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Häufig sind scheinbare Zwänge nur die Folge individueller Prioritätensetzung. Das zeigen die Debatten über „bezahlbare“ Wohnungen und stagnierende Löhne – und die Geschichte des Bostoner Barbiers Leo, der seinen amerikanischen Traum lebt.

Leo, der Bostoner Barbier

Seit Kurzem wohne ich in Boston. Wie in jeder neuen Stadt, in die ich ziehe, ging ich direkt und voller Hoffnung auf ein langfristiges Vertrauensverhältnis auf die Suche nach einem neuen Barbier. Schließlich haben Barbiere für mich einen ähnlichen Stellenwert wie für manch andere der seit der Kindheit bekannte Zahnarzt. Dabei lernte ich Leo kennen. Leo ist nicht nur ein ganz wunderbarer Barbier, er erzählte mir auch eine erstaunliche Lebensgeschichte. Im Herbst 2019 kam er aus Brasilien in die USA. Ohne ein Wort Englisch zu sprechen und mit seinen zwei Kindern und seiner Frau im Schlepptau. Leo erwischte einen grauenhaften Start im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, denn kurz nach seiner Ankunft begann die Covid-Pandemie. Nichts mit Barbier. Er verdingte sich als Landschaftsgärtner und Bauarbeiter, lernte abends in Online-Kursen Englisch. Schließlich fand er einen Job als Barbier bei mir um die Ecke. Geschlagene zwei Auto-Stunden von seinem Wohnort entfernt und mit 12-Stunden-Schichten. Doch während des Erzählens grinste Leo wie ein Honigkuchenpferd. Er ist glücklich, dass er jeden Tag seiner Leidenschaft nachgehen kann, im Grünen wohnt, und seinen Kindern auch noch eine Zukunft in den USA ermöglicht. Eine Lehrstunde in Sachen Prioritätensetzung.

Prioritätensetzung – Eine vergessene Kunst des Menschen

Güter sind begrenzt, Bedürfnisse sind unendlich. Das ist vielleicht der grundlegendste Satz der Ökonomik. Und er gilt unabhängig vom Vermögen. Zwar erweitern sich die ökonomischen Möglichkeiten mit steigendem Einkommen sukzessive. Aber selbst ein Elon Musk kann nicht alles haben. Mit wachsender Güterausstattung verschieben sich nur die Ziele und Möglichkeiten. Während Otto Normalbürger vielleicht von einer Wohnung auf Mallorca träumt, träumt Musk von einer Kolonie auf dem Mars.

Dass Güter im Gegensatz zu Bedürfnissen begrenzt sind, ist der Ursprung allen ökonomischen Handelns. Es ist der Grund, warum Adam Smith der menschlichen Natur „the propensity to truck, barter, and exchange“ (die Neigung zum Handeln, Verhandeln und Tauschen) zuschreibt. Denn wir versuchen stets, unsere ökonomische Ausgangsposition zu verbessern. Und am besten geht das nun mal in Kooperation mit anderen. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass jeder Mensch auf der Welt das Leben von Elon Musk führen möchte. Denn während Güterknappheit universell ist, sind Präferenzen individuell. Es gibt keine zwei Menschen auf der Welt mit den exakt gleichen Präferenzen.

Die Quintessenz ist, dass Menschen, ob sie es wollen oder nicht, permanent ökonomisch handeln. Auf Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Güter und unserer Präferenzen treffen wir eine Myriade von Entscheidungen. Dabei setzen wir Prioritäten. Die wohl bekannteste Form der Prioritätensetzung ist das Sparen. Wir verzichten auf gegenwärtigen Konsum von Gut X, um uns in der Zukunft Gut Y leisten zu können. So profan das klingt, es ist eine faszinierende menschliche Eigenschaft. Versuchen Sie diesen Gratifikationsverzug mal ihrem Hund oder ihrem zweijährigen Kind beizubringen. Ebenso viel Verständnis für das Thema Prioritätensetzung wie bei diesen Lebewesen findet sich leider derzeit in den deutschen Debatten um Mietpreise oder Reallohnstagnation.

„Bezahlbare“ Wohnungen: Lage kostet!

„Suche: 3 Zimmer Altbauwohnung, top saniert, im Zentrum von Berlin, ruhig, in der Nähe guter Schulen und mit guten Einkaufsmöglichkeiten, nicht mehr als 1.000 Euro warm“. Selbst Nicht-Berliner werden wissen, wie utopisch dieses Wohnungsgesuch ist. Denn die Nachfrage nach Wohnungen dieser Art (sollte es sie überhaupt geben) ist derart groß, dass die Gütermenge, die die wohnungssuchende Person bereit ist, dafür einzutauschen (1.000 Euro pro Monat), viel zu gering ist. Sicher, viele Berliner Familien, die verzweifelt nach Wohnungen suchen, haben weitaus weniger weltfremde Vorstellungen.

Was allerdings oft bei der gesamten Diskussion um „bezahlbare“ Wohnungen in Vergessenheit gerät: Standort ist einer der zentralen Faktoren für die Bestimmung der Miete. Schließlich wäre im Zentrum von Frankfurt (Oder) eine solche Wohnung zu einem solchen Preis vermutlich zu bekommen. Wer in Friedrichshain, Mitte oder Schöneberg leben will, der setzt eine (große) Priorität auf den Standort seiner Wohnung und muss dafür vielleicht auf andere Dinge verzichten. Dass viele andere Menschen das derzeit auch machen und es deshalb immer teurer wird, ist für den Einzelnen bitter. Gerade, wenn er sich aufgrund der hohen Nachfrage das zentrale Wohnen überhaupt nicht mehr leisten kann. Deshalb aber zu fordern, dass durch politische Eingriffe die Preise für Wohnungen in exklusiven Lagen gesenkt werden, wäre genauso wie zu fordern, Jugendstilvillen in Berliner Vororten „bezahlbar“ zu machen.

Wohnen ist wie jede andere ökonomische Entscheidung eine Frage der individuellen Möglichkeiten und der Prioritätensetzung. Und Lage kostet nun mal. Ebenso wie Größe, Balkone oder ebenerdige Duschen. Andersherum gilt: Der Prenzlauer Berg in Berlin oder Eppendorf in Hamburg hätten niemals eine so beispiellose Aufwertung erfahren, hätte Prioritätensetzung (günstige, gut gelegene, aber dafür heruntergekommene Wohnungen) nicht irgendwann viele neue Bewohner in die Quartiere gespült. Tatsächlich egalisiert der Wohnungsmarkt mit seinem Priorisierungsdruck und wertet immer wieder neue Viertel auf, anstatt bestehende Unterschiede zu manifestieren.

Reallohnstagnation: Deutschland ist das Land des Freizeitreichtums

Zweites Beispiel: Reallohnstagnation. 1994 war das reale Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland in etwa so hoch wie in den USA. Seitdem ist es in Deutschland kaum gewachsen, in den USA hingegen gewaltig. Mittlerweile liegt das kaufkraftbereinigte Einkommen des durchschnittlichen US-Amerikaners rund 20 Prozent über dem eines Deutschen. Das nominale (also nicht bereinigte) Einkommen ist sogar ganze 20.000 US-Dollar pro Jahr höher. Wie ungerecht! Das riecht nach Ausbeutung.

Gleichzeitig werden in kaum einem anderen Land so wenige Stunden pro Jahr gearbeitet, wie in Deutschland. 35-Stunden-Woche und durchschnittlich 32 Urlaubstage im Jahr lassen grüßen. Zum Vergleich: Der durchschnittliche US-Amerikaner nimmt pro Jahr 10 Tage bezahlten Urlaub und arbeitet aufs Jahr gerechnet ganze 400 Stunden (1765 vs. 1354) mehr! Seit 1994 arbeiten Amerikaner im Schnitt 50 Stunden pro Jahr weniger, Deutsche dafür fast 200.

Natürlich sind die Gründe für die Reallohnstagnation nicht eindimensional. Explodierende Lohnnebenkosten und Überregulierung des Arbeitsmarktes spielen mit Sicherheit auch eine Rolle. Dennoch schafft es kaum ein anderes Land, das nicht über extensive Rohstoffvorkommen verfügt, mit so wenig Arbeitszeit so viel Einkommen zu erwirtschaften. Der Reallohn mag seit geraumer Zeit stagnieren, aber auch das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Der durchschnittliche Deutsche priorisiert mehr Freizeit über mehr Geld.

Von Leo lernen heißt glücklich sein

Ja, man kann nicht alles haben. Und das ist manchmal frustrierend. Aber häufig sind es keine bösen Mächte oder perversen Märkte, die einen in einen bestimmten Zustand zwingen. Man ist es selbst. Leo der Barbier fährt jeden Tag 4 Stunden Auto, weil die Mieten in Boston im Vergleich astronomisch sind und er gerne im Grünen wohnt. Dann arbeitet er 12 Stunden, um seinen Kindern eine Zukunft zu ermöglichen und weil er seinen Job liebt. Er weiß, warum er das macht, und ist damit glücklich. Er hätte auch in Brasilien bleiben können und müsste sich dann wenigstens nicht mit dem eiskalten Bostoner Winter herumschlagen. Er hat eine Entscheidung getroffen und übernimmt Verantwortung dafür. Wer angesichts ökonomischer Zwänge immer gleich nach Vater Staat ruft, gibt die Verantwortung für die eigenen Entscheidungen und die daraus entstehenden Konsequenzen Schritt für Schritt ab. Das macht nicht nur ohnmächtig, es macht auch unheimlich traurig.

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Was als Titel eines Artikels dramatisch klingen mag, ist in der Realität eine ernstzunehmende Gefahr für den politischen Liberalismus.

Beim Blick auf die mediale Darstellung von Kapitalisten und Sozialisten, sticht ein recht eindeutiges Sympathiegefälle ins Auge: Die Figur des Kapitalisten wird häufig als egoistischer Geizhals porträtiert, der naturgemäß die Rolle des Bösewichts einnimmt. Die Figur des Sozialisten hingegen hat reine Intentionen, kämpft selbstlos für das Wohl Anderer und will natürlich auch nach dem Happy End keinen Cent als Gegenleistung für seine Taten sehen. Solche Stereotype lassen sich leicht vermitteln und wunderbar für Geschichten jeder Art verwenden, vom Märchen bis zum Disney-Film. Dabei kann nur ein verhaltener Vorwurf gegenüber den Schriftstellern, Drehbuchautoren und Regisseuren gemacht werden. Manche von ihnen mögen nur ihre Chance auf ein erfolgreiches Werk erkennen, weil auch sie verstehen, dass ein Großteil der Bevölkerung auf solch klare Zuschreibung von Eigenschaften anspringt. Andere wiederum stehen wirklich hinter dem Sozialismus. Unabhängig von ihren Beweggründen sind wir es, die sich die Aufgabe zu Eigen machen müssen, ein besseres und überzeugenderes Narrativ zu etablieren.

Zudem sind die Vorstellungen, dass Besitz die Folge moralischer Verkommenheit sei, bereits Jahrtausende alt. Jedes Kind kennt den feuerspeienden Drachen, der seine Massen von Gold bewacht. Wohl jedes zweite Kind kennt die Geschichten von Dagobert Duck, einem Enterich aus den Mickey Maus Comic-Büchern, der einen großen Raum voll Geld besitzt und gern mal in seinen Taler-Bergen badet. Und auch die Zahnfee ist laut dem Forbes Magazin eine der reichsten fiktiven Personen – mit einem Vermögen von geschätzten 3,9 Milliarden US Dollar. Natürlich tritt nicht jeder, der einmal Mickey Maus gelesen hat, der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands bei. Es wäre jedoch ein Fehler zu unterschätzen, wie stark diese Narrative Einfluss auf die Meinungsbildung von Menschen nehmen können.

Wirklich deutlich wird das, wenn man mit den meisten Menschen über die Besteuerung von Superreichen wie zum Beispiel Elon Musk diskutiert. Nicht selten kommt in solchen Gesprächen die Frage auf, wieso man Musks Geld nicht einfach wegnehmen könne, um es umzuverteilen. Lassen wir die Missachtung von Eigentumsrechten einmal außen vor, verblüfft an dieser Stelle auch immer wieder die schiere Unwissenheit darüber, dass Elon Musk nicht sein gesamtes Vermögen als Scheine in einem Tresor stapelt. Der größte Teil davon existiert als Unternehmensanteil und kann nicht mal eben liquidiert werden. Wenn nun aber einmal eine negative Darstellung vieler Kapitalisten in Literatur und Film existiert und wir nicht das Risiko eingehen wollen, aus Versehen Motive wie Geiz und Gier anzupreisen, müssen wir uns möglicherweise eingestehen, dass wir schlichtweg keine wahrhaft liberalen Helden haben… oder?

Eine bekannte Geschichte, die mich als Kind besonders begeisterte, ist die von Robin Hood. Ich sah ihn als Helfer in Not, als wahren Idealisten, als mutigen Kämpfer für die Gerechtigkeit. Und später als offensichtlichen Sozialisten, der umverteilte, was es umzuverteilen galt. Erst vor kurzem entdeckte ich die Geschichte für mich neu und verstand, dass Robin Hood lediglich die viel zu hohen Steuergelder aus den Schatztruhen und Geldspeichern des englischen Königs zurückeroberte, die dieser zuvor gewaltsam von den ohnehin schon schuftenden einfachen Leuten eingetrieben hatte. Er gab den Menschen das hart erarbeitete Geld zurück, das ihnen rechtmäßig zustand. Nix mit Umverteilung! Robin Hood sollte als ein Pionier im Kampf für Eigentumsrechte, Freiheit und schließlich auch Marktwirtschaft gefeiert werden. Ein Liberaler wie er im Buche steht. Doch kaum jemand sieht so eine berühmte Figur als Liberalen – bei diesem konkreten Beispiel haben die Sozialisten die Geschichte für sich beansprucht. Wie könnte auch ein gutherziger Liberaler, mehr noch, ein gutherziger „Kapitalist“ ein Held des Volkes sein?  Man müsste seine Vorurteile gegenüber Liberalen ablegen und einsehen, dass Wohlstand für alle kein egoistischer Akt ist, um Robin Hood als liberalen Freiheitskämpfer anpreisen zu können.

Sind nun alle sozialistischen Helden nur verkannte Liberale? Es würde uns auf jeden Fall guttun, einige altbekannten Interpretationen von Helden – und Bösewichten – zu hinterfragen. Und noch was: Wir sollten den Mut haben, neue Helden zu kreieren. Denn am Ende denkt der Mensch in Geschichten. Sie sind die Brille, durch die wir täglich die Welt wahrnehmen und einordnen, sie beeinflussen, wen wir lieben, und können sogar über Krieg und Frieden entscheiden. Machen wir also den Mund auf und nehmen wir den Stift in die Hand, wann immer wir können! Bei unserem Kampf für eine offenere, freiheitlichere Gesellschaft brauchen wir nicht nur liberale Denker, sondern vor allem liberale Erzähler. Und bringen Sie ihren Kindern bei, die Zahnfee sei eine von uns.

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Politische Maßnahmen folgen häufig einer Wunschvorstellung. Sei es bei der Familienpolitik, der Drogenpolitik oder auch der Wirtschaftspolitik. Politiker und Politikerinnen haben eine fast schon bildliche Vorstellung davon, wie beispielsweise ein Idealtyp einer Familie oder eines Unternehmers aussehen muss. Nicht zuletzt zeigt sich diese Visualisierung der politischen Ideale alle paar Jahre, wenn Wahlen anstehen und die Straßen von Wahlplakaten gesäumt sind, auf denen die verheißene Idealwelt abgebildet wird. Von wohl kaum einem anderen Bereich besteht eine so ausgeprägte visuelle Vorstellung wie von der Landwirtschaft. Grasende Kühe, freilaufende Schweine, dort der Bauer, da die Bäuerin und am besten noch ein paar Hühner. Dass die Realität diesem kleinbäuerlichen Bullerbü nicht entspricht, muss nicht erwähnt werden. Politische Maßnahmen zielen jedoch auf dieses vermeintliche Idealbild ab. Die Subventionierung landwirtschaftlicher Betriebe hat in der Europäischen Union und insbesondere auch in Deutschland eine lange Tradition. Während es bei Einführung der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) darum ging, ausreichend günstige Lebensmittel zu produzieren und Landwirten ein gesichertes Einkommen zu garantieren, werden inzwischen die Subventionen immer mehr an Bedingungen geknüpft: Um Landwirte nach bestimmten Bewirtschaftungsformen arbeiten zu lassen oder auch, um bestimmte Strukturen aufrecht zu erhalten. Immerhin machen die Subventionen der GAP je nach Bundesland bis zur Hälfte des Einkommens aus.[1] Doch ist es richtig, einer ganzen Branche mehr oder weniger vorzugeben, wie sie zu wirtschaften hat? Ist es richtig, womöglich künstlich Geschäftsmodelle am Leben zu halten?

Mit dem Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine im Februar dieses Jahrs hat sich für den landwirtschaftlichen Sektor vieles verändert. Die Ukraine als eine der größten Exporteure für landwirtschaftliche Erzeugnisse leidet stark unter den Angriffen und viele Teile der landwirtschaftlichen Infrastruktur sind zerstört worden. Die Blockade der Seewege durch das russische Militär erschwert und verunmöglicht den Export. Infolgedessen sind die Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse stark angestiegen. Aber nicht nur auf den Agrarmärkten gab es Veränderungen, die Auswirkungen auf den Landwirtschaftssektor haben, sondern insbesondere auch auf den Energiemärkten. Denn neben der Produktion von Lebensmitteln zählt auch die Produktion von Energie zu einem Standbein der Landwirtschaft, welches das Potenzial hat, wesentlich zur Energieversorgung beizutragen. Ein konkretes Beispiel ist Dänemark. 30% des Methangases in Dänemark wird aus Biogas gewonnen. In Deutschland werden durch diese Form der Biogasnutzung nur etwa 1% des Methangases bereitgestellt. Wie kommt es zu dieser großen Differenz? Im Gegensatz zu Deutschland hat Dänemark auf Großanlagen gesetzt, während man in Deutschland auf Kleinanlagen und komplizierte Förderungen durch das EEG gesetzt hat. Nun zeigt sich, dass die Unternehmen in Dänemark, welche die Anlagen betreiben, über die Jahre deutlich größere Kapazitäten haben aufbauen können. In Deutschland hingegen flammt die Tank-statt-Teller-Diskussion einmal mehr auf und Vorbehalte gegen Biogasanlagen werden geschürt, indem ein undifferenzierter Vergleich von Brotgetreide und Energiepflanzen vorgenommen wird.

Nicht dass skandinavische Staaten dafür bekannt sind, Unternehmen möglichst frei von Staatseingriffen zu halten.[2] Aber in Bezug auf das typische Idealbild der Landwirtschaft und den Innovationsgrad der dort angesiedelten landwirtschaftlichen Unternehmen besteht ein deutlicher Unterschied zwischen Deutschland und Dänemark, welcher nun zeigt, dass kleinbäuerliche Strukturen nur mit höherem Aufwand in der Lage sind, gebündelt zu agieren, um eine ähnliche Rolle in der Energieversorgung zu spielen. Insbesondere dann, wenn aufgrund politischer Ideale Innovationen und Expansion nicht gewollt ist, weg vom russischen bzw. fossilen Erdgas zu kommen, indem mehr Biogas in das Netz eingespeist wird.

Was hätte also besser gemacht werden können? Unternehmen sollten nicht danach gefördert werden, ob sie einem politischen Idealbild entsprechen. Im Gegenteil: Unternehmerische Vielfalt, auch in der Landwirtschaft, fördert den Wettbewerb. Dabei ist es zweitrangig, wie groß das Unternehmen, wie alt dieses ist oder ob es die bestehenden Strukturen aufbricht und Neues wagt. Vielmehr sollte ein ebenbürtiges Spielfeld geschaffen werden, auf dem sich sowohl neue und bestehende Akteure begegnen können, sodass der/die Bessere gewinnen möge. Dazu gehört auch, dass es Verlierer geben muss, die eine Niederlage akzeptieren und ihr Feld räumen, anstatt dass politische Ideale künstlich am Leben gehalten werden.


[1] https://www.agrarheute.com/management/finanzen/direktzahlungen-subventionen-bekommen-bauern-meisten-581147#:~:text=Nach%20den%20Daten%20des%20BMEL,des%20b%C3%A4uerlichen%20Einkommens%20aus%20Subventionen.

[2] Sanandaji, Nima, Scandinavian Unexceptionalism: Culture, Markets and the Failure of Third-Way Socialism (June 23, 2015). Institute of Economic Affairs, Monographs, Available at: http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3895124.

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Die Preise für Lebensmittel sind im vergangenen Monat um 11,1 Prozent gestiegen. Wir spüren das beim Kauf von Butter, Milch und anderen Grundnahrungsmitteln. Natürlich ist die Grundlage für diese Inflation bei der Geldpolitik zu suchen. Ansonsten würden ja bei gleicher wirtschaftlicher Lage die Preise an anderer Stelle sinken. Doch das tun sie nicht. Die Preise steigen insgesamt an. Der breite Warenkorb des Statistischen Bundesamtes hat im vergangenen Monat einen Anstieg von 7,9 Prozent errechnet. Daher ist klar, dass die Pandemie und der Ukraine-Krieg zwar die Lieferketten unterbrochen haben, aber dies nicht die Ursachen der Inflation sind. Die Ursache liegt im aufgestauten Geldüberhang der EZB, der jetzt auf eine Angebotsverknappung trifft. So kommt der Geldüberhang bei den Konsumgüterpreisen an und trifft die breite Masse der Bevölkerung.

Doch was kann in einer solchen Situation getan werden? Natürlich muss die EZB, so bitter diese Entwicklung für die am Tropf der billigen Zinsen hängenden Banken, Industrie und Häuslebauer ist, die Zinswende einleiten. Sie hätte es längst tun müssen. Aber auch andere können etwas tun. Die EU-Kommission könnte einseitig die Zölle auf Milcherzeugnisse, Fleisch, Getreide und Zucker abschaffen oder zumindest aussetzen. Trotz drohender Versorgungsprobleme durch den Ukraine-Krieg erhebt die EU Zölle von über 50 Prozent auf diese wichtigen Lebensmittel und verteuert damit zusätzlich die Preise. Gleichzeitig sorgt die EU mit ihrem Flächenstilllegungsprogramm in der Landwirtschaft dafür, dass auf 3 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr angebaut werden kann. Deutschland hat dies sogar auf 4 Prozent ausgeweitet. Der Abbau von 4 Prozent landwirtschaftlicher Fläche beträgt umgerechnet rund 4 Millionen Hektar Produktionsfläche. Dies entspricht dem Importbedarf an Weizen von Ägypten, Äthiopien, Marokko, Südafrika und Tunesien, der in der Vergangenheit im Wesentlichen aus Russland und der Ukraine bedient wurde. Jetzt droht in Afrika eine Hungerkatastrophe.

Eine Antwort auf diese Entwicklung ist also der Abbau von Handelsbeschränkungen. Dies muss ohne Tabus und Partikularinteressen erfolgen. Wir brauchen mehr Freihandel und mehr Globalisierung. Deutschland könnte damit anfangen und endlich das bilaterale Handelsabkommen mit Kanada (CETA) ratifizieren und gleichzeitig der Welthandelsorganisation WTO neues Leben einhauchen. Der Westen muss mit mehr Kooperation untereinander auf die Zeitenwende durch den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine reagieren. Ansonsten sind die ökonomischen und humanitären Folgen verheerend.

Vielleicht sollte sich der Westen am ersten Freihandelsabkommen der Neuzeit ein Beispiel nehmen. 1860 haben Frankreich und England das erste Freihandelsabkommen geschlossen, bei dem England einseitig auf alle Zölle und Handelsbeschränkungen verzichtet hat. Der Initiator dieser Freihandelsbewegung, der Liberale Richard Cobden, schaffte es, diese Freiheitsidee nicht nur in England zu verbreiten, sondern in der ganzen Welt. Ohne ihn hätte es die Globalisierung, die internationale Arbeitsteilung und den wachsenden Wohlstand des späten 19. Jahrhunderts in dem Ausmaß nicht gegeben. Bei allen Rückschlägen, die wir aktuell durch den Angriffskrieg auf die Ukraine erfahren, ist die Idee des Freihandels aktueller denn je. Die Abschottung und die Rückabwicklung führen nicht zu einer friedlicheren Welt, ganz im Gegenteil. Und deshalb ist das, was Richard Cobden bereits im April 1842 schrieb, immer noch richtig. „Der Freihandel wird unweigerlich, indem er die wechselseitige Abhängigkeit der Länder untereinander sichert, den Regierungen die Macht entreißen, ihre Völker in den Krieg zu stürzen.“

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Von Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Florian Rösch, Masterstudent Money and Finance an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt.

Entgegen dem weit verbreiteten Eindruck, dass die Erwerbstätigkeit immer mehr den gesamten Alltag bestimmt, nimmt die Erwerbstätigkeit heute weniger Zeit in Anspruch als in der nahen und fernen Vergangenheit.

Vier-Tage-Woche oder gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen? Die Forderung nach einer Verkürzung der Erwerbszeit, am besten bei vollem Lohnausgleich, darf in keinem Wahlkampf fehlen.

Aber arbeiten wir tatsächlich immer mehr, sodass unsere Familien und Hobbies leiden und es einer politischen Reduzierung des Erwerbsumfangs bedarf? Zwar mag für einige der Umfang der Erwerbstätigkeit sehr hoch sein, doch lässt sich diese Beobachtung nicht verallgemeinern, wie ein Blick auf verschiedene Statistiken zur Zeitverwendung zeigt.

Deutschland: Ein genauerer Blick

Das Statistische Bundesamt führt in großen Abständen Befragungen über die Zeitverwendung der Bevölkerung durch. Die Erhebung untersucht wie Menschen die 24 Stunden eines Tages verwenden. Für die Zeit nach der Wiedervereinigung liegen bisher zwei Erhebungen vor, die in den Jahren 1990/91 und 2012/13 durchgeführt wurden.

Während 1990/91 jeder Deutsche im Durchschnitt 3 Stunden und 14 Minuten eine Erwerbstätigkeit ausübte, sind es 2012/13 nur noch 2 Stunden und 43 Minuten – eine Reduzierung von 16 Prozent. Männer sind 1990/91 im Durchschnitt 4 Stunden und 25 Minuten ihrer Erwerbstätigkeit nachgegangen. 2013/14 sind es noch 3 Stunden und 19 Minuten. Das entspricht einem Rückgang von fast 25 Prozent.

Im Vergleich zu Männern ist die durchschnittliche Zeit, die Frauen mit Erwerbstätigkeit verbringen, nahezu gleichgeblieben, mit einem leichten Rückgang von 2 Minuten auf 2 Stunden und 9 Minuten. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Frauenerwerbsquote im Vergleich zu der der Männer seit 1991 deutlich stärker angestiegen ist. Trotz der gestiegenen Erwerbsbeteiligung bei Frauen ist für die Bevölkerung als Ganzes ein Trend zu weniger Erwerbszeit pro Tag auszumachen.

Schlafen und ein „bisschen“ Haushalt

Doch womit verbringen wir unsere Zeit, wenn wir nicht gegen Bezahlung arbeiten? Die Erwerbstätigkeit macht zumindest nur einen kleinen Teil aus und ist erst die viertgrößte Position.

Die meiste Zeit des Tages verbringen die Deutschen schlafend. Im Durchschnitt schlafen wir knapp 8,5 Stunden am Tag. Nach dem Schlaf nehmen die Haushaltsführung und Betreuung der Familie die meiste Zeit des Tages in Anspruch. Für die Haushaltsführung wenden die Deutschen im Durchschnitt 3 Stunden und 7 Minuten am Tag auf. Das ist deutlich weniger als 1990/91, als die Haushaltsführung täglich noch gut eine halbe Stunde mehr in Anspruch nahm. Auf die Haushaltsführung folgt die Mediennutzung mit gut 3 Stunden, die im Vergleich zu 1990/91 um eine halbe Stunde anstieg. Diese Entwicklung trifft Männer und Frauen im ähnlichen Maße.

Die Zeit, die wir mit Sport, Hobbys und Spielen verbringen, ist leicht von 1 Stunde und 8 Minuten auf 59 Minuten gesunken. Diese unerwartete Entwicklung kann mit der deutlich intensiveren Mediennutzung erklärt werden. Die Nutzung von Medien wie Handys oder Computer in der frei verfügbaren Zeit hat deutlich an Bedeutung gewonnen.

Die Zeit, die die Befragten mit Bildungsaktivitäten zubringen, liegt nach wie vor stabil bei etwa einer halben Stunde am Tag. Zusammenfassend verbringen wir mehr Zeit mit angenehmen Dingen wie Hobbys oder dem sozialen Leben und weniger Zeit mit der Arbeit oder der Haushaltsführung.

Erwerbstätigkeit historisch niedrig – nicht nur in Deutschland

Ein Blick auf einen längeren Zeitraum lässt erkennen, dass der Trend zu weniger Erwerbszeit außerhalb des eigenen Haushalts pro Tag in Deutschland nicht erst seit den 1990er Jahren besteht. Seit 1870 gingen die jährlichen Erwerbsstunden von Vollzeitbeschäftigten um fast 60 Prozent zurück.

Eine ähnliche Entwicklung kann auch in anderen Staaten beobachtet werden. In Frankreich gingen die jährlichen Erwerbsstunden seit 1870 um mehr als 50 Prozent zurück. Im Unterschied zu Deutschland stagnieren dort die Zahlen seit dem Jahr 2000. In den USA kam es seit 1870 zu einem Rückgang von über 40 Prozent. In allen drei Ländern ist die Erwerbszeit historisch niedrig. Im selben Zeitraum stieg das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Deutschland um mehr als das 15-Fache, in Frankreich um mehr als das 12-Fache und in den USA um mehr als das 11-Fache. Die Reduktion der Erwerbszeit ging also mit einem starkem Anstieg des Wohlstandes einher.

Der Rückgang der jährlichen Erwerbsstunden von Vollzeitbeschäftigten wird nicht nur durch einen Rückgang der wöchentlichen Erwerbszeit begleitet, sondern auch durch einen Anstieg der erwerbsfreien Tage, wie Urlaubs- und Feiertage. Die Anzahl der freien Tage stieg vor allem in Deutschland und Frankreich stark an. Während 1870 im Durchschnitt in Deutschland jeder Vollzeitbeschäftigte nur 13 freie Werkstage hatte, waren es 43 Tage im Jahr 2000.

Die Arbeit – Lebensmittelpunkt unseres Alltags?

Entgegen dem weit verbreiteten Eindruck, dass die Erwerbstätigkeit immer mehr den gesamten Alltag bestimmt, nimmt die Erwerbstätigkeit heute weniger Zeit in Anspruch als in der nahen und fernen Vergangenheit. Wir arbeiten weniger und haben mehr freie Tage.

Trotz weniger Erwerbszeit stieg der materielle Wohlstand deutlich. Diese Erkenntnis lässt hoffen, dass auch in Zukunft Wohlstandsgewinne mit weniger Erwerbszeit zu erreichen sein werden. Politischen Handlungsbedarf, um einem vermeintlichen Trend zu immer längeren Erwerbszeiten entgegenzuwirken, scheint es jedenfalls nicht zu geben.

Erstmals erschienen bei IREF.