Photo: Sumarie Slabber from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues

Alarmierende Berichte über „Wohnungsmangel“ oder gar „Wohnungsnot“ können beim Leser den Eindruck entstehen lassen, pro Person sei der Wohnraum in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft. Daten des Statistischen Bundesamts sprechen eine andere Sprache. Die Wohnfläche pro Einwohner ist vor allem in den neuen Bundesländern, aber auch im früheren Bundesgebiet in den vergangenen 30 Jahren deutlich gestiegen und befindet sich derzeit auf Rekordniveau. Dass wir heute auf deutlich größerem Fuße als in der Vergangenheit leben, ist ein gut sichtbarer Beleg für die erfolgte Wohlstandssteigerung. Damit es auch auf diesem Feld zu weiterem Fortschritt kommt, sollten die Anreize zum Wohnungsbau gestärkt werden, auch durch temporär höhere Mieten in beliebten Gebieten.

Bundesbauministerin Hendricks: „Wohnungsnot“

Nach der Diskussion um die bisher anscheinend wirkungslos gebliebene Mietpreisbremse gewann angesichts der vielen Zuwanderer in diesem und im vergangenen Jahr die Debatte über die Situation auf dem Wohnungsmarkt wieder an Fahrt. Bundesbauministerin Hendricks spricht von einer „Wohnungsnot“ und wünscht sich eine Änderung des Grundgesetzes, sodass der Bund auch über das Jahr 2019 hinaus die Bundesländer im sozialen Wohnungsbau finanziell unterstützen kann.

Wohnfläche pro Person: Deutlicher Anstieg

Die Ausführungen von Hendricks und anderen Politikern lassen vermuten, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt heute schlechter wäre denn je. Wie so häufig, lohnt sich auch in diesem Fall ein Blick auf nüchterne Daten.

 

 

Das Statistische Bundesamt hält Informationen zur Wohnungsanzahl, zur gesamten Wohnfläche und zur Wohnfläche pro Einwohner bereit. Auf dem heutigen Gebiet der BRD standen Ende 1987 in 33 Millionen Wohnungen pro Person durchschnittlich etwas weniger als 35 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Zum Jahresende 2015 waren es bei einer um etwa 4 Millionen Personen gewachsenen Bevölkerung von 82 Millionen durchschnittlich etwas mehr als 46 Quadratmeter in 41,5 Millionen Wohnungen. Der Anstieg der Wohnfläche pro Person um etwa ein Drittel lässt bereits vermuten, dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt heute im Vergleich zur Vergangenheit nicht allzu prekär ist.

Wohnfläche pro Einwohner: Stärkerer Anstieg im Osten

Auch die Daten für das frühere Bundesgebiet im Vergleich zu den neuen Ländern inklusive Berlin sind aufschlussreich. 1987, also noch zu Zeiten der DDR, war der Wohnraum pro Person im früheren Bundesgebiet knapp 40 % größer als im Osten. Dieses Ergebnis überrascht nicht und untertreibt angesichts der höherwertigen Bausubstanz im Westen den Unterschied noch.

 

Möglicherweise überraschender ist die Entwicklung nach 1987. Die neuen Länder haben in Bezug auf die Wohnfläche pro Einwohner deutlich aufgeholt. Pro Einwohner ist der Wohnraum heute im früheren Bundesgebiet nur noch knapp 9 % größer als in den neuen Ländern und Berlin.

Nicht explizit berücksichtigt wird bei dieser Darstellung, dass über den betrachteten Zeitraum viele Menschen aus den neuen Bundesländern abgewandert und vom Land in die Städte gezogen sind. Dennoch deuten diese Zahlen darauf hin, dass sich der Anstieg unseres Wohlstandes auch in größeren Wohnungen widerspiegelt und die Situation auf dem Wohnungsmarkt weniger dramatisch ist als von Politikern aller Couleur dargestellt.

Bei vielen Politikern führen steigende Mieten und Klagen darüber leider noch immer zur schnellen Forderung nach einem Eingreifen des Staates in das Marktgeschehen. Sie wünschen sich den Staat als mittelbaren oder unmittelbaren Bereitsteller von Wohnungen und fordern regelmäßig zusätzliche Einschränkungen der Vertragsfreiheit auf dem Wohnungsmarkt – etwa durch Preiskontrollen.

Wohngutscheine statt sozialem Wohnungsbau und …

Während die Wohnfläche von 2002 bis 2013 um etwa 15 % stieg, fiel die Anzahl öffentlich geförderter Sozialwohnungen in Deutschland von über 2,5 auf unter 1,5 Millionen. Beide Entwicklungen sind zu begrüßen. Aus der unmittelbaren und mittelbaren objektbasierten Förderung von sozialem Wohnungsbau sollte sich der Staat vollständig zurückziehen.

Weder sollte der Staat ausgewählte Produzenten von Sozialwohnungen fördern, noch sollte er selbst als Anbieter von Sozialwohnungen auftreten. Die Anreizstruktur, der die Mitarbeiter des Staates ausgesetzt sind, lässt den Staat gerade nicht erfolgreich als Unternehmer agieren.

Wird eine zusätzliche Unterstützung hilfsbedürftiger Personen in Bezug auf den Wohnungsmarkt für geboten erachtet, sollte die Unterstützung mithilfe objektunabhängiger Wohngutscheine erfolgen.

Im Vergleich zu sozialem Wohnungsbau bringen Wohngutscheine viele Vorteile mit sich. Erstens, die Förderung erfahren ausschließlich Personen, die bedürftig sind. Zweitens, Wohngutscheine lassen ihren Nutzern mehr Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Ausstattung, Lage und Größe ihrer Wohnung. Drittens, Nutzer von Wohngutscheinen können die Gutscheine mit zusätzlichen Zahlungen aus ihrem Budget aufstocken. Viertens, es ist weniger wahrscheinlich, dass einzelne Mietshäuser, Straßenzüge und Stadtteile vornehmlich von Empfängern staatlicher Hilfsleistungen bewohnt werden und möglicherweise „soziale Brennpunkte“ entstehen.

… keine Preiskontrollen

Anstatt die unerwünschten Nebenwirkungen von Preiskontrollen in Kauf zu nehmen, um die offiziellen Mieten niedrig zu halten, sollte Anbietern und Nachfragern die Möglichkeit gegeben werden, Marktpreise als verlässliche Informationssignale zu nutzen. Hohe derzeitige und zukünftig erwartete Mieten in beliebten Wohnvierteln eignen sich vorzüglich als Anreiz, zusätzlichen Wohnraum entstehen zu lassen.

Neuer Wohnraum entsteht dann gerade dort, wo sich aus Sicht potentieller Investoren angesichts derzeitiger Preise für Grundstücke und Immobilien sowie der erwarteten zukünftigen Nachfrage nach Wohnungen der (Aus-)Bau lohnt.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Lars Plougmann from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Deutschland 2005, Belgien 2010-2011, USA 2013, Spanien 2016: Auch in etablierten Demokratien kommt es vor, dass Regierungen zeitweise einen erheblichen Teil ihrer Kompetenzen verlieren oder sich ganz auf repräsentative Tätigkeiten beschränken müssen. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: In Spanien verhindert politischer Streit seit Dezember 2015 die Regierungsbildung. Periodisch droht vor den Haushaltsverhandlungen in den USA der „government shutdown“, die Stilllegung aller nicht-essentiellen Regierungsbehörden – 2013 mussten tatsächlich einige Behörden ihre Arbeit einstellen. Nach den belgischen Wahlen 2010 musste die Vorgängerregierung 589 Tage lang kommissarisch im Amt bleiben, da im fragmentierten Parlament keine Mehrheit gefunden werden konnte. Auch in Deutschland stellte nach dem Misstrauensvotum im Juli 2005 die rot-grüne Koalition unter Schröder die Regierungsgeschäfte praktisch ein, bis ein halbes Jahr später die Regierung Merkel gebildet wurde.

Kommentatoren warnen in solchen Situationen regelmäßig davor, dass „politische Instabilität“ enorme wirtschaftliche Kosten nach sich ziehen wird, etwa in Form eines geringeren BIP-Wachstums, schwächeren Investitionen oder höherer Arbeitslosigkeit. Im Nachhinein stellen sich viele Sorgen jedoch als übertrieben heraus. Weder über kurze Zeitabstände – wie in Deutschland nach Schröders Vertrauensfrage 2005 – noch über lange Zeiträume – wie in Belgien ab 2010 – litt die Wirtschaft unter der Regierungsstarre. In manchen Fällen geschieht gar das Gegenteil: Spanien wächst seit Mitte 2015 so stark wie schon lange nicht mehr.

Diese Erfahrungen provozieren die Frage: Wächst die Wirtschaft trotz oder wegen der Regierungslosigkeit? Empirische Studien, die den kausalen Effekt von Regierungslosigkeit auf die wirtschaftliche Entwicklung identifizieren könnten, sind uns nicht bekannt. Entgegen der Befürchtungen vieler Kommentatoren bestehen allerdings gute Gründe dafür, dass zeitlich begrenzte Regierungslosigkeit den Bürgern wirtschaftlich nicht schadet und ihnen sogar nützlich sein kann.

Belgien: Ohne Regierung durch die Krise

Nach den allgemeinen Wahlen im Juni 2010 gelang es den politischen Parteien Belgiens 589 Tage lang nicht, eine neue Regierung zu bilden. Die Vorgängerregierung blieb über diesen Zeitraum kommissarisch im Amt, sah sich jedoch weitgehend auf repräsentative Tätigkeiten reduziert. Ihre Hauptaufgabe war es, das Land nach außen zu repräsentieren. Innenpolitisch wurde Belgien praktisch nicht regiert. An Warnungen vor dem großen Wirtschaftseinbruch mangelte es nicht und das Top-Rating belgischer Schuldpapiere geriet in Gefahr.

Eingetreten ist das Gegenteil: Trotz Eurokrise hat sich Belgien gut entwickelt. Das BIP wuchs 2010 um 2,7 und 2011 um 1,8 Prozent, schneller als durchschnittlich in der Euro-Zone. Vereinzelt wurde dies darauf zurückgeführt, dass Belgien ohne handlungsfähige Regierung weniger Austeritätsmaßnahmen umsetzen konnte. Weder umfangreiche Steuererhöhungen noch substantielle Kürzungen der Staatsaufgaben, die sich in der kurzen Frist beide negativ auf das BIP ausgewirkt hätten, konnten auf nationaler Ebene vorgenommen werden. Insbesondere nicht erfolgte Steuererhöhungen mögen in der kurzen und mittleren Frist von Vorteil für die belgische Bevölkerung gewesen sein.

 

 

Regierungslosigkeit bedeutet nicht politische Instabilität

Es gibt Hinweise darauf, dass der Ausfall der Funktionsfähigkeit des Staates – ausgelöst durch Putsche, Revolutionen oder Verfassungskrisen – für das Wirtschaftswachstum langfristig schädlich ist. Der drohende oder tatsächliche Kollaps von Staat, Verwaltung und Gewaltmonopol führt dazu, dass Unternehmen und Konsumenten sich nicht mehr darauf verlassen können, dass die Kernaufgaben des Staates als Inhaber der Gewaltmonopols erfüllt werden – die Landesverteidigung, der Schutz von Personen und Eigentum und die Durchsetzung von Verträgen. Dass solche Leistungen verlässlich erbracht werden, ist für komplexe, arbeitsteilige Wirtschaften essentiell.

Auch wenn Situationen, in denen keine Regierung gebildet werden kann, als Zeiten politischer Instabilität charakterisiert werden, impliziert Regierungslosigkeit nicht den Ausfall der Funktionsfähigkeit des Staates. Das bloße Fehlen einer Regierung bedeutet eben nicht, dass die Kernaufgaben des Staates unerfüllt bleiben. Tatsächlich kann der Staat auch ohne Regierung über lange Zeiträume erstaunlich gut funktionieren.

Die Planungssicherheit der belgischen Bürger hat unter der anderthalbjährigen Regierungsstarre offensichtlich nicht gelitten. Sie haben weiter gewirtschaftet wie zuvor und konnten sich auf einen funktionierenden Staatsapparat verlassen.

Weniger Regulierung ohne Regierung

Während die Nichterfüllung essentieller Staatsaufgaben zu höherer Unsicherheit und geringerer wirtschaftlicher Aktivität beiträgt, gilt dies für den Wegfall anderer staatlicher Aktivitäten nicht zwingend. Über die Bereitstellung öffentlicher Güter hinaus, betätigen sich Regierungen heute intensiv in der Schaffung neuer Regulierungen. Viele dieser Maßnahmen bremsen das Wirtschaftswachstum und können die Kompetenzen des Staates auf Bereiche ausweiten, in denen er gegenüber privaten Akteuren keinen komparativen Vorteil hat. Zwar werden auch ohne Regierung bereits bestehende Regulierungen weiter angewandt, doch kommen neue nicht oder nur in geringerem Umfang hinzu.

Nicht nur bereits umgesetzte Regulierungsmaßnahmen, sondern auch die Unsicherheit über zukünftige Maßnahmen können sich schädlich auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Unternehmer und Konsumenten, die angesichts einer aktionistischen Regierung das Timing und das Ausmaß zukünftiger Regulierung nicht abschätzen können, reduzieren ihre wirtschaftliche Aktivität. In Zeiten der Regierungslosigkeit oder lediglich kommissarisch tätiger Regierungen wird das Planungsumfeld der Bürger dagegen sicherer.

Immuner durch Dezentralisierung und Privatisierung

In manchen Situationen kann Regierungslosigkeit auf nationaler Ebene dennoch ein Problem darstellen, insbesondere, wenn sie länger andauert. Das ist dann der Fall, wenn Krisen und veränderte Rahmenbedingungen eine schnelle Reaktion der Politik erforderlich machen oder die Folgekosten der Entscheidungen von Vorgängerregierungen untragbar werden.

Gegen gravierende negative Auswirkungen durch die Handlungsunfähigkeit der nationalen Regierung können sich Gesellschaften jedoch wappnen. Werden Entscheidungskompetenzen dezentralisiert, so ist die Regierungsstarre auf einzelnen Ebenen weniger folgenreich. In eher föderalen Ländern ist das Fehlen einer zentralen Regierung besonders unproblematisch.

Auch die Schaffung weiterer privater Alternativen zu staatlichen Angeboten kann helfen, die negativen Folgen der Regierungslosigkeit abzufedern. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn staatliche Angebote nur deshalb wegfallen, weil sie zuvor gesetzlich monopolisiert wurden – und nicht etwa, weil entsprechende privatwirtschaftlich organisierte Angebote in Abwesenheit staatlicher Leistungen nicht bereitgestellt würden.

Selbst Ländern wie Spanien und Belgien, in denen die regionale Autorität der Provinzen weniger stark ausgeprägt ist als die der Bundesländer in Deutschland, scheint sich eine temporäre Regierungslosigkeit auf nationaler Ebene nicht zu Staatskrisen auszuweiten. Weder schränken Unternehmen und Konsumenten ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ein, noch fallen essentielle staatliche Angebote weg. Eine weitreichendere Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen könnte dazu beitragen, dass die Regierungslosigkeit auf nationaler Ebene nicht nur in ruhigen Zeiten ihren Schrecken verliert, sondern auch in Krisenzeiten.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Wikimedia Commons

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Julian Reichardt, Student der Volkswirtschaftslehre an der Humboldt Universität zu Berlin.

Das Bundesfinanzministerium prognostiziert auch für die kommenden Jahre neue Rekordsteuereinnahmen. Die Zeit für Steuersenkungen scheint also gekommen. Während der Wirtschaftsflügel der CDU mit Blick auf die Bundestagswahlen 2017 niedrigere Einkommensteuersätze für alle Einkommensklassen in Aussicht stellt, möchten Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei ausschließlich Gering- und Mittelverdiener entlasten – und Besserverdiener durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes stärker zur Kasse bitten. Angesichts der unterschiedlichen Steuerpläne lohnt ein näherer Blick auf die Verteilung der Einkommensteuerschuld. So wird beispielsweise deutlich, dass bereits heute die einkommensstarke Hälfte der Steuerpflichtigen für knapp 90 Prozent der gesamten Einkommensteuer aufkommt. Deshalb müssen sie schwächer besteuert werden, wenn die Belastung der Steuerzahler durch die Einkommensteuer merklich reduziert werden soll.

Steueraufkommen, Einkommensquellen und Tarifverlauf

Die letzte umfangreiche Analyse zu den Verteilungseffekten der Einkommensteuer stammt aus dem Jahr 2013. In dem vom statistischen Bundesamt herausgegebenen Lohn- und Einkommensteuerbericht wird das Aufkommen der Einkommensteuer für 2012 mit 213 Milliarden Euro beziffert, etwa ein Drittel des gesamten Steueraufkommens.

Die wichtigsten Bemessungsgrundlagen waren Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit mit einem Anteil von 74 Prozent, gefolgt von gewerbebetrieblichen Einkommen mit einem Anteil von 11 Prozent sowie Einkommen aus selbständiger Arbeit mit einem Anteil von 6 Prozent.

Ab einem zu versteuernden Einkommen von 8.653 Euro ist der Durchschnittssteuersatz größer als null. Bei einem Einkommen von 53.666 Euro beträgt er 28 Prozent, wobei der zweithöchste Grenzsteuersatz in Höhe von 42 Prozent zur Anwendung kommt. Der Grenzsteuersatz von 42 Prozent wird für einen abhängig-beschäftigter Single also schon bei einem Bruttogehalt von etwa 65.000 Euro fällig.

Vielverdiener werden überproportional stark belastet

Die Anzahl der Steuerpflichtigen, die im Jahr 2012 Einkommensteuer zahlten, lag bei 22,5 Millionen. Sie setzt sich zusammen aus 11 Millionen steuerpflichtigen alleinstehenden Personen und 11,5 Millionen steuerlich gemeinsam veranlagten Ehepaaren. Insgesamt zahlten also 2012 rund 34 Millionen Personen Einkommensteuer.

Ein Einkommensmillionär – also ein Steuerpflichtiger mit einem zu versteuerndem Einkommen von über 1 Millionen Euro – verdiente 2012 etwa 38 Mal so viel wie der Medianverdiener mit einem zu versteuerndem Einkommen von 26.152 Euro. Allerdings zahlte der Einkommensmillionär aufgrund des progressiven Steuertarifs auch etwa 127 Mal so viel an Einkommensteuer.

Den Effekt der Progression auf die Verteilung der Steuerschuld veranschaulicht auch der Vergleich zweier Gini-Koeffizienten. Der Gini-Koeffizient misst die relative Konzentration einer Verteilung. Haben alle Personen gleich viel, nimmt der Gini-Koeffizient den Wert Null an – hat eine Person alles, den Wert Eins. Während der Gini-Koeffizient der zu versteuernden Einkommen 2012 bei 0,48 lag, belief sich der Gini-Koeffizient der Einkommensteuerzahlungen auf 0,67.

Ein kleiner Teil zahlt den Löwenanteil

2012 zahlte das einkommensstärkste Prozent aller Steuerpflichtigen etwas mehr als ein Fünftel der Einkommensteuer. Die einkommensstärksten 10 Prozent stemmten circa die Hälfte und die einkommensstärksten 50 Prozent kamen für etwa 88 Prozent der Einkommensteuer auf. Die untersten 50 Prozent zahlten dagegen lediglich um die 12 Prozent der gesamten Steuerschuld und die untersten 20 Prozent circa 2 Prozent.

Die Darstellung oben berücksichtigt nur Personen, die 2012 Einkommensteuer schuldeten. Wie sehr Personen mit hohen Einkommen bereits heute zum Aufkommen der Einkommensteuer beitragen, wird noch deutlicher, wenn die Verteilung der Einkommensteuerschuld auf alle Personen über 14 Jahre betrachtet wird. Diese Gruppe umfasst alle Menschen im erwerbsfähigen Alter und Rentner, zusammen etwa 70 Millionen Personen.

Werden alle 70 Millionen potentiell Steuerpflichtigen berücksichtigt, kamen die 10 Prozent einkommensstärksten von ihnen im Jahr 2012 für etwa 72 Prozent der festgesetzten Einkommensteuer auf, das einkommensstärkste Prozent für rund 28 Prozent.

Angesichts der von Vertretern einiger Parteien angeführten Argumente ist fraglich, ob sich alle an der Diskussion Beteiligten dessen bewusst sind. Wenn die 7 Millionen einkommensstärksten Steuerzahler 72 Prozent der Einkommensteuerschuld tragen, scheint sich nur schwerlich argumentieren zu lassen, sie würden im Rahmen der Einkommensteuer keinen angemessenen Beitrag zur Finanzierung staatlicher Aktivitäten leisten.

Nur wer Einkommensteuer zahlt, kann entlastet werden

Da die einkommensstarke Hälfte der Steuerpflichtigen etwa 88 Prozent der Einkommensteuer beiträgt, lässt sich eine merkliche Entlastung der Steuerzahler im Rahmen der Besteuerung von Einkommen nur herbeiführen, wenn ebenjene relativ einkommensstarken Mitglieder der Gesellschaft schwächer besteuert werden.

Viele einkommensschwache Personen können durch eine niedrigere Besteuerung von Einkommen nicht maßgeblich weiter entlastet werden. Als abhängig Beschäftigte führen sie zwar über 30 Prozent ihres Einkommens in Form von Sozialversicherungsbeiträgen an den Staat ab, zahlen aber schon heute relativ wenig Einkommensteuer. Mit steigendem Einkommen nimmt die relative Belastung durch die Einkommensteuer zu, während der Anteil der Sozialversicherungsbeiträge zunächst konstant bleibt, um bei Einkommen über den Beitragsbemessungsgrenzen abzunehmen.

Steuerentlastung durch Flat Tax

Während konstante Steuersätze das dominierende Element des deutschen Steuersystems sind, ist die Einkommensteuer die einzige große Einnahmequelle des Staates mit progressivem Tarifverlauf. Eine Steuersenkung könnte hier ansetzen und derart gestaltet werden, dass auch der Grenzsteuersatz der Einkommensteuer in Zukunft konstant verläuft.

Eine solche „Flat Tax“ zeichnet sich dadurch aus, dass sie sowohl leicht verständlich und mit wenig Aufwand zu administrieren ist als auch effizient, weil sie Ausweichreaktionen der Besteuerten minimiert, die im derzeitigen Einkommensteuersystem durch unterschiedliche Grenzsteuersätze hervorgerufen werden. Zudem kann der Durchschnittssteuersatz einer Flat Tax durch Freibeträge einen steigenden Verlauf haben, ohne ihre Einfachheit und effizienzfördernde Wirkung maßgeblich zu beschneiden.

Kombiniert werden könnte der Wechsel zu einer Flat Tax mit einer grundlegenden Neuausrichtung des Steuersystems. Ein verbrauchsorientiertes Steuersystem, in dem ausschließlich Arbeitseinkommen und Konsum besteuert werden, wäre vorzuziehen. Denn die heutige umfassende Besteuerung von Einkommen aus allen Quellen bringt eine Bestrafung von Sparern mit sich, die mit ihrem heutigen Konsumverzicht Investitionen in den Kapitalstock finanzieren.

Es gibt empirische Hinweise darauf, dass höhere Einkommensteuern und ein höherer Anteil von Konsumsteuern am Steuermix positiv mit Wirtschaftswachstum korreliert sind. Deshalb können sowohl von einer Steuerentlastung per Wechsel zur Flat Tax als auch durch einen Wechsel zur verbrauchsorientierten Besteuerung positive Wachstumsimpulse erwartet werden.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Wikimedia Commons

Von Prof. Dr. Thomas Mayer, Kuratoriumsvorsitzender von “Prometheus” und Gründungsdirektor des “Flossbach von Storch Research Institute”.

Eine der ältesten und gleichzeitig wichtigsten Einsichten der Volkswirtschaftslehre ist die Erkenntnis der Vorteile der Arbeitsteilung. Wenn sich jeder in der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen auf das konzentriert, was er am besten kann, und das von anderen eintauscht, was er selbst nicht herstellt, ist die Wohlfahrt aller sehr viel größer, als wenn jeder nur für den Eigenbedarf produziert. Und was für den Einzelnen in einem Land gilt, gilt auch für ganze Länder. Freier Handel zwischen den Ländern erhöht die Wohlfahrt aller Bürger dieser Länder. Kaum eine theoretische volkswirtschaftliche Erkenntnis ist durch die Wirklichkeit eindrucksvoller bestätigt worden als diese. Dennoch sind heute die Gegner des internationalen Freihandels im politischen Aufwind. Das zeugt von erstaunlicher Unkenntnis nicht nur über die wirtschaftlichen Vorzüge des Freihandels, sondern auch über den Zusammenhang zwischen Handel und Kapitalverkehr.

Freihandel schafft Gewinner und Verlierer. Die Begabten und Fleißigen können ihr Tätigkeitsfeld auf Kosten der weniger Begabten und Fleißigen ausweiten. Die zweite Gruppe versucht natürlich, sich gegen Konkurrenz von der ersten zu schützen. Sind beide Gruppen ungleich zwischen den Ländern verteilt, kann die Mehrheit der weniger Begabten und Fleißigen in einem Land Handelsbarrieren gegen die Begabteren und Fleißigeren im anderen Land organisieren. Dabei hilft ihr, wenn statt der auf Regeln fußenden Staatsform des liberalen Rechtsstaats die Staatsform der zweckorientierten Organisation der Gesellschaft besteht. Im zweckorientierten Staat versuchen starke Interessengruppen die Politik der Regierung zu bestimmen. Seit der Finanzkrise ist dies den Verlierern des Freihandels in einigen Ländern recht gut gelungen. Diese Verlierer versprechen sich von Importzöllen und anderen Handelshemmnissen Schutz vor ausländischer Konkurrenz. Doch sie übersehen, dass sie damit keine Änderungen der Handelsbilanzen erreichen können.

Vorübergehende Ungleichgewichte können im Handel auftreten, wenn es möglich ist, diese zu finanzieren. Eine Seite kann mehr Güter liefern als die andere, wenn sie von dieser Seite Zahlungsmittel statt anderer Güter annimmt. Der Ökonom und Finanzminister in der österreichischen Donaumonarchie Eugen von Böhm-Bawerk sah in den Finanzierungsmöglichkeiten die Ursache für Handelsungleichgewichte: „Die Zahlungsbilanz befielt, die Handelsbilanz folgt, nicht umgekehrt.“ Mit Zahlungsbilanz und Handelsbilanz meinte er das, was wir heute Kapital- und Leistungsbilanz nennen.

Sind die Kapitalströme das Ergebnis der Entscheidungen der Wirtschaftsakteure, kann man davon ausgehen, dass der Aufbau von Zahlungsmitteln durch Leistungsbilanzüberschüsse in der Gegenwart dazu dient, Leistungsbilanzdefizite in der Zukunft zu finanzieren. Werden jedoch die Kapitalströme von staatlichen Zentralbanken manipuliert, sind auch die sich daraus ergebenden Handelsströme politisch manipuliert. Heute werden die globalen Kapitalströme wesentlich von der Geldpolitik der Zentralbanken der USA, Japans, des Euroraums und in geringerem Maß Chinas beeinflusst. Da die Zinsen in Japan und im Euroraum von den dortigen Zentralbanken weit unter die Zinsen in den USA gedrückt wurden, fließt den USA Kapital zu. Die Defizite in den Kapitalbilanzen bestimmen die Überschüsse in den Leistungsbilanzen dieser Länder, und der Überschuss der Kapitalbilanz der USA bedingt das Defizit der Leistungsbilanz dort.

Der Zusammenhang ist in der unten stehenden Grafik für den Euroraum illustriert. Die Kapitalbilanz entwickelte sich im betrachteten Zeitraum von 2005 bis 2017 entsprechend der Differenz der Renditen auf zweijährige Bundesanleihen und US Staatsanleihen gleicher Laufzeit (wobei der deutsche und der amerikanische Zins für den jeweiligen Eckzins im Euroraum und in der Welt stehen). Als die Zinsdifferenz 2008-09 nach aggressiven Zinssenkungen der Federal Reserve vorübergehend zu Gunsten Deutschlands stieg, drehte die Kapitalbilanz in den positiven Bereich. Spiegelbildlich dazu wies die Leistungsbilanz ein Defizit auf. Mit dem Rückgang der Zinsdifferenz aufgrund der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank fiel auch der Überschuss der Kapitalbilanz und drehte in der jüngeren Vergangenheit in ein hohes Defizit. Dem entsprechend stieg der Überschuss der Leistungsbilanz. Dabei dürfte die Zinsdifferenz die Zahlungsbilanz über zwei Wirkungskanäle beeinflusst haben. Zum einen hat die Zinsdifferenz zu Ungunsten Deutschlands den Wechselkurs des Euro gedrückt und so die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im Euroland erhöht. Zum anderen dürfte die Zinsdifferenz zu einer Umleitung der Investitionen ins Ausland und damit zu einer Schwächung der Inlandsnachfrage geführt haben.

Euroraum: Zahlungsbilanz und Zinsdifferenz (Deutschland – USA) (2005 1.Vj. – 2017 1.Vj.)

Quelle: Haver Analytics

Solange die Kapitalströme sich nicht verändern, werden protektionistische Maßnahmen auch nicht die Leistungsbilanzen verändern können. Erhöhen die USA die Importzölle, wie von den Anhängern Donald Trumps gewünscht, muss der Wechselkurs des Dollars steigen, so dass das Leistungsbilanzdefizit weiterhin dem Überschuss in der Kapitalbilanz entsprechen kann. Doch kann sich natürlich die Zusammensetzung der Importe ändern, wenn die Zölle nur auf bestimmte Produkte erhoben werden. Möglicherweise werden dadurch die geschützten Bereiche besser, aber dafür andere Bereiche schlechter gestellt werden.

Es ist also sinnlos, Leistungsbilanzungleichgewichte, die durch Ungleichgewichte der Kapitalverkehrsbilanzen bestimmt sind, durch Handelsprotektionismus korrigieren zu wollen. Wer sich an diesen stört, sollte vielmehr die Zentralbanken dazu bringen, ihre Manipulation der Zinsen und die daraus folgenden Verzerrungen der internationalen Kapitalströme zu beenden. Können sich die Zinsen wieder am Markt bilden, dann kommt es zu Kapitalverkehrsbilanzen, die die Wünsche der Wirtschaftsakteure widerspiegeln, vorübergehende Ungleichgewichte im Handel von Gütern und Dienstleistungen finanziell zu überbrücken.

 

Photo: Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0) 

Henning Lindhoff ist Redakteur beim Institut für Vermögensentwicklung IFVE.

Die Welt hat sich grundlegend verändert. Heute sind wir in der Lage, Erfahrungen zu machen, ohne dazu mehr Besitz anhäufen zu müssen. Dies gilt für immer mehr Branchen und Lebensbereiche. Copy. Paste. Share. Like. Was sind Waren noch wert, die in Windeseile im Netz verteilt werden können?

Zugang statt Eigentum

Es ist noch gar nicht allzu lange her, da war es noch notwendig, große Mengen an CDs, DVDs, Schallplatten, VHS-Kassetten, Zeitschriften und anderen Medien innerhalb der eigenen vier Wände zu lagern, wollte man in einer besinnlichen Stunde einmal eine kleines Stück Unterhaltung oder Bildung genießen. In diesen Zeiten war es in manchen Kreisen auch nahezu Pflicht, zumindest eine große Schrankwand voller Bücher zu pflegen, wollte man gegenüber seinen Freunden und Bekannten wenigstens ein klein wenig smart wirken.

Diese Zeiten sind nicht lange her. Nur wenige Jahre hat es gebraucht, diese Sammlungen aus Papier, Vinyl und allerlei anderen Kunststoffen obsolet werden zu lassen. Heute brauchen wir sie nicht mehr, um jederzeit an jedem beliebigen Ort, mittels ein paar kleiner Klicks oder Wischgesten, an genau die Inhalte zu gelangen, von denen wir vor einigen Jahren noch geträumt haben. Wir können nahezu jeden Film sehen, der jemals gedreht wurde, jedes Musikstück hören, das jemals aufgenommen wurde und jeden Satz lesen, den je ein Schriftsteller auf Papier gebannt hat. Und das an jedem beliebigen Ort der Welt. Eine mobile Datenverbindung und genügend Spannung auf dem Akku des genutzten Gerätes vorausgesetzt.Die technologische Entwicklung hat uns die Lage versetzt, mehr Erfahrungen zu machen ohne dabei auch mehr besitzen zu müssen.

Es ist nichts einzuwenden gegen irgendeine Form des Eigentums. Ganz im Gegenteil. Dem Hipster soll nicht seine Schallplattensammlung genommen werden, dem Germanistikprofessor nicht seine Prosasammlung. Ohne Frage hält eine gut gepflegte Sammlung liebgewonnener Stücke Erbaulicheres bereit als ein liebloser Haufen herbeikonsumierter Schnellschüsse. Doch die Medien sind heute nur Vorreiter. Sie ebnen uns den Weg in eine Zukunft des Zugangs.

Ist  das Eigentum nur noch graue Vergangenheit?

Keinesfalls. Das Gegenteil ist wahr. Dank des Zugangs zu einer unendlich scheinenden Welt immaterieller, digitaler Güter erhalten die Dinge, die wir physisch besitzen, einen gleichsam höheren Wert. Sie werden uns bewusster, aussagekräftiger, sinnvoller. Möglich macht dies die digitale Technologie. Nicht mehr länger müssen wir horten, um Wert schöpfen zu können.

Doch in ökonomischer Hinsicht wirft eine solche Welt, in der Zugang das Eigentum  ablöst, einige Fragen auf:

Wie unterscheiden sich die digitalen von den physischen Waren?

Inwiefern kann der Eigentumsbegriff bei digitalen Waren noch greifen?

Was ist der wahre Wert einer digitalen Ware?

Und entfalten die tradierten Produzenten-Nutzer-Beziehungen ihr Wirkung auch in der Welt aus Bits und Bytes?

Und greift der Eigentumsbegriff überhaupt noch bei digitalen Waren?

Digitale Waren sind heute in allererster Linie geistige Waren. Es sind Ideen, Gedanken, Theorien, Texte, Musikstücke, Filme. In unserer Gegenwart, die in immer kürzeren Abständen disruptiven technologischen Revolutionen unterzogen wird, verschieben sich Rollen und Beziehungen zwischen den Marktakteuren. Die digitalen Möglichkeiten zur Kommunikation machen eine zentrale Rechteverwaltung, die den Zugang zu solchen geistigen Waren reglementiert, überflüssig. Jeder in Bits und Bytes gefasster Gedanke kann in Windesweile vervielfältigt und geteilt werden. Copy, Paste, Like und Share.

Das Digital Rights Management (DRM) ist dagegen ein verzweifelter, juristisch getriebener Versuch, die Kontrolle über den Fluss digitaler Waren zu konservieren. Aber womöglich ein letzter. Denn auf der anderen Seite bilden sich immer wieder immer neue Projekte mit dem Ziel, den Warenverkehr im Netz auszubauen. Kostengünstige Flatrates für Musik, Filme und Bücher ermöglichen den Zugang zu digitalen Waren, ohne dass sich Nutzer über Eigentumsrechte überhaupt Gedanken machen.

Waren vor fast 20 Jahren illegale Plattformen wie Napster die Vorreiter, spielen heute auch Big Player längst mit. Das Problem der illegalen Nutzung von Inhalten hat sich dank der massentauglichen Adaption durch Amazon, Apple, Google und Co nahezu von selbst erledigt. Ohne den regulativen Eingriff der Politik.

Daten sind anders als Dinge

Um nun zu ergründen, wie ein Urheberrecht auch im digitale Zeitalter seine Wirkung entfalten kann und sollte, lohnt in genauer Blick auf das Wesen der Daten als Ware.

Geistige Tätigkeit basiert seit Menschengedenken auf der Vorleistung unserer Vorfahren. Wir stehen auf den Schultern von Titanen. In ähnlicher Weise formulierte bereits im Jahr 1120 der Philosoph Bernhard von Chartres diese Erkenntnis.

Jede Adaption einer alten Idee wird gleichsam der Zukunft übereignet. Meme pflanzen sich fort, werden weitergetragen, ausgebaut, angepasst, dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Wer könnte sich wirklich gegen diese Entwicklung wehren? Sie ist Kern des zivilisatorischen Wachstums.

Physische Güter lassen sich im Gegensatz zu Ideen nicht ohne weiteres teilen. Sie werden dabei beschädigt oder gar zerstört, zumindest aber immer kleiner und leichter. Physische Güter eignen sich daher sehr gut zum Besitzen und Tauschen.

Daten und Ideen allerdings werden nicht weniger, wenn man sie teilt. Sie werden dabei auch nicht zerstört. Ganz im Gegenteil. Daten und Ideen werden im Prozess des Teilens wertvoller. Denn in diesem Prozess werden sie hinterfragt, ergänzt und zu neuen weitergehenden Gedanken und Plänen ausgebaut.

Eine beliebig große Menge an Menschen kann von einer digitalen Ware gleichzeitig Gebrauch machen. Im Gegensatz dazu sind physische Güter knapp: Die Benutzung eines physischen Gutes schließt andere von der Nutzung aus. Digitale Waren sind also im Gegensatz zu physischen Gütern nichtrivalisierend.

Dies hat auch Auswirkungen auf die viel größere Welt der physischen Güter. Um lebensnotwendige Waren herzustellen braucht es heute viel weniger Arbeitszeit als früher noch, dafür aber sind ihre Produzenten abhängiger von Informationen. Im Wettbewerb gewinnt heute derjenige, der sich besser informiert und schneller an neue Erkenntnisse anpasst – seien es Kundenwünsche, Produktionsmethoden oder Rohstoffpreise. Im Gegensatz zu früher ist die Produktion physischer Waren nicht mehr so sehr von physischer Arbeit abhängig als von geistiger Arbeit – von Ideen, Daten und ihren Netzen. Nicht mehr Maschinen, Menschen und Rohstoffe sind entscheidend für den Erfolg eines Produkts – alle drei sind dank der Globalisierung an nahezu jedem Ort zu vergleichbaren Konditionen erhältlich – sondern die guten Ideen, die besseren Daten und die effizientieren Netzwerke.

Dabei ist der Unterschied zwischen einem Produkt und seiner Idee ein elementarer. Das Produkt, beispielsweise ein Tisch, kann eindeutig einem Eigentümer zugeordnet werden. Beanspruchten zwei Menschen das Eigentum an einem Tisch, dann würde dies letztlich in einem zweigeteilten und deshalb unbrauchbarem Tisch münden. Die Idee jedoch, die dem Tisch jedoch zugrunde liegt, kann kopiert und verbreitet werden, ohne dass ihre Qualität, Integrität und ihr Nutzwert einen Schaden erleidet. Physisch fehlt keinem Menschen etwas, wenn seine Idee von einem seiner Mitmenschen gleichzeitig genutzt wird.

Was ist die Leistung bei der digitalen Ware und wie wird sie entlohnt?

Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein großes Problem: Ein kreativer Mensch, der eine solche digitale Ware produziert, eine wissenschaftliche Erkenntnis , ein Buch, ein neues Verfahren, eine Technologie, hat im Vorfeld viel investiert, vor allem Zeit und Geld. Sobald er seine digitale Ware der Welt jedoch preisgibt, ist es seinen Mitmenschen ohne großen Aufwand möglich, diese zu speichern, zu kopieren und zu verbreiten. Der Erschaffer hat also zunächst kaum eine Möglichkeit, Vorteile aus seinem Schaffensprozess zu ziehen. Im Vergleich zu seinen möglichen Mitbewerbern hat er die Kosten getragen und kann demzufolge keinen konkurrenzfähigen Preis verlangen.

Es klingt hart und will verdaut werden: Unter den natürlichen Wettbewerbs- und den aktuellen technischen Bedingungen bewegt sich der Wert einer digitalen Ware in Richtung Null – zumindest nach ihrer Veröffentlichung.

Damit ist der gordische Knoten geschnürt, den es gilt im digitalen Zeitalter wieder zu lösen.

Warum sollte sich der potentielle Erschaffer einer digitalen Ware überhaupt ans Werk machen? Warum sollte er Zeit, Geld und Kraft investieren, wenn er sich später kaum Hoffnungen auf eine angemessene Rendite machen kann, weil seine Ware aus Bits und Bytes in Windeseile über das ganze Netz verbreitet werden kann?

Dies ist eine elementare Frage, auf die der Markt eine Lösung finden muss. Die aktuelle Diskussion um Urheberrechte, geistiges Eigentum und digitale Waren wird dominiert von Einwürfen und Vorschlägen, die die Ausweitung juristischer Regelungen oder Einführung von Ausgleichsleistungen des Sozialstaats (siehe die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen) vorsehen.

Die Frage, auf die die Zukunft eine Antwort finden wird, lautet:

Ist der Markt auch selbst dazu in der Lage, einen Wert für digitale Waren abzubilden, mit dem Produzenten wie auch Nutzer, Verwerter und Konsumenten sinnvoll wirtschaften können?