Photo: Charles Hutchins from flickr (CC BY 2.0)

Die altehrwürdige „Zeit“ aus Hamburg hat gerade das Ende des Neoliberalismus ausgerufen und sich dabei auf den Internationalen Währungsfonds berufen. Dieser habe eingeräumt, dass die Entfesselung der Marktkräfte die Wirtschaft in vielen Fällen nicht wie erhofft gestärkt, sondern vielmehr geschwächt habe. Als Begründung führt der Autor Mark Schieritz in einem Kommentar an, „die Weltwirtschaft befindet sich in einem permanenten Krisenzustand, für die Fehlspekulationen einer globalen Finanzelite musste die Allgemeinheit aufkommen, und in fast allen Industrienationen ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden. Das muss man erst einmal schaffen.“ Wenn dies das Ergebnis des Liberalismus – mit oder ohne Präfix – wäre, ja dann wäre diese Analyse stichhaltig.

Mehrere Annahmen sind falsch. Die aller erste ist, dass der IWF etwas mit Liberalismus zu tun habe. Nichts ist abwegiger. Der IWF ist ein Produkt supranationaler Prägung der Nachkriegsordnung. Er wurde als Interventionsmechanismus geschaffen, um die Wechselkurse der Währungen, die mittelbar über den Dollar an das Gold gekoppelt waren, zu stabilisieren. Der Ausgangspunkt war daher ein planwirtschaftlicher Ansatz. Staaten, die ihre Währung nicht stabilisieren konnten, wurde ein Übervater zur Seite gestellt, der ihnen dann unter Auflagen aus der Patsche half.

Nach dem Ende der Goldbindung des Dollars 1971 durch Richard Nixon wurde der IWF anschließend nicht abgewickelt, sondern er suchte sich wie nahezu jede Behörde neue Aufgaben. Jetzt kümmerte man sich um die Entwicklungs- und Schwellenländer auf dieser Welt, wie jüngst auch um Griechenland. Mit Liberalismus hat dies alles herzlich wenig zu tun. Der Liberalismus schaut auf den Einzelnen, er setzt auf die freiwillige und friedliche Kooperation von Menschen und hat das Wohl des Ganzen im Blick. Man kann die Entwicklung und das Wirken des IWF daher nicht dem Liberalismus anheften. Der IWF ist ein Produkt der Allmachtsphantasie der Politik und ihres korporatistischen Gestaltungsanspruches.

Die zweite Annahme ist ebenfalls falsch oder zumindest unpräzise. Die Entfesselung der Marktkräfte habe nicht geholfen, sondern habe die Wirtschaft geschwächt. Die einseitige Aufgabe der Gold-Bindung des Dollars ermöglichte nach 1971 eine fast unbegrenzte Geldschöpfung der Banken und eine künstliche Ausweitung der Kredit- und Geldmengen. Dies war eine rein staatliche Entscheidung. Die Bürger Amerikas wurden nicht gefragt. Auch die Bürger in Deutschland, Großbritannien oder Japan konnten nicht individuell entscheiden, ob sie diese neue Geldordnung wollen oder nicht. Selbst durch demokratische Wahlen wurde dieser willkürliche Akt nicht legitimiert. Die neue Geldordnung sollte als Abkürzung zu einer stabilen und nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung führen. Stattdessen wirkte sie wie süßes Gift, dass den Eindruck vermittelte, dass Wohlstand ohne Sparen möglich ist. Kurzfristig mag dies vielleicht geholfen haben, jedoch um den Preis späterer monetärer Schocks, weil Unternehmen in ambitiöse Investitionsprojekte gelockt wurden, die sich als nicht rentabel herausstellten und daher nicht vollendet werden konnten. Die Zulassung eines Rechtsrahmens, der solche Kredit ohne einen zuvor erfolgten Sparvorgang ermöglicht, hat einigen geholfen, insbesondere den Banken und den Schuldnern. Beide wurden immer größer und mächtiger. Das Wirtschaftssystem spielt in der Folge verrückt. Unternehmen handeln plötzlich so, als wenn die Bürger ihnen viel mehr Ersparnisse zur Verfügung gestellt hätten. Tatsächlich ist es nur eine Geldillusion, die als solche von den Marktteilnehmern erkannt wird und sich korrigieren will. Die Notenbanken intervenierten anschließend mit noch niedrigeren Zinsen und noch billigerem Geld. Die Interventionsspirale des Staates dreht sich daher immer schneller.
Mit dem liberalen Grundsatz, der Gleichheit vor dem Recht, hat dies jedoch nichts zu tun. Dort würde es als Betrug entlarvt. Es hat auch nichts mit Marktwirtschaft als die liberale Wirtschaftsordnung zu tun. In ihr würde es den Austritt von Marktteilnehmern geben. Staaten und Banken würden in dieser Marktordnung pleitegehen, Gläubiger würden auf Teile der Rückzahlung verzichten müssen und anschließend sich vorsichtiger verhalten. Es wäre ein gesundes Wirtschaften, weil Fehlentscheidungen im Kleinen korrigiert würden und keine kollektive Bestrafung aller, die zum großen Teil nichts mit den Fehlentwicklungen zu tun haben, stattfindet.

Die dritte Annahme ist ebenfalls haarig: Die Kluft zwischen Arm und Reich würde zunehmen. Das ist leicht dahingesagt. Was ist der Maßstab? Ist es die Zeit eines Anton Fuggers, der seit dem Mittelalter bis heute als der reichste Mensch gilt. Oder ist es die Zeit eines Hugo Stinnes, der Anfang des 20. Jahrhunderts zu großem Vermögen kam? Wahrscheinlich war die Ungleichheit 1946 in Deutschland und anderen Ländern geringer als heute, doch weite Teile Europas und der Welt waren zerstört und vernichtet. Es ging allen schlecht. 1,4 Milliarden Chinesen sind heute Wohlhabender als zu Zeiten Maos, als dieser Millionen verhungern ließ. Trotz seines unendlichen Vermögens hatte Anton Fugger kein Telefon, kein Auto und auch keine Krankenversicherung, die ihm auch noch im hohen Alter umfassende medizinische Versorgung garantiert – vom künstlichen Hüftgelenk bis zum Herzschrittmacher.
Vielleicht meint der Zeit-Kolumnist etwas ganz Anderes. Es ist nicht der Neo-Liberalismus, der versagt hat, sondern der Kollektivismus, der in einer globalen Staatswirtschaft zum Ausdruck kommt. Sein Ende ist leider nicht in Sicht, aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.

6 Kommentare
  1. Axel-Rainer Schmitt
    Axel-Rainer Schmitt sagte:

    Nun wurden in den letzten Jahrzehnten gerade an den Finanzmärkten die Marktkräfte nicht „entfesselt“ , sondern diese, ganz im Gegenteil, mit Regulierungen überhäuft. Diese sollten ihre Stabilität fördern. Das Gegenteil geschah. Auf der Flucht vor der beklemmenden Regulierung flohen die Akteure an den Finanzmärkten in neue Geschäftsfelder – und fielen dort nach dem heftigen Zinsanstieg 2007 prompt auf die Nase. Außerdem lag das Epizentrum der letzten Finanzkrise wie gehabt in den USA. Offenbar ist nicht „der Markt“ das Problem, sondern der US-Finanzmarkt, die Brutstätte aller schweren Finanzkrisen seit WK I. Freilich ist Politschelte und Klage über Überregulierung zu wenig. Die Finanzmanager müssen sich der alten Regel besinnen, im Interesse der Stabilität ihres Hauses – und damit der Finanzmärkte selbst – auf Gewinnmöglichkeiten hin und wieder zu verzichten. Gerade wegen der intensiven Verflechtung mit anderen Instituten gelten für sie andere, restriktivere Regeln als für Industrieunternehmen.

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  2. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Ich lese, dass es zurzeit in Frankreich eine Protestwelle gegen neoliberale Reformen gibt. Die französische Regierung will mit einem Gesetz den Einfluss der Gewerkschaften brechen.

    Ich meine es jedenfalls, dass man gar keine Streiks bräuchte, wenn man die Unterscheidung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abschafft. Diese Unterscheidung ist völlig widersinnig. Bei einer ständig zunehmenden Robotisierung darf es nicht sein, dass die durch diese geschaffenen Perspektiven nur wenigen Personen zufließen. Wenn ca. 62 Personen die halbe Welt gehört, dann läuft da einiges schief.

    Ob wir jetzt in Zukunft ein neoliberales System haben werden oder nicht.

    Solange wir eine Fassaden-Demokratie, gekaufte Politik bzw. das System Octogon mit den schwarzen Kassen der CDU haben, wird es auch keine Politik im Gemeinwohlinteresse geben.

    Jedenfalls brauchen wir sehr erheblich mehr Finanzbesitzkorrekturen als bisher, weil die zunehmende Ungleichheit zu nicht mehr haltbaren Wohlstandsverlusten führt.

    Weltweit gibt es ein Wirrwarr mit positivem Geld, das extrem ungleich verteilt ist und Schulden, die allen gehören.

    Fußballspieler sind zudem bei uns wie Hl. Kühe und gleichzeitig wird die
    erschreckend hohe Arbeitslosigkeit in der Eurozone mit Öl ins Feuer
    kippen beseitigt.

    Selbst ein Psychiater hat es bemerkt, dass Frau Merkel ein gefährliches Narzissmus-Problem hat, weil sie auf seltene Art und Weise vieles ignorieren kann.

    Wenn wir uns aber beispielsweise die Schuldenentwicklung in Griechenland ansehen, dann müssten wir eigentlich Angst bekommen.

    Wenn also beispielsweise der Vorstand von Pro7 /Sat1 ca. 27 Mio. Jahr verdient und das folglich ständig schlechter werdende Konsumklima durch immer größere Geldmengenausweitungen, Deficit Spending etc. ausgebügelt wird, dann kommt es mir durchaus so vor, als würden Politiker den Bürger wie Dreck behandeln.

    Jeder Dritte arbeitet sinnlos. Außerdem gibt es in Deutschland knapp 40 % prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
    Aber die Bundesregierung versteht es bestens, die Arbeitslosigkeitsstatistiken zu schönen.

    Außerdem dürfte durch das weltweite Geld- und Finanzsystem kein Mensch mehr durchsteigen.

    Der Herr Draghi kauft jedenfalls jetzt erstmals Unternehmensanleihen an und mahnt gleichzeitig bei den europäischen Regierungen Reformen an.
    Aber würden Reformen auf europäischer Ebene ausreichen, wenn wir weltweit eine völlig undurchschaubare Finanz-Anarchie haben?

    Im Moment gibt es jedenfalls keinen Zweifel, dass uns Frau Merkel, die
    sich selbst bei Twitter „Queen of Europe“ nennt, in immer größere
    Absurditäten hineinreitet.

    Ob der derzeitige „Kapitalismus-Fehler“ heilbar ist, kann ich nur schwer einschätzen.
    Mit Frau Merkel wird dieser Fehler ganz sicher nicht korrigiert.

    Ob es da als Entschuldigung ausreicht, dass man doch auf nationaler Ebene ohnehin nichts machen könne?

    Was den Liberalismus betrifft, muss ich es an dieser Stelle bemängeln, dass die FDP einen Liberalismus aus der Sicht von Unternehmern vertritt. Christian Lindner lässt sich von Unternehmern mit Profitinteresse beraten und dies wird nicht zu besonders guter Politik führen.

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  3. Alfred Reimann
    Alfred Reimann sagte:

    Freiheit führt zu Überfluss, nicht zu Knappheit.
    Knappheit als Wirtschaftsmotiv ist falsch, s. 1. Gossensches Gesetz, welches auf der Begrenzung der Bedürfnisse beruht. Das Motiv menschlicher Handlungen ist der Gewinn oder Verlust an Vorfreude bei der Wahl der Handlung. Gewinn bei freiwilliger Wahl, Verlust bei unfreiwilliger Wahl.
    Gerecht ist die Geldschöpfung auf alle Bürger zu verteilen, sie sorgen erst für die Kaufkraft des Geldes. Schere zwischen Arm und Reich lässt sich leicht schließen. Besteuerung nicht von Lohn, Einkommen und Gewinn, sondern von industriell erbrachten Leistungen und Gütern, Grundbesitz und Finanztranzaktionen.
    Mehr Freiheit für alle ist möglich, nur müssen wir weiter denken als Mises u. Hayek es konnten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit, dieser Leistungstausch hat mir Mehrwert auf der psychischen Ebene gebracht, mein Wohlbefinden gesteigert.
    Mehr auf http://www.wohlfuehloekonomie.de.

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    • Ralf Becker
      Ralf Becker sagte:

      Ob die Aussage „Freiheit führt zu Überfluss….“ will ich jetzt aus dem Stegreif mal nicht beurteilen. Tatsächlich haben wir zurzeit eine Machtwirtschaft und der Finanzexperte der Grünen, Gerhard Schick, hat zu diesem Thema wohl auch ein Buch geschrieben.

      Bislang haben wir es noch nicht getestet, ob eine normale Marktwirtschaft funktionieren würde, weil wir kein gemeinwohlorientiertes Geld- und Bankensystem und vor allem auch gekaufte Politik haben.

      Wenn man es sieht, dass der Wahlkampf von Hillary Clinton zu 20 % von Saudi Arabien finanziert wurde, dann braucht man sich auch nicht wundern, wenn so viel schief läuft. Die Regierung darf sich nicht gegenüber Parteispendern verpflichtet fühlen und daher halte ich Parteispenden, vor allem aus dem Ausland, für äußerst problematisch.

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  4. maxwed
    maxwed sagte:

    Die „dritte Annahme“ ist noch aus ganz anderen Gründen haarig. Bevor einer bestimmten Wirtschaftspolitik – etwa einer „neoliberalen“ – die auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich eines Landes angelastet wird, sollte man einmal schauen, welchen Beitrag zu dieser Schere die Migration hat. Wenn es in einem Land eine ausgesprochene Armutseinwanderung gibt, in deren Folge die Zahl der Armen natürlich steigt, so ist es doch ausgesprochen bösartig, das auf eine neoliberale Wirtschaftspolitik zurückzuführen. Meinhard Miegel untersuchte die Entwicklung in Deutschland zwischen 1986 und 2006 unter diesem Aspekt, und kam zum Schluß: 75% der aufgehenden Schere zwischen Arm und Reich in diesem Zeitraum sind direkte Folge einer Migration Armer ins Land, nichts anderes.

    Was die anderen 25% angeht, so sind selbst die nicht so zwingend einer „neoliberalen“ Wirtschaftspolitik zuzuordnen, wie Linke dies gern und regelmäßig machen. Eine weitere stets in den Berichten und Studien dazu aufgezeigte armutsgefährdete Gruppe – neben den Migranten – ist doch die der Alleinerziehenden. Ein Zusammenhang zwischen der stetig steigenden Zahl der Alleinerziehenden und liberaler Wirtschaftspolitik konnte noch nicht herbeigedichtet werden, also ist davon auszugehen, daß der Trend zu zunehmenden Fallzahlen der Alleinerziehung – und damit zum Anstieg damit zusammenhängender relativer Armut – eher soziale Gründe hat, etwa von einem allgemeinen Wandel der Haltungen im Bereich „Verantwortungsbereitschaft“ bzw. der Fähigkeiten im Bereich „Frustrationstoleranz“ bzw. dem allmählichen Wegfall bestimmter gesellschaftlicher Verpönungen herrührt (Allmählicher Wandel der Alleinerziehung von einem Stigma zu einer lobenswerten Errungenschaft seit den 68ern).

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