Photo: SidewaysSarah from Flickr (CC BY 2.0)

Bei der Abstimmung in der Türkei hat sich einmal wieder eine starke Spaltung innerhalb eines Landes offenbart. Um dieses weltweite Problem in den Griff zu bekommen, müssen zwei Ideen wieder stark gemacht werden: Dezentralisierung und Depolitisierung.

Die Polarisierung eskaliert

Februar 2014. Die Schweiz stimmt mit knapper Mehrheit für eine Initiative „Gegen Masseneinwanderung“. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es eine tiefe Kluft gibt zwischen der Bevölkerung in den urbanen Gegenden und der Landbevölkerung. In Basel stimmen über 60 Prozent der Wahlberechtigten gegen die Initiative, im Tessin stimmen nahezu 70 Prozent dafür. Ähnlich dramatische Unterschiede zwischen einzelnen Landesteilen – meist aufgeteilt in Stadt und Land – konnte man bei den Präsidentenwahlen 2013 in Tschechien, 2015 in Polen und zuletzt vor wenigen Monaten in Österreich erkennen. Bei der Abstimmung zum Brexit im vergangenen Juni sprachen sich im Großraum London 60 Prozent der Urnengänger dagegen aus, während die Befürworter eines Austritts aus der EU in ländlichen Gegenden zum Teil ebenso deutliche Zustimmung verzeichnen konnten. Bei der Wahl in den USA konnte Clinton in Kalifornien, Hawaii und im Nordosten der USA bis zu 60 Prozent der Wählerstimmen holen während Trump ähnliche und noch bessere Ergebnisse im Landesinneren erzielte. Die Abstimmung über die Verfassungsreform in der Türkei folgte diesem Trend. Und bei der bevorstehenden Wahl in Frankreich dürften auch ähnliche Tendenzen zu beobachten sein.

Dass es einen zum Teil erheblichen Unterschied im Wahlverhalten zwischen Stadt- und Landbevölkerung gibt, hätte keinen besonderen Nachrichtenwert. Die Wähler in ländlicheren Gegenden waren schon immer etwas konservativer als ihre Mitbürger in den Städten. Mit der jüngsten Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen radikalisieren sich aber auch die entsprechenden Milieus in zunehmendem Maße. Persönlichkeiten wie Trump oder Erdogan, aber auch der tschechische Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg oder der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen polarisieren. Und je stärker sich die eine Seite des Spektrums aus Empörung über die andere in ihrem Lager verschanzt, umso mehr sieht sich die Gegenseite zu einer ganz ähnlichen Reaktion gedrängt. Die Gräben vertiefen sich immer mehr und die Fliehkräfte innerhalb der Gesellschaften nehmen an Dynamik zu.

Ursache: Das Wuchern der Politik

Die Unaufgeregtheit oder gar Langeweile der Politik nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und während der rasanten Globalisierung der letzten 25 Jahre ist nicht nur vorbei, sie verkehrt sich zurzeit ins Gegenteil. Am rechten und linken Rand werden die Profite dieser Entwicklung eingesackt. Und manch ein vernünftiger Mensch stellt gar mit zynischem Masochismus fest, es sei doch zu begrüßen, dass nun endlich wieder Bewegung in die Debatten komme. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade die Öde der Politik in den vergangenen Jahren war eine Grundlage für ungestörtes Handeln und Wandeln der Bürger und mithin auch des wachsenden Wohlstands. Weil wir diese apolitische Ära aber nicht künstlich wiederherstellen können, müssen wir nun nach anderen Möglichkeiten suchen, die Spirale der gegenseitigen Radikalisierung auszubremsen.

An der Wurzel des Problems sind zwei Phänomene zu finden, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wirkmächtiger geworden sind: Die Verlagerung von Kompetenzen auf Zentralregierungen, insbesondere in klassischerweise föderal strukturierten Staaten wie Deutschland und den Vereinigten Staaten. Und zweitens, auch in traditionell zentralistisch regierten Staaten: Die beständige Ausweitung des Tätigkeitsfeldes von Politik durch Regulierungen und Transfers. Je mehr Entscheidungen getroffen werden und je spezifischer sie sind, umso mehr Gelegenheiten bieten sich für die eine oder andere Gruppe, daran Anstoß zu nehmen. Wenn etwa in der Bildungspolitik die linksliberale urbane Elite für ein ganzes Land die verbindlichen Leitlinien vorgibt, verärgert das verständlicherweise traditionsbewusste Familien. Wenn konservative Politiker ein Betreuungsgeld einführen, stoßen sie damit progressive Bevölkerungsgruppen vor den Kopf.

Frieden durch weniger Politik

In der Politik gilt eben nicht nur das Prinzip: Je mehr man regelt und umverteilt, desto mehr Wählergruppen kann man sich erschließen. Sondern auch: … desto mehr Menschen kann man erzürnen. So entstehen die Gefühle, nicht ausreichend beachtet zu werden, ungerecht behandelt zu werden, marginalisiert oder gar aktiv bekämpft zu werden. Jede politische Entscheidung, die spezifische Vorgaben macht und konkret wird, erhöht irgendwo in der Bevölkerung das Wut-Potential. Und diese Wut richtet sich natürlich gegen die Gruppe, die vermeintlich oder tatsächlich von dieser Entscheidung profitiert. Anstatt nach friedlichem Konsens zu suchen, wird das wichtigste Ziel von Politik nun die Hegemonie, also das Gewinnen von Mehrheiten, um die Gesellschaft im eigenen Sinne fundamental umzugestalten.

Um die Spaltung zu überwinden, müssen wir vor allem an den zwei oben beschriebenen Phänomenen ansetzen: Eine Dezentralisierung, also die Rückverlagerung von Entscheidungskompetenzen auf niedrigere Ebenen kann mehr Pluralismus ermöglichen. Wer mit der politischen Großrichtung in seinem Bundesland, seiner Stadt oder seinem Kanton nicht zufrieden ist, hat bei kleinen Einheiten eine wesentlich einfachere Möglichkeit, dorthin zu wechseln, wo sie oder er sich wohler fühlt. Ebenso wichtig ist eine Depolitisierung. Indem weniger detailliert geregelt wird und weniger umverteilt wird, reduziert man die Gelegenheiten zu Konfrontation. Eine freiheitliche Demokratie ist nicht dann gut, wenn die Leute sich streiten wie die Kesselflicker. Sie ist vielmehr umso besser, je weniger Anlässe es zum Streiten gibt. Denn dort, wo Politik sich einmischt und dem Bürger nicht die eigene Entscheidung überlässt, drohen meist Ungerechtigkeiten, Wut, Spaltung und niemals endende Kämpfe.

3 Kommentare
  1. Dr. Hans-Joachim Radisch
    Dr. Hans-Joachim Radisch sagte:

    Problem und Lösung gut erkannt. Allerdings geht das Problem noch tiefer: Jede Maßnahme sozialer Wohltat – und um diese verbreiten zu können, sind ja die allermeisten Politiker ausdrücklich politisch tätig – erfordert neue Abgrenzungen zwischen den Bezugsberechtiugten und allen anderen und neue Kontrollen aller, um die Einhaltung der Abgrenzungen sicherzustellen. Damit schafft jede auch noch so geringe soziale Wohltat für einen noch so kleinen berechtigten Empfängerkreis notwendigerweise Kontroll- und Überwachungsnotwendigkeiten für alle Bürger.

    Man muß deshalb ohne wenn und aber konstatieren, daß mit jeder neuen Maßnahme von Politik uns Verwaltung, die nicht alle Bürger gleichermaßen begünstigt, zwangsläufig für alle die Freiheit beschränkt wird und sich für alle das Gefühl staatlicher Überwachung, Drangsalierung und Repression verstärkt. Auch das vertieft die Gräben zu Politik und Verwaltung und zu den durch staatliche Maßnahmen jeweils Begünstigten.

    In gleicher Weise wirkt jede Maßnahme europäischer Harmonisierung und/oder Vereinheitlichung: Alle europäischen Staaten versuchen, ihre eigenen Wohltaten und oder Beschränkungen den Bewohnern der anderen europäischen Staaten aufzuerlegen. Soweit sie sich damit durchsetzen, verstärken sie dort – in den anderen europäischen Staaten – den Zwang zur Veränderung und erzeugen neue staatliche Pression. Gleichzeitig – weil für jeden exportierten Zwang im europäischen System des Geben und Nehmen der Import eines in anderen Staaten herrschenden Zwangs akzeptiert werden muß – müssen sie die eigenen Bürger neuen Zwängen aussetzen.

    Mehr EU durch mehr Harmonisierung und Vereinheitlichung führt deshalb für alle europäischen Bürger seit langem immer deutlicher wahrgenommen, zu mehr Unfreiheit und Ablehnung gegen eine solche EU. Sie muß deshalb Scheitern.

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  2. KoelnerJeck
    KoelnerJeck sagte:

    Was gegen Spaltung hilft? Weniger Politik, mehr Freiheit – und absolute Achtung der Eigentumsrechte. Wir brauchen mehr Mises und weniger Marx! Werdet Libertär!

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  3. detlef orth
    detlef orth sagte:

    Nur kurz will ich reagieren:
    1) was bezwecken Sie mit der Aussage „Die Wähler in ländlicheren Gegenden waren schon immer etwas konservativer als ihre Mitbürger in den Städten“?

    Das
    klingt in meinen Ohren als ob konservativ schon grundsätzlich was
    schlechtes sei, als ob Brexit, Ausländeriniative in der Schweiz und
    Trump usw. schlecht sei.

    2) was soll weiter
    Unten der Vergleich von Trump mit Erdogan? Das ist schief, ganz schief,
    so was hier zu finden, dann kann man ja gleich bei den MSM bleiben.

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