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Es wird Sie vielleicht überraschen: Ich bin dafür, dass wir mehr Verständnis für Griechenland und seine Bürger aufbringen. Es ist entwürdigend für das griechische Volk, was ihnen von außen aufgezwungen wird. Kein Land auf dieser Welt würde das hinnehmen. Nicht einmal vorübergehend würde akzeptiert, was in Griechenland seit fünf Jahren stattfindet. Doch die Euro-Retter glauben fortwährend, dass dies der richtige und auch gangbare Weg sei.

Man stelle sich einmal diese Situation in Deutschland vor. Frankreich oder Italien würden unsere Regierung und unser Parlament zwingen, über 12 Jahre (das griechische Programm läuft mindestens von 2010-2022) einen festen Katalog von Maßnahmen, darunter die Entlassung von Beamten, die Kürzung von Renten und sozialen Leistungen, ohne Abstriche umzusetzen. Die Umsetzung würde eine Gruppe von Experten aus Paris und Rom überwachen und kontrollieren. Und nach fünf Jahren wäre die wirtschaftliche Situation sogar noch schlimmer als zu Beginn der Krise.

Was würde in Deutschland geschehen? Wahrscheinlich das Gleiche wie in Griechenland. Die Extreme würden Zulauf bekommen, Streiks und Chaos wären an der Tagesordnung. Und jeder würde sein Geld in Sicherheit bringen. Kurzum: Ein Klima wie in der Endphase der Weimarer Republik würde aufkommen. Damals verlor Deutschland zwischen 1928 und 1932 40 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, die Industrieproduktion sank um über 22 Prozent und die Arbeitslosigkeit lag am Höhepunkt bei 5,6 Millionen.

Die Zahlen Griechenlands sind ähnlich dramatisch. Seit 2008 ging die Wirtschaftsleistung um 27 Prozent zurück, die Arbeitslosigkeit stieg auf 27 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar auf 50 Prozent und die Industrieproduktion (saisonbereinigter breit gefasster Industrieproduktionsindex ohne Baugewerbe) ist auf dem Niveau von 1979(!). Gleichzeitig gibt es keine Spur der Erholung. Die Exporte von Waren und Gütern sind im Januar um weitere 12,8 Prozent auf gerade mal 1,86 Milliarden Euro gesunken und dies bei immer noch hohen Importen von 3,13 Milliarden Euro. Wie soll daraus jemals eine sich selbst tragende Volkswirtschaft werden?

In diesem Umfeld drängt der Euro-Club auf weitere Maßnahmen in Griechenland. Das ist unverantwortlich und wird Griechenland noch weiter ins Chaos stürzen. Das alles nur, damit der Euro-Raum als Ganzes erhalten bleibt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat es dieser Tage nochmals unterstrichen: „Es wird niemals einen Grexit geben.“ Dieser neue europäische Absolutismus ist das Problem und muss beendet werden. Er ist anmaßend, rechthaberisch und verantwortungslos. Nach fünf Jahren Retterei müsste dies auch dem letzten Euro-Romantiker klar sein.

Die griechische Regierung, das griechische Parlament und das griechische Volk müssen selbst über ihr Schicksal in eigener Verantwortung entscheiden. Sie müssen die notwendigen Veränderungen wollen und durchführen. Sie müssen eine aktive Bürgergesellschaft entwickeln, die gegen Korruption, Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch ankämpft. Das kann nicht durch eine Troika, egal welchen Namen sie aktuell trägt, von außen erzwungen werden, sondern muss aus innerer Einsicht erfolgen. Entscheidend für die Rückgewinnung der eigenen Freiheit Griechenlands ist aber eines: Die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln.

Wer glaubt, die Europäische Union, der Euro-Club oder Deutschland seien so eine Art Allmende, bei der sich jeder auf Kosten des anderen bedienen kann, wird am Ende nur noch eine abgegraste Wüste in Europa vorfinden.

Photo: SpaceShoe from Flickr

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer sind uralte Instrumente der Staatsfinanzierung. Dabei sind sie gleichzeitig ein ziemlich absurdes Mittel, um Fürsorge und Solidarität zu erschweren. Wenn es Menschen stets mehr interessiert, inwiefern es dem Mitbürger besser geht als einem selbst, ist klar, dass die Perspektive nicht hinausgeht über die Feststellung: „Ererbtes Vermögen ist nicht verdient“. Es lohnt sich allerdings, einmal die Perspektive des Erblassers oder Schenkenden einzunehmen.

Ist Schenken ungerecht?

Wenn im Kindergarten Sandra einen Schokoriegel geschenkt bekommt und Christian nicht, dann kann das Geheul schon mal groß sein. In der Regel lernen wir mit der Zeit, mit solchen Situationen umzugehen. Wir verstehen, dass es im Leben nicht immer gerecht zugeht. Und manchmal begreifen wir sogar noch, dass Gerechtigkeit ohnehin unerreichbar ist. Allein schon, weil einfach jeder Mensch eine andere Vorstellung von Gerechtigkeit hat. „Das Leben ist kein Ponyhof“, sagte einmal der unvergessliche Bernd Stromberg. Manche der Ponyhof-Instinkte aus dem Kindergarten kommen aber doch immer wieder in uns hoch.

Wenn jemand ein Vermögen, ein Haus, eine Bildersammlung erbt, dann ist das im Verständnis von vielen Menschen ungerecht. Schließlich hat er nichts dafür geleistet. Das widerspreche der Leistungsgerechtigkeit. Oder in den Worten der Kanzlerin: „Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben, als wenn er nicht arbeitet”. Doch selbst wenn das Finanzamt das komplette Vermögen eines Verstorbenen einziehen und Schenken ganz und gar verbieten würde, gäbe es immer noch viele Ungerechtigkeiten: die eine erbt das gute Aussehen ihres Vaters, der andere die Intelligenz seiner Mutter und jemand anderes hat das Glück, in einem Elternhaus aufzuwachsen, in dem viel gelesen und diskutiert wird. Müsste man dann konsequenterweise nicht auch diese Bastionen der Ungerechtigkeit schleifen?

Die Bauers werden daran gehindert, den Müllers zu helfen

Versuchen wir, uns einmal in den Erblasser oder den Schenkenden hineinzuversetzen. In einer Zeit, da zum Glück der letzte Krieg siebzig Jahre zurückliegt, gibt es nicht wenig Menschen, die ein recht umfangreiches Vermögen haben. Nehmen wir das kinderlose Ehepaar Bauer, die als Lehrer gearbeitet haben. Sie haben stattliche 110.000 Euro angespart im Laufe ihres Lebens. Ihre Nachbarn sind das freundliche junge Ehepaar Müller mit ihren drei Kindern. Diese junge Familie hilft ihren alternden Nachbarn wo es nur geht. Darum beschließen Bauers, die Müllers zu ihren Erben einzusetzen: „Die sind für uns doch wie unsere eigenen Kinder!“

Nachdem beide Bauers gestorben sind, bekommen die Müllers aber nur noch 83.000 Euro. 27.000 Euro gehen an das Finanzamt. Ob das wohl im Sinne der Bauers war? Sie haben sich das Geld schließlich redlich verdient und auch schon einmal versteuert. Sie wollten es komplett den Müllers geben – nicht nahezu ein Viertel an den Staat abdrücken. Bauers wussten, dass die Familie Müller die gesamten 110.000 Euro gut und sinnvoll hätten gebrauchen können: nicht nur, um die Hypothek abzubezahlen, sondern auch, um ihren drei Kindern ein Auslandsjahr zu finanzieren. Die Auslandsjahre liegen aber jetzt im Finanzamt.

Unterm Strich kommt kaum etwas raus

Viele Menschen denken wie die Bauers. Sie verzichten darauf, drei Kreuzfahrten im Jahr zu machen oder ihr Vermögen anderweitig aus dem Fenster zu werfen. Sie verzichten darauf, weil sie anderen Menschen damit etwas Gutes tun wollen. Sie möchten es ihren Kindern und Enkeln geben. Oder eben ihren netten Nachbarn. Das ist einer der Gründe dafür, dass sie hart gearbeitet haben und nicht andauernd in Saus und Braus gelebt haben. Menschen sind nicht prinzipiell Egoisten – zum Glück denken die meisten auch an andere. Erblasser sind nicht immer feiste, alte, schwerreiche Unsympathen. Sie sind Menschen wie unsere Großeltern oder Nachbarn. Und Erben sind nicht nur faule Schnösel im Golfclub. Oft genug sind es junge Menschen, die das Geld gut gebrauchen können.

Das Steueraufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer betrug im Jahr 2013 4,2 Milliarden Euro. Angesichts eines Gesamt-Steueraufkommens von fast 620 Milliarden ist das ein Wert, der kaum ins Gewicht fällt (genau genommen 0,68 %). Selbst für einen knausrigen Finanzminister sind das eher Peanuts. Keine Peanuts dagegen sind die Steuern für diejenigen jungen Familien, die gerade ihre Existenz gründen oder für Familienunternehmer, die Verantwortung für ihre Firma tragen. Denen wird substantiell etwas weggenommen, das ihnen jemand schenken wollte, der sie gern mochte, sie geliebt hat, für sie sorgen wollte. Am Ende laufen die Erbschaft- und Schenkungsteuer darauf hinaus, Fürsorge zu besteuern. Davon haben übrigens auch diejenigen kaum etwas, die nichts erben. Außer vielleicht dem Gefühl, dass der andere jetzt doch nicht so viel bekommen hat. Aber eigentlich ist Neid auch kein schönes Gefühl. Unterm Strich kommt also von diesen Steuern nur bei denen wirklich etwas an, die gerne missgünstig sind. Eine traurige Bilanz. Es ist höchste Zeit, diese aberwitzige Steuer abzuschaffen!

Photo: Alexander Lyubavin from Flickr

Am 18. Februar war Frank Schäffler bei der n-tv-Sendung „Das Duell“ zu Gast. Mit Prof. Rudolf Hickel diskutierte er zum Thema „Die Euro-Zocker – wie teuer wird der Griechen-Poker?„. Er forderte ein Umdenken in der Euro-Rettungspolitik, weil die derzeitgen Maßnahmen offensichtlich gescheitert sind.

Ein Ausscheiden aus dem Euro, so Schäffler, sei für Griechenland immer noch die beste und fairste Lösung. Es gehe nicht darum, Griechenland alleine zu lassen: „Im Übergang, da helfen wir. Wir helfen, weil wir Teile der Schulden dann übernehmen – durch den Schuldenschnitt, der dann zwangsläufig sein wird. Und wir helfen dann beim Aufbau.“ Derzeit gefährdet die Situation Griechenlands allerdings den gesamten Euro-Raum und führt in der Konsequenz zu einer verantwortungslosen Geldpolitik. Den Preis dafür zahlt Europa, zahlen Europas Bürger.

Voraussetzung für eine positive Zukunft Griechenlands sind eben nicht immer neue Finanzhilfen und die indirekte Staatsfinanzierung durch die EZB, sondern ein echts Umdenken: „Wenn man Eigentum erwerben will, muss das rechtssicher geschehen. Die brauchen eine weniger korrupte Verwaltung. Man muss Arbeiter leicht einstellen können. Man muss leicht investieren können. Man muss auf eine Genehmigung nicht ein halbes oder ein Jahr warten müssen. Das sind die Voraussetzungen dafür, dass Arbeitsplätze entstehen und nicht irgendwelches öffentliches Geld, das über das Land verteilt wird.“

Die ganze Sendung könne Sie hier abrufen.

Die Griechen haben gewählt, und die neue Mehrheit im Parlament hat eine Regierung gebildet. Die linksextreme Syriza und die antisemitischen Rechtspopulisten der Partei Anel bilden eine gemeinsame Koalition. Letztere hat mit Panos Kammenos einen Vorsitzenden, der gleichzeitig neuer Verteidigungsminister ist. Er hat noch im Dezember behauptet, Juden würden in Griechenland steuerlich bevorzugt. Als im Jahr 2000 in Österreich die konservative ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ eines Jörg Haiders koalierte, brach europaweit ein Sturm der Entrüstung aus, der am Ende Sanktionen und die diplomatische Isolierung der Alpenrepublik zur Folge hatte.

Und in der Parteizeitung des Syriza-Vorsitzenden und neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras wird aktuell Finanzminister Schäuble mit Wehrmachtsuniform karikiert. Dennoch kann die Vorsitzende der Syriza-Schwesterpartei „Die Linken“, Katja Kipping, mit dem Wahlsieg in Griechenland einen „europäischen Frühling“ ausrufen, und die europäischen Linken in ganz Europa klatschen Beifall. Was Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht heute wohl dazu sagen würden?

Das moralische Recht Griechenlands, weiter Mitglied im Euro-Raum zu sein, darf durchaus in Frage gestellt werden. Eigentlich müsste Griechenland aus dem Euro-Club ausgeschlossen werden. Es ist doch eine perverse Verdrehung des Solidaritätsgedankens, wenn ein Land sich mit nachweislich gefälschten Zahlen in den Euroraum mogelt, anschließend fortgesetzt und dauerhaft die gemeinsam geschaffenen Regeln verletzt und dann, wenn es nicht mehr weiter weiß, um Solidarität bei den anderen nachsucht. Und um es auf die Spitze zu treiben: Zu einem Zeitpunkt, wo der Euro-Club und die Europäische Zentralbank (EZB) rund 80 Prozent der 322 Milliarden Euro Schulden Griechenlands in ihre eigenen Bücher übernommen haben, werden die Helfer von der amtierenden Regierung des hilfesuchenden Landes erpresst. Geschlossene Vereinbarungen gelten nicht mehr, und neues Geld wird gefordert.

Um es nochmals zu verdeutlichen: In Griechenland ist kein Vulkan ausgebrochen, es waren auch keine Missernten oder Überschwemmungen, die die Überschuldung des Staates verursacht haben. Es waren von der Bevölkerung demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente, die dies über viele Jahrzehnte durch Korruption und Misswirtschaft verursacht haben. Nichts anderes! Dabei haben die europäischen Geberstaaten große finanzielle Kraftanstrengungen geleistet. Bis zum Ausbruch der Krise erhielten die Nehmerstaaten in der EU Netto-Subventionen von über 430 Milliarden Euro. Allein Griechenland war mit 133 Milliarden Euro dabei, davon leistete Deutschland alleine 69 Milliarden. Dies entspricht nahezu dem Betrag, mit dem Griechenland seit Ausbruch der Krise 2010 bei Deutschland im Obligo steht.

Dieses Verhalten hat nicht nur Griechenland in die aktuelle Situation gebracht, sondern infiziert auch alle anderen im Euro-Club. Der Rechtsbruch europäischer Regelungen wird zum Frühsport und die Versprechen einer Besserung zu Sirenengesängen. An die Maastricht-Kriterien hat sich nach dem Präzedenzfall in Griechenland anschließend keiner mehr gehalten. Und auch die ach so verschärften Regeln, die mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM 2012 eingeführt wurden, sind schon nach zwei Jahren längst wieder Makulatur. An den Fiskalpakt, der faktisch ein Neuverschuldungsverbot vorsieht, hält sich wieder fast niemand. Und Griechenland hat ihn als einziges Land bislang noch nicht einmal in die Verfassung oder ins Gesetz geschrieben.

Griechenland ist ein souveräner Staat. Es war und ist das gute Recht des griechischen Parlaments, Reeder von der Steuer per Verfassung zu befreien. Es ist auch deren gutes Recht, die Schlüsselindustrie zu verstaatlichen und weiter fleißig Beamte einzustellen. Und es ist auch die souveräne Entscheidung der Regierung Griechenlands, bei den übrigen Partnern in Europa Zweifel an der Westbindung Griechenlands zu nähren. Doch Griechenland und die übrigen 27 EU-Staaten müssen sich die Frage stellen, ob dies eine Basis für eine gemeinsame Zukunft in Europa ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 14. Februar 2015.

Photo: L’Altra Europa con Tsipras from Flickr

Ich kaufe gerne mal die Obdachlosenzeitung. Das erscheint mir prinzipiell ein sehr sinnvolles Projekt. Als ich die Dezember-Ausgabe des „strassenfeger“ aufschlug, fiel mir eine Überschrift ins Auge: „Freihandels-Nostalgie?! – Oder wie eine Idee des 19. Jahrhunderts unsere modernen europäischen Demokratien bedroht und warum wir das nicht wollen“. Leider geht es in dem Artikel selbst dann nur um das Investitionsschutzabkommen. Mich hätte vielmehr interessiert, wie die Autorin „Julia“ die „Freihandels-Nostalgie“ definiert. Im Zuge der Proteste gegen TTIP ist Freihandel zu einem Schreckenswort geworden. Als bekennender Freihandels-Nostalgiker finde ich das verstörend …

Demokratie und Freihandel: Geschwister im Kampf gegen die Mächtigen

Wie immer, wenn Politiker und Bürokraten ein Projekt angehen, ist Wachsamkeit gefordert. Sicherlich gibt es an Verfahren und Inhalt von TTIP manches zu hinterfragen. Gleichzeitig laufen aber auch viele der Kritikpunkte an dem Investitionsschutz ins Leere. Viele TTIP-Kritiker tappen allerdings leider in dieselbe Falle wie „Julia“: sie meinen Intransparenz und Demokratiedefizit, schießen aber auf den Freihandel. Das ist ein fataler Fehler, denn Freihandel und Demokratie teilen die gleichen Eltern: beide sind Ausdruck des Kampfes für die Freiheit gegenüber den Großen und Mächtigen.

Demokratie wurde als System der Machtkontrolle und -beschränkung entwickelt. Vor 2500 Jahren war es das Gegenkonzept zur Tyrannis. Heute sollen demokratische Prozesse diejenigen kontrollieren und beschränken, denen zeitweise bestimmte Vollmachten eingeräumt werden. Immer geht es darum, die Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen vor der Willkür der Herrschenden in Schutz zu nehmen. Das gilt natürlich auch dann, wenn eventuell Deals in die Freihandelsabkommen mit hinein kommen, die bestimmte Gruppen bevorzugen und vielleicht gar im Geheimen abgeschlossen werden (wenn das der Fall sein sollte).

Freihandel gegen Hungersnot

Zur Willkür der Herrschenden gehörte auch immer schon das Instrument der Handelskontrolle. Zölle wurden erhoben, um den Staatssäckel zu füllen. Aber Zölle wurden auch erhoben, um die eigene Industrie zu schützen. Und zwar meistens die Großen, die es geschafft haben, bei den Herrschenden für ihren Schutz zu werben. Heute nennt man solche Leute Lobbyisten. Zölle sind wesentlich auch Beschränkungen der Handels- und Vertragsfreiheiten der einzelnen Bürger. Im Endeffekt wirken die Preisaufschläge durch Zölle oft wie ein Kaufverbot. Das führt dazu, dass der einheimische Verbraucher eine geringere Auswahl haben oder höhere Kosten tragen muss.

Die „Idee des 19. Jahrhunderts“, vor deren Schrecken „Julia“ warnt, war genau gegen diese Handelsbeschränkungen gerichtet. Richard Cobden, ein Mann aus sehr einfachen Verhältnissen, wurde zu einem der ersten Begründer einer Graswurzelbewegung. – Also vom Prinzip her, wenn auch nicht von den Überzeugungen, ein Vorläufer von attac, Occupy und Campact. – Die Zölle, die es zu seiner Zeit in Großbritannien auf Getreide gab, schützten die Großgrundbesitzer vor dem Import von günstigerem Getreide aus Russland und den USA. Die Leidtragenden waren die Industriearbeiter, die zum Teil schwere Hungersnöte durchmachen mussten, weil die Nahrungsmittelpreise zu hoch waren. Cobdens Bewegung für den Freihandel hat die Abschaffung dieser Zölle durchgesetzt und so Millionen von Menschen aus Elend, Not und Hunger geholfen. Die Bewegung nannte man übrigens Manchester-Liberalismus

Fair Trade für uns und andere

Handel ist prinzipiell für alle Beteiligten gut: Der Anbieter kann Geld verdienen, indem er etwas verkauft. Und der Käufer kann etwas erwerben, das er braucht oder will. Beschränkungen des Handels sind somit für beide Seiten schlecht: Der eine wird am Geldverdienen gehindert, der andere am günstigen Erwerb von wertvollen oder vielleicht gar lebenswichtigen Gütern. Wer gegen Freihandel ist, sollte sich dessen bewusst sein.

In der Tat gibt es kaum ein besseres Mittel, um eine Situation des Fair Trade herzustellen als den Abbau von Handelsbeschränkungen. Denn plötzlich bekommen alle Zugang zu einem Markt, der bisher nur wenigen vorbehalten war. Und gleichzeitig können Großkonzerne ihre marktbeherrschende Stellung nicht mehr so gut schützen, wenn es keine Zölle mehr gibt. Nicht nur der Produzent im anderen Land kann endlich seine Ware loswerden, auch der Konsument im eigenen Land kann einkaufen ohne den Preisaufschlag bezahlen zu müssen, der durch Zölle entsteht. Gerade für die Menschen aus ärmeren Ländern ist Freihandel (und in der Folge am besten auch freie Migration) eine enorme Chance. Es liegt wesentlich an der mit Handelsliberalisierung verbundenen zunehmenden Globalisierung, dass der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, von 1990 bis 2010 um die Hälfte zurückgegangen ist.

Freihandel nicht als Nostalgie, sondern als Vision

Viele Gegner des Freihandels sind auch Idealisten. Sie verfolgen hehre Ziele wie zum Beispiel den Schutz der Umwelt, Wohlstand für alle oder weltweiten Frieden. Das ist gut und das ist ehrenwert. Aber auch der Manchesterliberale Richard Cobden hat für solche Ziele gekämpft. Er hat sich für mehr Bildungschancen eingesetzt. Und er war geradezu radikaler Pazifist, was ihm in der Hochzeit der Imperialismus im 19. Jahrhundert auch sehr viele Feinde eingebracht hat. Wäre es nicht wunderbar, wenn die Gegner von Freihandel erkennen könnten, dass sie gegen den falschen Feind anlaufen, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen?

Freihandel sollte für uns alle eine Vision sein, auf die wir hinarbeiten. Das heißt nicht, dass wir die Probleme der aktuellen Abkommen kleinreden sollten. Auch dort gibt es sehr viele Entwicklungen, die dem eigentlichen Prinzip des Freihandels widersprechen. Es werden neue Schutzmaßnahmen eingerichtet, Sonderregeln eingeführt und TTIP droht natürlich auch, sich seinerseits gegenüber anderen Märkten abzuschotten. Aber diese Probleme dürfen nicht dazu führen, dass wir verkennen, welch ein Segen Freihandel weltweit schon ist – und ein wieviel größerer Segen er erst sein wird, wenn er sich weiter durchsetzt. Die Geschichte der EU zeigt durchaus eindrücklich, wie ein freier Markt zu Wohlstand und Frieden führt. Dafür lohnt es sich zu kämpfen – weltweit!

Photo: barockschloss from Flickr