Photo: Wilhelm Rosenkranz from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Die Staatsquote wird oft als Maßstab für staatliche Aktivitäten verwendet. Sie hat jedoch Schwächen: Zum einen wird der Einfluss des Staates durch Regulierungen vernachlässigt. Zum anderen bleibt der Einfluss des Staates mittels öffentlicher Unternehmen in der Staatsquote unberücksichtigt. Die Staatsquote untertreibt folglich das Ausmaß des Staatseinflusses.

In vielen Debatten um den Umfang staatlicher Aktivität wird die Staatsquote als Indikator zur Hilfe gezogen. Als Maßstab staatlicher Aktivität hat das Verhältnis der gesamten Staatsausgaben zum BIP jedoch Schwächen. Zum einen wird der Einfluss des Staates durch Regulierungen vernachlässigt. Zum anderen bleibt der Einfluss des Staates mittels öffentlicher Unternehmen in der Staatsquote weitestgehend unberücksichtigt. Die Staatsquote untertreibt folglich das Ausmaß des Staatseinflusses. Eine „erweiterte Staatsquote“ zieht die Aktivitäten staatlicher Unternehmen mit in Betracht. Nach einer groben Schätzung fiel sie 2013 mit 48,35 % knapp 4 Prozentpunkte höher aus als die konventionelle Staatsquote.

Die „erweiterte Staatsquote“ erlaubt es zudem nachzuvollziehen, warum einige Menschen trotz einer seit Jahrzehnten relativ konstanten konventionellen Staatsquote den Rückbau des Staates durch Privatisierungen bedauern. Denn die weitreichenden Privatisierungen der 1980er, 1990er und 2000er Jahre trugen zu einem Rückgang der „erweiterten Staatsquote“ bei. Bedauernswert ist diese Entwicklung jedoch gerade nicht, weil der Staat sich aus Geschäftsfeldern zurückzog, auf denen konkurrierende private Anbieter effizienter agieren.

Staatsquote seit 1975 relativ konstant

Die Staatsquote – oder genauer Gesamtausgabenquote – stellt die staatlichen Gesamtausgaben relativ zum BIP dar. Zu den staatlichen Gesamtausgaben zählen Konsumausgaben des Staates, staatliche Investitionsausgaben, Sozialtransfers, Subventionen sowie Übertragungen an zwischenstaatliche Organisationen und Zinszahlungen auf öffentliche Schulden. Staatliche Konsumausgaben sind vor allem Ausgaben des Verwaltungsvollzugs wie Personalausgaben oder Ausgaben des laufenden Sachaufwands. Das Gehalt eines Polizisten findet hier ebenso Eingang wie das eines Lehrers. Daten des Bundesfinanzministeriums zeigen, dass noch 1960 die Staatsquote bei relativ niedrigen 32,9 % lag und 1996 ihren Höhepunkt bei 48,9 % fand. 2014 betrug sie schließlich 44,3 %. Trotz einer gewissen Schwankungsbreite, blieb die deutsche Staatsquote seit 1975 also relativ konstant.

Definition und Zuordnung öffentlicher Unternehmen

Auf europäischer Ebene definiert der Regelrahmen „Europäisches System Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen“, welche Aktivitäten dem öffentlichen und dem privaten Sektor zuzuordnen sind. Ein Fond, eine Einrichtung oder ein Unternehmen gilt als öffentlich, wenn die öffentlichen Kernhaushalte des Bundes, der Länder, der Kommunen oder der Sozialversicherung mit mindestens 50 % am Stimmrecht oder Nennkapital beteiligt sind. Minderheitsbeteiligungen wie bei VW, an denen das Land Niedersachsen mit 20 % beteiligt ist, werden nicht mit einbezogen.

Betragen die Umsatzerlöse eines Unternehmens, an dem überwiegend öffentliche Haushalte beteiligt sind, mindestens 50 % seiner Kosten und erzielt es weniger als 80 % seines Umsatzes durch Leistungen an öffentliche Haushalte, fällt es unter „Sonstige Fonds, Einrichtungen und Unternehmen“ und gehört damit selbst nicht zu den öffentlichen (Extra-)Haushalten. Somit finden seine Aktivitäten keinen Niederschlag in den staatlichen Gesamtausgaben, die in die Berechnung der Staatsquote einfließen. Dies gilt zum Beispiel für Wasserwerke, öffentliche Krankenhäuser oder auch für die Deutsche Bahn, an der einzig der Bund Anteile hält.

Öffentliche Unternehmen in Zahlen

Daten zu öffentlichen Unternehmen, Fonds und Einrichtungen sind rar gesät. Im Jahr 2013 gab es 15.314 kaufmännisch buchende öffentliche Unternehmen, von denen 9.964 eine private Rechtsform, zumeist GmbH, und 5.350 eine öffentlich-rechtliche Rechtsform hatten. Nicht inbegriffen sind 3.625 kameral buchende öffentlichen Einheiten.

Die 15.314 öffentlichen Unternehmen, Fonds und Einrichtungen erzielten 2013 Umsätze in Höhe von 528,77 Milliarden Euro und beschäftigten nach Angaben des Statistischen Bundesamts 1,97 Millionen Menschen. Etwa 17 % dieser kaufmännisch buchenden öffentlichen Unternehmen, Fonds und Einrichtungen wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts 2013 dem Sektor Staat zugeordnet. Die restlichen 83 % sind im Rahmen eines Versuchs der Skizzierung des Umfangs staatlicher Aktivität allerdings ebenfalls zu berücksichtigen.

Nach Auskunft des Statistischen Bundesamts wurden 967 der 3.625 kameral buchenden Einheiten 2013 ebenfalls nicht dem Sektor Staat zugeordnet. Sie zu berücksichtigen ist jedoch nicht möglich, weil detaillierte Informationen zu ihnen, beispielsweise hinsichtlich der Anzahl der Beschäftigten, nicht vorliegen.

Staatsquote: Berücksichtigung öffentlicher Unternehmen

Eine Möglichkeit, öffentliche Unternehmen in die Staatsquote einfließen zu lassen, besteht gerade über die Wertschöpfung ihrer Beschäftigten. Die konventionelle Staatsquote berücksichtigt den Output beispielsweise eines Lehrers, indem sein Gehalt in die Konsumausgaben des Staates einfließt. Das Gehalt zeigt näherungsweise den Wert des Outputs des Lehrers an. Ähnlich kann die Wertschöpfung der Beschäftigten staatlicher Unternehmen berücksichtigt werden, die in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung derzeit nicht dem Staat zugerechnet werden. Leider stehen für die Gesamtheit der öffentlichen Unternehmen kaum detaillierte Angaben zur Verfügung.

Erweiterte Staatsquote: Ein Berechnungsversuch

Die Wertschöpfung öffentlicher Unternehmen, die nicht dem Sektor Staat zugeordnet werden, lässt sich deshalb über die Anzahl der Mitarbeiter nur grob bestimmen.

In Deutschland ließen etwa 42,3 Millionen Erwerbstätige 2013 insgesamt ein BIP von 2820,82 Milliarden Euro entstehen. Die durchschnittliche Wertschöpfung pro Erwerbstätigem im staatlichen und privaten Sektor betrug 2013 somit 66.735 Euro.

2013 wurden 83 % der öffentlichen Unternehmen nicht dem Sektor Staat zugeordnet. Unter der Annahme, die 1,97 Millionen Beschäftigten der öffentlichen Unternehmen waren gleichmäßig auf sie verteilt, ergibt sich eine Wertschöpfung in öffentlichen Unternehmen, die nicht dem Staat zugerechnet wurden, von 109 Milliarden Euro oder 3,85 % des BIP.

Im Vergleich zur konventionellen Staatsquote von 2013 von 44,5 % war die erweiterte Staatsquote demnach um fast 4 Prozentpunkte höher und betrug 48,35 %.

Einfluss des Staates: Substantiell, nicht marginal

Angesichts der schwierigen Datenlage kann die hier erfolgte Berechnung der „erweiterten Staatsquote“ nicht mehr als eine grobe Schätzung sein. Dennoch weist sie deutlich darauf hin, dass die konventionelle Staatsquote den Umfang staatlicher Aktivität untertreibt. Knapp 4 Prozentpunkte des BIP in 2013 waren keine Kleinigkeit und beliefen sich auf mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben des Bundes.

Vor allem die großen Privatisierungen von Unternehmen wie VIAG, Deutsche Post und Deutsche Telekom lassen vermuten, dass der Anteil öffentlicher Unternehmen an der „erweiterten Staatsquote“ in den vergangenen Jahrzehnten fiel. Obwohl die konventionelle Staatsquote darauf keinen Hinweis gibt, wurde der Staat zurückgebaut. Allerdings erfolgte der Staatsrückbau durch Privatisierungen in Industrien, die nicht zu den Kernaufgaben des Staates zu zählen sind, und ist zu begrüßen, weil im Wettbewerb miteinander stehende private Anbieter besser geeignet sind diese Leistungen zu erbringen.

Auch die „erweiterte Staatsquote“ untertreibt jedoch den substantiellen Umfang des staatlichen Einflusses. Erstens, 967 kameral buchende staatliche Einheiten müssten zusätzlich dem Sektor Staat zugerechnet werden. Zweitens, staatliche Minderheitsbeteiligungen wie bei VW, der Telekom oder der Commerzbank werden nicht berücksichtigt. Drittens, auch die „erweiterte Staatsquote“ zeigt nicht an, wie stark der Einfluss des Staates durch Gesetze und Regulierungen ist, die keine oder nur schwache fiskalische Spuren hinterlassen, aber das Verhalten von Individuen maßgeblich beeinflussen und in den vergangenen Jahrzehnten möglicherweise an Gewicht gewonnen haben.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Daniel Friedlos from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Eine Vollzeitbeschäftigung könnte für ALG II-Empfänger durch eine niedrigere Anrechnungsquote maßgeblich attraktiver gemacht werden. Ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro pro Monat würden die Staatseinnahmen durch Sozialabgaben und Einkommensteuer den ALG II-Anspruch des aufstockenden Erwerbstätigen übersteigen.

Ein Ziel des 2005 eingeführten Arbeitslosengeldes II war es Beschäftigung attraktiver zu machen. Allerdings machen die Hinzuverdienstregelungen zum Arbeitslosengeld II eine niedrig entlohnte Beschäftigung in Vollzeit noch heute relativ unattraktiv. So hat ein alleinlebender Erwerbstätiger in Vollzeit, der 160 Stunden im Monat zum Mindestlohn von 8,84 Euro arbeitet, nur etwa 300 Euro mehr zur Verfügung als ein erwerbsloser ALG II-Empfänger. Daraus ergibt sich eine Zunahme des verfügbaren Einkommens von 1,88 Euro pro Arbeitsstunde. Das ist nicht sonderlich viel. Der Hinzuverdienst zum Arbeitslosengeld sollte attraktiver werden. So könnte zum Beispiel ein deutlich kleinerer Anteil des Erwerbseinkommens auf das ALG II angerechnet werden. Dadurch hätten ALG II-Empfänger einen stärkeren Anreiz, auch zu relativ niedrigen Löhnen wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren.

Hohe Anrechnung von Einkommen auf ALG II

Das Arbeitslosengeld II sollte laut Bundeskanzler Gerhard Schröder „fordern und fördern“ . War auf der einen Seite das Ziel, ein soziokulturelles Existenzminimum zu garantieren, sollte auf der anderen Seite ein starker Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung bestehen. Die recht hohe Anrechnung von Einkommen auf das Arbeitslosengeld konterkariert dieses Ziel jedoch.

Nach einem Freibetrag von 100 Euro pro Monat werden Einkommen bis 1.000 Euro zu 80 % angerechnet. Zwischen 1.000 und 1.200 Euro werden 90 % und ab 1.200 Euro wird das volle Einkommen auf das Arbeitslosengeld angerechnet. Für Hilfsbedürftige mit Kind beträgt die Obergrenze 1.500 Euro. Die relativ starke Kürzung der staatlichen Unterstützung bei Erwerbstätigkeit schwächt den Anreiz, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen, wie das Beispiel eines kinderlosen Singles zeigt.

Minijob, Midijob und normaler Job

Zur Kalkulation des ALG II-Anspruchs ist eine Schätzung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung nötig. Für einen alleinlebenden ALG II-Bezieher gelten etwa 45 Quadratmeter als „angemessener Wohnraum“. Wir gehen von einer Nettokaltmiete von 7 Euro pro Quadratmeter aus. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Kaltmiete für eine 65 m² Wohnung betrug in Deutschland 2016 6,50 Euro pro Quadratmeter. Laut Deutschem Mieterbund betrugen im Jahr 2014 die Betriebskosten durchschnittlich 2,17 Euro/Quadratmeter. Die angenommene Warmmiete inklusive aller Kosten beträgt so 413 Euro pro Monat.

 

 

Der Bedarf eines Erwerbslosen von etwa 822 Euro ergibt sich aus dem ALG II-Regelsatz in Höhe von 409 Euro und den Kosten für Wohnen und Heizen. Bei einem Bruttoeinkommen von bis zu 450 Euro nehmen wir einen Minijob und bei einem Bruttoeinkommen von bis zu 850 Euro einen Midijob an. Während Minijobs nach Wahl von den Sozialversicherungsbeiträgen gänzlich befreit sind, kommt bei Midijobs eine Gleitzonenregelung zur Anwendung, die die Last durch Sozialbeiträge reduziert. Ab einem Bruttoverdienst von 850 Euro pro Monat liegt eine normale Beschäftigung vor, bei der die Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe anfallen.

Arbeitslosigkeit zu Vollzeit: Impliziter Stundenlohn 1,88 Euro

Relativ lohnenswert ist die Aufnahme einer Beschäftigung im Minijobbereich. Arbeitet beispielsweise ein ALG II-Empfänger 12 Stunden im Monat zum Mindestlohn von 8,84 Euro und verdient somit 106 Euro im Monat, verfügt er am Ende des Monats nach der Miete über etwa 101 Euro mehr als ohne Arbeit. Er arbeitet für etwa 8,42 Euro pro Stunde.

Deutlich anders hingegen sieht es bei einer Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn aus: Bei 160 Stunden Arbeit im Monat ergibt sich ein Bruttoeinkommen von 1.414 Euro, wovon 1.052 Euro netto verbleiben. Der ALG II-Anspruch beträgt nun allerdings nur noch 70 Euro. Insgesamt hat ein zum Mindestlohn Vollzeitbeschäftigter nach der Mietzahlung nur etwa 300 Euro mehr im Monat zur Verfügung als ein Erwerbsloser: Bei 160 Stunden Arbeit im Monat ergibt dies einen impliziten Stundenlohn von 1,88 Euro.

Ehepaare: Nicht mehr Mittel zwischen 1.200 und 2.000 Euro brutto

Ein ähnliches Bild ergibt sich für ein verheiratetes und kinderloses Paar, wenn beide ALG II beziehen. Wir nehmen an, das Paar lebe auf 60 Quadratmetern. Zudem gehen wir weiterhin von den oben erwähnten durchschnittlichen Mietkosten pro Quadratmeter aus. Die nachstehende Grafik verdeutlicht, wie sich das verfügbare Einkommen des Paares nach der Miete verändert, wenn ein Ehepartner eine Erwerbstätigkeit aufnimmt.

 

 

Bei Ehepartnern ergibt sich ein ALG II-Bedarf von 1.286 Euro pro Monat aus den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 550 Euro und 90 % des Regelsatzes pro Person – zusammen 736 Euro. Auch in diesem Fall ist vor allem die Aufnahme eines Minijobs finanziell attraktiv. Aufgrund der vollständigen Anrechnung des Einkommens ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro verändert sich das verfügbare Einkommen nach Miete zwischen einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro bis 2.000 Euro für das Paar gar nicht, obwohl das Nettoeinkommen weiter steigt. Eine Vollzeitbeschäftigung eines Ehepartners zu Löhnen von bis zu 12,50 Euro pro Stunde ist somit recht unattraktiv.

Alternative: Anrechnung von nur 50%

Um eine Vollzeitbeschäftigung zu niedrigen Löhnen attraktiver zu machen, könnte ein geringerer Teil des Einkommens auf das ALG II angerechnet werden, zum Beispiel nur 50%.

Wir gehen hier zudem weiterhin von einem Grundbedarf von 822 Euro aus.

 

Steuern und Sozialabgaben bleiben unberührt: Ein Beschäftigter in Vollzeit, der zum Mindestlohn arbeitet, verdient 1.414 Euro brutto und 1.052 Euro pro Monat netto. Bei 50-prozentiger Anrechnung ohne Freibetrag werden jedoch statt 752 Euro nur 345 Euro angerechnet, woraus sich ein ALG II-Anspruch von 477 Euro ergibt, von dem die Miete gedeckt ist. Im Vergleich zur Erwerbslosigkeit verfügt ein Beschäftigter in Vollzeit über 757 Euro mehr und verdient somit implizit 4,42 Euro pro Stunde. Das mag zwar nicht nach sonderlich viel klingen, ist aber eine Steigerung des impliziten Lohnsatzes im Vergleich zur jetzigen Gesetzeslage von mehr als 100 %. Die Aufnahme eine Vollzeitbeschäftigung würde dadurch deutlich attraktiver werden.

Vollzeitjobs lohnenswerter machen

Die Möglichkeit zum sogenannten „Aufstocken“ von relativ niedrigen Einkommen besteht schon heute. Die hohe Anrechnung des Erwerbseinkommens auf das ALG II gibt jedoch vor allem einen Anreiz zu einer Beschäftigung in nur teilweise sozialversicherungspflichtiger Teilzeit. Eine Vollzeitbeschäftigung könnte für ALG II-Empfänger durch eine niedrigere Anrechnungsquote maßgeblich attraktiver gemacht werden. Die Kosten einer Anrechnung von nur 50 % des Einkommens wären dabei überschaubar. Ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro pro Monat würden die Staatseinnahmen durch Sozialabgaben und Einkommensteuer den ALG II-Anspruch des aufstockenden Erwerbstätigen übersteigen, während durch seine Tätigkeit zusätzliche Güter und Dienstleistungen entstünden.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Frerk Meyer from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Bill Wirtz, Policy Analyst für das Consumer Choice Center.

CETA, TTIP, ISDS: In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Akronyme die Debatte um die Handelspolitik der Europäischen Union dominiert. Zahlreiche großangelegte Proteste in mehreren europäischen Großstädten gegen die Freihandelsgespräche zwischen der EU und den Vereinigten Staaten oder Kanada fanden in den letzten Jahren statt. Es stellt sich die Frage, wer die Anti-Freihandels-Rhetorik anheizt, die die öffentliche Meinung zu haben scheint. Die Antwort könnte für viele überraschend sein.

Im März dieses Jahres untersuchte der Ausschuss für Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments unter der Verantwortung des deutschen EVP-Berichterstatters Markus Pieper die gesamte Skala des EU-finanzierten Lobbyismus und die damit verbundenen immensen Zuschüsse. Allein im Jahr 2015 hat die Europäische Union insgesamt 1,2 Mrd. EUR an Zuschüssen ausgegeben, um europäische NGOs zu unterstützen, die in EU-Institutionen Lobbyarbeit betreiben.

Im Jahr 2016 veröffentlichte das Europäische Zentrum für Internationale Politische Ökonomie (ECIPE) einen 147-seitigen Bericht über den Aufstieg der Anti-TTIP-Interessengruppen. ECIPE bewertete unter anderem die Zuweisung von EU-Mitteln als weitgehend intransparent. Außerdem warf das ECIPE der europäischen und beschreibt den Abruf von Informationen zu den Bedingungen, zu denen diese Mittel ursprünglich zugewiesen wurden, als “praktisch unmöglich”. Das ECIPE kam zum Schluss: “Es gibt keine Transparenz über EU-Zuschüsse für NGOs und Finanzierungspraktiken.”

Die ECIPE fand auch heraus, dass Anti-TTIP-NGOs, die mehrheitlich sehr vernetzt sind, ihre Kampagnen als sehr ähnlich erscheinen lassen. In der Tat verwenden ein paar Anti-TTIP-Gruppen einfach zu bedienende Online-Tools, um ihre Kampagnen zu harmonisieren. Nur 2,4 Prozent der Antworten auf den Konsultationsprozess der Europäischen Kommission stammten tatsächlich von einzelnen Bürgern, während der Rest weitgehend Aussagen von gut vernetzten NGOs kopierte.

Der Bericht unterstützt auch die Idee, dass es eine klare politische Neigung bei der Verteilung der Finanzierung aus der EU gibt. Die geförderten Gruppen haben TTIP und andere Freihandelsabkommen aus linkslastigen ideologischen Gründen abgelehnt. Die Vorsitzende des EU-finanziertem Transnational Institute, Susan George, Autorin des Buches “Wie man den Klassenkrieg gewinnt” und regelmäßige Mitwirkende des „New Internationalist“ schürte wiederholt mit ihren Publikationen die Furcht und das Misstrauen über Handelsabkommen. Ein Anti-Freihandel, Anti-Industrie-Gruppe wie das Transnational Institute mit Millionen von Euros zu unterstützen, um der europäische Öffentlichkeit Angst vor freiem Handel zu machen, ist zweifellos kurios.

Dies passt auch in das Muster des Umfangs der EU-finanzierten Lobbyarbeit. Da sich die Union durch die Bereitstellung von sehr großen Zuschüssen für die Zivilgesellschaft einsetzt, glaubt sie, dass sie die Zivilgesellschaft stärkt, während sie tatsächlich nur ihre eigene politische Erzählung füttert. Gruppen, die Brüssel mehr Macht wünschen, Beschränkungen von Lebenshaltungsfreiheiten oder sich für mehr Entwicklungshilfe aussprechen, sind in der positiven finanziellen Unterstützung der EU überrepräsentiert.

Die EU ist im Unglauben wenn sie ihr demokratisches Defizit verschwinden zu lassen glaubt, indem sie Aktivisten aus der Zivilgesellschaft unterstützt. Während dieser Prozess die Union partizipativer macht, ist es Teilnahme einiger weniger. Dies betrifft insbesondere die politischen Vorurteile dieser NGOs. Die Organisation NGO Monitor hat mehrere EU-Finanzierungen verurteilt, die “politischer Kriegsführung” gegen Israel betreiben, und nennen den Schwerpunkt der Finanzierung “unverhältnismäßig”. Der Pieper-Bericht forderte daher die Ablehnung der Finanzierung von NGOs, die “Unwahrheiten nachweislich verbreiten und/oder deren Ziele den Grundwerten der Europäischen Union, der Demokratie, der Menschenrechte und/oder der strategischen handels- und sicherheitspolitischen Ziele der Institutionen der Europäischen Union zuwiderlaufen.”

Das Institute of Economic Affairs (IEA) in London beurteilte die Umstände der EU-Bezuschussungen ähnlich wie das ECIPE. Das IEA entdeckte, dass mehrere NGOs kaum existieren könnten, ohne solche Subventionen zu erhalten und bezeichnet sie damit zu Recht als “Marionetten”. So berichtet der Analyst Christopher Snowden:

“Zum Beispiel erhielt Women in Europe for a Common Future im Jahr 2011 einen EU-Zuschuss in Höhe von 1.219.213 € und weitere 135,247 € aus nationalen Regierungen. Diese gesetzliche Finanzierung betrug 93 Prozent des Gesamteinkommens, während private Spenden in Höhe von 2.441 € (0,2 Prozent) und Mitgliedsbeiträge nur 825 € (0,06 Prozent) betrugen.”

Snowdens Bericht deutet auch auf die Homogenität dieser NGOs hin. So verpacken die meisten dieser ihre Ziele unter vagen Bezeichnungen, wie “Nachhaltigkeit”, “soziale Gerechtigkeit”, “Kapazitätsaufbau”, “Grundrechte”, “Vielfalt” und „aktive Staatsbürgerschaft“.

Der Standpunkt der Europäischen Union im Bereich des freien Handels sollte nicht durch umfangreiche Finanzierungen in “progressiven” Gruppen kompromittiert werden, die der europäische Öffentlichkeit Angst machen. Ein offener und transparenter Dialog ist dringend erforderlich in der EU, vor allem in der Frage des Freihandels. Interkontinentaler Freihandel führt zu mehr Wettbewerb und Freiheit für Verbraucher, und ist eine Notwendigkeit für ein modernes Europa.

Erstmals erschienen bei The European.

Photo: Pixelteufel from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Hubertus Porschen, Bundesvorsitzender des Wirtschaftsverbands Die Jungen Unternehmer.

Mittlerweile ist der Staat auf Bundesebene an über 100 Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt. Über Jahrzehnte hat sich ein buntes Portfolio aus Logistik-, Mobilitäts- und Kommunikationsunternehmen angesammelt. Stets hatte der der Bund die Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Blick. Stichwort: Daseinsvorsorge.

Per se handelt es sich bei der Daseinsvorsorge um ein wages Konzept, welches keineswegs in Stein gemeißelt ist. Nach deutschem Staats- und Verfassungsrecht werden unter Daseinsvorsorge wirtschafts-, gesellschafts-, sozial- oder kulturpolitische Leistungen verstanden, die mit staatlichen Mitteln erbracht werden. Dienstleistungen sollen eingeschlossen werden, an denen besonderes allgemeines Interesse besteht. In Deutschland wurde willkürlich festgelegt, dass dazu unter anderem die Unterhaltung eines öffentlichen Personennahverkehrs und Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gehört. Die Daseinsvorsorge soll die Versorgung mit diesen Leistungen in allen Regionen garantieren.

Doch ist dieses Argument auf einem Wettbewerbermarkt mit multinational agierenden Großkonzernen wie Post, Telekom, Bahn noch aktuell? Wohl kaum. An diese Töpfe könnte man gehen, um Finanzierungsquellen für Investitionen in die Zukunft zu erschließen. Eine Großbaustelle: der Breitbandausbau. Deutschland ist mit 1,6 Prozent Breitband-Versorgung aller Haushalte ein Entwicklungsland hinter Chile und Italien. Schaut man auf die Versorgung der Unternehmen liegen wir noch weiter hinten. Bei einem Verkauf der Staatsbeteiligungen wäre der Erlös aber nur ein Nebenaspekt. Es geht vor allem darum, um einen Kulturwechsel in der Politik. Der Bund muss sich wieder auf seine Rolle als Schiedsrichter konzentriert, statt munter im Markt mitzuspielen.

Bahn – Schienen sind Gemeingut, der Rest nicht

Die Deutsche Bahn ist auch heute noch ein klassischer Staatskonzern. Der Bund hält 100 Prozent des Unternehmens. Das ist für eine dynamische Unternehmensführung nicht unbedingt förderlich. Besonders die SPD lähmte in den letzten Jahren Vorstöße der Teilprivatisierung. Mit Jamaika könnte diese Attitüde Geschichte sein. Aus den Lehren der gescheiterten Privatisierung der Bahngesellschaft British Rail im Vereinigten Königreich Mitte der neunziger Jahre könnte eine Privatisierung nach japanischem Vorbild glücken. In Großbritannien gab es nach schweren Unfällen, die durch ungenügende Investitionen in das Schienennetz ausgelöst wurden, eine Rolle rückwärts. Wiederverstaatlichung und Kosten für Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte verschlangen Milliarden. In Japan dagegen schaffte man die Wende zum börsennotierten Konzern mit Bravour. Das Streckennetz wurde ausgeweitet, Züge sind pünktlich und alle beteiligten Unternehmen sind profitabel. In Deutschland haben es Wettbewerber der Deutschen Bahn aber nach wie vor schwer.

Um weiterhin Hoheit über die Qualität der Schienen und auch Kapazitäten auf nicht rentablen Strecken zu gewährleisten, reicht dass der Staat das Schienennetz betreibt. Im Gegenzug könnte der Betrieb voll privatisiert und damit agiler werden. Die heutige Bahn verwaltet zu sehr den Status quo. In einer vernetzten Welt in der der öffentliche Nah- und Fernverkehr eine immer größere Rolle spielt, braucht es mehr Ideen und Innovationskraft.

Telekom – Steuerzahler haftet für in USA geschlossene Handyverträge

Bei der Telekom ist die Lage anders. Mittlerweile ist der Telekommunikationsmarkt einer der meistumkämpften Märkte überhaupt. Die Margen sind klein, der Konkurrenzdruck hoch. Es gibt also für den Verbraucher genügend kostengünstige Alternativen an Dienstleistungspartnern für das heimische Internet, das Festnetz oder das Smartphone. Die Leistungen der Telekom sind für das Allgemeinwohl nicht unverzichtbar. Darüber hinaus ist die Telekom auch stark im Ausland aktiv. So macht sie beispielsweise über ein Drittel ihres Umsatzes in den USA. Es gibt keinen Grund, warum der deutsche Steuerzahler dafür haften soll, dass ein deutsches Unternehmen Handyverträge in den USA verkauft.

Der Bund sollte jegliche Anteile an der Telekom verkaufen. Auch wenn die 10 Milliarden Euro Erlös zu hoch gegriffen sein mögen, mit dem Verkauf würde sich für den Breitbandausbau auf jeden Fall der Finanzierungsspielraum erweitern.

Post – Oder besser gesagt DHL

„DHL ist ein 1969 in San Francisco von Adrian Dalsey, Larry Hillblom und Robert Lynn gegründeter Paket- und Brief-Express-Dienst, der seit 2002 als DHL International GmbH zum Konzern Deutsche Post DHL Group gehört.“ So beginnt der Wikipedia Eintrag des Konzerns. Wohlgemerkt eine 100 prozentige Tochter der Deutschen Post AG, die wiederum zu mehr als einem Fünftel dem Bund gehört. Was macht der deutsche Steuerzahler als Anteilseigner in einem international agierenden Logistikkonzern? Zudem: Braucht der Bürger die Post, wenn er Hermes, FedEx, TNT, DPD, UPS und viele mehr hat?

Die Post als Ganzes kann verkauft werden. Das Briefgeschäft wird zwar als Daseinsvorsorge betrachtet, das ist in Zeiten von Emails jedoch zweifelhaft. Damit zukünftig auch Briefzustellungen flächendeckend stattfinden, reichen vorhandene Regulierungsmöglichkeiten völlig aus. Außerdem sollte die Post nicht länger von der Umsatzsteuer befreit sein, die Konkurrenten wie PIN zahlen müssen.

Staatsbeteiligungen abschaffen!

Bei den drei Unternehmen Post, Bahn und Telekom spricht nichts mehr dafür, dass der Bund Anteile hält. Er sollte sie deswegen verkaufen. Das wäre ein gutes Projekt für Jamaika Es liegt nun bei Schwarz-Gelb-Grün, diese meist von der SPD angestrebten Beteiligungen zu veräußern. So können Unternehmen gesunden, wachsen und nebenbei kann der Staat ohne Neuverschuldung Zukunftsinvestitionen auf den Weg bringen und es gibt sicherlich noch viel mehr Verkaufspotenzial, besonders auf kommunaler Ebene.

Photo: Predi from Flickr (CC BY-ND 2.0).

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Die Einnahmen aus Beiträgen für die Rentenversicherung machen im Jahr 2016 mehr als ein Drittel der Gesamteinnahmen der Sozialversicherungen aus. Eine Reduzierung der verpflichtenden Rentenversicherung auf eine Mindestversorgung wäre ein Weg, um die Altersvorsorge vom Arbeitsmarkt zu entkoppeln und mehr Wahlfreiheit bei der Altersvorsorge zu ermöglichen.

Die Einnahmen des Staates im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt haben sich von 32 % im Jahr 1950 auf 43 % im Jahr 2016 erhöht. Fast der gesamte Anstieg ist auf die Einnahmen der Sozialversicherungen zurückzuführen. Dadurch ist die Belastung von Arbeit durch Steuern und Abgaben in Deutschland heute schon höher als in nahezu allen übrigen OECD-Ländern. Nimmt die demographische Entwicklung wie erwartet ihren Lauf, wird der Anteil der Einnahmen der Sozialversicherungen am Bruttoinlandsprodukt weiter steigen. Eine Reduzierung der verpflichtenden Rentenversicherung auf eine Mindestversorgung im Alter wäre ein Weg, um die Altersvorsorge vom Arbeitsmarkt zu entkoppeln, reguläre Tätigkeiten attraktiver zu machen und mehr Wahlfreiheit bei der Altersvorsorge zu ermöglichen.

Sozialversicherung: 1950 noch 9 % des BIP, heute 19 %, 2040 gar 23,5 %

Der Anteil der Einnahmen der Sozialversicherungen am Bruttoinlandsprodukt hat sich seit 1950 von 9 % auf 19 % mehr als verdoppelt. Die Einnahmen aus Beiträgen für die Rentenversicherung in Höhe von 215 Milliarden Euro machten dabei im Jahre 2016 mehr als ein Drittel der Gesamteinnahmen der Sozialversicherungen aus. Hinzu kommt ein Zuschuss des Bundes in Höhe von 41 Milliarden Euro, mit dem sich der Anteil der Einnahmen der Rentenversicherung an den gesamten Sozialversicherungseinnahmen auf über 42 % summiert.

Seit 2010 sank der Anteil der Einnahmen der Sozialversicherungen an den Gesamteinnahmen des Staates, weil das hohe Beschäftigungsniveau für hohe Steuereinnahmen sorgt und der Beitragssatz der Rentenversicherung aufgrund der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt schrittweise von 19,6 % auf 18,7 % gesenkt wurde.

Das Bundesfinanzministerium prognostiziert, dass durch Erhöhungen der Beitragssätze die Sozialversicherungsbeiträge bis 2040 etwa 23,5 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen werden. Dadurch würden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse weiter an Attraktivität einbüßen und (teilweise) sozialversicherungsbefreite Tätigkeiten in abhängiger Beschäftigung oder Selbständigkeit relativ attraktiver werden.

Rentenversicherung: Pflicht auf Mindestsicherung beschränken

Eine Linderung bietet die Beschränkung der Einzahlungspflicht für jedermann ― unabhängig von der Erwerbstätigkeit ― einer verpflichtenden Rentenversicherung auf ein Minimum, welches sicherstellt, dass Menschen im Alter nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Eine derartige Mindestsicherung könnte im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung oder im Rahmen einer privaten Altersvorsorge erfolgen. Die Vorsorge über das Existenzminimum hinaus läge von der Natur der Mindestsicherung unabhängig in der Verantwortung jedes einzelnen.

Alle Erwerbstätigen hätten die Möglichkeit, nach ihren Bedürfnissen fürs Alter vorzusorgen. Wäre eine verpflichtende Rente auf die Grundsicherung beschränkt, könnten Menschen freier entscheiden, was zu ihrem Lebensentwurf passt: Ein selbstgenutztes Eigenheim, eine Lebensversicherung, ein Aktienportfolio, Staatsanleihen oder eine Mischung aus diesen Anlageformen.

Würde der Beitragssatz für die gesetzliche Rente deutlich sinken, wäre auch der Anreiz für Schwarzarbeit schwächer, wenn die Beitragszahler die jetzige gesetzliche Rentenversicherung zumindest teilweise als Steuer und nicht Altersvorsorge wahrnehmen, für die sie sich auch entschieden hätten, wenn sie eine Wahl gehabt hätten. Die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit hingegen würde attraktiver werden.

Beschränkung auf Mindestsicherung reduziert Ungleichheit

Eine derartige Rentenreform würde ferner die Vermögensungleichheit in Deutschland senken. Derzeit ist ein großer Teil der Vermögen abhängig Beschäftigter in Form zukünftiger Zahlungsansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung gebunden. Diese Form des Vermögens kann jedoch nicht als Eigenkapital beim Wohnungskauf, in finanziellen Notlagen oder als Sicherheit für einen Kredit eingesetzt werden.

Der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, weist gerne und zutreffend darauf hin, dass “… Rentenanwartschaften keine klassischen Vermögen sind.” Deshalb sollten Menschen nicht dazu gezwungen werden, mehr Vermögen in einer verpflichtenden Altersvorsorge zu binden, als für die Mindestsicherung im Alter nötig ist.

Finanzierung: Langfristig per Umlage oder kapitalgedeckt…

Derzeit werden die Renten der aktuellen Rentnergeneration durch die laufenden Beiträge der Beitragszahler finanziert. Eine auf die Mindestsicherung im Alter begrenzte Rentenversicherung könnte weiterhin mit einem Umlagesystem finanziert werden und dabei alle Personen unabhängig von ihrer Erwerbstätigkeit einschließen. Die Mindestsicherung könnte auch Kapitalgedeckt sein und den Versicherten eine Wahl zwischen privaten Anbietern geben, ähnlich wie im Rahmen der Riester-Rente. Problematisch wäre lediglich die Umstellung auf die Mindestsicherung, da die bestehenden Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung weiter finanziert werden müssten.

… und in der Übergangszeit via Steuern

Für den Übergang von der jetzigen gesetzlichen Rente zu einer auf die Mindestsicherung im Alter reduzierten verpflichtenden Rentenversicherung müsste die Finanzierungsstruktur angepasst werden, damit aktuelle Erwerbstätige nicht die Zahlungen an derzeitige Rentner finanzieren müssen, während sie deshalb selbst nur beschränkt privat vorsorgen können.

Im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung geht der Staat fortlaufend Zahlungsversprechen an derzeitige Beitragszahler ein, die durch die Beiträge zukünftiger Beitragszahler zu decken sein werden. Wer Zahlungsansprüche gegen den Staat hält, wird dadurch offenbar. Wer die den Ansprüchen gegenüberstehenden Verpflichtungen in der Zukunft übernehmen wird, ist hingegen unsicher. Es ist nicht ersichtlich, warum gerade die nachfolgenden Generationen abhängig Beschäftigter für Versprechen des Staates geradestehen sollen, die vom Staat an frühere Generationen von abhängig Beschäftigten gemacht wurden.

Die Finanzierung der Auszahlung von bestehenden Rentenansprüchen könnte stattdessen in Form von langlaufenden Staatsanleihen erfolgen. Dadurch würde die Finanzierung der bestehenden Rentenansprüche auf alle heutigen Steuerzahler und zukünftige Generationen von Steuerzahlern unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus verteilt werden.

Wünschenswerter Nebeneffekt: Die derzeit versteckten Staatsschulden durch Zahlungsversprechen des Staates im Rahmen der Rentenversicherung würden zu transparenten expliziten Staatsschulden werden.

Mehr Verantwortung und mehr Wahlfreiheit

Die derzeitige Ausgestaltung der Rentenversicherung reduziert die Attraktivität sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse für Arbeitgeber und Arbeitnehmer und schränkt die Flexibilität bei der Altersvorsorge letzterer ein. Außerdem macht sie vielen abhängig Beschäftigten den Zugriff auf den größten Teil ihres Vermögens unmöglich.

Die Reduzierung der verpflichtenden Rentenversicherung auf eine Mindestsicherung im Alter für alle Personen würde diese Probleme deutlich reduzieren – unabhängig davon, ob sie durch Umlagen oder kapitalgedeckt finanziert würde. Die Mindestsicherung würde Trittbrettfahren durch Nicht-Vorsorge effektiv verhindern, reguläre Erwerbstätigkeiten attraktiver machen, Menschen mehr Gestaltungsspielraum bei ihrer Altersvorsorge geben und abhängig Beschäftigten erlauben, über einen Großteil ihres Vermögens frei zu verfügen.

Erstmals erschienen bei IREF.