Photo: Patrick Feller from Flickr (CC BY 2.0)

Von Claus Vogt, Börsenbrief „Krisensicher investieren“

Das aktuelle Geschehen an der Börse und in der Wirtschaft ähnelt in höchstem Maße den Vorgängen der Jahre 2007 und 2000. Wie Sie sich vielleicht noch erinnern, erreichte der Weltleitindex S&P 500 im Oktober 2007 seinen damaligen Höchststand von 1.576 Punkten. Nur drei Monate nach diesem Allzeithoch war der Index bereits um 20% gefallen. Außerdem begann im Dezember 2007 eine Rezession der US-Wirtschaft.

Das gleiche Muster zeigte sich in den Jahren 2000/2001. Der S&P 500 markierte sein damaliges Allzeithoch im März 2000 und erreichte dieses Niveau im Oktober fast noch einmal. Bis Ende Dezember war er dann schon mit 20% im Minus, und im März 2001 begann in den USA eine Rezession.

Alle Rezessionen gehen mit schweren Aktienbaissen einher

Tatsächlich zeigt die Finanzgeschichte, dass alle Rezessionen mit Baissen an den Aktienmärkten einhergegangen sind. Umgekehrt gilt dieser Zusammenhang allerdings nicht. Das heißt, es gab auch Aktienbaissen, die nicht von Rezessionen begleitet wurden. Deshalb reicht es für Sie als Börsianer nicht aus, sich ausschließlich mit dem Wirtschaftszyklus zu befassen, wenn Sie die Risiken an den Börsen in den Griff bekommen wollen.

Dennoch ist der Wirtschaftszyklus auch für Börsianer von herausragender Bedeutung. Denn so viel ist klar: Sobald die makroökonomischen Frühindikatoren eine Rezession signalisieren, müssen Sie sich auf eine Aktienbaisse vorbereiten. Doch damit nicht genug.

Sie müssen sogar mit einer besonders schweren Baisse rechnen. Denn die Finanzgeschichte zeigt auch, dass Aktienbaissen, die von Rezessionen begleitet wurden, stets besonders heftig ausgefallen sind.

Die nächste Rezession kündigt sich immer deutlicher an

Im laufenden Monat hat die Rezessionswahrscheinlichkeit noch einmal deutlich zugenommen. In Zahlen ausgedrückt, liegt sie inzwischen bei mindestens 70%. Eine Rezession in den USA ist damit zwar noch kein hundertprozentig sicheres Ereignis, aber das mit Abstand wahrscheinlichste Szenario.

Rezessionssignal eines treffsicheren Indikators

Ein guter Indikator muss robust sein, aber durchaus nicht kompliziert. Wenn man zum Beispiel an die doch sehr überschaubaren Arbeitsergebnisse und Prognoseerfolge des IWF denkt oder der sogenannten Wirtschaftsweisen, kann man sogar auf den Gedanken kommen, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Gerade den besonders aufwändigen Modellen der modernen Volkswirtschaft fehlen nur allzu oft der Realitätsbezug und damit natürlich auch die praktische
Relevanz.

Die folgende Grafik zeigt Ihnen einen sehr simpel konstruierten Rezessionsindikator, der erstaunlich gute Ergebnisse erzielt hat. Er besteht nur aus zwei Komponenten: dem US-Einkaufsmanagerindex und dem S&P 500. In Blau sind alle Phasen markiert, in denen
der S&P 500 Index unter seiner 12-Monats-Durchschnittslinie notierte und gleichzeitig der US-Einkaufsmanagerindex kleiner oder gleich 50,2 Punkte war – was nicht ganz zufällig seinem aktuellen Stand entspricht. Rezessionen sind in dieser Grafik durch rote Balken gekennzeichnet.

Wie Sie an der Überlappung der beiden Balken erkennen, wurden mit diesem Indikator alle 10 Rezessionen seit 1950 vorhergesagt. Und zu Fehlsignalen kam es nur während der Kubakrise von 1962 und während der LTCM-Hedgefondskrise von 1998.

Wie Sie ganz rechts auf dem Chart vielleicht mehr erahnen als erkennen, hat dieser beeindruckende Indikator gerade ein neues Rezessionssignal gegeben. Seine Vorlaufzeit ist gewöhnlich sehr gering.

Deshalb deutet er jetzt darauf hin, dass im Lauf der kommenden sechs Monate in den USA eine Rezession beginnen wird.

S&P 500, Rezessionen (rot) und Rezessionssignale (blau), 1950 bis 2015

USA Rezession

Rezessionssignale dieses einfachen Indikators sind in Blau dargestellt, tatsächliche Rezessionen in Rot. Wie Sie sehen, gab es nur zwei Fehlsignale, 1962 und 1998. Quelle: hussmanfunds.com

Die Marktwirtschaft im Würgegriff von EZB und furchtbaren Juristen

Am 22. Januar 2015 kündigte EZB-Chef Draghi ein gigantisches Staatsanleihenkaufprogramm in Höhe von mehr als einer Billion Euro an. Seither kauft die EZB mit neu gedrucktem Geld Monat für Monat europäische Staatsanleihen im Wert von 60 Mrd. €. Diese unseriöse und vertragsbrüchige Politik ist dieser Tage noch einmal verlängert werden und soll mindestens bis März 2017 fortgeführt werden, so der offizielle Plan der EZB.

Dass es sich dabei um Staatsfinanzierung mit der Gelddruckmaschine handelt, ist aus ökonomischer Sicht offensichtlich und wohl auch unbestritten. Wenn irgendwelche Richter, die bekanntlich im Staatsdienst stehen, zu einem anderen Ergebnis kommen, dann beweist das nur, wie heruntergewirtschaftet der Rechtsstaat bereits ist, und wie verkommen die „Recht“ sprechenden Damen und Herren sind.

Wir sehen darin vor allem eine moralische Bankrotterklärung der verantwortlichen Richter. Mit solchen offensichtlich falschen Entscheidungen zerstören sie die Rechtssicherheit und tragen maßgeblich zur Politikverdrossenheit des Volkes und zur Abschaffung der Marktwirtschaft bei.

Wenn Gelddrucken nicht hilft, dann muss man … mehr Gelddrucken!

Nun sind die großspurig angekündigten positiven Reaktionen der Realwirtschaft auf diese unseriöse Geldpolitik bisher aber ausgeblieben. Das kann eigentlich nicht weiter verwundern, da es keine auch nur halbwegs valide ökonomische Theorie gibt, aus der sich eine solche realwirtschaftliche Reaktion ableiten ließe.

Dennoch konnten bisher weder die fehlende theoretische Untermauerung dieser Politik noch das Ausbleiben der ersehnten Ergebnisse bei den Herren der Gelddruckmaschine und ihrer
zahlreichen Gefolgschaft einen Sinneswandel herbeiführen.

Anstatt den eingeschlagenen Holzweg einer kritischen Prüfung zu unterziehen, wird beharrlich an ihm festgehalten. Was bisher noch in keinem Land der Welt funktioniert hat und auch in Europa keine Wirkung zeigt, soll also unbedingt fortgesetzt werden. Dann, so die irrwitzige Hoffnung, würden sich die Erfolge schon noch einstellen. Wenn Gelddrucken nicht hilft, dann muss man eben noch mehr Gelddrucken, lautet die lächerliche „Logik“ moderner Zentralbankbürokraten.

Euphorische Börsianer und Analysten scheuen den Faktencheck

Auf die oben genannte Ankündigung Draghis reagierten deutsche Börsianer euphorisch. In einer Art Pawlow’schen Reflexes trieben sie die Kurse Anfang des Jahres deutlich nach oben – aber
nicht etwa die Anleihenkurse, wie man meinen sollte, sondern die Aktienkurse, allen voran den DAX. Er stieg vom 21. Januar 2015 bis zum 13. April 2015 von 10.299 Punkten auf 12.388 Punkte. Solange die Zentralbanken ihre Bilanzsummen durch den Kauf von Anleihen in großem Stil ausweiten, würden die Aktienkurse steigen, hörte man allenthalben als Begründung – obwohl die Fakten ein ganz anderes Ergebnis zeigen.

Steigende EZB-Bilanzsumme korreliert nicht mit steigenden Aktienkursen, …

In der April 2015-Ausgabe von Krisensicher Investieren haben wir ausführlich dargelegt, dass es keine ökonomisch sinnvolle Begründung für diese These gibt. Darüber hinaus haben wir die Fakten präsentiert, anhand derer man sehen kann, dass die Realität in eindeutigem Widerspruch zu dieser These steht. Doch schauen Sie selbst:

DAX, EZB-Bilanzsummenveränderungen, 2007 bis 19. März 2015

USA Rezession2

Ausweitungen der EZB-Bilanzsumme haben in der Vergangenheit nicht zu steigenden Aktienkursen geführt. Quelle: StockCharts.com

Dieser Chart zeigt Ihnen den Verlauf des DAX von 2007 bis März 2015 und hebt die großen Veränderungen der EZB-Bilanzsumme hervor, die sich in diesem Zeitraum in klar voneinander abgegrenzten Phasen vollzogen haben.

Die roten Vierecke kennzeichnen Phasen, in denen die EZB-Bilanzsumme deutlich gestiegen ist, und die blauen Vierecke Phasen, in denen sie gefallen ist. Wie Sie sehen, zeigt sich hier ein erstaunlich deutlicher Zusammenhang zwischen den Bilanzsummenveränderungen der EZB und
dem Verlauf des DAX. Allerdings ist dieser Zusammenhang genau andersherum als landläufig behauptet wird.

Eine Ausweitung der EZB-Bilanzsumme ging mit fallenden Aktienkursen einher, während eine Reduzierung der Bilanzsumme von steigenden Aktienkursen begleitet wurde. „Offenbar sparen sich die meisten Analysten einen Faktencheck, um an ihren liebgewonnenen Behauptungen festhalten zu können“, schrieben wir seinerzeit und schlussfolgerten: „Wenn sich diese
vielleicht überraschende, aber sehr klare Korrelation zwischen DAX und EZB-Bilanzsumme fortsetzen sollte, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass dem DAX schon bald sehr schwere Zeiten bevorstehen.“

… sondern mit fallenden

Jetzt zeigen wir Ihnen die aktualisierte Version dieses Charts. Tatsächlich hat der DAX inzwischen sämtliche Kursgewinne, die seit Jahresanfang angefallen waren, wieder abgegeben. Damit hat sich das Muster, auf das wir Sie Ende März dieses Jahres aufmerksam gemacht haben, auch jetzt wieder gezeigt: Eine Ausweitung der EZB-Bilanzsumme durch Anleihenkäufe ist nicht etwa mit steigenden, sondern mit fallenden Aktienkursen einhergegangen.

DAX, EZB-Bilanzsummenveränderungen, 2007 bis heute

USA Rezession3

Tatsächlich hat sich dieses Muster auch jetzt wieder fortgesetzt: Bilanzsumme hoch, DAX runter. Quelle: StockCharts.com

Wir sind sehr gespannt, ob die Massenmedien jemals über diesen Zusammenhang berichten und einen Faktencheck durchführen werden. In ihrer selbstgewählten Eigenschaft als unkritische staatstragende Claqueure werden sie es wahrscheinlich vorziehen, ihrer liebgewonnenen Mär treu zu bleiben, dass Anleihenkäufe der Zentralbanken und der Einsatz der Gelddruckmaschine stets zu steigenden Aktienkursen führen.

Fazit: Die Baisse hat begonnen

Wir bleiben bei unserer Prognose, dass an den Aktienmärkten eine zyklische Baisse begonnen hat. Diese Baisse wird viele Monate dauern, und in ihrem Verlauf werden sich die Kurse mindestens halbieren.

Die Zentralbankbürokraten können weder diese Baisse verhindern, noch die sich immer deutlicher abzeichnende Rezession. Allerdings befürchten wir, dass sie unbeirrt an ihrer fatalen Politik festhalten und den eingeschlagenen Weg weitergehen werden. Denn lernfähig scheinen sie offenbar nicht zu sein.

Deshalb raten wir Ihnen dringend, Gold und Goldminenaktien zu kaufen sowie auf fallende Aktienkurse zu setzen. Mit diesen Investments werden Sie zu den wenigen Gewinnern gehören, die es in den kommenden Krisenjahren geben wird.

Photo: Marjan Lazarevski from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Seit dem 15. September 2008 ist alles anders. Seitdem erpressen die Banken die Politik. Seitdem ist die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers gleichbedeutend mit dem Höllenschlund. Notenbanker und Politiker blicken seitdem bei jeder neuen Bankenschieflage „in den Abgrund“. Jedes Mal scheint die Welt unterzugehen oder der Himmel uns auf den Kopf zu fallen.

Seit Lehman ist die Allzweckwaffe im Krisenfall die Bankenrettung um jeden Preis. In der ersten Phase geschah dies noch durch Garantien, Bürgschaften und Hilfsgelder des jeweiligen Staates. Schon in der zweiten Phase reichten die Verschuldungsmöglichkeiten dieser Länder nicht mehr aus. Supranationale Hilfen wurden notwendig. IWF und der Euro-Club mussten einspringen. Deren Hilfen waren und sind letztlich Schattenhaushalte, die eine neue Verschuldungsebene ermöglichen. Das ist verführerisch, denn es nimmt den Druck im Heute und verschiebt die Lasten auf ein fernes Morgen. Nichts ist für eine Regierung attraktiver als das: ein „free lunch“, der die Wahlperiode überdauert.

Doch niemand sollte die vermeintlichen Retter unterschätzen. Ihre Phantasie geht weit über die Steigerung der eigenen Verschuldung hinaus. Es geht in der Folge auch um die Vergemeinschaftung der Sparvermögen in Europa.

Dazu dient die dritte Phase der Bankenrettung: die Einlagensicherung. Sie soll den bank run verhindern. Der schnelle Abzug von Einlagen bringt eine Bank nämlich schnell in Schieflage. Und das liegt am Geldsystem. In diesem System schaffen Banken aus dem Nichts neues Geld nur dadurch, dass sie Kredite vergeben. Diesen Krediten stehen faktisch keine Sparprozesse an anderer Stelle gegenüber. Weniger als zehn Prozent des umlaufenden Geldes sind daher Banknoten. Der überwiegende Rest ist Giralgeld bzw. Buchgeld. Zweifeln Einleger an der Fähigkeit einer Bank, jederzeit ausreichend Banknoten auszahlen zu können, kommt es zur Schieflage und alle wollen ihre Konten räumen. Die Schieflage verschärft sich und reißt vielleicht sogar andere Banken mit. Die Herstatt-Pleite 1974 war die Geburtsstunde der Einlagensicherung. Die Frankfurter Privatbank hatte sich mit Devisengeschäften verspekuliert. Seitdem gibt es ein System der kollektiven Sicherheit in Deutschland. Kommt eine Bank in Schieflage, rettet eine Ausfallversicherung die Einlagen der Sparer. Die privaten Banken sicherten nun über diese Ausfallversicherung jedem Sparer seine Einlagen bis zu einer Höhe von 30 Prozent des haftenden Eigenkapitals der Bank. Die Höhe der Ausfallversicherung sollte jeden Zweifel beseitigen, dass jemals wieder Einleger, die letztlich Gläubiger gegenüber der Bank sind, bei einer Bankenschieflage ihr Geld verlieren. Über 40 Jahre hat das gut funktioniert. Doch als die kleine deutsche Tochter von Lehman Brothers ebenfalls 2008 Pleite ging, konnte der Einlagensicherungsfonds der privaten Banken dieses Versprechen nur durch die stille und heimliche Hilfe der Bundesbank erfüllen. Die Entschädigungssummen waren schlicht zu hoch. Alle Beteiligten machten damals um den Sachverhalt nicht viel Aufsehen. Keiner wollte an dem bewährten System der Einlagensicherung in Deutschland Zweifel hegen. Doch bis heute hat sich das Einlagensicherungssystem der privaten Banken nicht wirklich erholt.

Die Schieflagen der Landesbanken in Deutschland hat auch die Sparkassenorganisation an die Grenze ihrer Belastbarkeit geführt. Der Bankenrettungsfonds Soffin musste 2008 und in den Folgejahren mehrere Landesbanken stützen, die Teil des Haftungsverbundes der öffentlich-rechtlichen Bankensektors waren. Lediglich die Genossenschaftsbanken kamen bislang ungeschoren davon.

Einlagensicherungssysteme funktionieren nur bei schönem Wetter. Kommt leichter Regen und Wind auf, reichen sie nicht aus, müssen staatlich gestützt oder kollektiviert werden. Letzteres geschieht jetzt. Eine Billion Euro an faulen Krediten in den Bilanzen der Banken hat das Ausfallrisiko in den letzen Monaten erhöht. Deshalb strebt die EU-Kommission eine Ausfallversicherung für alle Banken in Europa an. Nicht mehr nationale Sicherungssysteme sollen nationale Banken sichern, sondern ein europäischer Sicherungsfonds soll alle Einlagen in Europa gleich sicher machen. Eine neue europäische Illusion entsteht.

Schon heute funktionieren die nationalen Systeme nicht oder nur sehr schlecht. Jetzt sollen 19 Systeme, die entweder gar nicht, nur auf dem Papier oder schlecht funktionieren, zu einem System zusammengefaßt werden. Wie wahrscheinlich ist es, dass dies besser funktioniert? Im Zweifel entsteht nicht eine europäischer Einlagensicherung sondern eine europäische Einlagenverunsicherung. Der Denkfehler ist, dass die Regulierer in Brüssel glauben, je größer die Versicherung, desto stabiler sei das System.

Das Gegenteil ist der Fall. Werden in einem zentralen System Fehler gemacht, zu wenig oder zu viel Geld für die Versicherung eingesammelt, zu schlecht kontrolliert oder zu viel Bürokratie den Banken aufgeladen, dann haften alle für die Fehler dieser zentralen Planwirtschaft. Ein Wettbewerb der Ideen, auch ein Systemwettbewerb findet nicht statt. Alle müssen dann Fehlentscheidungen, Fehlentwicklungen oder eine zu späte Korrektur der Zentrale ausbaden. Natürlich können die zentralen Planer auch zufällig einmal richtig liegen. Doch kein Beamter, kein Bürokrat und kein Regulierer können von Lappland bis Andalusien von Nordirland bis Kreta überschauen, welche Risiken auf die Banken und damit indirekt auf die Einleger in Zukunft zukommen.

Werden dagegen Fehler individuell verantwortet, dann haften die Beteiligten selbst und kein anderer. Das ist bitter und kann auch vielfach existenzvernichtend sein. Jedoch lernen alle anderen aus dessen Schicksal, ändern ihr künftiges Verhalten und sind auch deshalb individuell erfolgreich. Das ist das Wesen und die Faszination der Marktwirtschaft. Eine Kollektivhaftung der Sparer und Steuerzahler passt dazu nicht.

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In diesen Tagen der europäischen Krise werden wieder die europäischen Werte beschworen. Europa sei eine Wertegemeinschaft, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel neulich im Parlament der Europäischen Union. Merkel bezog diese floskelhafte Aussage auf die Flüchtlingskrise. Sie forderte, Europa müsse sich an Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, der Achtung von Minderheiten und Solidarität orientieren.

Kampf um Werte in Europa – banalisiert

Zweifelsohne sind dies wichtige Werte, die Europa historisch verbinden. Es waren spanische Dominikaner, die im 16. Jahrhundert beim Anblick der Unterdrückung der Bevölkerung in Mittel- und Südamerika die Menschenwürde als universelles Grundrecht gegenüber dem spanischen König einforderten. Es war im 13. Jahrhundert die Magna Charta, die die Willkür des englischen Königs beschnitt und den Weg zum Rechtsstaat bahnte. Schon im 16. Jahrhundert wurden die Werte Toleranz und Achtung von Minderheiten eindrücklich verwirklicht, als etwa das Königreich Polen-Litauen verfolgten Protestanten aus ganz Europa eine neue Heimat gab. Und es war der als Sankt Martin verehrte Bischof von Tours, der im 4. Jahrhundert seinen Mantel aus freien Stücken mit einem Bettler am Wegesrand geteilt hat.

Ob Angela Merkel wohl an diese historischen Ereignisse gedacht hat? Es spricht nicht viel dafür. Doch da ist sie nicht alleine. Heute werden die Werte Europas umgedeutet und in Sonntagsreden banalisiert. In der real existierenden Europäischen Union wird unter Menschenwürde der Beschäftigung vernichtende Mindestlohn und unter Rechtsstaatlichkeit die Vertragsbrüche von Maastricht und Dublin verstanden, unter Toleranz die Regulierung von Kerzen, Ölkännchen und Glühbirnen, unter der Achtung von Minderheiten die Förderung der Nomenklatura in Brüssel und unter Solidarität die Rettung europäischer Banken. Die europäische Wertegemeinschaft ist ein Wieselwort. Erst durch konkrete Institutionen werden abstrakte Werte real und fassbar.

Die Trennung von Kirche und Staat, Marktwirtschaft, individuelle Freiheitsrechte, Rechtsstaat und Demokratie sind Institutionen, die diese Werte Wirklichkeit werden lassen. Die Trennung von Kirche und Staat ist das Ergebnis eines über Jahrhunderte ausgetragenen Machtkampfes zwischen den Kirchen und den weltlichen Herrschern. Der Drang der Kaiser und Könige, sich in innerkirchliche Belange einzumischen, und das Ansinnen der Päpste und Bischöfe, sich die weltlichen Herrscher zu ihren Untertanen zu machen, hat eine Machtbalance hervorgebracht, deren Ergebnis die tatsächliche Trennung der beiden Bereiche war. Anders als etwa in den meisten islamischen Staaten, die keine Trennung zwischen Religion und Staat kennen. Ein entscheidender Unterschied ist, dass in unseren Breitengraden das kirchliche Recht nicht über dem staatlichen Recht steht, sondern ihm untergeordnet ist. Zwar entstammt die europäische Rechtstradition auch dem kanonischen, also kirchlichem Recht, aber auch dies entstammt letztlich griechisch-römischer Rechtstradition.

Wachsende Kluft zwischen Werten und Institutionen

Die Marktwirtschaft und der Kapitalismus haben ihre Verankerung im Privateigentum und im Individualismus. Beides verdanken wir der schottischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts, dessen prominentester Vertreter Adam Smith war. Einige wesentliche Erkenntnisse über deren Funktionieren haben sogar bereits die scholastischen Philosophen im 13. Jahrhundert und die Gelehrten der Schule von Salamanca im 16. Jahrhundert gewonnen und formuliert.

Die individuelle Freiheit folgt der Erkenntnis, dass nicht das Streben nach gemeinsamen Zielen eine freie und offene Gesellschaft ermöglicht, sondern, dass die größtmögliche Verwirklichung individueller Freiheit am Ende auch die Freiheit einer ganzen Gesellschaft mehrt.

Der Rechtsstaat sichert in der Tradition eines Immanuel Kant die Gleichheit vor dem Gesetz. Sein kategorischer Imperativ: “Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde” hat nicht nur die europäische Verfassungsgeschichte seit dem 18. Jahrhundert maßgeblich beeinflusst, sondern auch die amerikanische.

Das Aufbegehren gegenüber den Königen und Fürsten durch das Volk brachte letztlich auch die Demokratie hervor, deren Wurzeln wir in der Schweiz verorten können wie in Großbritannien, in den Niederlanden wie in Polen. Bald erkannte man, dass es nicht genügt, nur dem reinen Mehrheitsprinzip zu folgen, sondern, dass man Demokratie einhegen muss in einen Grundrechtskatalog, der das Individuum vor der Despotie der Mehrheit schützt. Heute wissen wir, dass Fortschritt darin besteht, dass die Wenigen die Vielen überzeugen. Neue Ideen treten zuerst bei Einzelnen auf, bevor sie zur Mehrheitsmeinung werden können.

Diese Institutionen entstammen einer europäischen Wertetradition, die längst vergessen scheint, weil Werte und Institutionen immer wieder auseinander klaffen. Sie wieder an das Tageslicht zu bringen, würde Europa helfen, seine Krise zu überwinden und der europäischen Wertegemeinschaft wieder einen Sinn zu geben.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.

Photo: Jorbasa Fotografie from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Dr. Karolin Herrmann, Referentin für Haushaltspolitik und Haushaltsrecht beim Deutschen Steuerzahlerinstitut

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt und als hätte man darauf gewartet, gab die Europäische Kommission unlängst eine zur Vorweihnachtszeit passende Mitteilung heraus. Darin plant sie neue Sicherheitsanforderungen für Kerzen, Kerzenhalter und Kerzenzubehör, denn diese, so die Kommission, könnten ein Risiko für die Verbrauchersicherheit darstellen. Was unter einer Kerze zu verstehen ist, liefert der Text gleich mit – nämlich ein „Produkt, das aus einem oder mehreren brennbaren Dochten besteht, die von einer bei Raumtemperatur (20 °C bis 27 °C) halbfesten Brennmasse gestützt werden.“ Um den Verbraucher zu schützen, hat sich das europäische Expertengremium besondere Sicherheitsanforderungen einfallen lassen. So sollen frei stehende Kerzen oder Kerzen, die mit einem Halter oder Behälter geliefert werden, nicht umkippen dürfen. Bei Kerzen, die ohne Halter oder Behälter geliefert werden, muss der Hersteller den Verbraucher künftig darauf hinweisen, dass die Verwendung eines geeigneten Halters erforderlich ist.

Kurzum, die meisten Passagen lesen sich wie ein Paradestück aus dem Brüsseler Kuriositätenkabinett. Warum mich solche Texte ärgern? Sie degradieren den Bürger zum Kleinkind – getreu dem Motto „Messer, Gabel, Schere, Licht – sind für kleine Kinder nicht.“ Aber ist es nicht in der europäischen Verantwortung, den Bürger vor Feuerschäden zu bewahren? Ist es nicht begrüßenswert, wenn uns die EU vor Alltagsgefahren schützt? Warum soll sich die EU nicht um unsere Sicherheit sorgen? Weil eine solche Regelung gegen die Grundprämisse gelebter Subsidiarität verstößt! Liegt es doch in der Verantwortung des Einzelnen und ist es doch eine Frage des gesunden Menschenverstands, wackelige Kerzen nicht ohne geeignete Unterlage anzuzünden. Der sichere Umgang mit entflammbaren oder scharfen Gegenständen ist Teil eines individuellen Erziehungs- und Lernprozesses und erfordert keine supranationale Initiative. Die europäische Fürsorge und Zwangsbeglückung ist Kalkül und zugleich Deckmäntelchen, um supranational mehr Kompetenzen und ein höheres Budget durchsetzen zu können. Befindet sich Europa also in der Wohlfühlfalle?

Allein in diesem Jahr wurden auf europäischer Ebene mehr als 1.800 Rechtsakte auf den Weg gebracht. Tatsächlich entbehren viele Verordnungen und Richtlinien jeglicher ordnungspolitischen Grundlage. Nehmen Sie nur die Richtlinie Nummer 603/2013, nach der die Kennzeichnung von Säuglingsnahrung so zu gestalten ist, dass sie Mütter nicht vom Stillen abhält. Der Verordnungsgeber vermutet, dass Frauen durch Babyfotos auf Milchpulververpackungen manipuliert werden könnten und verbietet ab Sommer 2016 eine entsprechende Bebilderung. Auch hier muss die Frage erlaubt sein, ob sich die EU wirklich um den Schutz von Kleinkindern bemüht oder den Eltern unvermittelt Fehlverhalten unterstellt.

Spätestens hier schließt sich die grundsätzliche Frage an, wie die Kompetenzen innerhalb der Europäischen Union zu verteilen sind. Politikwissenschaftler verweisen dabei gern auf ein Demokratiedefizit in der EU. Es fehle an einer strikten Trennung der „Staatsgewalten“. Tatsächlich haben sowohl die Europäische Kommission als auch der Ministerrat Kompetenzen, die sich auf die Exekutive und auf die Legislative beziehen. Der Kommission obliegt neben dem Initiativrecht für die Gesetzgebung auch die Kompetenz, die Umsetzung des EU-Haushalts zu kontrollieren. Der Ministerrat kann Rechtsakte beschließen und internationale Verträge aushandeln, hat aber auch Kompetenzen der initiierenden und ausführenden Exekutive, denn er entscheidet aufgrund der rotierenden Ratspräsidentschaften über die Gesetzgebungsagenda.

An der Wahl der Kommission sind die Bürger weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt. Die Kommissionsmitglieder werden alle fünf Jahre von den Mitgliedstaaten gewählt, das Europäische Parlament bestätigt das gesamte Kollegium via Zustimmungsvotum. Ein Misstrauensvotum für einzelne Kommissionsmitglieder gibt es nicht.

Der Ministerrat setzt sich je nach Sachthema aus den jeweiligen Fachministern der Mitgliedstaaten zusammen. Das Demokratiedefizit besteht in der Zusammensetzung des Ministerrats. Die jeweiligen Fachminister der Mitgliedstaaten werden nur mittelbar von den Bürgern der Europäischen Union gewählt und kontrolliert. Die Bekleidung der Ministerposten erfolgt auf nationaler Ebene über Wahlen. Hier werden die Bürger ihre Entscheidung aber primär an der nationalen Politik ausrichten.

Dem Ministerrat steht der Ausschuss der ständigen Vertreter (COREPER) zur Seite. Dem Gremium sind etwa 300 Arbeitsgruppen aus 28 EU-Mitgliedstaaten untergeordnet, in denen nationale Beamte themenbezogen zusammenarbeiten. Der COREPER bereitet die Ratssitzungen vor, beschließt die Tagesordnungen und legt dem Ministerrat entscheidungsreife Entwürfe vor, die meist nur noch der förmlichen Zustimmung bedürfen. Die Sitzungen des COREPERs und des Ministerrats finden in der Regel nicht öffentlich statt. Eine demokratische Legitimierung und Kontrolle des Ministerrats ist durch das hochgradig administrativ verflochtene COREPER nicht gegeben.

Diese wenigen Spiegelstriche verdeutlichen, dass es in der EU tatsächlich ein Demokratiedefizit gibt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es im Zuge des Lissabon-Vertrags bereits Verbesserungen gegeben hat und die Kompetenzen des Europäischen Parlaments gestärkt wurden. Die Frage ist auch, ob eine alleinige Verringerung des Demokratiedefizits in der EU genügt, um die europäischen Kompetenzen wirksam zu beschränken. Demokratie ist ein Willensbildungsverfahren und Ausdruck der jeweiligen Mehrheitsmeinung. Demokratie ist eine gute und die wahrscheinlich am ehesten Freiheit schaffende Methode, um widerstreitende Meinungen zu vereinen. Demokratie ist aber nur eine hinreichende und keine notwendige Bedingung, um Willkür, Ad-hoc-Gesetzgebung und politische Selbsterhaltungsinteressen wirksam zu begrenzen.

Europa braucht einen Ordnungsrahmen, der sich aus universalen Regeln zusammensetzt. Dazu gehört etwa die Verteidigung der mit dem europäischen Binnenmarkt verbundenen Grundfreiheiten oder die Schaffung eines Rechtsrahmens, um den grenzüberschreitenden Wettbewerb zu regeln. Hingegen kann eine politische Vertiefung nicht mit der steigenden gesellschaftlichen Komplexität und Vielfalt harmonieren. Oder akademisch ausgedrückt: Die Präferenzverfehlungskosten einer supranational koordinierten Politik steigen mit der Heterogenität der nationalen Systeme. Wie wichtig eine Prioritätensetzung in der EU ist, zeigt die aktuelle Flüchtlingskrise. Die Entgrenzung europäischer Zuständigkeiten in der Verbraucherpolitik steht im traurigen Widerspruch zum augenscheinlichen Unvermögen, auf europäischer Ebene eine Lösung der Flüchtlingskrise herbeizuführen.

Photo: Flazingo Photos from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Was ist das für ein Wirtschaftssystem? Ein Wirtschaftssystem, in dem alle Akteure an den Börsen, die  sonst eigentlich als Nabel des Kapitalismus gelten, auf einen einzigen Herrn in Nadelstreifen schauen? Dieser entscheidet dann fast alleine über Wohl und Wehe zigtausender Marktteilnehmer. Eine Marktwirtschaft ist es sicher nicht, auch wenn uns der Nadelstreifen-Mann etwas anderes suggerieren will.

Denn wenn ein Bürokrat darüber entscheiden kann, ob die Marktteilnehmer an den Finanzmärkten kaufen oder verkaufen, ob viele Milliarden Euro Staatsschulden durch die Druckerpresse finanziert werden und wie lange die Manipulation des Geldwertes anhält, dann ist diese Wirtschaftsform eher eine zentral gelenkte Planwirtschaft oder besser Geld-Sozialismus.

Nein, es handelt sich nicht um Nordkorea oder Kuba, sondern um den Euro-Raum. Es handelt sich auch nicht um die Despoten Kim Jong Un oder Raúl Castro, sondern um den Italiener Mario Draghi. Wie die Machthaber in Nordkorea oder Kuba ist auch Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank niemandem rechenschaftspflichtig. Das ist schön für ihn – und schlecht für alle anderen. Auch Draghi verspricht in ferner Zukunft ein besseres Leben für all diejenigen, die aktuell von Mangel und Knappheit geplagt sind und darunter leiden. Draghi glaubt durch Gelddrucken dieses Elend beenden zu können. Er will den Wechselkurs seiner Währung gegenüber anderen Währungen verbessern und damit die Exporte anregen und die Konjunktur  beleben.

Doch wenn es so einfach wäre, wenn das Gelddrucken ein erfolgreiches Rezept zur Konjunkturbelebung und für Wohlstand wäre, dann wäre Simbabwe längst Exportweltmeister und die dortige Bevölkerung würde in Milch und Honig baden. Doch es ist bekanntlich nicht so. Und das sollten sich alle Apologeten des Geldes in den Regierungen, Bankhäusern und Schaltzentralen in Brüssel hinter die Ohren schreiben. Es nützt nichts, wenn man dem Drogenabhängigen eine immer neue Dröhnung verabreicht. Am Ende hilft nur der kalte Entzug.

Und so ist es auch in der Geldpolitik: Draghis Versuch, die Konjunktur mit Hilfe der Druckerpresse zu beeinflussen, führt zu einer Interventionsspirale aus immer schnelleren und immer größeren Eingriffen in den Markt. Viele Glücksritter reiten dann auf der Welle des Scheins, immer neue werden angezogen und verführt. Doch was heute verfrühstückt wird, muss unweigerlich morgen nachgehungert werden. Wohlstand setzt das Sparen vor dem Investieren voraus. Wer diesen Zusammenhang außer Kraft setzen will, indem er meint, ein Einzelner oder eine gesamte Gesellschaft müssten nicht mehr Sparen, also Konsumverzicht üben, um investieren zu können, der irrt. Die Folge dieses Prozesses ist lediglich eine Veränderung der Produktionsstruktur einer Wirtschaft. Investitionen werden vorgezogen, aber sie können mit dem bestehenden Kapitalstock nicht zu Ende geführt werden. Das Platzen der Immobilienblasen in den USA und in Spanien 2007/2008 sind Beispiele dafür. Aber auch wir kennen dieses Phänomen mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Unternehmen wie Intershop und EM-TV verloren fast über Nacht Milliarden an Börsenkapitalisierung.

In einer Marktwirtschaft wird der Zins von der Zeitpräferenz bestimmt. Jemand will seinen Konsum im Heute in die Zukunft verschieben und verleiht seine Ersparnisse. Dafür will er eine Vergütung, den Zins. Die Nachfrage danach bestimmt die Höhe dieses Zinses. Draghi hat den Zins abgeschafft. Doch die Marktwirtschaft und ihre Entwicklung werden nicht von einer Person bestimmt, sondern von vielen. Wer den Wohlstand erhalten will, sollte daher den Geld-Sozialisten Mario Draghi dadurch entmachten, dass er das größte Entmachtungsinstrument konsequent anwendet – die Marktwirtschaft.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 5. Dezember 2015.