Das Buch „Freihandel – für eine gerechtere Welt„, in der „Edition Prometheus“ beim Finanzbuch Verlag erschienen und herausgegeben von Frank Schäffler, Clemens Schneider, Florian A. Hartjen und Björn Urbansky, wurde am 22. Januar 2018 in der Landesvertretung von Schleswig-Holstein präsentiert. Das Buch wurde vorgestellt vom ehemaligen „Super-Minister“ und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement, der auch einen Beitrag für das Buch verfasst hat, und von dem Bundestagsabgeordneten und Finanzpolitiker Dr. Gerhard Schick von den Grünen. Neben Vertretern von Medien und Verbänden waren auch weitere fünf Bundestagsabgeordnete von CDU, FDP und Grünen anwesend. In freunschaftlicher Atmosphäre wurden durchaus klare und kontroverse Argumente ausgetauscht. Einig waren sich alle Beteiligten, dass Protektionismus eine sehr große Gefahr ist – nicht nur für die Weltwirtschaft, sondern für die freie und offene Gesellschaft insgesamt. Einige Ausschnitte aus der Debatte können Sie in diesem Video sehen:

 

Photo: skeeze/Pixabay

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Justus Lenz, Leiter Haushaltspolitik bei Die Familienunternehmer/Die Jungen Unternehmer.

Seit Kurzem ist der Bundeshaushalt ausgeglichen und erzielt sogar leichte Überschüsse. Das liegt allerdings hauptsächlich an den niedrigen Zinsen und der starken Konjunktur. Berlin ist jetzt gut beraten, nicht weiter Politik auf Pump zu machen, sondern durch Schuldentilgung und Steuersenkungen Wachstum zu ermöglichen.

Angesichts jahrzehntelanger Defizite im Bundeshaushalt wirkt die Entwicklung der letzten Jahre beeindruckend: Der Bund verzichtet seit 2014 auf die Aufnahme zusätzlicher Schulden. Und erzielt sogar Überschüsse: Nach Abschluss des Haushaltsjahres 2016 bleiben 7,7 Milliarden Euro übrig. Das derzeitige Plus ist allerdings nicht auf Veränderungen im Verhalten der aktuell politisch Verantwortlichen zurückzuführen. Wie ihre Vorgänger, haben auch sie die Staatsausgaben erhöht und so die Interessen der vielen verschiedenen Gruppen von Profiteuren staatlicher Aktivität bedient. Vielmehr sind exogene Faktoren für die schwarze Null verantwortlich: Niedrige Zinsen drücken die Ausgaben und die gute wirtschaftliche Situation erhöht die Einnahmen. In einer solchen Lage sind höhere Staatsausgaben aus der Sicht von Politikern verlockend. Deshalb sollten sie sich gerade jetzt auf die Regeln solider Haushaltspolitik besinnen und Schulden tilgen, Steuern senken sowie Wachstumsbarrieren abbauen.

Ausgeglichener Haushalt: Oft gepriesen, selten erreicht

Historisch betrachtet ist die jüngste Entwicklung bemerkenswert. In der Vergangenheit waren Versuche der Haushaltskonsolidierung auf Bundesebene regelmäßig mit Misserfolgen gekrönt. Spätestens nach dem starken Anstieg der Schuldenlast des Bundes im Zuge der deutschen Einheit, bemühten sich verschiedene Bundesregierungen um einen ausgeglichenen Bundeshaushalt und scheiterten mit verlässlicher Regelmäßigkeit.

So hatte Hans Eichel, von 1999 bis 2005 Bundesfinanzminister der rot-grünen Regierungskoalition, einige Jahre ernsthaft an der Konsolidierung des Bundeshaushalts gearbeitet. Noch Anfang 2002 verkündete er, den Haushalt bis 2006 ausgleichen zu wollen. Ein gutes Dreivierteljahr später war der Plan bereits Makulatur: Nach der Bundestagswahl 2002 hatte Kanzler Gerhard Schröder seinem Finanzminister die Rückendeckung entzogen, mit dem bekannten Satz: „Lass mal gut sein, Hans“. Auch sein Nachfolger Peer Steinbrück wollte die schwarze Null erreichen, scheiterte aber letztendlich an der Finanzkrise.

Lange Frist: „Ausgeglichene Staatshaushalte“ unabdingbar

Es ist offensichtlich: Langfristig kann die öffentliche Hand nicht mehr Geld ausgeben, als sie einnimmt. Verschuldet sich der Staat Jahr für Jahr zusätzlich, werden seine Gläubiger eines Tages an seiner Zahlungsfähigkeit zweifeln, wenn das Bruttoinlandsprodukt nicht mindestens ebenso schnell wächst wie der Schuldenberg. Der Staat muss sich dann entscheiden, ob er seine Ausgaben kürzt, seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt oder die Druckerpresse zur Hilfe nimmt, um seinen Haushalt „auszugleichen“.

Es gibt durchaus bedenkenswerte Argumente dafür, mit Schulden temporär zusätzliche Ausgaben zu finanzieren, wenn die Konjunktur schwächelt. Anschließend sollten die Schulden jedoch wieder zurückgezahlt werden, ohne dass sich der Staat der Inflation bedient oder Mittel der finanziellen Repression zum Einsatz bringt. Lediglich Vulgär-Keynesianer sind der Meinung, es sei immer eine gute Zeit für die öffentliche Hand, zusätzliche schuldenfinanzierte Ausgaben zu tätigen.

Schulden und Überschüsse: Anspruch und Wirklichkeit

In der Realität lässt es sich jedoch nur selten beobachten, dass sich von Haushaltsüberschüssen und Tilgung geprägte Jahre an Zeiten der schuldenfinanzierten zusätzlichen Staatsausgaben anschließen.

Politiker unterliegen einem starken dauerhaften Anreiz, zusätzliche Ausgaben zu beschließen, mit denen sie viele mehr oder weniger kleine Gruppen potentieller Wähler zufriedenstellen, die durch einzelne Maßnahmen einen großen Nutzen erfahren. Die Kosten der Maßnahmen können Politiker auf alle Steuerzahler umlegen, die die individuellen Kosten spezieller Maßnahmen nicht als gravierend empfinden.

Können die Kosten der Maßnahmen zusätzlich per Schuldenaufnahme in die Zukunft verschoben werden, verringern sich die geringen politischen Kosten der Belastung heutiger Steuerzahler weiter. Der Anreiz für Politiker, heute zusätzliche Ausgaben zugunsten einzelner Interessengruppen zu tätigen, wird so verstärkt.

Derzeitige schwarze Null: Political business as usual

Die Erfahrungen der Konsolidierungsbemühungen im Bundeshaushalt passen in dieses Bild. Das gilt nicht nur für die vergeblichen Bemühungen von Eichel und Steinbrück. Es gilt auch für den derzeitigen erfolgreichen Anlauf zur Haushaltskonsolidierung von Finanzminister Schäuble. Denn die jüngsten Erfolge lassen sich nicht auf einen plötzlich erwachten Sparwillen zurückführen, sondern beruhen vor allem auf den äußerst günstigen Rahmenbedingungen.

 

Auch in den vergangenen Jahren sind die Ausgaben der Bundesregierung insgesamt gestiegen, mit einer Ausnahme: Der Schuldendienst ist dank niedriger Zinsen stark gesunken. Hinzu kommt die gute wirtschaftliche Situation, die für steigende Steuereinnahmen, aber auch punktuell sinkende Ausgaben im Sozialbereich sorgt.

Ein Sparwillen ist nur insofern aus dem beobachteten Ausgabeverhalten abzuleiten, als dass die Ausgaben etwas weniger gesteigert wurden als es die Spielräume zugelassen hätten. Aber auch dies ist nicht sicher. So kommt der Überschuss im Bundeshaushalt 2016 auch dadurch zustande, dass die Einnahmen des Staates höher ausfielenals erwartet.

Solide Haushaltspolitik: Schulden tilgen, Steuern senken, Wachstum ermöglichen

Einige Regeln der soliden Haushaltsführung sollten unter den derzeit günstigen Umständen unbedingt eingehalten werden, um die Lasten in Zeiten gewiss wiederkehrender ungünstigerer Umstände zu verringern:

Erstens, die Politik sollte nicht nur Haushaltsüberschüsse für die Schuldentilgung einsetzen, sondern darüber hinaus ein festes Tilgungsziel anstreben, um die ausstehenden Staatsschulden verlässlich zu reduzieren. Das Tilgungsziel könnte zum Beispiel festgemacht werden and den Zinsausgaben, die durch fallende Zinsen auf Staatsanleihen seit 2008 eingespart werden und die ausgewiesenen Überschüsse im Jahre 2016 bei weitem übersteigen. So könnte beispielsweise die Hälfte der eingesparten Zinsausgaben in die Schuldentilgung fließen.

Zweitens, Steuerentlastungen sind in der aktuellen Lage dringend geboten. Zum einen spricht die derzeit hohe Steuerquote, die von 21,4 Prozent in 2010 auf voraussichtlich 22,2 Prozent in 2016 stieg, für Steuersenkungen. Zum anderen sollten die den Staat finanzierenden Steuerzahler auch direkt von den sinkenden Zinsausgaben profitieren, zum Beispiel in Höhe der nach der Schuldentilgung verbleibenden Hälfte der eingesparten Zinsausgaben.

Drittens, der aktuelle Konsolidierungserfolg beruht neben den Niedrigzinsen vor allem auf der guten konjunkturellen Lage. Damit letzteres auch in Zukunft der Fall sein wird, sollte die Bundesregierung unbedingt eine wachstumsförderliche Politik verfolgen, also Konsumenten und Produzenten möglichst wenig Steine in den Weg legen. Neben Steuerentlastungen ist die Reduzierung von Bürokratiekosten und Lohnnebenkosten angezeigt. So sollte der administrative Aufwand rund um den Mindestlohn verringert und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung angesichts der hohen Reserven von rund 11,5 Mrd. Euro gesenkt werden.

Chancen nutzen

Es wäre schade, wenn die aktuell gute Lage dazu führt, dass die Fundamente für die nächste Haushaltskrise gelegt werden. Wie unangenehm die Auswirkungen zu hoher Schuldenstände sein können, wurde in den vergangenen Jahren von einigen Mitgliedsstaaten der Eurozone demonstriert. Gerade angesichts dieser fortlaufenden Warnungen ist es unverständlich, dass sich die politisch Verantwortlichen in Deutschland mit den kurzfristigen Erfolgen bei der Konsolidierung begnügen, statt dauerhaft die Weichen für solide Staatsfinanzen zu stellen.

Aus unserer Sicht sollte sie dafür sparsam haushalten und finanzielle Spielräume nutzen, um Schulden zu tilgen, Steuern zu senken sowie gleichzeitig Barrieren für das wirtschaftliche Wachstum abzubauen — auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen.

Erstmals veröffentlicht bei IREF

Photo: Wikimedia Commons (CC 0)

Von Wolfgang Clement, Bundeminister für Wirtschaft und Arbeit a. D., Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen a. D., MdL a. D. und Kuratoriumsvorsitzender der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Dieser Aufsatz ist erstmals veröffentlicht in dem in der „Edition Prometheus“ erschienenen Buch „Freihandel – für eine gerechtere Welt„.

Mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten haben die Freihandelsgegner in Deutschland Unterstützung aus einer wohl eher unerwarteten Ecke bekommen. Das Ergebnis dürfte sie zufriedenstellen: Der neue Mann im Weißen Haus setzt auf Abschottung. Das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, besser bekannt unter seinem Kürzel TTIP, liegt vorerst auf Eis.

Dabei liegt die Betonung jedoch auf „vorerst“. Politiker und Bürger hierzulande tuen gut daran, an der Idee festzuhalten, den transatlantischen Handel auf eine neue Stufe zu heben. Denn Deutschland wäre nicht das wohlhabende Land, das es heute ist, hätte es sich in der Vergangenheit nicht (fast) immer offen für den grenzüberscheitenden Warenaustausch gezeigt. Wie so oft hilft ein Blick in die Geschichte, auch für die künftige Gestaltung dieses Landes die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Gemeinhin gelten Länder wie Großbritannien und die Niederlande als klassische Handelsnationen, doch auch Deutschland hat eine lange Tradition des Freihandels: Schon im 12. Jahrhundert schlossen sich niederdeutsche Kaufleute, die im Nord- und Ostseeraum Handel betrieben, zur Hanse zusammen und setzten sich gemeinsam für ihre Interessen ein. Im Laufe der Zeit entwickelte sich diese Hanse zu einem Städtebund, der die Interessen des Freihandels auch politisch vertrat. Noch heute tragen viele deutsche Städte ihren einstigen Status als Hansestadt stolz in ihren Stadtwappen.

Der Einsatz für den Freihandel war gerade im damals zersplitterten Deutschland mit seinen etwa 400 Staaten oder Staatsgebilden und hunderten, wenn nicht tausenden von Zollgrenzen bitter nötig. Ein Umdenken begann erst Ende des 18. Jahrhunderts, als in England schon die mechanischen Webstühle ratterten. Den deutschen Reformern galt allerdings nicht nur das liberale Großbritannien als Vorbild, sondern auch der starke Zentralstaat Frankreichs. Beeindruckt von der französischen Effektivität sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in der Politik schufen sie zentral regierte Territorien und schraubten die ineffiziente Kleinstaaterei zu Beginn des 19. Jahrhunderts so nach und nach zurück.

Ein bedeutender Schritt zur wirtschaftlichen Integration gelang 1834. Der Deutsche Zollverein kann in seiner doppelten Bedeutung für die ökonomische Entwicklung und die politische Einheit gar nicht hoch genug geschätzt werden: Zwar sollte er durch die Abschaffung von Binnenzöllen sowie die Einführung von einheitlichen Maßen und Münzen vor allem den Handel forcieren. Dies ging jedoch mit einer Vertiefung der administrativen und politischen Beziehungen der Mitgliedsstaaten einher. Die Strukturen des europäischen Einigungsprozesses mehr als ein Jahrhundert später waren im Zollverein schon angelegt – was zeigt, welche Kraft der Freihandelsgedanke entfalten kann.

Diese Kraft behielt in Deutschland allerdings nicht durchgängig die Oberhand. Handelsregime sind immer auch Ergebnisse innenpolitischer Prozesse, in denen sich verschiedenen Interessengruppen gegenüber stehen. Ende des 19. Jahrhunderts schlug das Pendel mit Bismarcks Schutzzollpolitik zugunsten des Protektionismus aus. Die deutsche Landwirtschaft und die Industrie wollten sich damit gegen den Import von Getreide, Roheisen und Stahl und so auch gegen den Strukturwandel stemmen.

Im Nachhinein betrachtet wäre diese politische Schützenhilfe wohl nicht nötig gewesen. Denn  die deutsche Schwerindustrie hatte – insbesondere im heutigen Nordrhein-Westfalen – bereits begonnen, das aufzubauen, was noch heute ihre Stärke ist: die Produktion von hochwertigen Investitionsgütern, von Maschinen und Anlagen. Damit schufen die Unternehmen die Grundlagen für Deutschlands bis zum heutigen Tag anhaltende Exporterfolge. Die industriellen Strukturen und die Innovationskraft der Ingenieure halfen Deutschland schließlich auch, nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wieder an den Weltmarkt zurückzukehren und das „Wirtschaftswunder“ möglich zu machen.

Die zweite Komponente des Nachkriegsaufschwungs war die Einbettung Deutschlands in ein sich neu ordnendes, liberal geprägtes internationales Gefüge. Unter dem Eindruck des sich anbahnenden „Kalten Krieges“ entstanden so Institutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und das GATT (die spätere Welthandelsorganisation), die als multilaterale Organisationen das Klein-Klein bilateraler Verhandlungen ersetzten. In Europa kam zugleich der Prozeß der politischen Einigung mehr und mehr in Gang. Auf diesem „alten“ Kontinent mit seinen vielen Völkerschaften, Staaten, Regionen  und Traditionen – dem Flickenteppich Deutschlands des frühen 19. Jahrhunderts durchaus ähnlich – haben unsere Vorväter in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tiefe der beinahe völligen Zerstörung kommend gelernt, dass der grenzüberschreitende Handel, stabile Währungen und ein verlässlicher politischer Rahmen nicht nur nötig waren, um die Kriegsschäden zu beseitigen, sondern auch, um Frieden und Wohlstand für lange Zeit zu sichern. Mehr als 70 Jahre später kann niemand ernsthaft bestreiten, dass dies in beeindruckender Weise geglückt ist.

Ein wesentlicher Schritt auf diesem Weg war es, Westdeutschland nicht zu deindustrialisieren, sondern mit seiner wirtschaftlichen Stärke in die dafür offene,  liberale atlantische Welt aufzunehmen und einzubinden. Die Alliierten haben damit sowohl für die Bundesrepublik als auch für Europa eine wichtige und richtige Entscheidung getroffen. Denn Deutschland hat zum einen mit seinen Investitionsgütern zum Aufschwung der Welt beigetragen, sich zum anderen aber auch kontinuierlich für die europäische Einigung, Währungsstabilität und den Freihandel eingesetzt, indem es etwa nach dem Ende von Bretton Woods das Europäische Währungssystem und die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft voranzutreiben half.

Die Wiedervereinigung und die EU-Osterweiterung haben Deutschland sowohl geografisch als auch politisch unübersehbar in die Mitte Europas gerückt. Mit dem Euro, dem politischen Vermächtnis Helmut Kohls, ist der größte Währungsraum der Welt entstanden. So sehr man die EU für ihre ausgeuferte Bürokratie, ihre Demokratiedefizite und Bürgerferne auch kritisieren mag, so sehr ist sie doch eines der faszinierendsten und mutigsten politischen Projekte der Gegenwart. Ihre Existenz gründet in der Einsicht, dass das friedliche Zusammenleben von 500 Millionen Menschen sehr unterschiedlicher ethnischer, religiöser und  kultureller Herkünfte auf vergleichsweise engem  Raum nur auf der Grundlage gemeinsamer Werte gelingt: Dem Respekt vor der Würde des Einzelnen sowie einer staatlichen Ordnung, welche die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger achtet und gewährleistet, also ihre eigenen Grenzen kennt – kurz, die Werte des Liberalismus´ und der sozialen Marktwirtschaft.

Im Rahmen der demokratischen Willensbildung wird das Zusammenspiel von Staat und Bürgern immer wieder neu ausgehandelt. Die Stellung der Wirtschaft als wichtiger Teil der Gesellschaft und der Freihandel sind zentrale Themen dieser Auseinandersetzung. Gerade der grenzüberschreitende Handel mit Waren und Dienstleistungen wird dabei oft verkürzt betrachtet – und das nicht nur von seinen Gegnern, sondern gelegentlich auch von seinen Verfechtern, wenn sie jegliches staatliches Handeln als freiheitsgefährdenden Eingriff zu brandmarken versuchen.

Tatsächlich machen verlässliche Rahmenbedingungen sowie wie eine effektive und berechenbare Administration, eine an transparenten Leitlinien orientierte Wirtschaftspolitik und eine zweifelsfrei unabhängige Gerichtsbarkeit den freien Handel erst möglich. Ein dafür ganz offensichtliches Beispiel sind Kartellbehörden, die einschreiten, wenn die Marktmacht einzelner Unternehmen den Wettbewerb zu Lasten von Verbrauchern und der weiteren Marktteilnehmer gefährdet. Nur ein handlungsfähiges und mutiges Kartellamt garantiert Wettbewerb. Der Staat setzt mit alldem den Rahmen, der den Wettbewerb lebendig hält und ist damit als Akteur zur Gewährleistung eines wirklich freien Handels nicht wegzudenken.

Grenzüberschreitender freier Handel macht also den Staat nicht überflüssig, stellt aber die  Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt immer wieder auf die Probe. Und das kann im Binnenverhältnis durchaus auch regional-, bildungs- oder sozialpolitisch flankierende Maßnahmen erfordern. In einer Zeit globaler Veränderungen von durchaus dramatischer Tiefe und hohem Tempo – wie heute – sollte das unübersehbar sein. Die gegenwärtigen rechtspopulistischen Blähungen in den USA wie in Teilen Europas sind jedenfalls eine Warnung. Wer sie übersieht, hat schließlich die (nicht wenigen) Opfer des von der Globalisierung forcierten Strukturwandels gegen sich. Freier Handel überzeugt nur, wenn der ökonomische Fortschritt, den er unzweifelhaft mit sich bringt, mit gerechten Chancen auf den „Wohlstand für alle“ verbunden ist.

Deutschland hat als Exportnation von Weltrang ein überragendes Interesse an freien Märkten. Für uns im Herzen Europas geht es im  Ringen um die Formulierung und Realisierung liberaler Werte aber um mehr als das. Offene Märkte bedeuten eben  nicht nur einen möglichst barrierefreien Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital, sondern sie bedingen auch eine staatliche Ordnung, die schwindelfrei ist und die Balance hält, wo es um die Gewährleistung der Freiheit des und der Einzelnen  auf der einen und die Sicherung des Gemeinwohls und des Zusammenhalts der Gesellschaft auf der anderen Seite geht.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Wiedervereinigung hat Deutschland diese Verantwortung mit erheblichem Engagement vor allem auf europäischer Bühne wahrgenommen. Doch die Welt von heute und morgen hat längst neue Herausforderungen bereit. Es wird deshalb immer wichtiger, dass ein sich einiges Europa im Kräftespiel um eine neue Rangordnung der bisherigen Weltmacht USA und der neuen Weltmächte mit China an der Spitze seinen Platz findet und auch selbstbewußt wahrnimmt. Die Bereitschaft und die Fähigkeit, die eigene Sicherheit gewährleisten zu können, gehört unzweifelhaft dazu.

Unser Land ist unzweifelhaft eines der ökonomischen und politischen Schwergewichte in der EU. Das bedeutet mehr Verantwortung, aber sollte nicht zur Selbstüberschätzung verleiten. Den protektionistischen Tendenzen auf globaler Ebene können wir jedenfalls nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern wirksam entgegentreten. Die Erfahrung jedoch, in einer wechselvollen Geschichte stets vom Freihandel profitiert zu haben, sollte uns veranlassen, kräftiger als in den zurückliegenden Monaten Flagge zu zeigen, im Innern wie nach außen. Angesichts einer  momentan zunehmenden  Zahl von Kritikern und Gegnern des Freihandels macht es viel Sinn, mit offenem Visier für die Werte einzutreten, die Frieden und  Freiheit und dauerhaft Fortschritte im Kampf gegen Armut und die großen Krankheiten auf der Welt möglich machen.

Photo: brando from Flickr (CC BY 2.0)

Im Euro-Club kommt es zum Schwur. Das Sondierungspapier von SPD und Union geht schon im ersten Kapitel auf die Wirtschafts- und Währungsunion ein und billigt mehr Geld für die EU. Viel hilft viel, sind die angehenden Koalitionäre sich wohl einig. SPD-Chef Schulz ist stolz auf das darin erreichte. Jean-Claude Juncker auch. Letzter kann es auch sein, denn er hat geschickt über Bande gespielt und mithilfe seines alten Weggefährten Schulz die CDU/CSU zu einer Überführung des ESM in Unionsrecht gezwungen. Wolfgang Schäuble hatte dies als Finanzminister immer verhindert, um das deutsche Veto-Recht im ESM nicht aufs Spiel zu setzen.

Nunmehr hat Juncker einen wichtigen Etappenerfolg erzielt. Ob dieser Etappenerfolg der erste Schritt für Änderungen an der Finanzarchitektur der Eurozone bedeutet oder nur ein Pyrrhussieg ist, wird die SPD am Wochenende auf ihrem Parteitag entscheiden. Doch auch dann ist die Messe noch nicht gelesen. Sollte die Regierungsbildung aus Union und SPD kommen, dann ist die Überführung des außerhalb des EU-Rechts angesiedelten ESM in Unionsrecht längst nicht besiegelt. Für eine Überführung ist im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die die große Koalition im Parlament nicht mehr hat.

Dennoch schicken sich derzeit viele an, auf diesen Zug aufzuspringen. Letzte Woche präsentierten prominente Professoren aus Deutschland und Frankreich ein gemeinsames Papier, wie sie sich eine Weiterentwicklung der EU vorstellen. Deren prominenteste Vertreter von deutscher Seite, Clemens Fuest vom Ifo-Institut und Marcel Fratzscher vom DIW, suchen darin gemeinsam mit 12 weiteren Ökonomen über ideologische Grenzen hinweg einen Weg aus dem Dilemma der Eurozone. Allein die Überschrift ihres Papiers weist den Weg: „Wie Risikoteilung und Marktdisziplin in Einklang gebracht werden können: ein konstruktiver Vorschlag zur Reform des Euroraums“. Immerhin räumen sie mit einer Lebenslüge auf. Bisher galt die Euroschuldenkrise als überwunden. Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, mit der Bankenunion und dem Juncker-Fonds war man überzeugt, dass die Euro-Zone die Krise von 2010 überwunden hat und der institutionelle Rahmen weitere Überschuldungskrisen von Staaten und Banken in Europa verhindern würde.

Doch inzwischen mehren sich die Stimmen, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, um den Währungsraum als Ganzes zu erhalten. So schreiben die Autoren um Fratzscher und Fuest richtig „die Europäische Währungsunion weist nach wie vor erhebliche Schwachstellen auf, ihre institutionelle und finanzielle Architektur ist noch immer instabil.“ Ihre Vorschläge, die sie anschließend machen, sind jedoch ein typischer fauler Kompromiss. Die französischen Ökonomen bekommen etwas mehr Risikoteilung und die deutschen Ökonomen etwas mehr Marktdisziplin zugesprochen. Ihre sechs Reformvorschläge drücken diesen Kompromiss aus. Auf der einen Seite sprechen sie sich für die Eigenkapitalunterlegung der Banken beim Kauf von Staatsanleihen aus, auf der anderen Seite wollen sie eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung erreichen. Also hier etwas mehr Markt und dort etwas mehr Verantwortungslosigkeit. Dann wollen sie die Schuldenregeln aufweichen, aber gleichzeitig die Überwachung auf eine unabhängige Institution übertragen. Weiter schlagen sie einen aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten finanzierten Schlechtwetterfonds vor, der große Konjunkturkrisen abfedern soll. Der Kompromiss ist dabei, dass er anders als der ESM keine Möglichkeit haben soll, sich an den Finanzmärkten zu refinanzieren.

Dann schlagen sie die Schaffung eines „synthetisch sicheren Wertpapiers“ vor, das durch „die Kombination aus Diversifizierung und Vorrangigkeit“ zu „Sicherheit“ führen soll. Das erinnert sehr an 2007 und davor, als Landesbanken im großen Stil in solche „synthetisch sicheren Wertpapiere“ investierten, die so gut waren, dass selbst Ratingagenturen ihnen eine Höchstnote verpassten. Da fiel es dann auch nicht auf, wenn man dazwischen einige faule Papiere versteckte, Hauptsache die Schleife drumherum war hübsch.

An diesen Vorschlägen ist nicht viel Neues, außer die der Zusammenarbeit der Beteiligten selbst. Eine neue Dimension hat dabei, dass bekannte Ordnungsökonomen wie Clemens Fuest, Isabel Schnabel und Beatrice Weder di Mauro ihren bisherigen Pfad der Vernunft verlassen. Das sollte man ihnen nicht durchgehen lassen.

Erstmals veröffentlicht auf Tichys Einblick.

Photo: Stiftung Haus der Geschichte (CC BY-SA 2.0)

1968. Für die einen der Beginn ihrer Zeitrechnung und das eigentliche Ende des finsteren Mittelalters. Für die anderen der Untergang des Abendlandes und der erste apokalyptische Reiter. Das halbe Jahrhundert, das seitdem verstrichen ist, könnte uns lehren, dass beide Wahrnehmungen in die Irre führen. Ein Plädoyer für eine Neubewertung.

Die Revoluzzer sind bis an die Grenzen des Grotesken gezähmt

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt beklagte kürzlich „eine linke Meinungsvorherrschaft“. Solche Klage erinnern bisweilen an den Vorwurf der politischen Antagonisten, die, wie im letzten Jahr Martin Schulz, überall den „neoliberalen Mainstream“ wittern. In der Tat, Untersuchungen zeigen, dass die meisten Politikjournalisten, die sich parteipolitisch zuordnen würden, das bei den Grünen oder der SPD tun. Die wenigsten von ihnen sind aber hartgesottene Sozialisten, sondern eher progressive Freunde des deutschen Wohlfahrtsstaates. Mit dem Bereich der Ökonomie verhält es sich vergleichbar. Unter deutschen VWLern und Finanz- und Wirtschaftspolitikern gibt es einen relativ breiten Konsens, dass fiskalische Disziplin und Zurückhaltung bei staatlichem Interventionen die bessere Lösung sind. Damit sind sie aber (leider!) noch lange nicht leidenschaftliche Jünger der Ideen von Mises, Hayek und Friedman.

Es ist ein einfacher psychologischer Trick, dass wir anderen und auch uns selbst gegenüber den Gegner gerne stärker und bedrohlicher zeichnen als er wirklich ist. Auch die 68er haben mit dem Kampf gegen den „Muff von tausend Jahren“ maßlos übertrieben. So miefig waren die Jahre der frühen Bundesrepublik keineswegs. Im Gegenzug haben aber auch ihre Gegner den Einfluss der 68er überzeichnet wie auch die von ihnen vermeintlich ausgehende Bedrohung. Rückblickend kann man sogar feststellen, dass die 68er bis an die Grenzen des Grotesken gezähmt wurden: Joschka Fischer ist jetzt ein 110-prozentiger Westler. Alice Schwarzer kann es als Tugendwächterin mit Christa Meves aufnehmen. Rainer Langhans tritt bei RTL auf, während Uschi Obermaier die US-Staatsbürgerschaft angenommen hat.

Es war keine Revolution

So gerne Anhänger und Gegner der 68er-Bewegung es auch gehabt hätten: es war keine Revolution. Eine Revolution war die Machtergreifung der Nationalsozialisten oder der Fall von Mauer und Eisernem Vorhang. Was um 1968 herum geschah, hatte jedoch keineswegs eine die gesamten Verhältnisse umstürzende Wirkung. Das politische System blieb komplett intakt, die Parteien hatten davor und danach ähnliche Ergebnisse und auch die Mehrheit der Bevölkerung änderte nicht plötzlich ihr Verhalten. Es war, wie Dobrindt durchaus zutreffend beobachtet, eine Elitenbewegung. Doch obwohl die Aktivisten keinen Umsturz in Gang gebracht haben, gehen doch durchaus signifikante Veränderungen auf sie zurück: Vergangenheitsbewältigung und Umweltschutz, sexuelle Befreiung, Säkularisierung und Friedensbewegung, um nur einige zu nennen.

Diese Veränderungen kamen aber keineswegs abrupt, sondern entwickelten und entfalteten sich über mehrere Jahrzehnte hinweg. So begannen etwa die Proteste gegen Kernkraft Anfang der 70er Jahre und erst im Jahr 2000 wurde der Ausstieg eingeleitet. Die Homosexuellen-Emanzipation nahm im Jahr 1969 richtig Fahrt auf, 1994 wurde die rechtliche Ungleichbehandlung aufgehoben, 2001 die gleichgeschlechtliche Verbindung weitestgehend der Ehe gleichgestellt. Es dauerte also etliche Jahrzehnte bis sich die Ideen dieser Elitenbewegung so weit durchgesetzt hatten, dass politische und rechtliche Maßnahmen politisch denkbar und durchsetzbar wurden. Die 68er haben keineswegs eine Revolution durchgeführt, sondern Evolutionen angestoßen.

Wertewandel geht nur, wenn die Mehrheit mitspielt

Die Proteste waren ein Rundumschlag: gegen die vermeintlichen und tatsächlichen Nazi-Eltern, gegen Bigotterie und Prüderie, gegen Marktwirtschaft, gegen US-Imperialismus, gegen Standesdünkel und Bürgerlichkeit. Manches aus jener Zeit hat sich nicht einmal ansatzweise durchgesetzt: Kommunenleben mit sexueller Promiskuität ist nicht gerade ein Schlager unter den Lebensentwürfen. Die anti-amerikanischen Tendenzen werden bei Irak-Krieg und Anti-TTIP-Demos bisweilen zum Leben erweckt, werden aber eigentlich nur am rechten und linken Rand ordentlich kultiviert. Der bürgerliche Lebensstil ist derzeit wieder groß im Kommen. Stichwort „Neo-Biedermeier“. Und schließlich sollten sich die Leute, die in ihrer Jugend „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“ krakelt haben, zu den wichtigsten Wirtschaftsreformern seit Ludwig Erhard mausern.

Auf anderen Gebieten waren die Proteste durchaus erfolgreicher. Aber eben nicht von einem Tag auf den anderen, sondern in langsamen Wandlungsprozessen über Jahrzehnte hinweg. In einem evolutorischen Prozess haben sich in der Gesellschaft Werte verändert und neue Überzeugungen durchgesetzt. Man mag nicht alle diese Veränderungen begrüßen, aber sie sind eben auch nicht allein das Werk einer abgehobenen Meinungselite. Sie sind Ergebnis langfristiger gesellschaftlicher Akzeptanz. Die Menschen hierzulande sind durchaus fähig, sich ihre eigene Meinung zu bilden und Entscheidungen zu treffen. Sie haben ja auch keineswegs die vollständige Agenda übernommen, sondern das, was ihnen richtig oder plausibel erschien. Die veränderten Werte sind mehrheitsfähig.

Was Mises, Hayek und die 68er verbindet

Viele Errungenschaften der 68er sind auch aus liberaler Perspektive sehr zu begrüßen. Andere mag man erheblich kritischer sehen. Wenn man diese korrigieren will, muss man in den Wettbewerb der Ideen eintreten. Da hilft kein Jammern. Da hilft nur anpacken. Überzeugungsarbeit leisten. Weniger Selbstmitleid. Mehr Ausstrahlung.

Die 68er haben eindrücklich bestätigt, was Ludwig von Mises 1927 beobachtete: „Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“ Und durchaus im Geist des Protestes gegen den Status Quo kann man auch lesen, was Friedrich August von Hayek 1978 formulierte, als er die Bedeutung von nicht nur technischer, sondern auch moralischer Innovation für die Evolution der Kultur hervorhob: „Wir müssen zugeben, dass die moderne Zivilisation weitgehend dadurch möglich wurde, dass man den darüber empörten Moralisten kein Gehör schenkte.“ In diesem Sinne: Weg mit dem Muff unter den Talaren – von 1000 wie von 50 Jahren!