G9, G8, Zentralabitur, Inklusion, Gesamtschulen … Reformen, Pläne, Konzepte – mit Vorliebe basteln Politiker und Bürokraten an Schulen herum. Besser geworden sind sie dadurch meist nicht. Vielleicht sollte man die Zuständigkeit denen zurückgeben, die sich damit auskennen: den Lehrern vor Ort. Es gibt eindrucksvolle Beispiele, dass das funktionieren kann.

Privatschulen sind keine Elitensache

Privatschulen haben oft einen anrüchigen Ruf. Das liegt zwar bisweilen auch am Verhalten von deren Publikum. Oft aber liegt das an dem Misstrauen, das immer noch privaten Initiativen entgegengebracht wird. Nur was der Staat anpackt – so die Vorstellung –, kann auch tatsächlich gerecht sein, denn Private wollen ja den eigenen Nutzen maximieren, während der Staat für das Gemeinwohl zuständig sein muss. Man könnte das freilich auch genau andersrum sehen: Während private Schulen tatsächlich Ergebnisse liefern müssen, damit sie ihr Geld verdienen können, haben staatliche Bildungseinrichtungen eine implizite Bestandsgarantie unabhängig von ihrem Erfolg.

Privatschulen müssen aber nicht nur für Anne-Sophie und Casimir da sein, sie können auch für Mandy und Hassan zur Verfügung stehen. Privatschulen müssen auch nicht allein für Kinder da sein, die hochbegabt sind – oder zumindest von ihren Eltern dafür gehalten werden. Privatschulen müssen nicht nur in Starnberg oder im Hochtaunuskreis stehen, es gibt sie auch in Mannheim und Berlin-Wedding. Dort kümmern sie sich um diejenigen, deren Startchancen weniger rosig aussehen als die von künftigen Firmenerben und Professorenkindern.

Pauschallösungen sind immer ungerecht

Es gibt sie zum Glück, diese Schulen, die aus privater Initiative, mit Hilfe von Spenden gegründet werden. So wendet sich zum Beispiel die Schule „Quinoa Bildung“ im Wedding gezielt an „sozial benachteiligte“ Kinder und Jugendliche. Hier werden nicht in Studierstübchen Konzepte ersonnen, die dann verbindlich für ein ganzes Bundesland festgelegt werden – zumindest bis zum nächsten Regierungswechsel. Hier wird vor Ort gearbeitet. Hier können die Pädagogen direkt auf die Schüler eingehen, sich auf konkrete Situationen einstellen anstatt Einheitslösungen für alle vorzuhalten.

Es ist eigentlich eine Binsenweisheit, dass die Lehrer, die Tag für Tag mit den Schülern in intensivem Austausch stehen, natürlich besser deren Fähigkeiten und Bedürfnisse kennen und deshalb besser einschätzen können, welche Art Unterricht angemessen ist. Dennoch hält sich hartnäckig die Vorstellung, Bürokraten könnten kompetenter darüber entscheiden. Das liegt nicht zuletzt an den Allmachtsgefühlen derjenigen, die politische Entscheidungen durchsetzen wollen. Sie halten ihre Lösung und ihren Weg für ideal und wollen sie deshalb mit Hilfe der Bürokratie durchsetzen. Sie halten sich und ihre Überzeugungen für das Maß aller Dinge. Das ist das Gegenteil von gerecht. Pauschallösungen sind in der Regel sehr ungerecht. Sie behandeln Menschen gleich. Aber Menschen sind eben nicht gleich. Gerecht sind Lösungen nicht, wenn sie Menschen gleich behandeln, sondern wenn sie Menschen richtig oder zumindest so richtig wie möglich behandeln.

Private Initiativen machen politische „Lösungen“ überflüssig

Je mehr Kompetenzen man einem Pädagogen vor Ort zugesteht, umso mehr Gestaltungsspielraum müssen Politiker und Bürokraten abgeben. Kein Wunder, dass letztere Privatschulen in düsteren Farben malen, um so die öffentliche Wahrnehmung zu prägen. Wenn diese Privatschulen dann auch noch erfolgreich arbeiten, werden sie natürlich erst recht zur Bedrohung. Da kann es rasch mal passieren, dass ein stellvertretender Referatsleiter im Kultusministerium die eine oder andere Genehmigung immer wieder unter den Stapel schiebt. Ein kleiner Handgriff für ihn – ein großes Problem für die Schulen.

Während Politiker sich „elitären“ Privatschulen nur von Zeit zu Zeit widmen, um die Ungerechtigkeiskeule zu schwingen und sie ansonsten eher in Ruhe lässt, sind Schulen und Bildungsprojekte, die sich an die Kinder von Migranten oder Hartz-IV-Empfängern richten, eine echte Bedrohung. Politiker wollen nämlich immer gerne retten. Die Tochter des Notars muss nicht gerettet werden – der Sohn der Kriegswitwe aus dem Kosovo unter Umständen schon. Wenn jetzt plötzlich private Initiativen zeigen, dass sie das erfolgreicher können als staatliche Programme, nehmen sie dem Politiker nicht nur die Arbeit weg – das wäre ja noch zu verschmerzen. Sie nehmen ihm aber vor allem die Möglichkeit weg, politische Lösungen zu versprechen.

Bildung lebt von Persönlichkeiten, nicht von Lehrplänen

Bildung lebt nicht primär von ausgefeilten Programmen oder raffinierten Lehrplänen. Bildung lebt vor allem von Persönlichkeiten. Gerade die guten Lehrer, an die man sich auch nach Jahrzehnten noch gerne und dankbar zurückerinnert, sind oft abgewichen von den Vorgaben, haben nicht durch Planerfüllung begeistert, sondern durch ihre Fachkenntnis und vor allem durch ihren Willen, die ihnen anvertrauten Schüler zu motivieren und weiterzubringen. Bildung lebt von Idealisten. Projekte, die aus diesem Idealismus entspringen, sollten nicht bürokratischen Hürden zum Opfer fallen.

Was dieses Land braucht ist Bildungsfreiheit. Was unsere Schüler brauchen – die privilegierten genauso wie die benachteiligten – sind Lehrer und Schulleiter, die selber entscheiden, was für ihre Schüler gut ist. Die derzeitige zentralistische Politik ist auch ein Misstrauensvotum gegenüber den Pädagogen, denen man damit die Kompetenz und Einsichtsfähigkeit, den guten Willen und die Einsatzbereitschaft abspricht. „Faule Säcke“, wie Gerhard Schröder sie einst bezeichnete, werden Lehrer gerade dann, wenn man ihnen all das nicht mehr zutraut. Mehr Vertrauen in den Einzelnen vor Ort, weniger Vertrauen in wirklichkeitsferne „Entscheider“ – das wäre mal ein guter Anfang.

Photo: Utz Schmidtko from Flickr

Wenn Lokführer der Bahn und bald auch die Piloten der Lufthansa wieder die Arbeit niederlegen, gilt es buchstäblich innezuhalten. Dann steht wieder ganz Deutschland im Stau, kommt zu spät zur Arbeit und Millionen von Bürgern werden in Geiselhaft genommen, um die Ziele einiger wenigen durchzusetzen.

Dann sagen die einen: „Das Streikrecht ist auf den Barrikaden der Arbeiterkämpfe vor 150 Jahren mit Blut und Tränen erkämpft worden“. Wieder andere meinen: „Wie sollen sich die Arbeitnehmer sonst gegen die Übermacht der Arbeitgeber wehren?“ Und nochmals andere posaunen: „Die Koalitionsfreiheit ist im Grundgesetz geschützt und deshalb ist der Streik das legitime Mittel zur Durchsetzung von Gewerkschaftsforderungen.“

In einer solch emotional aufgeladenen Stimmung ist es hilfreich einmal über den Tellerrand zu schauen. Wie machen es andere? Können wir von diesen vielleicht sogar lernen? Das Land mit den wenigsten Streiktagen ist unser südlicher Nachbar, die Schweiz. Dort fiel durchschnittlich pro 1000 Beschäftigte lediglich ein Arbeitstag durch Streiks aus, in Deutschland waren es 16 (Quelle: WSI 2014, Hans-Böckler-Stiftung 2014). Die Schweiz hat Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosigkeit lag 2014 bei 3,3 Prozent. Ist die geringe Streikbereitschaft der Schweizer Arbeitnehmer vielleicht sogar die Ursache für die Vollbeschäftigung?

Sicherlich ist der Zusammenhang nicht monokausal, aber völlig abwegig ist er auch nicht. Rund die Hälfte der Schweizer Arbeitnehmer darf gar nicht streiken. Sie sind einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt, bei dem eine strenge Friedenspflicht gilt, die so tief in der eidgenössischen Gesellschaft verwurzelt ist, wie vielleicht nur noch die außenpolitische Neutralität der Schweiz. Der wesentliche Unterschied zu Deutschland ist, dass das Tarifkartell aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bei weitem nicht diese dominierende Bedeutung hat. Zwar kennt auch die Schweiz ein kollektives Arbeitsrecht, bei dem Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften einen Rahmentarifvertrag verhandeln, doch anders als in Deutschland sind Gehaltsverhandlungen und Einstufungen von Arbeitnehmern nicht die Aufgabe der Tarifpartner, sondern individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den jeweiligen Betrieben. Die Schweiz kennt im Wesentlichen nur Informationspflichten des Unternehmens gegenüber der Mitarbeitervertretung oder den Beschäftigten. Ein Mitwirkungsrecht wie es das Deutsche Arbeitsrecht kennt, ist dort fremd.

Führt dies zur Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeitnehmer, weil sie weniger Macht gegenüber der „Kapitalseite“ haben? Nein, ganz im Gegenteil. Die Flexibilität des Schweizer Arbeitsmarktes ist nicht nur für den Arbeitgeber gut, sondern auch für die Arbeitnehmer.

Sie können sich ihren Arbeitsplatz aussuchen, leichter höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Anders als in Deutschland kündigen daher in der Schweiz viele Arbeitnehmer, ohne vorher einen neuen Arbeitsplatz zu haben.

Wenn jetzt die Regierung eine Monopolisierung der Lohnfindung durch ein Tarifeinheitsgesetz durchsetzen will, um dem Arbeitgeberverband und den Deutschen Gewerkschaftsbund zu gefallen, geht dies in die falsche Richtung. Es zementiert die Gewerkschaftsmacht gegenüber den Kunden des Unternehmens, aber auch gegenüber den Arbeitnehmern. Sie werden faktisch zu einer Mitgliedschaft in der mitgliederstärksten Gewerkschaft genötigt. Der Preis dafür ist hoch. In wenig wettbewerbsintensiven Märkten, wie dem Bahn- oder Luftverkehr, bekommen die Großgewerkschaften plötzlich ein Erpressungspotential in die Hand, das vielleicht den Egoismus der Spartengewerkschaften einschränkt, aber dennoch die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen auf Dauer gefährdet. Denn die Kunden können und werden die Leistungen der Bahn substituieren, indem sie mit Fernbussen oder Auto fahren. Und Passagiere der Lufthansa wechseln zu Wettbewerbern, die verlässlicher und preiswerter sind. Deshalb ist das non-zentrale Modell der Lohnfindung in der Schweiz unserem Modell des gesetzlich zementierten Tarifkartells überlegen – nicht nur was die geringe Zahl der Streiktage betrifft. Es schafft vor allem mehr Vertragsfreiheit auf beiden Seiten und stärkt damit die individuelle Freiheit.

Wenn am 1. Mai auf den hiesigen Marktplätzen die verbalen Schlachten des Klassenkampfes von gestern geschlagen werden und am Schluss das alte Arbeiterlied: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ geträllert wird, sollten Freiheitsfreunde in Nah und Fern das Lied der Sportfreunde Stiller „New York, Rio, Rosenheim“ anstimmen. Dort heißt es: „Wir woll’n nicht Leben wie ein eingerollter Igel; wir leben unser Leben und das Göttliche in jedem. Sie schüren Angst und Frust, wir haben darauf keine Lust.“

Photo: Holger Wirth from Flickr

Von Dr. Fritz Goergen, Historiker und Publizist, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der FDP und Geschäftsführer der Friedrich-Naumann-Stiftung.

Mit der Schaffung des Bundesstaates 1848 folgte der Vorläufer der Schweizer FDP, der Freisinn weniger dem Geist der Eidgenossenschaft als Napoleons. Lange Zeit sorgten Eigenständigkeit und Eigensinn der Gemeinden, Städte und Kantone dafür, dass vieles trotzdem dezentral blieb. Doch der Einstieg in die Entstehung von immer mehr zentraler Macht war mit dem Bundesstaat getan. Ein Staatenbund wäre die Schweizer Logik gewesen. Doch der Zeitgeist war 1848 zu stark.

Die langsame Zentralisierung verlief und verläuft immer noch doppelt. Zum Bund nach Bern, aber auch – weniger im Blick der Öffentlichkeit – innerhalb der Kantone. Der Unterschied zwischen den Kantonen ist immer noch beachtlich. Aber aufs Ganze gesehen, haben die Gemeinden Macht an die Kantone verloren. Gemeinden haben sich zusammengeschlossen. Effizienz ist immer die Begründung. Eingestellt hat sie sich meist nicht. Und die Bürgernähe nahm stets ab. Dazu trägt außerdem bei, dass die Verwaltungen der Kantone manches lautlos unter sich regeln – ohne politische Entscheidung.

Dass Deutsche und Österreicher die Schweiz immer noch als sehr direkt-demokratisch erleben, liegt am Grad der Zentralität in ihren Ländern und noch mehr an der Schweizer Volksabstimmung. Von der kritischen Diskussion des veränderten Umgangs – nicht zuletzt der Schweizer Parteien – mit dem Instrument der Volksinitiative kriegt die Öffentlichkeit der deutschsprachigen Nachbarn wenig mit.

Schaue ich auf die ausstehende Lösung zwischen der Schweiz und der EU in der Einwanderungsfrage und nehme zugleich die viel heißeren Themen Griechenland, Ukraine und das Verhältnis der EU zu den USA hier, Russland dort und China nicht zu vergessen dazu, drängt sich mir ein Gedanke auf. Gibt es nicht einen naheliegenden Lösungspfad für alles zusammen, nämlich den der Föderalisierung, der Dezentralität?

Der bessere Weg für die Schweiz ist nicht mehr EU, sondern der bessere Weg für die EU ist mehr Schweiz. Und zwar nicht nur im heutigen Dezentralitätsgrad der Schweiz, sondern vorwärts zurück zu einer echten Föderation, die der Freisinn 1848 dem Zeitgeist – einschließlich mancher früher industrieller Interessen – opferte.

Fußnote für europäische Krisengebiete besonderer Art: Wo regionale Föderalisierung allein nicht reicht, ist sie auch personal möglich – für spezielle Gruppen, die regional verstreut ihre Identität suchen und gleichzeitig dem Regionalverband verbunden bleiben wollen.

Photo: Alphornvereinigung Pilatus Kriens from Flickr

Das Hambacher Fest gilt als Wiege der deutschen Demokratie. Am 27. Mai 1832 versammelten sich unweit des kleinen Städtchens Neustadt an der Weinstraße 20.000 bis 30.000 Bürger aus der Pfalz und den deutschen Ländern, um für Einigkeit, Recht und Freiheit einzutreten. Es war wohl der erste Flashmob in der deutschen Geschichte. Die Veranstalter rechneten mit 1.000 Teilnehmern, tatsächlich kam ein Vielfaches davon.

In der Geschichte Deutschlands sind solche Freiheitsmomente selten. Die Paulskirchenversammlung 1848/49 und die Deutsche Einheit 1989/90 gehören sicherlich dazu, aber darüber hinaus muss man lange suchen.

Wie gelang es in einer Zeit ohne Facebook und Internet, mit zahlreichen Grenzkontrollen und staatlicher Repressalien, wie Pressezensur und in Teilen sogar noch Leibeigenschaft, dennoch so viele Bürger zu bewegen, teils tagelange Anfahrtswege in Kauf zu nehmen, um mit Gleichgesinnten für die eigenen Ideale zu streiten? Was bewegte Menschen wie Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth dazu, die Lasten und Gefahren auf sich zu nehmen, sich mit den Mächtigen anzulegen und ihre eigene Existenz aufs Spiel zu setzen? Die offizielle Geschichtsschreibung nennt den Wunsch nach nationaler Einheit, bürgerlichen Freiheiten, staatsbürgerlicher Mitwirkung und die Verständigung der europäischen Völker als Hauptmotiv. Doch reichen diese abstrakten Ziele wirklich aus, um den Mythos Hambach zu erklären?

Wohl nicht! Für dieses historische Ereignis bedurfte es mehr. Es benötigte einen Moment in der Geschichte, der ein Zusammenkommen von Personen, die ihre Ideale konsequent vertreten, mit einem gesellschaftlichen Klima wie im Vormärz des 19. Jahrhunderts verbindet. In der Pfalz war dieses Klima des Aufbruchs und der Veränderung besonders vorhanden. Zum einen lernte die Pfalz mit der französischen Besatzung bis 1814 auch die bürgerlichen Rechte und Freiheiten eines „Code Civil“ kennen und zum anderen war die als Fremdherrschaft empfundene Zugehörigkeit der Pfalz zum Königreich Bayern mit weitgehenden Diskriminierungen verbunden. Eine hohe Steuerbelastung und verschärfte Zollbestimmungen für die Pfalz führten zu Armut und Frust in der Bevölkerung. Allein der so genannte „Holzfrevel“, also der Holzdiebstahl aus den Wäldern der Pfalz, brachte ein Fünftel der Bevölkerung vor Gericht.

Dennoch reichte die Not der Bevölkerung alleine nicht aus, damit diese Großdemonstration sich tatsächlich Bahn brechen konnte. Es bedurfte auch Personen, die ihre Ideale konsequent vertreten und umsetzen. Es gelang Wirth, Siebenpfeiffer und weiteren Mitstreitern schon Jahre vorher publizistisch über die Pfalz hinaus, ein Netzwerk von Gleichgesinnten aufzubauen. Mit der Gründung des „Preßvereins“ schufen sie einen organisatorischen Rahmen für eine Freiheitsbewegung, die in ihrer Spitze 5000 Mitglieder umfasste.

Für ungeduldige Freiheitsfreunde ist der Vormärz sehr lehrreich. Nicht alles geht von heute auf morgen. Vieles braucht seine Zeit und seinen Moment. Zwischen Hambacher Fest 1832 und der Paulskirchenversammlung mit der Verabschiedung der ersten deutschen Verfassung lagen immerhin 17 Jahre. Und vielleicht hätte es dieses Ereignis so nie gegeben, hätten Freiheitsfreunde wie Siebenpfeiffer und Wirth nicht die Courage besessen, mit Klugheit und Mut gegen die Macht der Herrschenden vorzugehen.

Siebenpfeiffer und Wirth schufen einen Freiheitsmoment in der deutschen Geschichte, der nicht durch seine Rationalität über Jahrhunderte zum Mythos wurde, sondern durch seine Emotionalität. Es war ein Fest der Freiheit, bei der zwar 25 politische Reden gehalten wurden, die von Wirth später auch publiziert und verbreitet wurden, aber im gesellschaftlichen Gedächtnis blieben die Bilder feiernder Menschen und das friedliche Zusammenkommen aus Nah und Fern auf dem Hambacher Schloss. Siebenpfeiffer hat den emotionalen Moment der Freiheit in einem Lied zum Hambacher Fest zusammengefasst. In der Schlussstrophe heißt es: „Frisch auf, Patrioten, den Berg hinauf! Wir pflanzen die Freiheit, das Vaterland auf!“

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Über das österreichische Bundesland Kärnten erfährt man in Deutschland zumeist sehr wenig. Es sind zwei Dinge, die man mit dem südlichsten Landstrich der Alpenrepublik verbindet. Für die einen ist es das seenreiche Ferienparadies für den Familienurlaub. Und für die anderen ist es vielleicht noch das Wirken des ehemaligen Landeshauptmannes Jörg Haider, der die österreichische Politik mit seiner rechtspopulistischen Partei FPÖ durcheinanderwirbelte. 2008 starb er bei einem Autounfall. Mit letzterem ist auch die aktuelle Berichterstattung über Kärnten eng verbunden. 2007 kaufte die Bayern LB auf dem Hoch der damaligen Börsenblase für 1,625 Milliarden Euro mehrheitlich vom Land Kärnten die Landesbank „Hypo Alpe Adria“. Seitdem geht es bergab. Korruption, Vettern- und Günstlingswirtschaft erschüttern seitdem Kärnten, Österreich, Bayern und die Bankenwelt.

Für die Bayern LB und den Freistaat Bayern wird der unternehmerische Ausflug an den Wörthersee zum Milliardengrab. Die Milliardendefizite wollten die Bayern irgendwann nicht mehr bezahlen und verkauften die Bank für einen Euro an den österreichischen Staat, der das Institut inzwischen abwickelt. Jörg Haiders Vermächtnis ist eine Garantie des Landes Kärnten von 10,5 Milliarden Euro gegenüber den Gläubigern der Bank. Davon sind alleine 7,1 Milliarden Euro in den Büchern deutscher Institute. Diese wenden sich jetzt an das Land Kärnten und mittelbar an den Österreichischen Staat und wollen ihr Geld zurück.

In Deutschland wäre es sehr einfach. Kann ein Bundesland nicht bezahlen, könnten sich die Gläubiger letztendlich auch an den Bund wenden. Ein Insolvenzverfahren für Kommunen, Länder oder für den Bund ist per Gesetz ausgeschlossen. Diese Einstandspflicht sichert den Kommunen und den Bundesländern faktisch gleiche Finanzierungskonditionen wie dem Bund. Anders ist es in der Schweiz. Dort haben Städte und Kantone eine eigene Insolvenzfähigkeit. Als 1998 die Gemeinde Leukerbad im Kanton Wallis zahlungsunfähig wurde und die Gläubiger sich an den Kanton und an die Zentralregierung im fernen Bern richteten, versagten diese eine Unterstützung mit dem Hinweis auf die Finanzautonomie der Gemeinde. Dies wurde höchstrichterlich bestätigt. Die Folge war: Die Gläubiger mussten auf 78 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Seitdem differenzieren die Finanzierungskonditionen zwischen den Städten, den Kantonen und dem Bund. Nicht klar geregelt ist der Fall wohl in Österreich, und schon deshalb ist der weitere Verlauf spannend.

Doch welche Lehre zieht eigentlich die Landesregierung in Bayern aus dem Schlamassel in Kärnten? Und welche Schlussfolgerungen ziehen die Landesregierungen in Düsseldorf, Hannover, Stuttgart, Kiel und Hamburg aus den Schieflagen ihrer Landesbanken? Der missratene Weg der Landesbanken in unserem Land ist gepflastert mit Missmanagement, Korruption und Steuergeldverschwendung. Seit Anfang der 1990er Jahre haben die Landesbanken in Deutschland über 37 Milliarden Euro von den Ländern und Kommunen erhalten, um ihre Defizite auszugleichen. Und mit alleine 198 Milliarden Euro staatlichen und kommunalen Garantien mussten die WestLB, HSH Nordbank, LBBW und wie sie auch alle heißen, gestützt werden.

Zwei Dinge kann man daraus lernen. Erstens: Der Staat ist ein schlechter Unternehmer. Das zeigt sich nicht nur bei den Landesbanken, aber vor allem da. In den Aufsichtsgremien sitzen Politiker, die dafür keine Qualifikation aufweisen, die Vorstände wurden und werden politisch besetzt, und im Zweifel haftet der Steuerzahler für deren Versagen. Das war und ist keine tragfähige Konstruktion. Im Falle der Bayern LB muss man deshalb nicht nur die fahrlässige Rolle der Vorstände diskutieren, sondern auch die Aufsichtsräte zur Verantwortung ziehen. Risiko, Haftung und Verantwortung dürfen nicht zu einer Leerformel verkommen, sondern bewähren sich in der Praxis des politischen Alltags. Und zweitens: Das Schweizer Modell des Wettbewerbsförderalismus ist dem deutschen überlegen. Jeder haftet für seine Schulden selbst. Dieses Prinzip sorgt dafür, dass das Risiko als solches für den Anleger und Gläubiger erkennbar wird. Nur wenn dies der Fall ist, geht man mit Risiken verantwortungsvoll um und verlässt sich nicht auf Dritte. Wie es schon der Ordo-Liberale Wilhelm Röpke formulierte: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 25. April 2015.

Photo: Wolfgang from flickr.com