Die Schlagkraft von Lobbygruppen ist in der Politik bekannt. Sie sind einflussreich, weil sie ihre Partikularinteressen besser bündeln und vortragen können als das gesamte Wahlvolk. Hinter ihnen stehen meist Minderheiten, die jedoch so relevant sind, dass sie von Politikern nicht ignoriert werden können. So gelten der Bauernverband und der ADAC als besonders durchsetzungsstark im Berliner Politikbetrieb. Doch auch die Solar- und Windkraftlobby schafft es immer wieder, ihre wirtschaftlichen Interessen mit Erfolg vorzubringen und sie mit der Rettung des Weltklimas zu verkaufen.
Jüngst hat eine ganz andere Lobbygruppe von sich reden gemacht: die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros und Gleichstellungsstellen in NRW. Anfang März ging es bei „Hart aber fair“ im Ersten mit Frank Plasberg in der Sendung „Nieder mit den Ampelmännchen, her mit den Unisex-Toiletten – Deutschland im Gleichheitswahn?“ um den „Genderwahn“. Gäste waren FDP-Mann Wolfgang Kubicki, Schauspielerin Sophia Thomalla, Autorin Anne Wizorek, Grünen-Aktivist Anton Hofreiter und Publizistin Birgit Kelle. Der Politiktalk schleppte sich nicht ganz so ernst dahin. So meinte Kubicki zum Grünen Hofreiter – wohl aufgrund seiner langen Haare: „Sie sehen ja schon gendermäßig aus.“ Und dem Moderator Frank Plasberg war etwas suspekt, dass von 190 Gender-Professoren allein 180 Frauen seien. Soweit der wesentliche Inhalt der Sendung. Gegen diese Sendung legte die obige Frauenlobby eine Programmbeschwerde beim zuständigen WDR ein.
Wie so häufig ist jedoch nicht der Anlass der Skandal, sondern das was anschließend daraus gemacht wird. Es ist auch nicht der Skandal, dass eine ausschließlich von Steuergeldern finanzierte Organisation eine Programmbeschwerde einlegt. Das geschieht häufiger. Der Skandal ist die unsouveräne Reaktion des WDR. Die Sendung wurde mit Schimpf und Schande in den Giftschrank verbannt. Sie darf nie wieder wiederholt oder in der Mediathek der ARD gezeigt werden. Nie, nie wieder!!! Stattdessen muss Plasberg nunmehr eine neue Ausgabe zum gleichen Thema produzieren, die am 7. September gezeigt werden soll und in den Augen des WDR-Rundfunkrates Gefallen finden muss. Die WDR-Rundfunkrats-Vorsitzende Ruth Hieronymi meinte: „Die Auswahl der Gäste und die Gesprächsleitung waren für die Ernsthaftigkeit des Themas nicht ausreichend“. Das sind noch keine chinesischen Verhältnisse, aber der Vorwurf der Zensur liegt nicht ganz fern.
Es darf nur das gezeigt werden, was genehm ist, abweichende Meinungen sind nicht erlaubt oder werden nicht toleriert. Sie werden sogar weggeschlossen. Warum darf man mit der Genderideologie nicht ironisch umgehen? Warum darf man sie nicht verlachen, karikieren oder als absurd abstempeln? Es gibt Hunderte von Sendungen im beitragsfinanzierten Fernsehen, in denen tagtäglich genau das Gegenteil gemacht wird.
Wo ist die so viel beschworene Toleranz in diesem Land? Toleranz erfordert ein Selbstbewusstsein und den Geist einer offenen Gesellschaft, wo andere Meinungen nicht nur hinter der verborgenen Hand toleriert werden, sondern wo diese frei ausgesprochen werden können.
Was war das noch für ein Solidarität von Linken, Liberalen und Konservativen in diesem Land, als das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ einem Anschlag zum Opfer fiel, weil es sich über den islamischen Religionsstifter Mohammed lustig gemacht hatte. Eine offene Gesellschaft braucht diese Freiheit. Sie braucht diese Freiheit wie der Fisch das Wasser und es ist gut für diese Gesellschaft, wenn nicht alle Fische in die gleiche Richtung schwimmen. Jörg Schönenborn, WDR-Fernsehdirektor, wies den Vorwurf der Zensur zurück. Das muss er schon aufgrund seiner Arbeitsplatzbeschreibung. Doch eines wird er nicht mehr behaupten können, dass der Zwangsbeitrag von ARD und ZDF eine „Demokratieabgabe“ sei.
Update: Am 31. August hat Jörg Schönenborn entschieden, die Sendung in der Mediathek wieder zugänglich zu machen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 29.08.2015
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