G9, G8, Zentralabitur, Inklusion, Gesamtschulen … Reformen, Pläne, Konzepte – mit Vorliebe basteln Politiker und Bürokraten an Schulen herum. Besser geworden sind sie dadurch meist nicht. Vielleicht sollte man die Zuständigkeit denen zurückgeben, die sich damit auskennen: den Lehrern vor Ort. Es gibt eindrucksvolle Beispiele, dass das funktionieren kann.
Privatschulen sind keine Elitensache
Privatschulen haben oft einen anrüchigen Ruf. Das liegt zwar bisweilen auch am Verhalten von deren Publikum. Oft aber liegt das an dem Misstrauen, das immer noch privaten Initiativen entgegengebracht wird. Nur was der Staat anpackt – so die Vorstellung –, kann auch tatsächlich gerecht sein, denn Private wollen ja den eigenen Nutzen maximieren, während der Staat für das Gemeinwohl zuständig sein muss. Man könnte das freilich auch genau andersrum sehen: Während private Schulen tatsächlich Ergebnisse liefern müssen, damit sie ihr Geld verdienen können, haben staatliche Bildungseinrichtungen eine implizite Bestandsgarantie unabhängig von ihrem Erfolg.
Privatschulen müssen aber nicht nur für Anne-Sophie und Casimir da sein, sie können auch für Mandy und Hassan zur Verfügung stehen. Privatschulen müssen auch nicht allein für Kinder da sein, die hochbegabt sind – oder zumindest von ihren Eltern dafür gehalten werden. Privatschulen müssen nicht nur in Starnberg oder im Hochtaunuskreis stehen, es gibt sie auch in Mannheim und Berlin-Wedding. Dort kümmern sie sich um diejenigen, deren Startchancen weniger rosig aussehen als die von künftigen Firmenerben und Professorenkindern.
Pauschallösungen sind immer ungerecht
Es gibt sie zum Glück, diese Schulen, die aus privater Initiative, mit Hilfe von Spenden gegründet werden. So wendet sich zum Beispiel die Schule „Quinoa Bildung“ im Wedding gezielt an „sozial benachteiligte“ Kinder und Jugendliche. Hier werden nicht in Studierstübchen Konzepte ersonnen, die dann verbindlich für ein ganzes Bundesland festgelegt werden – zumindest bis zum nächsten Regierungswechsel. Hier wird vor Ort gearbeitet. Hier können die Pädagogen direkt auf die Schüler eingehen, sich auf konkrete Situationen einstellen anstatt Einheitslösungen für alle vorzuhalten.
Es ist eigentlich eine Binsenweisheit, dass die Lehrer, die Tag für Tag mit den Schülern in intensivem Austausch stehen, natürlich besser deren Fähigkeiten und Bedürfnisse kennen und deshalb besser einschätzen können, welche Art Unterricht angemessen ist. Dennoch hält sich hartnäckig die Vorstellung, Bürokraten könnten kompetenter darüber entscheiden. Das liegt nicht zuletzt an den Allmachtsgefühlen derjenigen, die politische Entscheidungen durchsetzen wollen. Sie halten ihre Lösung und ihren Weg für ideal und wollen sie deshalb mit Hilfe der Bürokratie durchsetzen. Sie halten sich und ihre Überzeugungen für das Maß aller Dinge. Das ist das Gegenteil von gerecht. Pauschallösungen sind in der Regel sehr ungerecht. Sie behandeln Menschen gleich. Aber Menschen sind eben nicht gleich. Gerecht sind Lösungen nicht, wenn sie Menschen gleich behandeln, sondern wenn sie Menschen richtig oder zumindest so richtig wie möglich behandeln.
Private Initiativen machen politische „Lösungen“ überflüssig
Je mehr Kompetenzen man einem Pädagogen vor Ort zugesteht, umso mehr Gestaltungsspielraum müssen Politiker und Bürokraten abgeben. Kein Wunder, dass letztere Privatschulen in düsteren Farben malen, um so die öffentliche Wahrnehmung zu prägen. Wenn diese Privatschulen dann auch noch erfolgreich arbeiten, werden sie natürlich erst recht zur Bedrohung. Da kann es rasch mal passieren, dass ein stellvertretender Referatsleiter im Kultusministerium die eine oder andere Genehmigung immer wieder unter den Stapel schiebt. Ein kleiner Handgriff für ihn – ein großes Problem für die Schulen.
Während Politiker sich „elitären“ Privatschulen nur von Zeit zu Zeit widmen, um die Ungerechtigkeiskeule zu schwingen und sie ansonsten eher in Ruhe lässt, sind Schulen und Bildungsprojekte, die sich an die Kinder von Migranten oder Hartz-IV-Empfängern richten, eine echte Bedrohung. Politiker wollen nämlich immer gerne retten. Die Tochter des Notars muss nicht gerettet werden – der Sohn der Kriegswitwe aus dem Kosovo unter Umständen schon. Wenn jetzt plötzlich private Initiativen zeigen, dass sie das erfolgreicher können als staatliche Programme, nehmen sie dem Politiker nicht nur die Arbeit weg – das wäre ja noch zu verschmerzen. Sie nehmen ihm aber vor allem die Möglichkeit weg, politische Lösungen zu versprechen.
Bildung lebt von Persönlichkeiten, nicht von Lehrplänen
Bildung lebt nicht primär von ausgefeilten Programmen oder raffinierten Lehrplänen. Bildung lebt vor allem von Persönlichkeiten. Gerade die guten Lehrer, an die man sich auch nach Jahrzehnten noch gerne und dankbar zurückerinnert, sind oft abgewichen von den Vorgaben, haben nicht durch Planerfüllung begeistert, sondern durch ihre Fachkenntnis und vor allem durch ihren Willen, die ihnen anvertrauten Schüler zu motivieren und weiterzubringen. Bildung lebt von Idealisten. Projekte, die aus diesem Idealismus entspringen, sollten nicht bürokratischen Hürden zum Opfer fallen.
Was dieses Land braucht ist Bildungsfreiheit. Was unsere Schüler brauchen – die privilegierten genauso wie die benachteiligten – sind Lehrer und Schulleiter, die selber entscheiden, was für ihre Schüler gut ist. Die derzeitige zentralistische Politik ist auch ein Misstrauensvotum gegenüber den Pädagogen, denen man damit die Kompetenz und Einsichtsfähigkeit, den guten Willen und die Einsatzbereitschaft abspricht. „Faule Säcke“, wie Gerhard Schröder sie einst bezeichnete, werden Lehrer gerade dann, wenn man ihnen all das nicht mehr zutraut. Mehr Vertrauen in den Einzelnen vor Ort, weniger Vertrauen in wirklichkeitsferne „Entscheider“ – das wäre mal ein guter Anfang.
Photo: Utz Schmidtko from Flickr