Photo: OTFW, Berlin from Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.
Hinsichtlich der Entscheidung über den öffentlichen Infrastrukturbau üben die Kommunen in Deutschland bereits einen relativ starken Einfluss. Maßgeblich ist allerdings, dass nicht nur die Bereitstellung, sondern auch die Finanzierungsgrundlagen dezentralisiert werden. Der gegenwärtige Fiskalföderalismus mit seiner stark auf Mischfinanzierung setzenden Kompetenzverwischung erweist sich als Hürde für effiziente öffentliche Investitionsentscheidungen.
Trotz des seit Jahren anhaltenden Konjunkturhochs vermuten viele Politiker, Journalisten und Kommentatoren, dass mit dem deutschen Wachstumsmodell etwas fundamental nicht stimmt: „Deutschland lebt von der Substanz!“, lautet eine über das gesamte politische Spektrum geteilte Befürchtung. Es mangele an Investitionen, insbesondere staatlicherseits. Brücken verfallen, das Internet ist zu langsam, es wird zu wenig in die Bildung des Nachwuchses investiert. Entsprechend beliebt sind Rufe nach „Mehr Investitionen!“ im Wahlkampf.
Ein Blick auf die langfristige Entwicklung der öffentlichen Nettoinvestitionen legt nahe, dass der öffentliche Kapitalstock seit der Jahrtausendwende kaum wächst und in einigen Jahren sogar geschrumpft ist. Aus einer niedrigen oder gar negativen öffentlichen Nettoinvestitionsquote kann allerdings nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass etwas im Argen läge. Statt die Steigerung der öffentlichen Investitionen zum obersten Ziel zu erklären, sollte der Abbau verbleibender politischer Investitionshemmnisse vorangetrieben, Investitionsentscheidungen und deren Finanzierung dezentralisiert und ein stärkerer Fokus auf die Rentabilitätsbewertung einzelner Investitionsvorhaben gelegt werden.
Investitionen ermöglichen Wachstum
Für den Wohlstand einer Gesellschaft sind Investitionen in den Kapitalstock entscheidend. Da Maschinen und Gebäude sowie Wissen und Fähigkeiten im Laufe der Zeit verschleißen bzw. veralten und folglich abgeschrieben werden müssen, dient ein Teil der Investitionen lediglich dem Erhalt des Kapitalstocks. Die in einer Periode stattfindenden Investitionen abzüglich des Kapitalverlusts werden als Nettoinvestitionen bezeichnet. Werden nur sogenannte Anlageinvestitionen betrachtet – also die lediglich der Vorratshaltung dienenden Investitionen ausgeklammert – so spricht man von Nettoanlageinvestitionen. Sind diese negativ, so geht mehr Kapital verloren als durch Investitionen geschaffen wird – eine Gesellschaft „lebt von der Substanz“.
Die Höhe der Nettoanlageinvestitionen ist kein unproblematischer Indikator. So weist das Bundesfinanzministerium darauf hin, dass rechnerische Abschreibungen als buchhalterische Größe nur bedingt dem Verschleiß von physischem Kapital und der Entwertung von Wissen entsprechen. Darüber hinaus wandelt sich die Definition von „Investition“ im Laufe der Zeit. Einen praktikableren Indikator für die Investitionstätigkeit gibt es jedoch nicht. In mittel- und langfristiger Perspektive nähern sich rechnerische Abschreibungen und tatsächlicher Kapitalverlust konzeptionell an.
Investitionsquote in Deutschland niedrig aber positiv
Um die Höhe der Nettoanlageinvestitionen über die Zeit und Länder hinweg einordnen zu können, werden sie gewöhnlich ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt. Langfristig ist die Nettoanlageinvestitionsquote in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich gesunken. Daran hat auch ein kurzlebiger Anstieg im Zuge der Wiedervereinigung in den 90er Jahren nichts geändert. Hinsichtlich dieses Trends unterscheidet sich Deutschland nicht von vergleichbaren Ländern. Direkt nach der Jahrtausendwende sank die Quote zwar stärker als in vergleichbaren Ländern, unter anderem, da viele Länder in der Eurozone einen nicht nachhaltigen Bauinvestitionsboom erlebten. Diese Lücke wurde jedoch in den Jahren der Eurokrise geschlossen. Der weiterhin Jahr für Jahr wachsenden Kapitalstocks relativiert die Befürchtung, man „lebe von der Substanz“.
Dass die Investitionstätigkeit in entwickelten Volkswirtschaften mit geringem Bevölkerungswachstum abnimmt, überrascht nicht. Denn die „low hanging fruits“ der Investitionen in den Kapitalstock mit sehr hoher Rendite wurden bereits geerntet.
Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass der langfristige Fall der Investitionsquote den Bedeutungsverlust kapitalintensiver Industrieproduktion zugunsten humankapitalintensiver Dienstleistungsproduktion widerspiegelt. Investitionen in das Wissen und die Fertigkeiten der Menschen werden relativ zum physischen Kapitalstock immer wichtiger, doch deren statistische Erfassung ist komplizierter. Wenngleich die Politik bessere Rahmenbedingungen für private Investitionstätigkeit schaffen könnte, geht ein Teil der „Investitionsschwäche“ möglicherweise auf die wünschenswerte Anpassung der deutschen Volkswirtschaft an sich verändernde Produktionsbedingungen zurück.
Staatliche Investitionen netto negativ
Anders als die Gesamtanlageinvestitionen fallen die Anlageinvestitionen des öffentlichen Sektors seit der Jahrtausendwende netto negativ aus – wenn auch nicht die ganze Volkswirtschaft, so lebt der deutsche Staat möglicherweise von der Substanz. Zwar ist ein Vergleich mit den 90er Jahren aufgrund der hohen öffentlichen Investitionen im Zuge der Wiedervereinigung problematisch, doch auch im internationalen Vergleich fallen die öffentlichen Investitionen Deutschlands auffällig niedrig aus.
Getrieben wird der Abbau des öffentlichen Kapitalstocks durch den Verlust von Anlagekapital in Form von Nichtwohnbauten – darunter fällt hauptsächlich die öffentliche Verkehrsinfrastruktur. Der öffentliche Kapitalstock an Ausrüstungen (etwa Maschinen und Fahrzeuge), geistigem Eigentum und Wohnbauten wächst dagegen Jahr für Jahr, wenn auch langsam.
Ein Teil der sinkenden öffentlichen Investitionen spiegelt lediglich den langfristigen Wandel der Wirtschaftsstruktur wider, der auch den Privatsektor betrifft, und ist daher nicht per se problematisch. Darüber hinaus sinkt die staatliche Anlageinvestitionsquote aufgrund der Ausgliederung staatlich bereitgestellter Angebote an öffentliche Träger und Einrichtungen, die formal dem Privatsektor zugerechnet werden. Weiterhin ist ein Teil der sinkenden öffentlichen Investitionen vermutlich dem Rückzug des Staates aus einigen Bereichen geschuldet, die heute durch Private bzw. öffentlich-private Partnerschaften bedient werden. In dem Maße, in dem Privatisierungen sinnvollerweise Investitionstätigkeit aus dem öffentlichen in den Privatsektor übertragen, ist der Rückgang der öffentlichen Investitionsquote begrüßenswert.
Die negative Nettoanlageinvestitionsquote des Staates der letzten Jahre wird durch geringe Investitionen in die kommunale physische Infrastruktur getrieben. Bund und Länder investieren mehr als ihnen verlustig geht. Aber der Stock an kommunal gehaltenem Kapital wird abgebaut. Der technische Fortschritt fällt im Bereich der physischen Infrastruktur seit Jahrzehnten deutlich geringer aus als in Branchen, die vordringlich von privaten Investitionen geprägt werden, etwa im IT-Bereich. Das lässt eine relative niedrige Investitionstätigkeit des Staates wünschenswert erscheinen.
Sind die öffentlichen Investitionen zu niedrig?
Da der öffentliche Sektor nie für einen Großteil der Investitionen verantwortlich war, ist die Diagnose eines grundsätzlichen Lebens von der Substanz hinsichtlich der Gesamtwirtschaft übertrieben. Dennoch veranlassen die niedrigen öffentlichen Investitionen viele Beobachter zur Sorge. Sie fürchten nicht nur die abnehmende Qualität öffentlich bereitgestellter Angebote, sondern negative Auswirkungen auf die private Investitionstätigkeit. Tatsächlich stellen öffentliche Investitionen in einigen Branchen wie der Bildung, dem Schienennetz oder der Gesundheitsinfrastruktur eine Voraussetzung für anschließende private Investitionen dar – entweder, weil der Staat einen komparativen Vorteil in der Bereitstellung der betreffenden Kapitalgüter besitzt oder weil er die Bereitstellung durch Private verbietet bzw. erschwert.
Öffentliche Investitionen dezentralisieren
Wenig sinnvoll erscheint angesichts der zahlreichen auf die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand einwirkenden Faktoren eine hauptsächlich an der Höhe der Investitionsquote orientierte Diskussion. Weder lässt sich eine „optimale“ öffentliche Investitionsquote theoretisch bestimmen, noch sind historische oder internationale Vergleiche besonders informativ. Zielführender ist eine Diskussion über die Frage, inwiefern sich die staatliche Investitionstätigkeit tatsächlich an den Präferenzen der Bürger orientiert. Auf freien Märkten stehen die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen im Wettbewerb miteinander, sodass sich jene durchsetzen, die knappe Ressourcen am effizientesten nutzen – auch hinsichtlich ihrer Investitionsentscheidungen.
Politiker haben dagegen nur einen schwachen Anreiz, ihre Investitionstätigkeit zu optimieren, da öffentliche Angebote in der Regel monopolistisch bereitgestellt werden und die Bürger nur begrenzte Möglichkeiten haben, ihre Präferenzen durch Wahlen oder den Umzug in einen anderen Staat kundzutun. Wo immer möglich, sollte die Verantwortung für Investitionsentscheidungen daher untergeordneten Gebietskörperschaften übertragen werden um die Feedbackmöglichkeiten der Bürger zu erweitern.
Hinsichtlich der Entscheidung über den öffentlichen Infrastrukturbau üben die Kommunen in Deutschland bereits einen relativ starken Einfluss. Maßgeblich ist allerdings, dass nicht nur die Bereitstellung, sondern auch die Finanzierungsgrundlagen dezentralisiert werden. Der gegenwärtige Fiskalföderalismus mit seiner stark auf Mischfinanzierung setzenden Kompetenzverwischung erweist sich als Hürde für effiziente öffentliche Investitionsentscheidungen. Hinsichtlich schwer zu dezentralisierender öffentlicher Angebote, etwa der Fernstraßen, wäre ein stärkerer Fokus auf die Rentabilität einzelner Vorhaben wünschenswert, statt auf das gesamte Investitionsvolumen.