Photo: Rene Schwietzke from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Entscheidend für die individuelle Umverteilungspräferenz scheinen nicht objektive Ungleichheitsmaße zu sein, sondern die subjektive Einschätzung. Angesichts der deutlichen Überschätzung der Einkommensungleichheit in Deutschland verwundert es nicht, dass diese die wirtschaftspolitische Debatte dominiert. Gleichwohl wäre es wünschenswert, den Fokus wieder stärker auf die Bedingungen höheren Wachstums zu setzen.

Je ungleicher die Einkommen in einem Land verteilt sind, desto umverteilungsskeptischer sind die Einkommensschwachen. Diesen zunächst wenig intuitiven Befund legt der italienischen Soziologe Renzo Carriero in einem 2016 veröffentlichten Papier vor. Andere Studien legen allerdings nahe, dass Carrieros vermeintlich paradoxe Beobachtung in der Praxis wenig Bedeutung hat. Entscheidend für die individuelle Umverteilungspräferenz scheinen nicht objektive Ungleichheitsmaße zu sein, sondern die subjektive Einschätzung wirtschaftlicher Ungleichheit. Zudem schätzen die meisten Menschen das tatsächliche Ausmaß der Ungleichheit und ihre eigenen Position in der Einkommensverteilung falsch ein. Angesichts der deutlichen Überschätzung der Einkommensungleichheit in Deutschland verwundert es nicht, dass diese die wirtschaftspolitische Debatte dominiert. Gleichwohl wäre es wünschenswert, den Fokus wieder stärker auf die Bedingungen höheren Wachstums zu setzen.

Ungleiche Einkommen, gleiche Umverteilungspräferenzen

Soziologische Studien stoßen immer wieder auf ein vermeintliches Paradoxon: Menschen in Ländern mit hoher Einkommensungleichheit haben über alle Einkommens- und Berufsklassen hinweg relativ ähnliche Präferenzen bezüglich der Umverteilung von Einkommen über Steuern und Transfers, während die Präferenzen von Menschen in gleicheren Gesellschaften stärker divergieren. Der Befund widerspricht der Intuition einer am eigenen Wohl orientierten Präferenz zunächst. Sollten Menschen mit geringem Einkommen nicht gerade in ungleichen Gesellschaften stark für Umverteilung sein, weil sie viel zu gewinnen haben? Und sollten Menschen mit hohen Einkommen in ungleichen Gesellschaften nicht eine starke Abneigung gegen Umverteilung haben, weil sie viel zu verlieren haben?

Vermuteten Soziologen in der Vergangenheit, dass die abnehmenden Präferenzunterschiede in ungleichen Gesellschaften darauf zurückzuführen seien, dass Wohlhalbenden in Umverteilung einen Schutzmechanismus gegen soziale Unruhen und Kriminalität sähen, findet Carriero, dass der Grund für die Konvergenz von Präferenzen bei den relativ Armen liegt: Je ungleicher die Einkommensverteilung, desto schwächer sei deren Präferenz für Umverteilung.

In der deutschsprachigen Presse lud das Ergebnis von Carrieros Analyse zu pessimistischen Spekulationen ein: „Warum unterstützen Menschen eine Politik, die ihren wirtschaftlichen Interessen zu widersprechen scheint“ (Der Spiegel)? Kann es sein, dass der Egalitarismus in ungleichen Gesellschaften als „Gesinnung der Verlierer“ stigmatisiert wird (FAZ)? Macht sich dort der Mythos breit, dass jedermann sozial aufsteigen könne und Umverteilung daher unnötig sei (Die Presse)?

Kausale Interpretation unklar

Carriero spekuliert, dies könne daran liegen, dass die soziale Mobilität in ungleicheren Ländern als stärker ausgeprägt wahrgenommen wird – selbst wenn empirische Studien zeigen, dass die soziale Mobilität tatsächlich in gleicheren Gesellschaften höher ist. Möglich sei auch, dass Ungleichheit legitimierende politische Ideologien in ungleichen Gesellschaften leichter Fuß fassen und durch Medien sowie einflussreiche Interessengruppen reproduziert würden.

Wenngleich die Studie auf einem repräsentativen Datensatz beruht und für weitere Einflussfaktoren wie das Niveau der Sozialleistungen oder die ethnische Homogenität einer Gesellschaft kontrolliert, taugt Carrieros Analyse nicht zur Identifikation eines kausalen Effekts. So ist es durchaus möglich, dass die Kausalität im von ihm beobachtete Zusammenhang zwischen Ungleichheit und abnehmender Umverteilungspräferenz entgegengesetzt wirkt: Wo die Menschen über alle Einkommens- und Berufsklassen hinweg weniger Umverteilung wünschen, da verteilt die Politik weniger um, was sich wiederum in höherer Einkommensungleichheit manifestiert. Carrieros Studie ist auf 44 Länder Europas beschränkt, darunter vornehmlich entwickelte Demokratien. Dass die getroffenen politischen Maßnahmen in diesen mit den Präferenzen der Wähler korreliert sind, ist nicht allzu überraschend.

Ungleichheit wird überschätzt

Selbst für den Fall, dass der von Carriero vermutete Zusammenhang tatsächlich besteht, ist jedoch fraglich, wie relevant er für die wirtschaftspolitische Diskussion ist. Die meisten Menschen schätzen das Ausmaß der Einkommensungleichheit, gemessen etwa anhand des Gini-Koeffizienten, falsch ein. Judith Niehues zeigt für 24 Länder, darunter Deutschland, dass die tatsächliche Ungleichheit meist überschätzt wird.

So waren die 2009 Befragten in Deutschland im Durchschnitt der Ansicht, dass weniger als ein Drittel (30,2%) der Deutschen zur Mittelschicht gehören (mit einem Nettoeinkommen von 80 bis 150% des Medianeinkommens). In der durch relatives Armutsrisiko (60% des Medianeinkommens) definierte Gruppe sahen die Befragten ein Viertel der Bevölkerung. Tatsächlich war fast die Hälfte der Deutschen (48,1%) Teil der Mittelschicht und nur 15,6% der Bevölkerung lebten mit einem relativen Armutsrisiko.

 

 

Da individuelle Umverteilungspräferenzen auf Basis subjektiver Einschätzungen gebildet werden und der Einfluss der gemessenen Ungleichheit auf die wahrgenommene Ungleichheit sehr beschränkt ist, wird auch die Einstellung zur Umverteilung nur schwach von der tatsächlichen Ungleichheit beeinflusst.

Weshalb fand Carrieros Befund trotz dessen geringer praktischer Relevanz so viel Beachtung in den Medien? Ein Grund könnte in der weit verbreiteten Vorstellung liegen, wirtschaftliche Ungleichheit sei das zentrale Problem westlicher Gesellschaften.

Wachstum in den Fokus rücken

Die großen Garanten steigenden Wohlergehens sind seit der industriellen Revolution wettbewerblich organisierte offene Märkte, eingebettet in demokratische Systeme. In marktwirtschaftlich organisierten Demokratien lebende Menschen sind heute etwa 40mal so reich wie ihre vor drei Jahrhunderten lebenden Vorfahren. Gelänge es, das seit Beginn des Jahrtausends durchschnittlich bei nur 1% liegende jährliche Wirtschaftswachstum auf 2% zu heben, so wäre schon in etwa 35 statt 70 Jahren ein 80mal so hohes Wohlstandsniveau erreicht. Von derartig massivem Wachstum profitieren alle Mitglieder der Gesellschaft. Die Umverteilung von Einkommen zwischen einzelnen Gruppen bei gegebenem niedrigerem Wachstum verliert im Vergleich zu derartigen, innerhalb einer Generation möglichen, Wohlstandssteigerungen an Wichtigkeit – selbst für die von Transfers profitierenden Mitglieder der Gesellschaft. Nicht wirtschaftliche Ungleichheit sollte daher im Fokus der Debatte stehen, sondern die Voraussetzungen für stärkeres Wachstum.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: simpleinsomnia from Flickr (CC BY 2.0)

Von Beat Kappeler, freier Journalist (Neue Zürcher Zeitung, Le Temps, Schweizer Monat u. a.).

Der Euroraum hat 33 Mitgliedstaaten, und 14 davon liegen in Westafrika. Deren Exporte sind dadurch schwer behindert, die Importe zu billig, die Industrie kommt deshalb nicht auf und Millionen Junger fliehen ans Mittelmeer. Wie kommt das?

Die ehemaligen französischen Kolonien gehörten immer zur Währungszone des CFA-Franc, der fest an die französische Währung gebunden war. Als Frankreich dem Euro 1999 beitrat, kamen diese 14 westafrikanischen Staaten mit, und dies ohne Parlamentsbeschlüsse oder Volksabstimmungen. Der „nicht veröffentlichungsbedürftige Rechtsakt“ Nr. 98/683/EG in Brüssel hielt den Beitritt Westafrikas fest.

Seither sind also die ärmsten Länder der Welt im Euro festgesetzt – und die Folgen sind noch viel dramatischer als für die sonst auch strukturschwachen Mitglieder Griechenland und Portugal. Denn die Mechanik bleibt für alle die gleiche – diese Länder können nicht abwerten, wenn sie wenig konkurrenzfähig sind. Eine Anpassung muss über die „interne Abwertung“ erfolgen, also durch den dauernden Druck auf Preise, Löhne, Staatsausgaben. Ohne Exportchancen, aber mit weit offenen Grenzen für die zu billigen Importe Europas werden Arbeitsplätze vernichtet, es entstehen kaum neue. Dazu wirkt der feste Wechselkurs auch auf die Kapitalströme – die Oberschicht Westafrikas kann ihr Geld zum für sie günstigen, hohen Kurs nach Paris oder Frankfurt senden und dort anlegen. Was Wunder, wenn die jungen Menschen fliehen und diesen verfälschten Handelsströmen und der Ausblutung durch Geldflucht sozusagen nachreisen müssen.

Die betroffenen Länder sind beispielsweise Mali, Kamerun, Niger, Kongo-Brazzaville, Senegal, Togo, der Tschad, die Zentralafrikanische Republik. Es flohen 3 von 14 Millionen aus Mali, Hunderttausende aus Senegal. Sie drängen übers Mittelmeer nach Europa.

Niemand in Europa, vor allem nicht in Frankreich, will diese Wahrheiten sehen. Kanzlerin Merkel auch nicht. Sie hat im Oktober 2016 Niger und Mali besucht, spendete Trost, aber wenig Geld. Ein Marshallplan sei nicht zu haben. Es gehe um mehr als kurzfristige Bekämpfung der Fluchtursachen. Die sofortige und wirksamste Lösung, der Austritt aus dem Euro, wurde aber nicht erwogen.

In der tristen Begleitmusik zur Merkel-Reise fiel manchen Entwicklungsexperten Deutschlands nur ein, man müsse „eine neue Beziehung“ mit Westafrika ansteuern, oder es gelte, „die Entwicklungszusammenarbeit zu überdenken“. Das sind Schablonen und Versatzstücke, welche das Denken gleich schon mal ersetzen, und dies seit je. Kanzlerin Merkel selbst bot den besuchten Ländern „Migrationspartnerschaften“ an. Dies bedeutet aber nur, dass man das Elend der dortigen Jungen gemeinsam bewirtschaftet, ohne die Ursache zu ändern. Dass nur schon aufgrund der empörenden Währungsanbindung diese Länder sich noch viel schlechter stellen als Griechenland und Portugal, dass sie im Gegensatz dazu nicht auf Dutzende von Hilfsmilliarden hoffen können, dass niemand im Leisesten an eine Paritätsänderung ihrer Währungen denkt, zeigt eine geistlose „Analyse“ der Entwicklungsbedingungen. Kritiker stehen nicht an, dies als ausgesprochenen Kolonialismus zu bezeichnen. Frankreich, und seit der Schaffung des Euro alle europäischen Lieferantenländer, haben sich dort die Märkte gesichert, brauchen keine Billigkonkurrenz zu fürchten und halten die dortigen Eliten dank deren Kapitalexporten nach Paris gefügig. Der europäische Einfluss, bis zu gelegentlichen militärischen Eingriffen Frankreichs, hält sich da einen gefälligen Hinterhof.

Den Kontrast zum Armenhaus Westafrika bieten die aufstrebenden Länder Asiens. Sie behielten ihre eigenen Währungen und stellten sie in den Dienst ihres wirtschaftlichen Fortkommens. So wertete Thailand den Baht seit 1998 um 40% ab, die Philippinen den Peso um 20%. Südkorea wertete bei einer Krise seinen Won gegenüber dem Euro, also gegenüber Senegal, Zentralafrika oder Kamerun, von 2005 bis 2009 mal kurz um 60% ab, ließ ihn seither wieder auf den alten Kurs steigen. Jetzt ist Südkorea reich, hat seine Exportmärkte halten können. Außerdem schränkten die asiatischen Länder die Transfers der Währung ins Ausland zu Beginn der Entwicklung stark ein. Deren Oberschichten mussten ihre Gelder zuhause investieren.

Offizielle Stellen und falsche Freunde der „Entwicklung“ argumentieren mit „Stabilität“, wenn sie auf die Euro-Anbindung des CFA-Franc angesprochen werden. Doch was heißt Stabilität, wenn sich ganze Länder um ihre jungen Generationen entleeren, wenn Desindustrialisierung stattfindet? Andere Experten finden, viele andere Umstände behinderten Westafrikas Entwicklung. Es sind solche Hindernisse vorhanden, in großer Zahl – aber wie sollen sie überwunden werden, wenn die Währung schon grundlegende Expansionschancen unterbindet?

In eigener Sache pflegen die Westeuropäer eine ausgeprägte Wehleidigkeit bei Währungsproblemen. Jedes Mal, wenn der Dollar um ein paar Prozentchen zum Euro fällt, fordern die Franzosen von der Zentralbank sofort Maßnahmen, und die deutsche Börse fällt, weil ein paar Exporte leiden könnten. Dass der noble Euro dies den armen Westafrikanern seit einer Generation zumutet, kommt nicht in den Sinn. Kamerun war bis 1918 deutsche Kolonie, heute steckt es mit dem hochproduktiven Deutschland in der gleichen Währungsunion, ohne sich regen zu können. Das ist Unsinn, das ist der Euro als obligate Währung Westafrikas, das ist ein Verbrechen.

Erstmals erschienen beim Austrian Institute.

Photo: Wikimedia Commons

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Immer wieder liest man, Unternehmen würden Geringqualifizierten zu niedrige Löhne zahlen. Diese Wahrnehmung passt jedoch nicht zu den Beschäftigungsdaten. Profitierten gewinnorientierte Unternehmen ganz besonders stark von der Beschäftigung Geringqualifizierter, sollten sie in Abschwungphasen weniger von Arbeitslosigkeit betroffen sein als andere Gruppen von Beschäftigten. Sie werden jedoch tendenzielle eher entlassen.

In der Debatte um den Mindestlohn schwingt häufig die weit verbreitete Ansicht mit, Unternehmen würden von der Beschäftigung von Niedrigqualifizierten zu niedrigen Löhnen ganz besonders stark profitieren. Obwohl weit verbreitet, passt diese Wahrnehmung nicht zu den Beschäftigungsdaten – so auch in Deutschland. In Rezessionen verlieren relativ niedrig Qualifizierte und schlecht entlohnte Arbeitnehmer häufiger ihre Arbeit als Besserqualifizierte. Profitierten gewinnorientierte Unternehmen ganz besonders stark von der Beschäftigung Geringqualifizierter, sollten sie in Abschwungphasen weniger von Arbeitslosigkeit betroffen sein als andere Gruppen von Beschäftigten. Gewinnorientierte Unternehmen haben keinen Anreiz, gerade jene Mitarbeiter freizusetzen, von deren Beschäftigung sie am meisten profitieren. Aus der Entwicklung qualifikationsspezifischer Arbeitslosenraten in Krisenzeiten lässt sich jedoch vielmehr schließen, dass Unternehmen relativ stärker von der Beschäftigung Hochqualifizierter profitieren.

Eher entlassen trotz hohen Deckungsbeitrags?

Immer wieder liest man, Unternehmen würden Geringqualifizierten zu niedrige Löhne zahlen. Impliziert wird dabei, dass Geringqualifizierte relativ zu ihrem Beitrag zum Output der Unternehmen besonders niedrig entlohnt werden.

Erzielten Unternehmen durch die Beschäftigung von Geringqualifizierten einen besonders hohen Deckungsbeitrag, sollten Geringqualifizierte in Rezessionen zuletzt entlassen werden. Sie werden jedoch tendenziell eher entlassen. Auf diesen Widerspruch wies im vergangenen Jahr der US-Ökonom Tyler Cowen hin. Auch für Deutschland gilt, dass Geringqualifizierte in Rezessionszeiten eher ihre Beschäftigung verlieren als Besserqualifizierte.

Beschäftigungsverlust in Rezessionen: Geringqualifizierte stärker betroffen

Fünf Rezessionsjahre sind für Deutschland seit 1975 zu verzeichnen. Während sich 1975 und 1982 die erste und zweite Ölkrise negativ auf das BIP Deutschlands auswirkten, schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland am Ende des Einheitsbooms im Jahr 1993. Nach der leichten Rezession 2003 sank das BIP zuletzt nach der Finanzkrise im Jahre 2009.

Das bei der Bundesagentur für Arbeit ansässige Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stellt für den Zeitraum von 1975 bis 2014 qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten bereit. Es werden die Arbeitslosenquoten für Menschen ohne Ausbildung, mit beruflicher Ausbildung und mit Universitätsabschluss unterschieden. Die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Ausbildung war stets deutlich höher als die der anderen Gruppen. Zwar wuchs diese Differenz seit 1975 erheblich, es gelang jedoch auch immer mehr Menschen einen Berufsabschluss zu erwerben.

Hier wird die Beschäftigungsentwicklung der verschiedenen Qualifikationsgruppen in den Rezessionen von 1982, 1993, 2003 und 2009 betrachtet. Der Anstieg der Arbeitslosenrate einer Beschäftigungsgruppe während eines Rezessionsjahres wurde dabei ins Verhältnis zur Beschäftigungsquote dieser Gruppe im Vorjahr gesetzt. Die so ermittelte Quote zeigt folglich an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass ein Beschäftigter einer Qualifikationsgruppe im Zuge einer Rezession seine Arbeit verlor. Dadurch wird berücksichtigt, dass die Arbeitslosenquote der Geringqualifizierten stets höher war.

Im Zuge jeder Rezession war die Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden für Beschäftigte ohne Ausbildung am höchsten. Während in der Rezession 1982 3,3 % der Beschäftigten ohne Ausbildung ihre Arbeit verloren, wurden nur 1,9 % der Beschäftigten mit beruflicher Ausbildung und gar nur 0,9 % der beschäftigten Universitätsabsolventen arbeitslos. In der zweiten hier betrachteten Rezession im Jahr 1993 war der Unterschied zwischen Personen ohne Ausbildung und Personen mit Hochschulausbildung noch gravierender. Interessant ist, dass der rezessionsbedingte Beschäftigungsverlust für Mittel- und Hochqualifizierte seit 1975 abnimmt, während er für Personen ohne Ausbildung stark schwankt.

Größter Gewinnbeitrag durch Hochqualifizierte?

Es ist zu erwarten, dass gewinnorientierte Unternehmen sich in einer Rezession zuerst von den Mitarbeitern trennen, die in Relation zu den durch sie entstehenden Personalkosten, inklusive allen durch Entlassungen und Einstellungen entstehenden Transaktionskosten, den kleinsten Beitrag zum Gewinn des Unternehmens leisten.

Die Entwicklung der qualifikationsspezifischen Quoten des Beschäftigungsverlustes deutet darauf hin, dass Menschen ohne Ausbildung für Unternehmen tendenziell geringere relative Deckungsbeiträge erwirtschaften. Denn ihr Beschäftigungsrückgang ist in Krisenzeiten am deutlichsten. Die Beschäftigungsentwicklung Hochqualifizierter weist dagegen darauf hin, dass ihr relativer Deckungsbeitrag am höchsten ist. Zudem suggeriert die Entwicklung seit der Rezession 1982, dass die relative Attraktivität der Beschäftigung Hochqualifizierter über die vergangenen Jahrzehnte gestiegen ist und spiegelt möglicherweise wider, dass eine sehr gute Ausbildung für ein erfolgreiches Erwerbsleben heute wichtiger ist als in der Vergangenheit.

Hohe Gewinnmargen durch Beschäftigung Geringqualifizierter?

Neben betriebsbedingten Kündigungen weiterhin aktiver Unternehmen trägt während einer Rezession auch die vollständige Aufgabe von Unternehmen zu höheren Arbeitslosenquoten bei. Erwirtschafteten Unternehmen, die gerade hauptsächlich Niedrigqualifizierte zu niedrigen Löhnen beschäftigen, besonders hohe Gewinnmargen, sollten sie besser durch Krisenzeiten kommen als andere Unternehmen. Die höheren Gewinnmargen in normalen Zeiten würden diesen Unternehmen helfen, die Durststrecke zu überstehen. Die Daten des IAB geben keinen Aufschluss darüber, aus welchen Gründen sich die Arbeitslosenquoten verändern. Sie legen jedoch eher nahe, dass relativ viele Unternehmen von Insolvenzen betroffen sind, die relativ viele Niedrigqualifizierte beschäftigen – und das spricht eher für überdurchschnittlich niedrige Gewinnmargen in diesen Unternehmen.

Mindestlohn kann Situation für Geringqualifizierte verschärfen

Geht während einer Rezession die Nachfrage nach den Produkten eines Unternehmens zurück, fährt es früher oder später die Produktion zurück. Während Unternehmen in der Vergangenheit mit einem Mix von Preis- und Mengenanpassungen in Form von niedrigeren Löhnen für weniger Beschäftigte auf Rezessionen reagieren konnten, wird heute eine Preisanpassung unter 8,50 Euro durch den Mindestlohn verhindert. Der Mindestlohn könnte so zukünftig dazu beitragen, dass Geringqualifizierte noch stärker von steigender Arbeitslosigkeit in Zeiten von Rezessionen betroffen sein werden. Der Mindestlohn schiebt Lohnanpassungen nach unten einen Riegel vor und macht damit aus Sicht der Unternehmen das Instrument der Mengenanpassung in Form von Stellenabbau relativ attraktiver.

Beschäftigung erleichtern

Die Entwicklung qualifikationsspezifischer Arbeitslosenquoten in Jahren der Rezession spricht nicht dafür, dass Unternehmen in Deutschland ganz besonders von der Beschäftigung Niedrigqualifizierter zu niedrigen Löhnen profitieren. Die These, Niedrigqualifizierte sorgen für relative hohe Deckungsbeiträge für Unternehmen, passt zwar gut zu Vorbehalten gegenüber Unternehmen, aber nicht zu den beobachteten Beschäftigungsdaten. Das weit verbreitete Bild der auf dem Rücken von Niedrigqualifizierten hohe Gewinne erzielenden Unternehmen Bedarf einer Korrektur.

Vielmehr deuten die Daten darauf hin, dass Unternehmen von der Beschäftigung Hochqualifizierter relativ stärker profitieren. Geringqualifizierten und ihren potentiellen Arbeitgebern sollte deshalb der Abschluss und die Aufrechterhaltung von Arbeitsverhältnissen erleichtert und nicht erschwert werden, wie es beispielsweise durch den Mindestlohn geschieht. Anstatt die Beschäftigung Niedrigqualifizierter mittels des Mindestlohns mit einer Steuer zu belegen, wäre es der Unterstützung aller Geringverdiener dienlich, staatliche Lohnzuschüsse für sie bereitzustellen und somit ihre Beschäftigung zu subventionieren.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Carmelo Speltino from flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Erstens: Aus der Politischen Ökonomie ist bekannt, dass die regierenden Politiker versuchen, vor der Wahl ein konjunkturelles Strohfeuer zu entfachen. Ein Mittel dazu ist die Geldpolitik. Auch unabhängige Zentralbanken folgen dem Wahlzyklus, wenn die Mehrheit des Zentralbankrats von der amtierenden Regierung oder einer parteipolitisch ähnlich zusammengesetzten Vorgängerregierung ernannt worden ist. Für die amerikanische und die deutsche Zentralbank ist dies nachgewiesen worden (McGregor 1996, Vaubel 1993).

Im Fall der Europäischen Zentralbank ist normalerweise kein geldpolitischer Wahlzyklus zu erwarten, weil die Wahlen in den teilnehmenden Ländern nicht synchronisiert sind. Aber gelegentlich ballen sich die Wahltermine doch – auch die der großen Länder. Zum ersten Mal geschah das im Sommer 2002: in Frankreich wurden der Präsident und die Assemblée Nationale neu gewählt, in Deutschland der Bundestag. Außerdem fanden im Mai 2002 reguläre Wahlen in Irland und den Niederlanden statt. Die vorgezogenen Wahlen in Portugal (März) und Österreich (November) waren dagegen kaum prognostizierbar. Tatsächlich stieg die Geldmengenexpansion (M 3) in den letzten drei Quartalen des Vorjahres (2001) auf 6,1 Prozent, nachdem sie in den vorangegangenen drei Quartalen noch unter der Referenzrate von 4,5 Prozent gelegen hatte. Oder, für diejenigen, die im Notenbankzins einen zuverlässigeren Indikator der Geldpolitik sehen: die EZB senkte ihren Hauptrefinanzierungszins 2001 von 4,75 Prozent im Mai auf 3,25 Prozent im November. Die (von der OECD harmonisierte) Arbeitslosenquote der Eurozone war 2001 und 2002 niedriger als in jedem der drei vorangegangenen und nachfolgenden Jahre. Chirac und Schröder wurden wiedergewählt. Ich hatte die wahlbedingte Geldschwemme von 2001 vorhergesagt (in: David Cobham, Ed., European Monetary Upheavals, 1994).

Normalerweise wäre es erst nach zwanzig Jahren wieder zu einer zeitlichen Koinzidenz der französischen und deutschen Wahlen gekommen. Aber dadurch, dass die Bundestagswahlen von 2006 auf 2005 vorgezogen wurden, finden die französischen und die deutschen Wahlen schon 2017 wieder im selben Jahr statt. (Die anstehenden Neuwahlen in Italien sind dagegen vorgezogen und dürften für die Geldpolitik der EZB keine Rolle gespielt haben.) Wenn die französische und die deutsche Regierung an einem Strang ziehen, folgen die anderen meist nach. Wie Méon und Hajo (2013) gezeigt haben, hängt die Zinspolitik der EZB nicht nur von den Stimmengewichten im EZB-Rat, sondern auch vom wirtschaftlichen Gewicht der beteiligten Länder ab – vermutlich, weil die Regierungen der großen Länder im (Europäischen) Rat das größte Gewicht – d. h., das größte Sanktionspotential – haben.

Die französische und die deutsche Regierung haben die hyper-expansive Geldpolitik der EZB von Anfang an unterstützt – auch noch 2016, als die Geldmengenexpansion (M 3) längst über die Referenzrate von 4,5 Prozent hinausgeschossen war. Finanzminister Schäuble hat die Anleihekäufe stets verteidigt und sich erst im Sommer dieses Jahres für eine zinspolitische Normalisierung ausgesprochen – also zu einem Zeitpunkt, als Zinserhöhungen die Wirtschaftslage zum Wahltermin nicht mehr beeinträchtigt hätten. Wie die EZB in Kenntnis der Wahltermine bereits 2015 ankündigte, wird sie ihre Anleihekäufe und ihre Nullzinspolitik erst nach den Wahlen beenden. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ist das Wirtschaftswachstum im Wahljahr 2017 klar gestiegen und die Arbeitslosenquote deutlich gesunken.

Zweitens: Die Nullzinspolitik hat nicht nur die Konjunktur beflügelt. Sie hat auch den staatlichen Schuldendienst – in der gesamten Eurozone um etwa eine Billion Euro – erleichtert und Finanzminister Schäuble in die angenehme Lage versetzt, zur Wahlzeit einen kleinen Haushaltsüberschuss vorzuweisen.

Drittens: Dass die EZB seit 2015 die Bundesbank zwingt, in großem Umfang Bundesanleihen anzukaufen, muss Schäuble besonders gefreut haben. Damit hat die monetäre Staatsfinanzierung auch Deutschland erreicht.

Viertens: Im Sommer dieses Jahres wurde plötzlich das Gerücht ausgestreut, der Nachfolger Draghis könne ein Deutscher – zum Beispiel Jens Weidmann – sein. Das hören die deutschen Wähler gerne. Draghis Vertrag läuft aber erst im Oktober 2019 ab. Weshalb jetzt diese verfrühte und bemerkenswert optimistische Zukunftsmusik?

Fünftens: Dass ausgerechnet im Juni 2017 die zweite Tranche des dritten Griechenland-Pakets freigegeben werden musste, mag man getrost als einen wahlpolitischen Kunstfehler betrachten. Vielleicht war es Schäuble aber 2015 einfach nicht möglich, das Unheil abzuwenden. Als es dann eintrat, versuchte er, das Beste daraus zu machen.

Eine besondere Schwierigkeit war bekanntlich, dass sich der Internationale Währungsfonds nur dann beteiligen will, wenn die Gläubigerstaaten einem Forderungsverzicht oder einer Umschuldung zustimmen, d. h., wenn die griechische Schuldenlast als langfristig tragbar erscheint.  Darauf wollte sich Schäuble vor der Wahl nicht einlassen. Es wurde vereinbart, erst im Herbst darüber zu beraten. Der IWF fasste einen bedingten Vorratsbeschluss, dass er sich im Falle ausreichender Schuldenerleichterungen beteiligen würde. Ob es dazu kommt, weiß aber niemand.  Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte bereits im Februar betont: „Sowohl in der Erklärung der Euro-Gruppe vom 14. August 2015 als auch im Beschluss des Bundestages vom 19. August 2015 wurde eine politische Erwartung im Hinblick auf eine finanzielle Beteiligung des IWF am laufenden Programm ausgesprochen“. Der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten, Mitglied des Finanzausschusses, erklärte deshalb zum Verfahren: „Es reicht nicht, dass der IWF sich symbolisch beteiligt oder mit am Tisch sitzt, sondern der IWF muss auch Geld überweisen“ (FAZ, 17.06.17). Dennoch wurde der Griechenland-Kredit vom Haushaltsausschuss des Bundestages am 28.06.17 in nicht-öffentlicher Sitzung geräuschlos durchgewunken. Das Bundestagsplenum wurde nicht mit der Angelegenheit befasst.

Sechstens: Einen Monat später, am 25.07.17, ging der griechische Staat nach langer Zeit wieder an den Kapitalmarkt. Er platzierte Anleihen im Wert von drei Mrd. Euro. Da die griechischen Wirtschaftslenker – insbesondere der Notenbankchef Stournaras – den Gang an den Kapitalmarkt noch kurz vorher als verfrüht bezeichnet hatten (Handelsblatt, 26.07.17), liegt die Vermutung nahe, dass die Emission von ausländischen Politikern angeregt wurde. Schäuble begrüßte sie umgehend als das „Ergebnis langwieriger Reformen“ (ebenda) und attestierte den Griechen, sie seien auf einem guten Weg (Financial Times, 27.07.17). Da Griechenland gerade die hochsubventionierte Kreditlinie über 7,7 Mrd. Euro vom Europäischen Stabilitätsmechanismus – also letztlich von den Finanzministern der Eurozone, die den Gouverneursrat des ESM bilden – erhalten hatte, war es nicht besonders überraschend, dass das Land problemlos am Kapitalmarkt Verbindlichkeiten in Höhe von drei Mrd. Euro eingehen konnte, zumal ungefähr die Hälfte der Fünf-Jahres-Anleihen lediglich gegen alte Anleihen mit einer kürzeren Restlaufzeit umgetauscht wurden (Financial Times, 26.07.17). Der ESM steht ja – wie in der Vergangenheit – mit seinen Kreditlinien bereit, die Rückzahlung der privat platzierten Anleihen zu finanzieren. Trotzdem war die Kapitalbeschaffung nicht billig. Die Besitzer der alten Anleihen erhielten für den Umtausch eine Zuzahlung von 40 Mill. Euro, und der Zins von 4,64 Prozent war deutlich höher, als was griechische Privatunternehmen im Juni am Kapitalmarkt gezahlt hatten – zum Beispiel die 3,1 Prozent des Aluminium-Produzenten Mytilineos.

Siebtens: Eher ungelegen kommen Schäuble vor der Wahl die aktuellen und äußerst weitreichenden europapolitischen Vorschläge des neuen französischen Präsidenten Macron: Krisenfonds, gemeinsames Schatzamt der Eurozone, Euro-Finanzminister, Einlagensicherung, Arbeitslosenversicherung usw. Nachdem aber mit dem ESM und dem Bankenabwicklungsfonds der Einstieg in die Haftungsunion eingeläutet worden ist, fällt es Schäuble schwer, diese Forderungen prinzipiell abzulehnen. Er hält sich vorerst bedeckt. Aus der Politischen Ökonomie ist bekannt, dass die unpopulären Entscheidungen – die wirtschaftspolitischen „Grausamkeiten“ – typischerweise nach der Wahl begangen werden. Aber bleibt Schäuble trotz seines Alters im Amt?

In Ernest Hemingways Novelle „Der alte Mann und das Meer“ kehrt der alte Fischer Santiago nach heftigem Kampf und langer Fahrt mit einem riesigen Fisch im Schlepptau in den Hafen zurück. Aber die Haie haben seinen Fisch unterwegs bis auf das Gerippe abgefressen. Ist Schäubles großer Fisch der Euro? Seine Trophäe – die eine große Währung – ist noch da, aber das Bail-out-Verbot, der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Fiskalpakt, der Ausschluss der monetären Staatsfinanzierung und die ursprüngliche Konzeption einer unabhängigen, entpolitisierten Zentralbank sind alle auf der Strecke geblieben – vom Bail-in-Gebot der „Bankenunion“ ganz zu schweigen. Was ist dieser Fisch noch wert?

Erstmals erschienen bei Wirtschaftliche Freiheit.

Photo:_salguod from Flickr (CC BY-SA 2.0).

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues

Technologischer Fortschritt macht uns wohlhabender. Er wirkt sich jedoch auf verschiedene Güter unterschiedlich aus. Einige Produkte werden durch technologischen Fortschritt deutlich günstiger und einander ähnlicher. Smartphones beispielsweise sind heute für Durchschnittsverdiener erschwinglich und das „beste Smartphone“ unterscheidet sich nur unwesentlich von einem durchschnittlichen Modell.

Auf andere Güter trifft das nicht oder kaum zu. Wohnungen im beliebtesten Stadtviertel zum Beispiel sind für Durchschnittsverdiener nur selten erschwinglich und Unterschiede zwischen der durchschnittlichen und der „besten Wohnung“ sind gravierend.

Technologischer Fortschritt führt also zu mehr Gleichheit im Konsum von Gütern, die in großer Zahl produziert werden können, während er die Ungleichheit im Konsum von Gütern wie einer Wohnung im beliebtesten Viertel kaum senken kann. Dadurch wird die verbleibende Ungleichheit im Konsum umso sichtbarer und möglicherweise schmerzhafter.

Fortschritt: Höhere Produktivität, mehr Wohlstand

Technologischer Fortschritt macht uns produktiver und somit reicher. Mit dem gleichen Arbeitseinsatz können wir mehr Güter und Dienstleitungen entstehen lassen. Wir profitieren täglich vom in der Vergangenheit erlangten technologischen Fortschritt. Pro Arbeitsstunde rettet die Ärztin heute mehr Leben, erntet der Landwirt mehr Gemüse, baut die Ingenieurin mehr Brücken, produziert die Fertigungsfachkraft mehr Fahrzeuge und setzt die Mechanikerin mehr Smartphones zusammen.

Technologischer Fortschritt: Mehr Gleichheit im Konsum

Der technologische Fortschritt und die mit ihm einhergehenden Wohlfahrtsgewinne haben in vielen maßgeblichen Bereichen die Ungleichheit im Konsum reduziert. Waren zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit ein eigenes Auto, die Flugreise in den Urlaub, ein Laptop oder Mobiltelefone noch Güter, die sich nur Großverdiener leisten konnten, sind sie heute für Durchschnittsverdiener und — in den meisten Fällen — auch für Personen mit unterdurchschnittlichem Einkommen erschwinglich.

Qualitätsunterschiede bei Laptops sind für gewöhnliche Nutzer kaum noch auszumachen. Hingegen sind qualitative Unterschiede einiger Autos auch für den Laien offensichtlich. Aber in Bezug auf beide Produktgruppen gilt, dass der technologische Fortschritt zu deutlich mehr Gleichheit im Konsum geführt hat.

In den 1920er Jahren hatte nur ein Bruchteil der Bevölkerung überhaupt Zugang zu motorisierten Fahrzeugen und der damit verbundenen unabhängigen Mobilität. Heute kommt ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland in diesen Genuss. In den 1980er Jahren hatten nur wenige Personen einen PC, geschweige denn einen Laptop. Heute können sich die meisten Menschen einen Laptop leisten oder bevorzugen sogar ein Tablet, Oder sie nutzen ein Smartphone, welches deutlich leistungsfähiger ist als die Laptops der 1980er Jahre. Auch die Urlaubsreise per Flugzeug — in den 1950er Jahren noch den Reichen vorbehalten — ist heute gewöhnlich. Dabei fliegen nur einige Business Class, aber der Unterschied zwischen Economy und Business Class ist marginal im Vergleich zum Unterschied zwischen Fliegen und Nicht-Fliegen.

Die genannten Güter taugen deshalb heute nur noch sehr wenig oder, wie Telefone und Laptops, so gut wie gar nicht mehr als Statusgüter.

Konsumungleichheit bei verbleibenden Positionsgütern

Andere Güter können allerdings durch technologischen Fortschritt schlicht nicht jedermann zugänglich gemacht werden, weil sie per Definition nur im begrenzten Umfang bereitstehen. Von offensichtlich möglichen unterschiedlichen Präferenzen abgesehen, kann es nur ein bestes Hotel der Stadt, ein schönstes Viertel der Stadt oder ein bestes Restaurant am Platz geben.

Güter wie die Übernachtung im besten Hotel, die Wohnung im schönsten Viertel und das Essen im besten Restaurant sind in reichen Gesellschaften prädestiniert für die Rolle als Statusgüter, von Ökonomen auch Positionsgüter genannt.

Positionsgüter schätzen Konsumenten nicht nur wegen der ihnen innewohnenden Eigenschaften, sondern auch weil nur relativ wenige andere Personen sie ebenfalls konsumieren können. Das Apartment direkt am Central Park ist also möglicherweise nicht nur attraktiv, weil es gegenüber dem Central Park liegt, sondern auch weil relativ wenige Personen direkt am Central Park wohnen können.

Werden wir wohlhabender und werden die meisten Güter für eine große Mehrheit der Bevölkerung zugänglich, gibt es folglich einige Güter, die der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung verwehrt bleiben, obwohl es sich bei ihnen nicht um neueste technologische Errungenschaften handelt. Die Konsumungleichheit bezüglich dieser Güter kann nicht abgebaut werden und wird angesichts der zunehmenden Gleichheit bei anderen Gütern umso spürbarer. Je intensiver der Wettbewerb um diese zwangsläufig besonders raren Güter ist, desto stärker steigt ihr Preis relativ zu den Preisen anderer Güter. Einer an wachsenden Wohlstand und zunehmender Gleichheit im Konsum gewöhnten Bevölkerung können sie dadurch zunehmend ein Dorn im Auge sein.

Abiturientenquote und Wohlstand: Starker Anstieg

Ein Blick auf die Entwicklung der Abiturientenquote in Deutschland eignet sich zur Illustration. Mit dem über die letzten Jahrzehnte deutlich gestiegenen Wohlstand ging ein ebenfalls deutlicher Anstieg des Anteils der Absolventen eines Jahrgangs mit Allgemeiner Hochschulreife einher.

 

 

Verließen 1970 deutschlandweit nur wenig mehr als 10 % der Absolventen die Schule mit dem Abitur in der Tasche, waren es 2015 knapp unter 35 %. Dabei reichte die Spanne auf Ebene der Bundesländer in 2015 von Bayern mit 28 % bis Hamburg mit 55 %.

Zur Orientierung: 1970 überstieg die Anzahl der Haushalte noch deutlich die Anzahl der Pkw und der Anteil der in den Urlaub fahrenden Bevölkerung lag mit ca. 40 % etwa 35 Prozentpunkte niedriger als heute. Ein paar Jahre zuvor, 1962/63, hatten nur 14 % der Haushalte ein Telefon, 34 % eine Waschmaschine und etwa ein Drittel aller Haushalte einen Fernseher. Heute trifft das auf nahezu 100 % der Haushalte zu. Die Ungleichheit im Konsum war 1970 bezüglich vieler Güter des alltäglichen Gebrauchs deutlich stärker ausgeprägt als heute.

Enttäuschte Abiturienten

Zurück zu den Abiturienten: Die 10 % der Absolventen mit dem höchstmöglichen Schulabschluss konnten 1970 noch auf viele Güter für Statuskonsum zurückgreifen. Heute stehen den Absolventen der höchsten Schulform relativ wenige Alltagsgüter zur Statusbekundung zur Verfügung. Zudem ist die Abiturientenquote seit 1970 deutlich gestiegen. Daraus folgt zweierlei.

Zum einen ist der Wettbewerb um die verbleibenden wirkungsvollen Positionsgüter — beispielsweise Wohnungen und Häuser in ausgewählten Lagen — heute intensiver. Diese Entwicklung hat gewiss ihren Anteil an steigenden Wohnungsmieten und Kaufpreisen für Immobilien in den beliebtesten Lagen der Städte.

Zum anderen mag diese Entwicklung zur Enttäuschung eines großen Teils der Bevölkerung beitragen. Sie haben in den meisten Fällen zwar Zugang zu ganz ähnlichen Gütern wie die wohlhabendsten 10 %. Sie müssen sich aber mit einer Wohnung in einer deutlich weniger attraktiven Gegend zufriedengeben, können ihren Winterurlaub nicht im beliebtesten Skigebiet der Schweiz verbringen und ihre Kinder nicht auf die Privatschule mit dem besten Ruf schicken. Das gilt für viele Menschen; mit und ohne Abitur.

Der Anstieg der Abiturientenquote führt lediglich besonders anschaulich vor Augen, dass mehr Gleichheit im Konsum vieler Güter — auch im Konsum von Bildung — zu einer stärkeren Wahrnehmung der weiterhin fortbestehenden Ungleichheit bezüglich weniger verbleibende Positionsgüter beiträgt. Viele Abiturienten werden in Zukunft enttäuscht sein, dass sie trotz Abitur und Studium nicht in Vierteln wohnen können, in denen Menschen leben, die ihnen sonst sehr ähnlich sind. Es mutet paradox an. Aber ein höherer Wohlstand und mehr Gleichheit im Konsum auf breiter Front können die verbleibende Konsumungleichheit umso unerfreulicher machen. Wir werden uns damit arrangieren müssen.

Die Alternative, Wohlstandsgewinne durch technologischen Fortschritt zu unterbinden, ist deutlich weniger attraktiv. Ungleichheit im Konsum würde sich weniger schnell auf einige ausgewählter Güter konzentrieren, aber nicht verschwinden und das allgemeine Wohlstandniveau würde langsamer zunehmen.

Erstmals erschienen bei IREF.