Photo: Die Linke Nordrhein-Westfalen from Flickr (CC BY-SA 2.0)
Gierige Investmentbanker und Heuschrecken tragen die Hauptverantwortung für die wachsende Ungleichheit in der Welt, lautet ein häufiger Vorwurf. Gewerkschaften bedienen aber bisweilen genau diese Instinkte auch. Vielleicht sollten sie mal rhetorisch abrüsten …
Das Bild vom gerechten Lohn
Die Theorien der Arbeitswertlehre, die im 19. Jahrhundert von den Ökonomen David Ricardo und Karl Marx konzipiert wurde, hat in einer sehr flachen und simplen Variante Eingang gefunden in die politische Rhetorik: durch die Vorstellung, es gebe einen „gerechten Lohn“. Also einen Lohn, den jemand erhalten solle, weil seine Arbeit objektiv so viel wert sei. Das Gut Arbeit sei also mithin nicht vergleichbar mit materiellen Gütern, deren Preis von Angebot und Nachfrage abhängt. Man kann einen solchen Standpunkt natürlich einnehmen – und er fühlt sich mitunter auch richtig an. Er verkennt freilich die Realität: Der Handwerksmeister oder Fabrikbesitzer wird nur willens sein – oder gar nur fähig –, einen bestimmten Preis für die Arbeit zu bezahlen. So wie der Kunde im Supermarkt auch irgendwo seine Schmerzgrenze definiert, spätestens dann, wenn das Portemonnaie leer ist.
Das Bild vom gerechten Lohn, das dank jahrzehntelanger Wiederholung verhältnismäßig tief in unseren Köpfen verankert ist, wird natürlich gerne von denjenigen verwendet, die als Vertreter von Arbeitnehmern fungieren. Also von Betriebsräten, Gewerkschaften und auch von Parteien, die sich hauptsächlich auf diese Klientel stützen. So rechtfertigte auch Jörg Hofmann, der Vorsitzende von IG Metall, seine Forderung nach einer Lohnerhöhung zwischen 4,5 und 5 Prozent: „Wir wollen mit unserer Entgeltforderung zur Verteilungsgerechtigkeit in unserer Gesellschaft beitragen. Die Forderung ist von den Unternehmen finanzierbar und sichert den Beschäftigten einen fairen und verdienten Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung.“
Gier ist kein exklusives Privileg der Reichen
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Herbstgutachten ein Wachstum von etwa 1,8 Prozent vorausgesagt. Die Forderung der IG Metall liegt nicht nur erheblich über dem zu erwartenden Wirtschaftswachstum, sondern auch über der von den Forschern vorausgesagten Lohnsteigerung von 3,4 Prozent. Das liegt auch daran, dass die Gewerkschaftsfunktionäre der Idee eines gerechten Lohns anhängen. Aber es liegt auch noch an einem anderen Faktor. Natürlich will jeder Mensch gerne mehr und besseres haben: am Mittagstisch und in der Stammkneipe, bei Tarifrunden und bei Aktienkäufen. Und die Gewerkschafter wissen: Wenn sie ihren Mitgliedern mehr versprechen, steigern sie damit ihr eigenes Ansehen.
Was sie dabei freilich auch tun, ist ein menschliches Bedürfnis zu befriedigen, das nicht immer im besten Ruf steht. Das Verlangen nach mehr schlägt nämlich recht schnell um in Gier. Ebenso wie das Bild vom gerechten Lohn wird auch das Bild vom gierigen Banker so häufig verwendet, dass wir es unreflektiert in unseren Vorstellungsschatz übernehmen. Dabei entsteht der irrige Eindruck, Gier sei eine Unsitte, die exklusiv für eine bestimmte Menschengruppe reserviert sei. Gier – das sei nur etwas für Reiche und solche die es werden wollen. Der Beweis liegt ja schließlich in Form ihres Kontos, ihres Autos, ihrer Villa, ihrer Yacht und ihrer Uhr schon vor aller Augen sichtbar da …
Wenn sich das Streben nach mehr zu Gier verwandelt
Aber das ist natürlich eine Fehleinschätzung. Außer einigen asketischen Mönchen und hardcore-Hippies wollen alle Menschen gerne mehr. Und deshalb tragen auch fast alle den Samen der Gier in sich, ganz unabhängig von ihrer materiellen Situation. Es ist gar nicht so leicht zu bestimmen, wann sich der Wunsch nach mehr in Gier verwandelt. Klar ist aber: diese Verwandlung fängt nicht dort an, wo eine bestimmte Geld- oder Gütersumme überschritten wird, sondern dort, wo das Streben nach mehr einen Menschen verändert, wo es sein Verhalten anderen gegenüber negativ beeinflusst. (Für Kenner von Tolkiens Werk: der Übergang von Sméagol zu Gollum.) Wenn sich das Streben nach mehr zu Gier wandelt, dann hält Neid Einzug in unser Fühlen. Dann sind wir versucht, uns Vorteile zu Lasten anderer zu verschaffen. Dann vergessen wir, auf andere zu achten.
Die Trennlinien sind schwammig und die Motive für Außenstehende ohnehin nicht immer leicht zu erkennen. Und gerade deshalb sollten Gewerkschafter sich zurückhalten mit wüsten Anschuldigungen gegenüber gierigen Bankern und Heuschrecken. Denn zumindest die Versuchung ist auch für sie sehr groß, weniger auf das tatsächliche Wohl der von ihnen vertretenen Arbeiter zu schauen als an unser aller Neigung zur Gier zu appellieren. Und dann finden sie sich rasch im Glashaus wieder, wo das Steinewerfen nicht angeraten ist.
Übrigens: das Durchschnittseinkommen in der Metall- und Elektroindustrie beträgt 3.224 € bzw. 3.769 €. Da könnte ein Lohnaufschlag von 5 Prozent aus Sicht von ebenso hart arbeitenden Hotelangestellten (1.922 €), Pflegekräften (2.404 €) oder Angestellten in den Bereich Messebau (2.314 €), Optik (2.383 €) oder Transport und Logistik (2.462 €) auch gierig wirken. Zwar nicht in derselben Größenordnung wie Banker-Boni, aber doch im gleichen Geist. Es ist Aufgabe der verschiedenen Arbeitnehmervertretungen, für die Interessen ihrer Mitglieder einzutreten. Dieser Aufgabe werden sie aber mit Neid-Argumenten so wenig gerecht wie mit Forderungen, die in einem unangemessenen Verhältnis stehen zu dem, was unsere Wirtschaft derzeit leisten kann.
Zu Ihrem letzten Absatz: Ein Ungelernter im IG-Metall Unternehmen „verdient“ fast doppelt so viel wie ein gelernter Friseur. Wären die IG-Metaller bereit, im Frriseurladen ab sofort das Doppelte zu bezahlen? Von wegen Gerechtigkeit.
Man vergesse auch nicht die mit Parteibüchern ausgestatteten Gewerkschaftsbonzen, die dann noch als Aufsichtsratsmitglieder Tantiemen kassieren und das alles zum Wohle ihrer Mitglieder. Und sie fliegen zu den Aufsichtsratssitzungen der „Heuschrecken“ mit 1ste Klasse Tickets der Lufthansa wie z.B. Frank Bsirske. Verlogener gehts nimmer.
Ihr Beitrag, lieber Herr Schneider, hat durchaus nachdenklich machende Aspekte, hinkt aber vor meinem Erfahrungshorizont an vielen Stellen. Zum einen sind Investmentbanker nicht per se gierig, sondern es sind eher die Produktnehmer, die gierig nach der Rendite sind, die andere mit Hilfe durch Investmentbanker machen. Investmentbanker erstellen Finanzprodukte, für die der Markt ja offensichtlich eine – meiner Meinung nach – oft gierige Abnahme hat.
Bei Heuschrecken, die in diesen Vergleich überhaupt nicht hineinpassen, sieht es ganz anders aus: Denen geht es per se um Freisetzung von Arbeitskräften und einem Auspressen der Substanz. Sagen wir mal so: Bei den Investmentbanker finden sich noch Symbiosen zum Kunden, bei den Heuschrecken haben wir es nur mit Parasiten zu tun…
Die Gewerkschaften hingegen sind von Arbeitnehmern getragen behördenähnliche Einrichtungen, die die Zeichen der Transformation in der Arbeitswelt noch nicht begriffen haben und stattdessen auf einen Bestandschutz (+ Inflationsaufschlag / + Gewinnaufschlag) setzen, den es so nicht mehr geben wird. Sie wären vielleicht besser beraten, sich mal mit der Thematik eines Grundeinkommens zu beschäftigen…?
Und die Gewerkschaften können vor allem eines nicht: Sie können nicht aus ihrer Rolle einer Arbeitnehmervertretung ausscheren. Das ist blöd, wenn es immer weniger Arbeitnehmer gibt. Die Gewerkschaften müssen deswegen eher zu einem Anwalt der nicht unternehmerisch tätigen Konsumenten werden. Ich glaube deswegen eher, dass es weniger Gier als vielmehr Verzweiflung ist, wenn anstatt substanziell wichtigerer Diskussionen irgendwelche Neiddebatten vom Zaum gezogen werden.