Politik bietet gerne Lösungen an. In unserem demokratischen System sind Lösungen das Kapital, mit dem Politiker arbeiten, um sich ihre Wahl zu sichern. Deshalb ist das Nachdenken über politische Fragen meist geprägt von der Suche nach Lösungen. Anders als Konservative und Sozialisten haben Liberale aber keine konkreten Lösungen zu bieten.
Das erschwert das Verhältnis zwischen Politik und Liberalismus nachhaltig. Der Liberalismus kann die vom politischen Geschäft an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllen, ohne sich selbst aufzugeben. Das zeigt besonders deutlich die Geschichte der FDP. Aber hier soll es nicht um die FDP gehen, sondern um den Liberalismus.
Liberale sind Skeptiker
In einem sehr freundlichen Artikel begrüßt Christopher Gohl, einer der wichtigen Vordenker der FDP in den letzten Jahren – und ein Freund -, die Gründung von „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ durch den ehemaligen BundestagsabgeordnetenFrank Schäffler und mich.
Er ruft zum Gespräch auf zwischen den „liberalen Pragmatikern“ und den „liberalen Lehrmeistern“ und beklagt die Trennung zwischen Theorie und Praxis. In diese Klage kann ich in gewissem Maße mit einstimmen. Es gibt eine große Versuchung, sich aus der frustrierenden Realität einer illiberalen Politik und Gesellschaft in die Nestwärme der reinen Lehre zu flüchten. Die liebevolle Pflege dieser reinen Lehre, die bisweilen auch ihre zelotische Verteidigung gegen Verwässerungen von außen umfassen kann, ist jedoch nicht nur fruchtlos. Sie hat auch wenig mit dem zu tun, was den Liberalismus im Kern ausmacht. Ja, sie steht sogar in einem Gegensatz dazu.
Die Wurzeln des liberalen Weltbildes liegen in der Skepsis: Die Warnung davor, den eigenen Verstand zu überschätzen – insbesondere wenn man ihn nutzt, um für andere Menschen Entscheidungen zu treffen. Diese Skepsis hat zwei Folgen:
Ein Liberaler kann sich nicht auf Seiten der Wächter über die Bewahrung der reinen Lehre wiederfinden. Sein Ziel ist nicht Selbstbestätigung, sondern Lernen. Kaum jemand hat das so brillant formuliert wie die großen Denker der Freiheit Friedrich August von Hayek und Karl R. Popper.
Wer sich auf diese Denker beruft, kann sich nicht gleichzeitig zum Großinquisitor des Liberalismus aufschwingen. Die Menschheitsgeschichte wie das Leben jedes Einzelnen sind beständige Lernprozesse. Fortschritt und Verbesserung erreicht man nicht, indem man Recht behält, sondern indem man lernt. Soviel zu den „Idealisten“.
Bei den „Realisten“ sieht es jedoch nicht besser aus. Wenn es mit dem eigenen Verstand vielleicht doch nicht so weit her ist, dann wird es eben auch viel schwieriger, Lösungen für andere anzubieten. Das schränkt den Spielraum der Realisten natürlich stark ein.
Während Konservative und Sozialisten vielerlei Lösungen anzubieten haben, bleibt dem Liberalen dann meist nur die Rolle des Spielverderbers, der nicht viel mehr anzubieten hat als die unbequeme Aufforderung, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Oder er verabschiedet sich von seiner Haltung der Skepsis und wird zu einem Konservativen oder Sozialisten mit liberaler Rhetorik.
Nicht „negative Freiheit“ sondern Respekt
Weder Idealismus noch Realismus sind Optionen für den Liberalen. Was aber ist der Liberalismus, wenn er weder Gralshüter noch Straßenkämpfer ist? Der Liberalismus ist eine Haltung. Er ist die Haltung der Demut und Selbstbescheidung. Der Begriff der „negativen Freiheit“ ist etwas irreführend: er klingt – eben – negativ.
Dabei ist die Haltung, sich zurückzunehmen und dem anderen Raum zu bieten, alles andere als negativ. Christopher Gohl erwähnt in seinem Artikel, dass neben „erwartbaren Namen wie Hayek, Popper und Buchanan“ auch Denker wie Martin Buber und Emmanuel Lévinas zu meinen intellektuellen Leitpersönlichkeiten gehören.
Was diese beiden Denker besonders auszeichnet, ist die philosophische Begründung des Respekts vor dem Anderen. Sie passen mithin besser zu Denkern wie Popper und Hayek, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Die intellektuelle Demut, die jene fordern, formulieren diese im existentialistischen und ethischen Bereich.
Letztlich lässt sich diese Haltung zusammenfassen mit den Worten: „Nimm Dich selber nicht zu wichtig.“ Oder in Variation für den Idealisten: „Du hast die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen“; und für den Realisten: „Misch Dich nicht immer in anderer Leute Angelegenheiten ein.“
Würde durch Selbstverantwortung
Wenn wir mit Prometheus für eine Veränderung in unserer Gesellschaft werben, dann wollen wir nicht wirklich viel mehr als dies: Grenzen aufzeigen und zu Zurückhaltung aufrufen. Der Nährboden der Freiheit ist der Respekt, den wir anderen entgegenbringen.
Der Respekt, der daher rührt, dass man jedem Menschen etwas zutraut. Die Würde des Menschen liegt ganz wesentlich darin begründet, dass er für sein eigenes Leben Verantwortung übernehmen kann. Um diese Würde geht es uns. Die Geschichte unseres „Namenspatrons“ Prometheus steht dafür: Er hat den Göttern das Feuer entrissen, um es den Menschen zu geben, damit sie selbst für ihre Leben sorgen können.
Wir richten uns gegen die Götter, die die Menschen in Abhängigkeit bewahren wollen. Anders als sie bieten wir nicht Lösungen, sondern fordern Respekt ein. Und wir wollen werben für eine Tugend, die in Zeiten der Macher und Fürsorger unpopulär geworden ist: die Demut.
Ich freue mich und bin gespannt auf den Dialog mit Christopher Gohl! Ich freue mich auf gemeinsames Lernen und gemeinsames Fortschreiten – denn dieses Lernen ist das Herz des Liberalismus.