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Prometheus – Das Freiheitsinstitut bringt einen eigenen Podcast heraus. Was haben wir uns dabei gedacht? Und warum denken wir, dass ein Podcast genau das richtige Mittel gegen gesellschaftliche Spaltung ist?

Gestatten, unser neuer Podcast

Prometheus – Das Freiheitsinstitut startet bald den neuen Podcast „Gestatten, …“. Ab nächster Woche veröffentlichen wir einmal pro Monat eine neue Folge. Die einzelnen Episoden sind in der Regel 30 bis 40 Minuten lang und werden auf Spotify sowie online verfügbar sein. In jeder Folge stellen wir eine interessante Persönlichkeit vor und sprechen mit ihr über Politik und Kultur, Reisen und Philosophie, und über alles, was unseren Gast umtreibt. Ziel von „Gestatten, …“ ist es, dem jeweiligen Gast Zeit zu geben. Wir möchten zuhören und unseren Zuhörern damit erlauben, auch einmal längeren Gedanken zu folgen. Die ersten Folgen von „Gestatten, …“ werden sich ganz besonders dem Wert der Selbstverantwortung widmen, doch wird werden im Laufe der Zeit auch weitere Themenschwerpunkte setzten. Gleich bleiben derweil die grundlegenden Überzeugungen, die uns zu diesem Podcast antreiben.

Populismus und gesellschaftliche Spaltung: Wir reden nicht mehr genug miteinander

Großbritannien und die Vereinigten Staaten, lange Zeit die Inbegriffe lebendiger und debattenfreudiger Demokratien, stehen exemplarisch für das größte Risiko der populistischen Herausforderung. Die postfaktische, irrationale und auf gesellschaftliche Spaltung ausgerichtete Politik der jeweiligen Regierung wie auch der Opposition schürt Misstrauen und allzu häufig auch schlichten Hass. Sicher, über politische Positionen konnte schon immer trefflich gestritten werden und auch eine Margaret Thatcher fasste ihre Gegner nicht gerade mit Samthandschuhen an. Doch mit Trump und Sanders, Corbyn und Johnson, Luisa Neubauer und Hans-Georg Maaßen hat der Grad der gesellschaftlichen Spaltung ein neues Ausmaß angenommen. Es geht nicht mehr um technische Fragen sondern es geht darum, ob man ein vollkommen guter oder ein vollkommen schlechter Mensch ist. Undenkbar, dass sich Brexit-Hardliner wie Jacob Rees-Mogg noch mit ebenso unnachgiebigen „Remainers“ wie der LibDem-Vorsitzenden Jo Swinson auf ein Pint zusammensetzen und über die Welt tratschen. Und auch hier in Deutschland sind wir nicht gewappnet gegen die Stilisierung von Politikfragen zu Existenzfragen. Stichworte: „Klimakrise“ oder „Flüchtlingskrise“.

Das beste Mittel gegen Populismus und Ignoranz ist das Gespräch

Es ist deshalb die unbedingte Aufgabe eines jeden freiheitlich denkenden Menschen, das Gespräch am Laufen zu halten. Nur weil das Gegenüber kaum oder schwer nachvollziehbare politische Überzeugungen hat, sollten wir es nicht als Mensch ablehnen. Stattdessen geht es darum, eine Debatte zu führen und zu ergründen, woraus Ängste oder Ablehnung resultieren. Das mag häufig nicht direkt erfolgreich oder sogar frustrierend sein. Aber es erweitert den Horizont des politischen Mitbewerbers wie auch den eigenen. Schließlich ist die evolutorische Weiterentwicklung von Ideen elementarer Bestandteil liberalen Denkens. In diesem Sinne suchen wir bei „Gestatten, …“ das Gespräch nicht nur mit Persönlichkeiten aus unserem direkten Umfeld. Es wird mal ein Politiker zu Gast sein, dann aber auch eine Unternehmerin, ein Journalist oder eine Künstlerin. Was unsere Gäste eint, ist, dass sie alle mit ihrem Wirken einen wichtigen Beitrag zu einer offenen Gesellschaft leisten.

Unsere Gäste sitzen mit Ihnen in der U-Bahn oder im Fitnessstudio

Mit unserem Podcast bitten wir Sie, uns zu gestatten, Ihnen einmal im Monat eine solche spannende Persönlichkeit vorzustellen und sich auf ihre jeweiligen Gedanken und Argumente einzulassen. Es ist uns ein großes Anliegen, die Debatte raus den klassischen Häppchen-Veranstaltungen des politischen Berlins zu tragen. Wir alle sind schließlich viel beschäftigt und können es uns nicht erlauben, jeden Tag an einer anderen Diskussionsveranstaltung teilzunehmen. Ganz zu schweigen von den vielen unter Ihnen, die sich außerhalb von Berlin oder gar Deutschland für Freiheit und Selbstverantwortung begeistern. „Gestatten, …“ erlaubt es Ihnen an anregenden Debatten teilzuhaben, egal ob auf dem Heimweg in der U-Bahn, beim Kochen oder abends vor dem Einschlafen

Konnten wir Ihre Neugierde wecken? Hier können Sie in den Teaser reinhören und „Gestatten, …“ am besten gleich abonnieren, um die erste Folge nicht zu verpassen.

„Gestatten, …“ der Prometheus Podcast: Ab nächster Woche monatlich bei Spotify und online.

Photo: Good Free Photos (CC0)

Klima, Migration, Upload-Filter: Eine Empörungswelle jagt aktuell die nächste. Dass die sozialen Medien den Individuen eine lautere Stimme geben ist gut, erfordert aber ein Umdenken bei Aktivisten und Politikern.

Beim politischen Wellenreiten bleibt das konstruktive Diskutieren auf der Strecke

„Das ist die perfekte Welle, Das ist der perfekte Tag, Lass dich einfach von ihr tragen, Denk am besten gar nicht nach“, sang die Deutsch-Pop-Band „Juli“ im Jahr 2004. Was als Surfer-Hommage gedacht war, eignet sich aktuell wie kein anderes Lied, um den Zustand der deutschen Debattenkultur zu beschreiben. Egal ob Klima, Migration oder Upload-Filter: geradezu aus dem Nichts türmen sich immer wieder neue Empörungswellen in Deutschland auf und schlagen über dem politischen Marktplatz zusammen. Politiker und Medien gleichermaßen hoffen derweil wie Surfer auf die perfekte Welle, auf der sie zum Erfolg reiten können. Die kommt – wie gerade für die Grünen – nur unregelmäßig, und selbst wer eine optimale Welle erwischt, kann doch von der nächsten überrascht und unkontrolliert durch die Gegend geschleudert werden. Das für eine Demokratie elementare aber zeitraubende Abwägen und konstruktive Diskutieren bleibt beim politischen Wellenreiten, ganz getreu dem Juli-Song, zumeist vollkommen auf der Strecke.

Die aktuellen Aufmerksamkeitswellen haben eine andere Intensität und Richtung

Sicher, mediale Aufmerksamkeitszyklen gab es schon immer. Erst wird wochenlang täglich mit Sonderberichten aus aktuellen Krisengebieten wie Libyen, Syrien oder Sri Lanka berichtet, nur um im nächsten Moment die kollektive Aufmerksamkeit auf ein Sportgroßereignis oder eine boulevardeske Räuberpistole zu lenken. Geändert hat sich jedoch die Wucht, mit der Aufmerksamkeitswellen über uns hinwegrollen und – wohl am Wichtigsten – wo diese Wellen herkommen. Stimmungen werden heutzutage viel weniger im Springer-Haus erzeugt als in den sozialen Medien. Da reicht es, wenn ein vielen Menschen bis dato, vermutlich zu Recht, vollkommen unbekannter Youtuber mit blauen Haaren über die CDU herzieht, um Deutschlands mächtigste Partei in den Grundfesten zu erschüttern. Da tourt eine Luisa Neubauer durch Deutschlands Talkshow-Landschaft und wird vielleicht doch nur eingeladen, um in regelmäßigen Abständen „Klimawandel!“ und „Panik!“ zu sagen, und den versammelten Kabinettsmitgliedern die Möglichkeit zu geben, beim Zuhören besonders einfühlsam und aufmerksam zu gucken.

Im Grunde wäre einiges an dieser Entwicklung begrüßenswert; ja sogar erstrebenswert. Schließlich sollte Politik ja gerade vom einzelnen Individuum ausgehen. Die sozialen Medien machen die Demokratie und ihre Debatten unkontrollierbarer, lebendiger und zugänglicher. Die Eliten aus Politik und Medien können Themen kaum noch aussitzen, geschweige denn sie einfach totschweigen. Ja, unsere Volksvertreter müssen nun gut und genau zuhören, um nicht an ihren Wählern vorbeizureden oder gar auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Das wahre Problem liegt nicht darin, dass Menschen von ganz außerhalb des politischen Spektrums auf einmal mit ihren Meinungen Gehör finden. Das wahre Problem liegt darin, wie diese Menschen aber auch die Berufspolitiker unseres Landes ihre jeweiligen neuen Rollen ausfüllen.

Hauptsache erstmal Panik?

So mangelt es auf der Seite der Aktivisten an einem Bewusstsein für die mit der neuen Macht einhergehende Verantwortung. Da rufen junge Menschen allabendlich ihrer Generation zu, sie solle doch bitte auf der Stelle in Panik verfallen, und niemand fragt, was um alles in der Welt Panik uns bringen sollte. Denn anstatt endlich die spannende Frage zu diskutieren, welche klimapolitischen Instrumente wirklich effektiv und effizient sind, erzeugt dies tatsächlich bloße kopflose Panik. Politiker und Journalisten schwärmen panisch aus, um unbedingt „irgendwas mit Klima“ zu sagen, und können damit letztendliche ihre jungen Kritiker trotzdem nicht einfangen. Letztere nutzen zwar geschickt die Öffentlichkeit, um kurzfristige Aufmerksamkeit zu generieren. Die Verantwortung für die Entwicklung von tatsächlichen Lösungen schieben viele Aktivisten am Ende aber doch wieder an die zuvor kritisierte Politik zurück. Und dort hofft man insgeheim doch nur, dass sich möglichst bald eine neue Empörungswelle auftut, auf die man besser vorbereitet ist. Folglich gibt es ziellose Aufmerksamkeit, diesen oder anderen politischen Gewinnern aber vor allem nur große Schlagzeilen. Die sachliche Auseinandersetzung bleibt leider auf der Strecke.

Politiker sollten Entscheidungsfindungsexperten sein

Und auf der anderen Seite? Stimmungen und Debatten aufzunehmen, ist nicht gleichbedeutend damit, alle Überzeugungen über Board zu werfen. Die Rolle der Politik wäre es eigentlich, die Debatten zu ordnen und ihnen eine Struktur zu geben. Was müssen klimapolitische Instrumente leisten, wo gibt es Probleme und was sind nicht bedachte Folgen? Doch anstatt als Experten in der Entscheidungsfindung aufzutreten, lechzen die meisten Entscheidungsträger lediglich nach der Zustimmung der Luisa Neubauers unserer Zeit. Das macht es den mindestens genauso ideenlosen Kräften an den Rändern unseres politischen Spektrums besonders leicht, sich als einzig vernünftige Alternative „zwischen all den Altparteien“ zu gebären. Die Parteizentralen sollten endlich verstehen, dass Aufmerksamkeitswellen viel zu instabil sind, um darauf dauerhaften Erfolg zu gründen. Wie schnell sich die Stimmung drehen kann, erleben doch seit Jahren die Grünen, die als kleinste Oppositionspartei im Bundestag gerade zur neuen Volkspartei erklärt werden – und das nicht zum ersten Mal.

Segeln statt Wellenreiten

Die digitale Revolution ermöglicht dem Individuum eine ganz neue und potentiell einflussreichere Rolle in der politischen Debatte – und das ist auch gut so. Mit dem gesteigerten Einfluss muss jedoch auch ein gesteigertes Verantwortungsgefühl einhergehen. Dass man die gleichen Politikvertreter, die man auf Twitter und Youtube permanent vor sich hertreibt, für ihr Versagen beschimpft, nur um anschließend doch wieder alle Hoffnungen in sie zu setzen, ist beinahe grotesk. Gleichzeitig müssen Volksvertreter ihr Selbstbild anpassen. Viel mehr als Macher und Entscheider, sollten sie aufmerksame, aber prinzipientreue Moderatoren sein. Am Ende schaffen es vielleicht beide Seiten, die raue See der politischen Debatte so ganz anders zu nutzen – zum nachhaltigen Segeln statt zum kurzfristigen Wellenreiten.

Photo: Murray Foubister from flickr (CC BY 2.0)

Der Markt wird auf unheilvolle Weise personifiziert. Dabei vergessen wir häufig, dass Konzepte gar nicht handeln können, sondern nur Individuen. Ein Plädoyer für ein neues Marktverständnis.

Der gute Staat gegen den bösen Markt?

Was hat der Markt nur falsch gemacht? Die Marktwirtschaft gilt vielen als die Wurzel allen Übels. Ihr wird keine besondere Fairness und auch keine Effizienz zugeschrieben. Verantwortlich hingegen ist „der Markt“ scheinbar für so Einiges: dafür, dass nicht jeder Berliner direkt am Hackeschen Markt in 120 Quadratmeter saniertem Altbau wohnen kann; und für den Klimawandel; und natürlich für alle großen Finanz- und Wirtschaftskrisen. Wenn überhaupt, so das allgemeine Verständnis, könne „der Markt“ nur fair sein, wenn er von einem starken Staat in die (sozialen) Schranken gewiesen und gelenkt werde. Wie ein wilder Stier, der durch die engen Gassen einer kleinen spanischen Stadt getrieben wird – was natürlich nicht immer ohne Verletzte vonstattengeht.

Doch leben wir wirklich in einer solchen Puppenspielerwelt – als bloße Zuschauer des Kampfes zwischen der grundbösen Schattenfigur „Markt“ und dem gut meinenden Leviathan? Nein, denn der Markt ist nur das, was wir alle daraus machen. Wir brauchen ein anderes Verständnis der Marktwirtschaft.

„Der Markt“ handelt genau so wenig wie „der Staat“

Seit den 1960er Jahren haben sich die beiden Ökonomen Gordon Tullock und James Buchanan mit der „Public Choice Theory“ darum verdient gemacht, den Staat sprichwörtlich „aufzudröseln“. Es handelt nicht „der Staat“, sondern es handeln Individuen innerhalb des Gebildes „Staat“. Und diese sind genau so anfällig für Fehler und Verführungen wie jeder andere. Egal ob Wähler, Bürokraten oder Politiker: alle verfolgen innerhalb des Raumes Staat ihre genuinen Interessen und machen damit den Staat zu dem, was er ist. Dabei kann gutes herauskommen wie Rechtssicherheit oder Demokratie. Es kann aber auch das Gegenteil passieren. Niemand würde freilich „den Staat“ für die Machtübernahme eines brutalen Diktators oder korrupten Richters verantwortlich machen. Es sind Wähler, die sich haben verführen lassen, oder vielleicht korrupte Bürokraten …  es sind Individuen, die für das jeweilige Antlitz des Staates verantwortlich sind.

Ganz anders verstehen heute viele den Markt. Adam Smiths „unsichtbare Hand“ des Marktes scheint real. Und sie wirkt wie die Hand eines kaltherzigen, reichen, brutalen, weißen, alten Mannes. Es ist dieser personifizierte Markt, der als Wurzel allen Übels empfunden wird, nicht die Existenz des abstrakten Raumes „Markt“ und erst recht nicht der einzelne Akteur innerhalb des abstrakten Raumes. Genau wie der Staat demokratisch oder autoritär, rechtsstaatlich oder willkürlich organisiert sein kann, so kann auch der Markt dutzende Formen annehmen. Eines tut „der Markt“ aber nicht: handeln. Menschen handeln – nicht Konzepte.

Der Markt ist nur das Instrument der Individualwirtschaft

Stattdessen ist der Markt lediglich Ausdruck des kulminierten Handelns aller Individuen. Wenn beispielsweise mehr konventionelle Landwirtschaft betrieben wird als ökologische, dann ist das nicht so, weil der Markt so sehr auf Gen-Mais steht, sondern weil eine Mehrheit der Verbraucher mehr Wert auf einen guten Preis legt als auf die Art des Anbaus von Lebensmitteln – und anders herum. Das macht den Markt zum Instrument einer – nennen wir es Individualwirtschaft. Die Individualwirtschaft ist wie ein gigantisches Wikipedia, das durch Preise Auskunft darüber erteilt, was die Menschen überall auf der Welt gerne hätten, wo sie gerne wohnen und was sie gerne (oder weniger gerne) machen. Und es bleibt nicht bei der Auskunft, denn schließlich entwickelt sich für jede noch so weit her geholte Nachfrage auch ein Angebot. Was natürlich nicht gleichbedeutend damit ist, dass jede Nachfrage auch zu jeder Zeit befriedigt werden muss.

In der Individualwirtschaft liegt es am Ende unmittelbar in der Hand des Individuums, was nachgefragt und damit auch bereitgestellt wird. Die Individualwirtschaft ist eine fortwährende Abstimmung, an der jeder teilhaben und seine Entscheidung stets aufs Neue überdenken kann. Die Idee, alle Ergebnisse des Marktes durch staatliche Eingriffe korrigieren zu müssen, wirkt vor diesem Hintergrund auf einmal gänzlich absurd. Denn wo besteht noch Notwendigkeit zur Korrektur, wenn das Ergebnis Ausdruck des Handelns jedes einzelnen Individuums ist, seiner Wünsche, Vorlieben, Bedürfnisse? Die Individualwirtschaft ist die ultimative Form der Demokratie, in der jede einzelne Stimme berücksichtigt wird – ganz ohne Fünfprozent-Hürde und Fraktionszwang. So wird manche Intervention schlichtweg zu einer Wahlfälschung.

Die Individualwirtschaft ist mehr als eine linguistische Spitzfindigkeit

Sicher, manch einer mag mein Argument als linguistische Spitzfindigkeit abtun. Doch wie uns der Feminismus nicht ganz ohne Grund lehrt, beeinflusst Sprache auch unser Denken. Und der Begriff Markwirtschaft verleitet ganz schnell dazu, unser Zusammenleben als gelenkt von einem Dritten mit eigenen Interessen zu verstehen. Das erlaubt die Kapitulation vor den unabänderlichen Ergebnissen des Marktes. Die Idee der Individualwirtschaft hingegen lässt uns begreifen, dass das Ergebnis des Austausches innerhalb des Raumes Markt nicht determiniert ist, sondern von jedem Einzelnen abhängt. Es hängt ab von unseren Präferenzen und Entscheidungen. Aber es hängt auch von den Normen und informellen Regeln ab, die wir uns geben und die bestimmen, wie wir uns auf dem Markt begegnen. Das macht die Individualwirtschaft unbequem und anstrengend. Aber es bedeutet auch, dass jeder Einzelne ernstgenommen wird, gleichermaßen zählt und verantwortlich ist.

Photo: Chris Geirman from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen.

Diesen Staat gibt es nicht zum Nulltarif.“ Mit diesen Worten warb die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer für ein verpflichtendes Dienstjahr für alle 18- bis 25-jährigen Bürger. Unterstützung für diese Idee findet sich auch in der Bevölkerung: Laut einer Umfrage aus dem ZDF-Politbarometer aus dem August dieses Jahres begrüßen 68 Prozent aller Wahlberechtigten die Einführung einer einjährigen Dienstpflicht. So wünschenswert es klingen mag, Werte wie Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein oder Empathie unter jungen Menschen zu stärken, so wenig gibt es belastbare Hinweise auf die erhofften positiven Wirkungen eines einjährigen Pflichtdienstes, die den massiven staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte junger Menschen rechtfertigen könnten.

Unter den deutschen Politikern ist Annegret Kramp-Karrenbauer nicht die einzige, die Gefallen an der Idee eines sozialen Pflichtjahres findet. Die Junge Union erhofft sich vom Pflichtdienst, „den Zusammenhalt im Land zu stärken“. Für Norbert Blüm könnte der Sozialdienst das Gefühl der „Gesamtverantwortung aller Staatsbürger“ fördern und als „Schule der Empathie“ fungieren. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach findet „den Gedanken grundsätzlich nicht falsch“, um Kräfte für soziale Einrichtungen zu mobilisieren.

Sozialjahr wie Wehrpflicht: Direkte Kosten für die Betroffenen

Während die Befürworter der Idee eines sozialen Pflichtdienstes den damit einhergehenden erhofften Nutzen in den Vordergrund stellen, lässt sich in der akademischen Literatur vor allem etwas zu den erwartbaren Kosten finden.

Ein verpflichtendes einjähriges soziales Jahr ist wie die Wehrpflicht oder der Zivildienst eine implizite Naturalsteuer. Statt die Steuerschuld in monetärer Form an den Staat zu entrichten, wird sie in geleisteter Arbeit abgegolten. Die direkten Kosten für die Dienstpflichtigen liegen im impliziten Verzicht auf die Differenz zwischen dem entgangenen Marktlohn und der staatlichen Entlohnung im Pflichtjahr. Wie alle Steuern ist auch diese Naturalsteuer für die Besteuerten eine Belastung.

Panu Poutvaraa vom ifo-Institut und andere Ökonomen haben Effekte des Wehrdiensts erforscht, die sich auf ein soziales Pflichtjahr übertragen lassen. Sie heben hervor, dass die Wehrpflicht junge Menschen in einem Alter betrifft, in dem am stärksten Wissen durch Lehre, Ausbildung und frühe Arbeitserfahrung aufgebaut wird. Die Unterbrechung reduziert die Vorteile des Wissensaufbaus und senkt den Anreiz, sich nach dem Schulabschluss weiterzubilden. Die Pflicht zum (Wehr-)Dienst hemmt also den Qualifikationsstand junger Menschen.

Ferner verschiebt die Wehpflicht den Eintritt in den Arbeitsmarkt und zwingt die Betroffenen, auf ihr letztes und zumeist relativ hohes Einkommen vor der Rente zu verzichten. Der Verzicht auf Lohn während des Wehrdienstes, geringere Wissensakkumulation und der verzögerte Eintritt in den Arbeitsmarkt verringern das Lebenseinkommen der (Wehr-)Dienstleistenden und wirken so wachstumshemmend.

Sozialjahr wie Zivildienst: Indirekte Kosten

In Bezug auf den Zivildienst, der dem sozialen Pflichtjahr noch näher kommt, weisen Thomas Bauer und Christoph Schmidt auf weitere indirekte Kosten hin: Der kostengünstige Einsatz von Zivildienstleistenden verzerrt das Verhältnis der Kosten zwischen Arbeit und Kapital in Pflegeheimen und anderen sozialen Einrichtungen. Können in diesen Einrichtungen recht günstig Arbeitskräfte angestellt werden, wird der Anreiz geschwächt, technologisch und organisatorisch auf dem neusten Stand zu sein. Ähnliches ist bei einem verpflichtenden Dienstjahr zu erwarten. Statt 78.000 Zivildienstleistende im Jahr 2010 würden bei einem für alle verpflichtenden sozialen Jahr hunderttausende junge Menschen einberufen werden. Die nicht-marktlich entlohnten Sozialdienstpflichtigen würden zu künstlich niedrigen Preisen und Löhnen im Markt für Sozialdienste beitragen und qualifiziertes Personal verdrängen. Ein sozialer Pflichtdienst könnte so den Mangel von qualifiziertem Personal im Sozialdienst befördern.

„Mandatory volunteering“: Ein Widerspruch in sich

Die direkten und indirekten Kosten von Pflichtdiensten sind gut zu fassen. Anders sieht es mit dem erhofften Nutzen eines verpflichtenden Dienstes in Form von wünschenswerter Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen aus. Nur eine Handvoll Studien über die Wirkung eines relativ kurzfristigen verpflichtenden Sozialdienstes von 20 bis 40 Stunden von High-School-Schülern und College-Studenten aus den USA und Australien lassen sich finden. Laut der Ergebnisse kann das sogenannte „mandatory volunteering“ die Bereitschaft junger Leute, sich gesellschaftlich zu engagieren, stärken. Voraussetzung ist dabei, dass der Dienst in den Lehrplan integriert ist und die Jugendlichen selbstbestimmt ihr Engagement auswählen können. Fehlen die genannten Faktoren, wirkt sich das „mandatory volunterring“ eher unerwünscht aus. So kann Zwang zum sozialen Engagement die Motivation, sich zukünftig freiwillig zu engagieren, und die langfristige Verbundenheit zur Gesellschaft schwächen.

Nur Symbolpolitik?

Eine eher kritische Haltung zu einem sozialen Pflichtjahr nehmen auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände ein. So ordnet der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Wolfgang Stadler einen allgemeinen Pflichtdiensts in die Kategorie „Sommerlochidee“ ein. Laut AWO kann „ein soziales Jahr ein großer Gewinn für junge Menschen sein [..], aber nur, wenn es freiwillig erfolgt“. Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, spricht gar davon, dass es keine „700.000 Jugendliche pro Jahr [brauche], von denen die Hälfte überhaupt nicht weiß, was sie bei uns soll.

Sozialdienst: Sozial dienlich?

Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen. Anstatt den Versuch zu unternehmen, mit Zwang ein Gemeinschaftsgefühl zu befördern, sollte die Politik sich darauf beschränken, einen verlässlichen Regelrahmen zu setzen, in dem die Bürger an möglichst vielen Positivsummenspielen teilhaben können, die das gegenseitige Vertrauen fördern.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: re:publica from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Das Framing-Gutachten für die ARD, der Fall Relotius – die Medien scheinen außer Rand und Band. Wenn das Sendungsbewusstsein mit der Elite durchgeht, untergräbt sie langfristig den Zusammenhalt in einer Gesellschaft.

Eliten sind Teil der arbeitsteiligen Gesellschaft

Vorweg ein Lob der Eliten. Der Begriff ist unschön, aber das Phänomen, das er beschreibt, ist durchaus sinnvoll. Das liegt daran, dass wir in unserer modernen Zivilisation nach dem Prinzip der Arbeitsteilung arbeiten. Wenn wir ein köstliches Stück Torte haben wollen, gehen wir zum Konditor. Bei den anschließenden Zahnschmerzen suchen wir die Zahnärztin auf. Wenn unsere Badewanne leckt, rufen wir den Klempner. Und die Kosten dafür rechnet unsere Steuerberaterin aus unserer Steuerlast heraus. Wir machen nicht alles selber – weil wir vieles nicht so gut beherrschen wie andere und auf sehr viele Dinge auch gar keine Lust haben.

Zu den Angelegenheiten, die wahrlich nicht jedermann in all ihrer Tiefe und Komplexität interessieren, gehören auch politische Fragen. Zwar haben die allermeisten dazu Meinungen, aber kaum einer wendet die Zeit auf, um den philosophischen Grundlagen dieser Ansicht bei Thomas von Aquin, Kant oder Luhmann nachzugehen. Und kaum einer macht sich die Mühe, die Energiewende oder das Datenschutzrecht in all ihren Facetten zu durchdringen. Die Meinungsbildung lagern wir aus – genauso wie die Käseproduktion und den Physikunterricht. Das ist völlig in Ordnung, ja sogar ein Zeichen der Gesundheit einer Gesellschaft, wenn nicht jeder sich intensiv mit politischen Fragen beschäftigen muss. Den Luxus können sich Menschen in Venezuela oder der Ukraine nicht leisten.

Moral: die Nuklearoption im Diskurs

Die Cicero-Redakteurin, der Soziologie-Professor, der Greenpeace-Pressesprecher und die Seminar-Leiterin bei der Adenauer-Stiftung erfüllen wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft, weil sie anderen Menschen dabei helfen, sich ihre Meinungen zu bilden. Damit einher geht freilich eine ganz besondere Verantwortung. Eine dröge Torte hat nämlich mintunter weniger Einfluss als eine schlechte Gesetzesvorlage. Und eine schlampig gearbeitete Steuererklärung ist für den Betroffenen ärgerlich, ist aber nicht an der Eskalation des gesellschaftlichen Dialogs schuld. Der Fall Relotius vor einigen Wochen und ganz besonders das Framing-Handbuch der ARD sind besonders krasse Beispiele dafür, wie Eliten ihrer besonderen Verantwortung nicht gerecht wurden.

Beiden Fällen ist gemeinsam, dass die Akteure hemmungslos begeistert waren von ihrer eigenen Rechtschaffenheit. Da darf man schon einem ehemaligen Mitglied der Weißen Rose Sätze in den Mund legen. Es geht schließlich gegen die Nazis. Und angesichts der Bedrohungen unserer Zivilisation ist es richtig, den ARD mit allen Mitteln zu verteidigen, denn „nur in einem Land mit einer stabilen gemeinsamen Rundfunkinfrastruktur kann man frei und erfolgreiche (sic!) leben und seinen Geschäften nachgehen.“ Hinter diesen moralischen Ansprüchen muss alles andere zurücktreten: Fakten, Ambivalenzen, Gegenargumente, Differenzierungen … Der moralische Anspruch wirkt wie ein religiöses Dogma: er ist so sehr gut und wahr, dass alles andere sich davor zu beugen hat.

Die Unmoral des Moralisierens

Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um Fragen, die mit einer solchen Autorität entschieden werden dürften. Wie Trump-Wähler einzuschätzen sind und ob der ARD eine wünschenswerte Einrichtung ist, sind selbstverständlich Fragen, zu denen man sehr unterschiedliche Standpunkte einnehmen kann und die niemals letztgültig beantwortet werden können. Es ist das gute Recht, ja sogar die Pflicht der Eliten, der Meinungsmacher, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen, durchaus auch mit klaren Positionen. Aber man darf sie nicht von der Kanzel einer quasi-religiösen Unfehlbarkeit herab verkündigen.

Und erst recht darf man nicht zu den Mitteln greifen, die man mit Leidenschaft anprangert, wenn die Gegenseite sie benutzt. Relotius hat Fake News produziert wie Russia Today. Und Wehling hat mit ihrem Framing-Handbuch so tief in die Trickkiste der Volksverführer und Demagogen gegriffen, dass George Orwell sich rotierend aus seinem Grab in England inzwischen schon fast in Berkeley wiederfinden müsste. Im Grunde genommen ist das Moralisieren dieser Menschen zutiefst unmoralisch.

Überzeugen statt überrumpeln

Eliten sind essenziell für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Und gerade deshalb müssen sie ihre Rolle mit besonderer Vorsicht und Klugheit einnehmen. Arbeiten sie mit Betrug und Trickserei, dann bereiten sie denjenigen den Boden, die sich als Anti-Eliten darstellen. Sie geben dann denen recht, die gegen „die da oben“ wettern. Bessere Unterstützer könnten sich die Populisten kaum wünschen. Ihre Moralkeulen sind das Fundament, von dem aus die Gegner der Offenen Gesellschaft ihre Angriffe starten.

Bei den Eliten der demokratischen Welt muss dringend ein Umdenken einsetzen. Im Wettbewerb der Ideen müssen sie mit offenem Visier kämpfen. Sie müssen sich das Vertrauen der Öffentlichkeit erarbeiten durch einen verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Aufgabe innerhalb der arbeitsteiligen Gesellschaft. Und sie dürfen sich nicht davor fürchten, zu ihren Ansichten zu stehen, anstatt diese durch Betrug oder Framing moralisch aufzuladen. „Überzeugen statt überrumpeln“ muss ihre Devise lauten. Dabei sollten sie die Konfrontation nicht scheuen, denn wie Friedrich August von Hayek schon in seinem Werk „Verfassung der Freiheit“ festhielt, ist es vielleicht gerade die Kernaufgabe von Eliten, sich der offenen Auseinandersetzung zu stellen: „Unser Wissen und unsere Einsicht machen nur deshalb Fortschritte, weil es immer Menschen geben wird, die den Anschauungen der Mehrheit entgegentreten.“ Das sind die wahren Eliten, die unsere Gesellschaft braucht.