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Photo: Hamed Al-Raisi from Flickr (CC BY 2.0)

Die Einschläge kommen immer näher und in kürzeren Abständen. Erst waren es nur Notenbanker und Wissenschaftler wie der Chef-Ökonom der Bank of England Andy Haldane und der Harvard-Professor Kenneth Rogoff, die die Abschaffung des Bargeldes forderten. Jetzt bescheinigte beim Treffen der Mächtigen in Davos Deutschbanker John Cryan Münzen und Scheinen keine gute Zukunft: Bargeld sei fürchterlich teuer und ineffizient. Bei der aktuellen Ertragssituation der größten deutschen Bank kann man da schon fast Verständnis oder sogar Mitleid haben.

Doch Mitleid ist ein schlechter Ratgeber. Denn immer dann, wenn der mediale Boden bereitet ist, springt auch die Politik auf das Thema auf. So will die SPD jetzt den 500-Euro-Schein abschaffen und Barzahlungen auf 5.000 Euro beschränken. Deren Sprecher Jens Zimmermann sagte dazu: „Der 500 Euro-Schein spielt in kriminellen und halbseidenen Milieus eine große Rolle“. Wer will sich schon mit kriminellen und halbseidenen Milieus identifizieren? Doch was ist mit 200 Euro-Scheinen, was ist mit den beliebten 100- und 50-Euro-Scheinen? Auch mit diesen werden Drogen gekauft, Menschenhandel finanziert und Beamte geschmiert.

Es gibt mächtige Interessen, die die Abschaffung des Bargeldes wollen. Alle diese Gruppen profitieren davon. Die Polizei kann Verbrecher, vom Schwarzarbeiter bis zum Terroristen, besser jagen, wenn alle Zahlungen über Konten abgewickelt werden müssen. Banken sparen Kosten, weil sie nicht ständig Bargeld sichern, herausgeben und verwalten müssen. Den Finanzminister freut es, weil er Einkommen leichter besteuern und kontrollieren kann. Und wenn die Überschuldung von Staaten und Banken offensichtlich wird und das Vertrauen in das staatliche Geldmonopol schwindet, dann kann man viel „effizienter“ mit Bankferien darauf reagieren. Argentinien, Griechenland und Zypern lassen grüßen.

Der Kollateralschaden ist erheblich: Ein wichtiges Stück Freiheit geht verloren. Denn Bargeld ist der in Münzen geschlagene Teil unserer Freiheit. Es geht zunächst einmal niemanden, keinen Finanzminister, keine Polizei, keinen Zentralbanker, keinen Deutschbanker und wen auch immer etwas an, was der Einzelne mit seinem Geld macht. Die Unschuldsvermutung ist ein Kernelement unseres Rechtssystems.

Das Bargeld hatte nicht immer so einen schlechten Ruf: Wer vor 40 Jahren einen neuen Fernseher gekauft hat, konnte diesen selbstverständlich mit einem 500 DM oder 1.000 DM-Schein bezahlen. Die Barzahlung war die Regel, die unbare Zahlungsweise die Ausnahme. Heute hat sich das Verhältnis umgedreht. Wer heute mit einem 500-Euro-Schein in einem Laden bezahlt, wird schräg angeschaut. Die psychologische Kriegsführung gegen das Bargeld hat das Unterbewusstsein erreicht. Das ist nicht gut für eine freie Gesellschaft. Daher muss all den Wissenschaftlern, Bankern und Politikern, die diese Entwicklung forcieren, Einhalt geboten werden. Ein freiheitlicher Rechtsstaat hat nicht das Recht der Überwachung jedes Einzelnen, weder unmittelbar noch mittelbar.

Die Antwort einer freien Gesellschaft muss eine Stärkung der Vertragsfreiheit sein. Sie ist Lebenselixier der Marktwirtschaft. Die Vertragsfreiheit sichert die Vielfalt. Sie bei der Wahl des jeweiligen Zahlungsmittels zu stärken, wäre die richtige Antwort auf den staatlichen Paternalismus. Schränken Regierung und Notenbank diese Vertragsfreiheit jedoch ein, dann ist ein weiterer Schritt in eine gelenkte Wirtschaft und den Überwachungsstaat bereitet.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

 

Photo: DALIBRI from Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Die hessischen Minister Grüttner und Schäfer von der CDU und Al-Wazir von den Grünen haben kurz vor Weihnachten eine Vorschlag für die Verbesserung der Altersvorsorge in Deutschland präsentiert. Ein Deutschland-Fonds, in den alle einzahlen, soll die drohende Altersarmut in Deutschland beseitigen.

Größere Sparanstrengungen des Einzelnen sind tatsächlich notwendig. Der Grund ist, dass EZB-Präsident Mario Draghi den Zins vernichtet hat. Sparen in klassische Zinspapiere, in die überwiegend Lebensversicherungen investieren, sind nicht mehr lohnend. Die zehnjährige Staatsanleihe des Bundes rentiert seit Wochen unter 0,5 Prozent. Das ist besorgniserregend, weil es jungen Menschen die Lebensperspektive im Alter nimmt. Ein heute 30-Jähriger muss, wenn er zusätzlich 1000 Euro Rente mit 67 bis zum 90. Lebensjahr erhalten will, einen Kapitalstock von 600.000 Euro aufbauen. Erzielt sein Sparvorgang in den nächsten 37 Jahren keine Zinsen, muss er dafür monatlich 1400 Euro zur Seite legen. Wären es dagegen vier Prozent, würde seine monatliche Sparanstrengung bereits auf 580 Euro sinken. Letzteres ist für die Allermeisten schon sehr schwierig, Ersteres wohl unmöglich.

Der Vorschlag der drei Minister greift daher ein wichtiges Problem auf. Die Lösung ist jedoch viel zu staatsgläubig. So sollen die Arbeitgeber die Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung abführen und diese soll die Beiträge breit, auch in Aktien, anlegen. Schon daran muss man Zweifel hegen. Bislang war die Expertise der Deutschen Rentenversicherung in erfolgreicher Anlagepolitik überschaubar, hat sie doch im Umlagesystem das Geld, das sie eingenommen hat, gleich wieder ausgegeben.

Das Grundproblem der Altersvorsorge in Deutschland ist ihre Komplexität. Zahlreiche Durchführungswege in der betrieblichen Altersvorsorge hemmen Unternehmen, sich damit zu beschäftigen. Riester-Rente und Rürup-Rente sind für den Einzelnen ebenfalls komplizierte Produkte. Sie müssen verrentet, eine Garantie der Beiträge versprochen und in der Steuererklärung bürokratisch veranlagt werden. Eigentlich geht es immer nur um eine Frage: Wie viel darf der Sparer von seinem Ertrag behalten und wie viel muss er an den Staat an Steuern abführen? Das Grundproblem hat mit dem Steuerrecht zu tun und hier mit dessen Jährlichkeitsprinzip. Der Steuerbürger lebt immer nur vom 1. Januar bis zum 31. Dezember eines Jahres. Danach beginnt sein Leben neu, unabhängig davon, ob er sein Einkommen ausgibt – also konsumiert – oder ob er den Konsum in die Zukunft verschiebt – also spart. Das kennen wir zeitlebens nicht anders. Aber es ist dennoch falsch, weil es ungerecht ist. Es behandelt einen gleichen Sachverhalt, das Einkommen, ungleich und verzerrt damit Konsum- und Sparentscheidungen der Bürger. Es darf eigentlich keinen Unterschied machen, ob Einkommen am 31. Dezember eines Jahres erzielt wird oder erst am 1. Januar des Folgejahres. Entscheidend sollte sein, was damit gemacht wird. Es am Konsum festzumachen, wäre daher konsequent.

Besonders deutlich wird dieser Sachverhalt bei langfristigen Sparvorgängen. Ein vereinfachtes Beispiel: Wer heute ein zu versteuerndes Einkommen von 40.000 Euro im Jahr hat und einmalig 1000 Euro zur Seite legt, hat diesen Betrag bereits mit seiner Lohnsteuer versteuert (angenommen wird ein Steuersatz von insgesamt 25 Prozent). Hätte er es nicht versteuern müssen, weil er es nicht heute, sondern erst zu Beginn seines Ruhestandes in 40 Jahren konsumieren will, hätte er 1333 Euro anlegen können. Wir unterstellen, er legt diese 1333 Euro in langlaufende Staatsanleihen an und würde eine Verzinsung von drei Prozent pro Jahr erwarten.

In einer Welt ohne Steuern könnte er zu Beginn seines Lebensabends 4349 Euro erwarten. Investiert er aus versteuertem Einkommen 1000 Euro (1333 Euro – 25 Prozent) und seine jährlichen Zinserträge von drei Prozent werden mit der Kapitalertragsteuer von 25 Prozent pro Jahr (3 – 25 Prozent = 2,25 Prozent) besteuert, dann hat er in 40 Jahren lediglich 2435 Euro angespart. Die Differenz von 1914 Euro sind seine gezahlten Steuern über 40 Jahre. Das entspricht einer steuerlichen Belastung von 44 Prozent. Hätte er heute konsumiert und nicht erst in 40 Jahren, so wäre seine steuerliche Belastung 25 Prozent gewesen. Der Staat fördert den heutigen Konsum und diskriminiert das Sparen.

Die Gerechtigkeitsdebatte fängt beim Steuerrecht an. Wie gespart wird, wann das Geld entnommen wird und wofür, sollte dem Einzelnen überlassen bleiben. Der Steuersatz sollte zu jedem Zeitpunkt gleich sein. Das wäre gerecht. Wer das bezweifelt, leistet Beihilfe zum heimlichen Diebstahl.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 16.1.2016.

Photo: Till Westermayer from Flickr (CC BY-SA 2.0)

In der nachrichtenarmen Zeit um Sylvester titelte die FAZ: „Finanzinvestoren kaufen Deutschland auf“. Fachleute würden für 2016 das höchste Übernahmevolumen in Deutschland seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 erwarten. Schon einmal war dies ein großes Thema: 2005 entfachte Franz Müntefering eine Debatte, in der er Investoren mit Tieren verglich: die berühmt-berüchtigten Heuschrecken. Er sagte damals in der Bild am Sonntag. „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ Das war nicht nur geschmacklos, sondern auch inhaltlich falsch. Doch die Kampagne des Sauerländers hat seine Wirkung nicht verfehlt. Die latente und bisweilen offen auftretende Kapitalismusfeindlichkeit in Deutschland wurde weiter angeheizt. Mit der Bankenkrise 2007/2008 und der dann einbrechenden Konjunktur nahmen die Übernahmegelüste dann aber auch sehr schnell ab.

Im letzten Jahr wurden jedoch wieder für 15,7 Milliarden Euro Übernahmen in Deutschland finanziert, der höchste Wert seit 2007. Umgekehrt waren deutsche Unternehmen an weltweiten Übernahmen in einem Volumen von 189 Mrd. Euro beteiligt. Dies ist der zweithöchste Wert seit 15 Jahren.

In einer Marktwirtschaft sind Unternehmensübernahmen nichts Verwerfliches oder Schlechtes. Sie können sogar für eine produktive Entwicklung in einer Volkswirtschaft stehen. Eigentümer suchen Nachfolger, Unternehmen wollen durch Zukäufe ihre Produktangebot erweitern, in neue Märkte vordringen oder Marktanteile gewinnen. Eine stärkere Internationalisierung des Handels kann ebenfalls der Grund sein, wie auch eine Diversifizierung der Währungsrisiken eines Unternehmens.

Doch eine wesentliche Ursache der aktuellen Entwicklung hat weniger etwas mit der Marktwirtschaft oder dem Kapitalismus zu tun, wie es „Münte“ seinerzeit unterstellt hat, sondern sie ist Ausdruck und Folge der Politik der Regierungen und ihrer Notenbanken. Die staatlichen Notenbanken sorgen durch ihre Niedrigzinspolitik und ihre Bilanzausweitung dafür, dass nicht nur die kurzfristigen Zinsen dauerhaft niedrig sind, sondern auch die langfristigen Zinsen gedrückt werden. Diese Politik subventioniert nicht nur die öffentlichen Haushalte bei den Finanzierungskosten des Schuldenberges, sondern macht auch die Finanzierung von Unternehmensübernahmen attraktiver.

Die Nachfrage steigt auch deshalb jetzt enorm an, weil daraus ein fast risikoloses Geschäftsmodell geworden ist: „Nimm mit nahe null Prozent Zinsen einen Kredit auf, finanziere damit die Übernahme und verkaufe das Unternehmen nach einigen Jahren gewinnbringend.“ Das ist sicherlich etwas vereinfachend dargestellt, da Private Equity-Unternehmen nach einer Übernahme nicht die Däumchen drehen, sondern das Unternehmen restrukturieren und damit produktiver und effizienter machen wollen. Doch schon die wachsende Nachfrage durch die Nullzinspolitik der Notenbanken lässt die Preise für Vermögensgüter steigen. Allein die niedrigen Kreditzinsen tragen dazu bei. Plötzlich werden Übernahmen möglich, die sich zu normalen Marktzinsen nie gerechnet hätten. Plötzlich werden Unternehmen überlebensfähig, die unter normalen Marktzinsen längst verschwunden wären. Und plötzlich werden Mondpreise für Unternehmen bezahlt, die unter normalen Markzinsen nie refinanzierungsfähig wären.

Es findet also eine künstliche Veränderung oder besser eine Pervertierung des Marktprozesses statt. Es ist keine Marktwirtschaft mehr, sondern eine von staatlichen Institutionen verzerrte Wirtschaft, in der Übertreibungen nicht kurzfristig bereinigt werden, sondern langfristig ausgesessen. Aus einzelnen Dellen werden Klumpen einer ganzen Volkswirtschaft, die immer größer und fundamentaler werden und deren Bereinigung, hin zu normalen Zuständen, schwere Wirtschafkrisen mit sich bringen wird. Die Notenbanken verursachen mit ihrer Zinsmanipulation asoziales Verhalten in der Wirtschaft. Unmoralisches Handeln zu Lasten Dritter wird nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert. Wie lange geht so etwas gut?

Das Platzen von Vermögensgüterblasen ereignet sich immer dann, wenn die Nachfrager nach Vermögensgütern nicht mehr daran glauben, dass die Investition zu Ende geführt werden kann. Das kann in Folge eines Zinsanstieges durch die Notenbank verursacht sein oder langfristig durch das Aufzehren von Kapital einer Volkswirtschaft erfolgen. Letztlich ist die DDR nicht an der Höhe der Zinsen im Inland Pleite gegangen, sondern am nicht mehr vorhandenen Kapitalstock der Volkswirtschaft. Die Wertschöpfung der DDR-Wirtschaft war zu gering, um die Erneuerung ihrer selbst zu finanzieren. Irgendwann war einfach Schluss.

Und kurzfristig ist die Situation wie in einem Schnellballsystem. Diejenigen, die zuerst einzahlen, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie durch künftige Einzahler einen Rückfluss mit Gewinn erhalten. Je spitzer die Pyramide verläuft und je länger an ihr gebaut wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Notenbank die Zinsen auf breiter Front nicht mehr kontrollieren kann. Soweit sind wir wahrscheinlich noch nicht. Ein paar Pfeile hat Mario Draghi noch im Köcher. Doch irgendwann sind auch diese verschossen, stumpf oder wirkungslos. Dann steigt die Unsicherheit, Panik bricht aus und einzelne Zahlungsausfälle werden zu einem Tsunami. Deshalb gilt: Glaube nicht dem staatlichen Wetterdienst, sondern beherzige die alte Bauernregel: Geht die Sonne feurig auf, folgen Wind und Regen drauf.

Photo: University of Liverpool Faculty of Health & Life Sciences from Flickr (CC BY-SA 2.0)

2015 war der Euro-Club der „kranke Mann“ Europas. Er wird es 2016 wohl bleiben. Die Länder, die den Euro eingeführt haben, schwächeln. Sie schwächeln im Wachstum, bei den Arbeitsplätzen und beim Abbau des staatlichen Defizits. Die Folgen sind eine wachsende Verschuldung der staatlichen Ebenen, der privaten Haushalte sowie der Banken und Unternehmen. Nicht bei allen, aber bei der Mehrheit der Mitgliedsstaaten. Der Grund dieser Schwäche ist die Trägheit, Saturiertheit und Langsamkeit des gesamten Euro-Clubs. Das hat wiederum viel mit dem Umgang innerhalb der Währungsunion zu tun und weniger mit seinem Rechtsrahmen.

Die Gründerväter des Euros glaubten, dass die Einführung des Euro zu einer Angleichung der Ökonomien führen würde und zu einem wachsenden Wohlstand für alle. Die Maastricht-Kriterien, die fiskalische Disziplin erzwingen sollten, eine unabhängige Notenbank und eine EU-Kommission, die als Hüterin des Rechts, darüber wacht, sollte die Konvergenz schaffen. Diese These war und ist bei vielen Ökonomen in Deutschland beliebt. So formulierte bereits 1992 der spätere Bundespräsident und damalige Finanzstaatssekretär Horst Köhler im Spiegel-Interview: „Mit dem Maastrichter Ergebnis schreiben wir die soziale Marktwirtschaft als Ordnungsmodell für Europa fest. Das gibt uns die Möglichkeit, in Ruhe und Stabilität im Laufe der Zeit Entwicklungsunterschiede in Europa auszugleichen. Davon werden wir alle profitieren.“

Gemeinhin meint man in Deutschland andere in Europa hätten diese Logik nicht verstanden. Doch das ist nicht so. Der spanische Ökonom Jesús Huerta de Soto, einer der herausragenden und klugen Ökonomen Spaniens und Anhänger der Österreichischen Schule der Ökonomie, spricht sogar davon, dass der Euro wie der historische Goldstandard die Regierungen diszipliniere. Er meint sogar, der Euro treibe zu haushälterischer Strenge, tendenziell die Wettbewerbsfähigkeit erhöhenden Reformen und setze den Missbräuchen des Wohlfahrtsstaates und der politischen Demagogie ein Ende.

Was beide, Köhler und de Soto, völlig unterschätzten, ist das fehlende Verständnis in den Euro-Staaten, in der Kommission und erst recht in der EZB für den gemeinsamen Ordnungsrahmen. Dieser setzt nicht nur den gemeinsam ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag voraus, sondern das gemeinsame Verständnis darüber, was man unterschrieben und welche Konsequenzen dies hat. Und gerade daran mangelt es. Besonders deutlich wurde dies vor Weihnachten im Parlament der Europäischen Union. Dort sagte EU-Kommissionspräsident Juncker mit Blick auf den Europäischen Stabilitätspakt und das erneute Hinausschieben des französischen Defizitabbaus: In der EU gehe es „nicht um Rechtsregeln oder Prozentzahlen, sondern um Menschen und die politischen Entscheidungen, die sie betreffen.“ Hier spricht der Pragmatiker, der von Fall zu Fall entscheiden will, was richtig und notwendig ist. So sieht in der Praxis die „Hüterin des Rechts“ aus. Und Mario Draghi, dem die Staatsfinanzierung über die Druckerpresse verboten ist, macht genau dies mit der EZB und verlängert sein Schuldenaufkaufprogramm nochmals.

Die Befürworter dieses Pragmatismus, betonten die Notwendigkeit der Maßnahmen, mit der benötigten Zeit für die entsprechenden Anpassungsmaßnahmen in den Problemländern. Doch halt: Im kommenden Jahr ist bereits das neunte Jahr nach der Bankenkrise, die 2007 ihren Beginn nahm. Seitdem hat sich die Verschuldung in den Krisenstaaten wie Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern massiv erhöht. Die Arbeitslosigkeit hat in diesen Ländern historische Höchststände erreicht. Bis auf Spanien ist das Wachstum überall mau und das staatliche Defizit groß.

Es ist genau das Gegenteil eingetreten, was Köhler, de Soto und anderen vorausgesagt haben. Die Praxis des Euro hat nicht zur Konvergenz, sondern zur Divergenz der Ökonomien geführt. Nicht der Geist des Euros war daran Schuld, sondern das Schleifen des Rechtsrahmens durch die Institutionen selbst. Dadurch sind die Regeln beliebig geworden. Das ist zumindest historisch uneuropäisch. Die europäische Freiheitsidee hat sich vor Jahrhunderten gerade gegen die Allmacht der Herrschenden durchgesetzt, weil Bürger ihren Königen und Fürsten abtrotzten, dass diese nicht über dem Recht stünden, sondern ihm untergeordnet sind. Die Herrschaft des Rechts ist Teil der Kulturtradition Europas. Eine Rückbesinnung auf diese Tradition ist gleichzeitig die Überlebenschance für die gemeinsame Währung – vielleicht ihre einzige.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Marjan Lazarevski from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Seit dem 15. September 2008 ist alles anders. Seitdem erpressen die Banken die Politik. Seitdem ist die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers gleichbedeutend mit dem Höllenschlund. Notenbanker und Politiker blicken seitdem bei jeder neuen Bankenschieflage „in den Abgrund“. Jedes Mal scheint die Welt unterzugehen oder der Himmel uns auf den Kopf zu fallen.

Seit Lehman ist die Allzweckwaffe im Krisenfall die Bankenrettung um jeden Preis. In der ersten Phase geschah dies noch durch Garantien, Bürgschaften und Hilfsgelder des jeweiligen Staates. Schon in der zweiten Phase reichten die Verschuldungsmöglichkeiten dieser Länder nicht mehr aus. Supranationale Hilfen wurden notwendig. IWF und der Euro-Club mussten einspringen. Deren Hilfen waren und sind letztlich Schattenhaushalte, die eine neue Verschuldungsebene ermöglichen. Das ist verführerisch, denn es nimmt den Druck im Heute und verschiebt die Lasten auf ein fernes Morgen. Nichts ist für eine Regierung attraktiver als das: ein „free lunch“, der die Wahlperiode überdauert.

Doch niemand sollte die vermeintlichen Retter unterschätzen. Ihre Phantasie geht weit über die Steigerung der eigenen Verschuldung hinaus. Es geht in der Folge auch um die Vergemeinschaftung der Sparvermögen in Europa.

Dazu dient die dritte Phase der Bankenrettung: die Einlagensicherung. Sie soll den bank run verhindern. Der schnelle Abzug von Einlagen bringt eine Bank nämlich schnell in Schieflage. Und das liegt am Geldsystem. In diesem System schaffen Banken aus dem Nichts neues Geld nur dadurch, dass sie Kredite vergeben. Diesen Krediten stehen faktisch keine Sparprozesse an anderer Stelle gegenüber. Weniger als zehn Prozent des umlaufenden Geldes sind daher Banknoten. Der überwiegende Rest ist Giralgeld bzw. Buchgeld. Zweifeln Einleger an der Fähigkeit einer Bank, jederzeit ausreichend Banknoten auszahlen zu können, kommt es zur Schieflage und alle wollen ihre Konten räumen. Die Schieflage verschärft sich und reißt vielleicht sogar andere Banken mit. Die Herstatt-Pleite 1974 war die Geburtsstunde der Einlagensicherung. Die Frankfurter Privatbank hatte sich mit Devisengeschäften verspekuliert. Seitdem gibt es ein System der kollektiven Sicherheit in Deutschland. Kommt eine Bank in Schieflage, rettet eine Ausfallversicherung die Einlagen der Sparer. Die privaten Banken sicherten nun über diese Ausfallversicherung jedem Sparer seine Einlagen bis zu einer Höhe von 30 Prozent des haftenden Eigenkapitals der Bank. Die Höhe der Ausfallversicherung sollte jeden Zweifel beseitigen, dass jemals wieder Einleger, die letztlich Gläubiger gegenüber der Bank sind, bei einer Bankenschieflage ihr Geld verlieren. Über 40 Jahre hat das gut funktioniert. Doch als die kleine deutsche Tochter von Lehman Brothers ebenfalls 2008 Pleite ging, konnte der Einlagensicherungsfonds der privaten Banken dieses Versprechen nur durch die stille und heimliche Hilfe der Bundesbank erfüllen. Die Entschädigungssummen waren schlicht zu hoch. Alle Beteiligten machten damals um den Sachverhalt nicht viel Aufsehen. Keiner wollte an dem bewährten System der Einlagensicherung in Deutschland Zweifel hegen. Doch bis heute hat sich das Einlagensicherungssystem der privaten Banken nicht wirklich erholt.

Die Schieflagen der Landesbanken in Deutschland hat auch die Sparkassenorganisation an die Grenze ihrer Belastbarkeit geführt. Der Bankenrettungsfonds Soffin musste 2008 und in den Folgejahren mehrere Landesbanken stützen, die Teil des Haftungsverbundes der öffentlich-rechtlichen Bankensektors waren. Lediglich die Genossenschaftsbanken kamen bislang ungeschoren davon.

Einlagensicherungssysteme funktionieren nur bei schönem Wetter. Kommt leichter Regen und Wind auf, reichen sie nicht aus, müssen staatlich gestützt oder kollektiviert werden. Letzteres geschieht jetzt. Eine Billion Euro an faulen Krediten in den Bilanzen der Banken hat das Ausfallrisiko in den letzen Monaten erhöht. Deshalb strebt die EU-Kommission eine Ausfallversicherung für alle Banken in Europa an. Nicht mehr nationale Sicherungssysteme sollen nationale Banken sichern, sondern ein europäischer Sicherungsfonds soll alle Einlagen in Europa gleich sicher machen. Eine neue europäische Illusion entsteht.

Schon heute funktionieren die nationalen Systeme nicht oder nur sehr schlecht. Jetzt sollen 19 Systeme, die entweder gar nicht, nur auf dem Papier oder schlecht funktionieren, zu einem System zusammengefaßt werden. Wie wahrscheinlich ist es, dass dies besser funktioniert? Im Zweifel entsteht nicht eine europäischer Einlagensicherung sondern eine europäische Einlagenverunsicherung. Der Denkfehler ist, dass die Regulierer in Brüssel glauben, je größer die Versicherung, desto stabiler sei das System.

Das Gegenteil ist der Fall. Werden in einem zentralen System Fehler gemacht, zu wenig oder zu viel Geld für die Versicherung eingesammelt, zu schlecht kontrolliert oder zu viel Bürokratie den Banken aufgeladen, dann haften alle für die Fehler dieser zentralen Planwirtschaft. Ein Wettbewerb der Ideen, auch ein Systemwettbewerb findet nicht statt. Alle müssen dann Fehlentscheidungen, Fehlentwicklungen oder eine zu späte Korrektur der Zentrale ausbaden. Natürlich können die zentralen Planer auch zufällig einmal richtig liegen. Doch kein Beamter, kein Bürokrat und kein Regulierer können von Lappland bis Andalusien von Nordirland bis Kreta überschauen, welche Risiken auf die Banken und damit indirekt auf die Einleger in Zukunft zukommen.

Werden dagegen Fehler individuell verantwortet, dann haften die Beteiligten selbst und kein anderer. Das ist bitter und kann auch vielfach existenzvernichtend sein. Jedoch lernen alle anderen aus dessen Schicksal, ändern ihr künftiges Verhalten und sind auch deshalb individuell erfolgreich. Das ist das Wesen und die Faszination der Marktwirtschaft. Eine Kollektivhaftung der Sparer und Steuerzahler passt dazu nicht.