zuletzt auch im Blick auf bessere Verdienstmöglichkeiten tätigt (wobei Verdienst hier durchaus sehr viel mehr bedeuten kann als nur monetäres Einkommen – dazu gehören auch Reputation, Einfluss und persönliche Zufriedenheit). Der Student muss keineswegs beständig auch seinen möglichen gesellschaftlichen Nutzen im Auge haben. Der Haken an der Sache ist allerdings: er selbst investiert in der Regel wenig anderes als seine Zeit. Neben dem Semesterbeitrag entstehen meist keine finanziellen Kosten für ihn. Die werden nämlich umgelegt auf alle Steuerzahler.

Die Kindergärtnerin und die Patentanwältin

Das heißt konkret: Der Automechaniker-Azubi und dessen Mutter, die im Kindergarten arbeitet, finanzieren durch Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer, Energiesteuer und Co. das Studium für die künftige Patentanwältin oder den künftigen Chefarzt. Wenn man sich den Mechanismus einmal so bildlich vor Augen führt, wird besonders anschaulich, wie aberwitzig das derzeitige System eigentlich ist. Bei dieser Umverteilung (wie auch bei vielen anderen) handelt es sich mitnichten um eine Maßnahme, um die Härten des Lebens für schlechter Gestellte abzufedern. Vielmehr werden Menschen, die niemals das Verdienstniveau von Akademikern erreichen werden, dazu genötigt, deren Ausbildung mitzufinanzieren.

Eine kurze Zeit lang, zu Beginn der 2000er Jahre, gab es in einigen deutschen Bundesländern ja schon einmal Studiengebühren, wenn auch in einem erheblich harmloseren Umfang als das etwa in Großbritannien oder gar in den USA der Fall ist. Im Zuge der Debatten um deren baldige Abschaffung war ein häufig vorgebrachtes Argument, man halte mit Studiengebühren gerade diejenigen vom Studium ab, für die Hürden ohnehin schon ziemlich hoch sind. Vor allem Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien, deren Eltern es sich nicht leisten können, diese Gebühren zu übernehmen oder vorzustrecken, seien somit benachteiligt. Der Einwand ist durchaus valide – der Schluss, das Studium wieder kostenlos zu machen, nicht.

Wer bestellt, sollte auch zahlen

Für einen Großteil der Studenten ist ihr Studium der Schlüssel zu einem späteren finanziellen Erfolg. Diesen Schlüssel sollten ihnen nicht andere zur Verfügung stellen müssen. Es gibt inzwischen zum Glück intelligentere Optionen zur Studienfinanzierung als einen Großkredit aufnehmen zu müssen. Die privaten Unis haben es vorgemacht: Seit 1995 hat die Universität Witten/Herdecke das Modell des „Umgekehrten Generationenvertrags“ – inzwischen wurde es auch von anderen privaten Universitäten und Hochschulen in Deutschland aufgegriffen. Studierende zahlen hier erst nach dem Studium, und zwar einen gewissen Prozentsatz ihres Einkommens.

In Großbritannien wurde auch zeitweise darüber debattiert, eine entsprechende Akademiker-Steuer einzuführen. Die nächste Steuer einzuführen, ist sicherlich keine gute Idee. Aber eine einkommensabhängige „Akademiker-Gebühr“, die auch ohne Umwege über den Steuersäckel direkt den Universitäten zufließt, wäre durchaus eine Erwägung wert. Mit der Kirchensteuer gibt es ja auch bereits ein bewährtes Verfahren, das man übernehmen könnte.

Das wäre übrigens auch eine gute Gelegenheit, um insgesamt darüber nachzudenken, wo man Steuern durch Beiträge ersetzen kann. Viel zu viele Bereiche in unserem Staat, gerade auf dem Gebiet der Infrastruktur im weiteren Sinne, werden unabhängig von ihrer Nutzung aus dem großen Steuertopf bezahlt. Das beste Mittel gegen eine Umverteilung, die beständig Ungerechtigkeiten produziert, ist es, denjenigen für eine Leistung zahlen zu lassen, der sie auch in Anspruch nimmt. Wer bestellt, sollte auch zahlen.

 

Photo: Die Linke Nordrhein-Westfalen from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Gierige Investmentbanker und Heuschrecken tragen die Hauptverantwortung für die wachsende Ungleichheit in der Welt, lautet ein häufiger Vorwurf. Gewerkschaften bedienen aber bisweilen genau diese Instinkte auch. Vielleicht sollten sie mal rhetorisch abrüsten …

Das Bild vom gerechten Lohn

Die Theorien der Arbeitswertlehre, die im 19. Jahrhundert von den Ökonomen David Ricardo und Karl Marx konzipiert wurde, hat in einer sehr flachen und simplen Variante Eingang gefunden in die politische Rhetorik: durch die Vorstellung, es gebe einen „gerechten Lohn“. Also einen Lohn, den jemand erhalten solle, weil seine Arbeit objektiv so viel wert sei. Das Gut Arbeit sei also mithin nicht vergleichbar mit materiellen Gütern, deren Preis von Angebot und Nachfrage abhängt. Man kann einen solchen Standpunkt natürlich einnehmen – und er fühlt sich mitunter auch richtig an. Er verkennt freilich die Realität: Der Handwerksmeister oder Fabrikbesitzer wird nur willens sein – oder gar nur fähig –, einen bestimmten Preis für die Arbeit zu bezahlen. So wie der Kunde im Supermarkt auch irgendwo seine Schmerzgrenze definiert, spätestens dann, wenn das Portemonnaie leer ist.

Das Bild vom gerechten Lohn, das dank jahrzehntelanger Wiederholung verhältnismäßig tief in unseren Köpfen verankert ist, wird natürlich gerne von denjenigen verwendet, die als Vertreter von Arbeitnehmern fungieren. Also von Betriebsräten, Gewerkschaften und auch von Parteien, die sich hauptsächlich auf diese Klientel stützen. So rechtfertigte auch Jörg Hofmann, der Vorsitzende von IG Metall, seine Forderung nach einer Lohnerhöhung zwischen 4,5 und 5 Prozent: „Wir wollen mit unserer Entgeltforderung zur Verteilungsgerechtigkeit in unserer Gesellschaft beitragen. Die Forderung ist von den Unternehmen finanzierbar und sichert den Beschäftigten einen fairen und verdienten Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung.“

Gier ist kein exklusives Privileg der Reichen

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Herbstgutachten ein Wachstum von etwa 1,8 Prozent vorausgesagt. Die Forderung der IG Metall liegt nicht nur erheblich über dem zu erwartenden Wirtschaftswachstum, sondern auch über der von den Forschern vorausgesagten Lohnsteigerung von 3,4 Prozent. Das liegt auch daran, dass die Gewerkschaftsfunktionäre der Idee eines gerechten Lohns anhängen. Aber es liegt auch noch an einem anderen Faktor. Natürlich will jeder Mensch gerne mehr und besseres haben: am Mittagstisch und in der Stammkneipe, bei Tarifrunden und bei Aktienkäufen. Und die Gewerkschafter wissen: Wenn sie ihren Mitgliedern mehr versprechen, steigern sie damit ihr eigenes Ansehen.

Was sie dabei freilich auch tun, ist ein menschliches Bedürfnis zu befriedigen, das nicht immer im besten Ruf steht. Das Verlangen nach mehr schlägt nämlich recht schnell um in Gier. Ebenso wie das Bild vom gerechten Lohn wird auch das Bild vom gierigen Banker so häufig verwendet, dass wir es unreflektiert in unseren Vorstellungsschatz übernehmen. Dabei entsteht der irrige Eindruck, Gier sei eine Unsitte, die exklusiv für eine bestimmte Menschengruppe reserviert sei. Gier – das sei nur etwas für Reiche und solche die es werden wollen. Der Beweis liegt ja schließlich in Form ihres Kontos, ihres Autos, ihrer Villa, ihrer Yacht und ihrer Uhr schon vor aller Augen sichtbar da …

Wenn sich das Streben nach mehr zu Gier verwandelt

Aber das ist natürlich eine Fehleinschätzung. Außer einigen asketischen Mönchen und hardcore-Hippies wollen alle Menschen gerne mehr. Und deshalb tragen auch fast alle den Samen der Gier in sich, ganz unabhängig von ihrer materiellen Situation. Es ist gar nicht so leicht zu bestimmen, wann sich der Wunsch nach mehr in Gier verwandelt. Klar ist aber: diese Verwandlung fängt nicht dort an, wo eine bestimmte Geld- oder Gütersumme überschritten wird, sondern dort, wo das Streben nach mehr einen Menschen verändert, wo es sein Verhalten anderen gegenüber negativ beeinflusst. (Für Kenner von Tolkiens Werk: der Übergang von Sméagol zu Gollum.) Wenn sich das Streben nach mehr zu Gier wandelt, dann hält Neid Einzug in unser Fühlen. Dann sind wir versucht, uns Vorteile zu Lasten anderer zu verschaffen. Dann vergessen wir, auf andere zu achten.

Die Trennlinien sind schwammig und die Motive für Außenstehende ohnehin nicht immer leicht zu erkennen. Und gerade deshalb sollten Gewerkschafter sich zurückhalten mit wüsten Anschuldigungen gegenüber gierigen Bankern und Heuschrecken. Denn zumindest die Versuchung ist auch für sie sehr groß, weniger auf das tatsächliche Wohl der von ihnen vertretenen Arbeiter zu schauen als an unser aller Neigung zur Gier zu appellieren. Und dann finden sie sich rasch im Glashaus wieder, wo das Steinewerfen nicht angeraten ist.

Übrigens: das Durchschnittseinkommen in der Metall- und Elektroindustrie beträgt 3.224 € bzw. 3.769 €. Da könnte ein Lohnaufschlag von 5 Prozent aus Sicht von ebenso hart arbeitenden Hotelangestellten (1.922 €), Pflegekräften (2.404 €) oder Angestellten in den Bereich Messebau (2.314 €), Optik (2.383 €) oder Transport und Logistik (2.462 €) auch gierig wirken. Zwar nicht in derselben Größenordnung wie Banker-Boni, aber doch im gleichen Geist. Es ist Aufgabe der verschiedenen Arbeitnehmervertretungen, für die Interessen ihrer Mitglieder einzutreten. Dieser Aufgabe werden sie aber mit Neid-Argumenten so wenig gerecht wie mit Forderungen, die in einem unangemessenen Verhältnis stehen zu dem, was unsere Wirtschaft derzeit leisten kann.

 

Photo: Mohammad Jangda from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die 62 reichsten Menschen haben so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Welt. Mit dieser plakativen Behauptung wollte die Organisation Oxfam die Welt wachrütteln. Werfen wir doch einmal einen Blick auf diese 62 Mega-Reichen …

Verschiedene Arten von Reichen

Schon seit einigen Jahren steht ganz oben auf der vom Magazin Forbes erstellten Liste der reichsten Menschen der Welt Bill Gates. Knapp 80 Milliarden Dollar, also etwa 73 Milliarden Euro, soll sein Privatvermögen betragen. Das ist eine Menge Geld. Allerdings hat Gates dieses Geld nicht unrechtmäßig erworben: Heerscharen von Microsoft-Kunden haben ihm gerne und freiwillig etwas gezahlt für seine Produkte. Dass die Gewinnspanne bei einem so wenig materialintensiven Produkt wie Software ziemlich hoch ist, kann man ihm nun nicht zum Vorwurf machen. Und wo wir schon bei Zahlenspielchen sind: Die Gates-Stiftung, die sich weltweit in den Bereichen Entwicklung, Gesundheit und Bildung engagiert, gab im Jahr 2014 mehr als sechs Mal so viel für ihre Programme aus wie Oxfam.

An zweiter Stelle in der Forbes-Liste rangiert Carlos Slim Helú aus Mexiko. Slims Vater war ein Syrischer Christ, der 1902 aus dem Libanon geflohen war. Er baute sich mit viel Fleiß und Geschick ein Geschäft auf und investierte die Gewinne klug in Immobilien. Auf dieser Grundlage konnte sein Sohn aufbauen und schuf im Laufe der Jahre ein gigantisches Firmenimperium. Dabei ging und geht es jedoch nicht immer mit rechten Dingen zu. Die Telefongesellschaft, die ihn richtig reich machte, erwarb Slim Anfang der 90er Jahre zu einem sehr geringen Preis und profitiert nachhaltig von ihr, weil politische Unterstützung ihm eine Monopolstellung auf dem Kommunikationsmarkt sichert. Slims Vater verdient, soweit wir das überblicken können, unseren ungeteilten Respekt. Slim selber hingegen ist ambivalent zu beurteilen: Sein unternehmerisches Handeln schafft Arbeitsplätze und mithin Wohlstand. Aber seine monopolgestützte Preispolitik schadet den Verbrauchern, ist also tendenziell eher ein Armut als Wohlstand fördernder Faktor.

Gegen die Versuchungen von Geld, Macht und Einfluss ist keiner immun

An sechster Stelle der Liste stehen die Koch-Brüder, über die in den deutschen Medien immer wieder die wildesten Geschichten kursieren. Wie Slim haben auch sie ihren Reichtum auf der Grundlage aufgebaut, die ihr Vater gelegt hatte. Der verdiente sich sein erstes Geld Anfang des 20. Jahrhunderts als Wanderarbeiter in den Niederlanden und Deutschland. Die beiden Brüder sind überzeugt von dem Wert individueller Freiheit und den Vorzügen der Marktwirtschaft. Dafür geben sie große Summen von Geld aus. Zu ihren konkreten Anliegen und Überzeugungen gehören: Eine Ablehnung US-amerikanischer Militärinterventionen und staatlicher Überwachung wie des PATRIOT Act von Präsident Bush. Die Überzeugung, dass der Krieg gegen die Drogen beendet und die Ehe für alle geöffnet werden soll. Und im vergangenen Jahr haben sie wesentlich daran mitgewirkt, Präsident Obamas Justizreformen durchzubringen. Erst jüngst war von den traditionellen Republikaner-Unterstützern eine heftige Fundamentalkritik an Donald Trump und Ted Cruz zu hören. Von dem dämonischen Ausbeutertum, das ihnen deutsche Journalisten bisweilen unterstellen, keine Spur – dafür aber ein stark ausgeprägtes Gefühl der Verantwortlichkeit.

Auch die Vermögen der meisten anderen, die die Forbes-Liste anführen, ist entweder von ihnen selbst oder von ihren Eltern aufgebaut worden. Ob das die Familie Walton ist, denen Walmart gehört, Liliane Bettencourt, die Besitzerin von L’Oreal,, die Gründer von Amazon, Facebook und Google oder, ein paar Plätze, später die Familien der „Aldi-Brüder“. Diese Menschen haben ein bedeutsames Vermögen, weil sie Produkte anbieten, für die andere Menschen gerne und in den meisten Fällen freiwillig bezahlen. Keine Frage: es gibt da Grauzonen. Das lässt sich besonders anschaulich am Beispiel Carlos Slim sehen. Milliardäre sind eben weder Teufel noch Engel. Und den Versuchungen, die Geld, Macht und Einfluss auf uns Menschen immer wieder ausüben, ist weder Bill Gates gegenüber immun, noch der Geschäftsführer von Oxfam, weder der Verfasser dieser Zeilen noch der Slumbewohner aus der Dritten Welt. Letztlich kommt es immer auf die persönliche Integrität an, nicht auf die Summen, die sich auf dem Bankkonto befinden.

Der steinreiche Sechsjährige

Und deshalb täte Oxfam besser daran, sich auf diejenigen Reichen zu fokussieren, die ihren Reichtum nachweislich auf zumindest dubiose Weise erlangt haben, statt pauschale Reichenschelte zu betreiben. Problematisch können die Reichen sein, die, wie das wohl bei Slim der Fall ist, politische Entscheidungen beeinflussen, die zu ihren Gunsten den Wettbewerb verzerren oder aushebeln. Denn wer das tut, der nimmt wirklich den Armen etwas weg. Problematisch sind die Oligarchen, die sich mit den Mächtigen ihres Landes verbünden und somit dafür sorgen, dass die Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern keinen oder wenig Anteil haben können am Wirtschaftswachstum. Problematisch sind die Reichen, die mit ihrem Geld Terroristen und Diktatoren, korrupte Politiker und Bürokraten fördern und stützen und so einem Umfeld der Instabilität und Rechtlosigkeit den Boden bereiten. Vielleicht können sich die Leute von Oxfam (und Occupy und Campact …) mal mit den Kollegen von Amnesty International zusammensetzen. Die sind nämlich am tatsächlichen Unrecht viel näher dran. Das eigentliche Unrecht ist nicht das Profitstreben in einer Marktwirtschaft. Das eigentliche Unrecht geschieht dort, wo ein Wohlstand für alle verhindert wird durch Korruption, Repression und Rechtlosigkeit. Das ist der beste Nährboden für Armut und Elend.

Es ist schon vieles geschrieben worden zu der Studie von Oxfam: Darüber, dass der Reichtum der einen auch vielen anderen zugutekommt: über Arbeitsplätze, Konsumgüter, Innovation und natürlich auch Wohltätigkeit. Darüber, dass es in der Regel den Armen nicht besonders viel hilft, wenn die Reichen weniger reich sind. Und auch darüber, dass solche Zahlenspielereien Unsinn sind, wie kürzlich auf diesem Blog. Eine besonders schöne Anmerkung zu letzterer These von dem Blogger Pixelökonom sei zum Schluss noch angeführt:

„Mein sechsjähriger Sohn verwaltet in seiner privaten Sparkasse mehr Vermögen (ca. 30 Euro) als das gesamte Vermögen der untersten 30 Prozent der Welt beträgt, weil 30 Prozent aller Menschen kein positives Nettovermögen (Saldo aus Vermögen und Schulden) haben.“