Photo: Donnie Ray Jones from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Marco Bonacker, Referent für Erwachsenenbildung im Bistum Fulda.

Das Thema der intergenerationellen Gerechtigkeit hat mehrere Aspekte: Die Verantwortung gegenüber der Kinder- und Enkelgeneration drängt sich gegenwärtig in existentiellen ökologischen Herausforderungen auf, die aber als Zukunftsszenario eher diffus bleiben. Schon klarer werden die Folgen aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen, wenn es ums Geld geht. Gerade im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise wird deutlich, dass ein schuldenbasiertes Wirtschaftssystem gerade für nachfolgende Generationen zum Problem werden wird. Die künstlich niedrigen Zinsen tun ihr Übriges, um die Spareinlagen der Jüngeren zu gefährden. Gleiches gilt für ein Rentensystem, das im Kontext des demographischen Wandels die Vorstellungen eines funktionierenden Generationenvertrages im Grunde ad absurdum führt.

Spätestens wenn die Generation der Babyboomer in etwa 15 Jahren in Rente geht und immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Rentenbezieher aufkommen müssen, wird sich die Frage der reinen Finanzierbarkeit aufdrängen. Es ist kaum anzunehmen, dass in diesem Zusammenhang von Seiten der Politik bereits erschöpfende Lösungen präsentiert wurden. Im Gegenteil: Ein demokratisches System neigt natürlicherweise zunächst dazu, den aktuellen Wählerwillen zu berücksichtigen, um nicht abgewählt zu werden. Die Einführung der „Rente mit 63“ ist dabei nur ein deutliches Beispiel für den größer werdenden politischen Interessenkonflikt zwischen den Generationen.

Neben all diesen negativen Entwicklungen für die Jüngeren muss man zugleich festhalten: Es wird eine Generation von Erben sein. Der von den Eltern und Großeltern erwirtschaftete Wohlstand wird genau der Generation zu Gute kommen, die um ihr Rentenniveau und ihre soziale Sicherheit bangt. Ein fairer Deal also, könnte man meinen. Damit aber beginnt erst die Diskussion: Ist Erben eigentlich gerecht? Darf man überhaupt auf ein Vermögen pochen, das man sich nicht selbst erarbeitet hat? Manifestiert das Vererben nicht eine soziale Ungleichheit und zementiert damit soziale Ungerechtigkeit?

Die vielzitierte Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergehen zu lassen, ist ein hehres politisches Ziel. Doch erscheint gerade der staatliche Eingriff ins Erben als falscher Weg, egalitaristischen Vorstellungen zu entsprechen. Aktuell stehen gesetzliche Veränderungen an: Im Juli wurde die Kabinettvorlage für die Reform der Erbschaftssteuer vorgelegt. Die Vorlage, der harte Verhandlungen innerhalb der großen Koalition vorausgingen und die nun ein Kompromisspapier darstellt, zielt vor allem darauf ab, dass Erben größerer Betriebsvermögen nun anders veranlagt werden. Genau wie vorher gilt: Führt der Erbe das Unternehmen weiter und hält dabei bestimmte Qualitätsstandards an Lohn und Beschäftigung ein, bleibt es von der Steuer befreit. Anders als vorher wird aber, wenn das Betriebsvermögen 26 Millionen Euro übersteigt, die private Vermögenlage des Erben in die Rechnung einbezogen. Das heißt: Besitzt der Erbe oder Beschenkte ein größeres, nicht betrieblich genutztes Vermögen, wird er mehr Erbschaftssteuern auf das Betriebsvermögen zahlen müssen. Familienunternehmen, die für den deutschen Mittelstand und damit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft typisch sind, erhalten eine höhere Freigrenze für den Schwellenwert der Bedürfnisprüfung.

Die Kabinettsvorlage trägt damit zwei Dingen Rechnung: Erstens honoriert sie die Weiterführung von Unternehmen und besonders von Familienunternehmen, bei der zugleich Arbeitsplätze und Wohlstand gesichert werden. Firmen, auch wenn diese als Erbschaft weitergereicht werden, sind Orte von Innovation und Entwicklung und sind ohnehin von allgemeinem Wert. Zweitens aber verquickt er das private Vermögen des Erben mit dem betrieblichen Erbe – dies aber in einem noch vertretbaren Maß. Das private Risiko und die unternehmerische Leistung sollten schließlich nicht durch Steuern bestraft werden. Von daher ist es zu begrüßen, dass die Kabinettsvorlage in ihrer nun abgeschwächten Form dies zumindest stärker berücksichtigt als in vorherigen Entwürfen.

Freilich geht diese Reform anderen politischen Kräften nicht weit genug. Die Grundkritik: Die ungleiche Vermögensverteilung wird durch die Erbschaftssteuer zementiert und Vermögensakkumulation ohne eigene Leistung gefördert. Ohne Zweifel: Eine funktionierende Marktwirtschaft, die noch dazu sozialen Anspruch hat, ist auf gesellschaftlichen Ausgleich angelegt. Dennoch erscheint es zweifelhaft, dies gerade beim Vererben konfiskatorisch umzusetzen. Vermögen und Besitz wurden bereits versteuert, wenn es, wovon in der Regel ausgegangen werden kann, rechtmäßig erworben wurde. Der Erblasser aber muss darauf vertrauen können, dass mit seinem erarbeiteten und klug verwalteten Privatvermögen nach seinem Willen verfahren wird. Dies stärkt zwar nicht die egalitaristische Position. Das Gegenteil aber wäre weit mehr dem Vorwurf der Ungerechtigkeit ausgesetzt.

Erstmals veröffentlicht in: Die Tagespost, 22.08.2015, Nr. 100

Die Schlagkraft von Lobbygruppen ist in der Politik bekannt. Sie sind einflussreich, weil sie ihre Partikularinteressen besser bündeln und vortragen können als das gesamte Wahlvolk. Hinter ihnen stehen meist Minderheiten, die jedoch so relevant sind, dass sie von Politikern nicht ignoriert werden können. So gelten der Bauernverband und der ADAC als besonders durchsetzungsstark im Berliner Politikbetrieb. Doch auch die Solar- und Windkraftlobby schafft es immer wieder, ihre wirtschaftlichen Interessen mit Erfolg vorzubringen und sie mit der Rettung des Weltklimas zu verkaufen.

Jüngst hat eine ganz andere Lobbygruppe von sich reden gemacht: die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros und Gleichstellungsstellen in NRW. Anfang März ging es bei „Hart aber fair“ im Ersten mit Frank Plasberg in der Sendung „Nieder mit den Ampelmännchen, her mit den Unisex-Toiletten – Deutschland im Gleichheitswahn?“ um den „Genderwahn“. Gäste waren FDP-Mann Wolfgang Kubicki, Schauspielerin Sophia Thomalla, Autorin Anne Wizorek, Grünen-Aktivist Anton Hofreiter und Publizistin Birgit Kelle. Der Politiktalk schleppte sich nicht ganz so ernst dahin. So meinte Kubicki zum Grünen Hofreiter – wohl aufgrund seiner langen Haare: „Sie sehen ja schon gendermäßig aus.“ Und dem Moderator Frank Plasberg war etwas suspekt, dass von 190 Gender-Professoren allein 180 Frauen seien. Soweit der wesentliche Inhalt der Sendung. Gegen diese Sendung legte die obige Frauenlobby eine Programmbeschwerde beim zuständigen WDR ein.

Wie so häufig ist jedoch nicht der Anlass der Skandal, sondern das was anschließend daraus gemacht wird. Es ist auch nicht der Skandal, dass eine ausschließlich von Steuergeldern finanzierte Organisation eine Programmbeschwerde einlegt. Das geschieht häufiger. Der Skandal ist die unsouveräne Reaktion des WDR. Die Sendung wurde mit Schimpf und Schande in den Giftschrank verbannt. Sie darf nie wieder wiederholt oder in der Mediathek der ARD gezeigt werden. Nie, nie wieder!!! Stattdessen muss Plasberg nunmehr eine neue Ausgabe zum gleichen Thema produzieren, die am 7. September gezeigt werden soll und in den Augen des WDR-Rundfunkrates Gefallen finden muss. Die WDR-Rundfunkrats-Vorsitzende Ruth Hieronymi meinte: „Die Auswahl der Gäste und die Gesprächsleitung waren für die Ernsthaftigkeit des Themas nicht ausreichend“. Das sind noch keine chinesischen Verhältnisse, aber der Vorwurf der Zensur liegt nicht ganz fern.

Es darf nur das gezeigt werden, was genehm ist, abweichende Meinungen sind nicht erlaubt oder werden nicht toleriert. Sie werden sogar weggeschlossen. Warum darf man mit der Genderideologie nicht ironisch umgehen? Warum darf man sie nicht verlachen, karikieren oder als absurd abstempeln? Es gibt Hunderte von Sendungen im beitragsfinanzierten Fernsehen, in denen tagtäglich genau das Gegenteil gemacht wird.

Wo ist die so viel beschworene Toleranz in diesem Land? Toleranz erfordert ein Selbstbewusstsein und den Geist einer offenen Gesellschaft, wo andere Meinungen nicht nur hinter der verborgenen Hand toleriert werden, sondern wo diese frei ausgesprochen werden können.

Was war das noch für ein Solidarität von Linken, Liberalen und Konservativen in diesem Land, als das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ einem Anschlag zum Opfer fiel, weil es sich über den islamischen Religionsstifter Mohammed lustig gemacht hatte. Eine offene Gesellschaft braucht diese Freiheit. Sie braucht diese Freiheit wie der Fisch das Wasser und es ist gut für diese Gesellschaft, wenn nicht alle Fische in die gleiche Richtung schwimmen. Jörg Schönenborn, WDR-Fernsehdirektor, wies den Vorwurf der Zensur zurück. Das muss er schon aufgrund seiner Arbeitsplatzbeschreibung. Doch eines wird er nicht mehr behaupten können, dass der Zwangsbeitrag von ARD und ZDF eine „Demokratieabgabe“ sei.

Update: Am 31. August hat Jörg Schönenborn entschieden, die Sendung in der Mediathek wieder zugänglich zu machen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 29.08.2015

Photo: Ian Dennis from flickr

Photo: Ashley van Haeften from Flickr (CC BY 2.0)

Es war ein aufopferungsvoller Selbstversuch. Mein Norwegenurlaub! Die Frage war: Gelingt es mir, ohne Bargeld und nur mit Kreditkarte durch Norwegen mit dem Wohnmobil zu kommen? Ist also etwas dran an der großen Geschichte, dass das Bargeld immer mehr zurückgedrängt wird? Bisher hatte ich nur darüber geschrieben. Jetzt wollte ich den ultimativen Praxistest machen. Am besten schien es mir, direkt in die Höhle des Löwen zu fahren – nach Skandinavien. Immerhin gelten die Nordländer als Vorreiter des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. In meinem Buch „Nicht mit unserem Geld“ habe ich der Diskriminierung des Bargeldes und seinen Hintergründen ein ganzes Kapitel gewidmet. Bargeld sei der in Münzen geschlagene Teil unserer Freiheit, schrieb ich darin vor anderthalb Jahren.

Der Tripp nach Norwegen führte mich über das Legoland in Billund/Dänemark. Jede Cola, jedes Eis, das meine Kinder nachfragten, konnte ich bargeldlos bezahlen. Lediglich das eine oder andere kleinere Fahrgeschäft, das sie nutzen wollten, erforderte die harte Münze. Da mussten sie dann halt mal passen.

In Norwegen angekommen war dann die bargeldlose Welt wieder in Ordnung. Alles, aber wirklich auch alles konnte dort mit der Kreditkarte bezahlt werden. Vom Müsliriegel in Stavanger über den Kaffee in Bergen bis zum Campingplatz am Hardangerfjord konnte alles mit dem eigenen guten Namen entrichtet werden. So kam ich fast zwei Wochen gut über die Inseln, Fjorde und Seen.

Doch halt: In den tiefen Tälern, hinter den Bergen in Dalen in der Telemark gibt es einen Ort der Freiheit, wo fast nur Bares Wahres ist. Der dortige Campingplatzbetreiber, ein Holländer, leistet den Mastercards und Visas dieser Welt erbitterten Widerstand. Er akzeptiert nur Bares – und Bitcoin! Um das Nachmittagseis meiner Tochter zu bezahlen, zückte ich mein Smartphone und bezahlte mit der Cyberwährung 7,62 mBTC, umgerechnet 2,01 Euro.

Zwar gab es morgens keine frischen Brötchen, aber irgendwie ist der Campingplatz Dalen so etwas wie das Liberland des Nordens. Auf einer kleinen Insel zwischen zwei Bergmassiven gelegen, trotzt einer dem Überwachungsstaat und dem staatlichen Geldmonopol. Was will man mehr im Urlaub?

Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin “eigentümlich frei”, Ausgabe Nr. 155, September 2015

Photo: sebastian.dahler from Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Siebzehn Ministerien kümmern sich in Deutschland um Verbraucherschutz, zahlreiche Behörden und parabürokratischen Institutionen widmen sich ihm. Diese Rundumversorgung führt zu einem schleichenden Verlust von Selbstverantwortung und Mündigkeit.

Die Illusion der Sicherheit

Einer der Wege, mit dem ein Politiker am schnellsten punkten kann, ist der des Versprechens von Sicherheit. Arbeitslosigkeit steigt? Der Politiker initiiert Konjunkturprogramme. Terroristen bedrohen das Land? Der Politiker lässt Polizeibataillone in den Straßen aufmarschieren. Ein Crash steht bevor? Der Politiker sorgt dafür, dass die Geldmaschine in Gang gebracht wird. Wenn es schließlich um Fragen wie Fahrzeugsicherheit, Medikamente und Babynahrung geht, dann ist jeder zu Recht besorgt und sehr viele erleichtert, wenn man ihnen verspricht, in solchen sensiblen Fragen für Sicherheit zu sorgen.

Fraglich ist allerdings, ob dieses Versprechen überhaupt einlösbar ist … Denn selbst gut ausgestattete Behörden und ausgewiesene Experten können sich irren. Darüber hinaus kann es bisweilen sogar im Interesse von Politikern und Behörden liegen, mal ein Auge zuzudrücken. Etwa wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen oder andere Lobbyinteressen sich stark machen. Die Sicherheit, die dem Bürger im Namen des Verbraucherschutzes versprochen wird, ist jedenfalls eine Illusion. Niemand kann umfassende Sicherheit garantieren. Die Menge an Informationen, die dafür nötig wären, kann kein Computer der Welt bereitstellen. Ganz zu schweigen davon, dass man dafür auch Informationen bräuchte, die jetzt noch gar nicht verfügbar sind.

Der Weg in die Unmündigkeit

Dass diese Sicherheit nicht so vollständig bereitgestellt werden kann, ignorieren freilich viele Bürger. Zu schön, zu verlockend klingt die Verheißung. Die meisten verlassen sich darauf, dass die Flugsicherheitsbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Minister Heiko Maas und seine Leute für Sicherheit sorgen. Das ist aus ihrer Sicht auch durchaus nicht unvernünftig. Im Großen und Ganzen funktionieren diese Einrichtungen nicht ganz schlecht. Man muss sie nicht unbedingt schlecht reden. Aber gerade weil sie so gut funktionieren, stellen sie ein Problem dar.

Je reibungsloser und unkorrumpierbarer die Arbeit staatlicher Verbraucherschutzstellen vonstattengeht, umso mehr verlassen sich die Bürger darauf, dass schon jemand für ihre Sicherheit sorgt. Ohne sich aktiv dafür zu entscheiden, führt ihr Weg oft in die Unmündigkeit. Wer macht sich denn noch die Mühe, sich über ein Produkt zu informieren, wenn ihm ständig suggeriert wird, dass die zuständigen Stellen ein wachsames Auge auf Qualität und Sicherheit haben? In einem solchen System gewöhnen sich Menschen eher die Mündigkeit ab als sie zu entwickeln.

Gute Absichten und schlimme Folgen

Je besser diese Kontrolle seitens staatlicher Stellen funktioniert, umso leichter wird es auch, sie ohne große Gegenwehr auf immer mehr Bereiche auszudehnen. Dann ist schon der Mechanismus in Gang gesetzt, den der Ökonom Ludwig von Mises als Interventionsspirale bezeichnet. Ein Eingriff bringt den nächsten hervor. Das Gefühl der Sicherheit macht die Bürger offen für das Angebot von mehr Sicherheit. Anstatt genervt zu sein von den Einschränkungen, die Vorschriften des Verbraucherschutzes mit sich bringen, ist man erleichtert.

Je tiefer die Menschen in diese Spirale hineinkommen, umso mehr verlieren sie allerdings sowohl das Bedürfnis danach, selber Verantwortung zu übernehmen, als auch das Verständnis für die Notwendigkeit dieser Selbstverantwortung. Staatliche Stellen übernehmen die Rolle von Helikopter-Eltern. Was schon im kleinen Bereich der Familie nicht gut geht, kann erst recht auf so einer großen Ebene nicht funktionieren. Das Ergebnis des beständigen Wachstums staatlichen Verbraucherschutzes ist nicht der mündige Verbraucher, sondern der entmündigte. Der Verbraucher, der sich nicht mehr nur darauf verlässt, dass einer ihm Sicherheit bietet, sondern der es auch zunehmend verlernt, sich selber zu informieren und selber zu entscheiden. Staatlicher Verbraucherschutz ist mithin ein Paradebeispiel dafür, wie gute Absichten oft schlimme Folgen zeitigen können.

Photo: Tambako The Jaguar (CC BY-ND 2.0)

Wenn Panik an den Börsen herrscht, dann gibt es immer zwei Lager. Die einen sagen, dass der Crash eine notwendige, aber lang erwartete Korrektur war, jetzt jedoch ein guter Zeitpunkt für den Einstieg sei. Das haben sich am gestrigen Dienstag wohl einige gesagt. Der DAX sprang nach dem Einbruch vom Vortag sodann gleich wieder über die magische 10.000 Punkte-Marke. Die anderen meinen, dass der Crash der Beginn einer längeren Korrektur und das Ende des Papiergeldsystems einläute. Ich meine: beides ist richtig.

In der öffentlichen Diskussion wird oft auf die realwirtschaftlichen Faktoren wie Investitionen oder Konsum geschaut. Doch in Wirklichkeit sind beide Größen nur die Folgen der Geldpolitik der Notenbanken. Es wird im heutigen Geldsystem, das im Wesentlichen auf Kreditgeld basiert, völlig unterschätzt, welche Wirkung Zinsentscheidungen, Entscheidungen über die Mindestreserve der Banken bei der Notenbank oder regulatorische Rahmenbedingungen für die Kreditvergabe und in der Folge für Investitionen und Konsum in einer Volkswirtschaft haben.

Es sind die Notenbanken!

Die jüngsten Turbulenzen in China zeigen dies. Seit Mitte Mai hat die chinesische Börse inzwischen deutlich mehr als ein Drittel ihres ursprünglichen Wertes verloren. Bei jedem Einbruch reagierte die Notenbank mit noch mehr Eingriffen in den Markt. Erst stellte sie den Banken 150 Milliarden Euro zur Verfügung; Anfang dieser Woche nochmals 20 Milliarden Euro. Dann wurde den staatlichen Pensionsfonds erlaubt (oder sie wurden gezwungen – wer weiß?), bis zu 30 Prozent in Aktien zu investieren. Zusätzlich wertete die chinesische Währung Renminbi mehrmals gegenüber dem Dollar ab. Anfang der Woche senkte die chinesische Notenbank den Leitzins um 25 Basispunkte und reduzierte den Zinssatz für Einlagen der Banken bei der Notenbank ebenfalls um 0,25 Prozent. Die Notenbanker in China schießen aus allen Rohren. Die Milliardenspritze soll den Banken Liquidität verschaffen, damit keine von ihnen förmlich austrocknet. Die Pensionsfonds werden in die Aktienmärkte gedrängt, um so zusätzliche Nachfrage zu erzeugen und die Kurse wieder nach oben zu treiben. Die Abwertung der eigenen Währung soll den Export fördern, um das Wachstum der Volkswirtschaft hochzutreiben. Und die Zinssenkung der Notenbank soll die Kreditvergabe der Banken stimulieren, um das alles zu finanzieren.

Keine nachhaltige Krisenbewältigung

Doch letztlich sind dies alles Rezepte, die das zugrunde liegende Problem nicht lösen, sondern es lediglich kaschieren. Vielleicht helfen die Maßnahmen sogar kurzfristig. Zumindest die weltweiten Börsen scheinen sich nach dem ersten Schock wieder leicht zu erholen. Doch ob dies von Dauer sein wird, darf bezweifelt werden. Denn was sich in China zeigt, ist die große Schwäche des jetzigen Geldsystems: Es basiert auf Geld aus dem Nichts. Geld wird hier durch Kredit erzeugt. Diesen Krediten steht jedoch kein Geld gegenüber, das von jemand anderem, seien es Bürger, Unternehmen oder der Staat, vorab angespart worden wäre. Es wird vielmehr per Knopfdruck von den Banken erzeugt und seine Menge mittelbar von den Notenbanken gesteuert. Mal wird an der Zinsschraube gedreht, mal wird am Mindestreservesatz geschraubt und wieder ein anderes Mal wird die Eigenkapitalunterlegung bei der Kreditvergabe verändert. Es basiert auf dem Glauben an das umfassende Wissen der Notenbanker darüber, wie Menschen sich in der Zukunft verhalten, was sie konsumieren oder sparen. Doch weder Notenbanker, noch Politiker, geschweige denn irgendjemand anderes kann wissen, wie sich einzelne, Millionen oder gar Milliarden Menschen verhalten. Und deshalb passen die Maßnahmen der Notenbanken nicht für den Einzelnen oder eine gesamte Volkswirtschaft. Schlimmer noch: sie verändern sogar deren Verhalten zu ihrem eigenen Schaden. Plötzlich werden Investitionen größer geplant, Konsum vorgezogen oder Eigenkapital durch Kredit ersetzt. Es findet eine Veränderung der Entscheidungen aufgrund der Anreize der Notenbanken statt. Doch wenn kein Notenbanker weiß, wie sich Menschen ohne Eingriffe verhalten würden, dann führt das gelenkte Verhalten der Menschen zwangsläufig zu falschen Ergebnissen. Plötzlich bauen alle ein neues Haus, weil die Zinsen so niedrig sind. Die Regierung kann noch mehr Schulden machen, weil die Zinsen bezahlbar sind, und die Unternehmen können plötzlich ihren viel größeren Konkurrenten mit Krediten der Banken übernehmen, weil die Zinsen billig und Kredite ohne Ende vorhanden sind. All das findet in China statt. Doch nicht nur dort.

Fehlsteuerung in den Wirtschaften

Bereits seit über 40 Jahren nimmt die weltweite Verschuldung immer stärker zu als die wirtschaftliche Entwicklung. Jedes Prozent Wirtschaftswachstum wurde mit noch mehr Prozent Verschuldung erkauft. So ist mit dem Platzen der letzten Kreditblase 2007/2008 die weltweite Verschuldung und damit auch das Kreditvolumen um fast 60 Billionen auf rund 200 Billionen Dollar gestiegen. Der Grund dafür ist, dass alle Notenbanken auf dieser Welt auf die Krise von damals mit noch billigerem Geld und die Banken mit noch mehr Kredit geantwortet haben. Es wurde also noch mehr Luft in die Kredit- und Geldblase gepumpt in der Hoffnung, dass das Wachstum anspringt und die Verschuldung dadurch reduziert werden kann. Das Gegenteil ist eingetreten.

Welche Schlüsse kann man daraus ziehen?

Erstens: Die Zinsen bleiben niedrig. Eine Zinswende – beginnend in Amerika – wird es nicht geben. Das Verschuldungssystem weltweit würde dies nicht verkraften.

Zweitens: Die Notenbanken werden die Aktien- und Immobilienmärkte mit billigem Geld weiter befeuern, um Konjunktur zu erzeugen. Der Wettlauf der jeweiligen Währungsabwertung wird sich beschleunigen, weil sich jedes Land Vorteile für seine Exportwirtschaft erhofft. Eine neue Welle des Protektionismus ist daher zu befürchten.

Drittens: Die Übertreibungen und möglichen Verwerfungen sind in den Märkten am größten, die politisch und ökonomisch am instabilsten sind – in den Emerging Markets. China, Brasilien und Russland sind die jüngsten Beispiele dafür.

Viertens: Wenn Immobilien- und Aktienmärkte boomen, profitieren Vermögensbesitzer besonders davon. Vermögen wird daher in der Folge ungleicher verteilt. Das ist für die Linken immer ein gutes Argument, um Steuern zu erhöhen.

Fünftens: Das sind keine guten Aussichten, aber zum Trost: Sie wissen es bereits jetzt!

Zuerst erschienen in Tichys Einblick