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Wenn es um die Migration geht, irrt die deutsche Politik ähnlich unambitioniert, überheblich und planlos über den Platz wie die Nationalmannschaft bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft. Es wäre an der Zeit für eine neue Migrationspolitik, die Chancen realisiert, statt Krisen herbeizurufen.

Kaum eine Debatte wird so postfaktisch geführt wie jene um Migration

Tagespolitische Debatten werden auf absurde Weise irrational geführt. Einmal wird ein ganzes Land getragen von der „Wir schaffen das“-Mentalität und zeigt eine in Europa einzigartige Solidarität mit über einer Million Flüchtlingen. Und wie sieht es zwei Jahre später aus – in einer Zeit, in der laut FRONTEX die Zahl der Neuankömmlinge nicht nur weit entfernt von den 1,82 Millionen des Jahres 2015 ist, sondern auch weiter rückläufig? Da gerät über die Frage nach dem Umgang mit der Migration nicht nur die deutsche Union, sondern gleich die ganze Europäische Union ins Wanken.

Dabei werden Begriffe und Definitionen derart durcheinandergebracht, dass es selbst rationalen Beobachtern schwerfällt, gegen die allgemeine Stimmung anzukommen. Ressentiments und gefühlte Wahrheiten nehmen die Stelle von Fakten ein. Und die Politik tut ihr Übriges, indem sie (in der verzweifelten Hoffnung auf Wählerstimmen) eine akute Krise herbeiredet, wo überhaupt keine ist. Die auf diese Weise vergiftete Debatte dreht sich plötzlich nur noch um die Gefahr durch neue „Flüchtlingsströme“, die unser scheinbar so schön geordnetes und friedliches Zusammenleben überschwemmen. Das ist nicht nur ein Drama, weil Symbolpolitik die unangenehme Eigenschaft hat, Probleme – von denen sie letztlich lebt – aufzubauschen anstatt sie zu lösen. Aber es ist auch ein Drama, weil Migration ein Wachstumsmotor für Deutschland sein könnte.

Es bedarf einer koordinierten Migration, aber keiner Planwirtschaft

Zu Beginn des neuen Jahrtausends dominierten andere Sorgen die öffentliche Debatte. Es ging um den „kranken Mann“ Europas mit seinem stetig wachsenden Staatsdefizit, der hohen Arbeitslosigkeit und dem drohenden demographischen Wandel. Die deutsche Bevölkerung würde zwangsläufig immer älter und weigerte sich trotz Kindergelderhöhung beharrlich, sich zu vermehren. In der Folge – so die Schreckensvision – würde das Rentensystem kollabieren und Landstriche verwaisen. Es erscheint wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass wir uns heute darüber beklagen, dass allein zwischen 2013 und 2016 netto mehr als 3 Millionen Menschen in Deutschland eingewandert sind.

Nun könnte man argumentieren, dass es vor allem darauf ankomme, wer einwandert, und nicht nur wie viele. Das trifft aber nur bedingt den Punkt. Einerseits zeigen verlässliche Untersuchungen, dass „selbst“ Asylantragssteller (also Menschen ohne direkte Aussicht auf Arbeit), nach spätestens drei bis sieben Jahren einen signifikant positiven Effekt auf die heimische Volkswirtschaft haben. Andererseits bedeutet das nicht, dass durch eine bessere Koordination nicht Effizienzgewinne erzielt werden könnten. Ein Vorwurf, den man der aktuellen Regierung durchaus zu Recht machen kann, ist, dass sich an dieser Stelle seit dem Schock von 2015 noch immer nichts getan hat oder sogar – Stichwort Mindestlohn-Erhöhung – neue Hürden aufgebaut wurden.

Eine kluge Migrationspolitik darf nicht in Planwirtschaft münden. Es darf hier nicht darum gehen, zu „errechnen“, an welcher Stelle unserer Volkswirtschaft wie viele Arbeitskräfte benötigt würden. Keine zentrale Stelle kann wissen, ob es wirklich die hoch-qualifizierte Informatikerin ist, die Unternehmen millionenfach einstellen würden, oder der Altenpfleger, der die demographische Delle (siehe oben) versorgen soll. Stattdessen sollte es Deutschen Unternehmen ermöglicht werden, gezielt Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Menschen mit einem Job-Angebot sollte dann unbürokratisch und schnell eine Aufenthaltsgenehmigung mit Arbeitserlaubnis erteilt werden.

Warum Menschen nicht bereits im Ausland ausbilden?

Ganz neu ist diese Idee nicht. Sie taucht unter anderem im Global Compact for Migration auf, einem neuen internationalen Regelwerk, auf das sich die Vereinten Nationen Ende des Jahres verständigen wollen. Der darin enthaltenen Idee der „Global Skill Partnerships“ entsprechend, sollen Länder bilaterale Ausbildungs-Abkommen schließen. So könnte beispielsweise Deutschland mit Ruanda vereinbaren, dass die IHK in Ruanda Menschen ausbildet, von denen eine Hälfte nach abgeschlossener Ausbildung ein Job-Angebot aus Deutschland erhält, während die andere Hälfte vor Ort bleibt und die heimische Wirtschaft unterstützt.

Auf diese Weise könnten deutsche Arbeitgeber, etwa im vollkommen überlasteten Pflegebereich, dringend benötigte und nach ihren Standards ausgebildete Arbeitskräfte erhalten, während gleichzeitig die Volkswirtschaften in Entwicklungsländern keinen „Brain-Drain“ mehr fürchten müssten. Und aus humanitärer Sicht noch viel wichtiger: ein solches Modell würde die lebensgefährliche irreguläre Einwanderung, bei der jedes Jahr zigtausende Menschen sterben substantiell vermindern. Es gäbe schlicht keinen Grund mehr, sein Leben für eine illegale Einreise zu riskieren, wenn legale Möglichkeiten quasi vor der Haustür existieren.

Was Immigration wirklich für uns bedeutet: Humankapital

Sicher, ein solches Programm ist keine Lösung für jene Menschen, die sich bereits als Asylsuchende in Deutschland befinden. Doch auch diese Menschen sollten wir als wertvolles Humankapital begreifen, anstatt als unüberwindbares Problem. Die Politik sollte alles dafür tun, diesen Menschen möglichst schnell die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen; durch die schnelle Bearbeitung von Asylanträgen, die Aufhebung von Arbeitsverboten und vor allem die Befreiung von unnötiger Bürokratie. Dabei darf es nicht immer nur um Erwerbsarbeit gehen, schließlich ist gerade den zahlreichen Flüchtlingen, die zu großen Teilen aus klassischen Händler- und Unternehmer-Kulturen stammen, eine gehörige Portion an Gründergeist zuzutrauen. Sie könnten die alte deutsche Tradition des Unternehmertums womöglich wieder mit neuer Dynamik versehen.

Am Ende fußt Europas Wohlstand auf Ideen und Gründergeist. Je mehr Köpfe im Wettbewerb miteinander um die besten Ideen streiten, desto besser geht es unserer Volkswirtschaft. Deshalb brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Migration. Eine Ausbildung von Menschen bereits im Ausland nach dem Prinzip der „Global Skill Partnerships“ schlägt mehrerer Fliegen mit einer Klappe. Es profitieren deutsche Unternehmen, Menschen in Entwicklungsländern und sogar deren Gesellschaften. Und weitere Migrationsschocks und humanitäre Krisen wie jene auf dem Mittelmeer werden von Vornherein abgemildert. Die Idee, durch Grenzschließungen, Aufnahmelager an der nordafrikanischen Küste, und die Subventionierung von afrikanischen Despoten Menschen davon abzuhalten, zu uns kommen, erscheint im Vergleich wahrhaft töricht.

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Von Ryan Khurana.

Künstliche Intelligenz und Automatisierung gelten als für viele Menschen als große Arbeitsplatzbedrohung. Doch die Geschichte macht Mut: Automatisierung führte oft dazu, dass die Menschen sich auf ihren komparativen Vorteil fokussieren konnten und unproduktive Arbeiten von der Technik erledigt wurden. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, zu einem großen Produktivitätstreiber zu werden, wenn sie nicht durch starre Regulierung auf den Arbeitsmärkten ausgebremst wird.

Viele Menschen treibt die Sorge um, dass zukünftig immer mehr Arbeitsplätze von Künstlicher Intelligenz getriebenen Automatisierung zum Opfer fallen und die Arbeitslosigkeit zunehmen wird. Wenngleich diese Sorgen unbegründet sind, könnten sie schädliche politische Maßnahmen in Gang setzen und so die segensreiche Automatisierung behindern – erste Ansätze einer solchen Überregulierung zeichnen sich bereits im Rahmen des momentan diskutierten EU-Regelwerks für Robotik ab. Bereits John Maynard Keynes prägte die Vorstellung, dass technologischer Fortschritt Arbeitslosigkeit hervorrufen könne. Doch Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne drohen nur, wenn die Politik den Wandel behindert. Auf Arbeitsmärkten mit flexiblen Löhnen und Arbeitsbedingungen können Arbeitnehmer weiterhin von KI-getriebener Automatisierung profitieren.

KI-Technologien versprechen Produktivitätsschub

Die Sorge um technologisch bedingte Arbeitslosigkeit entspringt einer engen Sichtweise auf menschliche Fähigkeiten und wirtschaftlichen Bedürfnisse. In produktivitätssteigernden Technologien wie Künstlichen Intelligenzen liegen enorme Chancen, die dazu beitragen können, die derzeitige Wachstumsflaute zu überwinden.

Eine Studie des McKinsey Global Institute kommt zu dem Schluss, dass von Künstlicher Intelligenz getriebene Automatisierung die aufgrund zunehmender Alterung und sinkender Geburtenraten drohenden Produktivitätsverluste in westlichen Gesellschaften abfedern können. Werden Technologien basierend auf Künstlicher Intelligenz früh (d.h. bereits ab 2025) in nennenswerter Weise ausgebaut, könnten sie den Studienergebnissen zufolge das weltweite BIP-Wachstum um jährlich 1,4 Prozentpunkte stärken. Im Wettbewerb agierende Unternehmen sähen sich veranlasst, die Produktivitätsgewinne in Form von Qualitätssteigerungen und niedrigeren Preisen an die Konsumenten weiterzugeben. Die Reallöhne würden also steigen.

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Arbeitnehmer für wertvollere Tätigkeiten frei

Ein weiteres Ergebnis der McKinsey-Studie ist, dass ca. 30 % aller Tätigkeiten in etwa 60 % aller Berufsfelder automatisierbar sind. Dieser vielzitierte Befund lässt bei Skeptikern der Künstlichen Intelligenz die Alarmglocken läuten. Die Konsequenzen sind allerdings unklar. Ein typischer Arbeitnehmer verbringt den größten Teil seiner Arbeitszeit eben nicht mit jenen Tätigkeiten, mit denen er am meisten zum Erfolg des Unternehmens beiträgt. Werden im Zuge der Automatisierung einige Tätigkeiten durch Künstliche Intelligenzen automatisiert, so können sich Arbeitnehmer stärker auf jene Tätigkeiten konzentrieren, durch die sie am meisten beitragen können. Menschliche Arbeit wird durch den technologischen Fortschritt also nicht ersetzt, sondern ergänzt.

Ein anschauliches Beispiel liefert der Effekt von Geldautomaten auf das Bankkundengeschäft: Obwohl Geldautomaten dafür gesorgt haben, dass kaum noch Personal zum Zählen und Aushändigen von Bargeld in Banken beschäftigt werden muss, ist die Nachfrage nach Bankkaufmännern und -frauen nicht gesunken. Vielmehr konzentrieren sich letztere nun stärker auf Tätigkeiten, in denen sie einen komparativen Vorteil haben, etwa den Kundenservice und die Kundenakquise. Gleichzeitig senken Geldautomaten die Miet- und Investitionskosten der Banken, sodass diese mehr Filialen unterhalten können.

Bisherige Studien übertreiben Auswirkungen

Eine OECD-Studie über die Auswirkungen der Automatisierung betont, dass Arbeitsplätze hochgradig heterogen sind, etwa hinsichtlich der Länder und Märkte, in denen sie ausgeübt werden, sowie hinsichtlich des Qualifizierungsniveaus, das sie beanspruchen. Viele ältere Studien ignorieren diese Heterogenität. Wird sie in den Schätzungen berücksichtigt, fällt der Anteil der Jobs mit hohem Automatisierungsrisiko merklich. Das höchste Automatisierungsrisiko besteht demnach in Deutschland und Österreich, wo 12 % der Arbeitsplätze automatisiert werden könnten, vornehmlich im produzierenden Gewerbe. Aber auch das ist kein Grund zur Sorge.

Pflegerische Tätigkeiten schwer automatisierbar

Seit Beginn der Finanzkrise leidet die Weltwirtschaft unter schwachem Produktivitätswachstum, das die Reallohnentwicklung hemmt. Angesichts der voranschreitenden Alterung der Bevölkerung in den meisten OECD-Staaten birgt die Produktivitätsflaute langfristig die Gefahr deutlicher Wohlstandseinbußen. Mit steigendem Durchschnittsalter einer Gesellschaft wächst die Nachfrage nach medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen. Für das Vereinigte Königreich gehen Schätzungen beispielsweise davon aus, dass im Jahr 2037 750.000 Arbeitskräfte in diesen Sektoren fehlen werden.

Die Anwendung neuer Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz steigert nicht nur die Produktivität in Branchen mit hohem Automatisierungspotenzial. Zusätzlich wirkt sie auch produktivitätssteigernd in anderen Branchen, in denen menschliche Arbeitskräfte weiterhin wichtig bleiben werden. Wenn etwa der Transportsektor weiter automatisiert und somit effizienter wird, werden zusätzliche Ressourcen für andere Branchen mit geringerem Automatisierungspotenzial frei. So ist die Nachfrage nach Tätigkeiten, die ein hohes Maß an sozialer Kompetenz erfordern, seit 1980 stark gestiegen. Von Künstlicher Intelligenz getriebene Automatisierung wird diesen Trend vermutlich weiter befördern.

Arbeitsmarktregulierung behindert Anpassung

Damit neue Technologien ihre produktivitätssteigernde Wirkung auf dem Arbeitsmarkt realisieren können, müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Auf Arbeitsmärkten – besonders für medizinische und pflegerische Dienstleistungen – sollten Regulierungen dem Beschäftigungszuwachs nicht maßgeblich im Wege stehen. Das Risiko wachsender Arbeitslosigkeit besteht nur dann, wenn die Löhne und Arbeitsbedingungen in den betreffenden Märkten starr reguliert sind und ein Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten besteht. Letzteres ist ein entscheidender Faktor, denn die Vorstellung ist weit verbreitet, dass Menschen lediglich jene Tätigkeiten ausüben könnten, für die sie ursprünglich ausgebildet wurden. In einer dynamischen Marktwirtschaft verschwinden zwar permanent Arbeitsplätze, doch es kommt noch schneller zur Entstehung neuer Arbeitsplätze.

Allzu strikte Arbeitsmarktregulierung birgt die Gefahr, die Entstehung neuer Arbeitsmöglichkeiten im Keim zu ersticken und so Arbeitslosigkeit und ein sinkendes Lohnniveau zu befördern. Arbeitnehmer und Unternehmen sollten die Gelegenheit haben, mit Vertrags- und Beschäftigungsbedingungen zu experimentieren, die neue Möglichkeiten zur Aus- und Umbildung enthalten.

Künstliche Intelligenz und flexible Automatisierung

Insbesondere der Markt für medizinische und pflegerische Dienstleistungen sowie andere Sektoren, in denen die Nachfrage nach menschlichen Arbeitskräften zukünftig steigen wird, könnten von Deregulierung profitieren. In diesen Märkten werden Löhne und Arbeitsbedingungen heute in hohem Maße staatlich beeinflusst. Bei steigender Nachfrage würden die Marktlöhne für Arbeiter im Gesundheitssektor steigen und Anreize geben, umzuschulen und in die boomenden Sektoren zu wechseln. Unflexible Löhne führen zu künstlich erzeugtem Nachfrageüberschuss auf Arbeitsmärkten.

Nicht die durch Künstliche Intelligenz getriebene Automatisierung mit ihrer produktivitätssteigernden Wirkung bedroht Arbeitsplätze und Löhne, sondern schlechte Politik und rigide Arbeitsmärkte.

Zuerst erschienen bei IREF (deutsch/englisch)

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Während sich alle Augen in dieser Woche auf das Treffen von Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel richteten, haben sich in dieser Woche in Meseberg auch Finanzminister Olaf Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire getroffen und über den Einstieg in eine europäische Arbeitslosenversicherung verständigt. Das ist bemerkenswert. Hatte man doch bislang den Eindruck, dass die Vergemeinschaftung von Risiken zunächst mal bei den Schulden (Europäischer Stabilitätsmechanismus) und den Sparguthaben (Europäische Einlagensicherung) haltmachen würde.

Doch weit gefehlt. Die Sozialversicherungen sind wohl als nächstes dran. Die gemeinsame Erklärung von Le Maire und Scholz spricht dabei eine sehr deutliche Sprache. Darin heißt es: „Im Hinblick auf die Stabilisierung der sozialen Sicherung in der Eurozone sollten die nationalen Systeme der Arbeitslosenversicherung während des gesamten Konjunkturzyklus einen ausgeglichenen Saldo aufweisen und in guten Zeiten Rücklagen bilden. In einer schweren Wirtschaftskrise könnten die nationalen Systeme durch einen Stabilisierungsfonds auf Ebene der Eurozone ergänzt werden. Der Fonds könnte den nationalen Sozialversicherungssystemen in einer Wirtschaftskrise, die mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten einhergeht, Geld leihen.“ Naheliegend ist dabei wohl ein Rückversicherungssystem als Übergang wie es bereits beim geplanten Europäischen Einlagensicherungssystem vorgesehen ist.

Die Erklärung der beiden Finanzminister klingt stark nach 1970er Wirtschaftspolitik. In schlechten Zeiten das Geld ausgeben, damit Konjunktur entsteht, die die Arbeitslosigkeit reduziert, um dann von den Mehreinnahmen das aufgelaufene Defizit zurückzuführen. Das hat historisch nie geklappt. 1972 sagte Helmut Schmidt einmal: „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Damit begründete er eine bis dahin ungeahnte Ausgaben- und Schuldenpolitik des Staates. Mitte der 1970er Jahre hatte der damalige Bundeskanzler dann beides. Dieser Irrglaube der Steuerbarkeit von Konjunkturverläufen hat bislang nirgends funktioniert. Die Finanzierung von Arbeitslosigkeit kann keine Arbeitsplätze schaffen. Auch die aktive Arbeitsmarktpolitik ist vielfach wirkungslos. Mitnahmeeffekte sind systemimmanent.

Natürlich ist die Zahl der Arbeitslosen in Europa, in der EU und insbesondere in der Euro-Zone zu hoch. Gerade die Jugendarbeitslosigkeit ist in Südeuropa besorgniserregend und führt vielerorts zu Perspektivlosigkeit. In Griechenland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 45 Prozent, in Frankreich über 20 Prozent, in Italien über 33 Prozent und in Spanien sogar über 34 Prozent. Doch die Ursache dafür läßt sich nicht mit noch mehr Umverteilung in der EU lösen. Das Problem sind Markteintrittshürden für Geringqualifizierte. Das Arbeitsrecht privilegiert in diesen Ländern die Arbeitsplatzbesitzenden und diskriminiert diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen. Vielfach hohe Mindestlöhne verhindern die Einstellung von jungen Menschen und ein fehlendes duales Ausbildungssystem lassen ein „Training on the Job“ nicht zu.

Viele dieser Probleme haben historische und kulturelle Wurzeln. Umverteilung zu Lasten derer, die es anders und vielleicht auch besser machen, hilft da wenig. Auch noch mehr öffentliche Investitionen durch die EU oder über ein Eurozonen-Budget zu finanzieren, ist dabei wenig hilfreich. Der jetzt von Angela Merkel als Deal für das Entgegenkommen Macrons in der Flüchtlingspolitik zugestandene Schlechtwetterfonds im „niedrigen zweistelligen Milliardenbereich“ ist bestenfalls ein Placebo. Wahrscheinlich richtet er aber mehr Schaden als Nutzen an. Wenn bei schlechter Wirtschaftslage Euro-Staaten über diesen Fonds „gepampert“ werden, dann sind auch hier den Mitnahmeeffekten Tür und Tor geöffnet.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und ihren Produkten kann nicht durch staatliche Investitionen erreicht werden. Hier sind andere Dinge viel Wesentlicher. Dazu gehört eine Eigentumsordnung, die Investoren aus dem eigenen Land und von außen einlädt, dauerhaft am Standort zu investieren. Dazu gehört ein Arbeitsrecht, das durchlässig ist und jungen Menschen Chancen gibt. Und es gehört eine Administration des Staates dazu, die möglichst frei von Korruption und Bevorteilung ist. Dies erfordert die Gleichheit vor dem Recht und den Staat als Dienstleister der Bürger. Gerade davon sind wir auch im eigenen Land Lichtjahre entfernt. Wenn Merkel und Macron die EU zukunftssicher machen wollen, sind das die Baustellen, an denen gearbeitet werden müsste.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Photo: Tambako The Jaguar from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

President Macron has suggested that the “European Stability Mechanism” (ESM) should be renamed “European Monetary Fund” (EMF). Berlin (Schäuble, Merkel, Scholz) and the European Commission agree to this proposal. The EMF has been a French project since the time of Raymond Barre (1968) and Giscard d’Estaing (1978), and in July 2011 President Sarkozy triumphantly called the ESM “the beginning of a European Monetary Fund”.

The name “European Monetary Fund” is inspired by the International Monetary Fund. The IMF was founded in 1944 by the Roosevelt administration (Harry Dexter White) and John Maynard Keynes. It was a left-wing project from the start. In the course of its history, many free-market economists (e.g., Milton Friedman, Anna Schwartz, Alan Walters, George Schultz, William Simon and Allan Meltzer) have proposed to abolish it.

In France, the IMF tends to raise mixed feelings. On the one hand, France has provided by far the largest number of managing directors: Schweitzer, De Laroisière, Camdessus, Strauss-Kahn, Lagarde. On the other hand, since the US is the main financier, has the largest voting weight and hosts the IMF in its capital Washington, Paris views the IMF as a US-dominated rival to its political ambitions. When the ESM was established, Paris did not want to have the IMF involved in monitoring ESM programmes but the German Chancellor’s office (Jens Weidmann) insisted on IMF participation.

While the IMF is entirely financed by its member states, the ESM raises its funds in the capital market but the member states are guaranteeing the repayment. In this respect, the ESM is more like the World Bank (IBRD) than the IMF. But while the World Bank lends also to non-governmental institutions, the IMF, like the ESM, gives its credits only to the member states. According to its Articles of Agreement (V.3.b.ii), the IMF may only lend in case of balance of payments problems and reserve losses but, more recently, it has also financed budget deficits. Thus, the EMF will be a hybrid of the IMF and the World Bank.

When the Bretton Woods system of fixed but adjustable exchange rate parities finally collapsed in 1973, most economists expected that the IMF would be closed down as well. However, as Gottfried Haberler once remarked, “international organizations may change their functions and their names but they never die”. The IMF managed to survive by inventing new roles for its bureaucracy. Whenever there was an international economic crisis, the IMF tried to step in: the two oil price shocks of the 1970s, the Latin American debt crisis of the 1980s, the fall of the USSR and the East Asian crisis in the 1990s, the financial market crisis of 2008 and the sovereign debt problems in the eurozone in the 2010s. Like the IMF, the ESM fits Haberler’s rule: now that Greece and the other overindebted eurozone countries will cease to receive further loans, the ESM takes up new functions and a new name. Like the IMF, it is to start monitoring compliance with policy conditions attached to the loans and the sustainability of government debt. Together with the Commission, it is to control budget deficits under the Stability and Growth Pact. Finally, it will become the “backstop” to the Single Resolution Fund (SRF) financing the restructuring of banks.

What other lessons can we draw from the history of the IMF?

1. IMF credits have increased enormously relative to the borrowers’ capital subscriptions (their quotas). Initially, credits were limited to 125 per cent of quota. By 2002 Brazil received a credit line seven times, finally nine times, its quota. For Mexico in 2011 it was 15 times, for Ireland 23 times and for Greece 32 times its quota. In the same way, the EMF’s credit line to the SRF, which the Commission has provisionally fixed at EUR 60 billion, is merely a beginning. The total size of the ESM/EMF is EUR 500 billion.

2. Up to 1987 most IMF credits were for one year. Now most of them are for several, usually five, years. The ESM started with long term credits. Now it wants to give also more short-term loans, and Chancellor Merkel supports this idea. Thus, both monetary funds, IMF and ESM, have tried to extend maturities over the whole range of the spectrum to maximize their room of manoeuvre.

3. Initially, the IMF did not have the right to impose and monitor policy conditions. The staff gained this power in the 1950s. Similarly, the ESM is now claiming the competency to monitor compliance with its conditions.

4. The IMF has not been an effective enforcer of compliance. From 1991 to 2005, for example, it cancelled 41 programmes on grounds of noncompliance but in 29 of these cases it granted a new programme within one year (Urbaczka, Vaubel 2012). According to Fails and Woo (2015), the probability of signing an agreement with the IMF is significantly larger if the country has been under an IMF programme in the previous year. There are two reasons why the IMF does not withdraw when borrowers ignore its policy conditions. First, the IMF finances its expenses by earning an interest margin on its lending. It must lend in order to be able to exist, and the borrowing governments know it. Thus, the number of policy conditions does not significantly affect monetary expansion, budget deficits and government spending (Dreher, Vaubel 2004). Second, the financiers of the IMF will not increase their subscriptions unless the fund is close to exhausting its lending potential. This is why the IMF significantly accelerates the growth of its lending when the date of the next quota review approaches (Vaubel 1996). For the same reasons, the EMF will not be an effective enforcer either. Compliance with its policy conditions ought to be monitored by some other institution(s) as it has been in the past.

5. The IMF has 189 members but only some of them receive IMF credits. As the Meltzer Commission of the US House of Representatives showed in 2000, the IMF is an almost continuous provider of aid to a relatively small group of countries. In the fifty years from 1949 to 1999, for example, twenty countries were indebted to the IMF in at least thirty years and sixty-six countries in at least twenty years since first use.

6. Governments get used to borrowing. The larger the credit, the shorter is the time up to the next agreement (Evrensel, Kim 2006). Moreover, the next time the economy is in significantly worse shape (Evrensel 2000). This is evidence of moral hazard. To test for moral hazard more directly Axel Dreher and I (2004) have regressed the budget deficit (as a share of GDP) and the rate of monetary expansion on the country’s ratio of IMF credit to quota, i.e., on the extent to which the government has exhausted its borrowing potential with the IMF. For both policy variables the effect is significantly negative: as the government approaches its borrowing limit with the IMF, it starts to correct its negligent policies. Moral hazard under the European Monetary Fund will be worse for two reasons. First, there is no limit on a country’s borrowing potential except the total size of the fund. Second, the EMF will be a more generous provider of subsidized credit to eurozone governments than the IMF because the government of a eurozone country has more influence on the EMF than on the IMF.

7. Governments borrow significantly more from the IMF immediately before and after elections (Dreher, Vaubel 2004). Before the election, borrowing may serve to finance government expenditure or sterilized foreign exchange interventions. After the election, IMF credit is part of the programme to correct for the pre-election excesses. It would be surprising if the EMF did not contribute to political business cycles.

8. The main restraint on IMF quota increases has been the US, especially Republican presidents like Ronald Reagan and the two Bushes as well as Republican House majorities. As the main financial contributor, the US has the strongest incentive to monitor IMF performance. More generally, the US financing share under Republican presidents has a significantly negative effect on staff growth in international organizations (Vaubel, Dreher, Soylu 2007). In the European Monetary Fund, Germany is the main financial contributor. Will Germany be able to keep the EMF in check? Will German restraint be resented?

To sum up, there are strong reasons to expect that the incentive problems which have beset the IMF will be magnified in the case of the EMF. The costs and risks have to be borne primarily by the German taxpayer.

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Donald Trump ist kein Freund der Freiheit. Er ist eher ein Vertreter des Kollektivs oder der Stammesgesellschaft, wie es unser Kuratoriumsvorsitzender Thomas Mayer in seinem neuesten Buch in Anlehnung an Hayek formuliert.  In „Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde“ (Finanzbuchverlag München) bezeichnet er die Rückbesinnung auf die Stammesgesellschaft, die sich an einem Stammesführer orientiert, als größten Angriff auf die liberale Gesellschaft. Diese Stammesgesellschaft orientiert sich nicht mehr am Individuum, das als Ideal die Gleichheit vor dem Recht kennt, sondern an dem Schutz seiner Mitglieder vor den äußeren Gefahren. Auf das Recht kommt es nicht an, sondern lediglich auf das Wohlergehen der Stammesgesellschaft insgesamt. So inszeniert sich Trump derzeit. „America First“ unterstreicht dies.

Letztlich will er das, was in der Familie funktioniert – die menschliche Nähe und die Geborgenheit – auf eine größere Einheit, den Staat, übertragen. Trump ist hier nicht allein, sondern sitzt in einem Boot mit Leuten wie Wladimir Putin. Beide verfolgen eine Politik des starken Mannes, die vorgeben, ihre Bevölkerung vor den Gefahren der Globalisierung, vor Arbeitslosigkeit und Identitätsverlust zu schützen. Auch das China des Xi Jinping kennt diesen Ansatz. Zwar setzt China derzeit auf Globalisierung, doch nicht so sehr, weil sie inhaltlich davon überzeugt sind, sondern weil es dem Land besonders nützt. Es geht der chinesischen Führung nicht darum, die Wahlfreiheit des einzelnen Bürgers zu steigern, sondern eine globale Wirtschaftsmacht zu werden. Es geht also nicht um das Individuum, sondern um das Kollektiv.

Insofern passt das chinesische Modell eigentlich sehr gut zur Ideologie des Sozialismus. Der Sozialismus will eine Gesellschaft planen, der Einzelne spielt keine Rolle, sondern nur das Ganze zählt. Dieser Konstruktivismus, eine Gesellschaft zentral formen und konstruieren zu können, sind der Stammesgesellschaft entlehnt.

Mayer sieht in der europäischen Antwort auf diese Stammesgesellschaft keine wirkliche Alternative. Diese Antwort ist der behütende Wohlfahrtsstaat. Und auch der besteht in dem Versuch, menschliche Nähe und Geborgenheit staatlich zu oktroyieren. Das Elterngeld, die Mütterrente und das Baukindergeld in Deutschland sind nur die populärsten Beispiele. Insofern unterscheidet sich der Wohlfahrtsstaat nicht fundamental von dem „make America great again“-Ansatz Donald Trumps. Wer die Stahlarbeiter in Detroit durch Zölle schützen will, unterscheidet sich nur marginal von denjenigen, die mittels staatlicher Interventionen Familienplanung beeinflussen möchte. Beide wollen, dass die eigene Stammesgesellschaft nicht untergeht.

Diese Verunklarung der Freiheitswerte des Westens sind gleichzeitig der Grund für dessen Niedergang. Deren Klarheit in der Phase des klassischen Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts war die Ursache für dessen Überlegenheit gegenüber anderen Gesellschaftssystemen: Die Orientierung am Einzelnen und an seinen individuellen Rechten. Daraus entwickelte sich eine Eigentumsordnung, die rechtssicher Eigentum erwerben ließ und übertragen konnte. Daraus entwickelte sich der Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht. Könige, Fürsten oder Regierungen standen nichtüber dem Recht, sondern waren ihm untergeordnet. Aufgabe des Staates war es, die äußere und innere Sicherheit zu schützen. Das wird für einen liberalen Staat heutiger Prägung nicht ganz ausreichen. Auch Friedrich August von Hayek wollte letztlich auf eine soziale Grundsicherung nicht verzichten. Die Sogkraft, die politischen Systemen inhärent ist, ließ ihn den Vorschlag machen, ein Zwei-Kammer-Parlament einzuführen. Die eine Kammer sollte Gesetze erlassen und die andere Kammer ausschließlich die Regierung kontrollieren. Erstere sollte von Frauen und Männer besetzt sein, die Lebenserfahrung mitbrächten und für eine längere Zeit gewählt würden, damit sie sich weniger um ihre Wiederwahl und ihre Stellung in der Partei bemühen müssten. Hayek wollte Politikern und Regierungen institutionelle Fesseln anlegen, um deren Macht nicht immer weiter anwachsen zu lassen.

Eine Rückbesinnung auf den klassischen Liberalismus ist freilich nicht durch einen großen Knall zu erreichen, sondern – Mayer weißt zurecht auf Karl Popper Stückwerk-Technik hin – von vielen kleinen Schritten. Rom ist bekanntlich auch nicht an einem Tag entstanden. Freilich steht und fällt das ganze Projekt auch mit der Bereitschaft, diese Schritte zu tun – auch gegen Widerstände von allen Seiten. Mayers Buch ist dazu eine intellektuelle Ermutigung.

Thomas Mayer: Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde, Finanzbuchverlag München, 2018