Photo: Till Westermayer from Flickr (CC BY-SA 2.0)

In der nachrichtenarmen Zeit um Sylvester titelte die FAZ: „Finanzinvestoren kaufen Deutschland auf“. Fachleute würden für 2016 das höchste Übernahmevolumen in Deutschland seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 erwarten. Schon einmal war dies ein großes Thema: 2005 entfachte Franz Müntefering eine Debatte, in der er Investoren mit Tieren verglich: die berühmt-berüchtigten Heuschrecken. Er sagte damals in der Bild am Sonntag. „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ Das war nicht nur geschmacklos, sondern auch inhaltlich falsch. Doch die Kampagne des Sauerländers hat seine Wirkung nicht verfehlt. Die latente und bisweilen offen auftretende Kapitalismusfeindlichkeit in Deutschland wurde weiter angeheizt. Mit der Bankenkrise 2007/2008 und der dann einbrechenden Konjunktur nahmen die Übernahmegelüste dann aber auch sehr schnell ab.

Im letzten Jahr wurden jedoch wieder für 15,7 Milliarden Euro Übernahmen in Deutschland finanziert, der höchste Wert seit 2007. Umgekehrt waren deutsche Unternehmen an weltweiten Übernahmen in einem Volumen von 189 Mrd. Euro beteiligt. Dies ist der zweithöchste Wert seit 15 Jahren.

In einer Marktwirtschaft sind Unternehmensübernahmen nichts Verwerfliches oder Schlechtes. Sie können sogar für eine produktive Entwicklung in einer Volkswirtschaft stehen. Eigentümer suchen Nachfolger, Unternehmen wollen durch Zukäufe ihre Produktangebot erweitern, in neue Märkte vordringen oder Marktanteile gewinnen. Eine stärkere Internationalisierung des Handels kann ebenfalls der Grund sein, wie auch eine Diversifizierung der Währungsrisiken eines Unternehmens.

Doch eine wesentliche Ursache der aktuellen Entwicklung hat weniger etwas mit der Marktwirtschaft oder dem Kapitalismus zu tun, wie es „Münte“ seinerzeit unterstellt hat, sondern sie ist Ausdruck und Folge der Politik der Regierungen und ihrer Notenbanken. Die staatlichen Notenbanken sorgen durch ihre Niedrigzinspolitik und ihre Bilanzausweitung dafür, dass nicht nur die kurzfristigen Zinsen dauerhaft niedrig sind, sondern auch die langfristigen Zinsen gedrückt werden. Diese Politik subventioniert nicht nur die öffentlichen Haushalte bei den Finanzierungskosten des Schuldenberges, sondern macht auch die Finanzierung von Unternehmensübernahmen attraktiver.

Die Nachfrage steigt auch deshalb jetzt enorm an, weil daraus ein fast risikoloses Geschäftsmodell geworden ist: „Nimm mit nahe null Prozent Zinsen einen Kredit auf, finanziere damit die Übernahme und verkaufe das Unternehmen nach einigen Jahren gewinnbringend.“ Das ist sicherlich etwas vereinfachend dargestellt, da Private Equity-Unternehmen nach einer Übernahme nicht die Däumchen drehen, sondern das Unternehmen restrukturieren und damit produktiver und effizienter machen wollen. Doch schon die wachsende Nachfrage durch die Nullzinspolitik der Notenbanken lässt die Preise für Vermögensgüter steigen. Allein die niedrigen Kreditzinsen tragen dazu bei. Plötzlich werden Übernahmen möglich, die sich zu normalen Marktzinsen nie gerechnet hätten. Plötzlich werden Unternehmen überlebensfähig, die unter normalen Marktzinsen längst verschwunden wären. Und plötzlich werden Mondpreise für Unternehmen bezahlt, die unter normalen Markzinsen nie refinanzierungsfähig wären.

Es findet also eine künstliche Veränderung oder besser eine Pervertierung des Marktprozesses statt. Es ist keine Marktwirtschaft mehr, sondern eine von staatlichen Institutionen verzerrte Wirtschaft, in der Übertreibungen nicht kurzfristig bereinigt werden, sondern langfristig ausgesessen. Aus einzelnen Dellen werden Klumpen einer ganzen Volkswirtschaft, die immer größer und fundamentaler werden und deren Bereinigung, hin zu normalen Zuständen, schwere Wirtschafkrisen mit sich bringen wird. Die Notenbanken verursachen mit ihrer Zinsmanipulation asoziales Verhalten in der Wirtschaft. Unmoralisches Handeln zu Lasten Dritter wird nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert. Wie lange geht so etwas gut?

Das Platzen von Vermögensgüterblasen ereignet sich immer dann, wenn die Nachfrager nach Vermögensgütern nicht mehr daran glauben, dass die Investition zu Ende geführt werden kann. Das kann in Folge eines Zinsanstieges durch die Notenbank verursacht sein oder langfristig durch das Aufzehren von Kapital einer Volkswirtschaft erfolgen. Letztlich ist die DDR nicht an der Höhe der Zinsen im Inland Pleite gegangen, sondern am nicht mehr vorhandenen Kapitalstock der Volkswirtschaft. Die Wertschöpfung der DDR-Wirtschaft war zu gering, um die Erneuerung ihrer selbst zu finanzieren. Irgendwann war einfach Schluss.

Und kurzfristig ist die Situation wie in einem Schnellballsystem. Diejenigen, die zuerst einzahlen, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie durch künftige Einzahler einen Rückfluss mit Gewinn erhalten. Je spitzer die Pyramide verläuft und je länger an ihr gebaut wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Notenbank die Zinsen auf breiter Front nicht mehr kontrollieren kann. Soweit sind wir wahrscheinlich noch nicht. Ein paar Pfeile hat Mario Draghi noch im Köcher. Doch irgendwann sind auch diese verschossen, stumpf oder wirkungslos. Dann steigt die Unsicherheit, Panik bricht aus und einzelne Zahlungsausfälle werden zu einem Tsunami. Deshalb gilt: Glaube nicht dem staatlichen Wetterdienst, sondern beherzige die alte Bauernregel: Geht die Sonne feurig auf, folgen Wind und Regen drauf.

2 Kommentare
  1. politologe1
    politologe1 sagte:

    Müntefering sprach von „manchen“ und von „Finanz“investoren. So falsch lag er damit nicht. Und risikolos bloß weil der Zins niedrig ist? Zurückzahlen muss man den Kredit immer noch. Das Interesse an Übernahmen wird weniger durch günstigen Kredit bestimmt als durch Anlagenotstand. Alle empfehlen – zu recht – Aktien. Ganze Unternehmen oder Unternehmensanteile sind nicht so viel anderes. Bevor man Strafzinsen bei der Geldanlage zahlt …..

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  2. Horst Volker Grogi
    Horst Volker Grogi sagte:

    Betrachten wir die „Übernahme“ der Autobahn-Raststätten. Tank und Rast sitzt in Irland (wo sonst) hat 1 MRD bezahlt und inzwischen 2 MRD rausgezogen – ist in D aber verarmt. Wir zahlen indes horrende Preise an den Raststätten. Such Sanifair ebenfalls in Irland ansässig und auch bei uns derart verarmt, dass man für sie das Recht auf freie Toilettennutzung geändert hat – wir zahlen jetzt 20 cent fürs urinieren – trotz Konsum. Die wasserlosen WCs sind indes problematisch für die Entsorger. SUPER diese Übernahmen und Privatisierungen.

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