Beim Thema „Political Correctness“ neigen Gegner wie Befürworter dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Um zu vermeiden, dass überall nasse Kinder herumliegen, sollte man ein wenig Begriffsklärung betreiben und die Hysterie aus der Debatte nehmen. Denn eigentlich geht es um eine Kultur des Anstands und des Respekts.

Der Vorgarten-Gandhi

Es ist wohl eine unvermeidbare Folge unserer Geschichte, dass viele Deutsche in ihren Tagträumen mit Sophie Scholl zusammen schon so manches Flugblatt in der Münchener Uni verteilt haben. Dieser historische Kontext verschärft noch einmal die menschliche Neigung zur Selbstgerechtigkeit. Die besonders gerne von manchen Grünen gepflegte Empörungskultur hat schon manchen Sturm der Entrüstung über die Republik fegen lassen. Dabei ist diese „Kultur“ oft gefährlich oberflächlich: Anstatt sich mit konträren Meinungen und Argumenten auseinander zu setzen, entfesseln die Empörer sofort die Rachegöttinnen und brüllen im Zweifel die andere Meinung auch einfach nieder.

Das ist aber keine heroische Tat des zivilen Ungehorsams, sondern schlicht und einfach schlechtes und unzivilisiertes Benehmen. Es ist schon genug gewaltsamen Ideologien gelungen, Menschen zu einem solchen Niederbrüllen anzustacheln, um diese Methode ein für alle Mal zu diskreditieren – könnte man meinen … Nur leider ist das Gefühl zu schön, auf der richtigen Seite zu stehen, anderen moralisch und menschlich überlegen zu sein. Viele Matadore der Political Correctness sind alles andere als mutig; sie schwimmen nur mit der Mehrheit und sind letztlich nichts anderes als Vorgarten-Gandhis. Von echter Courage keine Spur.

Die hochpubertäre Reaktion

Die getroffenen Hunde auf der anderen Seite bellen allerdings nicht weniger dümmlich zurück. So beschwert sich etwa ein Thilo Sarrazin in einem ganzen Buch („Der neue Tugendterror“) „über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“. Was der Autor verschweigt ist, dass es gerade diese vermeintlichen Grenzen sind, die seinen eigenen Erfolg sichern. Die von ihm vorgebrachten selbstdefinierten „Wahrheiten“ sind ja vor allem deswegen „unbequem“, weil sich sofort die politisch korrekten Furien auf sie stürzen. „Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen“ ist einfach auch ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell.

Gleichsam die reaktionäre Reaktion auf Claudia Roth hingegen ist Akif Pirincci, der mit seinem Buch „Deutschland von Sinnen – der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ zu einem Rundumschlag ausholt, der inhaltlich wie sprachlich an Ausraster von hochpubertären Jugendlichen erinnert. Die Ritter wider die Political Correctness sind eigentlich gerade nicht daran interessiert, ein Klima der echten Meinungsfreiheit herzustellen, sondern daran, es zu verhindern. Denn ihre Hysterie nährt sich von der Hysterie der Gegenseite. Nur dank der Berufs-Empörten können sie sich fortwährend zum Opfer stilisieren.

Empörte und beleidigte Leberwürste

Beide Seiten schütten in ihren Kreuzzügen die jeweiligen Kinder mit dem Bade aus. Beide Seiten haben wertvolle Anliegen, deren Verwirklichung sie aber oft verhindern, weil sie zu weit gehen. Das Grundanliegen der Political Correctness ist es, dagegen anzugehen, dass Menschen mittels der Sprache pauschal verunglimpft oder schlechter behandelt werden. Die Feder ist mächtiger als das Schwert, zumal in einer Zeit, in der physische Gewalt verpönt ist. Dass Worte tief verletzen können und die Macht haben, Menschen psychisch zu zerstören, weiß jedes Kindergartenkind aus Erfahrung. Darauf aufmerksam zu machen, dass wir diese Macht der Worte nicht missbrauchen sollten, ist ein ehrenwertes Anliegen. Nur darf man eben nicht Kreuzzüge führen, sondern muss versuchen, für Verständnis und Einsicht zu werben.

Kreuzzüge provozieren unweigerlich Überreaktionen von Seiten derer, die einen anderen Standpunkt vertreten. Nicht jeder, der beispielsweise zu den Themen „Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ eine Ansicht vertritt, die von der derzeitigen Mehrheitsmeinung abweicht, ist ein Sexist, Homophober oder Rassist. Wer den Eindruck bekommt, in diese Ecke gedrängt zu werden, reagiert dann womöglich entsprechend über. Ein gern vorgebrachtes Argument lautet auch, dass übertriebene Reaktionen auf die Political Correctness nun mal nötig seien, um deren Übertreibung zu konterkarieren. Die Erfahrung zeigt: das Gegenteil ist der Fall. Korrekte und Inkorrekte schaukeln einander gegenseitig hoch, anstatt ihre legitimen Anliegen – Respekt und Meinungsfreiheit – zu befördern. Das führt unvermeidlich in einen Teufelskreis von empörten und beleidigten Leberwürsten.

Tugend, meine Damen und Herren!

Es gehört zu den bemerkenswertesten Errungenschaften der Menschheit, dass wir immer mehr lernen, einander nicht einen über die Mütze zu ziehen, wenn wir nicht übereinstimmen. Wir haben gelernt, gewaltsame Auseinandersetzungen immer mehr zu vermeiden und Konflikte auf diskursivem Wege zu lösen. Eine der Grundvoraussetzungen dafür war die Entwicklung der Idee von Toleranz. Doch genau daran mangelt es oft den Vorgarten-Gandhis genauso wie den pubertären Reaktionären. Die einen wollen nicht akzeptieren, dass andere Menschen abweichende Meinungen vertreten. Und die anderen halten es für ihr gutes Recht, sich herablassend über andere Menschen äußern zu dürfen.

Political Correctness ist keine neumodische Erfindung. Als „Gerechtigkeit“ war sie schon in der Antike eine der Kardinaltugenden. Konkreter noch finden wir sie paradoxerweise unter den sogenannten „Sekundärtugenden“, mit denen man laut Oskar Lafontaine auch ein KZ betreiben kann. Political Correctness bedeutet schlicht „Anstand“. Man ist freundlich zu Menschen, man behandelt sie nicht herablassend, man begegnet ihnen auf Augenhöhe. Das sind Selbstverständlichkeiten. Wenn man Political Correctness etwas niedriger hängt, als es ihre fanatischen Vertreter zu tun pflegen, kommt eine große zivilisatorische Errungenschaft zum Vorschein: Nennen wir es „Respekt“.

Respekt kann man nicht verordnen, man muss dafür werben

Es ist eine Frage des Respekts, dass wir Menschen nicht als „Neger“ und „Kanaken“ bezeichnen. Es ist eine Frage des Respekts, dass wir Frauen ordentlich und gleichwertig behandeln. Es ist eine Frage des Respekts, dass wir einem homosexuellen Paar auf der Straße keine dummen Sprüche hinterherrufen. Und, ja, es ist auch eine Frage des Respekts, dass wir keine Hexenjagd auf jemanden veranstalten, der unsere gesellschaftlichen Vorstellungen nicht teilt.

Zweifellos: es gibt viele ungute Auswüchse der Political Correctness. Heikel wird es, sobald ihre Vertreter anfangen, ihre Überzeugungen in Gesetze gießen zu wollen. Damit sind sie dann kein Deut besser als diejenigen, die auf Teufel komm raus eine heile Welt erhalten wollen, die gesetzliche Privilegierung der heterosexuellen Ehe verteidigen oder zur Begrenzung von Zuwanderung aufrufen. Formal ist das auch nichts anderes als die „politisch korrekte“ Forderung nach einer Frauenquote. Political Correctness ist aber dann sinnvoll, wenn ihre Vertreter darauf verzichten, den Staat für sich zu instrumentalisieren. Sie ist dann sinnvoll, wenn wir mit ihr aktiv in unserer Gesellschaft für Anstand und Respekt werben – wenn wir versuchen zu überzeugen statt zu zwingen. Denn nur dann ist sie wirklich vereinbar mit der Offenen Gesellschaft, in der Menschen gut und gerecht behandelt werden – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder anderen Merkmalen.

Photo: Harshit Sekhon from Flickr

Es erinnerte an den berühmten Showdown im Western „Zwölf Uhr mittags“, als Marshal Kane alias Gary Cooper am Ende des Filmklassikers alleine gegen die übermächtige Miller Bande kämpfte. Ein bisschen so präsentierte sich am vergangenen Freitag auch der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis beim Finanzministertreffen der Eurogruppe in Brüssel. Die Miller Bande in Brüssel glaubte an ihre Überlegenheit und ihre größere Schusskraft. Doch wer hat das Duell der ungleichen Kräfte gewonnen, wer hat es verloren? Der Gary Cooper vom vergangenen Freitag ging wie im Schwarzweißstreifen von 1952 letztlich als Sieger vom Platz!

Er hat drei wesentliche Ziele erreicht:

Erstens: Die griechische Regierung wollte Zeit gewinnen. Das ist ihr gelungen. Mindestens vier Monate werden sie von der Staatengemeinschaft weiterfinanziert. Das bislang vereinbarte Programm und deren Maßnahmen ist Makulatur. Griechenland muss bis Montag eigene Vorschläge und Maßnahmen vorlegen. Das wird Gary Cooper leicht fallen. Denn deren Umsetzung wird sich erst nach der Zustimmung des Euro-Clubs zeigen müssen. Die vergangenen fünf Jahre belegen, dass Papier geduldig ist. Die Miller Bande vom Freitag wird bei der Vorlage der griechischen Vorschläge am Montag bluffen, sich wehren und zurückschießen was das Zeug hält. Am Ende haben sie aber nur Platzpatronen. Gerade noch haben sie das Ende des Duells als ihren Sieg verkauft, die Aktienmärkte boomen wieder, die Zinsen gehen wieder runter und alle wenden sich wieder den eigenen innenpolitischen Themen zu. Da will man nicht in den alten Trott zurückfallen.

Zweitens: Griechenland muss nicht mehr einen Primärüberschuss im Haushalt von 3 Prozent in diesem Jahr und 4,5 Prozent im nächsten Jahr erreichen. Also, die Einnahmen müssen nicht in dieser Höhe größer sein als die Ausgaben, unter Ausklammerung der Zinsverpflichtungen. Das bedeutet letztlich, dass eine erneute Lücke klaffen wird. Denn die Kreditlaufzeiten des Euro-Clubs sind auf die Primärüberschüsse abgestimmt. Sind die Überschüsse im Haushalt geringer, klafft eine Lücke, die dazu führt, dass entweder der Schuldenstand in den Folgejahren höher sein wird oder die Laufzeiten verlängert oder die Zinsen reduziert werden müssen.

Damit kommt Varoufakis seinem dritten Ziel ein gutes Stück näher: Einem Schuldenerlaß. Dadurch, dass er die Höhe der Haushaltsüberschüsse relativiert hat, bekommt er plötzlich für dieses Ziel einen Fuss in die Tür. Denn eine Laufzeitverlängerung und/oder eine weitere Zinsreduktion kommt einem Schuldenschnitt gleich. Es wäre dann der dritte: Der erste im Frühjahr 2011 über rund 100 Mrd. Euro war die erste Umschuldung. Im Herbst 2012 wurden bereits die Zinsen auf unter 1 Prozent und die Laufzeit auf über 30 Jahre verlängert. Letzteres entsprach einem Schuldenerlass von 40 Prozent. Kürzlich hat Varoufakis eine Umschuldung in Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit gefordert. Seit Freitag ist dies wahrscheinlicher geworden.

In „Zwölf Uhr mittags“ schmeißt Gary Cooper am Ende des Films den Bürgern der Stadt den Marshalstern vor die Füße und geht. Damit wird Varoufakis nicht offen drohen, aber er wird immer damit kokettieren, dass Griechenland den Bettel hinschmeißen und alles wieder in Frage stellen könnte. Denn er weiß, für die Miller Bande und die Bürger im Euroclub wird es von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr schwieriger, den Vertrag mit Griechenland zu kündigen. Da kann Wolfgang Schäuble noch so spotten und süffisant in Richtung Varoufakis betonen, Regieren sei ein „Rendevous mit der Realität“. Gary Cooper alias Yanis Varoufakis wedelt schon im fernen Athen mit dem Marshalstern in der Hand.

Oder: Wie der Juncker-Plan Europa rettet soll.

Er ist ein Mann der Tat: Jean-Claude Juncker! Der neue EU-Kommissionspräsident ist eigentlich zu Höherem berufen. Doch er will nicht nur einer Kommission vorstehen, denn das klingt eher wie einer der hinterm Tresen eines Kolonialwarenladens steht, sondern er will Präsident aller Europäer sein.

Und so ein Mann darf nicht kleckern, sondern muss klotzen. Deshalb hat er zu Beginn seiner Amtszeit erklärt: „Wir brauchen intelligentere Investitionen, mehr Zielgerichtetheit, weniger Regulierung und mehr Flexibilität bei der Nutzung der [auf Unionsebene verfügbaren] öffentlichen Mittel.“ Der Juncker-Plan war geboren. Investitionen in Höhe von 315 Milliarden Euro sollen angeregt werden. Alle sollen mithelfen, die EU-Kommission, die Europäische Investitionsbank (EIB), die Mitgliedsstaaten und auch die Privatwirtschaft. Die schlechte Stimmung im Club Med soll endlich durch einen großen Plan überwunden werden. Projekte wurden zuhauf von den Mitgliedsstaaten gemeldet. Und hier wird es fidel. Auf dem Treppchen meiner Lieblingsprojekte landen:

Auf Platz eins: 425 Mio. € für neue Parkplätze in Brüssel.
Auf Platz zwei: 200 Mio. € für neue Gefängnisse in Griechenland.
Und auf Platz drei: 66 Mio. € für die digitale Ausstattung von Kindergärten in Griechenland.

Jedes dieser Projekte hat oberste Priorität, sonst wäre es ja nicht gemeldet worden. Die immer mächtigere Kommission, die sich aufmacht, eine echte Regierung zu werden, braucht mehr Mitarbeiter – ergo auch mehr Parkplätze am „Regierungssitz“. Und für die wachsenden Spannungen in Griechenland bauen die links- und rechtsextremen Parteien in der neuen Regierung buchstäblich schon einmal vor. Klar ist auch, dass in einem Land, wo die Suppenküche wieder zum Alltag gehört, die allerwichtigste Priorität natürlich – wie sollte es auch anders sein –  die digitale Ausstattung von Kindergärten ist. Was denn sonst, kommt es einem sofort in den Sinn. Doch leider schafft dies alles keine Arbeitsplätze oder macht die Wirtschaft wettbewerbsfähig. Es ist nur sinnlose Geldverschwendung.

Aber vielleicht sollte man dieses Mal dankbar sein. Denn die Mitgliedsstaaten halten nichts vom famosen Juncker-Plan, zumindest wollen sie kein eigenes Geld dazu geben. Bislang hat kein Mitgliedsstaat die 16 Mrd. € der EU und die 5 Mrd. € der EIB aufgestockt. Das begrenzt zumindest die Verschwendung von Steuergeldern.

Wer meint, der Staat könne Investitionen am Reißbrett planen, damit anschließend Arbeitsplätze entstehen, Steuereinnahmen generiert werden und die öffentliche Verschuldung abgebaut wird, hat den Schuss nicht gehört. Er meint vielleicht, dass schon wieder Weihnachten ist. Es könnte aber auch das Motto des Winterschlussverkaufs sein: Alles muss raus!

Photo: Jennifer C. from Flickr

Bildungsrepublik Deutschland – das war das Ziel, das die Bundeskanzlerin vor sieben Jahren bei einer Festveranstaltung zu „60 Jahre Soziale Marktwirtschaft“ ausgab. Wenn über Haushaltskonsolidierung gesprochen wird, sind Ausgaben für Bildung stets von Kürzungen ausgenommen. Und als sich kürzlich eine 17jährige Schülerin über das Schulsystem beklagte, waren sofort Politiker aller Couleur vor den Mikrofonen, um Lösungen zu präsentieren. Das Problem an diesem enormen Ansehen, das Bildung im öffentlichen Diskurs genießt: Politiker nehmen sich sehr gern des Themas an. Und wenn sich Politiker eines Themas annehmen, ist die Gefahr immer sehr groß, dass das Ergebnis zu Lasten der Freiheit der Bürger ausfällt. Besser wäre es, wenn die Politik mehr Bildungsfreiheit gewähren würde, anstatt noch mehr zu regulieren und zu „gestalten“.

Im Dezember vergangenen Jahres erschien ein schöner Sammelband zu dem Thema: „Bildung für alle – Bildungsvielfalt im Ideenwettbewerb“. Mehrere Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und einige weitere Autoren haben die Ergebnisse einer Konferenz zusammengetragen. Es ist erfreulich zu sehen – und zu lesen –, wie engagiert, klug und kreativ sich nachwachsende Freunde der Freiheit dieses zentralen Themas annehmen. Zumal sie in ihren Überlegungen und Vorschlägen tatsächlich innovativ in die Zukunft denken und sich nicht mit kleinen Korrekturvorschlägen zufrieden geben. Die Lektüre lohnt sich!

Mehr Freiraum wird dem Individuum gerecht

Unter der Überschrift „Das freiheitliche Bildungsideal“ skizziert Kristina Kämpfer einige Grundzüge dessen, wie freiheitliche Bildung aussehen sollte. Zentral ist dabei das Ideal der Vielfalt. Je mehr Optionen den Kindern und deren Eltern zur Verfügung stehen, umso eher kann man dem jeweiligen Individuum gerecht werden. Eng verbunden ist damit das Ideal von größtmöglicher Autonomie der Bildungseinrichtungen wie der Bildungsempfänger. Bildung, so Kämpfer, „soll zur Mündigkeit befähigen und stellt das Individuum sowie seine Förderung in den Mittelpunkt.“

Der nächste Artikel von Björn Urbansky ist überschrieben „Der Ideenwettbewerb als Entdeckungsverfahren und Lösung gesellschaftlicher Konflikte“ und nimmt sich vor, Bildungsfragen aus dem Blick der Wissenstheorie des Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek zu untersuchen. Urbansky plädiert für Wettbewerb im Bildungswesen, weil Wettbewerb zwischen Bildungsträgern Innovation hervorbringen kann. Neue und kreative Ansätze können sich so viel besser gegen sklerotische und festgefahrene Bildungskonzepte durchsetzen. Eltern und Schüler erlangen durch ihre Entscheidung an einem Markt wieder die Entscheidungshoheit darüber, welche Art der Bildung und Erziehung sie am meisten überzeugt. Nur so kann ein Bildungssystem entstehen, „das der Vielfalt der Gesellschaft gerecht wird.“

Dr. Dagmar Schulze Heuling beschäftigt sich in ihrem Aufsatz „Die Bildunsgpflicht – ein Kompromiss zwischen Schulpflicht und Bildungspflicht?“ mit einer Alternative zu Schulpflicht. Auch von freiheitlich gesinnten Menschen wird die Schulpflicht oft als unverzichtbar dargestellt, gerade wenn es darum geht, allen Kindern und Jugendlichen gleiche Chancen zu ermöglichen – unabhängig von ihrer Herkunft. Erst in der Schule, so die etwas blauäugige Argumentation, könne ein junger Mensch aktives und informiertes Mitglied der Gesellschaft werden. Dagegen befürwortet Schulze Heuling die Idee, als Kompromiss die Schulpflicht durch eine liberalere Bildungspflicht zu ersetzen, wie sie heute schon in vielen Ländern in Kraft ist: „Bei der Bildungspflicht ist nicht der Besuch einer Schule verpflichtend, sondern das Erreichen bestimmter, allgemein festgelegter Bildungsziele.“ Auch auf diesem Weg würde Raum für mehr Alternativen und mithin für mehr Selbstbestimmung von Eltern und Schülern geschaffen.

Individuelle statt pauschaler Gerechtigkeit

Aus Sicht der Psychologie beschäftigt sich Mareike König mit dem Fragenbereich „Individualisiertes Lehren und individuelles Lernen“. Den Rahmen steckt sie gleich zu Beginn des Aufsatzes fest mit der Feststellung: „Jedem erscheint es intuitiv einleuchtend, dass ein Kind seine Fähigkeiten am besten entfalten könnte, würde es gemäß seiner eigenen Begabung und seines individuellen Leistungsniveaus gefördert.“ Eingehend kritisiert sie standardisierte Tests, die sich darauf beschränken, die Fähigkeit abzuprüfen, genau diesen konkreten Test zu bestehen, der aber oft nur sehr eingeschränkt Informationen transportieren kann. Sie wagt sich auch auf das verminte Feld der Chancengleichheit. Wer wollte diese nicht? König warnt aber davor, dass diese Idee der Chancengleichheit häufig zu einer Nivellierung führen kann, die letztlich keinem Kind gerecht wird – dies gilt insbesondere für die ohnehin schon Benachteiligten. Lehren und Lernen, die auf die Individualität der jungen Menschen Rücksicht nehmen, sind der richtige Weg, um ihnen tatsächlich gerecht zu werden.

Der nächste Aufsatz in dem Band stammt aus der Feder des Verfassers und widmet sich der These „Eingangsprüfungen statt Abschlussprüfungen – Plädoyer für ein individuell gerechtes Bildungskonzept“. Wie König kritisiert auch Schneider die Vorstellung, man könne im Bildungswesen mit Hilfe von Vergleichen zu einem Ergebnis kommen. Ähnlich wie in der Planwirtschaft können auch bei einem zentralistischen Bildungssystem niemals Informationen im ausreichenden Umfang und Ausmaß erhoben werden, um sinnvoll vergleichen zu können. Schneider kritisiert das bestehende System, das auf Abschlussprüfungen beruht und plädiert stattdessen für ein System, bei dem die aufnehmenden Bildungseinrichtungen mittels Eignungstests über die Aufnahme der jungen Menschen entscheiden. In diesem System könnten die für die weitere Ausbildung nötigen Fähigkeiten und Begabungen wesentlich zielgenauer erfasst werden.

Martin Thoma widmet sich der „Akademisierung von Fachkräften im Gesundheitswesen“. An einem ganz konkreten Beispiel verdeutlicht Thoma anschaulich, welche Auswirkungen die durch die OECD stark geförderte zunehmende Akademisierung in Deutschland zeitigt. Dabei bewertet er die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung für Pflegekräfte positiv und als wichtigen Schritt hin zu mehr Freiheit. Die Zahl der Studierenden soll sich freilich nicht an einer Quote orientieren, sondern soll durch die Erfordernisse der Pflegewirtschaft und der Ausbildungsinstitutionen bestimmt werden. Ein Fortschritt ist auf jeden Fall die größere Durchlässigkeit innerhalb des Bildungssystems, die an diesem Beispiel konkret manifest wird, weil die Zugangschancen signifikant erhöht wurden.

Bildung: besser kostbar als kostenlos

Der Hochschulbildung wenden sich im nächsten Aufsatz Bernhard Kuske und Florian Hartjen zu, der wesentlich zum Zustandekommen des Bandes beigetragen hat. Unter dem Titel „Bildungsrendite in Eigenverantwortung – ein Plädoyer für eine private Hochschulbildung“ beschäftigen sie sich mit Modellen der Hochschulfinanzierung. Ein Hochschulstudium kostet ziemlich viel Geld und darum ertönt oft der Ruf nach einem „kostenlosen Studium“, das durch BaföG-Kredite und/oder die Sozialisierung der Studiengebühren ermöglicht wird. Indem das Studium aber für Studenten keine unmittelbaren Kosten verursacht, entstehen Fehlinformationen. Das führt zu einer hohen Quote an Studienabbrechern. Gleichzeitig werden nur Hochschul-Bildungsinvestitionen in einem so großen Ausmaß gefördert, während demgegenüber Investitionen wie zum Beispiel Unternehmensgründungen oder auch eine nicht-akademische Ausbildung benachteiligt sind. Ihr Gegenvorschlag zu staatlicher Hochschulfinanzierung lautet deshalb: „Stipendienprogramme und studienbezogene Finanzprodukte beherbergen großes Potenzial, da durch die strukturelle Diversität auch gerade auf benachteiligte Studenten eingegangen werden kann.“

Der letzte Aufsatz stammt von Mihael Duran und stellt das Konzept „Bildungsgutscheine“ vor. In diesem Modell wird pauschale Finanzierung von (vornehmlich staatlichen) Bildungseinrichtungen ersetzt durch die Ausgabe von Gutscheinen, durch den Staat, die Eltern und Schüler zu der Bildungseinrichtung ihrer Wahl mitnehmen können. Dadurch kann echter Wettbewerb zwischen den Einrichtungen hergestellt werden, der für hochwertigere Bildung sorgt, und auch für eine, die besser auf die individuelle Situation des Lernenden angepasst ist. Duran geht auch auf die substantiellen Unterschiede dieses Systems in Bezug auf unterschiedliche Bildungsphasen (Kindergarten, Schulen, Hochschulen) ein und adressiert ausführlich mögliche Lösungen. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt er auf, wie die Idee der Bildungsgutscheine praktisch umgesetzt werden kann.

Eingeleitet wird der Band mit einem Vorwort der FDP-Generalsekretärin Nicola Beer und abgeschlossen mit einem Nachwort des Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung, Dr. Wolfgang Gerhardt, zum Thema „Lernen als Ethos der Solidarität“. Von Seiten der Friedrich-Naumann-Stiftung erfolgte die Betreuung des Buchprojekts durch Dr. Peter Altmiks und Dr. Kathleen Klotchkov, die auch als Herausgeber firmieren.

Photo: Navy Hale Keiki School from Flickr

Die Griechen haben gewählt, und die neue Mehrheit im Parlament hat eine Regierung gebildet. Die linksextreme Syriza und die antisemitischen Rechtspopulisten der Partei Anel bilden eine gemeinsame Koalition. Letztere hat mit Panos Kammenos einen Vorsitzenden, der gleichzeitig neuer Verteidigungsminister ist. Er hat noch im Dezember behauptet, Juden würden in Griechenland steuerlich bevorzugt. Als im Jahr 2000 in Österreich die konservative ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ eines Jörg Haiders koalierte, brach europaweit ein Sturm der Entrüstung aus, der am Ende Sanktionen und die diplomatische Isolierung der Alpenrepublik zur Folge hatte.

Und in der Parteizeitung des Syriza-Vorsitzenden und neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras wird aktuell Finanzminister Schäuble mit Wehrmachtsuniform karikiert. Dennoch kann die Vorsitzende der Syriza-Schwesterpartei „Die Linken“, Katja Kipping, mit dem Wahlsieg in Griechenland einen „europäischen Frühling“ ausrufen, und die europäischen Linken in ganz Europa klatschen Beifall. Was Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht heute wohl dazu sagen würden?

Das moralische Recht Griechenlands, weiter Mitglied im Euro-Raum zu sein, darf durchaus in Frage gestellt werden. Eigentlich müsste Griechenland aus dem Euro-Club ausgeschlossen werden. Es ist doch eine perverse Verdrehung des Solidaritätsgedankens, wenn ein Land sich mit nachweislich gefälschten Zahlen in den Euroraum mogelt, anschließend fortgesetzt und dauerhaft die gemeinsam geschaffenen Regeln verletzt und dann, wenn es nicht mehr weiter weiß, um Solidarität bei den anderen nachsucht. Und um es auf die Spitze zu treiben: Zu einem Zeitpunkt, wo der Euro-Club und die Europäische Zentralbank (EZB) rund 80 Prozent der 322 Milliarden Euro Schulden Griechenlands in ihre eigenen Bücher übernommen haben, werden die Helfer von der amtierenden Regierung des hilfesuchenden Landes erpresst. Geschlossene Vereinbarungen gelten nicht mehr, und neues Geld wird gefordert.

Um es nochmals zu verdeutlichen: In Griechenland ist kein Vulkan ausgebrochen, es waren auch keine Missernten oder Überschwemmungen, die die Überschuldung des Staates verursacht haben. Es waren von der Bevölkerung demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente, die dies über viele Jahrzehnte durch Korruption und Misswirtschaft verursacht haben. Nichts anderes! Dabei haben die europäischen Geberstaaten große finanzielle Kraftanstrengungen geleistet. Bis zum Ausbruch der Krise erhielten die Nehmerstaaten in der EU Netto-Subventionen von über 430 Milliarden Euro. Allein Griechenland war mit 133 Milliarden Euro dabei, davon leistete Deutschland alleine 69 Milliarden. Dies entspricht nahezu dem Betrag, mit dem Griechenland seit Ausbruch der Krise 2010 bei Deutschland im Obligo steht.

Dieses Verhalten hat nicht nur Griechenland in die aktuelle Situation gebracht, sondern infiziert auch alle anderen im Euro-Club. Der Rechtsbruch europäischer Regelungen wird zum Frühsport und die Versprechen einer Besserung zu Sirenengesängen. An die Maastricht-Kriterien hat sich nach dem Präzedenzfall in Griechenland anschließend keiner mehr gehalten. Und auch die ach so verschärften Regeln, die mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM 2012 eingeführt wurden, sind schon nach zwei Jahren längst wieder Makulatur. An den Fiskalpakt, der faktisch ein Neuverschuldungsverbot vorsieht, hält sich wieder fast niemand. Und Griechenland hat ihn als einziges Land bislang noch nicht einmal in die Verfassung oder ins Gesetz geschrieben.

Griechenland ist ein souveräner Staat. Es war und ist das gute Recht des griechischen Parlaments, Reeder von der Steuer per Verfassung zu befreien. Es ist auch deren gutes Recht, die Schlüsselindustrie zu verstaatlichen und weiter fleißig Beamte einzustellen. Und es ist auch die souveräne Entscheidung der Regierung Griechenlands, bei den übrigen Partnern in Europa Zweifel an der Westbindung Griechenlands zu nähren. Doch Griechenland und die übrigen 27 EU-Staaten müssen sich die Frage stellen, ob dies eine Basis für eine gemeinsame Zukunft in Europa ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 14. Februar 2015.

Photo: L’Altra Europa con Tsipras from Flickr