Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Von Prof. Dr. Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig und Mitglied des Kuratoriums von Prometheus, und Clemens Schneider.

Zivilgesellschaftliche Akteure tragen wesentlich dazu bei, die freiheitliche Ordnung unseres Landes mit Leben zu füllen. Damit stehen sie aber auch in einer besonderen Verantwortung. Dies gilt besonders für jene, die sich mit Fragen aus dem unmittelbaren Wirkungsbereich des Staates beschäftigen, die Nichtregierungsorganisationen (NGO).

Viele dieser NGOs leisten wertvolle Arbeit: sie bieten eine Plattform für Engagement, ermöglichen effektive Hilfe vor Ort, schaffen Aufmerksamkeit für gemeinsamen Handlungsbedarf und stellen sicher, dass Unterstützung auch dort ankommt, wo die grobe Kelle des Staates nicht hinreicht. Entsprechend gut ist ihr öffentlicher Ruf. In einer jüngsten Befragung der Universität Leipzig rangierte das Vertrauen der deutschen Öffentlichkeit in internationale NGOs knapp hinter Polizei und Bundeswehr, noch vor Gewerkschaften oder mittelständischen Unternehmen.

Ihr Nimbus als selbstlose und konstruktive Helfer ist jedoch zugleich eine Art Kollektivgut. NGOs wird viel Grundvertrauen entgegengebracht, weil ihnen als nicht gewinnorientierten Organisationen eine durch Selbstlosigkeit bedingte Anständigkeit unterstellt wird. Dies kann fragwürdige Akteure dazu verleiten, sich am Reputationskapital des Sektors unschädlich zu halten. Und Bürger, Unternehmen, Politik und Medien können Gefahr laufen, allzu unkritisch gegenüber solchen NGOs zu agieren.

Denn klar ist auch: NGOs besitzen diskursive Macht, die sich in politische und materielle Macht übersetzen kann. Umso wichtiger ist, dass genau hinschaut wird, bei oder mit wem man sich engagiert. Nicht alle Praktiken aller NGOs können nämlich als unbedenklich bezeichnet werden. Drei wesentliche Merkmale von NGOs sollen hier in den Blick genommen werden, von denen einzelne Akteure abweichen:

– NGOs setzen auf freiwillige Kooperation und Überzeugungsarbeit statt auf Zwang, wie ihn staatliche Stellen ausüben.

– NGOs belasten nicht die Steuerzahler, sondern finanzieren sich durch freiwillige Zuwendungen.

– NGOs stärken das Sozialkapital einer Gesellschaft, indem sie Menschen zusammenführen und Brücken zwischen gesellschaftlichen Gruppen bauen.

In der Praxis finden sich NGOs, die wenig von Kooperation oder Überzeugungsarbeit halten. Seit einigen Jahren wird das Verbandsklagerecht zu einem immer häufiger genutzten Mittel, um politische Ziele durchzusetzen. Der Gesetzgeber beschreibt diese Tätigkeit, die ihm die Möglichkeit bietet, Aufsichtspflichten an NGOs „outzusourcen“, als „Mitwirkung“. Durch diese institutionelle Kooptation gerät freilich deren Status als „Nichtregierungsorganisation“ ins Wanken.

Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist der „Verband Sozialer Wettbewerb“. Im Jahr 2016 wurde er in 1.826 Fällen aktiv. Dessen Arbeit hat dazu geführt, dass einer Brauerei untersagt wurde, ihr Bier als „bekömmlich“ zu bewerben, oder dass rein pflanzliche Produkte wie Sojamilch oder Tofukäse nicht mehr als Käse oder Milch bezeichnet werden dürfen. Anders als Organisationen wie „Foodwatch“ begleitet der Verband diese Tätigkeit auch nicht mit Öffentlichkeitsarbeit, so dass ein aufklärerischer Charakter völlig fehlt.

Viele politische NGOs lehnen die Annahme von staatlichen Mitteln grundsätzlich ab, etwa „Campact“. Andere nutzen dagegen gerne die Möglichkeiten, die üppig gefüllte öffentliche Fördertöpfe bieten. Etwa die Organisation „WEED“, die „zu einer globalen Energiewende sowie gerechteren weltwirtschaftlichen Beziehungen beitragen“ möchte. Im Jahr 2017 verzeichnet sie Einnahmen von 373.964 €, davon kamen mindestens 220.113 € (58 %) aus öffentlicher Hand. Zwischen 2008 und 2012 erhielt WEED von der EU Fördergelder in Höhe von 1.487.919 € bei einem Etat von 2.476.837 € im selben Zeitraum (60%).

Die „Deutsche Umwelthilfe“ erzielt einen erheblichen Teil ihres jährlichen Budgets durch staatliche Förderung und durch Gelder, die unter staatlicher Mitwirkung eingesammelt wurden: Zwischen 2011 und 2015 kamen 35 bis 42 % ihres siebenstelligen Jahresbudgets aus Fördermitteln. Kontinuierlich steigt der Anteil der Einnahmen aus Verbandsklagen: 2011 machten sie 19 % aus, 2012 waren sie auf 24 % gestiegen, und seit 2014 betragen sie gut 30 % des Budgets.

Wenn NGOs so eng mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten oder in erheblichem Maße von öffentlicher Finanzierung abhängen, stellt sich die Frage, wieviel „N“ eigentlich noch im NGO steckt. Besonders problematisch erscheinen jene Organisationen, die vom Nimbus des Gemeinwohls zehrend eine knallharte politische Agenda verfolgen, die auf demokratischem Wege schwer durchsetzbar wäre.

Dafür werden Mittel eingesetzt, die im zivilisierten Diskurs der freiheitlichen Demokratie nichts verloren haben: Populismus, Unterstellungen, Beleidigungen und Verdrehungen der Wahrheit. Behauptungen wie „Freihandel tötet“; die von „Campact“ vertretene Aussage, CETA sei ein „Angriff auf die Demokratie“; die Drohung mit einem „Al Qaida für die Tiere“, die ein führender PETA-Mitarbeiter aussprach; oder Aussagen aus dem Jahresbericht der „Deutschen Umwelthilfe“, wo von Staatsversagen, rechtsfreien Räumen und einer von der Industrie gesteuerten Regierung die Rede ist. Wer die Ursachen für Diskursverrohung, gesellschaftliche Spaltung und „kreativen“ Umgang mit Fakten sucht, wird auch bei einigen NGOs fündig. Brücken werden hier weniger gebaut als verbrannt.

Umso wichtiger ist die Erkenntnis, dass NGOs – wenngleich weder profitorientiert noch Teil des Staates – erhebliche Macht besitzen. Macht bedarf stets auch der Kontrolle – sei es durch gemeinsame Verhaltensregeln und Aufsichtsorgane, sei es durch eine kritische(re) mediale Berichterstattung, sei es durch eine differenzierte Wachsamkeit der Bürger: NGOs könnten beispielsweise Obergrenzen für öffentliche Finanzierung definieren. Eine „Oxfam“-Studie bedarf derselben skeptischen Prüfung wie eine des Deutschen Arbeitgeberverbandes. Und nicht nur Akteuren am rechten Rand des politischen Spektrums muss im Falle „alternativer Fakten“ und Sprachverrohung entgegentreten werden.

Veröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 8. November 2018.

Photo: Thirteen Of Clubs from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre, ehemaliger Praktikant bei Prometheus. 

Auf fast der ganzen Welt – mit Ausnahme des Irans – ist der kommerzielle Handel mit menschlichen Organen verboten. Doch das Verbot führt keineswegs dazu, dass Menschen nicht gegen Geld ihre Organe verkaufen. Sie tun es aus der Not heraus ohne Schutz, angemessene Entschädigung oder medizinische Versorgung auf Schwarzmärkten. Die Weltgesundheitsorganisation schätzte 2012, dass jährlich ca. 10.000 illegale Organtransplantationen stattfinden. Ein legaler regulierter Handel mit lebendspendenfähigen Organen sollte in Betracht gezogen werden, um einerseits Erkrankten zu helfen und andererseits die Zahl der unter widrigen Bedingungen durchgeführten illegalen Transplantationen zu verringern.

Hunderttausende warten auf ein Organ

Gut 660.000 Menschen warten weltweit auf eine Organtransplantation. Daten der WHO für das Jahr 2010 zeigen, dass insgesamt 106.879 Organe transplantiert wurden. Davon wurden schätzungsweise 10 Prozent illegal transplantiert. Nieren machen mit 68,5 Prozent den Großteil der Transplantationen aus, gefolgt von Lebern mit gut 20 Prozent. Für beide Organe sind Lebendspenden möglich. Für die meisten Patienten, die sich für den illegalen Kauf eines Organs entscheiden, ist es die letzte Möglichkeit, ihr Leben zu retten.

Wie läuft ein illegaler Organhandel ab?

In der Regel reisen Patienten aus relativ reichen Ländern in relativ arme Länder, um dort ein Organ transplantiert zu bekommen. In diesen Ländern wird das Verbot des Organhandels nicht so konsequent durchgesetzt wie in den Heimatländern der Patienten.

Die Weltgesundheitsorganisation hat dem illegalen Organhandel 2007 einen der wenigen Berichte über diesen illegalen Markt gewidmet. Der Bericht offenbart, dass eine kurze Internetrecherche genügte, um mit Vermittlungsorganisationen in Kontakt zu treten. So wurden auf www.liver4you.org … damals Nieren für 85.000 Dollar auf den Philippinen angeboten. Ein chinesischer Anbieter offerierte eine Niere für 70.000 Dollar.

 

Brutales Geschäft

Der illegale Handel ist vor allem für die Organspender gefährlich. Immer wieder werden Spender, die zunächst freiwillig in den Handel einwilligten, betrogen und erhalten für das Organ nicht den zuvor verabredeten Preis oder werden medizinisch unsachgemäß behandelt. Zudem zwingen Menschenhändler regelmäßig ihre Opfer zur Organentnahme.

Eine besonders perfide Strategie der illegalen Organhändler ist es, schutzbedürftigen Menschen, wie Behinderten, Obdachlosen, (illegalen) Migranten oder Analphabeten vorzugaukeln, sie müssten wegen einer anderen Krankheit behandelt werden, um anschließend ohne das Wissen der Opfer Organe zu entnehmen.

China: Organe von politischen Gefangen

Auch Staaten beteiligen sich an diesem brutalen Geschäft. In China werden die Organe von zu Tode verurteilten Gefangenen für Transplantationen verwendet. Dabei handelt es sich keineswegs nur um verurteilte Mörder, sondern auch um politische Gefangene. Die Organe werden zum Teil mit hohen Gewinnen an ausländische Patienten verkauft. Die Exekutionen werden der Nachfrage entsprechend arrangiert. Zwar ist die zwangsweise Organentnahme von Gefangen inzwischen offiziell verboten, doch wird sie wohl weiterhin praktiziert. Die Gefangenen stimmen nun „freiwillig“ der postmortalen Organentnahme zu.

Illegaler Markt vs. legaler Markt

Auf dem illegalen Organmarkt wird die Not der Organspender von kriminellen Organisationen ausgenutzt. Befürworter des Organhandelsverbots befürchten, dass auch auf einem legalen Organmarkt die Notsituation von Menschen ausgenutzt werden könnte. Es ist jedoch die Illegalität und nicht der Handel per se, die dazu führt, dass die Organspender unter widrigen Bedingungen ausgenutzt werden.

Legaler Organhandel: Schutz durch Regeln

Ein besserer Schutz der Spender und der Empfänger könnte durch gezielte gesetzliche Regelungen auf einem legalen Organmarkt erreicht werden.

Auf den illegalen Märkten ist die finanzielle Not einer der Hauptgründe für den Organverkauf. Auf legalen Märkten könnten Einkommens- oder Vermögensgrenzen dafür sorgen, dass relativ arme Personen vom Verkauf von Organen ausgeschlossen werden. Auch die Auszahlung des Preises könnte verzögert erfolgen – etwa erst nach 3 Jahren. Relativ arme Menschen, die kurzfristig Geld benötigen, könnten so nicht zu einem Organverkauf gedrängt werden.

Auch auf der Käuferseite könnten Restriktionen umgesetzt werden. Vorstellbar ist, dass nur Krankenkassen oder zertifizierte gemeinnützige Organisationen die Organe ankaufen können. Die finanzielle Situation des Versicherten würde beim Kauf eines Organs so keine Rolle spielen.

Außerdem könnten Spender und Empfänger bei einem legalen Verkauf auf hohem medizinischen Niveau behandelt werden. Legale Operationen würden sowohl in armen als auch in reichen Ländern ausschließlich von Experten durchgeführt werden.

Legaler Organhandel unethisch und unnötig?

Auch wenn Spender wie Empfänger durch Regeln auf einem legalen Markt besser geschützt werden, gibt es weitere Einwände gegen die Legalisierung des Organhandels.
Der erste Einwand ist grundsätzlicher Natur: Organe sollten schlicht nicht zum Verkauf stehen – weder legal noch illegal. Dagegen lässt sich basierend auf der Arbeit der Philosophen Jason Brennan und Peter Jaworski einwenden, dass Dinge, die unentgeltlich getauscht werden dürfen, auch gegen Geld getauscht werden können sollten. Unentgeltliche Organspenden sind in den meisten Ländern legal möglich – in Deutschland derzeit zwar nur an Nahestehende. Eine legale entgeltliche Organspende sollte nach diesem Grundsatz ebenfalls möglich sein.

Der zweite Einwand stellt die Notwendigkeit eines legalen Organhandels in Frage. Die Nachfrage nach illegalen Organen könnte gemindert werden, etwa indem die Spenderquote nach dem Tod erhöht wird und Tauschringe sowie Tauchketten erlaubt werden. Außerdem könnte der medizinische Fortschritt, zum Beispiel im Bereich 3D-Druck, in Zukunft Organtransplantationen überflüssig machen. Es ist jedoch möglich, dass in der kurzen Frist auch diese Änderungen nicht ausreichen würden, um die Nachfrage nach Organen gänzlich zu bedienen.

Illegalen Handel durch legalen Handel einschränken

Solange die Nachfrage nach Spenderorganen nicht durch unentgeltliche Organspenden oder den medizinischen Fortschritt vollständig bedient wird, ist die relevante Alternative zu einer Welt mit legalem Organhandel nicht eine Welt ohne Organhandel.

Die relevanten Alternativen sind eine Welt mit ausschließlich illegalem Organhandel und eine Welt, in der der legale Organhandel den illegalen Organhandel weitestgehend zurückdrängt. Ein regulierter legaler Organhandel könnte mehr lebensrettende Transplantationen ermöglichen, professionelle Anbieter von Transplantationen kriminelle Organisationen verdrängen lassen und verlässliche Zahlungen an Spender garantieren.

 

Zuerst veröffentlicht bei IREF.

Photo: Georgios Domouchtsidis from Unsplash (CC 0)

Was haben der Weltspartag und die Cryptowährung Bitcoin miteinander zu tun? Auf den ersten Blick eigentlich nichts. Bitcoins kann man nur schlecht in eine Spardose legen, allenfalls in ein Wallet auf dem Smartphone. Cryptowährungen eignen sich aber auch nicht für die klassische Vermögensbildung, mit der man Kindern das Sparen beibringt.

Auf den zweiten Blick gibt es aber durchaus Gemeinsamkeiten. So fand in dieser Woche nicht nur der Weltspartag statt, sondern vor genau 10 Jahren wurde das erste Whitepaper über Bitcoin veröffentlicht. Seitdem wurde der Bitcoin immer wieder totgesagt, kostet heute aber, trotz zahlreicher Kursturbulenzen, über 5.500 Euro. Der Bitcoin ist eine Erfolgsgeschichte. Der dahinterstehenden Blockchain-Technologie wird heute viel zugetraut. Erst letzte Woche traf sich die Community mit mehreren tausend Teilnehmern beim Crypto + ICO Summit im schweizerischen Zürich. Dort konnte man sehen, wie dynamisch die Szene ist und welche Anwendungsmöglichen die Blockchain künftig bietet. Sie reichen von der sicheren Übertragung von Eigentum, auch grenzüberschreitend, über die Hoheit über die persönlichen Daten, die auf der Blockchain sicher hinterlegt werden können, bis zur Vereinfachung und Verbesserung des Meldewesens von Banken gegenüber der Notenbank. Es steckt viel Musik darin. So wie heute das Internet ganze Branchen verändert, so wird vermutlich morgen die Distributed Ledger Technologie ganze Wirtschaftszweige revolutionieren. Hier stehen wir erst am Anfang.

Das Jahr 2008 war aber nicht nur die Geburtsstunde des Bitcoin, es war auch einschneidend für den Weltspartag. Denn bis vor 10 Jahren war dieser noch eine Wucht. Er hat eine lange Tradition. Seit den 1920er Jahre begehen die Sparkassen in ganz Europa dieses Ereignis. Er war lange eine super Marketingmaßnahme, um Eltern und Großeltern und deren Kinder und Enkelkinder zum Sparen zu animieren. Früher pilgerten am letzten Tag im Oktober Scharen in die Sparkassen- und Bankfilialen, um die Spardosen der Kleinen zu leeren. Die gesammelten DM- bzw. heute Euro-Münzen wurden auf das Sparbuch einbezahlt. Die Kinder bekamen Luftballons und Geschenke. Aber der pädagogische Wert lag eigentlich darin, den Kinder zu zeigen, was es bringt, zu sparen und Konsumverzicht zu leisten. In den 1970er Jahren gab es auf dem Sparbuch 4 bis 5 Prozent Zinsen pro Jahr. Ja, auch die Inflation war damals eine andere als heute, aber die Kinder, deren Eltern und Großeltern hatten das Gefühl, dass es sich lohnt zu sparen.

Seit 2008 ist das anders. Seitdem geht der Sparbuchzins in den Keller. Heute gibt es nichts mehr. Allenfalls einen Luftballon für die Kinder. Die Ursache für den rapiden Rückgang liegt in der Geldpolitik der Notenbanken: mit Beginn der Finanzkrise Anfang 2008, als sie ihre Leitzinsen in kurzer Zeit auf fast Null senkten. Seitdem hat die EZB ihn nicht mehr erhöht und gleichzeitig mit Billionen neugedruckten Euros die Schulden von Staaten und Banken aufgekauft.

Bis zum Herbst nächsten Jahres will EZB-Präsident Mario Draghi diesen Zustand einfrieren. Dass sein Nachfolger diese Politik ändert, darf man sich wünschen, wahrscheinlich ist es jedoch nicht. Der Grund ist die aktuelle Situation in Italien. Würden die Zinsen in Italien nur auf 5 Prozent steigen, dann würde sich der Zinsaufwand der Regierung in Rom von 4 auf 6,5 Prozent des BIP erhöhen (laut Flossbach von Storch Research Institute). Es würde die Haushaltssituation Italiens dramatisch verschlechtern. Vielen ist nicht bewusst, dass die Situation Italiens heute schlimmer ist als jene Griechenlands in 2010. Die Arbeitslosigkeit ist höher und die Staatsverschuldung auch. Die Wettbewerbsfähigkeit Italiens hat erheblich nachgelassen. Bestes Beispiel ist die Automobilindustrie. Während Ende der 1980er Jahre fast 2 Millionen Autos in Italien vom Band liefen, sind es heute gerade mal noch rund 750.000. Diese auch für Italien wichtige Industrie produziert heute Stückzahlen auf dem Niveau der frühen 1960er Jahre. Heute liegt die Wirtschaftskraft Italiens noch deutlich unter dem Stand von 2008 und die Industrieproduktion liegt sogar unter dem Niveau von 1990. Kein Wunder, dass in diesem Umfeld die faulen Kredite für die Banken (18,6 Prozent im ersten Quartal 2018) ein Problem sind. Nur die Nullzinspolitik der EZB und der Anleihenkauf der italienischen Notenbank sichern aktuell die Zahlungsfähigkeit des Staates – und die Vollzuteilung der EZB die Liquidität der Banken. Mit einem Austritt Italiens muss man sich daher beschäftigen. Denn ein Programm wie es Griechenland seit 2010 durchlebt hat, würde auch Italien „Weimarer Verhältnisse“ bescheren. Es wäre eine Katastrophe für das Land – und für Europa.

Das Bitcoin-Whitepaper des Pseudonyms Satoshi Nakamoto war eine Antwort auf die Finanzkrise 2008 und die Politik der Notenbanken. Die Initiatoren wollten ein elektronisches Zahlungssystem schaffen, das ohne Banken und Notenbanken auskommt. Es sollte weltweite Zahlungen von einer Partei zu einer anderen Partei ermöglichen. Bitcoins sollten durch ein dezentrales Netzwerk fälschungssicher sein. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass jede Transaktion in einer Blockchain unveränderbar veröffentlicht wird. Die Anzahl der Bitcoins sollte auf 21 Millionen begrenzt werden, so dass eine Inflationierung der Geldmenge nicht möglich ist. Bitcoin macht alles das, was das staatliche Geld nicht tut. Es basiert nicht auf dem Vertrauen in den Staat und seine Notenbank, in der Hoffnung, dass Mario Draghi und seine Mitstreiter alles richtig machen, sondern auf einer Verteilung der Macht auf viele. Das Misstrauen gegenüber der Machtkonzentration auf wenige, die vermeintlich mehr Wissen über die Zukunft haben, hat Bitcoin hervorgebracht. Zentrale Modelle wie der Euro haben den wesentlichen Nachteil, dass man ihnen nur sehr schwer entkommen kann. Die Sparbuchhalter und diejenigen, die in Festgelder investiert sind, wissen das. Sie sind Gefangene der EZB und Mario Draghis. Sie können nicht fliehen. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Euro und Bitcoin ist daher: scheitert der Euro, dann leiden alle darunter. Scheitert der Bitcoin, dann sind es nur diejenigen, die ihn in ihrem Depot halten.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Milan Seitler from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Hubertus PorschenCEO der App-Arena GmbH und Autor des kürzlich erschienen Buches „Der digitale Suizid“.

Es scheint Bewegung in ein Land zu kommen, das in den letzten Monaten und Jahren wie gelähmt wirkte. Der deutsche Tanker hat ein Leck bekommen. Er verliert an Geschwindigkeit. Wasser strömt in ihn. Der Kapitän und seine Mannschaft sind faul geworden. Sie stopfen Löcher und bessern aus, sie flicken und verwalten. Das ist aber auch Alles. Der Tanker bräuchte einen neuen Motor und einen neuen Kapitän, der die Mannschaft motiviert.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich kein Seemann bin, sondern dass ich von der deutschen Politik spreche. Einer Politik, die zum Verwalter geworden ist.

Richtungsweisende Entscheidungen

Zwei Nachrichten in der Presse haben zuletzt meine Aufmerksamkeit negativ gefesselt:

  • „Google Campus zieht sich aus Berlin zurück!“ so die Meldung der Welt am 26.10.2018. Ich wünsche mir auch ein „deutsches Google“. Leider ist das Leben kein Wunschkonzert. Aber das „Aktivisten“, die grundsätzlich gegen „Investoren“ sind, eine so starke Lobby haben, hätte ich auch nicht gedacht. Jetzt sucht sich der Google Campus eine andere Heimat. Schwierig, denn diese Unternehmen ziehen Fachkräfte an, die sich selbstständig machen, die gründen, die Innovation mitbringen. Ist aber nur eine Randnotiz im „Technologieland“ Deutschland.
  • „5G- Deutschland hängt sich ab“ titelt die Zeit im Oktober 2018. Es geht, vereinfacht gesagt, um das größte Infrastrukturprojekt der Gegenwart, die Versteigerung der Mobilfunklizenzen, die wahrscheinlich zugunsten der Telekom ausfallen wird, die jetzt schon sagt, maximal 90 % abzudecken. Ist das flächendeckend? Stärkt das den ländlichen Raum, der bei der weiter zunehmenden Verteuerung der Innenstädte, dringend an Attraktivität gewinnen muss? Was ist mit den „Hidden Champions“, dem German Mittelstand, der bereits jetzt genervt ist? Bereits im LTE-Vergleich ist Deutschland längst nicht mehr Spitze. Nun wissen wir alle, dass Daten das neue Gold sind, die neue Währung, und trotzdem vergessen wir, die Basis dafür zu legen, auch zukünftig technologisch spitze zu sein. Da hängt so viel dran: Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, unser Asset als Produktionsstandort… und vieles mehr.

Es bedarf Mut und einer Strategie, einer Vision, solche Dinge richtig zu entscheiden. Man hat das Gefühl, dass die momentane politische Riege hierzu nicht Willens bzw. schlichtweg nicht in der Lage ist.

Deutschland braucht einen Transformator

Deutschland braucht Gestaltung und keine Verwaltung. Gerade in den wichtigen Zukunftsthemen bedarf es einer mutigen Strategie. Keine Löcher stopfen, sondern wirklich erneuern – transformieren. Sonst: sinkt der Tanker.

Ich wünsche mir u.a. (mehr in meinem brandneuen Buch „Der digitale Suizid“):

  • Eine andere Gründungskultur: Die Politik muss dringend eine Aufbruchstimmung und eine neue Gründerkultur verbreiten: Einfache Verwaltung, flächendeckendes, schnelles Internet, Finanzierungsoptionen und vor Allem ein anderes Bildungssystem (Wir müssen uns dringend fragen, ob der Bildungsföderalismus noch die richtige Option für dieses Land in Zeiten der Digitalisierung ist.), was auf die Person des Gründers, seine Kompetenzen, sein Mindset abzielt. Um in der Seefahrersprache zu bleiben: Mehr Entdecker! Nur mit neuen Entdeckern finden wir neue Ozeane (innovative Unternehmen/Neugründungen).
  • Vorbild Politik: Mein liberales Menschenbild neigt dazu, zu sagen, dass sich die Wirtschaft am besten entwickelt, wenn die Politik sich komplett enthält; nun muss ich meine Meinung in Zeiten der Digitalisierung hier (zumindest temporär) revidieren. Die Aufgabe der Politik ist es, die Menschen mitzunehmen, Aufbruchstimmung zu schaffen und die frohe Kunde der (Digital-)Strategie/Vision zu verbreiten. Wo sind die politischen Leader, die Transformatoren dieses Landes? Wo sind die Politiker, die langfristig durch eine Vision angetrieben werden, die ein festes Wertebild haben? Wenn wir die Politik nicht spannend für diese Menschen machen, werden wir auch zukünftig nur B-Ware als politische Entscheidungsträger aufbieten können.

Ein schönes Beispiel für mangelnden Reformwillen stellt die digitale Verwaltung dar. Bund, Länder und Kommunen können sich nicht entscheiden, weil es keine Zuständigkeiten gibt. Warum schauen wir uns nicht die erfolgreichen Praktiken aus anderen (wenn auch häufig kleineren) Ländern wie Estland ab? Stattdessen kochen wir unser eigenes Süppchen.

Der Dampfer bedarf dringend einer Generalüberholung. Mannschaft und Kapitän müssen sich dringend erneuern. Sonst werden die schnellen und agilen Boote der anderen Nationen (USA, Israel und vor Allem China) dem deutschen Dampfer bald seinen Rang als Technologienation abnehmen.

Photo: Bankenverband from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Transparenz und Rechenschaftspflicht, die der Staat vom Bürger fordert, sollte er selber umso mehr vorleben. Eine Möglichkeit wäre, dass man deutlicher erkennen kann, wieviel Steuern man im täglichen Leben so zahlt.

Was das Preisschild verheimlicht

Wenn Sie ein Päckchen Butter für 2,19 € kaufen, zahlen Sie 15 Cent an Vater Staat. Und das ist nur die Mehrwertsteuer. Darüber hinaus haben der Produzent, die Zwischenhändler und der Supermarkt noch eine ganze Reihe anderer Steuern in diesen Preis hineingerechnet: Von der Gewerbesteuer, die der Milchbauer entrichtet, über die Stromsteuer, die der Zwischenhändler für den Betrieb seiner Kühlhäuser zahlt, bis zur Lohnsteuer, die der Supermarkt-Besitzer für seine Angestellten abführt.

Und wer ein Smart-TV für 399 € kauft, blecht gleich 75,81 € für die Mehrwertsteuer. Wenn man die Rechnung bei einer Flasche Bier oder Wein anstellen wollte, kommt man gleich ganz durcheinander: Die genaue Höhe der Alkoholsteuer ist nämlich für Normalsterbliche, die kein Doppelstudium Chemie und Jura absolviert haben, gleich gar nicht herauszufinden. Und dann gibt es auch noch bizarre Sondersteuern wie die Kaffeesteuer, die uns aus dem 17. Jahrhundert geblieben ist und anders als die Teesteuer noch nicht abgeschafft wurde. Übrigens: die Mehrwertsteuer zahlt jeder. Wer ALG II bezieht, wird am Ende des Tages also nicht monatlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 409 € erwerben können, sondern im Grunde genommen nur von vielleicht 360 oder 370 €.

Der Finanzminister sitzt mit an der Supermarktkasse

Selbst wenn die meisten grundsätzlich wissen, wie hoch der Mehrwertsteuersatz ist, denkt wohl kaum einer beim Kauf darüber nach oder wirft noch einen Blick auf den Kassenzettel. Wir übersehen also in der Regel, dass 19 Cent jedes Euros, den wir dem Kassierer in die Hand drücken, weitergereicht werden ans Finanzamt. Im Grunde genommen fehlt es an Ehrlichkeit. Während der Staat Unternehmen dazu verpflichtet, alles Mögliche auszuweisen und offenzulegen, beschränkt er sich in seiner Transparenz auf den kleinen Hinweis am Ende des Rechnungsbelegs. Dadurch übersieht der Konsument rasch, dass er in jeder einzelnen Transaktion auf dem Markt immer einen erklecklichen Betrag an die Kassen des Finanzministers abführt. Seltsam, dass so etwas Verbraucherschützer nicht mehr auf die Barikaden bringt …

Der Ärger, den man beim Ausfüllen der Steuererklärung einmal im Jahr verspürt – oder vielleicht auch einmal im Monat, wenn die Gehaltsabrechnung ins Haus flattert, wo in der Regel Brutto und Netto recht ordentlich ausgewiesen sind … Diesen Ärger könnte man bei jeder einzelnen Transaktion im Kleinen spüren. Nun profitiert der einnahmenfreudige Finanzminister durchaus davon, dass wir Menschen uns gerne Ärger ersparen: Nicht lange darüber nachdenken, Augen zu und Mehrwertsteuer gezahlt. Das Problem ist nur: Je besser versteckt die Steuern sind, umso leichter lassen sie sich erhöhen oder gar neu einführen. Im Zweifel sucht der Verbraucher die Schuld für die hohen Preise bei den ausbeuterischen Unternehmern und nicht beim Staat.

Was wir jährlich an Mehrwertsteuer zahlen

Aufgrund des sehr komplexen Mehrwertsteuersystems in den USA hat man dort eine andere Lösung gefunden. Wenn Sie auf der anderen Seite des Atlantiks im Geschäft die gleiche Butter oder den gleichen Fernseher kaufen würden, würde auf dem Preisschild das Dollar-Äquivalent zu 2,04 € bzw. 323,19 € stehen. Erst an der Kasse würde dann die Mehrwertsteuer berechnet und sie müssten den Preis zahlen, der in Deutschland bereits im Geschäft an dem Produkt steht. Würde man in Deutschland auf dieses Prinzip umstellen, könnte man vielleicht mehr Leute dafür sensibilisieren, wie hoch die tatsächliche Steuerbelastung ist. Denn zu Lohnsteuer, Grunderwerbsteuer, Energiesteuer und Co. kommt ja noch die Mehrwertsteuer als zusätzliche Belastung hinzu. Für normale Haushalte in Deutschland gehen die Mehrwertsteuerausgaben schnell mal in die Tausende. (2017 betrug das – wie es ganz korrekt heißt – Umsatzsteueraufkommen 170,5 Milliarden Euro. Wenn man diskontiert, dass auch Nicht-Staatsbürger die Steuer zahlen, kommt man auf durchschnittlich etwa 1.800 € Mehrwertsteuer pro Person.) Das ist schon ein Betrag, den man häufiger spüren sollte als Steuerzahler … Eine Diskussion über einen Umstieg auf das US-System wäre es wert, geführt zu werden.

Wenn man dem Staat Aufgaben zuweist, sind Steuern natürlich notwendig. So schwer es einem auch fallen mag: man muss sogar zugestehen, dass sich der Anteil der Steuern am BIP seit der Gründung der Bundesrepublik kaum verändert hat und immer um die 22 Prozent lag. Dennoch dürfen Steuern nicht zu einem Automatismus werden oder zu einer Selbstverständlichkeit, die nicht mehr hinterfragt wird. Ob Kalte Progression, „Sündensteuern“ oder die Ewigkeitsgarantie für den Soli: es gibt immer gute Gründe, das Steuersystem zu hinterfragen. Mr. Bierdeckel-Steuererklärung hat es vorgemacht … Entscheidend ist vor allem die Haltung der Politik und des Staates. Steuerehrlichkeit ist nicht nur etwas, das vom Bürger gefordert werden sollte, sondern auch eine Verpflichtung, die für den Staat gilt. Er ist dem Bürger gegenüber Rechenschaft schuldig: darüber, was er ausgibt, aber ganz besonders auch darüber, was er ihm abnimmt. Denn die Steuereinnahmen sind nicht Eigentum der Regierung, sondern ihr nur treuhänderisch überlassen.


Hinweis: In einer vorherigen Version des Textes war fälschlicherweise für Butter die Mehrwertsteuer von 19 % berechnet worden. Richtig sind 7 %. Wir bitten, dieses Versehen zu entschuldigen!