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Photo: Iain Farrell (CC BY-ND 2.0)

Die deutsche Regierung ist schnell dabei, den mangelnden Reformwillen der Krisenstaaten in Europa anzumahnen. Doch oftmals ist es gut, wenn man erstmal vor der eigenen Türe kehrt und nicht die gleichen Fehler macht, die die anderen in die Krise gestürzt haben. Es sind zwei wesentliche Gründe, weshalb die Südstaaten im Euro-Raum seit Jahren eine Wachstumsschwäche aufweisen. Es ist zum einen der aufgeblähte Staatsapparat, der die Ausgaben, die Bürokratie und die Staatsverschuldung in die Höhe schnellen lässt und es sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die den jeweiligen Standort für Investoren aus dem eigenen Land und von außen unattraktiv macht. Beides führt dazu, dass die Euro-Staaten in der Summe inzwischen eine öffentliche Verschuldung von über 90 Prozent ihrer gemeinsamen Wirtschaftsleistung  vorzuweisen haben. Und die Wirtschaftleistung liegt immer noch unter dem Niveau des Jahres 2007, als die Finanzkrise abrupt eintrat.

Hier ist Deutschland relativ gesehen immer noch besser dran. Die Staatsverschuldung liegt leicht über dem Maastricht-Kriterium von 60 Prozent. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist niedrig und der Beschäftigungsstand hoch. Doch der Abstand schwindet. Dies hat Ursachen und diese liegen in den Rahmenbedingungen, die die Regierung, aber auch die Tarifpartner in Deutschland setzen.

Erstmalig seit vielen Jahren werden im nächsten Jahr die Sozialversicherungsbeiträge wieder auf über 40 Prozent steigen. Dies obwohl die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mit über 31 Millionen noch nie so hoch war. Eigentlich müssten sowohl die Rentenversicherung, als auch Kranken- und Pflegeversicherung gut mit den gestiegenen Einnahmen zurechtkommen.  Doch das Gegenteil ist der Fall. Ihre Beiträge steigen. Der Grund ist politisch gewollt. Neue Ausgabegesetze führen dazu. Allein zwischen 2014 und 2019 wurden Leistungserweiterungen von 87 Milliarden Euro beschlossen. Jetzt schlägt Andrea Nahles vor, die Ostrenten den Westrenten anzugleichen. Das mag alles wohl begründet und vielleicht auch sinnvoll sein. Doch bei Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung wird auf Seiten der Politik nie gefragt, ob einer Leistungserweiterung auf der einen Seite, vielleicht an einer anderen Stelle eine Leistungseinschränkung möglich und erforderlich ist. Es wird immer draufgesattelt, als fiele das Geld vom Himmel und müsste nicht erarbeitet werden.

Die deutsche Regierung mahnt in Europa auch Reformen am Arbeitsmarkt an. Die EU drängt Griechenland dazu, den Arbeitsmarkt flexibler und den gesetzlichen Mindestlohn zu reduzieren. Beides gilt als Beschäftigungshindernis für junge und unqualifizierte Arbeitskräfte. Mindestlöhne sind in diesen Ländern Eintrittsbarrieren in den Arbeitsmarkt. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Portugal und Griechenland sind erschreckende Beispiele dafür. In Deutschland wurde gerade in dieser prekären Phase ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, der im nächsten Jahr sogar noch erhöht wird.

Vielleicht ist es ein kluges Zeichen in der richtigen Zeit, wenn die renommierte Ludwig-Erhard-Stiftung ihren Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik in diesem Jahr an Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder verleiht. Seine Arbeitsmarktreformen sind heute noch wegweisend. Sie liegen aber auch schon 13 Jahre zurück. Deutschland darf sich auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen. Die Grundlage des Wohlstands von morgen wird heute geschaffen. Wer wüsste das besser als jener Ludwig Erhard, der in einer Regierungserklärung 1963 sagte: „Es gibt keine Leistungen des Staates, die sich nicht auf Verzichte des Volkes gründen.“

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 30. Juli 2016.

Photo: Klaus Tenter from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Hubertus Porschen, Vorsitzender des Verbandes „Die Jungen Unternehmer„, CEO der App-Arena GmbH.

Es ist still geworden um das große Thema Staatsbeteiligung. Andere Fragen wie die Eurorettung oder die Niedrigzinspolitik binden zurzeit anscheinend alle ordnungspolitischen Kapazitäten. Dabei ist es ein Unding, an wie vielen Stellen der Staat in Deutschland keineswegs nur die Rolle des Schiedsrichters einnimmt, sondern gleichzeitig munter mitspielt. Auf Landesebene widmet er sich z. B. dem Glückspiel, die Kommunen drängen in das Rohstoffrecyling und der Bund ist u. a. als Mobilfunkanbieter in den USA tätig.

Politiker sind keine Unternehmer

Besonders zwei Gründe machen alle diese Staatsbeteiligungen so kritisch: Erstens sind die wirtschaftlichen Aktivitäten des Staates häufig nicht so lukrativ wie vorher vermutet. Die Meeresfischzuchtanlage in Völklingen ist hier nur die Spitze des Eisbergs. Überraschen kann das eigentlich nicht: Politiker und Beamte sind schließlich keine Unternehmer.

Und zweitens führen die staatlichen Ausflüge auf das Spielfeld häufig auch noch dazu, dass bereits bestehende private Unternehmen in die Bredouille geraten, weil sie einer unfairen Konkurrenz ausgesetzt sind. In diesem Fall schadet sich die öffentliche Hand übrigens doppelt: Denn zum Verlustrisiko aus ihren eigenen Aktivitäten (siehe Völklingen) kommen auch noch die entgangenen Steuereinnahmen und sonstige Kosten (z. B. Arbeitslosenhilfe für entlassene Mitarbeiter), da bestehende Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden.

Beides geht nicht – der Staat als Schiedsrichter und Spieler

Darüber hinaus kann es natürlich auch zu Zielkonflikten zwischen den Rollen als Schiedsrichter und Mitspieler kommen. Die Versuchung ist groß, die eigenen Interessen als wirtschaftlicher Akteur bei der Regelsetzung besonders zu berücksichtigen. Das Breitbandausbauprogramm des Bundes steht beispielsweise im Verdacht, die Interessen der Telekom besonders zu berücksichtigen (an der der Bund zusammen mit der KfW insgesamt 31,8 Prozent hält). Unabhängig davon, ob sich diese Vorwürfe in der Empirie bestätigen: Es wäre dringend an der Zeit, dieses Aktienpaket zu verkaufen. Denn warum sollte der deutsche Steuerzahler an einem Unternehmen beteiligt sein, dass auf einem funktionierenden Markt agiert – und zudem noch große Teile seines Umsatzes in den USA erwirtschaftet?

Staatsbeteiligung in Breitbandausbau investieren

Mal ganz abgesehen davon, dass die Entscheidung ordnungspolitisch dringend geboten ist: Lukrativ wäre der Verkauf noch obendrauf. So würden je nach Lage und Verkaufsstrategie schnell 10 bis 20 Milliarden Euro zusammen kommen. Mein Vorschlag wäre, die dann gleich in den Breitbandausbau zu investieren. Auch in der Schuldentilgung wären sie z. B. gut angelegt. Sicher ist nur eins: Als Staatsbeteiligung an einem privaten Unternehmen ist das Geld falsch investiert.

Photo: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen from Flickr (CC BY-SA 2.0)

In Deutschland ist man stolz auf die Tarifautonomie und die Mitbestimmung. Sie gelten als Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Sie dienen dem sozialen Frieden im Lande. Manche meinen gar, es wäre das Soziale an der Marktwirtschaft bundesrepublikanischer Prägung. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung der IG Metall mit den Metall-Arbeitgebern sagte gerade der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann: „Solange die Arbeitgeber meinen, die Leistung und das Engagement der Beschäftigten mit diesem provokanten Angebot abspeisen zu können, werden wir mit Warnstreiks antworten.“ Starke Worte. Hier wird ein Gegensatz zwischen den Interessen der Unternehmen und der Mitarbeiter konstruiert.

Doch das ist die Klassenkampfrhetorik vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Noch fragwürdiger wird es, wenn die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes unter der Fahne von ver.di streiken. Sie haben kein Arbeitsplatzrisiko, und der Staat mit seinen Behörden steht nicht im internationalen Wettbewerb. Hier werden Eltern, die ihre Kinder in Kindergärten bringen oder Reisende, die an Flughäfen warten, in Beugehaft genommen für die Interessen von Gewerkschaftsfunktionären.

Diese Mitbestimmung ist von gestern. Können Arbeitnehmer ihre Lohnwünsche und Arbeitsbedingungen heutzutage wirklich nur durchsetzen, wenn Sie eine starke Gewerkschaft im Hintergrund haben?

Ein Blick in unser südliches Nachbarland, die Schweiz, zeigt Alternativen auf: Dort gibt es in der Regel keine kollektiven Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Den Lohn oder das Gehalt verhandelt der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber direkt. Der Kündigungsschutz ist in der Schweiz auf ein Minimum reduziert. Und auch das gereicht dem Arbeitnehmer keineswegs zum Nachteil. Ganz im Gegenteil. Die Gehälter und der Wohlstand der Arbeitnehmer sind wesentlich höher als in Deutschland. In der Schweiz kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in der Regel ohne bereits einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben zu haben. In einem Arbeitsmarkt, in dem Unternehmen händeringend Arbeitnehmer suchen, ist das auch kein Problem. Und kommt es zu Schwierigkeiten im Unternehmen, dann werden sie meist unkonventionell im Interesse des Unternehmens gelöst.

Als die Schweizer Notenbank die Bindung an den Euro Anfang 2015 aufgab und der Schweizer Franken kurzzeitig stark aufwertete, kamen viele Unternehmen von heute auf morgen unter enormen Kostendruck. Viele Mitarbeitervertretungen boten daraufhin aktiv den Unternehmen zeitnahe Arbeitszeiterhöhungen und Lohnkürzungen an, um den kurzfristigen Wettbewerbsnachteil auszugleichen. In Deutschland wäre dies unmöglich.

Die heimische Stahlindustrie ist heute in einer ähnlichen Situation. Sie steht unter enormem Kostendruck durch chinesische Unternehmen, die Überkapazitäten auf den Weltmarkt werfen und damit die Preise für Stahl ins Bodenlose fallen lassen. Die Antwort der deutschen Gewerkschaften sind Warnstreiks und Forderungen nach 5 Prozent Lohnerhöhung. Hier wird der Unterschied deutlich zwischen einer flexiblen Volkswirtschaft wie der Schweiz und einer verkrusteten wie Deutschland.

Dabei wollen in vielen Unternehmen die Arbeitnehmer keinen Betriebsrat und keinen Einfluss der Gewerkschaften. Insbesondere innovative Unternehmen der IT-Branche kennen weder einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad noch einen Betriebsrat. Dennoch können in Unternehmen egal welcher Größe fünf Arbeitnehmer einen Betriebsrat gründen und alle anderen Arbeitnehmer müssen dies akzeptieren. Und nicht genug. Anschließend verhandelt dieser Betriebsrat, der vielleicht nur eine verschwindende Minderheit im Unternehmen repräsentiert plötzlich für alle Arbeitnehmer im Unternehmen. Er entscheidet zum Beispiel mit, ob am Wochenende gearbeitet werden darf und damit wichtige Aufträge erledigt werden können oder nicht. Damit entscheidet er auch mit, ob ein Arbeitnehmer am Wochenende zusätzlich Geld verdienen kann oder nicht. Wehren kann sich der einzelne Arbeitnehmer dagegen nicht, auch wenn er und eine übergroße Mehrheit der Arbeitnehmer im Unternehmen gegen die Gründung des Betriebsrates waren.

Gemeinhin hat man aktuell den Eindruck, dass in Deutschland vieles gut läuft. Die Arbeitslosigkeit sinkt, das Wachstum ist intakt und der Staat schwimmt im Geld. Doch mangelnde Reformbereitschaft wirkt sich nicht im jetzt und heute aus, sondern kommt als Bumerang morgen und übermorgen zurück. Vielleicht ist das ja von Gewerkschaftsseite gewollt. Schon Lenin war der Auffassung: Es muss erst schlimmer werden, bevor es besser werden kann.

Photo: Die Linke Nordrhein-Westfalen from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Gierige Investmentbanker und Heuschrecken tragen die Hauptverantwortung für die wachsende Ungleichheit in der Welt, lautet ein häufiger Vorwurf. Gewerkschaften bedienen aber bisweilen genau diese Instinkte auch. Vielleicht sollten sie mal rhetorisch abrüsten …

Das Bild vom gerechten Lohn

Die Theorien der Arbeitswertlehre, die im 19. Jahrhundert von den Ökonomen David Ricardo und Karl Marx konzipiert wurde, hat in einer sehr flachen und simplen Variante Eingang gefunden in die politische Rhetorik: durch die Vorstellung, es gebe einen „gerechten Lohn“. Also einen Lohn, den jemand erhalten solle, weil seine Arbeit objektiv so viel wert sei. Das Gut Arbeit sei also mithin nicht vergleichbar mit materiellen Gütern, deren Preis von Angebot und Nachfrage abhängt. Man kann einen solchen Standpunkt natürlich einnehmen – und er fühlt sich mitunter auch richtig an. Er verkennt freilich die Realität: Der Handwerksmeister oder Fabrikbesitzer wird nur willens sein – oder gar nur fähig –, einen bestimmten Preis für die Arbeit zu bezahlen. So wie der Kunde im Supermarkt auch irgendwo seine Schmerzgrenze definiert, spätestens dann, wenn das Portemonnaie leer ist.

Das Bild vom gerechten Lohn, das dank jahrzehntelanger Wiederholung verhältnismäßig tief in unseren Köpfen verankert ist, wird natürlich gerne von denjenigen verwendet, die als Vertreter von Arbeitnehmern fungieren. Also von Betriebsräten, Gewerkschaften und auch von Parteien, die sich hauptsächlich auf diese Klientel stützen. So rechtfertigte auch Jörg Hofmann, der Vorsitzende von IG Metall, seine Forderung nach einer Lohnerhöhung zwischen 4,5 und 5 Prozent: „Wir wollen mit unserer Entgeltforderung zur Verteilungsgerechtigkeit in unserer Gesellschaft beitragen. Die Forderung ist von den Unternehmen finanzierbar und sichert den Beschäftigten einen fairen und verdienten Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung.“

Gier ist kein exklusives Privileg der Reichen

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Herbstgutachten ein Wachstum von etwa 1,8 Prozent vorausgesagt. Die Forderung der IG Metall liegt nicht nur erheblich über dem zu erwartenden Wirtschaftswachstum, sondern auch über der von den Forschern vorausgesagten Lohnsteigerung von 3,4 Prozent. Das liegt auch daran, dass die Gewerkschaftsfunktionäre der Idee eines gerechten Lohns anhängen. Aber es liegt auch noch an einem anderen Faktor. Natürlich will jeder Mensch gerne mehr und besseres haben: am Mittagstisch und in der Stammkneipe, bei Tarifrunden und bei Aktienkäufen. Und die Gewerkschafter wissen: Wenn sie ihren Mitgliedern mehr versprechen, steigern sie damit ihr eigenes Ansehen.

Was sie dabei freilich auch tun, ist ein menschliches Bedürfnis zu befriedigen, das nicht immer im besten Ruf steht. Das Verlangen nach mehr schlägt nämlich recht schnell um in Gier. Ebenso wie das Bild vom gerechten Lohn wird auch das Bild vom gierigen Banker so häufig verwendet, dass wir es unreflektiert in unseren Vorstellungsschatz übernehmen. Dabei entsteht der irrige Eindruck, Gier sei eine Unsitte, die exklusiv für eine bestimmte Menschengruppe reserviert sei. Gier – das sei nur etwas für Reiche und solche die es werden wollen. Der Beweis liegt ja schließlich in Form ihres Kontos, ihres Autos, ihrer Villa, ihrer Yacht und ihrer Uhr schon vor aller Augen sichtbar da …

Wenn sich das Streben nach mehr zu Gier verwandelt

Aber das ist natürlich eine Fehleinschätzung. Außer einigen asketischen Mönchen und hardcore-Hippies wollen alle Menschen gerne mehr. Und deshalb tragen auch fast alle den Samen der Gier in sich, ganz unabhängig von ihrer materiellen Situation. Es ist gar nicht so leicht zu bestimmen, wann sich der Wunsch nach mehr in Gier verwandelt. Klar ist aber: diese Verwandlung fängt nicht dort an, wo eine bestimmte Geld- oder Gütersumme überschritten wird, sondern dort, wo das Streben nach mehr einen Menschen verändert, wo es sein Verhalten anderen gegenüber negativ beeinflusst. (Für Kenner von Tolkiens Werk: der Übergang von Sméagol zu Gollum.) Wenn sich das Streben nach mehr zu Gier wandelt, dann hält Neid Einzug in unser Fühlen. Dann sind wir versucht, uns Vorteile zu Lasten anderer zu verschaffen. Dann vergessen wir, auf andere zu achten.

Die Trennlinien sind schwammig und die Motive für Außenstehende ohnehin nicht immer leicht zu erkennen. Und gerade deshalb sollten Gewerkschafter sich zurückhalten mit wüsten Anschuldigungen gegenüber gierigen Bankern und Heuschrecken. Denn zumindest die Versuchung ist auch für sie sehr groß, weniger auf das tatsächliche Wohl der von ihnen vertretenen Arbeiter zu schauen als an unser aller Neigung zur Gier zu appellieren. Und dann finden sie sich rasch im Glashaus wieder, wo das Steinewerfen nicht angeraten ist.

Übrigens: das Durchschnittseinkommen in der Metall- und Elektroindustrie beträgt 3.224 € bzw. 3.769 €. Da könnte ein Lohnaufschlag von 5 Prozent aus Sicht von ebenso hart arbeitenden Hotelangestellten (1.922 €), Pflegekräften (2.404 €) oder Angestellten in den Bereich Messebau (2.314 €), Optik (2.383 €) oder Transport und Logistik (2.462 €) auch gierig wirken. Zwar nicht in derselben Größenordnung wie Banker-Boni, aber doch im gleichen Geist. Es ist Aufgabe der verschiedenen Arbeitnehmervertretungen, für die Interessen ihrer Mitglieder einzutreten. Dieser Aufgabe werden sie aber mit Neid-Argumenten so wenig gerecht wie mit Forderungen, die in einem unangemessenen Verhältnis stehen zu dem, was unsere Wirtschaft derzeit leisten kann.

 

Photo: dedljiv from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Hubertus Porschen, Vorsitzender des Verbandes „Die Jungen Unternehmer„, CEO von iConsultants.

Deutschland steht vor einer großen gesellschaftlichen Herausforderung. 2015 sind mehr als eine Million Menschen in unser Land gekommen. Und auch in diesem Jahr sind weiterhin viele auf der Flucht. Wie können wir Unternehmer dazu beitragen, damit aus dieser Herausforderung neue Chancen entstehen? Fest steht: Integration gelingt nur, wenn Flüchtlinge nicht abseits unserer Gesellschaft leben. Statt in Flüchtlingsunterkünften zum Nichtstun verdammt zu sein, müssen wir ihnen ermöglichen, in Arbeit zu kommen – Mitarbeiter und Kollegen zu werden. Eine geregelte Beschäftigung und Unabhängigkeit sind wichtige Bestandteile der menschlichen Würde. Und: Wenn Flüchtlinge ihr eigenes Geld verdienen, entlastet das auch unsere Sozialsysteme.

Eine Agenda „Arbeit für Flüchtlinge“

Deshalb müssen wir uns die Frage stellen: Wie schaffen wir in kurzer Zeit bis zu 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze für Menschen, die zumeist weder die deutsche Sprache beherrschen noch hier gängige Berufsqualifikationen mitbringen? Das erfordert ein Reformpaket, das weit über die Agenda 2010 hinausgeht. Über sie sind ca. 800.000 Arbeitslose in Beschäftigung gekommen – allerdings bei weitem nicht in nur einem Jahr. Bei Anhalten des jetzigen Flüchtlingszustroms müsste unsere Volkswirtschaft jedes Jahr etwa so viele Menschen zusätzlich in Lohn und Brot bringen. Es wird also um den richtigen Mix aus Marktwirtschaft und intelligenten staatlichen Anreizen gehen, die dabei helfen, Chancengleichheit zu ermöglichen. Dazu müssen die Regierungsparteien endlich umschalten: Statt „Erste-Hilfe-Maßnahmen“ benötigen wir zügig eine strategisch und dauerhaft angelegte Agenda „Arbeit für Flüchtlinge“.

Die Rahmenbedingungen müssen stimmen

Diese muss Bildung und Arbeit in den Mittelpunkt stellen und zudem vieles gleichzeitig ermöglichen: Flüchtlingen starke Anreize zur eigenen Qualifizierung bieten. Arbeitgeber motivieren, Flüchtlinge zu beschäftigen, aus- und weiterzubilden. Und zugleich Investitionen und Wachstum in Deutschland zu beschleunigen. Vorab: Die Bemühungen zur Integration dürfen möglichst wenig „Sonderregelungen“ schaffen. Durch ihre Incentivierung darf die Politik inländische Arbeitnehmer nicht benachteiligen. Bei allen Maßnahmen muss es darum gehen, Chancengleichheit zu ermöglichen. Zu der schwierigen Frage, wie wir Flüchtlinge also bestmöglich in den Arbeitsmarkt integrieren, stellen wir jungen Unternehmer und Familienunternehmer folgende erste Ideen zur Diskussion:

Spracherwerb und Ausbildung

Flüchtlinge haben in unserer hochentwickelten Volkswirtschaft nur Chancen, wenn sie unsere Sprache beherrschen und sich aus eigenem Antrieb qualifizieren. Wir haben die Idee, vor die Aufnahme einer Ausbildung oder Berufstätigkeit eine staatliche „Vorausbildung“ vorzuschalten, die an zwei Tagen/Woche Sprach- bzw. Staatskundeunterricht und an drei Tagen/Woche ein Praktikum im Betrieb vorsieht. Daran kann eine „triale“ Ausbildung anschließen, bestehend aus praktischer Ausbildung, Berufsschule und Spracherwerb. Die dritte Säule kann zu einer Verlängerung der Ausbildungszeit auf vier Jahre führen. Die Leistung des Ausbildungsbetriebs liegt darin, dem Azubi an sämtlichen Tagen, die er im Betrieb tätig ist, einen vollwertigen Rahmen für seinen praktischen Spracherwerb zu bieten von der Fachsprache bis zur Umgangssprache, den er sonst so in keiner Sprachschule vorfinden würde. Diese Leistung wird über einen Dienstleistungsvertrag vom Staat mit 1.000 Euro pro Monat pro Flüchtling für die ersten beiden Ausbildungsjahre honoriert. Von diesem Zuschuss finanziert der ausbildende Betrieb zusätzliche Sprachlehrer und den Wettbewerbsnachteil, wenn sich erfahrene Facharbeiter mehr um diese Azubis kümmern müssen, als um Kunden und Produkte.

Öffnung des Arbeitsmarktes

Der aktuelle Aufwind des Front National in Frankreich sowie die Situation in den Banlieues zeigt, welche Abwärtsspirale mangelnde Integration in Gang setzen kann. Statt den Arbeitsmarkt für Flüchtlinge zu öffnen, hat ihn die sozialistische Regierung unter François Hollande lange Zeit noch stärker zugeschnürt. Gesellschaftliche Integration funktioniert jedoch nur über eine Integration in den Arbeitsmarkt. Und: Gesellschaftliche Integration ist die Basis für soziale Stabilität. Sie ist für uns Unternehmer der wichtigste Standortfaktor.

Wichtige Reformanstrengungen müssen deshalb in der Öffnung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bestehen. Hierzu einige erste Ansätze:

  • Ein Praktikum sollte 12 Monate ohne Mindestlohn möglich sein. So können Flüchtlinge erste Berufserfahrung sammeln und Unternehmer deren Fähigkeiten in der Praxis bewerten
  • Asylberechtigte sollten sofort in Zeitarbeitsfirmen arbeiten dürfen. Die aktuell geplante Verschärfung der Regulierung der Zeitarbeit und der Werkverträge wirkt kontraproduktiv, da auf diesem Weg viele Migranten Arbeit finden.
  • Damit die Unternehmen, trotz der geringen Qualifikationen vieler Flüchtlinge risikobereiter bei den Einstellungen werden, muss der Kündigungsschutz reformiert und schrittweise in ein Abfindungsmodell umgewandelt werden.
  • Bei der „trialen Ausbildung“ sollte der Kündigungsschutz gelockert oder ganz ausgesetzt werden, damit die Einstellungsbereitschaft der Unternehmer steigt.
  • Darüber hinaus fordern wir, dass die Sozialversicherungsbeiträge halbiert werden für alle zusätzlichen Stellen, die in Deutschland zunächst bis 2020 geschaffen werden – egal ob für Migranten oder für hiesige Arbeitslose. Um die zusätzlichen Stellen ohne zu viel Bürokratie zu erfassen, könnte die Jahreslohnsumme eines Stichjahres herangezogen werden.

Investitionen und Wachstum

1,6 Prozent Wirtschaftswachstum unserer Volkswirtschaft reichen bei weitem nicht aus, damit eine große Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze innerhalb weniger Jahre entstehen kann. Deshalb müssen wir rasch Innovationen und Wachstum ankurbeln. Ein zügiges Inkrafttreten des Freihandelsabkommens TTIP kann beispielsweise neue Wachstumsimpulse freisetzen. Zudem brauchen wir mehr innovative Start-Ups. Dafür benötigen wir einen besseren Zugang zu Wachstumskapital. Damit Gründer schnell wachsen und Arbeitsplätze anbieten können, sollten wir sie in den ersten drei Jahren durch eine umfassende Bürokratie-Schutzglocke vor steuerrechtlichen und arbeitsrechtlichen Regulierungen schützen. Und nicht zuletzt: Ein schneller Aufbau von Personalkosten muss auch über ausreichend Eigenkapital gegen Konjunktureinbrüche abgesichert werden. Zugleich ist Eigenkapital wichtig zur Finanzierung von Investitionen, mit denen dann weitere Arbeitsplätze geschaffen werden. Daher muss Eigenkapital steuerlich mit Fremdkapital gleichgestellt werden.

Wir jungen Unternehmer und Familienunternehmer sind bereit, Flüchtlinge mit unseren oft hochtechnisierten Arbeiten vertraut zu machen und bei dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung mitzuwirken. Jetzt kommt es auf die Politik an, die Weichen zu stellen, damit ein neues Wirtschaftswunder möglich werden kann.

Die Familienunternehmer und die Jungen Unternehmer haben im Dezember 2015 ein Diskussionspapier „1 Million Arbeitsplätze – wie schaffen wir das?“ veröffentlicht, das Sie hier finden.