In den letzten Tagen macht ein Tweet einer 17-jährigen Schülerin die Runde: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“

Wie viel Unselbständigkeit kann man eigentlich freiwillig einem breiten Publikum kundtun? Wer vier Sprachen beherrscht, sollte es gerade noch hinbekommen, sich Alltagswissen selbst anzueignen.

Überregulierung abbauen statt den Umgang damit lehren

Klar, jeder kennt das Problem: Den administrativen Dschungel zu durchsteigen, der unser Leben immer wieder verkompliziert, ist eine ziemliche Herausforderung. Übrigens sind daran auch ganz wesentlich jene Politiker Schuld, die sich jetzt gegenseitig darin überbieten, Forderungen nach lebenspraktischer Bildung zu erheben. Dass Steuern, Mieten und Versicherungen zu einem Buch mit sieben Siegeln werden, liegt auch an einer aberwitzigen Überregulierung durch Politik und Behörden.

Anstatt also jungen Menschen auch noch ein zusätzliches Schulfach „Lebenspraxis im Regulierungsstaat“ aufzubürden, sollte man diese Dinge lieber vereinfachen und entbürokratisieren.

Solange das nicht geschieht, bleibt das angesprochene Problem der Schülerin aber trotzdem bestehen. Ist das Problem aber tatsächlich die Tatsache, dass – wie sie später schreibt – ihr niemand beibringt, „wie man später auf eigenen Beinen steht“?Immerhin benutzt sie Twitter. Sie scheint also vertraut zu sein mit modernen Medien.

Wir leben in Zeiten, in denen Youtube-Videos produziert werden, die einem Tipps zur Verwendung von Microsoft Word geben, und in denen man über eine Viertelmillion Kochrezepte online finden kann.

„Google ist dein Freund“

Gibt man das Stichwort „Versicherungsvergleich“ bei Google ein, so erzielt man knapp 1,2 Millionen Treffer. Tippt man „Mietrecht“ in das Suchfeld ein, ist einer der ersten Treffer der Deutsche Mieterbund. Und auch die Suchbegriffe „Steuern Hilfe“ fördern sofort Hilfreiches zu Tage. Nie war es leichter, sich in lebenspraktischen Fragen Hilfe zu holen als heute.

Schockierend an dem Tweet ist nicht die Tatsache, dass die junge Frau diese Dinge nicht in der Schule (oder bei ihren Eltern) lernt. Schockierend ist, dass sie sich selber so wenig zutraut. Dass sie gar nicht auf die Idee kommt, das Problem selber zu lösen, sondern sofort Hilfe von anderswo fordert. Schockierend ist die mit Stolz zur Schau getragene Unselbständigkeit.

Der beste Lehrer ist derjenige, der sich selbst überflüssig macht

Das eigentliche Problem unseres Bildungssystems ist nicht, dass das Fach „Lebenspraxis“ fehlt. Das eigentliche Problem ist, dass es Jugendliche nicht zur Selbständigkeit erzieht. Erziehung und Bildung – durch Eltern, Verwandte wie durch Lehrer – sollte immer zur Selbstverantwortung befähigen.

Der beste Lehrer ist derjenige, der sich selbst überflüssig macht. Offenbar führt aber unser Bildungssystem genau in die andere Richtung, wenn 17-jährige öffentlich nach Hilfe bei der Bewältigung von Banalitäten rufen. Das Problem unseres Bildungssystems ist, dass es Menschen in Abhängigkeit führt.

Das Versagen unserer Bildungseinrichtungen besteht nicht darin, dass sie junge Leute nicht auf das Leben vorbereiten, sondern darin, dass sie ihnen nicht beibringen, das selber zu tun. Sie gewöhnen die Schüler und Studenten an einen dauernden Zustand der Abhängigkeit von anderen.

Man würde sich wünschen, das Tweet hätte geheißen: „Ich bin fast 18 und hab mich informiert über Steuern, Miete oder Versicherungen. Nicht nur auf Deutsch. In 4 Sprachen.“

Photo: John Morgan from Flickr

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