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Photo: Alessandro Valli from Flickr (CC BY 2.0)

32.630 Euro lässt sich die Bundesregierung eine Anzeige in der FAZ kosten, in der sie dem geneigten Leser die Segnungen der Frauenquote vor Augen führt. Braucht es diese Art der öffentlichen Aufklärung, vor allem in der hier präsentierten Form, wirklich?

Im Duktus von Schulbüchern

Die Verfasser des Anzeigen-Textes haben sich entweder sehr wenig Mühe gegeben oder sie meinen, die FAZ-Leser in jenem herablassenden Duktus belehren zu müssen, der schon im Tonfall von Schulbüchern immer eine glatte Unverschämtheit ist:

Mehr Frauen in Führungspositionen

Wie profitiert Ihr Unternehmen von mehr Frauen in Führungspositionen?
– Ein hoher Frauenanteil in Führungspositionen wirkt sich positiv auf die Arbeits- und Unternehmenskultur aus.
– Mehr Frauen in Führungspositionen bedeuten mehr wirtschaftlichen Erfolg.

Selbstverständlich kann man darüber nachdenken und diskutieren, welche guten und vernünftigen Gründe es geben mag, die Verantwortung innerhalb eines Unternehmens auf verschiedengeschlechtliche Schultern zu verteilen. Eine Studie zweier US-Universitäten etwa hat vor kurzem gezeigt, dass ein höherer Anteil von Frauen in Führungspositionen positive Auswirkungen auf die Rechtstreue in Unternehmensentscheidungen hat. Solche Studien werden mit nachvollziehbaren Kriterien und einer belastbaren Datenmenge durchgeführt. Sie deklarieren auch keine notwendigen Pauschal-Wahrheiten, sondern weisen nur auf Tendenzen hin. Man kann sie kritisieren, weiterentwickeln oder widerlegen.

Macho-Kultur unter veränderten Vorzeichen

Aber ganz ehrlich: Ist die Aussage „Mehr Frauen in Führungspositionen bedeuten mehr wirtschaftlichen Erfolg“ eigentlich noch an Plumpheit zu übertreffen? Sie ist so allgemein formuliert, dass sie weder beweisbar noch widerlegbar ist, und ist schon deswegen eine unsinnige Aussage. Aber sie ist eben nicht nur unsinnig, sondern auch unverschämt. Nicht nur, weil die Adressaten der Anzeige wie dumme Schulkinder behandelt werden.

Diese „Feststellungen“, die das Familien- und das Justiz-Ministerium da veröffentlicht haben, definieren Menschen über ihre Geschlechtszugehörigkeit anstatt über ihre menschlichen Qualitäten. Als ob Männer tendenziell keinen guten Einfluss auf die Arbeitskultur hätten. Als ob Frauen qua ihres Geschlechts den Rubel zum Rollen bringen könnten. Mit einer so simplizistischen Argumentation wird eine zu Recht kritisierte Macho-Kultur nur unter veränderten Vorzeichen neu aufgelegt. Weiterhin werden Menschen über ihr Geschlecht definiert anstatt sie als Individuen wahrzunehmen, deren Persönlichkeit sich durch die unterschiedlichsten Faktoren herausbildet.

Das Elend mit den Stereotypen

Ebenso ist es auch eine Unverschämtheit gegenüber Frauen, die in dieser Darstellung nicht aufgrund ihrer jeweiligen Persönlichkeit, ihrer Begabungen und Leistungen zu einem besseren Arbeitsklima beitragen und den ökonomischen Erfolg sichern, sondern aufgrund ihres Geschlechts. Das X- oder Y-Chromosom wird dann zum bestimmenden Element im Leben des Menschen, nicht das, was Frau Schulte sich erarbeitet hat, wo sie sich um freundlichen Umgang bemüht hat oder wo sie eine innovative Idee hatte.

Mit solchen plakativen Aktionen erweisen die Ministerien dem Anliegen, Frauen vor Benachteiligung zu schützen, einen Bärendienst. Sie lassen Frauen als Menschen dastehen, die einer regierungsamtlichen Unterstützung bedürfen, um endlich in die Positionen zu kommen, die ihnen zustehen, weil sie als Frauen einen wichtigen Beitrag leisten können. Das ist nur die sich modern gerierende Variation zu: „Die Frau ist ihrem Wesen nach bestimmt zur treusorgenden Mutter, die am heimischen Herd die Familie zusammenhält“. Stereotyp bleibt eben Stereotyp – aus welcher Haltung heraus auch immer er vertreten wird.

Der Wert des Individuums

Die Antwort auf pauschale Diskriminierung von Menschen kann nicht sein, sie durch ebensolche unter veränderten Vorzeichen zu ersetzen. Die Antwort muss der Kampf gegen jede Art von Pauschalurteilen und kollektivistischen Vorstellungen von Menschen sein. Denn die Quelle für den Wert, den jede einzelne Person darstellt, ist weder sein Geschlecht, noch seine Rasse, noch irgendein anderes Schubladen-Kriterium. Der Wert liegt in der Individualität und Einzigartigkeit des Menschen begründet.

Wenn Lokführer der Bahn und bald auch die Piloten der Lufthansa wieder die Arbeit niederlegen, gilt es buchstäblich innezuhalten. Dann steht wieder ganz Deutschland im Stau, kommt zu spät zur Arbeit und Millionen von Bürgern werden in Geiselhaft genommen, um die Ziele einiger wenigen durchzusetzen.

Dann sagen die einen: „Das Streikrecht ist auf den Barrikaden der Arbeiterkämpfe vor 150 Jahren mit Blut und Tränen erkämpft worden“. Wieder andere meinen: „Wie sollen sich die Arbeitnehmer sonst gegen die Übermacht der Arbeitgeber wehren?“ Und nochmals andere posaunen: „Die Koalitionsfreiheit ist im Grundgesetz geschützt und deshalb ist der Streik das legitime Mittel zur Durchsetzung von Gewerkschaftsforderungen.“

In einer solch emotional aufgeladenen Stimmung ist es hilfreich einmal über den Tellerrand zu schauen. Wie machen es andere? Können wir von diesen vielleicht sogar lernen? Das Land mit den wenigsten Streiktagen ist unser südlicher Nachbar, die Schweiz. Dort fiel durchschnittlich pro 1000 Beschäftigte lediglich ein Arbeitstag durch Streiks aus, in Deutschland waren es 16 (Quelle: WSI 2014, Hans-Böckler-Stiftung 2014). Die Schweiz hat Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosigkeit lag 2014 bei 3,3 Prozent. Ist die geringe Streikbereitschaft der Schweizer Arbeitnehmer vielleicht sogar die Ursache für die Vollbeschäftigung?

Sicherlich ist der Zusammenhang nicht monokausal, aber völlig abwegig ist er auch nicht. Rund die Hälfte der Schweizer Arbeitnehmer darf gar nicht streiken. Sie sind einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt, bei dem eine strenge Friedenspflicht gilt, die so tief in der eidgenössischen Gesellschaft verwurzelt ist, wie vielleicht nur noch die außenpolitische Neutralität der Schweiz. Der wesentliche Unterschied zu Deutschland ist, dass das Tarifkartell aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bei weitem nicht diese dominierende Bedeutung hat. Zwar kennt auch die Schweiz ein kollektives Arbeitsrecht, bei dem Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften einen Rahmentarifvertrag verhandeln, doch anders als in Deutschland sind Gehaltsverhandlungen und Einstufungen von Arbeitnehmern nicht die Aufgabe der Tarifpartner, sondern individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den jeweiligen Betrieben. Die Schweiz kennt im Wesentlichen nur Informationspflichten des Unternehmens gegenüber der Mitarbeitervertretung oder den Beschäftigten. Ein Mitwirkungsrecht wie es das Deutsche Arbeitsrecht kennt, ist dort fremd.

Führt dies zur Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeitnehmer, weil sie weniger Macht gegenüber der „Kapitalseite“ haben? Nein, ganz im Gegenteil. Die Flexibilität des Schweizer Arbeitsmarktes ist nicht nur für den Arbeitgeber gut, sondern auch für die Arbeitnehmer.

Sie können sich ihren Arbeitsplatz aussuchen, leichter höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Anders als in Deutschland kündigen daher in der Schweiz viele Arbeitnehmer, ohne vorher einen neuen Arbeitsplatz zu haben.

Wenn jetzt die Regierung eine Monopolisierung der Lohnfindung durch ein Tarifeinheitsgesetz durchsetzen will, um dem Arbeitgeberverband und den Deutschen Gewerkschaftsbund zu gefallen, geht dies in die falsche Richtung. Es zementiert die Gewerkschaftsmacht gegenüber den Kunden des Unternehmens, aber auch gegenüber den Arbeitnehmern. Sie werden faktisch zu einer Mitgliedschaft in der mitgliederstärksten Gewerkschaft genötigt. Der Preis dafür ist hoch. In wenig wettbewerbsintensiven Märkten, wie dem Bahn- oder Luftverkehr, bekommen die Großgewerkschaften plötzlich ein Erpressungspotential in die Hand, das vielleicht den Egoismus der Spartengewerkschaften einschränkt, aber dennoch die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen auf Dauer gefährdet. Denn die Kunden können und werden die Leistungen der Bahn substituieren, indem sie mit Fernbussen oder Auto fahren. Und Passagiere der Lufthansa wechseln zu Wettbewerbern, die verlässlicher und preiswerter sind. Deshalb ist das non-zentrale Modell der Lohnfindung in der Schweiz unserem Modell des gesetzlich zementierten Tarifkartells überlegen – nicht nur was die geringe Zahl der Streiktage betrifft. Es schafft vor allem mehr Vertragsfreiheit auf beiden Seiten und stärkt damit die individuelle Freiheit.

Wenn am 1. Mai auf den hiesigen Marktplätzen die verbalen Schlachten des Klassenkampfes von gestern geschlagen werden und am Schluss das alte Arbeiterlied: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ geträllert wird, sollten Freiheitsfreunde in Nah und Fern das Lied der Sportfreunde Stiller „New York, Rio, Rosenheim“ anstimmen. Dort heißt es: „Wir woll’n nicht Leben wie ein eingerollter Igel; wir leben unser Leben und das Göttliche in jedem. Sie schüren Angst und Frust, wir haben darauf keine Lust.“

Photo: Holger Wirth from Flickr