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Photo: „Gentoo penguin walking“ by Kathleen from flickr (CC BY 2.0)

Auch in der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends waren sich viele Intellektuelle in einer Sache sicher: Der Untergang der Zivilisation oder wahlweise auch der ganzen Menschheit steht kurz bevor. Das einzige, worauf sich die Untergangspropheten nicht einigen konnten: Wie wird das Ende aussehen?

Aus dem rechten politischen Lager kriecht der Untergang der westlichen Welt heran in Form von dekadenten arbeitsfaulen jungen Menschen, die sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, an deren Zustandekommen sie keinerlei Anteil hatten.

Für die Linken geht die Welt zu Grunde, weil der Kapitalismus seine Versprechen eines gesamtgesellschaftlichen Wohlstands nicht erfüllen kann, die Arbeiter der globalen Peripherie verarmen lässt und schließlich im Chaos untergehen dürfte.

Von Rechts über Grün bis Links – allen Untergangs-Propheten gemein ist ihr Stolz das „Große und Ganze“ erkannt zu haben. Schließlich hatte jede Richtung ihre Krisen im letzten Jahrzehnt … Die Apokalypse droht von der Zerstörung westlicher Kulturen („Flüchtlingskrise“), den systemischen Probleme des globalen Kapitalismus („Finanzkrise“) oder vom allumfassenden Umweltdesaster („Klimakrise“). Untergangs-Prophetie findet Anklang, weil sie die Illusion erweckt, dass Geschichte ohne Zwischenschritte wie ein großes Pendel von einer großen Entwicklung zur nächsten schwingt. Das führt dazu, dass man sich entweder dem Fatalismus ergibt, weil man sowieso nichts ändern kann, oder den totalen, tiefgreifenden, revolutionären Umsturz herbeisehnt, da die kleinen Schritte nichts zu ändern vermögen.

Doch verschließt dieser Blick auf das vermeintlich „Große und Ganze“ oft den Blick auf die wahrhaft großen Veränderungen durch die kleinen Schritte vieler Unternehmer, Arbeiter und Politiker auf der ganzen Welt. Die nun zu Ende gehende Dekade ist der Inbegriff dieser Veränderungen.

Drei Entwicklungen der letzten zehn Jahre zeigen uns, wie eine Verbesserung der Welt möglich ist, in stetigem Wandel statt in ruckartigen Umstürzen.

Der wichtigste Indikator dieser beständigen positiven Veränderung während der letzten zehn Jahre ist der weltweite Rückgang der extremen Armut. Während 1990 noch 36% der Menschheit in extremer Armut lebten, waren es zu Beginn der Dekade schon nur noch 10%. Und 2018 fiel der Anteil der extrem armen Menschen nach Berechnungen der Weltbank auf 8,6%. Weil sich relative Zahlen so abstrakt anhören, kann man es auch so ausdrücken: In den letzten zehn Jahren entkamen 158.000 Menschen der extremen Armut – und das jeden Tag.

Eine zweite Entwicklung, die mit dem Entkommen aus der Armut eng zusammenhängt, aber häufig missachtet wird, ist der Anstieg der Lebenserwartung: laut dem Ökonomen Max Roser ist das der wichtigste Indikator für die Gesundheit eines Volkes. Während 2010 der durchschnittliche Erdenbürger nur 69,9 Jahre alt wurde, wurde er 2018 schon 72,4 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung während der letzten zehn Jahre steigerte sich also jeden Tag um ca. 7 Stunden.

Eine Steigerung der Lebenserwartung ist aber kaum möglich ohne eine Reduzierung der Kindersterblichkeit. Während die Welt 2010 noch den Tod von 51 von 1000 Kindern unter fünf Jahren beklagen musste, waren es 2018 nur noch 28 Kinder. Fast ein Drittel weniger Kinder unter fünf Jahren sterben im Vergleich zu vor zehn Jahren unter den Augen ihrer Eltern. Insgesamt, das zeigen die Untersuchungen des Autors Johan Norberg, wurde so der Tod von mehr als zwei Millionen Kindern in der letzten Dekade verhindert. Zudem ermöglicht die Parallelentwicklung von Kindersterblichkeit und Lebenserwartung, dass im Jahr 2020 mehr Kinder ihre Großeltern kennenlernen werden als in jedem Jahrzehnt zuvor.

Natürlich bleibt die Enttäuschung auch am Ende dieses Jahrzehnts, dass es noch extreme Armut auf der Welt gibt, dass die Lebenserwartung in Äthiopien niedriger ist als bei uns in Deutschland und die Kinder in Dhaka wahrscheinlich eher sterben als die Kinder im Prenzlauer Berg in Berlin. Der Fokus auf diese Untergangsszenarien verstellt jedoch den Blick die großen Fortschritte, die wir (insbesondere) in den letzten zehn Jahren gemacht haben. Und zwar hauptsächlich in den benachteiligten Gegenden dieser Erde.

Diese Entwicklungen zeigen, dass Menschen weder dekadent noch faul geworden sind, sich nicht in den Fatalismus fliehen oder den Erfolg in der Revolution suchen. Kluge Reformen in China, Indien und Äthiopien haben dazu geführt, dass man Menschen die Freiheit gibt, Probleme vor Ort Schritt für Schritt zu lösen. Das Ergebnis ist die wohlhabendste und gerechteste Welt, in der Menschen je gelebt haben.

Wenn ich also einen Vorsatz für das kommende Jahrzehnt vorschlagen darf: Die letzten zehn Jahre Menschheitsgeschichte haben phänomenale Fortschritte gezeigt und die meisten Untergangsszenarien von Ressourcenknappheit bis Überbevölkerung ad absurdum geführt. Das heißt, wir sollten den großen Entwürfen der Untergangs-Propheten misstrauen lernen. Den Menschen hingegen sollten wir vertrauen, dass es ihnen gelingt, weitere Verbesserungen anzuschieben, indem sie ihr lokales Wissen und ihre persönlichen Erfahrungen nutzen. Das bedeutet bei Weitem nicht, dass Fehler und Probleme von der Politik ignoriert werden sollten. Vielmehr sollte sich die Politik in der nächsten Dekade die Eigenschaft des Menschen zu eigen machen, Probleme zu erkennen und zu lösen. Dafür brauchen die Menschen aber die nötige Beinfreiheit, die Dinge anpacken und besser machen zu dürfen. Denn die Untergangspropheten werden auch in den 20er Jahren wieder Hochkonjunktur haben und wir brauchen freie, anpackende Menschen, die sich ihnen mit Lösungsorientierung und Kreativität entgegenstellen können.

Photo: Good Free Photos (CC0)

Klima, Migration, Upload-Filter: Eine Empörungswelle jagt aktuell die nächste. Dass die sozialen Medien den Individuen eine lautere Stimme geben ist gut, erfordert aber ein Umdenken bei Aktivisten und Politikern.

Beim politischen Wellenreiten bleibt das konstruktive Diskutieren auf der Strecke

„Das ist die perfekte Welle, Das ist der perfekte Tag, Lass dich einfach von ihr tragen, Denk am besten gar nicht nach“, sang die Deutsch-Pop-Band „Juli“ im Jahr 2004. Was als Surfer-Hommage gedacht war, eignet sich aktuell wie kein anderes Lied, um den Zustand der deutschen Debattenkultur zu beschreiben. Egal ob Klima, Migration oder Upload-Filter: geradezu aus dem Nichts türmen sich immer wieder neue Empörungswellen in Deutschland auf und schlagen über dem politischen Marktplatz zusammen. Politiker und Medien gleichermaßen hoffen derweil wie Surfer auf die perfekte Welle, auf der sie zum Erfolg reiten können. Die kommt – wie gerade für die Grünen – nur unregelmäßig, und selbst wer eine optimale Welle erwischt, kann doch von der nächsten überrascht und unkontrolliert durch die Gegend geschleudert werden. Das für eine Demokratie elementare aber zeitraubende Abwägen und konstruktive Diskutieren bleibt beim politischen Wellenreiten, ganz getreu dem Juli-Song, zumeist vollkommen auf der Strecke.

Die aktuellen Aufmerksamkeitswellen haben eine andere Intensität und Richtung

Sicher, mediale Aufmerksamkeitszyklen gab es schon immer. Erst wird wochenlang täglich mit Sonderberichten aus aktuellen Krisengebieten wie Libyen, Syrien oder Sri Lanka berichtet, nur um im nächsten Moment die kollektive Aufmerksamkeit auf ein Sportgroßereignis oder eine boulevardeske Räuberpistole zu lenken. Geändert hat sich jedoch die Wucht, mit der Aufmerksamkeitswellen über uns hinwegrollen und – wohl am Wichtigsten – wo diese Wellen herkommen. Stimmungen werden heutzutage viel weniger im Springer-Haus erzeugt als in den sozialen Medien. Da reicht es, wenn ein vielen Menschen bis dato, vermutlich zu Recht, vollkommen unbekannter Youtuber mit blauen Haaren über die CDU herzieht, um Deutschlands mächtigste Partei in den Grundfesten zu erschüttern. Da tourt eine Luisa Neubauer durch Deutschlands Talkshow-Landschaft und wird vielleicht doch nur eingeladen, um in regelmäßigen Abständen „Klimawandel!“ und „Panik!“ zu sagen, und den versammelten Kabinettsmitgliedern die Möglichkeit zu geben, beim Zuhören besonders einfühlsam und aufmerksam zu gucken.

Im Grunde wäre einiges an dieser Entwicklung begrüßenswert; ja sogar erstrebenswert. Schließlich sollte Politik ja gerade vom einzelnen Individuum ausgehen. Die sozialen Medien machen die Demokratie und ihre Debatten unkontrollierbarer, lebendiger und zugänglicher. Die Eliten aus Politik und Medien können Themen kaum noch aussitzen, geschweige denn sie einfach totschweigen. Ja, unsere Volksvertreter müssen nun gut und genau zuhören, um nicht an ihren Wählern vorbeizureden oder gar auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Das wahre Problem liegt nicht darin, dass Menschen von ganz außerhalb des politischen Spektrums auf einmal mit ihren Meinungen Gehör finden. Das wahre Problem liegt darin, wie diese Menschen aber auch die Berufspolitiker unseres Landes ihre jeweiligen neuen Rollen ausfüllen.

Hauptsache erstmal Panik?

So mangelt es auf der Seite der Aktivisten an einem Bewusstsein für die mit der neuen Macht einhergehende Verantwortung. Da rufen junge Menschen allabendlich ihrer Generation zu, sie solle doch bitte auf der Stelle in Panik verfallen, und niemand fragt, was um alles in der Welt Panik uns bringen sollte. Denn anstatt endlich die spannende Frage zu diskutieren, welche klimapolitischen Instrumente wirklich effektiv und effizient sind, erzeugt dies tatsächlich bloße kopflose Panik. Politiker und Journalisten schwärmen panisch aus, um unbedingt „irgendwas mit Klima“ zu sagen, und können damit letztendliche ihre jungen Kritiker trotzdem nicht einfangen. Letztere nutzen zwar geschickt die Öffentlichkeit, um kurzfristige Aufmerksamkeit zu generieren. Die Verantwortung für die Entwicklung von tatsächlichen Lösungen schieben viele Aktivisten am Ende aber doch wieder an die zuvor kritisierte Politik zurück. Und dort hofft man insgeheim doch nur, dass sich möglichst bald eine neue Empörungswelle auftut, auf die man besser vorbereitet ist. Folglich gibt es ziellose Aufmerksamkeit, diesen oder anderen politischen Gewinnern aber vor allem nur große Schlagzeilen. Die sachliche Auseinandersetzung bleibt leider auf der Strecke.

Politiker sollten Entscheidungsfindungsexperten sein

Und auf der anderen Seite? Stimmungen und Debatten aufzunehmen, ist nicht gleichbedeutend damit, alle Überzeugungen über Board zu werfen. Die Rolle der Politik wäre es eigentlich, die Debatten zu ordnen und ihnen eine Struktur zu geben. Was müssen klimapolitische Instrumente leisten, wo gibt es Probleme und was sind nicht bedachte Folgen? Doch anstatt als Experten in der Entscheidungsfindung aufzutreten, lechzen die meisten Entscheidungsträger lediglich nach der Zustimmung der Luisa Neubauers unserer Zeit. Das macht es den mindestens genauso ideenlosen Kräften an den Rändern unseres politischen Spektrums besonders leicht, sich als einzig vernünftige Alternative „zwischen all den Altparteien“ zu gebären. Die Parteizentralen sollten endlich verstehen, dass Aufmerksamkeitswellen viel zu instabil sind, um darauf dauerhaften Erfolg zu gründen. Wie schnell sich die Stimmung drehen kann, erleben doch seit Jahren die Grünen, die als kleinste Oppositionspartei im Bundestag gerade zur neuen Volkspartei erklärt werden – und das nicht zum ersten Mal.

Segeln statt Wellenreiten

Die digitale Revolution ermöglicht dem Individuum eine ganz neue und potentiell einflussreichere Rolle in der politischen Debatte – und das ist auch gut so. Mit dem gesteigerten Einfluss muss jedoch auch ein gesteigertes Verantwortungsgefühl einhergehen. Dass man die gleichen Politikvertreter, die man auf Twitter und Youtube permanent vor sich hertreibt, für ihr Versagen beschimpft, nur um anschließend doch wieder alle Hoffnungen in sie zu setzen, ist beinahe grotesk. Gleichzeitig müssen Volksvertreter ihr Selbstbild anpassen. Viel mehr als Macher und Entscheider, sollten sie aufmerksame, aber prinzipientreue Moderatoren sein. Am Ende schaffen es vielleicht beide Seiten, die raue See der politischen Debatte so ganz anders zu nutzen – zum nachhaltigen Segeln statt zum kurzfristigen Wellenreiten.

Photo: re:publica from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Das Framing-Gutachten für die ARD, der Fall Relotius – die Medien scheinen außer Rand und Band. Wenn das Sendungsbewusstsein mit der Elite durchgeht, untergräbt sie langfristig den Zusammenhalt in einer Gesellschaft.

Eliten sind Teil der arbeitsteiligen Gesellschaft

Vorweg ein Lob der Eliten. Der Begriff ist unschön, aber das Phänomen, das er beschreibt, ist durchaus sinnvoll. Das liegt daran, dass wir in unserer modernen Zivilisation nach dem Prinzip der Arbeitsteilung arbeiten. Wenn wir ein köstliches Stück Torte haben wollen, gehen wir zum Konditor. Bei den anschließenden Zahnschmerzen suchen wir die Zahnärztin auf. Wenn unsere Badewanne leckt, rufen wir den Klempner. Und die Kosten dafür rechnet unsere Steuerberaterin aus unserer Steuerlast heraus. Wir machen nicht alles selber – weil wir vieles nicht so gut beherrschen wie andere und auf sehr viele Dinge auch gar keine Lust haben.

Zu den Angelegenheiten, die wahrlich nicht jedermann in all ihrer Tiefe und Komplexität interessieren, gehören auch politische Fragen. Zwar haben die allermeisten dazu Meinungen, aber kaum einer wendet die Zeit auf, um den philosophischen Grundlagen dieser Ansicht bei Thomas von Aquin, Kant oder Luhmann nachzugehen. Und kaum einer macht sich die Mühe, die Energiewende oder das Datenschutzrecht in all ihren Facetten zu durchdringen. Die Meinungsbildung lagern wir aus – genauso wie die Käseproduktion und den Physikunterricht. Das ist völlig in Ordnung, ja sogar ein Zeichen der Gesundheit einer Gesellschaft, wenn nicht jeder sich intensiv mit politischen Fragen beschäftigen muss. Den Luxus können sich Menschen in Venezuela oder der Ukraine nicht leisten.

Moral: die Nuklearoption im Diskurs

Die Cicero-Redakteurin, der Soziologie-Professor, der Greenpeace-Pressesprecher und die Seminar-Leiterin bei der Adenauer-Stiftung erfüllen wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft, weil sie anderen Menschen dabei helfen, sich ihre Meinungen zu bilden. Damit einher geht freilich eine ganz besondere Verantwortung. Eine dröge Torte hat nämlich mintunter weniger Einfluss als eine schlechte Gesetzesvorlage. Und eine schlampig gearbeitete Steuererklärung ist für den Betroffenen ärgerlich, ist aber nicht an der Eskalation des gesellschaftlichen Dialogs schuld. Der Fall Relotius vor einigen Wochen und ganz besonders das Framing-Handbuch der ARD sind besonders krasse Beispiele dafür, wie Eliten ihrer besonderen Verantwortung nicht gerecht wurden.

Beiden Fällen ist gemeinsam, dass die Akteure hemmungslos begeistert waren von ihrer eigenen Rechtschaffenheit. Da darf man schon einem ehemaligen Mitglied der Weißen Rose Sätze in den Mund legen. Es geht schließlich gegen die Nazis. Und angesichts der Bedrohungen unserer Zivilisation ist es richtig, den ARD mit allen Mitteln zu verteidigen, denn „nur in einem Land mit einer stabilen gemeinsamen Rundfunkinfrastruktur kann man frei und erfolgreiche (sic!) leben und seinen Geschäften nachgehen.“ Hinter diesen moralischen Ansprüchen muss alles andere zurücktreten: Fakten, Ambivalenzen, Gegenargumente, Differenzierungen … Der moralische Anspruch wirkt wie ein religiöses Dogma: er ist so sehr gut und wahr, dass alles andere sich davor zu beugen hat.

Die Unmoral des Moralisierens

Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um Fragen, die mit einer solchen Autorität entschieden werden dürften. Wie Trump-Wähler einzuschätzen sind und ob der ARD eine wünschenswerte Einrichtung ist, sind selbstverständlich Fragen, zu denen man sehr unterschiedliche Standpunkte einnehmen kann und die niemals letztgültig beantwortet werden können. Es ist das gute Recht, ja sogar die Pflicht der Eliten, der Meinungsmacher, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen, durchaus auch mit klaren Positionen. Aber man darf sie nicht von der Kanzel einer quasi-religiösen Unfehlbarkeit herab verkündigen.

Und erst recht darf man nicht zu den Mitteln greifen, die man mit Leidenschaft anprangert, wenn die Gegenseite sie benutzt. Relotius hat Fake News produziert wie Russia Today. Und Wehling hat mit ihrem Framing-Handbuch so tief in die Trickkiste der Volksverführer und Demagogen gegriffen, dass George Orwell sich rotierend aus seinem Grab in England inzwischen schon fast in Berkeley wiederfinden müsste. Im Grunde genommen ist das Moralisieren dieser Menschen zutiefst unmoralisch.

Überzeugen statt überrumpeln

Eliten sind essenziell für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Und gerade deshalb müssen sie ihre Rolle mit besonderer Vorsicht und Klugheit einnehmen. Arbeiten sie mit Betrug und Trickserei, dann bereiten sie denjenigen den Boden, die sich als Anti-Eliten darstellen. Sie geben dann denen recht, die gegen „die da oben“ wettern. Bessere Unterstützer könnten sich die Populisten kaum wünschen. Ihre Moralkeulen sind das Fundament, von dem aus die Gegner der Offenen Gesellschaft ihre Angriffe starten.

Bei den Eliten der demokratischen Welt muss dringend ein Umdenken einsetzen. Im Wettbewerb der Ideen müssen sie mit offenem Visier kämpfen. Sie müssen sich das Vertrauen der Öffentlichkeit erarbeiten durch einen verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Aufgabe innerhalb der arbeitsteiligen Gesellschaft. Und sie dürfen sich nicht davor fürchten, zu ihren Ansichten zu stehen, anstatt diese durch Betrug oder Framing moralisch aufzuladen. „Überzeugen statt überrumpeln“ muss ihre Devise lauten. Dabei sollten sie die Konfrontation nicht scheuen, denn wie Friedrich August von Hayek schon in seinem Werk „Verfassung der Freiheit“ festhielt, ist es vielleicht gerade die Kernaufgabe von Eliten, sich der offenen Auseinandersetzung zu stellen: „Unser Wissen und unsere Einsicht machen nur deshalb Fortschritte, weil es immer Menschen geben wird, die den Anschauungen der Mehrheit entgegentreten.“ Das sind die wahren Eliten, die unsere Gesellschaft braucht.

Photo: Associazione Pellizza da Volpedo from Wikimedia Commons (CC 0)

Stehen wir vor einer Rezession in Deutschland oder haben wir sie bereits? Das Wachstum in Deutschland im vierten Quartal 2018 lag bei 0,02 Prozent. Im Vorquartal bei minus 0,2 Prozent. Trotz dieser Zahlen sprechen einige Aspekte dagegen.

In weiten Teilen des Landes herrscht faktische Vollbeschäftigung. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen sind seit der Deutschen Einheit noch nie so niedrig gewesen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten noch nie so hoch. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht erkennbar zurück und die Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften sinken auf ein historisch niedriges Niveau. Inzwischen hat sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Arbeitgeber suchen schier verzweifelt LKW-Fahrer, Handwerksgesellen und Facharbeiter. Im gewerblichen Bereich sind viele Ausbildungsplätze nicht besetzt. Wahrscheinlich wird dieser Mangel sich weiter verschärfen.

Die Wachstumsschwäche ist in erster Linie dem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern geschuldet. Aufträge können nicht mehr in der geplanten Form abgearbeitet oder neue angenommen werden. Das drückt auf Umsatz und Gewinn der Unternehmen. Weniger Gewinn bedeutet meist weniger Investitionen. Um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, muss mehr aufgewendet werden.

In diesem wirtschaftlichen Umfeld kommen Arbeitnehmer zunehmend in eine Position der Stärke. Sie können Bedingungen stellen, die viele Jahre als Hirngespinste der Gewerkschaften gegeißelt wurden. Auch die Diskussion über mehr Freizeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf rücken stärker in den Fokus. Darauf muss auch der Gesetzgeber reagieren. Nicht so sehr dadurch, dass er noch stärker in die Tarifautonomie und die Vertragsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingreift, sondern indem er mehr Freiräume zulässt.

Das Land Nordrhein-Westfalen geht am heutigen Freitag im Bundesrat einen ersten Schritt. In einem Entschließungsantrag fordert die NRW-Landesregierung eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes. Darin heißt es, dass „eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine flexible Arbeitszeitgestaltung“ erforderlich sei. Das wäre tatsächlich zu begrüßen. Heute sind das Arbeitszeitgesetz, die Arbeitsstättenverordnung und viele andere Rahmenbedingungen letztlich arbeitnehmerfeindlich. Denn sie verhindern vielfach, dass Arbeitnehmer ihre Lebensziele mit ihrer Berufstätigkeit verbinden können. Aber genau das wäre oftmals im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Denn viele Alleinerziehende wollen vielleicht mobil arbeiten, wenn das Kind in der Schule ist, und es anschließend betreuen. Abends wenn das Kind schläft, kann dann vielleicht noch 2 Stunden gearbeitet werden. Dieses lebenswirkliche Modell scheitert am Arbeitszeitgesetz. Es schreibt eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden vor und eine elfstündige Ruhezeit.

Das Arbeiten von Zuhause darf möglichst auch nicht unter dem Stichwort Telearbeit laufen, denn dann schlägt die volle Wucht der Arbeitstättenverordnung zu. Das fängt beim Mobiliar an und hört bei der Bildschirmarbeitsverordnung nicht auf. Die Fürsorgepflicht und die Verantwortung für die Sicherheit und die Gesundheit der Mitarbeiter hat der Gesetzgeber auch für diese Arbeitsplätze definiert. Die Frage der Kommunikation mit dem Firmennetzwerk, Fragen des Datenschutzes und vieles mehr sind dabei noch gar nicht beantwortet. Fakt ist: so wird das nichts. Wer als Arbeitgeber und Arbeitnehmer diesen Umstand umgehen will, kann dies nur durch eine Vereinbarung über „mobiles Arbeit“ bewerkstelligen, also das ortsungebundene Arbeiten mit dem Laptop. Doch auch hier gilt Vorsicht an der Bahnsteigkante. Wenn der Arbeitnehmer sich mehr als 2 Stunden täglich oder 30 Tage pro Jahr an einem bestimmten Ort aufhält, dann funktioniert das flexible mobile Arbeiten nicht mehr, sondern dann handelt es sich um eine Betriebstätte mit allen Rechtsfolgen.

Will man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, dann müssen diese Regelungen der Lebenswirklichkeit angepasst werden. Unternehmen dürfen nicht in die rechtliche Grauzone gedrängt werden und Arbeitnehmern muss es möglich sein, flexible Modelle mit seinem Arbeitgeber auszuhandeln. Am Ende wäre die individuelle Freiheit gestärkt. Das erfordert aber eine Umkehr im Denken. Dann ist der Arbeitnehmer nicht mehr der Schwache, Bedürftige und Hilflose, oder wie Marx sagen würde: der Entfremdete, sondern derjenige der sein Lebensglück selbst in die Hand nehmen will und kann.

Photo: Kristopher Roller from Unsplash (CC 0)

Unsere Zivilisation lebt davon, dass es sehr viele Menschen gibt, die diese Welt zu einem besseren Ort machen wollen. Manche wählen dazu freilich Mittel, die mehr dem eigenen Ruhm nutzen als der Lösung. Das schlimmste unter diesen Mittel ist die Panik.

Panik entmenschlicht

„Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.“ – Mit dieser Aussage hat die junge Schwedin Greta Thunberg hochemotionale Debatten in der halben Welt angefacht. Greta hat Respekt verdient: sie setzt sich mit Leidenschaft und Engagement für eine Sache ein. Man wünscht sich, dass viele junge Menschen so viel Enthusiasmus mitbrächten. Irritierend ist freilich ihre Wortwahl. In was für einer Welt leben wir, dass 16jährige von Panik getrieben sind? Die Jugend sollte voller Optimismus und Hoffnung sein – gerade Menschen wie Greta, die etwas bewegen und verbessern wollen. Hoffnung bedeutet ja mitnichten, dass man blauäugig oder ignorant durch die Welt geht. Auch Menschen, die in Extremsituationen das Richtige getan haben, wie Sophie Scholl, Nelson Mandela oder Andrei Sacharow waren angetrieben von einer optimistischen Perspektive, die ihnen selbst in dunkelsten Stunden leuchtete.

Hoffnung kann geradezu das Überlebenselixier in ausweglosen Situationen sein. Panik hingegen hat in der Regel eher den gegenteiligen Effekt. Das letzte Mal, dass Panik dem Menschen weitergeholfen hat, war vermutlich, als er vor 20.000 Jahren vor dem Säbelzahntiger auf einen Baum flüchtete. Ansonsten führt Panik nur zu Kurzschlussreaktionen und Irrationalität und schwächt darüber hinaus unser Mitgefühl für andere Menschen, weil wir nur noch auf unser eigenes nacktes Überleben konzentriert sind. Panik entmenschlicht uns. Dagegen hat das Gefühl der Hoffnung, das unsere Vorfahren langsam entwickelt haben, ihnen überhaupt erst die Fähigkeit gegeben, so etwas wie Menschenwürde und Zivilisation hervorzubringen. Noch einmal: Was für eine schreckliche Gesellschaft bringt junge Menschen dazu, Panik als wünschenswerten Zustand zu betrachten?

Profite durch Panik

Viele Faktoren tragen zu dieser wirklich beklagenswerten Entwicklung bei. Ein wichtiger Faktor ist dabei eine bestimmte Gruppe an Menschen, die Effekthascherei und Panikmache zu einem Geschäftsmodell gemacht haben. Sie ziehen Profite daraus, dass sie eine Stimmung des Weltuntergangs verbreiten. Dabei müssen diese Profite durchaus nicht monetärer Natur sein. Manche profitieren auf dem Gebiet der Eitelkeit, weil sie als Untergangspropheten von Medien und Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erfahren. Andere ziehen daraus die persönliche Befriedigung, dass ein Thema, das ihnen so wichtig ist, dass sie sich ganz und gar damit identifizieren, jetzt die halbe Welt beschäftigt. Klar ist auf jeden Fall: egal, ob man amerikanischer Präsident oder Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist, je lauter man krakelt und je düsterer man die Zukunft malt, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt man.

Liest man etwa den jüngsten Jahresbericht der DUH, dann kann man dort erstaunt feststellen, dass nicht mehr nur die Reichsbürger die Souveränität der Bundesrepublik anzweifeln. Da bemerkt doch deren Geschäftsführer Jürgen Resch tatsächlich: „Die Bunderegierung wird sich dann bewegen, wenn die Automobilindustrie es ihr erlaubt. Die Regierung ist in diesem Punkt nicht mehr souverän, die Automobilindustrie bestimmt die Politik in diesem Bereich.“ Und fügt dann noch hinzu, dass die DUH mittlerweile eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung von Rechtstaatlichkeit und Demokratie übernehmen muss: „Durch unseren Kampf für die ‚Saubere Luft‘ findet über die europäischen Instanzen eine Reparatur unserer Rechtsordnung statt, die wesentlich für die Fernsteuerung der Regierungspolitiker durch Industriekonzerne verantwortlich ist. Wir kämpfen zunehmend nicht nur für den Fischotter, Abfallvermeidung oder saubere Luft, sondern für den Erhalt einer funktionierenden Demokratie.“

Muss man sich wundern, wenn Menschen zunehmend verunsichert werden? Die Zahl der apokalyptischen Szenarien, die inzwischen von unterschiedlichsten Akteuren an die Wand gemalt werden, wird immer schwindelerregender. Kurz zusammengefasst könnte man sagen: In spätestens 20 Jahren werden die Polkappen komplett abgeschmolzen sein, 116 Millionen Afrikaner vor unseren Haustüren stehen, drei Menschen soviel besitzen wie der Rest der Welt zusammen, 85 Prozent der Arbeit durch Maschinen und KI ersetzt worden sein, die Familie in den meisten Ländern per Gesetz abgeschafft und die Menschheit kurz vor der Ausrottung durch Genmais stehen.

Ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern

Nun sind viele dieser Fragen durchaus mit Herausforderungen verbunden: Ob Digitalisierung; Klimawandel oder Migration – selbstverständlich ist ein „Augen zu und weiter so“ immer die falsche Lösung. Das Problem mit der Panikmache ist jedoch, dass sie uns lähmt, in blinden Aktionismus treibt und rationale und effektive Lösungen in der Regel eher verhindert. Was jetzt gefragt ist, sind kühle Köpfe und engagierte Streiter. Aber an der Wurzel dieses Engagements muss Hoffnung stehen und nicht Panik. Es mag etwas sonderbar erscheinen, wenn ausgerechnet an dieser Stelle einer der wichtigsten Vordenker des Neomarxismus zitiert wird, doch was Ernst Bloch in den 50er Jahren im Vorwort zu seinem Buch „Prinzip Hoffnung“ schrieb, verdient es auch heute noch, zitiert zu werden:

„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Affekt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen.“

Ins Gelingen verliebt zu sein – was für eine schöne Perspektive! Jeder einzelne von uns tut gut daran, dieser Maxime zu folgen, gerade weil wir Menschen ja immer wieder vor großen Herausforderungen stehen. Es bleibt Greta zu wünschen, dass sie sich nicht weiter von der Angst verengen lässt, sondern von der Hoffnung weiten lässt. Und möge das uns allen so gehen, all den verunsicherten Mitmenschen um uns herum. Darum ist es so wichtig, dass wir uns nicht irre machen lassen von denen, die dem Prinzip Panik huldigen. Denn gerade weil sie sich von der Angst ernähren, werden sie immer weiter dieses Prinzip leben. Damit versagen sie sich nicht nur den Optimismus, den der Aufbau einer besseren Welt braucht. Sie versagen sich auch die Freude beim Blick auf all die vielen, vielen Dinge in unserer Welt, die schön, gut – ja: besser sind!

Heute startet die neue Initiative von Prometheus, die unter dem Namen „NGO Observer“ einen kritischen Blick auf einige NGOs wirft, auf deren Arbeitsmethoden und Finanzströme. Unter https://ngo.observer/ finden sie relevante Informationen zu Organisationen wie der Deutschen Umwelthilfe, Campact oder Attac, aber auch weniger bekannten und doch sehr einflussreichen Spielern. Die WirtschaftsWoche hat darüber ausführlich berichtet und ein Interview mit Clemens Schneider geführt. Bereits im letzten November war im Wirtschaftsteil der FAZ der von unserem Kuratoriumsmitglied Prof. Dr. Christian Hoffmann und Clemens Schneider verfasste Gastbeitrag „NGOs: Lauter weiße Ritter?“ erschienen.