Anfang Februar schrieb ich an dieser Stelle: „Bis Varoufakis ein neues Hilfsprogramm mit dem Euro-Club verhandelt hat, dauert es noch einige Monate. Bis dahin wird ihn die EZB über Wasser halten. Den wesentlichen Schritt dazu hat sie schon geleistet, indem sie ihren Beschluss aufhob, die als Schrottpapiere klassifizierten griechischen Staatsanleihen weiterhin als Sicherheiten zu akzeptieren. Das bedeutet, die griechischen Banken haben damit faktisch keinen Zugang mehr zu Zentralbankgeld der EZB. Damit bewahrt Mario Draghi sein Gesicht, eröffnet aber den griechischen Banken einen direkten Zugang zu sogenannten Ela-Kredite der griechischen Notenbank. Diese kann derzeit bis zu 60 Milliarden Euro auf „eigene Rechnung“ vergeben. In der Hochphase der Krise 2012 betrugen die Kredite über 120 Milliarden Euro. Inzwischen sind sie wieder fast auf Null reduziert. Das verschafft der griechischen Regierung Luft. Sie hat in der Vergangenheit bereits kurzlaufende Anleihen, so genannte T-Bills, herausgegeben. Diese können die heimischen Banken aufkaufen, als Sicherheiten bei der eigenen Notenbank einreichen und erhalten damit frisches Geld aus dem „Keller“ der griechischen Notenbank. Die Staatsfinanzierung durch die Druckerpresse ist perfekt.“

Genauso passiert es jetzt. Die Ela-Kredite werden im wöchentlichen Rhythmus von der EZB genehmigt und betragen derzeit über 75 Milliarden Euro. Der griechische Staat begibt kurzlaufende Anleihen und finanziert sich so über die Druckerpresse der eigenen Notenbank. Und die Staatengemeinschaft verhandelt im Hintergrund ein neues Paket mit Griechenland, welches das jetzige, nicht umgesetzte Programm ersetzen soll. Alle wahren ihr Gesicht: Schäuble kann sagen, die letzte Tranche des aktuellen Programms wurde nicht ausbezahlt, weil die Maßnahmen nicht umgesetzt wurden und er kann sich anschließend im Bundestag wegen seiner harten Haltung auf die Schulter klopfen lassen. Tsipras und Varoufakis können mitteilen, dass sie dem Diktat des Euro-Clubs nicht gefolgt sind und die Reformen rückgängig gemacht haben. Der IWF wird sagen, dass er spätestens im August raus ist, dann sein Geld wiederbekommen hat und die Europäer seine Aufgabe nun übernehmen müssten. Mario Draghi wird sagen, dass der Zugang der griechischen Banken zu EZB-Krediten von ihm gekappt wurde und die Ela-Kredite „nur“ auf das eigene Risiko der griechischen Notenbank (!) vergeben würden.

Das nennt man europäische Politik. Alle sind zufrieden. Mit dem Auslaufen des aktuellen „Hilfsprogramms“ Ende Juni muss dann nochmals eine entscheidende Hürde übersprungen werden. Zwischen Juni und August müssen Varoufakis und Tsipras rund 19 Milliarden Euro aufbringen, um Kredite, Anleihen und Zinsen bedienen und verlängern zu können. Beide Seiten, die Troika und auch die griechische Regierung, stehen vor einem Dilemma. Beide müssen die Verhandlungen als Erfolg verkaufen können. Völlig unstreitig ist, dass ein Grexit für die Troika ausgeschlossen ist. Kann der Euro-Club und die EZB eine Zahlungsunfähigkeit und damit eine Staatsinsolvenz Griechenlands vermeiden, werden sie es um jeden Preis tun. Niemand von den Beteiligten will Milliarden-Beträge abschreiben müssen – weder Schäuble noch Draghi. Beide schreiben an ihrem eigenen Geschichtsbuch. Das Grexit-Kapitel taucht darin nicht auf. Eigentlich könnte nur ein Graccident, also ein ungeplanter Staatsbankrott, zu einem Austritt Griechenlands aus dem Euro-Club führen. Doch dies wird Draghi im Zweifel zu verhindern wissen. Er kann jederzeit in den Keller gehen und Geld in unbegrenzter Höhe „drucken“ und den Banken und der griechischen Regierung zur Verfügung stellen. Er würde dies dann mit der besonderen Situation und der Finanzstabilität des Euros begründen.

Doch auch Schäuble muss dem Bundestag eine Geschichte erzählen können. Diese wird ungefähr so lauten: Griechenland ist ein isolierter Fall. Überall in Europa haben die Maßnahmen geholfen. Das Chaos, das 2010 und 2011 mit der Insolvenz von Staaten im Euro-Raum gedroht hätte, sei Dank des entschlossenen Eingreifens verhindert worden. Jetzt dauere es eben länger und Griechenland müsse über viele Jahre geholfen werden. Doch es ginge nicht an, dass die reichen Griechen immer Geld von den Konten abheben würden und ins Ausland brächten. Daher sei es richtig, dass – wie seinerzeit in Zypern – auch in Griechenland Kapitalverkehrskontrollen eingeführt würden.

Und Tsipras? Was macht der? Natürlich Neuwahlen! Er wird sich seinen Kurs der Erpressung gegenüber den Geldgeber bestätigen lassen, um weiter den Euro-Club mit dem Nasenring durch die Manege ziehen zu können. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Alle Krisenstaaten sind in ihrer Wirtschaftsleistung unter dem Niveau vor der Bankenkrise 2008/2009. Inzwischen erreicht der Dreimonats-Geldmarktzins Euribor erstmals eine negative Rendite.

Die Rufe, dass die Geldpolitik die Pensionsfonds und Versicherungen zerstört, nehmen derweilen zu. Die Bundesregierung hat schon mal im Voraus die Anlagevorschriften für Lebensversicherungen gelockert. Sie können jetzt einfacher in die Energiewende investieren. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Das Weltklima wird gerettet und die private Altersvorsorge wird durch garantierte Renditen stabilisiert, die der Stromkunde selbstverständlich bezahlen muss. „Sparen für das Weltklima“ entspricht ohnehin mehr dem Zeitgeist als seinerzeit „Rauchen für die Rente“. Gerade hat die „Alte Leipziger”, einer der solidesten Versicherer in Deutschland, mitgeteilt, dass man im laufenden Jahr in Offshore-Windparks investieren wolle.

Die Quintessenz von all dem ist: Die Intervention nährt die nächste Intervention und die eine staatliche Willkür erzeugt den Nährboden der nächsten staatlichen Willkür. Die Antwort einer freien Gesellschaft darauf lautet: die strikte Verhinderung von Zwang außer für die Durchsetzung allgemeiner, auf alle gleichermaßen anwendbarer abstrakten Regeln.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

Photo: a1ucard from flickr.com

1 Antwort
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Die Euro-Krise scheint in eine Sackgasse geraten zu sein.

    Wir lesen:
    „Ganz Europa wartet derzeit darauf, dass Griechenland konkrete Reformvorschläge vorlegt.“

    Mir persönlich kommt es jetzt so vor, als sei es für viele ohnehin offensichtlich, dass die Schuld für die Krise bei Griechenland liegt.

    Schäuble scheint es aber immer mehr zu erkennen, dass der Fall Griechenland zu einem Fass ohne Boden werden könnte. Er glaubt es inzwischen kaum noch, dass Griechenland die Probleme selbst lösen kann.

    In diesem Zusammenhang lesen wir:

    Yanis Varoufakis: „Zu Schäubles Plan gehörte es, Griechenland fallen zu lassen“
    Varoufakis erhebt schwere Vorwürfe gegen Schäuble
    Das sei eine „rituelle Aufopferung eines Mitgliedstaats“.

    Aber wäre die Privatisierung von Staatsbetrieben eine Lösung?

    „Die Zeit“ schreibt:

    „Es war falsch, so stark auf Privatisierungen zu bestehen“
    Unter Auflage der Troika wurde es versucht, die Wasserwerke in Athen und Thessaloniki zu privatisieren. Es gab in Thessaloniki eine Volksinitiative, bei der sich über 90 Prozent der Bürger
    dagegen ausgesprochen haben.

    Damit hat „Die Zeit“ m.E. auch nicht ganz unrecht.
    Allein durch Privatisierung wäre es noch nicht nachhaltig erreicht, dass die Finanzkrise gelöst ist.

    Dann liest man:
    Der griechische Staat ist marode.

    Diese Aussage wird natürlich nicht völlig falsch sein.

    Jedenfalls ist es sicher, dass die Wirtschaft in Griechenland bei dem derzeitigen System in Europa nur mit ständigen Geldmengenausweitungen wieder auf die Beine kommen könnte. Dies liegt daran, weil die anderen Länder ihre Probleme ebenfalls mit Geldmengenausweitungen lösen.

    Aber ist es überhaupt hilfreich, dass alle Länder ihre Probleme mit
    Geldmengenausweitungen wie z.B. in Form von Subventionen an die eigene
    Wirtschaft lösen?

    Wenn die Griechen also wieder zur Nationalwährung zurückkehren, wäre dies nicht die Problemlösung schlechthin.

    Bei einem Grexit würde die derzeitige Staatspleite in eine humanitäre Katastrophe münden.
    Die Situation ist jedenfalls sehr verfahren.

    Eine Problemlösung könnte es geben. Leider ist es ingesamt offensichtlich, dass die Politik für die wirklich notwendigen Maßnahmen keine Mehrheiten finden würde.

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