Photo: Revolution_Ferg from Flickr (CC BY 2.0)

Von Robert Benkens, Student der Politkwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Germanistik.

Die Vorbehalte gegen den Freihandel sind zahlreich: Er betreibe eine Ausbeutung der unterentwickelten Länder zu Gunsten der reichen Industriestaaten, stehe für Demokratieabbau im Interesse großer Konzerne und Banken, zerstöre die Umwelt zu Lasten der Allgemeinheit. Kurzum: Freihandel ist böse und unfair, weil er Armut und Ungleichheit verstärke. Hier haben Freihandelsgegner einen ganz klaren Vorteil: Sie bringen Mitstreiter für das gefühlt Gute auf die Straßen, die Verteidiger des Freihandels hingegen bekommt die gewöhnliche Bevölkerung meist nur in Nadelstreifen und im professoralen Duktus im Fernsehen oder gar als Interessenvertreter bestimmter Verbände zu Gesicht. Wirklich mitreißend im Sinne einer „großen Freihandelserzählung“ ist das alles nicht.

Freihandel und seine Auswirkungen

Aber was ist überhaupt unter „Freihandel“ zu verstehen? Nicht jeder Handel ist gleich Freihandel. Und nicht alles, was im Welthandel heute passiert, sollten Freihandelsbefürworter gutheißen, sondern sich im Gegenteil im Namen eines wirklich freien Handels gegen bestehende Probleme einsetzen. Grundsätzlich meint Freihandel schlicht, dass Volkswirtschaften bzw. Unternehmen über Ländergrenzen hinweg verstärkt arbeitsteilig zusammenarbeiten, indem sie sich gemäß ihrer Fähigkeiten spezialisieren, dadurch einen Mehrwert produzieren und sich nicht gegeneinander abschotten. Dabei ist auf das Wort „frei“ zu achten: In einem wirklich freien Handel darf keiner Branche auf Kosten der Allgemeinheit ein Privileg von Seiten der staatlichen Politik eingeräumt werden, muss sich das einzelne Unternehmen also vor den Kunden am Markt bewähren, statt sich auf Zuwendungen des Steuerzahlers verlassen zu können. In gewisser Weise ist der Freihandel also das außenwirtschaftliche Pendant zur freien marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung im Inneren einer Volkswirtschaft. Auch wenn oder gerade weil es in der Vergangenheit und in der Gegenwart aufgrund eines fehlenden verbindlichen Rahmens auf internationaler Ebene nie den idealtypischen „freien Handel“ weltweit gegeben hat und dementsprechend auch heute noch unterschiedliche Schutzmaßnahmen bestehen und das Etikett „Freihandel“ fatalerweise häufig von bestimmten mächtigen Interessengruppen instrumentalisiert wird, soll hier gezeigt werden, warum der Weg zu einem schrittweise freier werdenden Handel grundsätzlich richtig ist, ohne dabei die wichtigsten Kritikpunkte Armut und Ungleichheit einfach außer Acht zu lassen.

Zunächst zum Vorwurf, der Freihandel bzw. die verstärkte Hinwendung zu globaler Arbeitsteilung in den letzten Jahrzehnten hätte die Armut in der Welt verstärkt. Abbildung 1 zeigt eine Zusammenstellung von Statistiken zur globalen Entwicklung in den letzten 200 Jahren:


Abbildung 1: Globale Entwicklung von extremer Armut, Grundbildung, Alphabetisierung, Demokratie, Impfschutz und Kindersterblichkeit in den letzten 200 Jahren (Quelle: Our World in Data).

Die Zahlen sind beeindruckend. So hat sich das Verhältnis bei der Armut geradezu umgekehrt: Lebten um 1800 von 100 Menschen 94 in absoluter Armut, so sind waren dies 2015 nur noch 10. Ähnliches lässt sich bei der Bildung feststellen: Um 1800 hatten nur 17 Kinder Zugang zu Grundschulbildung, im Jahr 2015 hingegen 86. Die Kindersterblichkeit ist von etwa 43 Prozent auf unter 5 Prozent gefallen. Die Alphabetisierung ist von 12 auf sagenhafte 85 Prozent weltweit gestiegen – und das alles bei einer Vervielfachung der Weltbevölkerung! Trotz zweifellos bestehender Probleme eine überaus vorzeigbare Bilanz, zu der Globalisierung und Freihandel entscheidend mit beigetragen haben. Das gilt insbesondere für die letzten Jahrzehnte, die in verstärktem Maße von einem zunehmenden grenzüberschreitenden Handel geprägt waren. Kritiker werden nun vermutlich sagen, dass sich diese positive Entwicklung vor allem auf den Reichtum der Industrieländer stütze und der Rest der Welt, vor allem die Entwicklungsländer, nach wie vor zu den Verlierern gehöre. Die Zahlen zu den Milleniumszielen der UN sagen hier etwas anderes:

Abbildung 2: Prävalenz extremer Armut, 1990 und 2010 (Quelle: Vereinte Nationen, Millenniums-Entwicklungsziele Bericht 2014).

Demnach hat sich die extreme Armut zwischen 1990 und 2010 in allen Weltregionen verringert, sogar in den ärmsten Regionen südlich der Sahara. Hierbei ist zudem festzustellen, dass (ehemalige) Entwicklungsländer, die sich tendenziell dem Weltmarkt geöffnet haben und über eine relativ stabile – wenn auch nicht immer demokratische – Regierung verfügen, am stärksten der absoluten Armut entkommen sind, namentlich: China mit mehreren hundert Millionen Menschen.

Der Freihandel kann somit zeitweise durchaus den Effekt haben, dass die Ungleichheit zwischen Ländern steigt, aber gerade nicht, weil er für mehr Armut sorgt, sondern weil er bei denjenigen, die sich ihm öffnen, für mehr Wohlstand sorgt, während andere, die sich abschotten, in Armut verharren. Würden die reichen Industriestaaten und aufkommenden Schwellenländer sich beispielsweise vom Freihandel zurück in eine protektionistische Planwirtschaft begeben, wäre die Welt wohl tatsächlich nicht so ungleich wie heute. Dafür wäre sie gleichermaßen bitterarm. Eine Abwendung vom Freihandel wäre somit gerade nicht die Lösung, sondern eine – zumindest schrittweise – Hinwendung zu diesem. Zudem bestätigt der langfristige Trend keineswegs, dass die Zunahme der Einkommensungleichheit zwischen den Ländern eine Art „ehernes Gesetz“ des Freihandels und der Globalisierung ist. Ein aktueller Artikel des dänischen Statistikers Bjørn Lomborg verdeutlicht dies.

Nachdem die Ungleichheit zwischen 1820 und 1990 drastisch hochgeschnellt ist, nimmt sie seitdem schrittweise wieder ab. Der globale langfristige Trend weist also sowohl auf ein Mehr an absolutem Wohlstand hin als auch auf ein tendenzielles Zusammenwachsen ehemals völlig ungleicher Volkswirtschaften. Lomborg: „Mit dem schnellen Wirtschaftswachstum in einigen Schwellenländern, besonders in China seit 1978 und in Indien von 1990 an, sind die Einkommen von sehr vielen in der ärmsten Hälfte der Welt stark gestiegen. Dem Großteil der ärmeren Hälfte der Welt gelang es aufzuholen.

Ganz hartnäckige Globalisierungsgegner werden angesichts dieser Ergebnisse nun vielleicht ausweichend argumentieren, dass die „Schere“ nicht mehr primär zwischen den Ländern, sondern durch sie hindurch verlaufe. Zweifelsohne verstärkt freier Handel häufig auch Ungleichheiten innerhalb von Ländern, da bestimmte Gruppen mehr von ihm profitieren als andere und einige auch zu den Verlierern des Strukturwandels gehören. Aber wie sieht es unterm Strich, also gesamtwirtschaftlich aus? Nun, schauen wir uns dazu den Gini-Koeffizienten an, der die Ungleichheit innerhalb der Länder misst:

Abbildung 3: Gini-Koeffizient (in Prozent) der Einkommensverteilung (Quelle: Weltbank, 2014).

Nach dieser Messung läge die absolute – in der Realität nicht herzustellende – Gleichheit bei 0. Die absolute Ungleichheit bei 60 aufwärts. Der Grafik ist zu entnehmen, dass die Länder mit einem freien Wirtschafts- und Handelssystem zu jenen mit tendenziell geringerer Ungleichheit gehören. Die Ungleichheit ist dagegen am größten in den abgeschotteten und korrupten Staatswirtschaften südlich der Sahara oder etwa auch im sozialistischen Venezuela, das aufgrund der weltweit größten Erdölquellen eigentlich in Geld schwimmen müsste.

Diese kurze Zusammenstellung der wichtigsten Trends zeigt: Ein freies, nicht korrumpiertes Wirtschafts- und Handelssystem sorgt nicht nur für sehr viel mehr Wohlstand, sondern auch dafür, dass arme Bevölkerungsschichten ebenfalls von ihm profitieren – auch wenn sich die Schere in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern nach Marktöffnung zweifellos geweitet hat, allerdings bei gleichzeitiger Steigerung des allgemeinen Wohlstandsniveaus. Der World-Ecomic-Freedom-Index bestätigt diesen grundsätzlichen Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und allgemeinem Wohlstand: „Die freiesten 25% aller Länder weisen ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 41.228 Dollar auf, die unfreiesten 25% dagegen kamen nur auf 5471 Dollar. Die ärmsten 10% der Bevölkerung in den freiesten Ländern erwirtschafteten ein Pro-Kopf-Einkommen von 11.283 Dollar, was deutlich über dem Gesamtdurchschnittseinkommen in den unfreiesten Ländern liegt.“ Umgekehrt hingegen gilt: Je mehr ein Land den Weg der Abschottung und Staatswirtschaft beschreitet, desto weniger Wohlstand gibt es insgesamt und umso mehr konzentriert sich dieser bei der winzigen Elite der Herrschenden.

Kritik und Bedingungen des Freihandels

Viele Kritiker verweisen nun darauf, dass die Ungleichheit in vielen Industriestaaten heute primär aufgrund zunehmender Vermögenskonzentration steige und dass „globale Finanzeliten“ hierdurch ganze Staaten „im Würgegriff“ halten und ihre politische Agenda diktieren könnten. Dabei vergessen sie allerdings, dass es gerade jene Staaten bzw. Regierungen waren, die sich im Zuge ihrer Wachstums- und Klientelpolitik auf Pump erst in die Abhängigkeit solcher Finanzakteure begeben haben und sich dann mitunter sogar gezwungen sahen, jene aufgrund ihrer wortwörtlichen „Systemrelevanz“ auf Kosten der Allgemeinheit zu retten. Die Folge war die zunehmende Entkopplung einer „boomenden“ Finanzwirtschaft von einer vielerorts stagnierenden Realwirtschaft und: steigende Ungleichheit.

Wer in der Globalisierung nur auf Protektion und Subvention einer ganzen Volkswirtschaft auf Pump setzt statt auf schrittweise Öffnung und Reformen, muss sich nicht wundern, wenn dafür früher oder später die Rechnungen ins Haus flattern. Die Mär davon, den „globalen“ Finanzeliten passiv ausgeliefert zu sein, verfestigt also nur die antipolitische und zynische Haltung unserer Tage. Der Schlüssel zum Wachstum und Wohlstand für alle liegt nach wie vor bei den Nationalstaaten – und hierfür können Globalisierung und Freihandel wichtige Voraussetzungen sein.

Doch wie kommt es, dass einige Staaten wohlhabender werden, während andere arm bleiben? Woher rührt der aufgezeigte Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und allgemeinem Wohlstand, der durch die Geschichte und auch in der Gegenwart immer wieder bestätigt wird? Wie kommt es, dass die DDR wirtschaftlich und letztlich politisch scheiterte, während die BRD sich zum Exportweltmeister mauserte? Warum leben noch heute die Menschen in Nordkorea in himmelschreiender Armut, während aus Südkorea die modernsten Technologien der Welt kommen? Daron Acemoglu und James A. Robinson weisen in ihrem vielbeachteten Werk „Warum Nationen scheitern“ darauf hin, dass weder die Geografie oder die Ressourcen noch die Kultur entscheidend seien. Logisch: Denn sowohl Nord- und Sükoreaner als auch Ost- und Westdeutsche leben unter weitgehend gleichen geographischen Bedingungen und „entstammen“ dem gleichen Kulturkreis. Für den Wohlstand eines Landes sind nach Acemoglu und Robinson vielmehr die Institutionen entscheidend: ein starker Rechtsstaat, der Bürger- und Eigentumsrechte verteidigt, Machtzentrierung durch Gewaltenteilung verhindert sowie eine solide öffentliche Infrastruktur für alle gewährleistet und vor allem Anreize zum Sparen, Investieren und Innovieren setzt. Eben diese Anreize werden genommen, wenn die Früchte der eigenen Arbeit willkürlich enteignet werden können oder der Markt unter einigen wenigen Akteuren, meist noch mit staatlicher Hilfe, protektionistisch aufgeteilt wird. Damit wären wir bei einem entscheidenden Punkt: Der Freihandel ist kein Patentrezept, er ist auf einen stabilen und im Idealfall demokratischen Nationalstaat angewiesen, der diese Institutionen bzw. Rahmenbedingungen gewährleistet, damit er seine wohlstandsförderlichen Effekte voll und für alle entfalten kann.

Das große Missverständnis bezüglich des Freihandels besteht nun darin, dass es zwar weltweit eine schrittweise Öffnung hin zum Welthandel gegeben hat, was einerseits zu enormen Wachstums- und Wohlstandseffekten beigetragen hat, dieser Schritt zur Marktöffnung andererseits aber gleichzeitig häufig von autokratischen oder klientelistischen Systemen initiiert wurde. Eine Verbindung von wirtschaftlicher Liberalisierung bei gleichzeitiger autoritärer Führung. Somit entsteht der Eindruck, dass Freihandel und Oligarchie natürliche Verbündete seien. Das ist aber falsch, ein wirklicher Freihandel zerstört oligarchische Strukturen, in denen mächtige Konzerne und Politiker den Markt unter sich aufteilen und andere ohne Rechte an den Rand drängen, indem er wirtschaftliche Machtpositionen durch verstärkten internationalen Wettbewerb immer wieder in Frage stellt und niemandem Privilegien eingeräumt werden. Dafür ist wirklicher Freihandel aber, wie gesagt, auf einen stabilen staatlichen Rechtsrahmen sowie demokratische Kontrolle der Machthabenden angewiesen.

Schön und gut, werden nun viele sagen, aber solche tollen politischen Rahmenbedingungen können wir gerade in Entwicklungsländern nicht einfach von außen einführen. Sollten wir dann nicht wenigstens aufhören, die miesen Produktionsbedingungen in solch politisch fragilen Staaten indirekt zu unterstützen, indem wir Geschäfte mit ihnen machen? Es stimmt ja, Freihandel allein kann beispielsweise nicht für Eigentums- und Arbeitnehmerrechte oder Umweltschutzstandards in Entwicklungsländern sorgen. Freihandel macht durch globale Wertschöpfungsketten aber gerade solche Missstände für Konsumenten und Bürger in reichen Ländern sichtbar. Dabei kann äußerer Druck durch die Konsumenten eine Rolle spielen, letztlich müssen menschenwürdige Standards und Grundrechte aber vor Ort politisch erkämpft und durchgesetzt werden.

Der Freihandel kann somit einerseits für Wachstumsperspektiven in Entwicklungsländern sorgen, andererseits kann er dort mit steigendem Wohlstands- und Bildungsniveau auch demokratische und rechtsstaatliche Prozesse anstoßen, so dass hoffentlich schrittweise immer mehr Menschen vom Wachstum profitieren. Denn mit steigendem wirtschaftlichen Wachstum werden die Menschen hoffentlich früher oder später auch zunehmend demokratische und rechtsstaatliche Standards einfordern – auch wenn viele die Kombination einer autoritären Führung und einer „freien“ Wirtschafts- und Handelspolitik angesichts der Beispiele von China und der Türkei für mittelfristig wahrscheinlicher halten. Mit einer Abwendung vom Freihandel oder einem Boykott ganzer Produktionsstandorte in Entwicklungsländern wäre jedenfalls beides gleichermaßen – Wohlstand und Demokratisierung – verloren. Nur weil wir beispielsweise Kinderarbeit nicht mehr direkt sehen würden, wäre sie nicht weg. Im Gegenteil: Sie würde sich von den Augen der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeobachtet wieder in die rückständigen Produktionsbetriebe des agrarischen Hinterlandes verlagern. Freihandel und Arbeitsteilung bieten den Ländern durch Wachstumsperspektiven die einmalige Möglichkeit, bitterer Armut und mit steigendem Wohlstand hoffentlich auch politischer Unterdrückung zu entkommen. Dem wirtschaftlichen Fortschritt folgt dann im Idealfall politischer und sozialer Fortschritt – wie einst in Europa.

Die Demokratisierung ist dabei natürlich keine automatische Folge des Freihandels nach dem Motto: Wenn ihr den Freihandel einführt, bekommt ihr gleichzeitig die Demokratie mitgeliefert. Gewissermaßen kann auch die politische Veränderung, also eine schrittweise Demokratisierung, an erster Stelle kommen und die Basis für den dann folgenden wirtschaftlichen Fortschritt sein, da Menschen in einer Demokratie mit sicheren Eigentumsrechten einen größeren Anreiz haben, wirtschaftlich tätig und innovativ zu sein. So oder so: Vieles spricht dafür, dass sich beides – wirtschaftlicher Aufschwung und demokratische Veränderung – auf lange Sicht gesehen gegenseitig bedingen. Der Freihandel bietet die große Chance (nicht die Garantie!), ein Wachstums- und somit Wohlstandsmotor für arme Länder zu sein und diese aus Klientel- und Mangelwirtschaft zu befreien.

Chancen des Freihandels

Die Demokratisierung ist dabei natürlich keine automatische Folge des Freihandels nach dem Motto: Wenn ihr den Freihandel einführt, bekommt ihr gleichzeitig die Demokratie mitgeliefert. Gewissermaßen kann auch die politische Veränderung, also eine schrittweise Demokratisierung, an erster Stelle kommen und die Basis für den dann folgenden wirtschaftlichen Fortschritt sein, da Menschen in einer Demokratie mit sicheren Eigentumsrechten einen größeren Anreiz haben, wirtschaftlich tätig und innovativ zu sein. So oder so: Vieles spricht dafür, dass sich beides – wirtschaftlicher Aufschwung und demokratische Veränderung – auf lange Sicht gesehen gegenseitig bedingen. Der Freihandel bietet die große Chance (nicht die Garantie!), ein Wachstums- und somit Wohlstandsmotor für arme Länder zu sein und diese aus Klientel- und Mangelwirtschaft zu befreien.

Denn nach David Ricardo, einem der Begründer der internationalen Freihandelstheorie im damaligen Europa, lohnen sich Freihandel und Arbeitsteilung für alle beteiligten Länder, sogar in dem unrealistischen Fall, dass ein Land alle Produkte besser, kostengünstiger und effizienter herstellen kann als ein anderes. Beide Länder spezialisieren sich auf das, was sie im Verhältnis zum jeweils anderen am besten oder kostengünstigsten herstellen können und konzentrieren ihre Ressourcen auf die Wertschöpfung in „ihrem“ jeweiligen Spezialgebiet. Dadurch steigt die Produktivität auf beiden Seiten deutlich an, mehr Handel und Konsum sind nun möglich, was Wachstum generiert, welches wiederum Grundlage für zukünftige Investitionen ist. Dabei ist Ricardos Ansatz trotz aller Abstraktheit keineswegs graue Theorie geblieben: Der angesprochene rasante wirtschaftliche Aufschwung in vielen Ländern Europas während der Industrialisierung zeigt dies überdeutlich. Aber auch in jüngster Vergangenheit hat die schrittweise Öffnung Chinas eindrucksvoll bewiesen, wie sich ein ehemaliges Armenhaus aufgrund seines Kostenvorteils beim Faktor Arbeit zur „Werkbank der Welt“ entwickeln konnte und heute zunehmend selbst hochwertige und Knowhow erfordernde Produkte herstellt.

Natürlich ist die Ungleichheit in China krass, weil insbesondere die ländlichen Regionen im Landesinnern noch nicht so vom Aufschwung profitieren konnten wie die urbanen Hotspots an den Küsten des Riesenreichs. Das allgemeine Wohlstandsniveau ist heute aber deutlich höher, die Löhne und der Lebensstandard steigen und nicht nur die Oberschicht, sondern auch die Mittelschicht ist deutlich gewachsen – was insbesondere wieder für Deutschland als Exportnation einen riesigen Absatz- und Wachstumsmarkt bedeutet und somit auch in Zukunft Wohlstand verspricht. Gleichwohl: Sogenannte „Globalisierungsverlierer“, egal in welchem Land, dürfen nicht aus dem Blick geraten. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob ein umfassender Protektionismus die richtige Alternative ist. Denn protektionistische Maßnahmen mögen zeitweise wirksam sein, um den Strukturwandel in alten Industrieregionen sozialpolitisch abzufedern oder um umgekehrt junge Industrien vorübergehend zu schützen, um sie schließlich fit für den Weltmarkt zu machen. Dies haben die USA Ende des 19. Jahrhunderts oder auch China Ende des 20. Jahrhunderts durchaus mit Erfolg vorgemacht. Das Ziel bzw. der Zweck war aber immer: Teilnahme und Teilhabe am internationalen Freihandel.

Zudem schafft erst eine starke Wirtschaft die finanziellen Mittel, die für die Unterstützung und Weiterbildung jener, deren Arbeitsplätze vom Freihandel bedroht sind, nötig sind. Ein umfassender Protektionismus hingegen kann kurzfristig die Kosten der Anpassung an die Weltwirtschaft hinausschieben – wie dies etwa beim Kohlebergbau in Deutschland der Fall war. Langfristig gerät das entsprechende Land oder auch die Region im weltweiten Wettbewerb aber ins Hintertreffen oder die Weltwirtschaft kühlt sich im Zuge eines „Abschottungswettbewerbs“ ab. Dann muss der „schützende“ Staat bei sinkenden Wachstumsraten und somit Einnahmen nicht nur eine bestimmte, sondern eine viel größere und wachsende Zahl von Transfer- und Subventionsleistungsempfängern bedienen.

Verteilungskampf statt Arbeitsteilung

So differenziert argumentieren rechte und linke Apologeten aber schon gar nicht mehr. Für linke und rechte Globalisierungsgegner ist der Freihandel per se immer und überall ein Nullsummenspiel – des einen Gewinn ist demnach des anderen Verlust. Lediglich die Antworten hierauf sind unterschiedlich: Während sich Rechte möglichst viel vom „globalen Kuchen“ vor „Barbaren“ sichern wollen, sehen Linke „den“ Westen in der Schuld, der etwas von seinem „Wohlstand abgeben“ müsse, damit es den armen Menschen in der Welt ein bisschen besser geht. Die Antworten sind zwar entgegengesetzt, die Logik aber ist dieselbe: Verteilungskampf statt Arbeitsteilung. Anstatt zusammenzuarbeiten und mehr herzustellen, konkurrieren in einem solchen Szenario immer mehr Menschen und Länder um den stetig sinkenden Wohlstand. Bald werden Marktanteile dann auch nicht mehr darüber gewonnen, dass Unternehmen über Ländergrenzen hinweg kooperieren und konkurrieren, um ihren Kunden in aller Welt immer mehr vielfältige, erschwingliche und bessere Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, sondern schlicht und einfach über das Schwert. Erst gerät also der Wohlstand, dann der Frieden in Gefahr.

Ein freies Wirtschaftssystem ist also eine nach innen gerichtete, ein freies Handelssystem eine nach außen gerichtete Bedingung für allgemeinen Wohlstand, aber auch für Frieden in der Welt, wenn man davon ausgeht, dass Menschen, die miteinander Handel treiben, wenig Interesse daran zeigen dürften, sich gegenseitig umzubringen. Viele „Globalisierungs- und Freihandelskritiker“ setzen Probleme wie Armut und Ungleichheit, die zweifellos auch im heutigen Welthandel trotz aller Erfolge noch bestehen, mit dem Freihandel gleich, obwohl sie viel mehr mit Protektionismus und Klientelwirtschaft zu tun haben: Wenn Staaten Großbanken aufgrund ihrer „Systemrelevanz“ retten, Gewinne dabei zu Gunsten weniger privatisiert und Verluste zu Lasten aller sozialisiert werden, dann wird damit doch gerade der Grundsatz marktwirtschaftlicher Haftung außer Kraft gesetzt und die Finanzbranche durch staatlichen Protektionismus geschützt. Wenn reiche Industriestaaten armen Entwicklungsländern unfaire Handelsbedingungen aufzwingen – ob in Form von Einfuhrzöllen oder Agrarsubventionen – hat dies nichts mit Freihandel, sondern doch gerade mit Protektionismus der Agrarbranche zu tun. Wenn Großkonzerne mit Hilfe der herrschenden Eliten in „failed states“ Landraub betreiben, Bauern enteignen und giftige Abwässer zurück in die Umwelt leiten, dann hat dies viel mit mangelnden Eigentums- und Klagerechten in den betreffenden Ländern zu tun. Wenn in solch armen Entwicklungsländern eine kleine Machtelite (nicht selten mit offener oder verdeckter Unterstützung aus dem Westen) die große Masse ausbeutet, dann ist das ebenfalls ein Skandal, hat aber nichts mit dem Freihandel und schon gar nichts mit dem Neoliberalismus, sondern mit Vettern- und Misswirtschaft – kurz Staatsversagen – zu tun. Dabei ist es weitgehend egal, ob es sich bei dem herrschenden Regime um einen alteingesessenen Clan, eine religiöse Theokratie, einen nationalistischen Autokraten oder auch um eine sozialistische Partei handelt. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Im Namen einer angeblich hehren Idee oder schlicht mit dem Recht des Stärkeren werden individuelle Freiheitsräume eingeschränkt, wird die Wirtschaft vom Staat kontrolliert, grassieren Korruption, Vettern- und Misswirtschaft. Zu oft stützt sich der liberalisierte Welthandel auf lokale Bedingungen, die nur als unfrei bezeichnet werden können. Deshalb sollte aber nicht der Welthandel und mit ihm ein wesentlicher Wachstumsmotor angehalten werden, sondern die Bedingungen vor Ort müssen geändert werden. Denn die notwendigen rechtsstaatlichen und demokratischen Bedingungen für einen wirklich freien Handel können zwar in Abkommen proklamiert und festgehalten werden, wirklich zur Geltung gebracht und durchgesetzt werden müssen sie aber vor Ort.

Diesbezüglich sollte zum Schluss noch mit einem großen Missverständnis aufgeräumt werden: Globalisierung sollte trotz aller wichtigen Entgrenzungen nicht bedeuten, dass regionale oder nationale Souveränitäten zu Gunsten eines technokratischen Apparates jenseits demokratischer Rechenschaftspflichten oder dass elementare Standards aufgelöst werden. Deutschland als eines der am meisten in den Freihandel eingebundenen Länder weltweit gehört gleichzeitig zu den Ländern mit den höchsten Sozial- und Umweltstandards. Hohe Standards, die in den demokratischen Nationalstaaten oder in Kooperation derselben erreicht wurden und wirtschaftlicher Erfolg durch Freihandel schließen sich also nicht aus. Dafür muss der Freihandel, wie zu Beginn angedeutet, aber auch im Kleinen verteidigt und gewollt werden – bisweilen auch angesichts schmerzhafter Reformen und Strukturveränderungen. Eine offene demokratische Debatte über die Vor- und auch Nachteile der Globalisierung, über den selbstbestimmten Grad der Öffnung – nicht nur bei Fragen des Handels, sondern auch der Migration – muss stattfinden. Ein abschätziges Herabblicken auf „rückständige Globalisierungsverlierer“ oder eine aufgezwungene Freihandelsagenda ist nicht der richtige Weg. In einer solchen Debatte sollten diejenigen, die Wohlstand, Freiheit und Frieden für alle anstreben, aber erkennen, dass der Gegner nicht im Freihandel zu sehen ist. Dieser ist in Eliten zu finden, die im Namen des Freihandels Interessenpolitik betreiben und sich dafür den Staat zur Beute machen, sowie in rechten und linken Globalisierungsgegnern, die ein Zurück in eine romantisierte (Mangel-)Wirtschaftswelt propagieren.

Erstmals erschienen bei Novo Argumente.

Photo: David Holt from Flickr (CC BY-SA 2.0).

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

In den vergangenen Jahren kamen viele Zuwanderer nach Deutschland, darunter allein 1,2 Millionen Asylsuchende in den Jahren 2015 und 2016. Eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt ist erstrebenswert – aufgrund des niedrigen Qualifikationsniveaus der meisten Zuwanderer ist das jedoch kein leichtes Unterfangen.

Die Bundesregierung gibt sich optimistisch und verweist auf jüngste Reformen. Doch neue Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lassen vermuten, dass die in den letzten Jahren zugewanderten Flüchtlinge trotz Reformen und außergewöhnlich günstiger Arbeitsmarktlage eine noch schleppendere Arbeitsmarktkarriere erleben werden als frühere Flüchtlinge. Rosige Aussichten sind das nicht: Frühere Flüchtlingskohorten erreichten erst nach 15 Jahren eine Beschäftigungsquote von 70%, was der Beschäftigungsquote regulärer Zuwanderer in Deutschland nach 5 Jahren entsprach.

Die Bundesregierung sollte die niedrigen Beschäftigungsquoten der in den letzten Jahren zugereisten Flüchtlinge als Warnsignal sehen. Gelingt es nicht, die Arbeitsmarktintegration deutlich zu beschleunigen, kommen hohe Kosten auf die Steuerzahler zu. Um die Erwerbsquote der Flüchtlinge zügig zu heben, bietet es sich an, den Kündigungsschutz und den Mindestlohn mindestens für Flüchtlinge auszusetzen, den Regelbedarf für ALG II beziehende Flüchtlinge um 30% zu kürzen und Freibeträge beim Bezug von ALG II für alle Empfänger auszuweiten.

Arbeitsmarktintegration verläuft gewohnt schleppend

Eine neue Studie des IAB zeigt: Die Arbeitsmarktintegration der in den letzten Jahren zugewanderten Menschen aus den wichtigsten Asylherkunftsländern – Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria Pakistan, Somalia und Syrien – läuft nur schleppend an. Aufgeschlüsselt nach dem Einreisejahr konnte das IAB auf Basis einer repräsentativen Stichprobe die Erwerbstätigenquote – also den Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung an der erwerbsfähigen Bevölkerung (im Alter von 18 bis 64) -berechnen. Berücksichtigt werden sowohl geringfügige, Teil- und Vollzeit- als auch selbstständige Beschäftigung sowie betriebliche Praktika. Die Ergebnisse sind recht ernüchternd:

Die Erwerbstätigenquote unter den 2016 eingereisten Flüchtlingen lag Ende 2016 bei 6,2 %. 2015 eingereiste Flüchtlinge erreichten zum selben Zeitpunkt eine Quote von 9,9 %. Bei Flüchtlingen aus dem Jahre 2014 lag sie bei 22,2 % und von den erwerbsfähigen Flüchtlingen aus 2013 waren 30,8 % beschäftigt. Werden Praktika und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht berücksichtigt, sinkt die Erwerbstätigenquote für alle Kohorten deutlich. 2013 eingereiste Flüchtlinge kommen dann auf eine Quote von 20,8 %.

 

 

Die neu zugewanderten Flüchtlinge fassen damit noch langsamer Fuß auf dem Arbeitsmarkt als frühere Flüchtlingskohorten. Zogen früher zugezogene Flüchtlinge nach 15 Jahren mit schneller integrierten, regulär eingewanderten Migranten gleich und erreichten eine Erwerbstätigenquote von 70%, so steht zu erwarten, dass die in den letzten Jahren zugezogenen Flüchtlinge dafür noch länger brauchen werden.

Zum Vergleich: Die Erwerbstätigenquote aller in Deutschland lebenden Personen zwischen 20 und 64 Jahren liegt bei 78 %.

Ausland macht ähnliche Erfahrungen

Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass es in mit Deutschland vergleichbaren Staaten ähnliche Probleme bei der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen gibt. Die Erwerbstätigenquote von Flüchtlingen, die vor bis zu vier Jahren eingewandert sind, liegt im EU-Durchschnitt bei nur 27%. In der Gruppe der vor fünf bis neun Jahren Eingereisten liegt die Quote bei 39 %. Flüchtlinge, die seit 10 bis 14 Jahren im jeweiligen Land leben, erreichen eine Quote von 56 %. Migranten, die aus anderen Gründen eingereist sind, erreichen im EU-Durchschnitt deutlich früher höhere Erwerbstätigenquoten.

Eine wachsende Zahl von Länderstudien, etwa für die Schweiz oder Schweden, bestätigt den Befund. In den USA lebende Flüchtlinge erreichen dagegen deutlich schneller eine mit Inländern und regulären Migranten vergleichbare Erwerbsquote. Die beobachtbare Eingliederung in den US-Arbeitsmarkt suggeriert, dass die Arbeitsmarktintegration nicht so schleppend wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern laufen muss.

Bisherige Arbeitsmarktreformen reichen nicht

Flüchtlinge weisen im Vergleich zu ähnlich qualifizierten und demografisch zusammengesetzten Arbeitsmigranten systematisch geringere Arbeitsmarkterfolge auf. Das deutet darauf hin, dass sie sich hinsichtlich weiterer Eigenschaften mit Folgen für ihre Beschäftigung von regulären Migranten unterscheiden.

Einige Hürden für den Arbeitseinstieg für Flüchtlinge wurden in Deutschland in den letzten Jahren abgebaut, darunter das temporäre Arbeitsverbot und die Vorrangprüfung. Andere Hürden bestehen fort, so etwa die Unsicherheit über den zukünftigen Aufenthaltsstatus vieler Flüchtlinge, der ein Investment in ihr Humankapital für Arbeitgeber unattraktiv macht. Neue Hürden kamen dazu, wie der Mindestlohn im Januar 2015.

Wenngleich die jüngsten barriereabbauenden Reformen der Bundesregierung begrüßenswert sind, legt die anhaltend niedrige Erwerbstätigenquote unter neu zugereisten Flüchtlingen nahe, dass deren Effekt gering ausfiel.

Glücklicherweise stehen dem Gesetzgeber weitere Mittel zur Verfügung, die geeignet sind, die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zu beschleunigen – ohne den Einstieg in dauerhaft kostspielige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu riskieren.

Kündigungsschutz und Mindestlohn aussetzen

Als bedeutendste Hürde für niedrigqualifizierte und sprachlich-kulturell kaum integrierte Flüchtlinge erweisen sich hohe Lohnkosten, die sich durch vorgeschriebene implizite Lohnbestandteile wie den Kündigungsschutz erhöhen.

Die Aussetzung des Kündigungsschutzes für Flüchtlinge würde die mit ihrer Einstellung verbundenen Risiken reduzieren, die Kosten für den Arbeitgeber senken und so eine Beschäftigung attraktiver machen.

Selbst wenn beidseitig lohnende Arbeitsbedingungen gefunden werden, kann der allgemeine Mindestlohn deren Zustandekommen verhindern, solange der ausgehandelte Bruttostundenlohn unter 8,84 € liegt. Die selektive Aussetzung des Mindestlohns könnte folglich genutzt werden, um die Beschäftigungsquote von Flüchtlingen anzuheben.

Auch einheimische Niedrigqualifizierte leiden unter hohen Lohnkosten und könnten von der Aussetzung des Kündigungsschutzes und des Mindestlohns profitieren. Angesichts der starken politischen Lobby für diese Arbeitsmarktregulierungen, erscheint deren selektive Aussetzung für Flüchtlinge jedoch der politisch realistischere Weg zu sein.

ALG II: Regelsatz kürzen, Hinzuverdienst erleichtern

Die Öffnung des Niedriglohnsektors für Flüchtlinge entfaltet vor allem dann eine beschäftigungs- und integrationsfördernde Wirkung, wenn sich niedrigentlohnte Arbeit relativ zum Bezug von Sozialleistungen lohnt. Derzeit liegt das nach Abzug von Mietkosten verfügbare Monatseinkommen eines zum Mindestlohn beschäftigen Vollzeitarbeitnehmers nur etwa 300 € über den ALG II-Leistungen – das entspricht einem Mehreinkommen von unter 2 € pro Stunde. Bei den für viele Flüchtlinge realistischeren Stundenlöhnen unter 8,84 € schrumpft der Abstand zum durch ALG II erreichbaren Einkommen weiter.

Der Gesetzgeber sieht die Kürzung des Arbeitslosengeldes vor, wenn sich der Bezieher nicht angemessen um einen Arbeitsplatz bemüht – i.d.R. um zunächst 30%, also auf ca. 286 € monatlich für einen erwachsenen Alleinstehenden. Um den Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu fördern, könnte der an Flüchtlinge ausgezahlten ALG II-Satz pauschal um 30 % gemindert werden. Die Ungleichbehandlung gegenüber einheimischen Beziehern ist in Hinblick auf den besonderen Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen vertretbar.

Unabhängig von einer Kürzung des Regelsatzes bieten sich langsamer abschmelzende Freibeträge für ALG II-Empfänger an. Werden Arbeitseinkommen nur teilweise auf Sozialleistungen angerechnet, wird auch bei niedrigen Löhnen der Anreiz zur Arbeitsaufnahme verstärkt. Neu ist diese Idee nicht, doch angesichts der Flüchtlingsmigration erhält sie neue Relevanz. Die teilweise Subvention von niedrigentlohnten Arbeitsverhältnissen ist aus Sicht der Steuerzahler lohnenswerter als die dauerhafte Finanzierung von Massenarbeitslosigkeit. Den Zuwanderern bietet sie zugleich eine Chance, produktive Mitglieder der Gesellschaft zu werden und ihren Lebensunterhalt in weiten Zügen eigenständig zu finanzieren.

Integration erfolgt über den Arbeitsmarkt

In Deutschland herrscht seit Jahren nahezu Vollbeschäftigung. Dennoch fällt die Erwerbsquote unter den jüngst zugereisten Flüchtlingen niedriger aus als dies für frühere Flüchtlingskohorten in den Jahren unmittelbar nach ihrer Einreise der Fall war.

Die Arbeitsmarktpolitik sollte auf den Abbau von Barrieren für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgerichtet sein. Als geeignete Mittel kommen in Frage die Aussetzung des Kündigungsschutzes und des Mindestlohns sowie reduzierte ALG II-Bezüge für Flüchtlinge. Darüber hinaus empfehlen wir, erzielte Einkommen in geringerem Maße als aktuell auf die ALG II-Ansprüche aller Leistungsempfänger anzurechnen.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: xflickrx from flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Hubertus Porschen, Bundesvorsitzender des Wirtschaftsverbands Die Jungen Unternehmer.

Wohin geht es mit Deutschland?

Wir werden immer älter. Wir bekommen weniger Kinder. Der demographische Wandel und die Alterspyramide zeigen: Deutschland ist ein Land der Alten, welches immer älter wird. Für den einzelnen ist das nicht dramatisch. Im Gegenteil, der medizinische Fortschritt führt zu einer längeren Lebenserwartung und auch dazu, dass sich ältere Menschen länger fit fühlen. Die Digitalisierung vereinfacht den Alltag und auch das Berufsleben, sodass Menschen länger arbeiten können. Was jedoch bedenklich ist, ist die Verschiebung der gesellschaftlichen Prioritäten zugunsten der Älteren. Junge Menschen wählen den Fortschritt, den Wandel und die Zukunft. Alte Menschen sind da kritischer. Neue Technologien werden mit Argwohn betrachtet und langfristige Projekte, die das Leben kurzzeitig einschränken und langfristig die Lebensqualität stark erhöhen, kommen nicht in Frage. Große Veränderungen in der Infrastruktur, wie Flughäfen oder Windparks, sind solche Beispiele. Sicher, es nicht bei jedem so, doch wer sich die Änderung des Wahlverhaltens im Alter und Teilnehmer von bestimmten Demos anschaut oder sich einfach selbst reflektiert, sieht: Wir werden mit dem Alter konservativer und treffen weniger mutige Entscheidungen.

Wie reagiert die Politik?

Den großen Parteien bleibt – besonders in Wahljahren – diese Entwicklung nicht verborgen. Anstatt die Fragen, die der demographischen Wandel aufwirft, mutig anzugehen und beispielsweise das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, wird die zuverlässigste und größte Wählergruppe mit Rentengeschenken im Wahlkampf umgarnt. So geschah es vor vier Jahren mit der abschlagsfreien Rente mit 63 und der Mütterrente. Nach dem Motto: „Ich will Oma nicht die Rente kürzen“ oder „Das Thema Rente ist noch soweit weg“, schauen die Jüngeren entweder zu, oder dürfen noch nicht wählen, weil sie unter 18 Jahren sind. Nur wenige lehnen sich auf. Es bleibt unbeachtet, dass die Parteien zu Lasten der künftigen Generationen die Staatsschulden so sehr in die Höhe treiben, dass Zukunftsthemen, wie Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung, völlig untergehen. Die Parteien brauchen wieder Anreize, um solche Themen in Angriff zu nehmen und kommenden Generationen einen stabilen Haushalt zur freien Entfaltung in der Gesellschaft zu bieten.

Was fordern Die Jungen Unternehmer?

Die Politik muss die Jugend ernst nehmen, um selbst ernst genommen zu werden. Das politische Selbstvertrauen der jungen Generation ist auf einem Tiefstand: Das Brexit-Veto, die U.S.-Wahl und auch das Referendum zum Präsidialsystem Erdogans in der Türkei, wurden von vielen jungen Wählern verpasst. Mal aus Desinteresse, mal bewusst aus Politikverdrossenheit. Der Glaube, etwas in der Politik bewegen zu können, schwindet. Daran ist auch die Klientelpolitik für Leute ab 50 plus verantwortlich. Zukunftsthemen bleiben auf der Strecke. Die Jugend muss Politik mitgestalten, sonst geht Deutschland bald am Stock. Wir möchten als Verband das Kernthema unseres politischen Handels, Generationengerechtigkeit, im Grundgesetzt verankert sehen. Politiker haben keinen Anreiz jetzt sparsam zu sein. Wir sollten Sie mit dieser Maßnahme die Regierenden in aller Regelmäßigkeit an die Verantwortungen für die nächsten Generationen erinnern.

Unsere Aktion im Wahljahr

Um das politische Selbstbewusstsein der Jugend zu wecken und auch die Verdrossenheit gegenüber der Politik in Zeiten Trumps, Erdogans und des Brexit zu bekämpfen, haben Die Jungen Unternehmer die Aktion „Germany´s next Bundeskanzler/in“ gestartet. Hier wird die Stimme der jungen Generation gesucht, die die Interessen der Erst- und Zweitwähler am besten vertritt. Die Aktion soll junge Wähler für Politik begeistern. Politik muss wieder erkennen, dass es neben den Interessen der Alten noch die der Jungen gibt. Die politische Agenda braucht neue Prioritäten.

Photo: jouwatch from Flickr (CC BY-SA 2.0).

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Weltweit sind Regierungen bemüht, die Bargeldnutzung ihrer Bürger einzuschränken. So gelten in den meisten europäischen Ländern bereits Obergrenzen für die Verwendung von Bargeld zu Zahlungszwecken. Auch die Bundesregierung erwägt, den Bürgern zukünftig zu verbieten, Rechnungen über 5.000 Euro in bar zu begleichen. Befürworter sehen in der Einschränkung der Bargeldnutzung eine wirkungsvolle Maßnahme zur Kriminalitätsbekämpfung. Kritiker befürchten dagegen langfristig ein generelles Bargeldverbot, da Regierungen die elektronischen Zahlungstransaktionen der Bürger besser nachvollziehen können und diese ihr elektronisch bei Banken gehaltenes Geld vor Negativzinsen und Bail-Ins nicht mehr durch Bargeldhaltung in Sicherheit bringen können. Dass die Befürchtung eines Bargeldverbots nicht unbegründet ist, illustrieren Äußerungen prominenter Vertreter aus Politik, Wissenschaft und einflussreichen Interessengruppen.

Empirische Studien legen nahe, dass die Einschränkung der Bargeldnutzung tatsächlich kriminalitätsmindernd wirkt – sowohl im Fall einfacher Straßenkriminalität als auch bei organisierter Kriminalität. Derartiger Nutzen allein rechtfertigt jedoch kein generelles Bargeldverbot. Denn der Verlust der Vorteile von Bargeld würde Kosten verursachen: Bargeld bietet Schutz vor unerwünschten Eingriffen in die Privatsphäre, vor Bail-Ins im Rahmen von Bankenrettungen und vor finanzieller Repression durch eine negative Verzinsung von Vermögenswerten. Kriminalität sollte deshalb durch den Einsatz alternativer Maßnahmen bekämpft werden, die ohne das Risiko einer Einschränkung der Privatsphäre und zunehmender finanzieller Repression auskommen.

Droht ein Bargeldverbot?

Die westlichen Industrieländer sind heterogen bezüglich der Rolle, die Bargeld im alltäglichen und geschäftlichen Leben spielt. Paradebeispiel für eine nahezu bargeldlose Gesellschaft ist Schweden, wo ein Mix aus Förderung innovativer elektronischer Zahlungspraktiken, staatlicher Verbote und gesellschaftlicher Trends das Bargeld fast vollständig aus dem Umlauf getrieben hat. In Deutschland wird dagegen traditionell viel Bargeld genutzt, wenngleich auch hier die Akzeptanz elektronischer Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel steigt.

Obergrenzen für die Begleichung von Rechnungen sind mittlerweile in vielen europäischen Ländern gesetzlich vorgeschrieben. Die Grenzen reichen dabei von 1.000 Euro (Italien und Portugal) bis 15.000 Euro (Polen und Kroatien). In Deutschland dürfen Bürger unbegrenzt bar bezahlen, doch Finanzminister Schäuble plant ebenfalls eine Obergrenze von 5.000 Euro. Im Krisenstaat Zypern durften Bürger zeitweise täglich maximal 100 Euro von ihren Konten abheben. Die EZB beschloss im Mai 2016 die Abschaffung des 500 Euro Scheins.

Trotz heterogener Ausgangslagen scheinen die westlichen Industrieländer einem gemeinsamen Trend zu unterliegen: Der Gesetzgeber schränkt den Gebrauch des gesetzlichen Zahlungsmittels in bar zunehmend ein.

Bargeld und Kleinkriminalität: Mehr Cash, mehr Kriminalität

Vertreter aus Politik und Justiz versprechen sich von der Einschränkung der Bargeldnutzung einen Rückgang der Straßenkriminalität. So lautet ein beliebter Slogan in Schweden: „Bargeld braucht nur noch deine Oma – und der Bankräuber“. Empirische Studien stützen die Vermutung: So hat die Umstellung auf elektronisch ausgezahlte Sozialleistungen in Missouri die Kriminalitätsrate in vornehmlich von Sozialhilfeempfängern bewohnten Nachbarschaften um etwa 10% gesenkt. Eine Studie auf Basis von 49 Ländern findet, dass eine höhere Verbreitung elektronischer Zahlungsmöglichkeiten die Kriminalitätsrate deutlich reduziert. Frühere Studien zeigen, dass höhere Kriminalitätsraten dazu führen, dass Bürger ihre Nachfrage nach Bargeld reduzieren – vermutlich, weil sie elektronische Zahlungsmittel für sicherer halten.

Wenngleich die Vermutung, dass bargeldlosere Gesellschaften weniger Straßenkriminalität erleben, empirisch gestützt wird, entfällt der Effekt hauptsächlich auf solche Verbrechen, die in direktem Zusammenhang mit Bargeld stehen, etwa Raub und Diebstahl. Bei nur indirekt mit Bargeld in Zusammenhang stehenden Verbrechen wie Mord oder Drogenverkauf kann dagegen kein signifikant kriminalitätsmindernder Effekt gemessen werden.

Bargeld und Schattenwirtschaft: Gemischte Evidenz

Über die Bekämpfung der Straßenkriminalität hinaus versprechen sich Befürworter der Bargeldeinschränkung einen Rückgang organsierterer Formen der Kriminalität, da sie vermuten, dass die Schattenwirtschaft von der Verfügbarkeit von Bargeld abhängig ist. Expertenmeinungen über die Wirksamkeit der Bargeldeinschränkung zwecks Bekämpfung organisierter Kriminalität gehen jedoch auseinander, rigorose empirische Studien existieren nicht.

Der Bankenexperte Peter Sands empfiehlt die Abschaffung hochdenominierter Banknoten, etwa der 200€-Note, da diese vornehmlich zu kriminellen Zwecken verwendet würden, gesetzestreuen Bürgern dagegen kaum Vorteile brächten. Eine von MasterCard und EY in Auftrag gegebene Studie schätzt die Auswirkung verschiedener Maßnahmen zur Bargeldeinschränkung auf die Schattenwirtschaft und findet, dass Obergrenzen für die Bargeldzahlung das Schattenmarktvolumen deutlich senken können. Die Cost of Cash-Studie schätzt, dass durch Einschränkung bzw. Verbot der Bargeldnutzung der Gesamtumsatz durch Drogenhandel, illegales Glücksspiel, Menschenhandel und Wirtschaftskriminalität in Deutschland um mehrere Milliarden Euro reduziert werden könnte.

Der Schattenwirtschaftsexperte Friedrich Schneider erwartet dagegen, dass ein Bargeldverbot in Deutschland das Schattenwirtschaftsvolumen um nur 1% verringern würde, da sowohl organisierte Kriminalität als auch Terrorismus kaum noch von Bargeldnutzung profitieren.

Die Korrelation zwischen Bargeldnutzung und dem Schattenwirtschaftsvolumen in verschiedenen Ländern ist schwach. In Ländern mit einem hohen Anteil der Schattenwirtschaft am BIP (Griechenland, Italien, Spanien, Portugal) finden relativ wenige elektronische Zahlungstransaktionen pro Kopf statt. Unter den Ländern mit geringerem Schattenwirtschaftsanteil finden sich sowohl solche mit wenig elektronischen Zahlungstransaktionen pro Kopf (Japan, Irland, deutschsprachige Länder), als auch solche mit vielen elektronischen Zahlungstransaktionen pro Kopf (angelsächsische Länder, Niederlande).

 

 

Bargeld hat Vorteile für Bürger

Wenngleich empirische Studien darauf hindeuten, dass die Einschränkung des Bargeldverkehrs kriminalitätsmindernd wirkt, dürfen die potenziell hohen Kosten solcher Maßnahmen nicht ignoriert werden. Allen Innovationen im Bereich elektronischer Zahlungssysteme zum Trotz hat die Verfügbarkeit von Bargeld für die Bürger weiterhin bedeutenden Nutzen.

Konventionelle wie innovative elektronische Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel bieten im Vergleich zu Bargeld nur geringen Schutz vor einer Aushöhlung des Datenschutzes durch den Staat, da elektronische Zahlungsvorgänge in der Regel zentral und digital gespeichert werden und somit leicht nachvollzogen werden können. Ein leichter Nachvollzug krimineller Transaktionen ist wünschenswert – der finanziell gläserne Bürger ist es nicht.

Auch vor finanzieller Repression bietet Bargeld Schutz. In Zeiten hoher Schuldenberge ist der Anreiz für Notenbanken groß, Zinssätze nahe oder unter null zu drücken. Negativzinsen können Bürger aber entgehen, solange sie elektronische Guthaben unbegrenzt in Bargeld umwandeln können. Selbiges gilt für Vermögensteuern, Kapitalkontrollen und die Beteiligung von Einlegern an Bankenrettungen – diesen kann schwerlich ausgewichen werden, wenn die Umwandlung von Sichtguthaben in Bargeld unterbunden wird.

Alternative Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung nutzen

Angesichts der für die Bürger hohen Risiken der Bargeldeinschränkung können derartige Maßnahmen nicht mit Hinweis auf die kriminalitätsmindernde Wirkung gerechtfertigt werden. Allenfalls lassen sich punktuelle Reformen wie die erwähnte Umstellung auf elektronisch ausgezahlte Sozialleistungen in Missouri begründen.

Dem Staat stehen viele andere Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung, die weder den Datenschutz aushöhlen, noch den Bürger weiterer finanzieller Repression ausliefern. Dazu gehören die Legalisierung opferloser Verbrechen und die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen für die staatliche oder private Sicherheitsproduktion.

Erstmals erschienen auf IREF.

Photo: Christopher Czermak from flickr.com (CC BY 2.0)

Henning Lindhoff ist Redakteur beim Institut für Vermögensentwicklung IFVE.

Die Konjunktur in Deutschland gewinnt weiter an Fahrt. Für 2017 rechnet das Research-Team der DZ Bank mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent. Im kommenden Jahr sollen es 1,8 Prozent werden – nicht zuletzt auch durch vermehrten privaten und staatlichen Konsum.

Und auch die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte werden in diesem und im kommenden Jahr leicht wachsen – nach Schätzungen der DZ Bank um 2,9 bzw. 3,0 Prozent.

Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Nicht ganz. Während die Bürger immer mehr Gelegenheit bekommen, ihre Arbeitskraft gegen Geld zu tauschen, wird das Feld der lukrativen Anlagemöglichkeiten stetig übersichtlicher.

Mit den Zinseinnahmen der Sparer geht es kontinuierlich bergab. Die Verzinsung ihrer Einlagen, Rentenpapiere und Versicherungen wird in diesem Jahr auf unter 60 Mrd. Euro sinken – rund 50 Prozent weniger als noch vor 10 Jahren. Und das, obwohl die Gesamtsumme der Investments seit 2008 um mehr als 36 Prozent gestiegen sind.

Da in den kommenden Monaten noch einige Rentenpapiere mit relativ hohen Zinsen fällig werden, kann durchaus mit weiter fallenden Zinseinkünften im kommenden Jahr gerechnet werden.

In den letzten Monaten haben Sparer und Anleger immer neue historische Tiefstände bei den Zinsen für Geldanlageprodukte hinnehmen müssen. Laut einer aktuellen Studie der DZ Bank, für die sie das zurückliegende Jahr in ihre Betrachtung einbezog, addierte sich der Zinsverlust der deutschen Privathaushalte zwischen 2010 und 2016 auf fast 344 Milliarden Euro.

Vor allem bei Bankeinlagen verloren Anleger: 188,6 Milliarden Euro. Aber auch Rentenpapiere (-55,7 Milliarden Euro) und Lebensversicherungen (-99,3 Milliarden Euro) konnten ihre Versprechen auf Vermögenswachstum nicht mehr in dem zuvor gewohnten Maße einhalten.

Und diese Talfahrt lässt noch kein Ende erkennen. Auf der einen Seite wird die Europäische Zentralbank ihre Politik des leichten Geldes zukünftig sicherlich eindämmen. Auf der anderen Seite wird es allerdings noch einige Jahre dauern, bis sich die Zinsen für Kredite und Geldanlageprodukte wieder spürbar erholt haben werden.

Hinzu kommen negative Effekte durch die in den letzten Monaten wieder leicht steigenden Inflationsraten. Für das Jahr 2017 rechnet die DZ Bank daher mit einem negativen Realzins von -0,8 Prozent. Dieser allein lässt einen Vermögenswertverlust im mittleren zweistelligen Milliardenbereich vermuten.

Doch trotz aller Widrigkeiten sparen die deutschen Haushalte weiter.

Mit Blick auf die demographische Entwicklung ist dies sicherlich eine positive Nachricht. Allerdings ist diese deutsche Sparsamkeit noch von zu großer Risikoscheu geprägt.

Nur 14 Prozent aller Bürger haben hierzulande Aktien in ihrem Portfolio. Statt auf Unternehmensbeteiligungen setzen sie auf unsichere Versprechen der Lebensversicherer, auf verfallende Geldwerte wie Sparbücher und Tagesgelder.

Das Vermögensbarometer 2016 veranschaulicht die Verunsicherung der deutschen Sparer. Im Auftrag der Sparkassen wurden hier mehr als 1.800 Bürger befragt. Die Ergebnisse machen deutlich, dass viele Deutsche, trotz sinkender Zinsen für Anleihen, weiter auf die vermeintliche Zuverlässigkeit der festverzinsichlichen Wertpapiere setzen. 57 Prozent der Befragten nannten „Sicherheit‟ als wichtigstes Kriterium für ihre Anlageentscheidung. „Rendite‟ rangiert nur auf dem fünften Platz. Und eine Umfrage der Postbank zeigt, dass sich 47 Prozent der Deutschen lieber mit dem zinslosen Girokonto zufrieden geben als sich mit vermeintlich riskanten Aktien zu beschäftigen. Nur 532 Milliarden Euro halten deutsche Anleger aktuell in Form von Unternehmensanteilen. Diese trugen immerhin rund 44 Mrd. Euro zum Vermögenszuwachs der Deutschen im Jahr 2016 bei.

Doch dies ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Mit ihrem falschen Anlageverhalten betrügt sich die deutsche Mittelschicht selbst.

Unsere europäischen Nachbarn freuen sich derweil über sehr viel höhere Renditen. Abzulesen ist dies am Netto-Geldvermögen (das Vermögen abzüglich der Schulden) pro Einwohner, das in vielen Ländern mit sehr viel niedriger Sparquote deutlich höher ist als in Deutschland. In den Niederlanden (80.182 Euro pro Kopf im Jahr 2015) und selbst im wirtschaftlich gebeutelten Italien (53.494 Euro) haben die Bürger mehr auf der hohen Kante als die Deutschen (47.681 Euro).

Der Grund: Die Italiener, Niederländer und viele andere legen ihr Geld sehr viel effektiver an. Laut einer Studie der Allianz-Versicherung erwirtschafteten sie zwischen 2012 und 2015 ein Plus von 4,6 Prozent.

Aktien im Portfolio verbriefen die Teilhaberschaft an einem realen Unternehmen. Weniger „German Angst“ bedeutete in Sachen Geldanlage also vor allem auch ein Mehr an unternehmerischem Selbstverständnis. Es ist zu hoffen, dass fallende Zinsen die deutschen Anleger diesem Mindset näher bringen werden.