Photo: Jingda Chen from Unsplash (CC 0)

Es geschehen noch Zeichen und Wunder – selbst in Brüssel. Letzte Woche hat das Parlament der Europäischen Union mit 318 zu 278 Stimmen gegen die Reform des Urheberrechts gestimmt und sich damit gegen das Votum des eigenen Rechtsausschusses gestellt. Dieser hatte zuvor knapp für die Reform gestimmt. Bereits in Deutschland ist das so genannte Leistungsschutzrecht gescheitert. Es sollte Zeitungsverlagen für Textschnipsel, die beispielsweise über Google verbreitet wurden, eine Vergütung sichern. Jetzt hat man diese Frage auf die EU-Ebene gehoben. Die Befürworter der EU-Reform, wie der Initiator des Vorschlags Axel Voss (CDU), möchten mithilfe der Reform die Verhandlungsposition von Zeitungsverlagen gegenüber Internet-Konzernen verbessern. Doch ist das die Aufgabe des Staates? Muss der Staat einen schrumpfenden Zeitungsmarkt durch eine solche Gesetzgebung subventionieren? Wohl kaum. Handlungsbedarf gibt es hier nicht. Im Gegenteil, Portale, auch diejenigen der Zeitungsverlage, profitieren nicht unerheblich von der Suchfunktion durch Google. Sie müssen sich selbst weiterentwickeln und auf den Wandel reagieren, sonst verschwinden sie vom Markt.

Auch die geplanten Upload-Filter gehören zu diesem Angriff auf das Internet. Denn die vorgeschlagene Reform des Urheberrechts zieht notwendigerweise einen „Upload-Filter“ nach sich, der hochgeladene Daten vor der Freigabe auf Rechtmäßigkeit prüfen soll. Aufgrund der unklaren Rechtslage werden die Betreiber der Websites immer den strengsten „Upload-Filter“ verwenden, um Klagen vorzubeugen. Dadurch werden jedoch auch im großen Umfang legale Inhalte aus dem Verkehr gezogen.

Das Urheberrecht unterliegt in Zeiten des Internets einem Wandel, der viele Wirtschaftsbereiche verändert und der nicht in Deutschland oder in der EU aufgehalten werden kann. Das EU-Parlament hat die Frage erstmal auf September verschoben. Das ist eine gute Nachricht aus Brüssel.

 

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Photo by Gandalf’s Gallery from Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Baukindergeld, Breitbandausbau, Betreuungsgeld. Das Verteilen von Steuermitteln wird gerne mit hehren Zielen verknüpft. Unabhängig von den tatsächlichen Absichten der Akteure handelt es sich aber in vielen Fällen um ganz banale Privilegienwirtschaft.

Breitband für Oepfershausen, Quiddelbach und Kuchelmiß

Beispiel Breitbandausbau. Ein Thema, mit dem man eigentlich nur gewinnen kann, weil für jeden was dabei ist: von Digitalisierung bis Oberfranken, von Bildung bis Mittelstand, von Netflix bis Porno. Klingt nach einer guten Sache. Das dachten sich auch die Großkoalitionäre, und haben dann im Rahmen ihrer Koalitionsvereinbarung im Frühjahr den Etat dafür von den ursprünglich geplanten 4,4 Milliarden für die nächsten vier Jahre auf 10-12 Milliarden erhöht. Geld ist ja gerade reichlich vorhanden. Selbst wenn man jetzt mal die Frage beiseitelässt, ob derlei Großplanungen angesichts der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts wirklich klug sind (ob man nicht bald mit LTE und Funk adäquaten Ersatz geschaffen haben wird – Stichwort „Anmaßung von Wissen“), ist es angebracht, in einem solchen Fall nochmal nachzuhaken.

Ein Blick auf die Karte des Bundesverkehrsministeriums zur Verfügbarkeit von Breitband zeigt, dass in den allermeisten Städten in Deutschland mindestens 75 Prozent, häufig mehr als 95 Prozent der Haushalte Zugang haben. In ländlichen Gebieten sieht es mitunter (aber mitnichten flächendeckend!) tatsächlich etwas düsterer aus: in Oepfershausen etwa, in Quiddelbach und Kuchelmiß. Unter der Fahne des Konzepts der gleichwertigen Lebensverhältnisse sollen auch den dortigen Menschen die Segnungen des schnellen Internets zuteilwerden. Und nicht zu vergessen – immer ein gutes Argument –: den dortigen Unternehmen. Ja, sie werden bestimmt eine ganze Reihe Mittelständler finden, die dringend Breitband bräuchten. Aber …

Der Mythos vom benachteiligten Land

Aber es ist etwas zu kurz gedacht, wenn man nur den Faktor Breitbandverfügbarkeit isoliert betrachtet. Denn das Leben auf dem Lande hat ja auch noch positive Seiten – sonst würden die Quiddelbacher doch schleunigst nach Cochem, Koblenz oder Bonn ziehen, wo Breitband verfügbar ist. Abgesehen von der anmutigen Landschaft und der benachbarten Familie hat der Eifel-Ort noch mancherlei Vorteile zu bieten. Bis vor wenigen Jahren konnte man von dem nahegelegenen Nürburgring profitieren, als Vermieterin von Ferienwohnungen oder Imbissbuden-Besitzer. Die Lebenshaltungskosten sind gering verglichen mit Städten. Mit dem Auto ist man schneller am Flughafen Frankfurt-Hahn als aus Frankfurt. Die Arbeitslosenquote liegt im Landkreis mit derzeit 5,4 genau auf dem Bundesschnitt und 0,7 Prozent unter dem Landesschnitt. Wem es in dem Dörflein gefällt, der hat alles in allem eine sehr gute Perspektive. Auch ohne das schnellste Internet.

Geht es beim Breitbandausbau wirklich darum, die benachteiligte Landbevölkerung mit den Segnungen der Moderne auszustatten, um ihnen endlich eine Chance zu geben? Oder werden hier Erzählungen aus dem 19. Jahrhundert benutzt, um ein System der Privilegienwirtschaft zu etablieren? Es geht nicht unbedingt um den Ausgleich eines Nachteils, sondern es geht darum, einer weiteren Wählergruppe das Leben angenehmer zu machen. Oder wie könnte man sonst erklären, dass die Krankenschwester und der Elektromonteur, die mit ihren zwei Kindern in einer kleinen Wohnung in Frankfurt leben, mitbezahlen sollen für den Breitbandanschluss von Eigenheimbesitzern in Oepfershausen? Es geht nicht um eine Umverteilung zugunsten gleichwertiger Lebensverhältnisse, über deren Sinn oder Unsinn man auch noch diskutieren könnte. Es geht darum, einen Teil der Bevölkerung zu Lasten eines anderen zu bevorzugen.

Umverteilung von unten nach oben

Es ist immer wieder dasselbe Prinzip, wenn die Segnungen aus den Steuertöpfen über das Land verteilt werden. Verkündet wird mehr Gerechtigkeit, „ein Land, in dem wir gut und gerne leben“. Eigentlich aber geht es darum, bestimmten Klientelgruppen gute Gründe dafür zu liefern, dass sie einem wieder ihre Stimme geben. Dann finanziert der Lehrling über den „Rundfunkbeitrag“ dem Staatsanwalt die Olympischen Spiele. Dann fließt die Einkommensteuer der alleinerziehenden Grundschullehrerin aus Coburg in das Betreuungsgeld für die Zahnarzt-Gattin aus Starnberg. Dann sponsert der Brandenburger Rentner über die EEG-Umlage den benachbarten Großbauern. Gerade zeigte eine Studie des DIW: Das Baukindergeld hilft vor allem den Wohlhabenden. Und das Absurdeste an der Geschichte: Gerade die Parteien und politischen Gruppierungen, die sich den Benachteiligten verschrieben haben, sind oft an der vordersten Front, wenn es darum geht, diese Privilegien zu verteidigen.

Bedeutende Ökonomen wie James Buchanan, Gordon Tullock und Mancur Olson haben es zu ihrem Lebenswerk gemacht, dieses Phänomen zu erforschen – und vor allem, nach Möglichkeiten zu suchen, das Problem in den Griff zu bekommen. Der Löwenanteil an Umverteilung in unserem Land ist nicht dazu angetan, den tatsächlich Notleidenden zu helfen. Sie hilft vielmehr vor allem Politikern, die sich über Sonderbehandlungen Beliebtheit erkaufen. Um diese Unsitte einzudämmen, brauchen wir bessere Regeln und mehr institutionelle Kontrolle, wir brauchen mehr Evidenzbasierung sowie mehr Gesetze, Regulierungen und Förderungen, die mit einer sogenannten „sunset clause“ versehen sind, also ein Ablaufdatum haben. Vor allem aber brauchen wir eines: kritischere Bürger, die sich nicht abspeisen lassen mit Sonderbehandlungen.

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Freier Handel über Grenzen hinweg erhöht den Wettbewerb, senkt die Preise und steigert die Vielfalt an Produkten. Für die Verbraucher ist das mehr als nützlich. Trotzdem halten viele Regierungen an Handelshemmnissen fest oder errichten sogar neue. Wenn die einseitige Deregulierung nicht möglich ist, sind Freihandelsabkommen die zweitbeste Alternative.

Niedrigere Preise, höhere Qualität und mehr Auswahl. Dies ist nicht der Slogan eines schwedischen Möbelhauses, sondern die positiven Auswirkungen von freiem Handel auf Konsumenten. Konsumenten profitieren von der Abschaffung von Handelsbarrieren zwischen Ländern, da der Wettbewerb durch Unternehmen aus dem Ausland nicht nur für eine größere Produktvielfalt, sondern auch für niedrigere Preise sorgt. Es ist kein Zufall, dass gerade Länder, die besonders am internationalen Handel teilhaben, auch relativ wohlhabend sind.

Konsumenten profitieren auch vom einseitigen Abbau von Handelsbarrieren. Dennoch beobachten wir Zölle, Quoten und Regulierungen, die die freiwillige Kooperation von Menschen über Landesgrenzen hinweg einschränken. Von diesen Handelsbarrieren profitieren auf Kosten der Konsumenten vor allem Eigner und Angestellte ausgewählter Unternehmen. Sie setzen sich gegen den einseitigen Abbau von Handelsbarrieren ein. Freihandelsabkommen können ein „zweitbestes“ Ergebnis herbeiführen, wenn das „erstbeste“ Ergebnis des unilateralen Barrienabbaus aufgrund des Einflusses von Interessengruppen außer Reichweite ist.

Protektionismus schadet

Zu Handel kommt es, wenn mindestens zwei Beteiligte sich vom Tausch von Gütern oder Dienstleistungen gegen Geld einen Vorteil versprechen. Dass Handel stets für alle Handelspartner wünschenswert ist, erschließt sich den meisten Menschen intuitiv. Würde eine Person einen Nachteil erwarten, würde sie sich schlicht nicht an dem Handel beteiligen. So ist es nicht überraschend, dass sich niemand für Handelsbarrieren zwischen zwei Stadtteilen innerhalb einer Stadt, zwischen zwei Städten innerhalb eines Bundeslandes oder zwischen zwei Bundesländern ausspricht. Selbst für Handelsbarrieren zwischen Staaten innerhalb der EU setzen sich glücklicherweise nur noch wenige ein.

Umso verwunderlicher ist es, dass sich barrierefreier Handel über Landes- und EU-Grenzen hinaus nicht der gleichen Beliebtheit erfreut. Auch hier sind an Transaktionen auf beiden Seiten Personen beteiligt, die beide einen Vorteil aus dem Handel erwarten.

Einseitiger Abbau von Handelsbarrieren nichts Neues

Nicht nur der Abbau von Zöllen und anderen Handelsbarrieren auf Seiten beider Handelspartner, wie die meisten Freihandelsabkommen es vorsehen, ist vorteilhaft, sondern auch der einseitige Abbau von Handelsbarrieren. So können ausländische Unternehmen ohne Zollverpflichtung den inländischen Konsumenten attraktivere Angebote als zuvor unterbreiten. Inländische Firmen können Güter, die sie zur Weiterverarbeitung benötigen, günstiger einkaufen und ihre Waren und Dienstleistungen günstiger an In- wie Ausländer verkaufen. Der Verzicht auf den einseitigen Abbau von Handelsbarrieren als „Vergeltung“ für die Handelsbarrieren eines anderen Landes schadet somit vor allem den inländischen Konsumenten.

Der wahrscheinlich bekannteste Fall von einseitigem Abbau von Handelshemmnissen stammt aus dem 19. Jahrhundert in England. Richard Cobden und seine Mitstreiter in der „Anti-Corn Law League“ brachten 1846 die hohen Zölle und Einfuhrbeschränkungen auf Lebensmittel zu Fall. Eine erhebliche Verbesserung der Lage für die einfache Bevölkerung in den darauffolgenden Jahren war die Folge.

Ein aktuelles Beispiel sind die sogenannten „Preferential Trade Arrangements“. Diese nutzen insbesondere Industrieländer, um einseitig Zölle für Entwicklungsländer auf bestimmte Produkte zu reduzieren. Die Zahl der gemeldeten einseitigen Zoll-Reduzierungs-Programme hat sich von einem im Jahr 1970 auf 31 im Jahr 2016 erhöht. Allein vom Programm der Europäischen Union profitieren sowohl Menschen in 80 relativ armen Ländern als auch Konsumenten in der EU von der Zollfreiheit ausgewählter Güter aus diesen Ländern. Allerdings sind nur etwas mehr als 25% der Güter aus diesen Ländern von Zöllen befreit. Bei Landwirtschaftlichen Produkten sind sogar nur ca. 19% der Güter zollbefreit.

Die Corn Laws und die Preferential Trade Arrangements zeigen, dass die Idee des einseitigen Abbaus von Handelsbarrieren nicht so ungewöhnlich ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Lobbyinteressen gegen unilateralen Barrierenabbau

Warum ist der einseitige Abbau von Handelsbarrieren nicht die Regel? Offene Märkte sind nicht per se im Interesse von Unternehmen. Während sie sich den Marktzugang im Ausland wünschen, scheuen sie zusätzlichen Wettbewerb im Inland. Unternehmen wünschen sich stets größere Märkte für ihre eigenen Produkte und möglichst wenig lästige Wettbewerber. Um zu verhindern, dass sie sich im Inland zusätzlichen Wettbewerbern ausgesetzt sehen, ohne leichteren Marktzugang im Ausland zu erhalten, haben Unternehmen und ihre Stakeholder ein Interesse, sich gegen den einseitigen Abbau von Handelsbarrieren einzusetzen.

Freihandelsabkommen: Zweitbeste Lösungen

Freihandelsabkommen können ein Ausweg aus dieser Situation sein. Inländische Unternehmen lassen zusätzlichen Wettbewerb im Inland durch ausländische Unternehmen zu und erhalten dafür im Gegenzug leichteren Marktzutritt im Ausland.

„Erstbest“ wäre es, wenn Regierungen sich auf die Lobbybemühungen von Unternehmen erst gar nicht einließen, die Unternehmen somit keinen Anreiz für Lobbying hätten und die Regierungen einseitig Handelsbeschränkungen aufheben würden. Obwohl wünschenswert, leben wir nicht in einer Welt, in der politische und unternehmerische Interessen gänzlich voneinander getrennt sind.

Freihandelsabkommen können auch in anderer Hinsicht „zweitbeste“ Lösungen sein. So können Freihandelsabkommen als Instrument dienen, mit dem sich Politiker besser an die Reduzierung von Handelsbarrieren binden können. Wurde ein Abkommen einmal geschlossen, sind die Kosten der Wiedereinführung von Zöllen für die Politiker höher als in Abwesenheit eines Abkommen. Daher ist es weniger wahrscheinlich, dass einmal abgebaute Handelsbarrieren wiedereingeführt werden.

Freierer Handel

Zwar gibt es keine Garantie, dass Vertreter von Interessengruppen auf die Ausgestaltung von Freihandelsabkommen so sehr Einfluss nehmen, dass sie die Situation für Konsumenten verschlechtern, statt sie zu verbessern. Dennoch können Freihandelsabkommen grundsätzlich ein Instrument sein, um mit dem Lobbydruck von Unternehmen umzugehen und freieren Handel verbindlich umzusetzen. Freihandelsabkommen führen leider nie zu Freihandel, aber häufig zu freierem Handel.

Zuerst erschienen bei IREF.

Photo: futureatlas.com from Flickr (CC BY 2.0)

Wenn es um die Migration geht, irrt die deutsche Politik ähnlich unambitioniert, überheblich und planlos über den Platz wie die Nationalmannschaft bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft. Es wäre an der Zeit für eine neue Migrationspolitik, die Chancen realisiert, statt Krisen herbeizurufen.

Kaum eine Debatte wird so postfaktisch geführt wie jene um Migration

Tagespolitische Debatten werden auf absurde Weise irrational geführt. Einmal wird ein ganzes Land getragen von der „Wir schaffen das“-Mentalität und zeigt eine in Europa einzigartige Solidarität mit über einer Million Flüchtlingen. Und wie sieht es zwei Jahre später aus – in einer Zeit, in der laut FRONTEX die Zahl der Neuankömmlinge nicht nur weit entfernt von den 1,82 Millionen des Jahres 2015 ist, sondern auch weiter rückläufig? Da gerät über die Frage nach dem Umgang mit der Migration nicht nur die deutsche Union, sondern gleich die ganze Europäische Union ins Wanken.

Dabei werden Begriffe und Definitionen derart durcheinandergebracht, dass es selbst rationalen Beobachtern schwerfällt, gegen die allgemeine Stimmung anzukommen. Ressentiments und gefühlte Wahrheiten nehmen die Stelle von Fakten ein. Und die Politik tut ihr Übriges, indem sie (in der verzweifelten Hoffnung auf Wählerstimmen) eine akute Krise herbeiredet, wo überhaupt keine ist. Die auf diese Weise vergiftete Debatte dreht sich plötzlich nur noch um die Gefahr durch neue „Flüchtlingsströme“, die unser scheinbar so schön geordnetes und friedliches Zusammenleben überschwemmen. Das ist nicht nur ein Drama, weil Symbolpolitik die unangenehme Eigenschaft hat, Probleme – von denen sie letztlich lebt – aufzubauschen anstatt sie zu lösen. Aber es ist auch ein Drama, weil Migration ein Wachstumsmotor für Deutschland sein könnte.

Es bedarf einer koordinierten Migration, aber keiner Planwirtschaft

Zu Beginn des neuen Jahrtausends dominierten andere Sorgen die öffentliche Debatte. Es ging um den „kranken Mann“ Europas mit seinem stetig wachsenden Staatsdefizit, der hohen Arbeitslosigkeit und dem drohenden demographischen Wandel. Die deutsche Bevölkerung würde zwangsläufig immer älter und weigerte sich trotz Kindergelderhöhung beharrlich, sich zu vermehren. In der Folge – so die Schreckensvision – würde das Rentensystem kollabieren und Landstriche verwaisen. Es erscheint wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass wir uns heute darüber beklagen, dass allein zwischen 2013 und 2016 netto mehr als 3 Millionen Menschen in Deutschland eingewandert sind.

Nun könnte man argumentieren, dass es vor allem darauf ankomme, wer einwandert, und nicht nur wie viele. Das trifft aber nur bedingt den Punkt. Einerseits zeigen verlässliche Untersuchungen, dass „selbst“ Asylantragssteller (also Menschen ohne direkte Aussicht auf Arbeit), nach spätestens drei bis sieben Jahren einen signifikant positiven Effekt auf die heimische Volkswirtschaft haben. Andererseits bedeutet das nicht, dass durch eine bessere Koordination nicht Effizienzgewinne erzielt werden könnten. Ein Vorwurf, den man der aktuellen Regierung durchaus zu Recht machen kann, ist, dass sich an dieser Stelle seit dem Schock von 2015 noch immer nichts getan hat oder sogar – Stichwort Mindestlohn-Erhöhung – neue Hürden aufgebaut wurden.

Eine kluge Migrationspolitik darf nicht in Planwirtschaft münden. Es darf hier nicht darum gehen, zu „errechnen“, an welcher Stelle unserer Volkswirtschaft wie viele Arbeitskräfte benötigt würden. Keine zentrale Stelle kann wissen, ob es wirklich die hoch-qualifizierte Informatikerin ist, die Unternehmen millionenfach einstellen würden, oder der Altenpfleger, der die demographische Delle (siehe oben) versorgen soll. Stattdessen sollte es Deutschen Unternehmen ermöglicht werden, gezielt Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Menschen mit einem Job-Angebot sollte dann unbürokratisch und schnell eine Aufenthaltsgenehmigung mit Arbeitserlaubnis erteilt werden.

Warum Menschen nicht bereits im Ausland ausbilden?

Ganz neu ist diese Idee nicht. Sie taucht unter anderem im Global Compact for Migration auf, einem neuen internationalen Regelwerk, auf das sich die Vereinten Nationen Ende des Jahres verständigen wollen. Der darin enthaltenen Idee der „Global Skill Partnerships“ entsprechend, sollen Länder bilaterale Ausbildungs-Abkommen schließen. So könnte beispielsweise Deutschland mit Ruanda vereinbaren, dass die IHK in Ruanda Menschen ausbildet, von denen eine Hälfte nach abgeschlossener Ausbildung ein Job-Angebot aus Deutschland erhält, während die andere Hälfte vor Ort bleibt und die heimische Wirtschaft unterstützt.

Auf diese Weise könnten deutsche Arbeitgeber, etwa im vollkommen überlasteten Pflegebereich, dringend benötigte und nach ihren Standards ausgebildete Arbeitskräfte erhalten, während gleichzeitig die Volkswirtschaften in Entwicklungsländern keinen „Brain-Drain“ mehr fürchten müssten. Und aus humanitärer Sicht noch viel wichtiger: ein solches Modell würde die lebensgefährliche irreguläre Einwanderung, bei der jedes Jahr zigtausende Menschen sterben substantiell vermindern. Es gäbe schlicht keinen Grund mehr, sein Leben für eine illegale Einreise zu riskieren, wenn legale Möglichkeiten quasi vor der Haustür existieren.

Was Immigration wirklich für uns bedeutet: Humankapital

Sicher, ein solches Programm ist keine Lösung für jene Menschen, die sich bereits als Asylsuchende in Deutschland befinden. Doch auch diese Menschen sollten wir als wertvolles Humankapital begreifen, anstatt als unüberwindbares Problem. Die Politik sollte alles dafür tun, diesen Menschen möglichst schnell die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen; durch die schnelle Bearbeitung von Asylanträgen, die Aufhebung von Arbeitsverboten und vor allem die Befreiung von unnötiger Bürokratie. Dabei darf es nicht immer nur um Erwerbsarbeit gehen, schließlich ist gerade den zahlreichen Flüchtlingen, die zu großen Teilen aus klassischen Händler- und Unternehmer-Kulturen stammen, eine gehörige Portion an Gründergeist zuzutrauen. Sie könnten die alte deutsche Tradition des Unternehmertums womöglich wieder mit neuer Dynamik versehen.

Am Ende fußt Europas Wohlstand auf Ideen und Gründergeist. Je mehr Köpfe im Wettbewerb miteinander um die besten Ideen streiten, desto besser geht es unserer Volkswirtschaft. Deshalb brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Migration. Eine Ausbildung von Menschen bereits im Ausland nach dem Prinzip der „Global Skill Partnerships“ schlägt mehrerer Fliegen mit einer Klappe. Es profitieren deutsche Unternehmen, Menschen in Entwicklungsländern und sogar deren Gesellschaften. Und weitere Migrationsschocks und humanitäre Krisen wie jene auf dem Mittelmeer werden von Vornherein abgemildert. Die Idee, durch Grenzschließungen, Aufnahmelager an der nordafrikanischen Küste, und die Subventionierung von afrikanischen Despoten Menschen davon abzuhalten, zu uns kommen, erscheint im Vergleich wahrhaft töricht.

Photo by Andy Kelly on Unsplash

Von Ryan Khurana.

Künstliche Intelligenz und Automatisierung gelten als für viele Menschen als große Arbeitsplatzbedrohung. Doch die Geschichte macht Mut: Automatisierung führte oft dazu, dass die Menschen sich auf ihren komparativen Vorteil fokussieren konnten und unproduktive Arbeiten von der Technik erledigt wurden. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, zu einem großen Produktivitätstreiber zu werden, wenn sie nicht durch starre Regulierung auf den Arbeitsmärkten ausgebremst wird.

Viele Menschen treibt die Sorge um, dass zukünftig immer mehr Arbeitsplätze von Künstlicher Intelligenz getriebenen Automatisierung zum Opfer fallen und die Arbeitslosigkeit zunehmen wird. Wenngleich diese Sorgen unbegründet sind, könnten sie schädliche politische Maßnahmen in Gang setzen und so die segensreiche Automatisierung behindern – erste Ansätze einer solchen Überregulierung zeichnen sich bereits im Rahmen des momentan diskutierten EU-Regelwerks für Robotik ab. Bereits John Maynard Keynes prägte die Vorstellung, dass technologischer Fortschritt Arbeitslosigkeit hervorrufen könne. Doch Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne drohen nur, wenn die Politik den Wandel behindert. Auf Arbeitsmärkten mit flexiblen Löhnen und Arbeitsbedingungen können Arbeitnehmer weiterhin von KI-getriebener Automatisierung profitieren.

KI-Technologien versprechen Produktivitätsschub

Die Sorge um technologisch bedingte Arbeitslosigkeit entspringt einer engen Sichtweise auf menschliche Fähigkeiten und wirtschaftlichen Bedürfnisse. In produktivitätssteigernden Technologien wie Künstlichen Intelligenzen liegen enorme Chancen, die dazu beitragen können, die derzeitige Wachstumsflaute zu überwinden.

Eine Studie des McKinsey Global Institute kommt zu dem Schluss, dass von Künstlicher Intelligenz getriebene Automatisierung die aufgrund zunehmender Alterung und sinkender Geburtenraten drohenden Produktivitätsverluste in westlichen Gesellschaften abfedern können. Werden Technologien basierend auf Künstlicher Intelligenz früh (d.h. bereits ab 2025) in nennenswerter Weise ausgebaut, könnten sie den Studienergebnissen zufolge das weltweite BIP-Wachstum um jährlich 1,4 Prozentpunkte stärken. Im Wettbewerb agierende Unternehmen sähen sich veranlasst, die Produktivitätsgewinne in Form von Qualitätssteigerungen und niedrigeren Preisen an die Konsumenten weiterzugeben. Die Reallöhne würden also steigen.

PNG - 273.4 kB

 

Arbeitnehmer für wertvollere Tätigkeiten frei

Ein weiteres Ergebnis der McKinsey-Studie ist, dass ca. 30 % aller Tätigkeiten in etwa 60 % aller Berufsfelder automatisierbar sind. Dieser vielzitierte Befund lässt bei Skeptikern der Künstlichen Intelligenz die Alarmglocken läuten. Die Konsequenzen sind allerdings unklar. Ein typischer Arbeitnehmer verbringt den größten Teil seiner Arbeitszeit eben nicht mit jenen Tätigkeiten, mit denen er am meisten zum Erfolg des Unternehmens beiträgt. Werden im Zuge der Automatisierung einige Tätigkeiten durch Künstliche Intelligenzen automatisiert, so können sich Arbeitnehmer stärker auf jene Tätigkeiten konzentrieren, durch die sie am meisten beitragen können. Menschliche Arbeit wird durch den technologischen Fortschritt also nicht ersetzt, sondern ergänzt.

Ein anschauliches Beispiel liefert der Effekt von Geldautomaten auf das Bankkundengeschäft: Obwohl Geldautomaten dafür gesorgt haben, dass kaum noch Personal zum Zählen und Aushändigen von Bargeld in Banken beschäftigt werden muss, ist die Nachfrage nach Bankkaufmännern und -frauen nicht gesunken. Vielmehr konzentrieren sich letztere nun stärker auf Tätigkeiten, in denen sie einen komparativen Vorteil haben, etwa den Kundenservice und die Kundenakquise. Gleichzeitig senken Geldautomaten die Miet- und Investitionskosten der Banken, sodass diese mehr Filialen unterhalten können.

Bisherige Studien übertreiben Auswirkungen

Eine OECD-Studie über die Auswirkungen der Automatisierung betont, dass Arbeitsplätze hochgradig heterogen sind, etwa hinsichtlich der Länder und Märkte, in denen sie ausgeübt werden, sowie hinsichtlich des Qualifizierungsniveaus, das sie beanspruchen. Viele ältere Studien ignorieren diese Heterogenität. Wird sie in den Schätzungen berücksichtigt, fällt der Anteil der Jobs mit hohem Automatisierungsrisiko merklich. Das höchste Automatisierungsrisiko besteht demnach in Deutschland und Österreich, wo 12 % der Arbeitsplätze automatisiert werden könnten, vornehmlich im produzierenden Gewerbe. Aber auch das ist kein Grund zur Sorge.

Pflegerische Tätigkeiten schwer automatisierbar

Seit Beginn der Finanzkrise leidet die Weltwirtschaft unter schwachem Produktivitätswachstum, das die Reallohnentwicklung hemmt. Angesichts der voranschreitenden Alterung der Bevölkerung in den meisten OECD-Staaten birgt die Produktivitätsflaute langfristig die Gefahr deutlicher Wohlstandseinbußen. Mit steigendem Durchschnittsalter einer Gesellschaft wächst die Nachfrage nach medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen. Für das Vereinigte Königreich gehen Schätzungen beispielsweise davon aus, dass im Jahr 2037 750.000 Arbeitskräfte in diesen Sektoren fehlen werden.

Die Anwendung neuer Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz steigert nicht nur die Produktivität in Branchen mit hohem Automatisierungspotenzial. Zusätzlich wirkt sie auch produktivitätssteigernd in anderen Branchen, in denen menschliche Arbeitskräfte weiterhin wichtig bleiben werden. Wenn etwa der Transportsektor weiter automatisiert und somit effizienter wird, werden zusätzliche Ressourcen für andere Branchen mit geringerem Automatisierungspotenzial frei. So ist die Nachfrage nach Tätigkeiten, die ein hohes Maß an sozialer Kompetenz erfordern, seit 1980 stark gestiegen. Von Künstlicher Intelligenz getriebene Automatisierung wird diesen Trend vermutlich weiter befördern.

Arbeitsmarktregulierung behindert Anpassung

Damit neue Technologien ihre produktivitätssteigernde Wirkung auf dem Arbeitsmarkt realisieren können, müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Auf Arbeitsmärkten – besonders für medizinische und pflegerische Dienstleistungen – sollten Regulierungen dem Beschäftigungszuwachs nicht maßgeblich im Wege stehen. Das Risiko wachsender Arbeitslosigkeit besteht nur dann, wenn die Löhne und Arbeitsbedingungen in den betreffenden Märkten starr reguliert sind und ein Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten besteht. Letzteres ist ein entscheidender Faktor, denn die Vorstellung ist weit verbreitet, dass Menschen lediglich jene Tätigkeiten ausüben könnten, für die sie ursprünglich ausgebildet wurden. In einer dynamischen Marktwirtschaft verschwinden zwar permanent Arbeitsplätze, doch es kommt noch schneller zur Entstehung neuer Arbeitsplätze.

Allzu strikte Arbeitsmarktregulierung birgt die Gefahr, die Entstehung neuer Arbeitsmöglichkeiten im Keim zu ersticken und so Arbeitslosigkeit und ein sinkendes Lohnniveau zu befördern. Arbeitnehmer und Unternehmen sollten die Gelegenheit haben, mit Vertrags- und Beschäftigungsbedingungen zu experimentieren, die neue Möglichkeiten zur Aus- und Umbildung enthalten.

Künstliche Intelligenz und flexible Automatisierung

Insbesondere der Markt für medizinische und pflegerische Dienstleistungen sowie andere Sektoren, in denen die Nachfrage nach menschlichen Arbeitskräften zukünftig steigen wird, könnten von Deregulierung profitieren. In diesen Märkten werden Löhne und Arbeitsbedingungen heute in hohem Maße staatlich beeinflusst. Bei steigender Nachfrage würden die Marktlöhne für Arbeiter im Gesundheitssektor steigen und Anreize geben, umzuschulen und in die boomenden Sektoren zu wechseln. Unflexible Löhne führen zu künstlich erzeugtem Nachfrageüberschuss auf Arbeitsmärkten.

Nicht die durch Künstliche Intelligenz getriebene Automatisierung mit ihrer produktivitätssteigernden Wirkung bedroht Arbeitsplätze und Löhne, sondern schlechte Politik und rigide Arbeitsmärkte.

Zuerst erschienen bei IREF (deutsch/englisch)